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Die Sprachenwahl beim Eurovision Song Contest und ihre Auswirkungen und Konsequenzen

Untersuchung zum Zeitraum 1999-2004

©2004 Magisterarbeit 143 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Ein Lied kann eine Brücke sein“, sang Joy Fleming im Jahre 1975 beim Eurovision Song Contest (ESC). Ebenso lautet auch der Titel eines der rar gesäten, deutschsprachigen Publikationen, die sich mit dem internationalen Sangeswettbewerb beschäftigen. Diese Parallele existiert nicht zufällig, denn ein besonders wertvolles Charakteristikum der Musik ist, dass sie eine völkerverbindende und grenzüberschreitende Kunst ist.
Die Begegnung der europäischen und auch außer-europäischen Nationen zum Zweck der musikalischen Verständigung kann als Kernaspekt des Eurovision Song Contest verstanden werden. Ein Motiv für die Gründung des ESC im Jahre 1955 war zwar, das damals noch neue Medium Fernsehen der europäischen Bevölkerung näher zu bringen, jedoch war der Hauptgrund die Symbolisierung eines wachsenden Zusammengehörigkeitsgefühls (West-) Europas auf populärkultureller Ebene (Moser, 1999).
Vielleicht gerade deshalb erfreut sich der traditionsreiche Grand Prix Eurovision, wie er in Deutschland lange genannt wurde, heute mehr denn je einer großen Beliebtheit und Aktualität. Seine Teilnehmer betreffend war und ist der Grand Prix seiner Zeit immer schon ein Stück voraus. Dort fühlen sich - zumindest in musikalischer Hinsicht - Estland, Litauen, Polen, Ungarn und andere aktuelle Beitrittsländer der Europäischen Union vom 1. Mai 2004 schon seit 1994 als Teil der europäischen Gemeinschaft, oder treffen Griechenland, die Türkei und Zypern seit vielen Jahren im musikalischen Wettstreit friedlich aufeinander. Vor dem Hintergrund des europäischen Zusammenwachsens besitzt dieser Wettbewerb eine Symbolhaftigkeit, denn er bringt den jährlich circa 100 Millionen Zuschauern im Kontext des musikalischen Miteinander - und Gegeneinander - die ihnen noch unbekannten Nationen und deren musikalisches Verständnis von populärem Liedgut ein wenig näher. Wie klingt Popmusik auf Finnisch? Wovon singen Lettland, Polen und Malta?
Jedoch ist die nationale Vielfalt beim Grand Prix nicht mehr gleichbedeutend mit einer sprachlichen Vielfalt. Nach über 20 Jahren bestehender Sprachenregelung beschlossen die Verantwortlichen des ESC-Veranstalters, der European Broadcasting Union (EBU), die Aufhebung dieser Regelungen. Folglich gilt seit 1999: Jedem Teilnehmerland ist es freigestellt, in welcher Sprache ihr ESC-Beitrag verfasst ist. Konnte man nun erwarten, dass die Teilnehmerländer von der Mannigfaltigkeit der europäischen Sprachen Gebrauch machen würden?
Das […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8179
Klapheck, Eva-Maria: Die Sprachenwahl beim Eurovision Song Contest
und ihre Auswirkungen und Konsequenzen - Untersuchung zum Zeitraum 1999-2004
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Universität Duisburg-Essen, Standort Duisburg, Magisterarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

I Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ...I
Abbildungsverzeichnis ...II
Abkürzungsverzeichnis ... III
A
Fragestellung und Forschungsstand ... 1
B Vorarbeiten... 4
1.1
Die European Broadcasting Union:
Geschichtlicher Überblick und zentrale Tätigkeitsfelder ... 4
1.2
Rechte und Pflichten der ,,Aktiven Mitglieder" der EBU ... 8
2.1
Der Eurovision Song Contest:
Entstehungsgeschichte und Teilnehmer des Wettbewerbes ... 12
2.2
Das Wertungssystem und der Abstimmungsmodus beim ESC ... 17
2.3
Die Sprachenregelung beim ESC in der Vergangenheit und heute ... 19
2.4
Die Modernisierung des ESC und des deutschen ESC-Vorentscheids... 21
3
Die deutsche Sprache und ihre internationale Bedeutung ... 27
C
Möglichkeiten empirische Forschung ... 33
1
Zentrale Fragestellung und bisherige Sekundärforschung... 33
2
Exkurs: Lösungsvorschlag am Beispiel des ,,Conjoint-Measurments" .. 39
D
Analyse der ESC-Jahrgänge 1999-2004... 45
1.1
Die nationalen Vorentscheide 1999... 45
1.2
Das ESC-Finale 1999: Jerusalem ... 50
2.1
Die nationalen Vorentscheide 2000... 53
2.2
Das ESC-Finale 2000: Stockholm ... 57
3.1
Die nationalen Vorentscheide 2001... 59
3.2
Das ESC-Finale 2001: Kopenhagen ... 64
4.1
Die nationalen Vorentscheide 2002... 66
4.2
Das ESC-Finale 2002: Tallinn... 70
5.1
Die nationalen Vorentscheide 2003... 72
5.2
Das ESC-Finale 2003: Riga... 77
6.1
Die nationalen Vorentscheide 2004... 79

6.2
Das ESC-Finale 2004: Istanbul... 88
7 Zusammenfassung
der
Analyseergebnisse ... 93
E
Übergreifende Bewertung und kontextuelle Einordnung der
Ergebnisse... 100
Appendix A
A1
Aktive Mitglieder der EBU... 116
A2 Assoziierte
Mitglieder
und
Beteiligte Mitglieder der ... 118
A3
Sister Unions der EBU... 120
Appendix B
B1
Die 42 ESC-Teilnehmerländer 1956-2004 ... 121
B2 Vorgetragene
Sprachen beim ESC 1956-2004 ... 122
Appendix C
C1
E-Mail Korrespondenz EBU... 124
C2
Fragebogen an Michael Sonneck... 125
Bibliographie... 127
II Abbildungsverzeichnis
Tab.1 Sprachen in Europa... 30
Tab.2 Eigenschaft und Eigenschaftsausprägung im Rahmen einer
Conjoint-Analyse... ........... 41
Tab.3 ESC-Jahrgänge 1999-2004: Teilnehmer und Sprachen... 95
Tab.4 Plätze 1-5 beim ESC im Zeitraum 1999-2004... 98
Tab.5 Umsatzanteile der Repertoirekategorien auf dem Tonträgermarkt
2003... ................................................................................. 107

Abkürzungsverzeichnis
ARD
...
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten in der
Bundesrepublik Deutschland
BBC ...
British Broadcasting Corporation
EBU ...
European Broadcasting Union
ECG ...
Eurovision Club Germany e.V.
ESC ...
Eurovision Song Contest
IBU ...
International Broadcasting Union
IFPI ...
International Federation of the
Phonographic Industry
ITU ...
International Telecommunications Union
MTV ...
Music Television
NDR ...
Norddeutscher Rundfunk
OIRT ...
Organisation International de Radio-
diffusion et de Télévision
UER ...
Union Européene de Radio-Télévision

1
A Fragestellung
und
Forschungsstand
,,Ein Lied kann eine Brücke sein", sang Joy Fleming im Jahre 1975 beim
Eurovision Song Contest (ESC). Ebenso lautet auch der Titel eines der rar
gesäten, deutschsprachigen Publikationen, die sich mit dem internationalen
Sangeswettbewerb beschäftigen. Diese Parallele existiert nicht zufällig, denn ein
besonders wertvolles Charakteristikum der Musik ist, dass sie eine
völkerverbindende und grenzüberschreitende Kunst ist. Die Begegnung der
europäischen und auch außer-europäischen Nationen zum Zweck der
musikalischen Verständigung kann als Kernaspekt des Eurovision Song Contest
verstanden werden. Ein Motiv für die Gründung des ESC im Jahre 1955 war
zwar, das damals noch neue Medium Fernsehen der europäischen Bevölkerung
näher zu bringen, jedoch war der Hauptgrund die Symbolisierung eines
wachsenden Zusammengehörigkeitsgefühls (West-) Europas auf
populärkultureller Ebene (Moser 1999: 16).
Vielleicht gerade deshalb erfreut sich der traditionsreiche Grand Prix Eurovision,
wie er in Deutschland lange genannt wurde, heute mehr denn je einer großen
Beliebtheit und Aktualität. Seine Teilnehmer betreffend war und ist der Grand
Prix seiner Zeit immer schon ein Stück voraus. Dort fühlen sich - zumindest in
musikalischer Hinsicht - Estland, Litauen, Polen, Ungarn und andere aktuelle
Beitrittsländer der Europäischen Union vom 1. Mai 2004 schon seit 1994 als Teil
der europäischen Gemeinschaft, oder treffen Griechenland, die Türkei und Zypern
seit vielen Jahren im musikalischen Wettstreit friedlich aufeinander. Vor dem
Hintergrund des europäischen Zusammenwachsens besitzt dieser Wettbewerb
eine Symbolhaftigkeit, denn er bringt den jährlich circa 100 Millionen Zuschauern
im Kontext des musikalischen Miteinander - und Gegeneinander - die ihnen noch
unbekannten Nationen und deren musikalisches Verständnis von populärem
Liedgut ein wenig näher. Wie klingt Popmusik auf Finnisch? Wovon singen
Lettland, Polen und Malta?
Jedoch ist die nationale Vielfalt beim Grand Prix nicht mehr gleichbedeutend mit
einer sprachlichen Vielfalt. Nach über 20 Jahren bestehender Sprachenregelung
beschlossen die Verantwortlichen des ESC-Veranstalters, der European
Broadcasting Union (EBU), die Aufhebung dieser Regelungen. Folglich gilt seit
1999: Jedem Teilnehmerland ist es freigestellt, in welcher Sprache ihr ESC-

2
Beitrag verfasst ist. Konnte man nun erwarten, dass die Teilnehmerländer von der
Mannigfaltigkeit der europäischen Sprachen Gebrauch machen würden? Das
Gegenteil ist der Fall: Bereits im Jahre 1999 und in den darauf folgenden
Jahrgängen zeigte sich hinsichtlich der Sprachenwahl eine klare Tendenz zum
Englischen. Schon im ersten Veranstaltungsjahr ohne bestehende
Sprachenregelung sang rund die Hälfte der nicht-englischsprachigen Länder auf
Englisch. Erstaunlicherweise sind im Kontext des ESC Beiträge in einer anderen
als den nationalen Amtssprache(n) und Englisch praktisch nicht vorhanden. Zeigt
sich beim Grand Prix eine Parallele zu der allgemeinen Entwicklung, Englisch als
Lingua franca in der internationalen Kommunikation zu verwenden? Funktioniert
das Genre ,,Popmusik", das beim ESC weitgehend Verwendung findet, etwa nur
in Verbindung mit dem Englischen? Die Grand-Prix-Titel werden von den
Rezipienten respektive den Zuschauern bewertet. Gehen spezifische
Teilnehmernation eventuell von der Annahme aus, mit einem englischen Beitrag
den musikalischen und sprachlichen Geschmack der Zuschauermehrheit zu
treffen, und ist die Resonanz der Rezipienten tatsächlich positiver als bei einem
nicht-englischen Titel? In der Geschichte des Grand Prix sangen die Teilnehmer
immer wieder von Frieden und Liebe. Doch neben allen versöhnlichen Klängen
ist der Grand Prix ein Wettstreit mit Noten und Stimmgewalt. Daher besteht die
Vermutung, dass ein Großteil der Teilnehmer Englisch als Garant für ein
erfolgreiches Abschneiden ansieht.
Die Sprachenwahl beim ESC ist in Bezug auf Deutschland und die deutsche
Sprache in vielerlei Hinsicht ein interessantes Forschungsgebiet. Zum einen
wurde die Abschaffung der Sprachenregelung beim ESC insbesondere auf die
Initiative der deutschen Delegation beschlossen. Laut Jürgen Meier-Beer, NDR-
Unterhaltungschef und ESC-Verantwortlicher, sei eine existente
Sprachenregelung für Deutschland diskriminierend (vgl. Meier-Beer 2002: 418).
Des Weiteren schloss sich Deutschland dem allgemeinen Trend an und
präsentierte seit 1999 seinen nationalen Beitrag teilweise oder ganz in Englisch.
Die Entscheidungsgewalt über Teilnahme oder Nicht-Teilnahme beim ESC-Finale
besitzen beim deutschen Vorentscheid allein die Zuschauer. Dementsprechend ist
davon auszugehen, dass die Wahl eines englischen Titels dem mehrheitlichen
Geschmack des deutschen Publikums entspricht. Daher sollen im Folgenden nicht
nur Motive für die deutsche Initiative zur Abschaffung der Sprachregelung

3
aufgezeigt werden, sondern diese auch in den Kontext der deutschen
Musiklandschaft eingebettet werden.
Bei der Recherche zum Themenkomplex ESC und speziell zur Sprachenregelung
musste ich verwundert feststellen, dass im deutschsprachigen Raum wenig bis gar
keine Forschungsliteratur dazu vorhanden ist. Wie schon eingangs berichtet,
beschäftigt sich im Besonderen der Journalist Jan Feddersen mit dem Grand Prix.
In seinen beiden Veröffentlichungen ,,Merci, Jury!" (2000) und ,,Ein Lied kann
eine Brücke sein" (2002) dokumentiert der Autor sowohl den deutschen
Vorentscheid als auch das internationale Finale seit 1956. Ferner liefern die
nationalen sowie die internationalen Internetseiten der großen ESC-
Fangemeinschaft aufschlussreiche Informationen in Form von Jahrestabellen und
Statistiken. Zudem stellt auch der NDR als Organisator und Ausrichter des
deutschen Grand-Prix-Vorentscheids in seinem Internetportal hilfreiche
Hintergrundinformationen und Zusatzmaterial zu den deutschen und
internationalen Teilnehmern und deren Titeln zur Verfügung. Jedoch findet sich
weder bei Feddersen noch bei den Foren der Fanclubs und des NDR eine kritische
Auseinandersetzung mit der ESC-Sprachenregelung, die einem Forschungsansatz
dienlich sein könnte.
Hinsichtlich der thematischen Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung
beinhaltet nur die in der Fachzeitschrift Medien & Kommunikationswissenschaft
publizierte Studie von Wolfgang Schweiger und Hans-Bernd Brosius (2003)
interessante und aktuelle Aspekte. Unter dem Titel ,,Eurovision Song Contest ­
beeinflussen Nachrichtenfaktoren die Punktevergabe durch das Publikum?"
beleuchtet die Untersuchung aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht den
Einfluss von verschiedenen Faktorenbündeln auf die Reaktion des ESC-
Publikums. Aufgrund der praktisch nicht existenten Forschungsliteratur zur
Sprachenwahl beim ESC beziehe ich mich im Folgenden primär auf die
deutschsprachige Tagespresse sowie das Internet als Informationsquellen. Zudem
war es mir auch nach wiederholten Nachfragen bei der EBU leider nicht möglich,
hilfreiche Hintergrundinformation bezüglich der Thematik von den Organisatoren
des ESC zu bekommen. Diesbezüglich wurde mir von Seiten der EBU erklärt, es
läge kein Pressematerial zu dieser Thematik vor. Die einseitige Informationslage
in Bezug auf den ESC verdeutlicht, dass diesem als größten internationalen
Unterhaltungswettbewerb seiner Art zwar jährlich ein ausgeprägtes öffentliches

4
Interesse entgegengebracht wird, jedoch nicht im Sinne einer ernsthaften
Auseinandersetzung. Für eine solche besitzt der ESC aber durchaus Potential,
denn im Kontext der Veranstaltung werden wirtschaftliche, musikalische,
politische und eben auch sprachliche Realitäten widergespiegelt.
B Vorarbeiten
1.1
Die European Broadcasting Union: Geschichtlicher Überblick und
zentrale Tätigkeitsfelder
Die European Broadcasting Union (EBU) ist die europäische Vereinigung der
nationalen Rundfunkanstalten und rief als diese den Eurovision Song Contest
(ESC) im Jahre 1956 ins Leben. In der für den ESC zuständigen ,,Eurovisions-
Kommission" der EBU werden alle zentralen Entscheidungen bezüglich des
Reglements der Veranstaltung getroffen. Folglich fällt auch die Sprachenregelung
in den Verantwortungsbereich der Rundfunkvereinigung. Die EBU bezeichnet
sich selbst als ,,the largest professional association of national broadcasters in the
world".(EBU Yearbook 2001: 64) In der Tat verfügt die EBU heute über ein
weltumspannendes Netzwerk bestehend aus 71 ,,Aktiven Mitgliedern" und 46
,,Assoziierten Mitgliedern", mit denen und für die sie ein breitgefächertes
Spektrum an Operationen durchführt. Doch zunächst folgt ein kurzer Überblick zu
den Anfängen der EBU.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert existierte in Europa eine Kooperation der
Rundfunkbetreibenden Organisationen, die jedoch durch die Vorkommnisse und
Konsequenzen des II Weltkrieges stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.
1
Die
politische und ideologische Spaltung Europas in Ost und West setzte sich auf der
Ebene der europäischen Rundfunkanstalten fort und resultierte bald in einer
Aufgliederung dieser in eine westlich orientierte Organisation (EBU) und eine
Union der Ostblockstaaten. Die Rundfunkanstalten der sozialistischen Staaten
bildeten 1946 die ,,Organisation Internationale de Radiodiffusion et de
Télévision" (OIRT) mit Sitz in Prag. Die Gründung des westeuropäischen
Pendants wurde daraufhin im Jahre 1950 in Torquay, Großbritannien
1
Sofern nachfolgend nicht anders vermerkt, bezieht sich die geschichtliche Darstellung der EBU
auf EBU 1999/2000: 15-17/20-29.

5
beschlossen.
2
Die 23 Gründungsmitglieder der EBU sind geografisch in der, von
der ,,International Telecommunications Union" (ITU)
3
definierten, ,,Europäischen
Rundfunkzone" beheimatet. Diese schließt neben Europa vom Atlantik bis zum
Ural auch den Mittelmeerraum ein, wodurch auch nordafrikanische, arabische und
israelische Rundfunkveranstalter Mitglieder einer europäischen Rundfunkunion
sind (vgl. Zeller 1999: 76). Ein zentraler Aspekt der Mitgliedschaft war und ist,
dass Mitglieder der EBU nicht Staaten, sondern Rundfunkveranstalter sind. Ziel
dieser Regelung ist es, der politischen Intervention von Regierungen vorzubeugen
und dadurch die betriebliche Ausrichtung der Organisation, deren Hauptzweck die
internationalen Dimensionen seines Betriebes und nicht die internationale
Regulierung des Rundfunks ist, nicht zu gefährden. Während der konstituierenden
Versammlung einigte man sich auf Englisch und Französisch als die noch heute
gültigen Arbeitssprachen. Demzufolge trägt die Rundfunkunion parallel einen
französischen und einen englischen Namen.
4
Obwohl damals die Anzahl der europäischen Länder, die in der Lage waren ein
eigenes Fernsehprogramm zu produzieren, verschwindend gering war, wurde
bereits ein Programmaustausch im Bereich der Fernsehtechnologie initiiert. Der
europäische und transnationale TV-Programmaustausch wird seither unter dem
Namen ,,Eurovision" subsumiert, ein Begriff der von einem britischen
Journalisten erstmals 1951 in einem Zeitungsartikel gemünzt und von der EBU
sofort übernommen wurde. Laut EBU ist dieser Begriff nicht nur in allen
Sprachen Europas einfach auszusprechen, sondern abseits seiner technischen
Bedeutung vermittelt er auch die folgende Bedeutung: ,,[T]he word Eurovision
[...] conjured up the idea of a Europe united by a common vision." (EBU
diffusion, Winter 1999/2000: 17) Das erste "europäische" Fernseherlebnis fand
sodann am 2. Juni 1954 statt. Die von der British Broadcasting Corporation
2
Die Gründungsmitglieder der EBU entstammen aus folgenden Ländern: Belgien, Luxemburg,
Vatikanstadt, Marokko, Dänemark, Monako, Ägypten, Finnland, Niederlande, Frankreich,
Portugal, Großbritannien, Schweden, Schweiz, Griechenland, Irland, Syrien, Italien, Tunesien,
Libanon, Türkei und Jugoslawien. Die Rundfunkanstalt der BRD wurde 1952 als EBU-Mitglied
zugelassen.
3
Die ITU wurde bereits 1865 gegründet und ist den Vereinten Nationen angeschlossen. Sie
standardisiert und reguliert für ihre Mitglieder (189 Nationen) das globalen Radio- und
Telekommunikationsnetzwerk(vgl. International Telecommunications Union 2004: ITU Overview-
Purposes).
4
Die französische Bezeichnung Union Européenne de Radiodiffusion wurde Anfang der 90er Jahre
in Union Européenne de Radio-Télévision umbenannt, während die englische Bezeichnung
European Broadcasting Union beibehalten wurde.

6
(BBC) übertragene Krönung von Elizabeth II verfolgten insgesamt 20 Millionen
Menschen in Belgien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, den
Niederlanden und natürlich Großbritannien. Mit dem stetigen technischen
Fortschritt im Bereich der Übertragungstechnologie, dem prozentualen Anstieg an
Fernsehgeräten in privaten Haushalten und dem jährlichen Mitgliederzuwachs in
der EBU, vergrößerte sich auch ihr Aufgabenbereich. Weitere bedeutende
Ereignisse in der Unionsgeschichte waren die von der EBU initiierte Gründung
des Sportfernsehsenders Eurosport (1989) und des Nachrichtensenders Euronews
(1993) sowie auch der Zusammenschluss zwischen der EBU und der ehemaligen
Ostblock Rundfunkorganisation OIRT unter dem bereits bestehenden Namen
European Broadcasting Union im Jahr 1993.
Die derzeitige Haupttätigkeit der EBU besteht in der Koordination und
Organisation des Programmaustauschs ihrer Mitglieder, zu diesem Zweck ein
Übertragungsnetz für Bild- und Tonsignale zu betreiben und im Auftrag
interessierter Mitglieder Übertragungsrechte an internationalen Ereignissen zu
erwerben und zu verwalten. Bis auf wenige Ausnahmen tritt die EBU nie als
Produzent in Erscheinung, sondern übernimmt operationale Aufgaben in
folgenden vier Teilbereichen: Fernsehen, Hörfunk, Recht (,,Legal and Public
Affairs") und Technik (EBU Yearbook 2003: 64).
Das Hauptaugenmerk der Fernsehkommission ist der Programmaustausch ­
Eurovision - von Nachrichten, Sport, Dokumentationen, Kinder-, Jugend-,
Bildungsprogrammen und Kulturveranstaltungen.
5
Die Eurovision tätigt dabei
jährlich 105.000 Programmübertragungen und ist in der Lage 640 Millionen
Zuschauer weltweit zu erreichen.
6
Innerhalb der Eurovision bilden die
Übertragungen aus den Bereichen Nachrichten und Sport die Mehrheit.
Diesbezüglich ist eine wichtige Dienstleistung der EBU der Erwerb von
Übertagungsrechten für internationale Sportereignisse, wie z.B. die Olympischen
Spiele oder die Tour de France. Des Weiteren versorgt das Eurovisionsnetzwerk
die von einer Gruppe der EBU-Mitgliedern gegründeten Spartenkanäle - den
Nachrichtensender Euronews sowie den Sportkanal Eurosport - mit Beiträgen.
5
Sofern nachfolgend nicht anders vermerkt, bezieht sich die Darstellung zu Eurovision sowie
Euroradio auf EBU 2004: The EBU Operations Department.
6
Die Zahlen sind entnommen aus EBU 2004: The EBU in figures.

7
Der Programmaustausch bietet den teilnehmenden Rundfunkanstalten sehr viele
Vorteile. Er spart Kosten und macht eine internationale Berichterstattung meist
erst möglich. Zudem entscheiden die Mitglieder selbst darüber, was aus dem
Programmaustausch übernommen wird, wie und vor allem wann es redaktionell
gesendet wird.
7
Nichtsdestoweniger organisiert die EBU im Rahmen der
Eurovision eine ganze Reihe von Kulturveranstaltungen, die in konzeptioneller
Hinsicht Koproduktionen ihrer Mitglieder sind. Der ESC fungiert dabei als
Vorlage und "Urmutter" dieser Koproduktionen, da nach dessen Modell die
anderen Eurovisions-Veranstaltungen konzipiert wurden. So existiert seit 18
Jahren ein europäischer Tänzerwettbewerb namens ,,Eurovision Young Dancers
Competition" sowie der 2003 ins Leben gerufene Kindergesangswettbewerb
,,Junior Eurovision Song Contest".
Der Programmaustausch in der Abteilung Hörfunk wird unter dem Namen
,,Euroradio" betrieben und von der Radioprogrammkommission koordiniert. Der
Programmaustausch im Rahmen von Euroradio besteht aufgrund der existierenden
Sprachbarrieren zwischen den nationalen Hörern hauptsächlich aus
Musikbeiträgen. Dementsprechend überträgt Euroradio jährlich 2500 Konzerte
und Opern (vgl. EBU 2004: The EBU in figures). Aber auch Nachrichten, Sport,
Bildung sowie Reise- und Verkehrsberichte sind ein fester Bestandteil von
Euroradio. Seit 1998 betreibt die EBU auch den Klassiksender Euroclassic-
Nocturno. Interessierte Mitglieder können das Programm bestehend aus
klassischen Musikkonzerten in ihr Nachtprogramm einspeisen. Jedoch versucht
die EBU durch das Medium Radio verstärkt ein junges Publikum anzusprechen
und gründete 1999 zu diesem Zweck Eurosonic, eine Partnerschaft von insgesamt
74 Radiostationen der EBU-Mitglieder zur Übertragung von Rock- und
Popkonzerten sowie Musikfestivals per Radio und Internet.
Die Rechtsabteilung der EBU, ,,Legal and Public Affairs", mit Sitz in Brüssel,
erfüllt eine essentielle Beratungs- und Lobby-Funktion. Da der Rundfunk von
nationalen und internationalen Urheber- und Leistungsschutzrechten intensiv
Gebrauch macht, ist diesbezüglich eine klar definierte, rechtliche Situation für den
7
Der Erfolg des europäischen Programmaustauschs hat dazu geführt, dass das Modell mittlerweile
weltweit zu den ,,Sister Unions" der EBU exportiert wurde. So existiert zum Beispiel in Asien die
von der asiatischen Rundfunkunion betriebene Asiavision sowie die Arabvision der arabischen
Rundfunkunion.

8
Rundfunk sehr wichtig. Zu diesem Zweck berät und vertritt die EBU ihre
Mitglieder bei rechtlichen Fragen zu Urheber- und Leistungsschutzrechten,
Telekommunikations- und Medienrechtangelegenheiten, und beteiligt sich
intensiv an allen Gesetzgebungsvorhaben der EU und des Europarates, die den
Rundfunk betreffen (vgl. Zeller 1999: 144).
Abschließend sei noch die Technik-Kommission der EBU erwähnt. Hauptaufgabe
der Technik-Kommission ist die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich
der Rundfunk- und Übertragungstechnologie. Von besonderer Bedeutung sind
diesbezüglich technische Entwicklungen im Bereich des Internet und der
Digitalisierung der Radio- und Fernsehprogramme. Ein internationaler
Expertenkreis arbeitet eng zusammen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
gegenüber den kommerziellen Rundfunkanstalten und insbesondere deren ,,Pay-
TV"-Angeboten konkurrenzfähig zu halten (vgl. Laven 2003: 38-40).
1.2
Rechte und Pflichten der ,,Aktiven Mitglieder" der EBU
Es war der EBU stets ein Anliegen über ein gut ausgebautes Mitgliedernetzwerk
zu verfügen. Dies ermöglicht zum einen ein breites Angebotsspektrum von
Programmbeiträgen, die den Mitgliedern zum Tausch angeboten werden. Zum
anderen erhöht es das Ansehen der EBU und ihre Möglichkeit zur Einflussnahme
auf internationale Gesetzesvorhaben (siehe oben). Jedoch gewährt die EBU nicht
jeder Rundfunkanstalt Zugang zu ihrem Mitgliedernetzwerk, sondern es gelten je
nach intendiertem Mitgliedschaftsstatus unterschiedliche Aufnahmekriterien.
Derzeit sind der EBU 71 ,,Aktive Mitglieder" aus 52 Ländern, und 46
,,Assoziierte Mitglieder" aus weiteren 29 Ländern angeschlossen.
8
Hinzu kommen
12 sogenannte ,,Approved participants", die mit aktiven Mitgliedern der EBU
verbunden sind. Des Weiteren unterhält die EBU enge Kooperationen mit
8
Siehe Appendix A für eine vollständige Liste aller, derzeitigen Active Members, Associative
Members, Approved participants sowie Sister Unions der EBU. Aus der Bundesrepublik
Deutschland sind der EBU als Aktive Mitglieder folgende Rundfunkanstalten angeschlossen:
Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) und Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD). Die ARD besteht aus: Deutschland
Radio (DLR), Deutsche Welle (DW), Westdeutscher Rundfunk (WDR), Südwestrundfunk (SWR),
Saarländischer Rundfunk (SR), Sender Freies Berlin (SFB), Radio Bremen (RB), Ostdeutscher
Rundfunk Brandenburg (ORB), Norddeutscher Rundfunk (NDR), Mitteldeutscher Rundfunk
(MDR), Hessischer Rundfunk (HR), Bayrischer Rundfunk (BR).

9
Rundfunkunionen aus anderen Kontinenten, den ,,Sister Unions". Der jeweilige
Status der Mitgliedschaft ist nicht nur von einer Qualifizierung seitens der
Anwärter bestimmt, sondern auch mit daraus resultierenden Rechten und Pflichten
der Rundfunkveranstalter verbunden. Im Folgenden wird insbesondere auf die
Aufnahmekriterien bei einer angestrebten aktiven Mitgliedschaft Bezug
genommen, denn nur die Aktiven Mitglieder sind vollwertige Mitglieder der EBU
im Sinne, dass diese entscheidungsbefugt und ­befähigt sind und den
uneingeschränkten Zugang zu den Leistungen der EBU, beispielsweise der
Eurovision, genießen.
Es existiert seit der Gründung der EBU ein regionales Kriterium für die
Aufnahme als Aktives Mitglied, welches aus der geografischen Ausrichtung der
EBU auf den europäischen Kontinent resultiert. Folglich muss der nationale
Rundfunkveranstalter in der Europäischen Rundfunkzone beheimatet sein.
Weitaus entscheidender ist jedoch die spezifizierte, nationale Funktion, die eine
Rundfunkanstalt erfüllen muss. Laut dem ,,Public Service Kriterium" der EBU-
Statuten müssen die Rundfunkanstalten einen Rundfunkdienst betreiben, der in
seiner Funktion offiziell als ,,öffentlich-rechtlich" anerkannt ist, also einen
öffentlichen Auftrag erfüllt (Art. 3§4 EBU-Statuten).
9
In der Bundesrepublik
Deutschland besteht der öffentliche Auftrag der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten laut Bundesverfassungsgericht in der ,,Grundversorgung" der
Bevölkerung mit Informationen, Bildung, Kultur und Unterhaltung (vgl. BVerfGE
04.11.1986: 73, 118). Durch die Aufnahme des Public Service Kriteriums in ihre
Statuten hat die EBU eine Mitgliedschaft für die seit der Marktöffnung in den
80er Jahren wachsende Zahl der privatrechtlich organisierten und kommerziell
operierenden Rundfunkgesellschaften ausgeschlossen (vgl. Zeller 1999: 77ff.).
Waren die EBU-Gründungsmitglieder 1950 noch die alleinigen
Rundfunkanstalten ihres Landes, so stehen heute alle EBU-Mitglieder im
Wettbewerb mit kommerziellen Konkurrenten stark unter Druck. Die Entstehung
des dualen Systems von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten
hatte wiederum großen Einfluss auf die Auffassung der EBU von sich als
9
Die von der EBU verwendete Bezeichnung "Public Service" ist gleichzusetzen mit der in
Deutschland verwendeten Bezeichnung ,,öffentlich-rechtlich". Beides bezieht sich auf
Rundfunkanstalten, die in ihrer Funktion einen nationalen, öffentlichen Auftrag erfüllen. Die
rechtliche Grundlage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privaten Rundfunk in
Deutschland sind sowohl im Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer (RSTV) als auch in den
jeweiligen Landesmediengesetzen der Länder verfasst.

10
Organisation. Sie versteht sich seitdem als Berufsverband und Vertreterin des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, dessen Bedeutung und Rechte sie
vehement zu verteidigen sucht.
10
Die weiteren Ausführungen der EBU-Statuten zu der aktiven Mitgliedschaft
verdeutlichen vielmehr die EBU-spezifische Definition eines Public Service
Rundfunkveranstalters. Als notwendiges Kriterium für eine aktive Mitgliedschaft
muss der Rundfunkveranstalter laut EBU-Statuten in seinem Land rechtskräftig
einen Rundfunkdienst nationalen Charakters und von nationaler Bedeutung
betreiben (Art 3§3 EBU-Statuten). Es soll damit gewährleistet werden, dass der
Rundfunkdienst keine thematische, regionale oder bevölkerungsspezifische
Ausrichtung aufweist, sondern sich an die gesamte einheimische Bevölkerung
richtet. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die nationale Reichweite. Aus
technischer Sicht sollen 98% der nationalen Haushalte, die in Besitz eines Radios
und/oder Fernsehgerätes sind, in der Lage sein das gesendete Rundfunkprogramm
der Anstalt in einer zufriedenstellenden technischen Qualität zu empfangen (Art
3§3 lit.a EBU-Statuten).
Des Weiteren stellt die EBU einen gewissen "Qualitätsanspruch" an die
Programmgestaltung ihrer aktiven Mitglieder; wenn dieser auch sehr allgemein
formuliert ist. Laut EBU-Statuten verpflichten sich die Rundfunkanstalten zu
folgenden Programmgrundsätzen: ,,to provide a varied and balanced programming
for all sections of the population, including programmes catering for
special/minority interests of various sections of the public, irrespective of the ratio
of programme cost to audience." (Art. 3§3 lit. b EBU-Statuten) Die Formulierung
"varied and balanced programming" bedeutet, dass das Rundfunkprogramm keine
einseitige, thematische Ausrichtung aufweist, sondern die folgenden
Programmkategorien in regelmäßigen Abständen beinhalten muss: Nachrichten
und aktuelle Beiträge über nationale und internationale Geschehnisse, Sport,
Drama, Unterhaltung, Musik, Kunst und Kultur, Kinder- und Jugendsendungen.
Zudem soll mit dieser Programmvielfalt auch ein möglichst breit gefächertes
Publikum bestehend aus allen Altersgruppen, Einkommensklassen und
10
Auch die Europäische Union hat die Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in
den Mitgliedstaaten anerkannt: ,,[d]er öffentlich-rechtliche Rundfunk [ist] in den Mitgliedstaaten
unmittelbar mit den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft
sowie mit dem Erfordernis verknüpft [...], den Pluralismus in den Medien zu wahren [...]." (EU-
Rat 1997: Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Abl. EU 1997 C 340/109)

11
Bildungsgraden angesprochen werden. Bezüglich der Forderung nach
,,programmes catering for special/minority interests" sieht die EBU vor, dass
diese die sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt des einheimischen
Publikums reflektieren und diesen Beiträgen ein integraler Sendeplatz zugewiesen
wird. In diesem Zusammenanhang allerdings sollen die Rundfunkanstalten von
einer übergeordneten Kosten­Nutzen Relation in Form der Einschaltquote
absehen.
Auch die Einhaltung von "ethischen Standards" seitens der aktiven Mitglieder
sind für die EBU von Bedeutung, da sie sich dadurch positiv von den
kommerziellen Rundfunkgesellschaften abgrenzen sollen. Unter ethischen
Standards versteht die EBU die Sorgfalt im Umgang mit der Darstellung von
Gewalt und Erotik (Art. 3§4 EBU-Statuten). Von einer expliziten Definition der
einzelnen Programmkategorien sieht die EBU generell ab, da die inhaltliche
Programmgestaltung der Entscheidungsgewalt der einzelnen Rundfunkanstalten
unterliegt. Sie verpflichten sich jedoch, aktiv am Programmaustausch durch die
Produktion von Eigenmaterial teilzunehmen. Mit Hilfe dieser Forderung sichert
die EBU die Kontinuität und Attraktivität der Mitgliederkooperation. Die
Produktionen sollen eigenfinanziert sein und der redaktionellen Verantwortung
der jeweiligen Sendeanstalt unterliegen. Des Weiteren sollen die Beiträge in ihrer
Gesamtheit alle Programmkategorien beinhalten.
11
Hierbei wird deutlich, dass die
EBU nach sowohl qualitativen als auch quantitativen Gesichtspunkten operiert.
Nur die Aktiven Mitglieder besitzen das Recht und die Pflicht am Austausch von
Radio- und Fernsehprogrammen sowie an anderen Aktivitäten der EBU
teilzunehmen, wobei die in Anspruch genommenen Leistungen unentgeltlich sind.
Die faktische Gegenleistung besteht aus einem jährlichen Mitgliedsbeitrag, dessen
Höhe von Land zu Land variiert. Aktive Mitglieder wirken an EBU-internen
Entscheidungen in der Generalversammlung der Organisation durch ihre
Stimmabgabe mit, die wiederum in Abhängigkeit von dem gezahlten
Mitgliedsbeitrag unterschiedlich gewichtet ist (Zeller 1999: 75). So haben die
Mitglieder aus Großbritannien, Italien, Frankreich und Deutschland einen
11
Die für den Tausch bestimmten Beiträge sollen die folgenden Kategorien beinhalten:
Nachrichten, Sport, Information, Drama, Dokumentation, Musik, Kinder- und Jugendsendungen
(vgl. Art. 3§4 lit.5 EBU-Statuten).

12
bedeutenden Einfluss, den sie auch bewusst einzusetzen wissen.
12
Rüdiger Zeller
verweist auf die Problematik, die aus dem herrschenden Ungleichgewicht unter
den Mitgliedern entstehen kann:
Mehrheitsentscheidungen wird die EBU ohne die Zustimmung
dieser Gruppe nicht treffen, da sie die realen Machtverhältnisse
in der EBU nicht widerspiegeln würden. Die großen Mitglieder
würden nicht genehme Mehrheitsentscheidungen ignorieren
oder aus der EBU austreten. [D]ie EBU [ist] aber zwingend auf
die Mitwirkung ihrer wichtigen und finanzstarken Mitglieder
angewiesen (Zeller 1999: 75).
Als Kooperationsplattform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sieht es die EBU
als ein wichtiges Ziel an, die Interessen ihrer Aktiven Mitglieder durch rechtliche
und politische Unterstützung vor den europäischen Institutionen, insbesondere der
EU und dem Europarat in Brüssel zu vertreten (vgl. EBU Yearbook 2001: 64).
Diesbezüglich argumentiert die EBU mit der Sonderrolle des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks, der Teil der nationalen Identität sei. Dieser Aspekt ihrer
Argumentation findet sich auch in der Definition ihrer Funktion wieder. ,,Ihr
statutarisches Ziel ist es, die Identität der Völker der Staaten, aus denen die
Aktiven Mitglieder der EBU stammen, durch die internationale
Rundfunkkooperation zu stärken" (Zeller 1999: 192). Es ist jedoch zu bezweifeln,
dass alleinig dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk diese Sonderstellung zukommt.
In dem bestehenden dualen System tragen auch die privaten Rundfunkanstalten
zur Stärkung einer nationalen Identität bei, da auch diese kulturelle Inhalte
transportieren. Primär ist auch die EBU eine wirtschaftliche
Interessengemeinschaft, die auf geografische und ökonomische Expansion ihrer
Dienstleistung abzielt (vgl. Stock 2003: 16-20). Es ist zu vermuten, dass zu
diesem Zweck das Argument der ,,nationalen Identitätsstiftung" des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks von der EBU instrumentalisiert wird.
2.1
Der Eurovision Song Contest: Entstehungsgeschichte und Teilnehmer
des Wettbewerbes
12
Auf die gemeinsame Machtposition der vier großen EBU-Mitglieder aus Frankreich, Italien,
Großbritannien und Deutschland wird zu einem späteren Zeitpunkt im Kontext des ESC näher
eingegangen.

13
Die Eurovisions-Geschichte war Anfang der 50er Jahre noch ein relativ
unbeschriebenes Blatt. Bis dato hatte man per Eurovision zwar bedeutende
Ereignisse wie die Krönung von Elizabeth II (1953) oder die Fußball-
Weltmeisterschaft aus der Schweiz (1954) übertragen, jedoch vermisste man ein
kollektives, europäisches Kulturprojekt. Dieses sollte ähnlich einer
multinationalen Sportveranstaltung beim nationalen Fernsehpublikum ein starkes
Interesse erzeugen und dadurch zur Förderung des Mediums in Europa beitragen.
Man suchte quasi nach einem Werbeprodukt im Fernsehen für das relativ neue
"Produkt Fernsehen" (vgl. Jaquin 2004: 6). Inspiriert vom italienischen
Sangeswettbewerb San Remo Festival, beschlossen die Eurovisions-Mitglieder
dann 1955 die Gründung des Eurovision Song Contest.
13
Neben einem reinen
Unterhaltungswert wollte man durch den Wettbewerb zudem eine politische
Botschaft übermitteln: ,,Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Grand Prix mit der
bewussten Intention ins Leben gerufen worden, die neue Zusammengehörigkeit
(West-) Europas auf der populärkulturellen Ebene der Unterhaltung zu
symbolisieren." (Moser 1999: 16) Das mittels der Veranstaltung ausgedrückte,
harmoniestiftende Sendungsbewusstsein der Eurovisions-Mitglieder nach Außen
wurde auch für Zwecke der nationalen Öffentlichkeitsarbeit genutzt. ,,Besonders
einem Land mit schwieriger Vergangenheit wie Deutschland musste daran
gelegen sein, sich als sangesfreudiges, friedliches und freundschaftliches Land
darzustellen" (Schweiger/Brosius 2003: 274). Dem übergeordnet suggerierte und
zelebrierte der Wettbewerb eine gemeinsame Unterhaltungskultur der
westeuropäischen Länder mit der Intention ein Massenpublikum anzuziehen.
Anfänglich existierte noch keine länderübergreifende Bezeichnung für den
Wettbewerb. Das hatte zur Folge, dass bei der Erstaustragung des ESC 1956 in
Lugano z.B. das schweizerische Fernsehen die Sendung ,,Gran Premio
Eurovisione Della Canzone Europea" betitelte oder das deutsche Fernsehen den
Titel ,,Grand Prix Eurovision de la Chanson" wählte, obwohl in den
Gründungsstatuten des Wettbewerbes der Projekttitel ,,Grand Prix of the
Eurovision" verwendet wurde (vgl. hierzu und zum Folgenden Feddersen 2002:
16f). In den Folgejahren richtete sich die Bezeichnung der Veranstaltung
13
Sofern nachfolgend nicht anders vermerkt, beziehen sich die Angaben zur
Entstehungsgeschichte des ESC auf EBU 2004: Milestones in the history of the Eurovision Song
Contest (ESC).

14
überwiegend nach der jeweiligen Landessprache der Ausrichternation.
Mittlerweile ist jedoch der englische Titel Eurovision Song Contest von der EBU
vorgeschrieben. Möglicherweise resultierte dies aus der Tatsache, dass der
Wettbewerb seit 1992 fünfmal in einem englischsprachigen Land ausgetragen
wurde, wo immer der Titel Eurovision Song Contest Verwendung fand. Der
englische Titel wurde anschließend auch von anderen Ausrichternationen wie
Schweden, Israel und Norwegen übernommen. Ein weiterer Grund könnte sein,
dass die EBU den englischen Titel zwecks internationaler Vermarktung des
Wettbewerbes als eine Art Markenzeichen etablieren möchte. Diesbezüglich ist es
sowohl effizienter als auch, wegen eines seitens der Rezipienten einsetzenden
Identifikationsprozesses, effektiver eine einheitliche Bezeichnung zu wählen.
Hinsichtlich der Verwendung der französischen Titelversion in Deutschland lässt
sich keine eindeutige Begründung finden. Vermutlich haben sich die deutschen
Zuschauer im Laufe der 50 Jahre sehr stark daran gewöhnt und verbinden
mittlerweile mit dem französischen Titel eine Art Nostalgie. In diesem
Zusammenhang spielt auch eine Rolle, dass in Deutschland der Begriff
,,Chanson" falsch verstanden wurde und wird. ,,Das Wort bezeichnet zwar im
Deutschen den ,anspruchsvollen Schlager', meint aber im Französischen schlicht
,Lied'" (Alsmann 1998:10). Da man in Deutschland jedoch lange der Ansicht
war, es handelt sich beim ESC um einen Schlagerwettbewerb und nicht um einen
Wettbewerb mit Liedern die stark dem Genre Popmusik verhaftet sind, spiegelte
der französische Titel den Charakter der Sendung adäquat wider. Der NDR-
Unterhaltungschef und ESC-Verantwortliche Jürgen Meier-Beer bemerkte dazu:
,,Die früheren deutschen Bezeichnungen ,Grand Prix Eurovision de la Chanson'
und ,Schlager-Grand-Prix' dienten nur der Beschwörung längst überholter
Traditionen" (NDR 2004c). Es wird noch deutlich werden, dass Meier-Beer den
Imagewandel und die Modernisierung des ESC, die auch durch die englische
Bezeichnung des Wettbewerbes symbolisiert werden sollen, sehr unterstützte.
Das Grundprinzip des ESC hat seit seiner Gründung bestand: Die teilnehmenden
nationalen Rundfunkanstalten bestimmen mittels unterschiedlicher Verfahren
einen nationalen Beitrag, der sich beim internationalen Finale der Konkurrenz
stellt. Mittels eines spezifischen Abstimmungsmodus, an dem jede teilnehmende
Nation respektive das nationale Publikum gleichberechtigt beteiligt ist, wird der
Siegertitel des Wettbewerbes ermittelt. Im Kontext des ESC werden als

15
Teilnehmer generell die Länder angeführt. Jedoch liegt die Eigenverantwortung
und Entscheidungsgewalt allein bei der nationalen Rundfunkanstalt. Die
Verwendung der Ländernamen in Bezug auf die Teilnehmer forciert dabei den
Wettstreitcharakter der Veranstaltung und zudem die Identifikation des
Zuschauers mit dem heimischen Repräsentanten. Diesbezüglich weist Feddersen
auf die Diskrepanz von intendierter und tatsächlicher Wirkung des Wettbewerbes
hin:
Seither lebt der Song Contest von dieser seltsamen Dialektik,
dass er vorspiegelt, die europäische Integration fördern und
niemanden ausgrenzen zu wollen, andererseits aber die
nationalen Interessen, beispielsweise mit der Präsentation der
Länderflaggen, zuspitzt: Nicht mehr in erster Linie ein Song
gewinnt, sondern ein Land. (Feddersen 2002: 32)
Ohne diese Ritualisierung des Länderwettstreits wäre das Zuschauerinteresse an
der Unterhaltungssendung vermutlich nicht sehr groß. Wie noch deutlich werden
wird, hat es den Anschein, dass die Zuschauer in Bezug auf den Grand Prix kein
gesamteuropäisches Zugehörigkeitsgefühl empfinden, sondern diesen nutzen, um
bestehende Sympathien und Antipathien auszuleben.
Im Gegensatz zu heute, wo die Interpreten klar im Vordergrund stehen, betonte
man früher eher die Komponisten und Autoren. Laut EBU war das offizielle Ziel
der Veranstaltung bei der Gründung: ,,to stimulate the output of original songs of
high quality in the field of popular music, encouraging compositions among
authors and composers through the international comparison of their work"(Moser
1999: 16). Aus dieser Formulierung lässt sich ablesen, dass der ESC anfänglich
primär ein internationaler Autoren- und Komponistenwettbewerb war. Des
Weiteren verweist das Charakteristikum ,,populäre Musik" auf eine internationale
und ökonomische Ausrichtung des Wettbewerbs. Zwar ist die Bezeichnung
,,populäre Musik" ein Sammelbegriff für viele verschiedene Stilrichtungen, die
massenhaft produziert und kommerziell verwertet werden können, allerdings
werden durch diese Einschränkung Produktionen der Kategorie ,,ernste Musik"
(Oper, Sinfonie) vom ESC ausgeschlossen (vgl. Ziegenrücker/Wicke 1987: 288f.).
Dabei ist der Grand Prix auch keine Plattform für progressive und radikale
Stilrichtungen der aktuellen Musiklandschaft wie z.B. Heavy Metal, Hardrock und
Techno. Feddersen charakterisiert den Musikstil des Grand Prix als ,,Europop",
der ,,melodisch, flott, aber eher unrockig" sei, (2002: 138) und von der Musik der
schwedischen Gruppe ABBA geprägt wurde (ESC-Sieger 1974). In Bezug auf

16
den Musikstil des Grand Prix existierten immer kritische Stimmen, die
bemängeln, er sei zu wenig avantgardistisch und experimentell und dadurch sehr
einseitig. Jedoch ist zu bedenken, dass ein Eurovisionslied ­ wenn es erfolgreich
sein soll - Zuschauer jeden Alters und Nationalität ansprechen muss; daher sind
viele Teilnehmer mit ihrer musikalischen Wahl wenig risikofreudig. Zudem
variieren die nationalen Vorstellungen von populärer Musik und/oder
Unterhaltungsmusik untereinander sehr stark.
Die Anzahl der teilnehmenden Länder hat sich seit Beginn der Veranstaltung
erheblich erhöht.
14
Es gab in der Geschichte des ESC zwar immer wieder Länder,
die aus finanziellen, politischen oder sonstigen Gründen auf eine Teilnahme
verzichteten, allerdings begrüßte die ESC-Gemeinde fast jährlich auch neue
Teilnehmer.
15
Zwischen 1961 und 1992 lag die Teilnehmerzahl bei
durchschnittlich 19 und nie mehr als 23 Ländern. Nach dem Zusammenschluss
von EBU und OIRT Anfang der 90er Jahre zeigten sehr viele osteuropäische
Länder Interesse an einer Grand-Prix-Teilnahme. Die EBU sah sich gezwungen
neue Regelungen zur Limitierung der Startplätze zu treffen, da eine Sendezeit von
drei Stunden nicht überschritten werden sollte. Als jedoch der deutsche Beitrag im
Jahr 1996 dem Urteil einer internationalen Jury zur Reduzierung der Teilnehmer
zum Opfer fiel, und zum ersten Mal überhaupt nicht beim ESC dabei sein durfte,
wurde daraufhin deutlich, dass auch wirtschaftliche Kalkulationen bei einer sonst
auf ästhetische Aspekte hin ausgerichteten Unterhaltungsshow große Bedeutung
besitzen. ,,Auf die Klage des Norwegischen Fernsehens, das Finale sei ohne die
aktive Beteiligung Deutschlands als größtem Land Europas kaum finanzierbar
gewesen, wurden die internationalen Teilnahmeregeln geändert"(Meier-Beer
2002: 417). In den folgenden Jahren wurden verschiedene
Qualifikationsregelungen eingeführt, nur um sie dann wieder zu verwerfen.
Weitaus wichtiger ist diesbezüglich die Tatsache, dass man auf eine Beteiligung
der fünf größten Beitragszahler der Eurovisions-Gemeinschaft beim ESC nicht
verzichten wollte - und konnte. Folglich sind seit 1999 Großbritannien,
Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, ungeachtet ihrer jährlichen
14
Siehe Appendix B1 für eine Tabelle mit allen ESC-Teilnehmern seit 1956, deren Teilnahmen
insgesamt, und das Jahr der ersten Teilnahme.
15
Beim Debüt der Türkei im Jahr 1975 verzichtete Griechenland aus politischen Gründen auf eine
Teilnahme. Die politisch motivierte Absage der Türkei ein Jahr später resultierte wiederum aus
einer Teilnahme Griechenlands am ESC (vgl. Feddersen 2002: 148/156).

17
Platzierungen, immer teilnahmeberechtigt (vgl. Feddersen 2002: 329). Ähnlich
dem Einwand Norwegens wurde diese Entscheidung damit begründet, dass einige
Länder und auch Sponsorengruppen der ESC-Veranstaltungen Bedenken über die
Finanzierbarkeit des Wettbewerbs geäußert hatten, die ohne die Zuschüsse der
finanzstärksten Mitglieder stark erschwert würde.
16
Des Weiteren besitzen diese
fünf bevölkerungsreichen Länder aufgrund ihrer Größe allesamt einen
umsatzstarken, nationalen Musikmarkt. Ein Wegfall eines oder mehrerer dieser
Länder könnte sich dementsprechend negativ auf das Interesse der Zuschauer und
Sponsoren sowie auch auf weitreichende Vermarktung respektive Verkaufszahlen
der Grand-Prix-Beiträge auswirken. Ungeachtet aller marktpolitischen Argumente
war diese Entscheidung noch bis zum letzten Jahr mit einer gewissen
Ungerechtigkeit gegenüber denjenigen Ländern verbunden, die jedes Jahr erneut
ihre künstlerische Qualität unter Beweis stellen mussten, um im darauffolgenden
Jahr das Finale des Grand Prix bestreiten zu können. Seit diesem Jahr wird eine
Teilnahme jeder Bewerbernation durch die Durchführung eines ESC-Halbfinales
und eines Finales garantiert, wobei die vier großen Beitragszahler immer für das
Finale qualifiziert sind.
Parallel zu der Teilnehmerzahl verzeichnet auch die Anzahl der übertragenden
Rundfunkanstalten und somit auch die Zuschauerzahlen ein jährliches Wachstum.
Laut EBU wurde der Grand-Prix-2003 von 43 Rundfunkanstalten live übertragen
und erreichte ein Fernsehpublikum von über 100 Millionen Zuschauern (vgl.
Jacquin/Ingwersen 2003: 3). Dabei ist der ESC kein rein europäisches
Medienereignis, sondern wird auch in Asien, Australien und in Lateinamerika
übertragen.
2.2
Das Wertungssystem und der Abstimmungsmodus beim ESC
Bis 1999 war die Wertung der Beiträge durch nationale Jurys ein grundlegender
Bestandteil des ESC. Die genaue Zusammensetzung der aus Experten und/oder
Laien bestehenden Jurys in den einzelnen Ländern wurde von offizieller Seite
jedoch nie überprüft (Feddersen 2002: 360). Indes wurde in der fast 50-jährigen
Geschichte des ESC das Wertungssystem insgesamt siebenmal verändert. Grund
16
Darunter waren Stimmen aus Irland und Norwegen (vgl. Feddersen 1996: 16).

18
waren die wiederholten Auseinandersetzungen unter den teilnehmenden Ländern
um den allgemeinen Modus der Punktevergabe, aber auch um die
Zusammensetzung der Jurys, oder die Reihenfolge der Punktevergabe. Zudem
kursierten Gerüchte um Bestechungen der Jurys und die immer noch existenten
Vorwürfe, bestimmte Ländergruppen (z.B. Skandinavien) würden sich bei der
Wertung gegenseitig übervorteilen oder grundsätzlich benachteiligen (vgl. dazu
Feddersen 2002: 360).
Nachdem einige Zeit mit der Anzahl zu vergebener Punkte experimentiert worden
war, beschloss die EBU 1975 die Einführung eines neuen Wertungssystems,
welches noch heute - allerdings ohne Jury - angewandt wird (vgl. hierzu und zum
Folgenden Feddersen 2002: 148). In einem ersten Schritt vergeben die nationalen
Jurys intern Punkte für die vorgetragenen Lieder. Diese Punkte werden addiert
und nach Präferenzen geordnet. Anschließend erhält das Lied mit der höchsten
Jurywertung 12 Punkte, der Zweitplazierte 10 Punkte, die dritthöchste Wertung
entspricht 8 Punkten und dann 7, 6, 5, 4, 3, 2 bis zu 1 Punkt für den zehnten Platz.
Jedes Land gibt abschließend seine Punktewertungen live bekannt, welche
wiederum zu einem Gesamtergebnis addiert werden. Seit 1997 ist die Bewertung
der Vortragslieder nicht mehr Aufgabe einer Jury, sondern erfolgt durch die
Zuschauer per Televoting (TED). Die Zuschauerwertung wurde zunächst nur von
einigen wenigen Ländern, darunter Deutschland und Großbritannien, eingeführt,
ist aber mittlerweile von der EBU vorgeschrieben.
17
Jedoch muss jedes Land für
den Notfall eine nationale Jury bereit halten. Das TED-Verfahren ist eine
zweistufige Umfrage, bei dem die Stimmen länderweise gezählt werden und die
nationale Präferenzordnung dann in Punkte umgerechnet wird. Aber auch nach
der Einführung des TED-Systems gibt es immer wieder Stimmen, die Zweifel an
der Korrektheit und Fairness der Abstimmung äußern. Beispielsweise soll der
türkische Beitrag durch den türkischen Teil der Bevölkerung in Deutschland
regelmäßig "ungerechtfertigt" hohe Wertungen erhalten (vgl. Feddersen 2002:
361).
17
Die technische Vorraussetzung für die Anwendung des TED-Verfahrens ist laut ESC-
Reglement, dass 80% der nationalen Bevölkerung an das Telekommunikationsnetzwerk
angeschlossen sind und dass eine gleichberechtigte Chance zur Stimmabgabe existiert (vgl. EBU
(2004) Rules of the 2004 Eurovision Song Contest).

19
Insbesondere der dramaturgische Moment der Punktevergabe wird von vielen
Fans und Zuschauern als Höhepunkt der gesamten Veranstaltung angesehen.
Dabei ist die Wertung seit jeher eine unerschöpfliche Quelle für Diskussionen
über angebliche Sympathien und Antipathien zwischen bestimmten Ländern, die
anhand der hohen respektive niedrigen Punktevergaben abzulesen sind.
Diesbezüglich bemerkte der NDR-Unterhaltungschef Jürgen Meier-Beer: ,,Europa
nimmt sich einmal im Jahr diese Stunde, um kollektiv über die Beziehungen
seiner Nationen untereinander zu meditieren" (Süddeutsche Zeitung vom
14.05.2001: 12). Viele Zuschauer verwandeln sich dabei in "Experten" und
analysieren und bewerten in fachmännischer Manier die Auftritte der Künstler.
Dem gleich tun es auch die zahlreichen Fanclubs des ESC, welche im Internet u.a.
eine Fülle von Ranglisten, Tabellen und Statistiken zu den ESC-Jahrgängen
veröffentlichen.
18
Möglicherweise begründet sich der Erfolg des Grand Prix
teilweise aus seinem Wettkampfcharakter und dem Gefühl der Zuschauer aktiv an
der Entscheidung mitzuwirken. Denn der Grand Prix ist nicht nur eine
Unterhaltungssendung, sondern ,,eine UNO auf pop-, folklore- und
schlagermusikalisch" (Feddersen 2000: 8).
2.3
Die Sprachenregelung beim ESC in der Vergangenheit und heute
Wie schon in Bezug auf das Wertungssystem und die Teilnahmequalifikation
ersichtlich wurde, zeigten die Entscheidungsträger des ESC in der Vergangenheit
hinsichtlich des Regelwerks wenig Kontinuität. Davon war auch die
Sprachenregelung des Öfteren betroffen. Svante Stockselius, ESC Executive
Supervisor der EBU, bestätigte mir in einer E-Mail, dass alle Entscheidungen
bezüglich der Sprachenregelung von der ,,ESC Reference Group" gefällt werden.
Diese setzt sich aus acht Repräsentanten der nationalen Rundfunkanstalten
zusammen.
19
Anfänglich existierte noch keine, die Vortragssprachen betreffende
Vorschrift, da man selbstverständlich davon ausging, dass die Teilnehmer in ihrer
Landessprache singen würden (vgl. Uecker 1998: 84). Es zeigte sich zunächst
auch, dass dies nicht von Nöten war, denn bis 1964 wurden die Lieder stets in der
18
Die zwei größten, deutschen ESC-Fanclubs sind der Eurovision Club Germany e.V. (ECG) und
der OGAE Germany e.V. (vgl. Feddersen 2002: 427). Beide Vereine sind der internationalen
Vereinigung der Fanclubs namens Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision (OGAE)
angeschlossen. Zur OGAE gehören europaweit 30 weitere ESC-Fanclubs.
19
Siehe Appendix C1 für die E-Mail Korrespondenz mit Svante Stockselius.

20
Landessprache präsentiert.
20
Diesbezüglich existierte nur eine Ausnahme: Die für
Deutschland startende Lale Andersen sang 1961 die letzte Strophe ihres Liedes
auf Französisch. Im Jahre 1965 stellte die EBU "offiziell" fest (es gab ja noch
keine Vorschrift), dass die Teilnehmer auch eine andere Sprache als ihre
Landessprache verwenden können. Als dann im selben Jahr jedoch Schweden als
einziges von 18 Teilnehmerländern ihren Titel in Englisch vortrugen, hatte das zur
Folge, dass eine Sprachenregelung erstmalig in das Reglement aufgenommen
wurde (vgl. Feddersen 2002: 76). Für den Grand-Prix-1966 und alle weiteren galt:
der Vortrag in der Landesprache ist Pflicht.
Das Verwirrspiel um die Sprachenfrage setzte sich fort. Die skandinavischen
Länder Schweden, Norwegen und Finnland erklärten sich mit Teilaspekten des
Reglements nicht einverstanden - blieben dem Grand Prix im Jahre 1970 sogar
ganz fern. Der Kommentar der norwegischen Delegation lautete: ,,Eine Art von
Musik, die weder den britischen Beat noch die musikalischen Wünsche der
aufrührerischen Jugend zur Kenntnis nimmt, brauche niemand" (Feddersen 2002:
108). Diese Kritik richtete sich vermutlich nicht nur an die Stilistik der bis dato
vorgetragenen Musikstücke, sondern auch an die Sprachenvorschrift. Musik im
Stile des britischen Beats ging konform mit der englischen Sprache. So sahen sich
die Verantwortlichen wiederum dazu veranlasst, die Sprachenregelung im Jahre
1973 aufzuheben. Dies wurde besonders von denjenigen Ländern begrüßt, die
zuvor Kritik geäußert hatten. Folglich trugen Finnland, Norwegen, Schweden und
zudem die Niederlande ihre Beiträge 1974 und 1975 in Englisch vor, 1976 folgten
dem skandinavischen Beispiel auch Österreich und die Schweiz. Daneben
existierte auch die sehr beliebte Methode, nur eine Strophe in Englisch und den
Rest dagegen in der Landessprache vorzutragen, was z.B. von Belgien (1975),
Deutschland (1975) und Italien (1976) praktiziert wurde. Diesbezüglich zeigte
sich zudem: Von den nun "frei verfügbaren" Sprachen wurde allein das Englische
als Alternative zur Landessprache favorisiert.
Die sich darstellende Sprachensituation beim ESC missfiel insbesondere der
Deutschen Delegation. Dementsprechend kritisch äußerte sich Hans Henning
20
Die Schweiz trat sowohl mit Deutsch, Französisch und Italienisch als auch 1958 mit einem
deutsch-italienischen Text an. Sofern nachfolgend nicht anders vermerkt, entstammen die
Angaben zu Teilnehmern, Titeln und vorgetragenen Sprachen der Jahrgänge 1956-2001 aus
Feddersen (2002)
.

21
Wittgen vom Deutschen Musikverlegerverband schon 1974 über die
Sprachpraktiken mancher Teilnehmer: ,,Wenn jetzt alle in englischer Sprache
kommen, um überhaupt Beachtung zu finden, sehe ich die Gefahr einer
Einheitsmixtur." (Feddersen 2002: 141) Daraufhin wurde 1977 - maßgeblich
durch die Initiative der deutschen Delegation - die erneute Einführung der
Sprachenvorschrift von der EBU beschlossen. Paradoxerweise musste sich gerade
Deutschland für dasselbe Jahr eine sprachliche "Sondererlaubnis" für seinen
Beitrag erteilen lassen; es hatte nämlich bereits einen englischen Titel für den
ESC-1977 ausgewählt. Folglich trat Deutschland erstmals mit einem vollständig
in Englisch verfassten Titel beim ESC an (vgl. Feddersen 2002: 160). Nach dieser
Ausnahme blieb die ESC-Kommission jedoch konsequent: Über eine Zeitspanne
von über 20 Jahren mussten die Teilnehmer in ihrer Landessprache beim Grand
Prix antreten.
Bei der endgültig letzten Änderung der Sprachenregelung im Jahre 1999 waren
abermals die Entscheidungsträger aus Deutschland federführend. Der
Norddeutsche Rundfunk übernahm drei Jahre zuvor vom Mitteldeutschen
Rundfunk die Funktion als deutsche ESC-Delegation und damit die Ausrichtung
des deutschen ESC-Vorentscheids. Genauer gesagt hatte es in den
vorangegangenen Jahren keine Vorauswahlsendung gegeben, sondern die
Auswahl des deutschen Beitrags wurde von ARD-internen Gremien getroffen,
indem z.B. Autoren mit der Produktion eines Beitrags beauftragt wurden. Nach
einigen unbefriedigenden Resultaten deutscher Vertreter beim ESC setzte sich der
NDR - und im Besonderen Jürgen Meier-Beer - zum Ziel, den Grand Prix in
Deutschland wieder zu einem Medienereignis zu machen.
21
Im Zusammenhang
mit einem Reformpaket, das Meier-Beer als Mitglied der ,,ESC Reference Group"
dieser vorschlug, sollte auch die Sprachenregelung zu Gunsten einer
Modernisierung des Wettbewerbs weichen. Meier-Beer musste feststellen, dass
seine Vorschläge zwar von den meisten seiner internationalen Fachkollegen
akzeptiert wurden, jedoch nicht von den EBU-Offiziellen, wie er selbst
beschreibt:
Aber dann traten auf kafkaeske Weise immer neue
Eurovisions-Instanzen in Erscheinung und blockierten mal
21
Deutschland erreichte beim ESC 1995 den letzten Platz; beim ESC 1996 noch nicht einmal das
Finale.

22
hier, mal da. Ich fand heraus, dass dahinter gebildete ältere
Herren aus kleineren europäischen Ländern steckten, die im
Grand Prix die europäische Kultur verbessern wollten. Diese
Zielsetzung hätte den Grand Prix in Deutschland ­ unter den
Bedingungen des härtesten TV-Wettbewerbs Europas ­ zum
Untergang verurteilt. (Meier-Beer 2002: 418)
Dieses Zitat verdeutlicht, wie stark seine Auffassung von dem Wettbewerb mit
ökonomischen Aspekten korrespondiert. Entsprechend spielen auch die
Gegebenheiten der nationalen Fernsehlandschaft eine Rolle. Um die
Reformvorschläge dennoch durchzusetzen, machte Meier-Beer die
Regeländerungen zur Bedingung für die weitere Teilnahme Deutschlands. Nach
und nach wurde das Reformpaket verwirklicht, bis nach 22 Jahren im Jahre 1999
schließlich der erste Wettbewerb stattfand, bei dem die Frage zur Vortragssprache
wieder eine nationale Entscheidung wurde. So heißt es in den EBU-Regeln (2004)
des diesjährigen ESC: ,,Participating Broadcasters may decide what language their
artists may sing in."
2.4
Die Modernisierung des ESC und des deutschen ESC-Vorentscheids
Einige organisatorische Änderungen in Bezug auf den ESC wurden bereits
angesprochen und sollen daher hier nur kurz Erwähnung finden. Dabei lassen die
zahlreichen Neuerungen vermuten, dass die EBU zum einen auf eine verbesserte
Vermarktung des Wettbewerbes abzielt und zum anderen verstärkt ein jüngeres
Publikum ansprechen möchte. Die endgültige Einführung der
Zuschauerabstimmung mittels Televoting im Jahre 1999 ist als zentralste
Neuerung des ESC anzusehen. Meiner Ansicht nach wurde diese Entscheidung
mit der Intention gefällt, mehr Publikumsnähe zu erzeugen. Das Publikum ist
durch die eigene Stimmabgabe kognitiv und emotional mehr involviert und hat
dadurch ein stärkeres Interesse die Sendung bis zum Schluss zu verfolgen. In
diesem Jahr kommt hinzu, dass die Zuschauer ihre Stimme auch per
Kurzmitteilung ihres Mobiltelefons (SMS) abgeben können. Diesbezüglich wurde
von der EBU ein kommerziell einträglicher Schachzug getätigt. Sie erklärte die
Firmen T-Com und Digame - Tochterunternehmen der Deutschen Telekom ­ zu
alleinigen pan-europäischen Partnern für die Telefonabstimmung beim ESC für
die Jahre 2004-2007 (EBU 2004: Televoting Procedure 2004).

23
Im Jahre 1999 wurde auch ein weiteres Relikt des ESC abgeschafft - das
Orchester. Seit Beginn des Grand Prix wurden die nationalen Künstler von einem
Orchester unter Leitung eines nationalen Dirigenten begleitet. Fortan reichen die
Länder ein sogenanntes Halbplayback ein, zu dem die Künstler live singen. ,,So
wird es möglich, auch hochkomplizierte Musikarrangements im Fernsehen zu
servieren ­ denn ein Orchester könnte die heutige Popmusik gar nicht mehr
adäquat spielen. Mit dieser Referenz an das moderne Popgeschäft wollen die
Veranstalter endlich wieder die großen Plattenfirmen für den Contest
interessieren"(Feddersen 1996b: 16). Laut EBU wurde diese Entscheidung jedoch
aufgrund von Platzmangel, zu hohem Kostenaufwand und Problemen bei den
Proben getroffen (vgl. Marchal 2001: 33). Faktisch sind die umfangreichen
Änderungen des Jahres 1999 (Abschaffung der Sprachenvorschrift, des Orchesters
und der Jurys) allesamt Elemente des von Meier-Beer geforderten Reformpaketes,
mit dem er die Eurovisions-Kommission unter Druck setzte. Es ist also davon
auszugehen, dass all diese Änderungen von der deutschen Delegation durchaus
begrüßt wurden.
Im Jahr 2000 gab es weitere Neuerungen. Dazu zählen die jährliche Produktion
einer ESC-CD mit allen Teilnehmerliedern sowie eine Lifeübertragung des Grand
Prix per Internet. Diesbezüglich spielen ebenfalls kommerzielle Motive eine
wichtige Rolle. Beispielsweise wurde die Produktion der Wettbewerb
begleitenden CD mit der international operierenden Plattenfirma EMI vertraglich
für den Zeitraum 2003-2005 gesichert. Durch die Einbeziehung des Internets als
zusätzliches Übertragungsmedium erreicht der ESC international ein großes,
vornehmlich sehr junges Publikum, das sich insbesondere durch die im Internet
verfügbaren Hintergrundinformationen zum Wettbewerb angesprochen fühlt. So
verzeichnete in diesem Jahr die offizielle ESC-Internetseite der EBU bis zum Tag
des Halbfinales am 12. Mai mehr als 10 Millionen Besuche (vgl. EBU 2004:
Eurovision 2004).
Die angesprochenen Reformen lassen sich als Teil einer Marketingstrategie
begreifen, die darauf abzielt, das Zuschauerinteresse zu steigern und die
kommerzielle Vermarktung des Wettbewerbs zu fördern. Wesentliche Aspekte
dieser Marketingstrategie sind: mehr Marktpräsenz, Orientierung an eine jüngere
Zielgruppe und ein jugendlicheres Image. Des Weiteren besitzt natürlich auch die

24
ästhetische Inszenierung der Veranstaltung in puncto Licht- und Tondesign,
Bühnenaufbau und eingesetzte Grafiken eine zentrale Bedeutung.
Die Entscheidung, dem ESC in diesem Jahr durch die Teilnahme von insgesamt
36 Nationen ­ aufgeteilt in Halbfinale und Finale ­ eine neue Dimension zu
verleihen, wurde ebenfalls aufgrund von marktrelevanten Parametern getroffen.
Damit möchte man nicht nur den Teilnahmewünschen aller Anwärter gerecht
werden, sondern auch den qualitativen Anspruch der Veranstaltung steigern.
,,This will encourage competing Members to present very good songs in the hope
of qualifying for the grand final, thus raising the level of the contest in general."
(EBU 2003: The Eurovision Song Contest) Es ist jedoch fraglich, ob der zitierte
Vorsatz dabei das primäre Ziel darstellt; denn mehr Teilnehmerländer bedeuten
höhere Zuschauerzahlen und potentiell höhere Erträge.
Die Modernisierung des Grand Prix ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer
Modernisierung des Musikstils; denn die Veranstaltung fungiert nur als Plattform
für die Präsentation der nationalen Musikgeschmäcker. Die Entscheidung über die
Modernität der dargebotenen Beiträge liegt alleinig bei den Teilnehmern. Nach
Ansicht des Fernsehautors Christian Stöffler war die Qualität der nationalen
Beiträge in der Vergangenheit jedoch unzureichend:
Die größte Show des uns bekannten Universums bot
jahrzehntelang nichts, was irgendwo auf der Welt relevant sein
könnte. In einer dreistündigen Livesendung mit zweistelligem
Millionenbudget stellten unbekannte Interpreten obskure
Lieder vor, in der Regel allenfalls musikalisches Mittelmaß, an
Peinlichkeit nur schwer zu übertreffen. (Stöffler 1998: 138)
Doch wie ist es möglich, den Grad an Modernität der Grand-Prix-Beiträge
adäquat zu bewerten, ohne dabei subjektive Geschmacksurteile abzugeben? Im
Vergleich mit dem globalen Musikkanal MTV (Music Television) und dessen
europäischen Ableger MTV Europe wirkt der Grand Prix ohne Zweifel
rückständig. Allerdings attestiert der Geschäftsführer des internationalen
Musikverlags Polydor, Jörg Hellwig, dem Grand Prix, dass dieser sich seit 1998
von einer unzeitgemäßen Veranstaltung zu einem Trendbarometer für
Musikfirmen entwickelt hat (vgl. Feddersen 2002: 305). Anhand des deutschen
Vorentscheids wird deutlich werden, wie sich die Modernisierung auf der, dem
Wettbewerb vorgeschalteten nationalen Ebene gestaltet.

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Der Hauptinitiator für die seit 1996 beobachtbare Modernisierungstendenz beim
deutschen Vorentscheid ist Jürgen Meier-Beer, der ferner teilverantwortlich für
die Reformen beim ESC ist. Bereits der Titel ,,Making a Pop-Event" eines von
Meier-Beer verfassten Artikels veranschaulicht seine Intention bei der
Neugestaltung des deutschen Vorentscheids.
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Die benötigten Zutaten für die
Kreation ,,Pop-Event" standen schnell fest: man nehme das Televoting-System
und entferne die nationalen Gremien und Jurys zur Auswahl des deutschen Titels,
forciere die Abschaffung der Sprachregelung beim ESC, motiviere große
Plattenfirmen zur Zusammenarbeit, entwerfe ein neues Konzept für eine große
"Vorentscheid­Abendshow" und erzeuge durch medienwirksame Künstler eine
große Medienpräsenz.
Das vorläufige Ergebnis dieser Mischung war der erfolgreiche ,,Relaunch", so
Meier-Beer, des deutschen Vorentscheids im Jahre 1998. Mit der 90-minütigen
Sendung ,,Countdown Grand Prix" (der offizielle Titel), zu der zum ersten Mal
nur Plattenfirmen ihre Künstler entsandten, erreichte der NDR eine Einschaltquote
von 8 Millionen Zuschauern und einen Marktanteil von über 50%. Sieger des
Abends wurde Guildo Horn mit seiner Schlagerpersiflage ,,Guildo hat Euch lieb".
Herr Horn ­ auch der ,,Meister" genannt - entfachte durch seine kurios anmutende
äußere Erscheinung, seine energetischen Bühnenauftritte sowie durch die Komik
des Liedtextes (,,piep, piep, piep ­ ich hab dich lieb") eine in Bezug auf den
deutschen Vorentscheid nie da gewesene Medienaufmerksamkeit. Laut
Süddeutscher Zeitung hieß es sogar in der britischen Presse: ,,Mister Horn stehe in
Deutschland für den Wunsch, daß jetzt alles gefälligst anders werden müsse, dass
endlich neue Gesichter her sollen, egal wie sie aussehen." (Süddeutsche Zeitung
vom 11.05.1998: 19) Die durch Horn symbolisierte Ironisierung der deutschen
Schlagerkultur und die dadurch entstandene Grand-Prix-Euphorie in Deutschland
bewertet der Kommunikationswissenschaftler Heinz Moser als eine ,,postmoderne
Haltung":
Postmoderne Erlebensweisen verbinden sich sehr gut auch mit
dem Grand Prix Eurovision, der einen Mix aus
unterschiedlichsten Stilen der Unterhaltungs- und Popmusik
aufnimmt, ethnische und folkloristische Elemente beimischt
und voll von Zitaten auf erfolgreiche vergangene Songs sowie
auf die Popmusik der Hitparaden ist (Moser 1999: 122).
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Bei dem folgenden Abschnitt beziehe ich mich hauptsächlich auf Meier-Beer (2002).

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Guildo Horn beschwor zwar die Ära des deutschsprachigen Schlagers, aber mit
einem Augenzwinkern, wodurch auch solche Rezipienten, die den Schlager als
,,Inbegriff des Spiessertums" (vgl. Moser 1999: 122) ansahen, wieder Interesse
zeigten.
In den darauffolgenden Jahren sollte sich die Medienaufmerksamkeit weiterhin
steigern, bis schließlich über den Vorentscheid-2001 die Kritik hereinbrach. ,,Das
deutsche Spektakel mutiert zur peinlichen Geschmacksverirrung", so lautete das
allgemeine Urteil (Spiegel-Online, 27.02.2001). Ausgelöst wurde diese
Missstimmung hauptsächlich durch die Teilnahme des Modeschöpfers Rudolph
Moshammer und des ehemaligen ,,Big Brother"­Bewohners Zlatko (vgl. Kapitel
D3.1: 63f.). Der NDR demonstrierte anhand des Vorentscheids-2001, dass die
Steigerung der Zuschauerquote und des Marktanteils mehr wiegt als die
Produktion einer qualitativ hochwertigen Sendung. ,,Und dabei kommt es nicht
auf die Güte des Gesangs oder die Präzision der Bühnenshow an, sondern die
Attraktion der Interpreten selbst."(Tageszeitung vom 02.03.2001)
Im Jahre 2003 trat ein weiterer Trend in Erscheinung. Gleich mehrere deutsche
Tageszeitungen entdeckten ihr Interesse für den Vorentscheid und stellten im
Verbund mit Plattenfirmen einen eigenen Grand-Prix-Kandidaten auf (vgl. hierzu
Kap. D5.2: 77). Trotz aller Bemühungen wurde der Vorentscheid-2003 für den
NDR quotentechnisch ein Desaster, da mit lediglich 5,64 Millionen Zuschauern ­
drei Millionen weniger als im Vorjahr ­ nur ein Marktanteil von 18,1% erreicht
wurde (Spiegel Online: 10.03.2003). Als Begründung für das schlechte
Abschneiden bei den Zuschauern gab der NDR die Konkurrenz durch die
erfolgreichen Casting-Shows der privaten Fernsehsender an.
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Demzufolge sollte
für dieses Jahr ein frisches Konzept, dass sich mehr an den Markgegebenheiten
der Musikindustrie orientiert, den gewünschten Erfolg bringen. Das neue Format
mit dem Titel ,,Germany 12 Points" wurde in Kooperation mit dem deutschen
Musikfernsehsender Viva erstellt. Dazu Meier-Beer in einem Interview:
23
RTL veranstaltet die Casting-Sendung ,,Deutschland sucht den Superstar", SAT1 hat ein
ähnliches Konzept namens ,,Starsearch" im Programm und Pro7 sendet den Talentwettbewerb
,,Popstars". Charakteristisch für dieses Format ist, dass aus einer großen Anzahl von Laien-
Bewerbern mit Hilfe einer prominenten Jury und/oder des Publikums neue Gesangstalente
entdeckt werden sollen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832481797
ISBN (Paperback)
9783838681795
DOI
10.3239/9783832481797
Dateigröße
1000 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen – Fakultät Geisteswissenschaften, Germanistik - Linguistik
Erscheinungsdatum
2004 (August)
Note
1,0
Schlagworte
european broadcasting union grand prix deutscher vorentscheid musik
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