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Afrika in Italien

Spuren des "Sogno Coloniale" in der italienischen Literatur

©2003 Magisterarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Italien und Afrika liegen – geographisch betrachtet – dicht beieinander: Die sizilianische Küste und das tunesische Kap Bone sind lediglich durch die knapp 150 Kilometer breite Straße von Sizilien getrennt. Diese geographische Nähe wussten bereits die Karthager für sich zu nutzen, als sie im 6. Jahrhundert v. Chr. den Westteil Siziliens eroberten. Knapp 400 Jahre später errichteten die Römer auf ehemals karthagischem Gebiet im nördlichen Afrika ihre Provinz „Africa“. All diese Ereignisse wurden von antiken Autoren, wie Cicero oder Livius, für die Nachwelt festgehalten. Auf solche Quellen stützte sich Francesco Petrarca, als er im 14. Jahrhundert seine Africa schuf. Das Epos brachte ihm 1341 die Dichterkrönung ein; wohl mit ein Grund, weshalb die Geschichte des römisch-karthagischen Konflikts im europäischen Bewusstsein verankert blieb.
Vollkommen anders präsentiert sich die Lage im Hinblick auf ein anderes, neuzeitliches Kapitel der Beziehungen zwischen Apenninen-Halbinsel und Afrika. Die Rede ist von der teilweise mehr als 50 Jahre währenden kolonialen Herrschaft des Königreichs Italien über Gebiete im östlichen und nordöstlichen Afrika. Sie begann Anfang der 1880-er Jahre in Assab und endete in den Jahren des Zweiten Weltkriegs mit der italienischen Kapitulation in Libyen. In dieser Zeit erhob Italien zumindest nominell Anspruch auf Eritrea, Äthiopien, weite Teile Somalias sowie die nördlichen Regionen Libyens. Sein Einfluss war dabei je nach Gebiet von unterschiedlicher Dauer und Intensität, insbesondere die faschistische Kolonialpolitik führte jedoch allerorten zu „monströsen Verbrechen“ (Mattioli 2003) an der afrikanischen Bevölkerung. Auf italienischer Seite waren vorübergehend über eine halbe Million Soldaten und Arbeiter an der Verwirklichung des ‚afrikanischen Traums’ beteiligt. Außerdem siedelten bereits Ende des 19. Jahrhunderts italienische Emigranten im nördlichen Afrika, deren Nachkommen teilweise erst 1970 nach Europa zurückkehrten.
Angesichts dieser Zahlen wäre davon auszugehen, dass Italiens Kolonialherrschaft in Afrika sowohl in der italienischen Kultur als auch in den Kulturen der dominierten Völker deutliche Spuren hinterlassen hat. Beginnt man sich jedoch mit dieser Thematik zu beschäftigen, wird man bald feststellen, dass kaum Erkenntnisse vorliegen. Tatsächlich wurde Italiens koloniale Vergangenheit im Vergleich zu der anderer europäischer Länder, wie England und Frankreich, von der Forschung […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


I. Einführung

Italien und Afrika liegen – geographisch betrachtet – dicht beieinander. So sind die siziliani-sche Küste und das tunesische Kap Bone lediglich durch die knapp 150 Kilometer breite Straße von Sizilien getrennt. Außerdem befinden sich die mit Tomaso di Lampedusa berühmt gewordenen Pelagischen Inseln in kürzerer Distanz zum afrikanischen als zum italienischen Festland. Diese geographische Nähe wussten bereits die Karthager für sich zu nutzen, als sie im 6. Jahrhundert v. Chr. den Westteil Siziliens eroberten und als Handelsstützpunkt gegen griechische Expansionsbestrebungen behaupteten. Ihr Kampf gegen die Römer verlief weniger erfolgreich, so dass sie ihre Besitzungen nach den Niederlagen bei Panormus (dem heutigen Palermo) und den Ägadischen Inseln schließlich 241 v. Chr. an Rom abtreten mussten. Knapp 100 Jahre später, am Ende der Punischen Kriege, war Karthago zerstört. Auf seinem ehemaligen Herrschaftsgebiet im nördlichen Afrika errichteten die Römer ihre Provinz Africa. (vgl. Der kleine Ploetz 1999:12; 42 f.; Fage/Oliver 1978:148 f.)

Die Ereignisse des römisch-karthagischen Konflikts wurden von antiken Autoren, wie Cicero oder Livius, für die Nachwelt festgehalten. Auf solche Quellen stützte sich Francesco Petrarca, als er im 14. Jahrhundert seine Africa schuf:

Ausgehend vom Sieg des Scipio Africanus über Karthago im 2. Punischen Krieg als dem zentralen Geschehen behandelt das Epos durch Rückwendun-gen und Vorausdeutungen die gesamte römische Geschichte und stellt die politische und moralische ‚virtus’ des antiken Rom als Vorbild für ein zu erneuerndes gegenwärtiges Italien heraus. (Stillers 1994:61)

Für das in lateinischer Sprache verfasste Werk wurde Petrarca 1341 noch vor dessen Voll-endung die Dichterkrönung zuteil (vgl. Neumann 1998:41 ff.; 53 ff.; Stillers 1994:61). So ist es unter anderem Petrarcas Epos zu danken, dass die Geschichte der Punischen Kriege im europäischen Bewusstsein verankert blieb.

Vollkommen anders präsentiert sich die Lage im Hinblick auf ein anderes, neuzeitliches Kapitel der Beziehungen zwischen Apenninen-Halbinsel und Afrika. Die Rede ist von der teilweise mehr als 50 Jahre währenden kolonialen Herrschaft des Königreichs Italien über Gebiete im östlichen und nordöstlichen Afrika. Sie begann Anfang der 1880-er Jahre in Assab und endete in den Jahren des Zweiten Weltkriegs mit der italienischen Kapitulation in Libyen. In dieser Zeit erhob Italien zumindest nominell Anspruch auf Eritrea, Äthiopien, weite Teile Somalias sowie die nördlichen Regionen Libyens. Sein Einfluss war dabei je nach Gebiet von unterschiedlicher Dauer und Intensität: Während sich zum Beispiel die Kolonie Eritrea seit ihrer Gründung im Jahr 1890 in italienischer Hand befand, beschränkte sich die Herrschaft über Äthiopien auf wenige Jahre im späten 19. Jahrhundert und den Abessinien-Krieg 1935-36.[1] Insbesondere die faschistische Kolonialpolitik führte jedoch allerorten zu „monströsen Verbrechen“ (Mattioli 2003) an der afrikanischen Bevölkerung. Auf italienischer Seite waren vorübergehend über eine halbe Million Soldaten und Arbeiter an der Verwirklichung des ‚afrikanischen Traums’ beteiligt.[2] Ebenso wie afrikanische Soldaten ließen viele von ihnen in den Kolonialkriegen ihr Leben. Außerdem siedelten bereits Ende des 19. Jahrhunderts italie-nische Emigranten im nördlichen Afrika, deren Nachkommen teilweise erst 1970 nach Europa zurückkehrten.

Angesichs dieser Zahlen wäre davon auszugehen, dass Italiens Kolonialherrschaft in Afrika sowohl in der italienischen Kultur als auch in den Kulturen der dominierten Völker deutliche Spuren hinterlassen hat. Beginnt man sich jedoch mit dieser Thematik zu beschäftigen, so wird man bald feststellen, dass kaum Erkenntnisse vorliegen. Tatsächlich wurde Italiens koloniale Vergangenheit im Vergleich zu der anderer europäischer Länder, wie England und Frankreich, von der Forschung stets vernachlässigt. Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit italienischer Wissenschaftler:

L’Italia non ha mai fatto i conti col suo passato africano: la perdita delle colonie con la seconda guerra mondiale le ha risparmiato i traumi della decolonizzazione, ma ha incoraggiato il disinteresse del paese verso vicende considerate sbrigativamente come marginali e concluse. (Rochat 1991:173)

Deshalb dauerte es bis Ende der 1950-er Jahre, ehe erste objektiv-kritische Untersuchungen italienischer Historiker zur „Africa Italiana“, dem italienischen Kolonialreich in Afrika, vor-lagen (vgl. Del Boca 1984:431). Bis heute besteht jedoch nicht nur in geschichtswissenschaft-licher Hinsicht dringender Forschungsbedarf (vgl. Del Boca 1984:432 f.; Mattioli 2003; Ramondino 1994:215 f.; Rochat 1991:173).

Beispielsweise ist über die Auswirkungen des Kolonialismus auf die italienische Literatur nur wenig bekannt. Während in französischen oder britischen Literaturgeschichten meist ein Kapitel über frankophone beziehungsweise anglophone Werke der Kolonialzeit enthalten ist, sucht man Derartiges in italienischen Literaturgeschichten vergebens. Beinahe ebenso rar sind monographische Studien zur italienischen Kolonialliteratur. Selbst hinter einem so bezeich-nenden Titel wie Letteratura-Esotismo-Colonialismo, den drei italienische Wissenschaftler ihrer in den 1970-er Jahren erschienenen Studie gaben, verbirgt sich eine Analyse franzö-sischer (anstelle italienischer) Texte.[3]

Sollte Italien also tatsächlich „keinen Kipling, keine Doris Lessing, keinen Bruce Chatwin, [...] keinen Gide und keinen Malraux, keinen Nizan, keinen Leiris, keinen Camus, keinen Duras, keinen Genet, keinen Koltès“ besessen haben (Ramondino 1994:215)? Sollte sich kein italienischer Autor mit dem Kolonialismus seiner Nation beschäftigt haben, um so – gewisser-maßen nach dem Vorbild Petrarcas – die Erinnerung an vergangene Ereignisse wach zu halten? Dies scheint angesichts der historischen Umstände kaum vorstellbar. Deshalb soll der Frage nach der Existenz einer italienischen Kolonialliteratur in der vorliegenden Arbeit nach-gegangen werden.

Zunächst gilt es, die italienische Literatur des Kolonialzeitalters im Hinblick auf diejenigen Werke zu untersuchen, die „in stofflicher Hinsicht [...] die Kolonien zum Schauplatz haben und deren Probleme thematisieren“ (Wilpert 1989:463).[4] Der Begriff ‚Kolonie’ meint dabei ausschließlich Italiens Besitzungen in Afrika; die übrigen, vom faschistischen Regime annektierten Gebiete (unter anderem in Albanien und Asien) sollen im Rahmen dieser Arbeit ausgespart werden.

Nun stellt sich die Frage nach einer Eingrenzung des zeitlichen Rahmens, der im Folgenden zu berücksichtigen sein wird. Er scheint durch die historischen Ereignisse vorgegeben, denn die Entstehung kolonialen Schrifttums ist vorrangig außerliterarisch determiniert. Dem ent-sprechend könnte man sich auf die Phase des klassischen Imperialismus beschränken, die im allgemeinen auf die Jahre 1870/80 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs festgesetzt wird (vgl. Brockhaus 1999:270; dtv-Lexikon). Dies erscheint im Falle Italiens jedoch wenig sinn-voll, da damit eine der Hauptphasen des italienischen Kolonialismus, die zwischen 1918 und 1945 stattfand, ausgegrenzt bliebe. Demzufolge sollte der Blickwinkel ausgedehnt werden und zwar in Orientierung an den individuellen Beziehungen zwischen Italien und Afrika, die nicht mit denen anderer, ‚größerer’ Kolonialmächte, wie Frankreich und Großbritannien, vergleichbar sind. Denn die Italiener ‚entdeckten’ ihren Nachbarkontinent nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts für sich, sondern traten früher mit ihm in Kontakt. Beispielsweise trieben Städte wie Venedig, Genua, Pisa oder Florenz bereits im Mittelalter Handel mit Ägypten. Sie stellten außerdem Teilnehmer an den großen Entdeckungsfahrten des 16. und 17. Jahrhun-derts. Die damals entstandenen Berichte prägten vielfach noch zu Zeiten Mussolinis das Bild, das sich die Italiener vom ‚dunklen’ Kontinent und seinen Bewohnern machten. Auch Riccardo Bacchelli orientierte sich, als er mit Mal d’Africa den wohl berühmtesten italieni-schen Afrika-Roman schuf, an den Schilderungen eines Reisenden aus dem 19. Jahrhundert.

Aus diesen Gründen scheint es angebracht, unsere ‚Spurensuche’ bei den Anfängen der italienisch-afrikanischen Beziehungen beginnen zu lassen. Damit folgen wir ansatzweise Buch (1991), wenn er sagt: „Historisch gesprochen geht es um die Auswirkungen des Kolo-nialismus auf die literarische Phantasie, d.h. um einen Prozeß, der mit der Entdeckung Amerikas vor fünfhundert Jahren [...] begann und bis heute nicht abgeschlossen ist.“ (Buch 1991:12 f.). Vor diesem Hintergrund rücken auch Schilderungen italienischer Afrika-Reisender aus der frühen Neuzeit ins Blickfeld dieser Untersuchung. Sie sollen in Kapitel III überblicksartig dargestellt werden, wobei unter anderem ihre Funktion als Inspirationsquelle für die exotische Abenteuer- und Reiseliteratur zu berücksichtigen ist.

Das ‚exotische’ Schrifttum, dessen Reiz aus exotischen, meist in überseeischen Gebieten angesiedelten Handlungsorten resultiert,[5] erlebte in Italien keine Blüte. Es wird mehr oder weniger ausschließlich mit Emilio Salgari in Verbindung gebracht, der seine Helden weltweit und damit auch in Afrika gegen die Unbillen des Schicksals kämpfen ließ. Seine Roman-welten prägten, ähnlich wie die des Karl May in Deutschland, Generationen von Lesern, weshalb auf sein Werk im Rahmen des dritten Kapitels ebenfalls einzugehen sein wird. Daran schließt sich ein Überblick über die Forschungsreisen des 19. Jahrhunderts an, die das europäische Afrika-Bild entscheidend veränderten.

Das vierte Kapitel ist einer ausführlichen Interpretation des bereits erwähnten Romans von Riccardo Bacchelli gewidmet. Er gilt vielen als anspruchvollstes, einigen gar als einziges Bei-spiel italienischer Kolonialliteratur (vgl. Goglia 1990:XXX). Mal d’Africa entstand Anfang der 1930-er Jahre und leitet somit über zur italienischen Kolonialzeit im engeren Sinn. Allerdings schuf Bacchelli seinen Roman auf der Grundlage eines älteren Reiseberichts, weshalb er auch Bezüge zum vorkolonialen Blick auf Afrika aufweist. Er könnte damit eine Schwellenposition einnehmen. Inwieweit traditionelle Vorstellungen oder neuere, ‚kolo-nialistische’ Denkweisen in Mal d’Africa zum Tragen kommen, soll im Rahmen einer inhaltlichen Analyse erörtert werden. Dabei stellt sich die Frage nach Bacchellis Haltung zum Kolonialismus beziehungsweise nach einer Thematisierung der italienischen Kolonialpolitik im Roman. Außerdem richtet sich der Blick auf den Prozess, der von einem Reisebericht zu Bacchellis Mal d’Africa führte.

Diese Überlegungen bringen uns zur italienischen Kolonialliteratur im engeren Sinn, das heißt zu dem in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem italienischen Kolonialreich entstandenen Schrifttum. Es wird in Kapitel V ausführlich untersucht werden, wobei eingangs eine genaue Definition des Genres erfolgen wird. Anschließend wird kurz auf die während des Faschismus’ einsetzende Diskussion um den Kolonialroman eingangen, um die inten-dierte Rolle von kolonialem Schrifttum zu beleuchten. Im Weiteren soll jedoch auf eine Be-trachtung propagandistischer Werke, die im Umfeld dieser Diskussion entstanden sind, weit-gehend verzichtet werden.

Stattdessen sollen die von der Kolonialpropaganda kolportierten Afrika-Bilder und die eingesetzten Strategien überblicksartig dargestellt werden. Ähnlich wird mit den weiteren Aspekten der kolonialen Literatur verfahren werden, soweit dies angesichts des unbefriedigenden Forschungsstands überhaupt möglich ist. Auf eben diesen wird ebenfalls einzugehen sein. Zuletzt möchte ich unsere ‚Spurensuche’ auf eventuell außerhalb der italienischen Landesgrenzen existierende, italophone Werke ausdehnen. Es soll nach Werken afrikanischer Autoren in italienischer Sprache geforscht werden.

Entsprechend obiger These, dass bei einer Untersuchung von Kolonialliteratur nicht allein die Kolonialzeit, sondern auch die im Vorfeld sowie im Nachgang stattgefundenen Kontakte zu berücksichtigen sind, folgt im sechsten Teil der Arbeit eine Betrachtung der Thematisierung der italienischen Afrika-Kriege in der Literatur der Nachkriegszeit. Dabei gilt es zunächst, das literarische Klima jener Zeit ebenso wie die Haltung der Italiener gegenüber den Gescheh-nissen in der „Africa Italiana“ darzustellen. Deshalb werden die Grundzüge des Neorealismo genannt, der die literarische Welt Italiens bis Mitte der 1950-er Jahre beherrschte. Außerdem scheint eine Betrachtung der so genannten Bekenntnisliteratur geboten. Damit sind Werke oftmals laienhafter Schriftsteller gemeint, in denen autobiographische Kriegserlebnisse doku-mentiert und verarbeitet wurden. Ob in diesem Zusammenhang auch Afrika von Bedeutung war, ist in Kapitel VI.2 zu klären.

Anschließend stehen zwei Romane im Mittelpunkt, die in der Nachkriegszeit entstanden sind und welche die faschistischen Feldzüge in Libyen beziehungsweise Äthiopien behandeln. Sie sollen exemplarisch analysiert und interpretiert werden. Es handelt sich dabei um Tempo di uccidere von Ennio Flaiano sowie Il deserto della Libia von Mario Tobino. Sie werden im sechsten Kapitel direkt miteinander verglichen, da sie denselben stofflichen Hintergrund besitzen. Dass dies nicht zwingend zu ähnlichen Ergebnissen führen muss, wird sowohl der formale als auch der inhaltliche Vergleich zeigen. Daneben gilt unser Interesse ein weiteres Mal den Afrika- beziehungsweise Italien-Konzeptionen.

Somit orientiert sich der Aufbau dieser Untersuchung an der von den historischen Ereignissen vorgegebenen Chronologie. Es sei jedoch ausdrücklich betont, dass damit in keinster Weise die Existenz einer Entwicklungsfolge auf literarischem Gebiet impliziert werden soll. Zwar wirken einzelne Aspekte der Afrika-Imagologie in den nachfolgenden Jahrhunderten fort, doch ist auf Gattungsebene nicht von einer kontinuierlichen Entwicklung zu sprechen. Vielmehr ergibt sich die Inspiration für die hier behandelten Werke meist unmittelbar aus Vorgängen in der außerliterarischen Welt. Allein deshalb scheint der hier gewählte Aufbau sinnvoll.

Eben deshalb schließt sich an diese Einführung ein geschichtswissenschaftlich orientierter Überblick über die wichtigsten Stationen des italienischen Kolonialismus’ in Afrika an (siehe Kapitel II). Dabei gilt es, einerseits Italiens allgemeinpolitische Lage im kolonialen Zeitalter, andererseits seine Aktivitäten in Afrika darzustellen. Des Weiteren soll kurz auf die Kolonialisierung Afrikas in der Antike eingegangen werden, da sie italienischen Kolonialisten der Neuzeit als Legitimation ihrer Forderungen diente.[6]

Auf diese Weise sollte ein umfassender Blick über die Ausprägung des vom „sogno coloniale“ (Enciclopedia Italiana) beeinflussten Schrifttums in Italien möglich sein. Aufgrund der bereits erwähnten Forschungslage kann dabei jedoch keinerlei Anspruch auf Vollständig-keit erhoben werden. Um sie zu ermöglichen, wären äußerst zeit- und kostenintensive Untersuchungen nötig, die an den Vorgaben einer Arbeit wie der vorliegenden vorbeigingen. Folglich muss unser Ziel vor allem darin liegen, einen Beitrag zum „mancato dibattito del colonialismo italiano“ zu liefern (Del Boca 1989:115). Bestenfalls möge er anderen als An-regung zur Beschäftigung mit dieser interessanten Thematik dienen, die ausreichend Raum für weitere Forschungen bietet. Davon abgesehen, liefert sie Ansätze zur Völkerverständigung ebenso wie zur interdisziplinären Arbeit, beispielsweise in Philologie, Geschichtswissen-schaft, Soziologie und Völkerkunde.

Erwähnen möchte ich bei dieser Gelegenheit drei an der Universität Freiburg im Breisgau gehaltene Vorlesungen, die für die vorliegende Arbeit äußerst aufschlussreiche Informationen lieferten. Dies sind zum einen die Einführung in die Geschichte und Kulturen Westafrikas (Sommersemester 2000) sowie die Geschichte der Ethnologie: Von der Antike bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (Wintersemester 2002/2003) von Prof. Dr. Stefan Seitz (Institut für Völkerkunde). Sie boten Einblick in die afrikanische Kolonialgeschichte ebenso wie in die Imagologie Afrikas.[7] Zum anderen ist die Vorlesung von Prof. Dr. Frank-Rutger Hausmann (Romanisches Seminar) zur Italienischen Literatur des Barock und der Aufklärung zu nennen, in der unter anderem Tommaso Campanellas Città del Sole behandelt wurde. Das Werk ist im Zusammenhang mit einem literarischen Fortwirken von Reiseberichten von Belang (vgl. Kapitel III.2).

II. Die Entstehung des italienischen Kolonialreichs in Afrika: Ein Überblick

Im Vergleich zu Portugal und Spanien, die bereits im 15. Jahrhundert Expeditionen nach Afrika sandten, oder Großbritannien und Frankreich, die seit dem 17. Jahrhundert Pläne zur Eroberung des Kontinents schmiedeten, erwachte der „sogno coloniale“ auf der Apenninen-Halbinsel verspätet. Erst 1882 konnte Italien mit der Bucht von Assab ein Stück afrikanischen Bodens sein Eigen nennen. Voraussetzung hierfür war die Schaffung einer politischen Entität ‚Italien’, wie sie im Zuge des Risorgimento zustande kam.

II.1 Italien auf dem Weg zur Kolonialmacht

Der Begriff ‚Risorgimento’ bezeichnet Italiens nationalen Einigungsprozess, der nach 1815 einsetzte. Durch das Zusammenspiel von gewaltsamen Umsturzversuchen unter Mazzini und Garibaldi mit diplomatischen Schachzügen, die überwiegend von Sardinien-Piemont aus-gingen, kam es zur Schwächung der österreichischen und spanischen Fremdherrschaft. Sie erlaubte 1861 die Gründung des italienischen Königreichs:

Während eines Zeitraums von über sechs Jahrhunderten hatte zwar eine italie-nische Literatur, aber weder eine italienische Nation noch ein Land mit einem beherrschenden Kulturzentrum wie etwa Frankreich, Spanien oder England existiert. Bis zum Risorgimento war die Einheit Italiens nur literarisch und kulturell, ab 1860 wurde sie politisch. (Janowski 1994:249)

In den folgenden Jahren wurden mit dem französisch kontrollierten Kirchenstaat und dem österreichischen Venetien die letzten noch fremdbestimmten Gebiete an das junge König-reich angegliedert. 1870 wurde Rom zur neuen Hauptstadt bestimmt. (vgl. Janowski 1994: 249 ff.; Reinhardt 1999:98 ff.; 102 ff.)

Damit war die politische Einigung vollzogen, doch stellte die Überwindung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede die Bevölkerung vor eine schier unlösbare Aufgabe:

Das bedeutete, Millionen von Menschen, die über Jahrhunderte hinweg eine jeweils unterschiedliche Geschichte gelebt und oft einander unverständliche Dialekte gesprochen hatten (und noch immer sprachen), Menschen, deren Gemeinsamkeit bislang nur in der Literatursprache, der Literatur (einer be-stimmten Ebene) und dem durchaus unterschiedlich ausgeprägten Bewußtsein einer gemeinsamen großen Vergangenheit bestanden hatte, zu einer Einheit von Interessen und Gefühlen, von Sprache und wirtschaftlichem und kulturellem Fortschritt zu verschmelzen. (Petronio 1992:3)

Veränderungen wurden anfangs nur widerwillig akzeptiert, so dass bald in Norditalien Industrialisierung und Urbanisierung auf dem Vormarsch waren, während der Süden weiter-hin an seinen traditionellen Strukturen festhielt. Eines der schwerwiegendsten Probleme war die Armut, die vor allem in Süditalien, aber auch in einigen nördlichen Regionen herrschte. Deshalb zogen Tausende Bauern aus Venetien als Saisonarbeiter in die Nachbarländer,[8] während andere in Amerika oder Afrika ihr Glück suchten. Um 1870 lebten zwischen 7 000 und 30 000 Italiener in Tunesien, die größtenteils aus dem nahegelegenen Sizilien emigriert waren.[9] Ihre bevorzugten Siedlungsgebiete lagen zwischen Tunis und Biserta sowie an den Küsten der Halbinsel Nabeul, wo sie Wein- oder Gemüseanbau betrieben (vgl. Boahen 1985: 424; Albertini 1985:222 f.).

Neben der steigenden Emigrationsrate bereiteten der italienischen Regierung auch die hohe Zahl von Analphabeten sowie der wachsende Einfluss von Geheimbünden im Süden des Landes Sorgen. Die innenpolitischen Probleme drängten die Außenpolitik in den Hintergrund, zumal über ihre grundlegende Zielsetzung Dissens herrschte:

Should Italy look southwards towards North Africa, especially Tripolitania, and aim at making the Mediterranean once more mare nostrum ? Or should she look northwards toward the European power-game, and towards becoming one of the major industrialized States of North-West Europe? (Clark 1984:47)

Während eine Annäherung an Westeuropa positive Impulse für die italienische Wirtschaft bewirken sollte, favorisierte man im Süden eine koloniale Expansion im Mittelmeerraum. Sie versprach scheinbar neuen Siedlungsraum und damit eine Lösung des Auswandererproblems. Die Uneinigkeit unterwarf Italiens außenpolitischen Kurs am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ständigen Richtungswechseln, die von den parlamentarischen Mehrheits-verhältnissen abhingen. (vgl. Clark 1984:31 ff.; 46 ff.; Janowski 1994:251; Lowe/Marzari 1975:6 ff.; Petronio 1992:4 ff.; Reinhardt 1999:108 ff.)[10]

Unterdessen vollzog eine in Neapel ansässige Schifffahrtsgesellschaft namens Rubattino die erste italienische Landnahme in Afrika: 1869 soll sie die eritreische Hafenstadt Assab von einem lokalen Herrscher für 6 000 Maria-Theresien-Taler erworben haben. Assab diente fortan als Handelsstützpunkt, über den Waren für die europäischen Siedler in Nordafrika im-portiert und äthiopische Handelsgüter umgeschlagen wurden.[11] (vgl. Boahen 1985:265; Fage/ Oliver 1976:87)

Zur selben Zeit brachen von der Apenninen-Halbinsel vermehrt Forschungsexpeditionen nach Afrika auf. Meist standen sie im Dienst wissenschaftlicher oder kommerzieller Gesellschaf-ten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts europaweit ins Leben gerufen wurden. In Italien machte 1867 die römische Società Geografica Italiana den Anfang, der bis 1884 die Società di Esplorazione Geografica e Commerciale in Mailand, die Società Africana d’Italia in Neapel und die Società di Studi Geografici e Coloniali in Florenz folgten (vgl. Croce 1928: 130 f.; Diglio 1984:155; Fage/Oliver 1985:651; Surdich 1982:10 ff.; Woolbert 1932:431). Ende des 19. Jahrhunderts hatte das Interesse an einer vollständigen Erschließung des ‚dunklen’ Kontinents ganz Westeuropa erfasst:

Die Zahl der Expeditionen, die den afrikanischen Kontinent kreuz und quer durchzogen, [...] stieg von 1871 bis 1890 sprunghaft [...] an. [...] Von alten und neuen Küstenstützpunkten begann [...] die Eroberung großer zusammen-hängender Kolonialgebiete. Scharen von Forschern, Missionaren, Spekulan-ten, Goldgräbern, abgedankten Offizieren und steckbrieflich gesuchten Banditen, verkrachten Existenzen, Landhungrigen und Abenteurern aus aller Welt zogen nach Afrika. (Loth 1979:7)

Dies war der Beginn des imperialistischen Zeitalters, in dessen Verlauf es zur vollständigen Eroberung Afrikas kommen sollte. Kolonialbesitz galt nunmehr als Manifestation politischer und militärischer Stärke; er wurde zur Basis jedweden Führungsanspruchs innerhalb Europas. Hinzu kam seine ökonomische Bedeutung, denn abhängige Gebiete versprachen zusätzliche Absatzmärkte und Rohstoffquellen. Außerdem boten sie Emigranten Siedlungsraum.[12] (vgl. Reinhard 1996:217 ff.; Europa u. d. K. 1962:75 ff.) Begonnen hatte die Kolonialisierung Afrikas jedoch bereits in der Antike mit der Gründung von Handelskolonien an den Küsten.

II.2 Die Grundzüge der Kolonialisierung Afrikas am Beispiel Italiens

II.2.1 Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert

Um 800 v. Chr. besaßen Phöniker und Griechen Gebiete im Norden und Nordwesten des Kontinents, bei denen es sich meist um relativ autonome, stark am jeweiligen Mutterland orientierte Stadtstaaten handelte, welche auf umliegende Landstriche kaum Einfluss ausübten (vgl. Fage/Oliver 1978:87 ff.; Europa u. d. K. 1962:14 f.). Eine Ausnahme bildete das phöni-kische Karthago, das sich, wie in der Einführung erwähnt, zu einer expandierenden Macht im westlichen Mittelmeer entwickelte. Es unterlag schließlich den Römern, die bis zum Ende der Makedonischen Kriege 168 v. Chr. weite Teile der nordafrikanischen Küste unter ihre Kon-trolle brachten. Wenig später annektierten sie die Cyrenaica, unter Kaiser Augustus außerdem Tripolitanien. Um 40 n. Chr. wurde der Africa Proconsularis auch Mauretanien angegliedert. (vgl. Der kleine Ploetz 1999:12; Europa u. d. K. 1962:19 ff.; Fage/Oliver 1978:148 f.)

Die römische Expansion in Nordafrika war im 20. Jahrhundert Vorbild für die italienische Kolonialpolitik. Bereits die Eroberungspläne im ersten Libyen-Krieg 1911/12 orientierten sich an der „antica Libia romana“ (vgl. Enciclopedia Italiana 1931:844).[13]

Im Unterschied zur Antike war das europäische Interesse am Nachbarkontinent im Mittelalter gering. Mit Ausnahme der Kreuzzüge, in deren Verlauf Gebiete in Nordafrika okkupiert wurden, konzentrierte man sich auf den eigenen Erdteil. Dies ist wohl vor allem auf die rasche Ausbreitung des Islams zurückzuführen, der im Jahre 711 von Nordafrika aus die Iberische Halbinsel erreichte und als Gefahr für das christliche Abendland begriffen wurde (vgl. Ansprenger 2002:31 f.; Europa u. d. K. 1962:31 ff.; 42 ff.; Kohl 1993:101).

Erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts läuteten die Portugiesen mit der „handstreichartigen Er-oberung Ceutas“ die neuzeitliche Kolonialisierung Afrikas ein (vgl. Reinhard 1996:12). Angeregt durch den günstigen Verlauf der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel richteten Aragón, Kastilien und Portugal ihren Blick früher als andere auf die überseeische Welt: Spanische Schiffe entdeckten auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien Amerika, wohingegen die von Heinrich dem Seefahrer initiierten portugiesischen Expeditionen eine östliche Route favorisierten und dabei Afrika erkundeten.[14] Noch vor der Erstumseglung des

Kaps der Guten Hoffnung gründeten sie Handelsposten an der westafrikanischen Küste. Hier wurden afrikanische Sklaven in die ganze Welt verschifft. Ihrem Beispiel folgten bald weitere Europäer: Engländer und Franzosen ließen sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts in Westafrika nieder, während holländische Seefahrer den Süden des Kontinents für sich ‚entdeckten’. Das Landesinnere blieb damals noch weitgehend unberührt. (vgl. Ansprenger 2002:42; Bernecker 1999:16; Europa u. d. K. 1962:51 f.; 91 f.; Matthies 1997:26 f.; Reinhard 1996:79 ff.; 229 f.;)

Die europäische Kolonialpolitik war bis ins 19. Jahrhundert hinein vom Sklavenhandel dominiert.[15] Erst auf dem Wiener Kongress wurde eine Deklaration zu seiner Abschaffung verabschiedet, für deren (zumindest partielle) Umsetzung in der Folge englische und franzö-sische Kriegsschiffe sorgten.[16] (vgl. Ansprenger 2002:43 ff.; 49; Boahen 1985:333 ff.; Europa u. d. K. 1962:53 ff.; 64 f.; Fage/Oliver 1975:589 ff.; ders. 1985:736 f.; Reinhard 1996:88 ff.)

Nach 1815 widmeten sich die Großmächte Großbritannien, Frankreich, Österreich, Preußen und Russland zunächst der Konsolidierung ihrer Herrschaftsgebiete. Dazu gehörte die An-siedlung europäischer Emigranten in den afrikanischen Kolonien (vgl. Ansprenger 2002:56 ff.). Bald erwachte jedoch der Wunsch nach einer territorialen, wirtschaftlichen und letztlich politischen Expansion in Form ausgedehnter Kolonialreiche, deren potentielles Ziel Afrika war. Hier entwickelten sich insbesondere Großbritannien und Frankreich zu hartnäckigen Konkurrenten, da beide nach einer Kontrolle der nordöstlichen Regionen am Roten Meer be-ziehungsweise am Golf von Aden strebten. Diese galten als strategisch wichtige Verbindung zwischen Afrika und Asien. Deshalb brachte 1827 die British East India Company das somalische Berbera unter ihre Kontrolle, ehe rund zehn Jahre später britische Soldaten Aden besetzten und zum Flottenstützpunkt ausbauten. Im Gegenzug erwarb Frankreich Ed in Eritrea und begann 1830 mit der Eroberung Algeriens. 1862 dehnten die Franzosen ihren Einfluss auf Obok aus, das Kerngebiet des späteren Französisch-Somaliland. Die britisch-französische Rivalität erreichte „[m]it dem Bau des Suezkanals, der 1869 fertiggestellt wurde“ ihren Höhepunkt, denn damit „erhöhte sich die geopolitische Bedeutung der Region für die europäischen Mächte. Das Horn von Afrika trat nun in das Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus ein.“ (Matthies 1997:28) An diesen Entwicklungen hatte erstmals auch das italienische Königreich Anteil. (vgl. Ansprenger 2002:57; 64 f.; Europa u. d. K. 1962:53; Fage/Oliver 1976:86 f.; Loth 1979:20 ff.; Matthies 1997:41)

II.2.2 Die imperialistische Phase

Das Vorhaben einer italienischen Expansion auf dem „continente nero“ wurde in den 1880-er Jahren realisiert: 1882 übertrug Rubattino ihre Rechte an der Bucht von Assab an das König-reich, das sie zu seinem Schutzgebiet erklärte. Kurz darauf begann die koloniale Landnahme in staatlichem Auftrag: „[C]on lo sbarco di truppe italiane a Massaua, allora egiziana, avvenuto il 5 febbraio 1885, l’Italia è tratta a una vera e propria politica coloniale africana. Da Massaua infatti essa andava presto allargando l’occupazione nella zona bassa fra il mare e l’altipiano” (Enciclopedia Italiana 1931:843). Der Vormarsch wurde erst 1887 durch das Massaker von Dogali vorübergehend gestoppt, bei dem 500 Italiener von Abessiniern getötet worden sein sollen (vgl. Clark 1984:99; Fage/Oliver 1985:651 f.).

In dieser Zeit fand die italienische Expansion Unterstützung bei den Briten, die auf diese Weise eine Ausdehnung des französischen Machtbereichs zu verhindern suchten. Frankreich hatte zuvor Italiens Ambitionen bezüglich Tunesiens durch eine militärische Besetzung des Landes zunichte gemacht. Obwohl die Italiener aufgrund ihrer Wirtschaftslage eine Inbesitz-nahme wohl nie ernsthaft in Erwägung gezogen hatten, war die Enttäuschung groß:

[I]l veder bruscamente troncata un'altra speranza italiana, quella della Tunisia, che è di fronte alla Sicilia [...] e che pareva spettarle come campo di attività nell’Africa e per la stessa sua sicurezza nel Mediterraneo, ma che, invece, nel 1881 le fu portata via dalla Francia, la quale si era procurato il consenso delle altre potenze […]. (Croce 1928:114)

Man forderte eine territoriale Entschädigung, die jedoch nicht gewährt wurde.[17] (vgl. Boahen 1985:265 ff.; Albertini 1985:212; Clark 1984:46 f.; Fage/Oliver 1985:182 f.; 651; Loth 1979: 24 f.; Lowe/Marzari 1975:21; Schieder 1968:407)

Stattdessen kam es zum Abschluss von Freundschafts- und Handelsverträgen mit dem Sultan von Sansibar, die binnen weniger Jahre zur Einrichtung einer italienischen Schutzherrschaft über die Sultanate Obbia und Migiurtini sowie die nicht europäisch-kontrollierten Küsten-regionen zwischen Kap Guardafui und Kismaayo in Somalia führten (vgl. Enciclopedia Italiana 1931:843; Fage/Oliver 1985:140 ff.).

Im Mai 1889 folgte der Vertrag von Uccialli, mit dem die Grenzen zwischen den Herrschafts-bereichen des äthiopischen Kaisers Menelik II. und des italienischen Königs festgelegt werden sollten. Das Abkommen sorgte in der Folge für Irritationen, denn es „enthielt eine Klausel, die auf Amharisch Italiens gute Dienste auf dem diplomatischen Parkett anbot, auf Italienisch aber ein Protektorat über Äthiopien etablierte“ (Reinhard 1996:258 f.). Meneliks Protest bei den europäischen Großmächten verhallte ungehört. (vgl. Boahen 1985:38; 268 f.; Clark 1984:99 ff.; Fage/Oliver 1985:656 ff.; Loth 1979:24 f.; Matthies 1997:29; Reinhard 1996:258 f.; Schieder 1968: 410 f.)

Nachdem die Italiener 1890 ihre Besitzungen bei Assab und Massaua zur Kolonie Eritrea[18] vereinigt hatten, erlebten sie in Äthiopien „un disastro nazionale“ (Croce):

Menelik bereitete sein Militär sorgfältig vor, bevor er es Ende 1895 an der Nordgrenze aufmarschieren ließ. Am 1. März 1896 brachte bei Adwa Äthiopiens Heer (etwa 100 000 Mann stark) als einzige afrikanische Streit-macht in dieser Phase der Geschichte einer bedeutenden europäischen Truppe (14 500 Italiener) eine schwere Niederlage bei. Am 26. Oktober 1896 sicherte der Vertrag von Addis Abeba Äthiopiens Unabhängigkeit für die nächste Generation. (Ansprenger 2002:30)

Der Vertrag legte den Grenzverlauf zwischen Meneliks Reich und dem italienischen Eritrea fest und verpflichtete Italien, von jeglichen Eroberungsplänen bezüglich Äthiopiens Abstand zu nehmen (vgl. Clark 1984:100 f.). Die Niederlage hatte für Italien weitreichende Folgen: Ministerpräsident Crispi trat zurück und sein Nachfolger Di Rudinì leitete unverzüglich den Rückzug der Truppen ein. Von nationalistischen Kreisen wurde „la Waterloo africana“ als Kränkung Italiens interpretiert, für die es sich zu rächen galt (Mercatelli 1981:59). Dementsprechend könnte man in ihr gewissermaßen einen „momento iniziale della gestazione di un’ideologia nazionalista“ sehen (Goglia/Grassi 1981:3). (vgl. auch Boahen 1985:270 ff.; Clark 1984:100 ff.; Croce 1928:204; Fage/Oliver 1985:660 ff.; Goglia/Grassi 1981:53 ff.; Loth 1979:25; Matthies 1997:29; Schieder 1968:412 ff.)

Nach 1896 beschränkte sich der italienische Kolonialbesitz demzufolge auf die Kolonien Eritrea und Italienisch-Somaliland. Letztere wurde 1905 offiziell gegründet. Zeitgleich ent-wickelte sich Massaua zu einem wichtigen Exporthafen für äthiopische Waren, weshalb die Italiener den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen Massaua und Asmara vorantrieben (vgl. Clark 1984:99; Croce 1928:236 ff.; Enciclopedia Italiana 1931:843; Fage/Oliver 1985:670). Auf europäischer Ebene hatte derweil – infolge des italienischen Konflikts mit Österreich-Ungarn um Gebietsrückgaben – eine Annäherung Italiens an Frankreich stattgefunden. Die Länder sagten sich Unterstützung bei ihren Vorhaben in Nordafrika zu, die für Frankreich Marokko und für Italien (das teilweise türkisch kontrollierte) Libyen vorsahen. Während mit der militärischen Eroberung Marokkos unverzüglich begonnen wurde, setzte Italien in Libyen zunächst auf „una penetrazione pacifica“. In deren Rahmen eröffnete beispielsweise die Banco di Roma Handelsagenturen in Tripolis (Goglia/Grassi 1981:139).

Erst im September 1911 erklärte Ministerpräsident Giolitti dem Osmanischen Reich den Krieg.[19] Er ließ Truppen in Libyen einmarschieren, die innerhalb kürzester Zeit die Küsten-städte Tripolis, Bengasi und Tobruk eroberten, im Hinterland aber auf hartnäckigen Wider-stand stießen. An eine schnelle Landnahme war nicht zu denken, weshalb sich in Italien trotz massiver Kriegspropaganda Unwillen regte. Doch gut ein Jahr nach Kriegsbeginn traten die Osmanen, die seit der Eskalation des Balkankonflikts im Oktober 1912 einen Zweifronten-krieg führten, Tripolitanien und Cyrenaica auf internationalen Druck an Italien ab. Wenige Monate später besetzten italienische Truppen die gesamte libysche Küste. Kurz zuvor war in Rom das Kolonialministerium gegründet worden. (vgl. Boahen 1985:94 ff.; Clark 1984:153 ff.; Croce 1928:270 f.; Fage/Oliver 1992:284 ff.; Goglia/Grassi 1981:140 ff.; Maltese 1976: 103 ff.; 301 ff.; 341 ff.; Schieder 1968:420 ff.)

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Unterdessen hatte der nach der Berliner Kongo-Konferenz[20] einsetzende Wettlauf um die letzten ‚freien’ Regionen Afrikas zwischen den europäischen Kolonialmächten vermehrt zu Konflikten geführt. Letztlich mündeten sie in den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. (vgl. Ansprenger 2002:77 f.; 94 ff.; Boahen 1985:19 ff.; Brockhaus 1999:289 ff.; Europa u. d. K. 1962:125 ff.; 165 ff.; Fage/Oliver 1985:154 ff.; Loth 1979:114 f.)

Die Kriegshandlungen der europäischen Gegner wurden zum Teil auf afrikanischem Boden ausgetragen. Hier rekrutierten die Europäer aus der einheimischen Bevölkerung Soldaten und Hilfskräfte, die je nach Bedarf in Afrika selbst oder in Europa eingesetzt wurden. Dies galt auch für Italien, das im libyschen Hinterland weiterhin mit Widerstand zu kämpfen hatte. Er ging vor allem von islamischen Kräften, wie dem Senussi-Orden,[21] aus. Verstärkt von äthiopi-schen und eritreischen Rekruten, wurden die italienischen Truppen nach ihrer Niederlage bei Al-Karadabiyya an die Küsten zurückgedrängt, „so that by 1917 Italy was on the verge of losing Libya altogether“ (Boahen 1985:298 f.). Die Konflikte mit der arabischen Bevölkerung hielten auch nach Kriegsende an, weshalb sich bis zum Beginn der so genannten „riconquista della Libia“ 1921 unter Mussolini lediglich Tripolis, Homs, Bengasi und Derna unter italienischer Kontrolle befanden. (vgl. Boahen 1985:298 f.; Enciclopedia Italiana 1931: 846; Fage/Oliver 1992:295 ff.; 725; Reinhard 1996:262)

Obwohl Italien 1918 formell zu den Siegermächten zählte, war der Schaden für das Land groß: Rund 600 000 Italiener waren in den Kämpfen gefallen und die Wirtschaft war ruiniert. Erhoffte Gebietsgewinne blieben ein weiteres Mal aus und radikale Bewegungen gewannen an Boden. 1922 ergriffen schließlich die Faschisten unter Mussolini die Macht. Sie schlugen einen verschärften kolonialpolitischen Kurs ein, der Militäroperationen gegen arabische Widerständler in Libyen beinhaltete. Innerhalb von zwei Jahren eroberten die italienischen Truppen unter Giuseppe Volpi, Rodolfo Graziani und Pietro Badoglio zunächst Tripolitanien und bis 1931 schließlich ein zweites Mal die Cyrenaica. Beide Regionen wurden zur Kolonie Libia vereint: „In soli nove anni (1922-1931) l’intera Libia [...] era effetivamente occupata dalla Tunisia all’Egitto, dalle rive del Mediterraneo alle porte del Sudan centrale e orientale.” (Enciclopedia Italiana 1931:847). Dies war unter anderem mit Hilfe eines knapp 275 Meter langen Drahtzauns möglich geworden, den die Italiener 1930 entlang der ägyptischen Grenze errichteten, um die Nachschubwege der Araber zu blockieren. Außerdem richteten sie Inter-nierungslager für die Landbevölkerung ein: „[T]hey evacuated the rural population of Cyrenaica to the desert of Sirt where they kept them in fenced concentration camps. [...] Other mass prisons and concentration camps were established at al-Makrun, Suluk, al-Aghayla and al-Barayka” (Boahen 1985:100). Auf diese Weise sollte jegliche Unterstützung der Aufständi-schen verhindert werden. Die Sterblichkeitsrate in den italienischen Lagern war hoch: Allein in al-Barayka soll innerhalb von zwei Jahren über ein Drittel der insgesamt 80 000 Insassen gestorben sein. Bei der Auflösung der Lager 1933/34 war die arabische Bevölkerung der Cyrenaica von ursprünglich 200 000 auf 140 000 Menschen dezimiert (vgl. Boahen 1985:100; Mack Smith 1976:39 ff.; Rochat 1991:180 f.). Unterdessen förderte die Regierung in Rom die Immigration italienischer Familien mit finanziellen Beihilfen. 1940 siedelten in Libyen rund 90 000 Italiener auf zuvor enteignetem Land. (vgl. Boahen 1985:99 ff.; Enciclopedia Italiana 1931:847; 431 ff.; Fage/Oliver 1992:301 ff.; 325 f.; Mack Smith 1976:109)

In Italienisch-Somaliland blieb der italienische Einfluss bis Mitte der 1920-er Jahre marginal. Erst dann wurden Obbia und Migiurtini militärisch besetzt. Anderenorts sorgte man für eine Umstrukturierung des Landwirtschaftssystems sowie für eine Verbesserung der Verwaltungs-struktur. So konnte die Kolonie schließlich in den 1930-er Jahren neben Eritrea als zweite Aufmarschbasis für den Abessinien-Krieg dienen. (vgl. Boahen 1985:597 ff.; Enciclopedia Italiana 1931:846; Fage/Oliver 1985:726 ff.; Grassi 1980:76)

Das italienische Kolonialministerium hatte unmittelbar nach seiner Gründung Pläne für eine Expansion in Äthiopien erarbeitet. Dennoch pflegten beide Länder zunächst freundschaftliche Beziehungen, die einen Besuch des äthiopischen Präsidenten auf der Apenninen-Halbinsel einschlossen (vgl. Boahen 1985:739). Außerdem trat das ostafrikanische Land mit italieni-scher Unterstützung dem Völkerbund bei. Im Frühjahr 1935 zog die italienische Regierung dann jedoch mehr als 500 000 Soldaten und Arbeiter (italienischer wie afrikanischer Abstam-mung) in Eritrea und Italienisch-Somaliland zusammen, von wo aus sie im Oktober desselben Jahres ins Nachbarland einmarschierten. Dies war „un impegno di dimensioni mai viste nelle guerre europee in Africa“, der die Italiener noch im selben Monat Adua einnehmen ließ (Rochat 1991:182 f.). Da sie den Äthiopiern waffentechnisch überlegen waren, über neu ange-legte Straßen mit Nachschub versorgt wurden und außerdem Giftgas[22] einsetzten, konnten sie am 5. Mai 1936 die Hauptstadt Addis Abeba erobern.

Der Protest des geflüchteten äthiopischen Königs beim Völkerbund zeitigte keine nennenswerten Konsequenzen. Stattdessen vereinigte Italien seine Gebiete in Eritrea, Somalia und Äthiopien zu Italienisch-Ostafrika und ließ der militärischen Eroberung eine staatlich gelenkte Besiedlung durch Zivilisten folgen:

Between 1935 and 1939 perhaps 200,000 Italians either volunteered or were conscripted for temporary wage labour in East Africa. The newcomers were concentrated in the towns, especially in Eritrea. Many found work in offices or motor-repair shops. (Fage/Oliver 1992:737)

Doch obwohl die italienische Regierung in die Landwirtschaft und in den Ausbau der Infra-struktur investierte, blieben die Erträge gering. Außerdem leisteten Einheimische Widerstand, deren unorganisierte Revolten „continuarono senza sosta fino al tramonto del dominio italiano, con un minor spiegamento di forze, ma un ulteriore imbarbarimento della guerra” (Rochat 1991:186). Unter anderem verübten sie Anfang 1937 ein Attentat auf Vize-König Graziani, das von Seiten der Italiener militärisch vergolten wurde. Nominell wurde die Annexion Äthiopiens jedoch 1938 von Großbritannien Aufgrund machtpolitischer Erwägun-gen anerkannt. (vgl. Boahen 1985:740 ff.; Clark 1984:280 ff.; Del Boca 1979:423 f.; 487 ff.; ders. 1982:108 f.; 195 ff.; Fage/Oliver 1992: 734 ff.; Mack Smith 1976:70 ff.)

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II.2.3 Der Verlust der Kolonien

Im Juni 1940 erfolgte Italiens Kriegserklärung an Großbritannien und Frankreich. Wenige Monate später marschierten italienische Truppen in Britisch-Somaliland ein, woraufhin es im Januar 1941 zum Gegenschlag der Briten kam. Dieser führte zunächst zum Fall von Addis Abeba und Ende 1941 schließlich zur Kapitulation der Italiener im äthiopischen Gondar: „In the spring of 1941 the Italians lost Eritrea, Somalia and Ethiopia. The Duke of Aosta’s army, with 250,000 men, surrendered to the British. The East African Empire was no more” (Clark 1984:286). Doch der Kampf im Norden des Kontinents, wo die vom deutschen Afrika-Korps unterstützten Italiener in Richtung Ägypten vorstießen, dauerte an. Erst im Oktober 1942 wendete sich das Blatt, als „Montgomery won at El Alamein, and by May 1943 the entire Axis army in North Africa had surrendered. Libya, controlled by the Italians since 1912, was lost” (Clark 1984:286).

Bei Kriegsende befand sich die „Africa Italiana“ beinahe ausnahmslos in britischer Hand. Lediglich Libyen wurde einer britisch-französischen Militärverwaltung unterstellt, während in Äthiopien der aus dem Exil zurückgekehrte Kaiser Haile Selassi in Konkurrenz zu britischen Verwaltern regierte. Letztere wurden 1954 abberufen. Unterdessen setzte sich das Nach-kriegsitalien dafür ein, „seine Kolonien als Treuhandgebiete der UNO zurückzubekommen, was von der Sowjetunion mit Rücksicht auf die vielversprechenden italienischen Kommu-nisten unterstützt wurde“ (Reinhard 1996:317). Trotzdem hatte das Vorhaben nur in Bezug auf Somalia Erfolg, das 1950 für die Dauer von zehn Jahren in italienische Treuhandschaft gegeben wurde. Anschließend wurde es mit den ehemals britischen Gebieten zur unab-hängigen Republik Somalia vereinigt. Libyen wurde bereits 1951 unter Führung der Senussi-Gemeinschaft unabhängig. Ein Jahr später wurde Eritrea Äthiopien angeschlossen, wobei ihm ein Autonomiestatus erhalten blieb. Nach einem Aufstand der „Eritreischen Befreiungsfront“ erlangte Eritrea 1993 als letzte der ehemaligen italienischen Kolonien die Unabhängigkeit.

(vgl. Ansprenger 2002:95 ff.; Fage/Oliver1984:16 ff.; Del Boca 1982:591 f.; Fage/Oliver 1985:739 ff.; ders. 1992:41 ff.; 62 ff.; Gann/Duignan 1969-75:18; 247; Kacza 1993:85; Loth 1979: 114 ff.; Reinhard 1996:316 f.)

III. Italiens vorkolonialer Blick auf Afrika

Lange vor Italiens Aufstieg zur Kolonialmacht fand der afrikanische Kontinent Eingang in das italienischsprachige Schrifttum – und zwar in Form von Reiseberichten. Sie entstanden im Zuge der seit dem 13. Jahrhundert von Europäern unternommenen Entdeckungsreisen, die anfangs mehrheitlich nach Osten orientiert waren, mit Beginn der großen Seereisen im 15. Jahrhundert aber immer häufiger Afrika zum Ziel hatten.

Die Schilderungen der Entdecker stießen bereits bei ihren Zeitgenossen auf größtes Interesse und fanden literarisch eine Fortsetzung, indem Dichter wie Montaigne, Shakespeare oder Campanella sie in ihren Werken aufgriffen. Ihrem Beispiel folgten weitere Autoren, so dass die frühen, bei den ersten Kontakten mit der überseeischen Welt entstandenen Bilder in der Literatur bis in die Neuzeit nachwirkten. In Bezug auf Afrika sind sie teilweise noch heute präsent, weshalb sie im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Da es sich bei der Ent-deckerliteratur um ein europäisches Phänomen handelt, ist eine Eingrenzung des Unter-suchungsgegenstands vonnöten. Mit Blick auf die im Rahmen dieser Arbeit zu behandelnde Thematik richtet sich das Hauptaugenmerk auf italienische beziehungsweise auf für Italien bedeutsame Texte, die in stofflicher Hinsicht Afrika berücksichtigen. Als Sekundärquellen dienten vorrangig Asor Rosa (1988), Cardona (1986), Hausmann (1992) und Bitterli (1991) für die Reiseberichte sowie Koebner/Pickerodt (1987), Bitterli (1991) und Zaghi (1971) für deren literarisches Fortwirken. Steins (1972), Fanoudh-Siefer (1968) und Sadji (1985) lieferten Einblick in die Imagologie Afrikas.

III.1 Berichte italienischer Entdeckungsreisender

Seit Beginn der Reisen über die Grenzen des christlichen Abendlands hinaus gehörten viele Italiener zur Schar der Entdecker. Unter ihnen war der Franziskaner Giovanni de Piano Carpini, der Mitte des 13. Jahrhunderts auf dem Landweg ins Mongolenreich reiste. Hier ver-suchte er im Auftrag von Papst Innozenz IV. den Großkhan als Verbündeten für die Christen-welt zu gewinnen (vgl. dtv-Lexikon; Seitz 2002/2003). 1271 tat es ihm sein berühmterer Landsmann Marco Polo nach, indem er über Anatolien, Armenien und Persien an den Hof des Khublai Khan reiste.[23] Nach 17 Jahren kehrte er nach Italien zurück, wo er in genuesische Gefangenschaft geriet. Im Gefängnis diktierte er seine Reiseerlebnisse einem Mithäftling namens Rustichello da Pisa, der sie in französischer Sprache niederschrieb. Ihr Le divisament dou monde wurde bald ins Lateinisch und Italienische übersetzt, wo es als Il Milione bekannt wurde. (vgl. Cardona 1986:690 ff.; Malato 2002:98 ff.; Seitz 2002/2003)

Gut 200 Jahre später entdeckte der aus Genua stammende Christoph Kolumbus die ‚neue Welt’, für die sein florentinischer Kollege Amerigo Vespucci zum Namensvetter wurde. Im Unterschied zu den frühen Asienreisenden standen sowohl Kolumbus als auch Vespucci bei ihren Fahrten – ebenso wie alle anderen italienischen Seefahrer – in portugiesischen oder spanischen Diensten. Bis ins 18. Jahrhundert wurden die Übersee-Reisen von den iberischen Königen dominiert, die sich ihre Ansprüche spätestens mit dem 1494 unter Mitwirken des Borgia-Papsts Alexander VI. geschlossenen Vertrag von Tordesillas gesichert hatten. (vgl. Bernecker 1999:16; Europa u. d. K. 1962:51 f.; 91 f.; Hausmann 1994:6; Reinhard 1996:10 ff.; 17 ff.; Seitz 2002/2003)

Die von der Pyrenäen-Halbinsel ausgehenden Unternehmungen stießen in Italien auf reges Interesse. Besonders in den Wirtschaftszentren Venedig, Genua, Florenz und Mailand hoffte man auf die Erschließung neuer Handelswege, Absatzmärkte und Produkte. Dogen, Bankiers und Geschäftsleute investierten sowohl ihr Kapital als auch ihr nautisches Wissen in die Reisen und ließen sich über deren Verlauf anschließend aus erster Hand berichten. Basierend auf den Schilderungen der Reisenden entstanden kaufmännische Kataloge, in denen wichtige Handelsplätze, Waren und Preise verzeichnet waren, sowie Schifferhandbücher mit detaillier-ten Küstenbeschreibungen, so genannte Portolane.[24] Vielfach schilderten die Reisenden auch ihre Begegnungen mit Einheimischen, gefährliche Situationen oder Eindrücke von Flora und Fauna. So entstanden schillernde, aber dennoch informative Berichte, die das europäische Weltbild für Jahrhunderte beeinflussten. (vgl. Asor Rosa 1988:640 ff.; Cardona 1986:689 ff.; Wilpert 1989:759 ff.)

Einer dieser „portolani rivestiti di carne e di polpe“ stammt von Antonio Pigafetta, einem Aristokraten aus Vicenza (Cardona 1986:690). Er nahm an der ersten Weltumseglung des Portugiesen Fernando de Magellan von 1519 bis 1522 teil:

Pigafetta trieb die Neugierde [...]; er hatte genügend Zeit, um zu beobachten, verfügte über genügend Aufnahmebereitschaft, um zu staunen, und er konnte schreiben. Sein Interesse entzündete sich am unerwarteten Vorfall, bei der Betrachtung ungewohnter Erscheinungen der Pflanzen- und Tierwelt, am Kontakt mit so merkwürdigen Menschen [...]. [...] [D]ieses Reisejournal gibt [...] einen eigentümlichen und im Wesentlichen exakten, gerade durch Naivität und Einfachheit des Stils reizvollen Augenzeugenbericht eines historisch bedeutungsvollen Ereignisses; es stellt eine Pionierleistung der Überseeberichterstattung dar [...]. (Bitterli 1991:24)

Pigafetta überarbeitete seinen in Tagebuchform verfassten Bericht nach seiner Rückkehr mehrfach. In Italien wurde er erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem Titel Viaggio atorno il mondo[25] im Rahmen einer Anthologie des Venezianers Giovanni Battista Ramusio publiziert. Ramusio, ein Staatsfunktionär und Diplomat, hatte Texte über Expeditionen nach Afrika, Indien und Amerika gesammelt, übersetzt und kommentiert. Sein von 1550 bis 1559 in Venedig erschienenes Werk Delle navigatione e viaggi enthielt dementsprechend auch bislang unveröffentlichte Reiseberichte, wie den Pigafettas. (vgl. Asor Rosa 1988:642 ff.; Bitterli 1991:24; 239 f.; Cardona 1986:693; Zaghi 1971:V f.)

Nicht nur Antonio, sondern auch der aus derselben Familie stammende Filippo Pigafetta hinterließ im Entdeckungszeitalter seine Spuren, denn mit Relatione Del Reame Di Congo[26] machte er „die portug. Reisebeschreibungen des Entdeckers Duarte Lopez bekannt [...]. Dieser war 1578/87 in Afrika u. gilt nicht gerade als zuverlässig [...]“ [Abkürzungen im Original] (Hausmann 1992:979). Dessen ungeachtet fand Pigafettas Werk, das 1591 in Rom erschien, europaweit Verbreitung. Dazu könnte der Erzählstil des Vicentiners beigetragen haben, soll dieser doch den Auftrag zur Niederlegung der ‚Geschichte des kongolesischen Königreichs’ erhalten haben, um ihr eine angemessene literarische Gestalt zu verleihen (vgl. Asor Rosa 1986:693). Folglich wurde bei Reiseberichten nicht nur auf den Informations-gehalt, sondern auch auf ‚literarische Qualität’ Wert gelegt. (vgl. Asor Rosa 1986:693; ders. 1990-91:1402; Hausmann 1992:979 ff.)

Dies mag auch für das Werk des Venezianers Alvise Ca’ da Mosto gegolten haben, der Mitte des 15. Jahrhunderts im Auftrag Heinrich des Seefahrers Afrikas Küsten erforschte. Zuvor hatte der Kaufmann bereits Fahrten nach Ägypten und Flandern unternommen. Seine Reiseerlebnisse fasste er in drei Büchern zusammen, die 1507 in einem von Fracanzio da Montalboddo herausgegebenen Sammelband erstveröffentlicht wurden.[27] Das Interesse an den Reisen des Venezianers „zu den Flüssen Senega, Sanaga (Senegal), Gambra oder Gambia u. Riogrande [...], nach der afrikanischen Küste ‚vnd den Eylanden des grünen Vorgebürges’ [Abkürzung im Original]“ war so groß, dass bald eine Neuauflage sowie Ausgaben anderer Verleger folgten (Hausmann 1992:403). Außerdem lagen schon 1508 Übertragungen ins Lateinische sowie ins Hoch- und Niederdeutsche vor. Gut 50 Jahre später griff Ramusio den Bericht unter dem Titel Delle navigazioni di messer Alvise da Ca’ da Mosto gentiluomo veneziano wieder auf. (vgl. Asor Rosa 1988:640 f.; Bitterli 1991:81 f.; Cardona 1986:710 f.; Hausmann 1992:400 ff.; 402 ff.)

Zu solchen Texten gesellten sich im 16. Jahrhundert die Berichte der ersten Diplomaten aus der Seerepublik Venedig. Zuvor hatten Teilnehmer an den Kreuzzügen ihre Erlebnisse im Heiligen Land geschildert. Folglich besaßen die Reisenden ganz unterschiedliche Intentionen, die in vielen Fällen Einfluss auf ihre Schilderungen nahmen: So meint man in einem Fall die Stimme eines nautisch interessierten Seemanns, in einem anderen die eines missionarisch tätigen Pilgers zu hören. Gemeinsam ist ihren Berichten aber die überwiegend subjektive Dar-stellung der bereisten Länder und Völker, deren Informationsgehalt sicherlich vom Bildungs-grad des Reisenden abhing. Bezüglich der ethnographischen Angaben lässt sich aus heutiger Sicht ein offensichtlicher Einfluss mittelalterlicher Legenden konstatieren, in denen die außer-halb des christlichen Kulturkreises angeblich lauernden Fabelwesen beschrieben wurden. Die Ursprünge einer solchen Weltsicht lassen sich, insbesondere in Bezug auf Afrika, weit zurückverfolgen: „Seit der Antike war ‚Africa portentosa’ ein geheimnisvoller, schrecken-erfüllter und mit Ungeheuern bevölkerter Erdteil [...]“ (Steins 1972: 24).[28] Dieses Bild wurde in den alttestamentarischen Schriften intensiviert; denke man nur an die Genealogie der Söhne Chams (Gen. 10,6-20) oder die Rolle Ägyptens. (vgl. Cardona 1986:687 ff.; Daemmrich/ Daemmrich 1985:142 f.; Seitz 2002/2003)

Hierzu kamen nun die Schilderungen von Entdeckungsreisenden, die fremdartige Menschen und Landschaften entweder unreflektiert dokumentierten oder im Rahmen damals gängiger Kategorien bewerteten. Andere zollten gar der großen Nachfrage nach Reisejournalen Tribut, indem sie ihre Texte mit fantastischen Details anreicherten. Damit gleichen „die Reisebe-schreibungen aus der Zeit vor 1700“ speziell im Falle Afrikas „jenen Kuriositätenkabinetten, welche um dieselbe Zeit in Europa in Mode kamen“ (Bitterli 1970: 59).

Eine Ausnahme bildeten lediglich die Schriften arabischer Reisender des Hoch- und Spät-mittelalters, die aufgrund ihres ethnographisch-geographischen Informationsgehalts auch heute noch Beachtung finden. Bei den Verfassern handelte es sich meist um Gelehrte, wie den am Hof Rogers II. in Sizilien lebenden Al Idrisi, der 1154 „die wohl wichtigste mittel-alterliche [...] Erdbeschreibung“ verfasste (Kohl 1993:101).

Ein weiterer arabischer Berichterstatter war Leo Africanus:

Um 1490 in Granada geboren, war er vor der spanischen Reconquista nach Tunis geflohen, hatte zunächst als Händler und später als Gesandter Nord- und Westafrika sowie den gesamten östlichen Mittelmeerraum bereist und war schließlich, nachdem ihn Piraten auf einer seiner Reisen gefangengenommen hatten, an den Medici-Papst Leo X. verkauft worden, an dessen Hof er seine [...] Beschreibung Afrikas verfaßte. (Kohl 1993:101)

Die Aufzeichnungen des Mauren dienten noch im 19. Jahrhundert als Basis für alles Wissen über die Bevölkerung im nord- und westafrikanischen Hinterland. Bereits 1526 wurden sie vom Arabischen ins Italienische übersetzt. Erstmals veröffentlich und einem größeren Publi-kum zugänglich gemacht wurde Africanus’ Descrizione dell’Africa in Ramusios Anthologie. Europaweite Verbreitung fand sie jedoch erst im 18. Jahrhundert anhand einer französischen Übersetzung. Daran ist nichts Ungewöhnliches, denn die Rezeption arabischer Gelehrter er-folgte in Europa üblicherweise erst im Zuge der Aufklärung. Bis dahin orientierte man sich an den Schriften der Antike.[29] (vgl. Ansprenger 2002:33; Bitterli 1970:37 ff.; ders. 1991:43 ff.; Cardona 1986: 693; Kohl 1993:100 f.)

Somit muss es kaum verwundern, dass die Mehrzahl der Europäer mit Afrika bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchweg negative Assoziationen verband.[30] Afrika galt als un-wirtliches und wüstenähnliches Gebiet, dessen Bewohner als akephale Menschen oder anthro-pomorphe Mischwesen, als Monster oder Kannibalen dargestellt wurden:

[L]’immagine dell’Africa ricorrente in Europa era quella d’un continente popolato di bestie feroci, scarsamente abitato, coperto di deserti e di foreste, divorato in gran parte da temperature spaventose e da malattie crudeli [...]: una scatola, insomma, ancòra ermeticamente chiusa, sul contenuto della quale erano possibili tutte le fantasie, le esagerazioni e le paure di questo mondo. (Zaghi 1971:I)

Dieses Konzept besaß nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa Gültigkeit, weil allerorten ähnliche oder gar identische Quellen rezipiert wurden. So zeugt unter anderem die erste anglophone Reiseberichtsammlung The Principall Navigations, Voiages, Traffiques and Discoveries of the English Nation (1589-1600) von der Verbreitung einzelner Texte über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus (vgl. Bitterli 1991:240). Sie wurde vom Geistlichen Richard Hakluyt nach dem Vorbild Ramusios verfasst und enthält zahlreiche Schriften französischer Herkunft. (vgl. Bitterli 1991:43 ff.; Daemmrich/Daemmrich 1985:142 f.; Kohl 1993:100 f.; Seitz 2002/2003; Steins 1972:22 ff.; Zaghi 1971:448 f.)

III.2 ‚Exotische’ Reise- und Abenteuerliteratur

Die Werke der Entdeckungsreisenden gehörten seit dem 16. Jahrhundert zum allgemeinen Lektürekanon und wurden so zu Inspirationsquellen für Philosophie, Politik, Bildenden Kunst und Literatur. Dies zeigt sich am Beispiel Montaignes und Shakespeares:

[N]egli Essais di Montaigne vi sono delle citazioni che risaltano per la provenienza, esotica e contemporanea, rispetto all’abituale materiale clas-sico [...]. È facile verificare che il veneziano citato è Cesare Federici e che [...] le [...] notizie sono la traduzione letterale di passi del suo Viaggio. Un dato minuto [...] ci mostra che Shakespeare deve aver letto con grande attenzione le relazioni di Antonio Pigafetta: l’invocazione di Calibano nella Tempest [...].” (Cardona 1986:711 f.).

Beide Dichter ließen also – ähnlich wie Homer in seiner Odyssee – Schilderungen über ferne Länder und fremde Sitten in ihre Werke einfließen (vgl. Daemmrich/Daemmrich 1985:140 ff.; Wilpert 1989:277). Ebenso verfuhren Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus, FranVois Rabelais, Miguel de Cervantes und andere (vgl. Bitterli 1991:303). Inwieweit dieses Phänomen bei italienischen Autoren verbreitet war, scheint bis heute kaum Gegenstand der Forschung gewesen zu sein. Doch weist beispielsweise Tommaso Campanellas Città del Sole klare Bezüge zur Entdeckerliteratur auf:

[...]


[1] Im Rahmen dieser Einführung sollen lediglich ausgewählte Angaben zum italienischen Kolonialreich in Afrika gemacht werden. Eine ausführlichere Darstellung seiner zeitlichen und geographischen Ausdehnung findet sich, ebenso wie die wichtigsten Charakteristika der italienischen Kolonialpolitik, im Überblick über die historischen Hintergründe in Kapitel II.

[2] Die Zahl stützt sich auf Mack Smith (1976) und Rochat (1991), gilt aber als nicht gesichert. Hierzu finden sich ebenfalls in Kapitel II weitere Ausführungen.

[3] Letteratura-Esotismo-Colonialismo wurde 1978 in Bologna veröffentlicht. Autoren sind die Politologinnen Anita Licari und Roberta Maccagnani sowie Lina Zecchi, eine wissenschaftliche Assistentin an der Universität Venedig. Sie untersuchen Voyage au Congo von André Gide, Les Immémoriaux von Victor Segalen sowie Werke Pierre Lotis. Als Auswahl von Literaturgeschichten, in denen Kolonialliteratur kaum Erwähnung findet, seien Ferroni (1991), Kapp (1994), Manacorda (1980), Petronio (1967), Spagnoletti (1985) und Wittschier (1985) genannt.

[4] Eine ausführlichere Definition von Kolonialliteratur, auch in ihrer Abgrenzung zur exotischen Literatur, wird in Kapitel V vorgenommen.

[5] Eine umfassende Definition findet sich in Kapitel III.2.

[6] Die Angaben des zweiten Kapitels stützen sich hauptsächlich auf Fage/Oliver (1975-1992), Ansprenger (2002), Boahen (1985), Matthies (1997) und Loth (1979). Ergänzende Informationen zum Kolonialismus beziehungs-weise zur italienischen Kolonialpolitik fanden sich bei Reinhard (1996), Clark (1984), Lowe/Marzari (1975), Gann/Duignan (1969-75) sowie Europa und der Kolonialismus (1962). Letztgenanntes Werk wird in der Folge unter dem Kurztitel Europa u. d. K. zitiert. Des Weiteren erwiesen sich die Lemmata „Colonia“ beziehungsweise „Colonizzazione“ in der Enciclopedia Italiana (1931) als aufschlussreich, da sie die Sichtweise des italienischen Kolonialismus im imperialistischen Zeitalter wiederspiegeln. Vergleichbare Einblicke bot Croce (1928).

[7] Im Folgenden werden sie mit Seitz (2000) beziehungsweise Seitz (2002/2003) zitiert.

[8] Die saisonalen Emigranten zogen unter anderem ins Deutsche Kaiserreich, wo sie Anfang des 20. Jahrhundert „regelmäßig über 80% der Emigranten“ ausmachten (Del Fabbro 1991:75). Sie stammten „aus den Landschaften Lombardei, Emilia, Toskana und vor allem Venetien [...]; die Veneter stellten jeweils circa 50% der Deutsch-landwanderer Italiens“ (Del Fabbro 1991:75).

[9] Über diese Zahlen finden sich widersprüchliche Angaben: Fage/Oliver (1985) sprechen von insgesamt 15 000 Europäern, von denen jeweils 7 000 aus Italien und Malta stammten (vgl. Fage/Oliver 1985:174). Lowe/ Marzari (1975) nennen für das Jahr 1880 Zahlen zwischen 9 000 und 30 000, Albertini (1985) für 1921 die Zahl 1565 (vgl. Albertini 1985:223; Lowe/Marzari 1975:6). Sicher ist jedoch, dass Italien im französisch besetzten Tunesien die größte Zahl von Emigranten stellte (vgl. Boahen 1985:422; Fage/Oliver 1985:182 f.).

[10] Eine ausführlichere Darstellung des italienischen Einigungsprozesses und seiner Folgen würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigen. Deshalb sei auf entsprechende Sekundärliteratur verwiesen, zum Beispiel J. A. DAVIS u. P. GINSBORG: Society and Politics in the Age of the Risorgimento. Cambridge, 1991.; H. HEARDER: Italy in the Age of the Risorgimento 1790-1870. London-New York, 1983.; RUDOLF LILL: Geschichte Italiens vom 16. Jahrhundert bis zu den Anfängen des Faschismus. Darmstadt, 1986.

[11] In Ostafrika blühte der Waffenhandel, da sich der äthiopische Kaiser Yohannes IV. in den 1870-er Jahren einer Invasion der Ägypter sowie den Expansionsbestrebungen des Amharen Sahle Mariam (später: Menelik II.) erwehren musste. An die Stelle Ägyptens traten bald europäische Kolonialmächte. Von der bis zum Tod des Kaisers im Jahr 1889 anhaltenden Konfliktsituation profitierten vor allem italienische Waffenhändler. (vgl. Fage/ Oliver 1985:39; 645 ff.; 651; Matthies 1997:19 f.; 27 ff.; 44; 159)

[12] Eine Erörterung der Hintergründe und Ideologien des Imperialismus ist in vorliegender Arbeit nicht möglich. Zu nennen wären evolutionistische Tendenzen, die Industrialisierung oder auch der ‚Missionierungsgedanke’. Vgl. W.J. MOMMSEN: Imperialismustheorien. Göttingen, 1987.; ders./J. OSTERHAMMEL (Hg.): Imperialism and After, Continuities and Discontinuities. London, 1986.; J. A. HOBSON: Der Imperialismus. Köln, 1968.; W. REINHARD (Hg.): Imperialistische Kontinuität und nationale Ungeduld im 19. Jhdt. Frankfurt, 1991.

[13] Auf Motive und Propaganda des italienischen Kolonialismus’ wird in Kapitel V ausführlich eingegangen.

[14] Der Seeweg nach Indien war nur einer der Gründe für das Interesse an Afrika, denn „[n]eben den durchaus ernstzunehmenden Motiven Glaubenskampf und Ruhmbegier [...] dürften [...] auch ökonomische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben“ (Reinhard 1996:12). Ein weiteres war die Suche nach dem christlichen Priesterkönig Johannes, der Unterstützung im Kampf gegen den Islam hätte bieten können. Über seine Existenz wurde seit Mitte des 12. Jahrhunderts gemutmaßt. (vgl. Matthies 1997:29 ff.; Reinhard 1996:12 ff.; Seitz 2002/03)

[15] Am Menschenhandel waren auch afrikanische Zwischenhändler beteiligt, die Bewohner des Landesinneren unter Vorwänden oder Gewaltanwendung rekrutierten, um sie bei Kapitänen der Sklavenschiffe gegen Waffen und Alkohol einzutauschen. Auf diese Weise wurden bis 1870 zwischen zehn und 15 Millionen Sklaven expor-tiert. Es bestand ein „Wirtschaftssystem, das schematisiert als ‚Dreieckshandel’ bezeichnet werden kann. Euro-päische Schiffe brachten Waren nach Afrika, Sklaven von dort nach Amerika und Zucker von Amerika nach Europa“ (Reinhard 1996:80). (vgl. auch Ansprenger 2002:45 ff.; Reinhard 1996:88 ff.; 229 ff.; Seitz 2000)

[16] Dies galt nur für Gebiete innerhalb ihres Einflussbereichs, der südlich des Äquators endete: „Von Angola aus in Richtung Brasilien ging der Handel mit Sklaven fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch weiter. Befreit wur-den die Sklaven in den USA erst mit dem Bürgerkrieg 1861-65, im damals noch spanischen Cuba 1886, schließ-lich in Brasilien 1888.“ (Ansprenger 2002:50). Angolas Küste befand sich damals in portugiesischer Hand.

[17] Italien spielte auf internationaler Ebene eine unbedeutende Rolle, da sein politisches Potential durch Staatsver-schuldung und wirtschaftliche Rückständigkeit gering schien. Anders als Frankreich galt es im kolonialen Wett-streit nicht als unmittelbarer Konkurrent. (vgl. Clark 1984:47; Lowe/Marzari 1975:3 f.; Schieder 1968:404) Dementsprechend selten fanden italienische Forderungen in der europäischen Staatenwelt Gehör: E della lode di saggezza, di prudenza e di abilità dovette contentarsi l’Italia [...] come uno che proceda grave e lento e dignitoso non per altro che per avere inferme le gambe; ma anche questa dubbia lode le venne meno per effetto [...] dei maneggi del congresso di Berlino, dal quale tutte le potenze europee uscirono con ingrandimenti territoriali […] laddove l’Italia non ottenne neppure quello che […] chiedeva […]. (Croce 1928:113 f.) Dieses Zitat verdeutlicht die Verbitterung der Italiener, die den italienischen Nationalisten Zulauf bescherte.

[18] Die Italiener benannten das Gebiet nach Erythraeum mare, dem lateinischen Namen für den nordwestlichen Teil des Indischen Ozeans (Persischer Golf, Golf von Oman, Arabisches Meer, Golf von Aden und Rotes Meer). Bei den Griechen hieß das Gebiet ’EruJraioV pontoV. Sowohl „erythraeus“ als auch „eruJraioV“ bedeuten „rötlich“, was vermutlich mit der Farbe des Sandes in jener Region in Zusammenhang steht (vgl. Battaglia 1968:248). In vorkolonialer Zeit trug Eritrea den Namen Mareb Mellash (‚Land jenseits des Mareb’) oder Medri Bahri (‚Land am Meer’) (vgl. Matthies 1997:91). Die italienische Namensgebung offenbart somit das bewusste Anknüpfen der Kolonialmacht Italien an antike Traditionen.

[19] Als Initialmoment muss wohl der Beginn der zweiten Marokko-Krise gesehen werden: „When the Agadir crisis blew up in July 1911, it was clear that the French were consolidating their rule in Morocco. It was time for the Italians to act. Giolitti had to assert Italy’s claims in Tripolitania, before the French stepped in there too.“ (Clark 1984:153). Eine Rolle spielten außerdem innenpolitische Erwägungen, da der Libyen-Feldzug von konservativ-nationalistischen Kreisen bereits lange gefordert worden war. Außerdem war Konstantinopel zu jener Zeit durch einen politischen Machtwechsel geschwächt. (vgl. Boahen 1985:94 ff.; Clark 1984:153 ff.; Fage/Oliver 1992: 284 f.; Goglia/Grassi 1981:140 ff.; Maltese 1976:10; Schieder 1968:420)

[20] Die Konferenz wurde vom 15. November 1884 bis 26. Februar 1885 unter dem Vorsitz Otto von Bismarcks abgehalten und widmete sich einer Aufteilung des afrikanischen Kontinents in ‚Interessenssphären’ der Kolo-nialmächte – ohne Konsultation der indigenen Herrscher. Die 13 europäischen Teilnehmerstaaten sowie die USA und das Osmanische Reich einigten sich außerdem auf die Festlegung von Kriterien für eine eventuelle völker-rechtliche Anerkennung der erworbenen Kolonien. Die Folge war der „scramble for Africa“. (vgl. Ansprenger 2002:75 ff.; Boahen 1985:29 ff.; Brockhaus 1999:270 ff.; Reinhard 1996:250 ff.)

[21] Die Glaubensgemeinschaft der Senussi wurde 1833 von Mohammed ibn Ali es-Senussi in Mekka gegründet. Sie galt als fundamentalistisch sowie europäer- und christenfeindlich. Kurz nach ihrer Gründung verlegte sie ihren Sitz nach Libyen, ab 1895 nach Kufra. Hier erfuhren sie große Unterstützung durch die Bevölkerung: I libici ebbero un’opinione comune riguardo l’invasione italiana: non era possibile alcun compromesso sul territorio e sui principi religiosi, per cui occorreva difendere la propria fede ed ogni palmo del paese. Questa fu l’idea dominante del movimento del Jehad, che dette origine all’immediata fusione tra i libici ed i volontari turchi, ai quali si unirono [...] molti arabi e dei musulmani provenienti da vari paesi [...]. (Al-Hesnawi 1991:38) Damals wurden die Senussi von Mohammed Idris angeführt. (vgl. dtv-Lexikon 1992; Mack Smith 1976:36)

[22] „L’aviazione fu [...] protagonista della guerra chimica col lancio di quasi 300 tonnellate di bombe all’iprite sul fronte eritreo e di 44 tonnellate di iprite e fosgene in Somalia, generalmente sulle retrovie abissine [...]” (Rochat 1991:185). (vgl. hierzu auch Clark 1984:280 ff.)

[23] Laut Seitz (2002/2003) bestehen in jüngerer Zeit Zweifel daran, ob Marco Polos Reisen jemals stattgefunden haben. Tatsächlich nennen chinesische Quellen weder seinen Namen noch den seines Vaters oder seines Bru-ders, die ihn nach Asien begleitet haben sollen. Vgl. hierzu WOOD, FRANCES: Did Marco Polo go to China? London, 1996.; MÜNKLER, MARINA: Marco Polo. Leben und Legende. München, 1998.

[24] Die Portolane des Mittelalters folgen einer antiken Tradition: So soll der Grieche Skylax aus Karyanda im 6. Jahrhundert v. Chr. im Auftrag des persischen Herrschers Dareios die Küste von Indien bis Ägypten erforscht und beschrieben haben. Seine Berichte wurden im 4. Jahrhundert v. Chr. kompiliert und sind heute als Periplus bekannt. Diese Bezeichnung diente in der Folge als Gattungsbegriff für ähnliche Küstenbeschreibungen, wie der Periplus des Pytheas aus Massalia, der um 330 v. Chr. von Massalia (heute: Marseille) über Spanien bis zu den Shetland-Inseln reiste. Seine Erkenntnisse fasste er in seinem Peri Okeanu zusammen. (vgl. Wilpert 1989:760)

[25] Der vollständige Titel lautet Viaggio atorno il mondo fatto e descritto per messer Antonio Pigafetta vicentino, cavalier di Rhodi, e da lui indrizzato al reverendissimo gran maestro di Rhodi messer Filippo di Villiers Lisleadam, tradotto di lingua francese nella italiana (vgl. Asor Rosa 1988:642 f.).

[26] Der vollständige Titel lautet Relatione Del Reame Di Congo Et Delle Circonvicine Contrade Tratta dalli Scritti & ragionamenti di Odoardo Lopez Portoghese. Per Filippo Pigafetta Con disegni vari di Geografia, di piante, d’habiti, d’animali, & altro. Daran schloss sich eine Widmung sowie der Name des Verlegers an. (vgl. Hausmann 1992:979)

[27] Montalboddos Paesi novamente retrovati, et Novo Mondo da Alberico Vesputio Florentino intitulato bietet einen Überblick über die wichtigsten Entdeckungsfahrten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, unter anderem über Reisen des Vasco da Gama, Alvares Cabral sowie Christoph Kolumbus. Die Anthologie war bei den Lesern so beliebt, dass bis 1519 fünf Neuauflagen sowie Übersetzungen ins Lateinische, Deutsche und Französische vorlagen. (vgl. Asor Rosa 1988:645; Cardona 1986:710 f.; Hausmann 1992:402 f.)

[28] Die Bezeichnung ‚Africa portentosa’ ist meiner Meinung nach nicht zwingend oder ausschließlich pejorativ zu interpretieren, leitet sich das lateinische ‚portentosus’ doch von ‚portentum’ ab, das sowohl mit ‚Missgeburt, Scheusal’ als auch mit ‚Wunderzeichen, Wunder’ zu übersetzen ist (vgl. Battaglia 1968; Der kleine Stowasser). Dies deutet auf eine ambivalente Haltung hin, wie sie die Römer den ‚Barbaren’ außerhalb ihres Reichs üblicherweise entgegenbrachten (vgl. Daemmrich/Daemmrich 1995:111; Kohl 1993:100).

[29] Eine der wichtigsten Quellen waren die Werke des griechischen Historiographen Herodot (ca. 490-430), der Reisen nach Ägypten, Libyen, Persien und Unteritalien unternommen hatte: „Seine Beschreibungen der dortigen Völkerschaften, die er in Form von Exkursen in seine historischen Abhandlungen einschob, [...] galten in der Antike, im Mittelalter und auch noch in der frühen Neuzeit als vorbildhaft.“ (Kohl 1993:100). (vgl. Bitterli 1970:37 f.; ders. 1991:43; Kohl 1993:100)

[30] Der Imagologie Afrikas widmen sich zahlreiche Arbeiten, wie Steins (1972), Sadji (1985) und Fanoudh-Siefer (1968). Zu nennen wären außerdem BEVERLEY ANN HARRIS-SCHENZ: Images of the Black in eighteen-century German Literature. Standford, 1977. sowie SEYMOUR L. GROSS u. J. E. HARDY (Hg.): Images of the Negro in American Literature. Chicago, 1966.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832481025
ISBN (Paperback)
9783838681023
DOI
10.3239/9783832481025
Dateigröße
1.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Philosophische Fakultät
Erscheinungsdatum
2004 (Juli)
Note
1,5
Schlagworte
kolonialliteratur kolonialherrschaft imagologie reiseliteratur bacchelli
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Titel: Afrika in Italien
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