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Schaffen die aktuellen Steuerreformvorschläge mehr Beschäftigung und Zufriedenheit?

©2004 Diplomarbeit 133 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
The permanent problem of mankind is learning to live well (Keynes 1931). Der Ruf nach einer großen Steuerreform in Deutschland ist aktueller denn je. Nach jahrelangen punktuellen Veränderungen des aktuellen Steuersystems scheint die Überzeugung bei fast allen politischen Parteien gewachsen zu sein, dass ein Neuanfang oder zumindest ein gravierender Systemwechsel notwendig geworden ist. Entwürfe für eine große Steuerreform werden unter Ökonomen bereits seit Jahren diskutiert.
Mittlerweile haben sich auch in der breiten Öffentlichkeit drei Alternativen herauskristallisiert, die besonders große Chance auf die Umsetzung haben: Der auf die Initiative von dem ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof zurückgehende „Karlsruher Entwurf“ (bzw. Kirchhof-Modell) ist sicherlich das prominenteste Konzept der nicht von Parteien stammenden Vorschläge und liegt als einziger Vorschlag bereits beschlussfähig als Gesetzestext vor. Die CDU hat sich per Parteitagsbeschluss hinter das von Friedrich Merz erarbeitete Steuerreform-Konzept (Merz-Konzept) gestellt. Sogar die Bundesregierung selber plant offenbar neben der aktuellen Steuerreform, deren Endstufe 2005 in Kraft treten wird, weitere gravierende Veränderungen. So ließ der Bundesfinanzminister Hans Eichel verlauten, dass zurzeit an einem Vorschlag auf Basis der vom Sachverständigenrat favorisierten Dualen Einkommenssteuer gearbeitet werde.
Angesichts der großen politischen Bedeutung der Diskussion über die Steuerreformvorschläge erhofft sich die Politik offensichtlich einen entscheidenden Beitrag einer großen Steuerreform zur Lösung der vordringlichsten Probleme dieses Landes, insbesondere des Abbaus der hohen Arbeitslosigkeit.
Diese Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, Politiker in Ihrer Entscheidung für das „richtige“ Steuersystem zu unterstützen. Deshalb findet die Diskussion in einem möglichst realitätsnahen Modellrahmen statt, der unmittelbar auf die Situation in Deutschland zugeschnitten ist. Entgegen der üblichen Vorgehensweise bei einer ökonomischen Analyse beschränkt sich diese Arbeit auch nicht nur auf eine rein wohlfahrtstheoretische Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Steuerreformvorschläge. Stattdessen werden durch die Einbeziehung der Zufriedenheitstheorie auch weitere (sozialpolitische) Ziele wie zum Beispiel die Förderung von Kindern und Familie berücksichtigt, die üblicherweise die Entscheidungen von Politikern beeinflussen und in der Realität eine […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8068
Wysk, Karsten: Schaffen die aktuellen Steuerreformvorschläge mehr Beschäftigung und
Zufriedenheit?
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Diplomarbeit, 2004
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Gliederung
EINFÜHRUNG
- 1 -
1.
A
RBEITSLOSIGKEIT IN
D
EUTSCHLAND
-
3
-
2.
Z
UFRIEDENHEIT IN
D
EUTSCHLAND
-
6
-
3.
A
UFBAU DER
A
RBEIT
-
7
-
1. KAPITEL: DAS DERZEITIGE STEUERSYSTEM
- 9 -
1.1.
G
RUNDPRINZIPIEN DES DEUTSCHEN
S
TEUERSYSTEMS
-
9
-
1.2.
Ü
BERBLICK ÜBER DIE WICHTIGSTEN
S
TEUERN
-
12
-
1.2.1.
A
RBEITSSTEUERN
-
13
-
1.2.2.
K
APITALSTEUERN
-
15
-
1.2.3.
Z
USAMMENFASSUNG
-
16
-
1.3.
D
ISKUSSION DES DERZEITIGEN
S
TEUERSYSTEMS
-
17
-
1.3.1.
H
ÖHE DER
S
TEUERBELASTUNG
-
18
-
1.3.2.
F
AKTORBESTEUERUNGSVERHÄLTNIS
-
21
-
1.3.3.
U
MVERTEILUNG
-
23
-
1.3.4.
K
OMPLEXITÄT
-
25
-
1.3.5.
E
FFIZIENZ
-
29
-
2. KAPITEL: DIE STEUERREFORMVORSCHLÄGE
- 33 -
2.1.
K
URZÜBERSICHT ÜBER DIE UNTERSUCHTEN
S
TEUERREFORMVORSCHLÄGE
-
34
-
2.1.1.
K
IRCHHOF
(K
ARLSRUHER
E
NTWURF
) -
35
-
2.1.2.
M
ERZ
-K
ONZEPT
(CDU) -
36
-
2.1.3.
S
ACHVERSTÄNDIGENRAT
(D
UALE
E
INKOMMENSSTEUER
,
SPD) -
37
-
2.2.
D
ISKUSSION DER
S
TEUERREFORMVORSCHLÄGE
-
38
-
2.2.1.
H
ÖHE DER
S
TEUERBELASTUNG
-
38
-
2.2.2.
F
AKTORBESTEUERUNGSVERHÄLTNIS
-
39
-
2.2.3.
U
MVERTEILUNG
-
41
-
2.2.4.
K
OMPLEXITÄT
-
42
-
2.2.5.
E
FFIZIENZ
-
45
-
2.3.
Z
USAMMENFASSUNG
-
47
-
3. KAPITEL: DIE BESCHÄFTIGUNGSWIRKUNG DER
STEUERREFORMVORSCHLÄGE
- 48 -
3.1.
S
TEUERN UND
B
ESCHÄFTIGUNG
-
48
-
3.2.
DIE
(
NEO
-)
KLASSISCHE
E
MPFEHLUNG
-
50
-
3.3
D
AS
A
RBEITSMARKTMODELL DIESER
A
RBEIT
-
55
-
3.3.1.
DER GEWERKSCHAFTLICH ORGANISIERTE
A
RBEITSMARKT
-
56
-
3.3.2.
A
RBEITSLOSIGKEIT
/
S
CHWARZARBEITSSEKTOR
-
58
-
3.3.3.
GRAPHISCHE
D
ARSTELLUNG
-
59
-
3.4.
A
NALYSE DER
B
ESCHÄFTIGUNGSWIRKUNG
-
60
-
3.4.1.
H
ÖHE DER
S
TEUERBELASTUNG
-
60
-

3.4.1.1.
S
ENKUNG DER
A
RBEITSSTEUER
-
61
-
3.4.1.2.
S
ENKUNG DER
K
APITALSTEUER
-
62
-
3.4.1.3.
W
OHLFAHRTSANALYSE DER
S
TEUERSENKUNGEN
-
64
-
3.4.2.
F
AKTORBESTEUERUNGSVERHÄLTNIS
(FBV) -
65
-
3.4.2.1.
FBV
IM
G
EWERKSCHAFTSSEKTOR BEI KONSTANTEN
N
ETTOLÖHNEN
-
65
-
3.4.2.2.
FBV
MIT ENDOGENEN
L
OHNVERHANDLUNGEN
-
73
-
3.4.2.2.1.
R
IGHT
-T
O
-M
ANAGE
-M
ODELL ALS
N
ASH
-V
ERHANDLUNGSSPIEL
-
73
-
3.4.2.2.2.
F
AIRNESSMODELL NACH
R
EUTTER
-
78
-
3.4.2.3
FBV
UNTER
E
INBEZIEHUNG DES
S
CHWARZMARKTSEKTORS
-
84
-
3.4.3.
U
MVERTEILUNG
-
89
-
3.5.
B
EWERTUNG DER
S
TEUERREFORMVORSCHLÄGE
-
94
-
4. KAPITEL: DIE ZUFRIEDENHEITSWIRKUNG DER
STEUERREFORMVORSCHLÄGE
- 96 -
4.1.
E
INFÜHRUNG IN DIE
Z
UFRIEDENHEITSTHEORIE
-
96
-
4.2.
H
AUPTDETERMINANTEN DER
Z
UFRIEDENHEIT
-
101
-
4.2.1.
VERFÜGBARES
E
INKOMMEN
-
101
-
4.2.2.
A
RBEITSSTATUS
-
102
-
4.2.3.
F
AIRNESS
-
103
-
4.2.4.
GEMEINSAME
F
REIZEIT
-
104
-
4.2.5.
K
INDER
-
104
-
4.2.6.
Z
USAMMENFASSUNG
-
105
-
4.3.
D
AS
F
AIRNESS
-M
ODELL ALS
Z
UFRIEDENHEITSMODELL
? -
106
-
4.4.
A
NALYSE DER
Z
UFRIEDENHEITSWIRKUNG
-
108
-
4.4.1.
U
MVERTEILUNG
-
108
-
4.4.2.
K
OMPLEXITÄT
-
109
-
4.4.3.
E
FFIZIENZ
-
110
-
4.5.
B
EWERTUNG DER
S
TEUERREFORMVORSCHLÄGE
-
114
-
5. KAPITEL: ABSCHLIEßENDE DISKUSSION
- 116 -
LITERATURVERZEICHNIS
- 121 -

E
I N F Ü H R U N G
- 1 -
The permanent problem of mankind is learning to live well.
Keynes (1931)
Einführung
Der Ruf nach einer großen Steuerreform in Deutschland ist aktueller denn je. Nach
jahrelangen punktuellen Veränderungen des aktuellen Steuersystems scheint die
Überzeugung bei fast allen politischen Parteien gewachsen zu sein, dass ein Neuanfang
oder zumindest ein gravierender Systemwechsel notwendig geworden ist. Entwürfe für
eine große Steuerreform werden unter Ökonomen bereits seit Jahren diskutiert.
Mittlerweile haben sich auch in der breiten Öffentlichkeit drei Alternativen
herauskristallisiert, die besonders große Chance auf die Umsetzung haben: Der auf die
Initiative von dem ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof
1
zurückgehende
,,Karlsruher Entwurf" (bzw. Kirchhof-Modell) ist sicherlich das prominenteste Konzept der
nicht von Parteien stammenden Vorschläge und liegt als einziger Vorschlag bereits
beschlussfähig als Gesetzestext vor. Die CDU hat sich per Parteitagsbeschluss
2
hinter das
von Friedrich Merz erarbeitete Steuerreform-Konzept (Merz-Konzept) gestellt. Sogar die
Bundesregierung selber plant offenbar neben der aktuellen Steuerreform, deren Endstufe
2005 in Kraft treten wird, weitere gravierende Veränderungen. So ließ der
Bundesfinanzminister Hans Eichel
3
verlauten, dass zurzeit an einem Vorschlag auf Basis
der vom Sachverständigenrat favorisierten Dualen Einkommenssteuer gearbeitet werde.
4
Angesichts der großen politischen Bedeutung der Diskussion über die
Steuerreformvorschläge erhofft sich die Politik offensichtlich einen entscheidenden Beitrag
1
Der sich in seiner Zeit als Verfassungsrichter (1987-99) schon häufiger mit dem Steuersystem
auseinandergesetzt hat: So war er maßgeblich an der Aufhebung der Vermögensteuer zum 31.12.1996
beteiligt und veranlasste die Politik zum Beschluss höherer Grundfreibeträge.
2
Beschluss B1 des 17. Parteitags der CDU 2003
3
Vgl. Artikel in der FAZ (2003)
4
Weitere erwähnenswerte Steuerreformvorschläge wurden von der FDP (2003) und dem Heidelberger
Professor Rose et. al (2003, Stichwort Einfachsteuer) vorgestellt.

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- 2 -
einer großen Steuerreform zur Lösung der vordringlichsten Probleme dieses Landes,
insbesondere des Abbaus der hohen Arbeitslosigkeit.
5
Diese Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, Politiker in Ihrer Entscheidung für das
,,richtige" Steuersystem zu unterstützen. Deshalb findet die Diskussion in einem möglichst
realitätsnahen Modellrahmen statt, der unmittelbar auf die Situation in Deutschland
zugeschnitten ist. Entgegen der üblichen Vorgehensweise bei einer ökonomischen Analyse
beschränkt sich diese Arbeit auch nicht nur auf eine rein wohlfahrtstheoretische
Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Steuerreformvorschläge. Stattdessen werden durch die
Einbeziehung der Zufriedenheitstheorie auch weitere (sozialpolitische) Ziele wie zum
Beispiel die Förderung von Kindern und Familie
6
berücksichtigt, die üblicherweise die
Entscheidungen von Politikern beeinflussen und in der Realität eine wichtige Rolle spielen.
Anders formuliert untersucht diese Arbeit den Einfluss der Steuerreformvorschläge auf die
Zufriedenheit der Bürger in Deutschland, deren Maximierung Aufgabe eines jeden
demokratischen Staates sein sollte.
7
Die Verringerung der Arbeitslosigkeit spielt dabei als
einer der Hauptdeterminanten der Zufriedenheit eine wichtige Rolle.
Durch diesen Ansatz sind die Resultate der Analyse nach Überzeugung des Autors besser
auf die Realität anwendbar, als dies bei der klassischen ökonomischen Vorgehensweise der
Fall wäre. Die Ergebnisse der Analyse sollten die Politik ermutigen: Eine echte große
Steuerreform führt in der Tat zu mehr Beschäftigung und Zufriedenheit.
5
,,Unser wichtigstes Ziel ist der Abbau der Arbeitslosigkeit" (aus dem Koalitionsvertrag der rot-grünen
Bundesregierung vom 20.10.1998). Auch in der Präambel des Koalitionsvertrages vom 16.10.2002 wird der
Abbau der Arbeitslosigkeit als eines von vier ,,überragenden" Ziele genannt.
6
Deren Förderung in der Präambel des Koalitionsvertrages vom 16.10.2002 als zweites der 4 überragenden
Ziele genannt wird.
7
Die Erhöhung der Zufriedenheit ist auch im ganz eigenen Interesse der Politiker einer Demokratie, da
angenommen werden kann, dass ,,zufriedene" Bürger die jeweilige Regierung eher wieder wählen wird.

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I N F Ü H R U N G
- 3 -
1. Arbeitslosigkeit in Deutschland
Seit den 70er Jahren ist die Arbeitslosigkeit von konjunkturellen Schwankungen begleitet
kontinuierlich gestiegen und hat auch bei einem konjunkturellen Aufschwung in keinem
Fall wieder das Ausgangsniveau erreicht. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist also ein
strukturelles Problem, der mit Konjunkturpolitik wie z.B. expansiver Fiskalpolitik nicht
beizukommen ist.
8
Zu diesem Ergebnis kommen auch eine Studie der OECD (1997a),
9
die
den Anteil der strukturellen Arbeitslosigkeit in Deutschland auf über 90% angibt.
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0
4,5
5,0
1970
1974
1978
1982
1986
1990
1994
1998
2002
Feb
2003
Ar
b
eit
slose
insg
es
amt i
n
Mio.
Abbildung 1: Entwicklung der Arbeitslosigkeit von 1970-2003,
Quelle: Schöb und Weimann (2003, Abb. 1.2)
Glaubt man einem Großteil der Politiker und Medien in Deutschland, so kann man den
Eindruck gewinnen, dass die hohe Arbeitslosigkeit die unausweichliche Konsequenz des
technologischen Fortschrittes und der Globalisierung sei:
10
Immer häufiger würden
Menschen durch Maschinen ersetzt, Arbeitsplätze würden in Niedriglohnländer verlagert.
Sollte diese Argumentation zutreffen, so müssten unsere Nachbarländer ähnliche Probleme
haben: Ein Vergleich zeigt aber, dass der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit in
8
Vgl. dazu auch Schöb (2000), S. 4
9
andere Studien kommen mit etwa 75% zu einem etwas niedrigeren Anteil der strukturellen Arbeitslosigkeit.
Vgl. dazu Schöb (2000), S. 4
10
Neuerdings ist der Ausredenkatalog der Politiker durch die Stichworte ,,11.09" und ,,Kampf gegen den
Terror" aktualisiert worden.

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- 4 -
Deutschland in den letzten Jahren eher eine Entwicklung gegen den Trend innerhalb
Europas
11
war, wie der Blick auf Abbildung 2 zeigt.
Abbildung 2: Entwicklung der standardisierten Arbeitslosigkeit in ausgewählten Europäischen
Ländern, Quelle:
OECD Economic Outlook No. 74
Auch in einem größeren Zeitrahmen, von der industriellen Revolution bis heute, haben die
technologische Entwicklung, die Globalisierung und der vermehrte Kapitaleinsatz
eindeutig zu einer zunehmenden Arbeitsnachfrage durch starkes Wachstum geführt. Noch
bis Anfang der 70er Jahre gab es in Deutschland Vollbeschäftigung. Wenn Arbeitslosigkeit
nicht unvermeidbar ist, worauf ist die Zunahme der Arbeitslosigkeit in Deutschland dann
zurückzuführen?
Die Bedeutung der Globalisierung für den Arbeitsmarkt soll in dieser Arbeit nicht näher
diskutiert werden. Es erscheint jedoch zweifelhaft, dass eine Exportnation wie Deutschland
gesamtwirtschaftlich Schaden aus der zunehmenden Integration der Weltmärkte nehmen
soll. Die zunehmende Substitution von Arbeit durch Kapital durch die fortschreitende
technologische Entwicklung ist hingegen Realität. Dies zeigt auch die folgende Grafik, für
11
Mit Schweden und den Niederlanden wurden absichtlich Länder ausgewählt, die einen ähnlich
strukturierten Arbeitsmarkt besitzen wie Deutschland. Damit wird dem Einwand Vorschub geleistet, dass
lediglich Länder mit nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitsmärkten Erfolge bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit vorweisen können.

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I N F Ü H R U N G
- 5 -
die von Wienert (1998) angenommen wurde, dass der volkswirtschaftliche Output mit
einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion mit den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit
hergestellt wird. Die Entwicklung der eingezeichneten Faktoreinsatzverhältnisse von 1960
bis 1995 zeigt deutlich, dass die sehr große Outputsteigerung hauptsächlich auf verstärkten
Einsatz von Kapital zurückzuführen ist. Der Anteil des Faktors Arbeit an der Produktion ist
deutlich gesunken und wird aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter sinken.
Abbildung 3: Verschiebung des Faktoreinsatzverhältnisses zugunsten von Kapital. (Wienert 1998)
Ist deshalb Arbeitslosigkeit wirklich unvermeidbar? Nein, denn die Grafik zeigt auch, dass
eine Steigerung des Outputs, also Wachstum, die Arbeitsnachfrage trotz gesunkenem
Produktionsanteils erhöhen kann. Die Veränderung der Arbeitslosigkeit ist also abhängig
davon, wie stark sich das Faktoreinsatzverhältnis verändert und inwiefern diese
Veränderung durch Wachstum wieder kompensiert werden kann. Je stärker Arbeit durch
Kapital substituiert wird, desto mehr Wachstum ist notwendig, um die Beschäftigung zu
halten bzw. zu erhöhen.
Bei Ländern mit ähnlicher Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens und geringerer
Arbeitslosenquote ist hat sich demzufolge das Faktoreinsatzverhältnis weniger nachteilig
für den Faktor Arbeit entwickelt. Zum Beispiel ist in den USA mit einer Arbeitslosigkeit

E
I N F Ü H R U N G
- 6 -
von im Vergleich zu Deutschland niedrigen 5,8% (OECD Economic Outlook No. 74)
zwischen 1970 und 1995 die Kapitalintensität
12
lediglich um etwa 38% gestiegen, während
in Deutschland im gleichen Zeitraum die Zuwachsrate bei 67% lag (vgl. OECD 1996).
13
Die alleinige Konzentration der Politik auf eine Outputerhöhung bzw. Wachstum in
Deutschland verkennt, dass der Staat auch beim Faktoreinsatzverhältnis in der
Verantwortung steht. Das Faktoreinsatzverhältnis ist abhängig von den relativen Preisen
von Kapital und Arbeit. In Deutschland wurde eine zielgerichtete Einflussnahme bislang
immer mit Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie abgelehnt. Diese
Argumentation verkennt allerdings, dass der Staat durch die unterschiedliche Besteuerung
von Arbeit und Kapital tatsächlich massiven Einfluss auf die relativen Faktorpreise nimmt.
Eine Veränderung der relativen Steuerlasten kann also die Faktorpreise verändern ohne in
die Tarifautonomie einzugreifen.
14
Bei der Analyse der Steuerreformvorschläge kann es also nicht nur um die Veränderung
der Höhe der Steuerbelastung gehen und dessen positive Wirkung auf das Wachstum.
Noch wichtiger sind die Veränderung des Verhältnisses der Besteuerung der
Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit und der resultierende Einfluss auf die Faktorpreise
und das Faktoreinsatzverhältnis. Kurz: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist ein
strukturelles Problem. Welche Steuerreformvorschläge ändern die Struktur im Sinne des
Faktoreinsatzverhältnisses am positivsten für mehr Beschäftigung?
2. Zufriedenheit in Deutschland
Obwohl dieses Thema derzeit bei vielen oberste Priorität zu haben scheint, wird kein
Politiker als Hauptaufgabe seiner Arbeit die Reduzierung der Arbeitslosigkeit nennen.
12
Gesamtwirtschaftliches Verhältnis von Kapital zu Arbeit
13
Für weitergehende Diskussion der Rolle der Kapitalintensitäten, siehe auch Berthold et al. (1999)
14
Beim derzeitigen Steuersystem wird der Faktor Kapital gegenüber Arbeit bevorzugt. Ein Abbau dieser
Bevorzugung wäre damit erst einmal ein Schritt in Richtung steuerlicher Neutralität.

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I N F Ü H R U N G
- 7 -
Diese ist lediglich ein Teilziel auf dem Weg dazu, die Wohlfahrt bzw. die Zufriedenheit
der Bürger zu erhöhen. Da die meisten Menschen sich für ihr Leben nichts mehr
wünschen, als ,,glücklich" zu sein,
15
ist es auch Aufgabe des im Sinne seiner Bürger
handelnden demokratischen Staates, die Zufriedenheit seiner Bürger zu maximieren.
16
Es
ist deshalb folgerichtig, auch bei der Analyse der Steuerreformen nicht nur die
Auswirkungen auf die Beschäftigung zu analysieren, sondern gleichzeitig die
Auswirkungen auf weitere Determinanten von Zufriedenheit in die Analyse mit
einzubeziehen. Die Ergebnisse der Zufriedenheitsforschung sind allerdings auch eine
Bereicherung für die klassische ökonomische Analyse der Beschäftigungswirkung. Sie
werden zum Beispiel dabei helfen, das Verhalten der Tarifparteien bei Lohnverhandlungen
besser zu verstehen.
Im Gegensatz zu manchen Vertretern der Zufriedenheitsforschung wie z.B. Frey und
Stutzer (2002) werden die Ergebnisse also nicht als Widerspruch zu einem
nutzenmaximierenden Individuum der klassischen Ökonomie interpretiert. Stattdessen
werden sie in das vorhandene Modell integriert und zur Identifikation und Erklärung von
Effekten benutzt. Die Einbeziehung der Zufriedenheitstheorie verhilft der klassischen
Ökonomie zu einem stärkeren Bezug zur Realität und erhöht so den Wert der abgegebenen
Politikempfehlungen.
3. Aufbau der Arbeit
Im 1. Kapitel werden die Grundprinzipien und wichtigsten Steuern des aktuellen
Steuersystems dargestellt. In Hinblick auf die spätere Analyse wird bei der folgenden
kritischen Diskussion zwischen 5 Themenkomplexen unterschieden, die sich als relevant
für die Fragestellung dieser Arbeit herausstellen werden.
15
Ng 1996, S.1: ,,For most people, happiness is the main, if not the only ultimate objective in life"
16
Ein berechtigter Einwand ist an dieser Stelle, dass ein Staat nicht nur die Zufriedenheit maximieren kann,
sondern z.B. Gerechtigkeit

E
I N F Ü H R U N G
- 8 -
Nach einer kurzen Vorstellung der einzelnen Steuerreformvorschläge im 2. Kapitel werden
diese anhand der im 1. Kapitel identifizierten Themenkomplexe diskutiert. Dabei wird eine
ordinale Rangfolge erstellt, inwieweit die Steuerreformvorschläge sich bei den
Themenkomplexen von der Ausgangssituation entfernen.
Die eigentliche Analyse der Beschäftigungswirkung der einzelnen Steuerreformvorschläge
findet im 3. Kapitel statt. Nach einem kurzen empirischen Überblick des Zusammenhangs
zwischen Steuern und Beschäftigung und der Wiedergabe der üblichen ökonomischen
Empfehlung zur optimalen Besteuerung, werden innerhalb eines auf Deutschland
abgestimmten Modells die Auswirkungen der 5 Themenkomplexe aus Kapitel 1 auf die
Beschäftigung analysiert. Dank der im 2. Kapitel erstellten ordinalen Reihenfolge kann der
für die Beschäftigung optimale Steuerreformvorschlag bestimmt werden.
Die Einbeziehung der Zufriedenheitstheorie im 4. Kapitel folgt der gleichen
Vorgehensweise. Für die Herleitung von Ergebnissen bei den 5 Themenkomplexen ist es
hier allerdings vorher notwendig, die angenommenen Hauptdeterminanten der
Zufriedenheit zu bestimmen, an deren Erfüllung sich die Steuerreformvorschläge dann
messen lassen. Dank der ordinalen Reihenfolge aus Kapitel 2 kann auch hier der bzgl. der
Zufriedenheit optimale Steuerreformvorschlag bestimmt werden.
Das 5. Kapitel fasst schließlich in einer abschließenden Diskussion alle Ergebnisse noch
einmal zusammen und beantwortet die gegebene Fragestellung.

1 .
K
A P I T E L
:
D
A S D E R Z E I T I G E
S
T E U E R S Y S T E M
- 9 -
1. Kapitel: Das derzeitige Steuersystem
1.1. Grundprinzipien des deutschen Steuersystems
Die Frage wie und mit welchen Aufgaben Steuern erhoben werden beschäftigt die
Ökonomen schon seit den Anfangszeiten der Disziplin: Nach Adam Smith'
17
(1723-1790)
Vorstellungen aus dem Jahre 1776 sollte die Besteuerung den gängigen
Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechen, gesetzlich ausreichend bestimmt und somit von
staatlicher Willkür frei sein und möglichst wenig Erhebungskosten verursachen. Noch
heute lassen sich die Grundprinzipien des deutschen Steuerrechts auf diese Vorstellungen
zurückführen.
Die von Smith aufgeworfene Frage nach der Besteuerung nach den ,,gängigen
Gerechtigkeitsvorstellungen", schließt die Frage an, was (Bemessungsgrundlage) und in
welcher Höhe (Tarif) besteuert wird.
Die Bemessungsgrundlage
18
wird in Deutschland wie auch in den meisten anderen
entwickelten Volkswirtschaften der Welt nach dem Konzept der umfassenden
Einkommenssteuer nach dem sog. Shanz/Haig/Simons-Standard
19
(kurz SHS-Standard)
ermittelt. Danach ist grundsätzlich die Summe aller positiven und negativen Einkünfte
innerhalb des Steuerjahres steuerpflichtig, unabhängig von der Quelle des Einkommens.
Diese sog. synthetische Einkommenssteuer steht im Gegensatz zu einem analytischen
Ansatz der Einkommenssteuer (Schedulensteuer), bei dem je nach Einkunftsart
unterschiedliche Tarife angewendet werden. Von dem zu versteuernden Einkommen
abzugsfähig sind alle Aufwendungen, die für die Erzielung des Einkommens notwendig
sind (Nettoprinzip).
17
Adam Smith (1904), Bd. 2, S.310 f.
18
In unserem Fall ist die Bemessungsgrundlage das zu versteuernde Einkommen. Historisch gesehen wurde
die Steuerlast aber auch schon an der Anzahl der Fenster festgemacht.
19
Benannt nach seinen historischen Befürwortern Georg von Schanz, Murray Haig und Henry Simons

1 .
K
A P I T E L
:
D
A S D E R Z E I T I G E
S
T E U E R S Y S T E M
- 10 -
Der Tarifverlauf der Einkommenssteuer bestimmt sich in Deutschland nach dem
Leistungsfähigkeitsprinzip, dass letztendlich auf die ,,equality of sacrifice"-Theorie von
John Stuart Mill zurückgeht.
20
Jeder soll zur Finanzierung des Staates das gleiche Opfer
erbringen, also entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung beitragen.
Während Mill
21
(1806-1873) selber für einen proportionalen Steuersatz plädiert hat, hat
man sich in Deutschland dabei für ein progressives Steuersystem entschieden. Dies wird
üblicherweise damit begründet, dass bei höheren Einkommen der Anteil des disponiblen
Einkommens höher ist, und deshalb gemäß dem Leistungsfähigkeitsprinzip ein höherer
Anteil besteuert werden kann. Dies ist konform mit der Überlegung, dass auch Einkommen
abnehmenden Grenznutzen hat und deshalb progressive Steuern wohlfahrtsoptimal sind.
Angesichts der hohen Regelungsdichte kann beim deutschen Steuerrecht sicherlich nicht
von Willkür gesprochen werden. Es bleibt der letzte von Smith angesprochene Punkt: die
Anforderung möglichst geringer Erhebungskosten. Aus heutiger Sicht sind damit nicht nur
die administrativen Kosten der Steuererhebung gemeint, sondern auch die
Entrichtungskosten (engl. ,,Cost of Compliance") beim Steuerzahler sowie die
Effizienzverluste
22
durch beabsichtigte, unbewusste oder nicht vermeidbare
Lenkungseffekte, die sich aus der Erhebung der Steuer ergeben - die sog. Zusatzlast der
Besteuerung. Die in diesem Sinne definierten Erhebungskosten lassen sich also durch
möglichst geringe Komplexität bei möglichst hoher Effizienz minimieren.
Bei der konkreten Gestaltung des Deutschen Steuerrechts wurden diese oben genannten
Prinzipien nicht durchgängig befolgt. Beispielhaft seien hier einige dieser Ausnahmen
genannt. Der SHS-Standard sieht in seinem Reinkonzept die Besteuerung aller
Wertsteigerungen nach der Reinvermögenszugangstheorie vor. In Deutschland werden im
20
Auch Adam Smith spricht schon von Besteuerung nach den Fähigkeiten bzw. nach dem ,,unter dem Schutz
des Staates" erzielten Einkommen. (Smith 1904, S. 703). Erst Mill definiert das Leistungsfähigkeitsprinzip
aber genauer.
21
Siehe Mill (1900)
22
Vgl. Abschnitt 2.4.5. für eine genauere Betrachtung dieses Punktes.

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Regelfall bei Privatpersonen aber nur regelmäßig fließende Einkommen versteuert
(Quellentheorie).
23
Auch die Progressivität ist nicht durchgängig. So unterliegen z.B.
Unternehmen mit der Körperschafts- und Gewerbesteuer einem proportionalen Steuersatz.
Nur die ausgeschütteten Gewinne und Dividenden müssen hälftig mit dem progressiven
Steuersatz der persönlichen Einkommenssteuer versteuert werden
(Halbeinkünfteverfahren). Zusätzlich zu diesen indirekten Steuern werden Profite, Arbeits-
und Kapitaleinkommen zusätzlich über indirekte Steuern
24
(Konsum­ und spezielle
Verbrauchssteuern) belastet, die in dem Grundkonzept einer umfassenden
Einkommenssteuer nach dem SHS-Standard nicht vorgesehen sind.
Alle diese Beispiele zeigen, dass das deutsche Steuerrecht eher ein Mischsystem
25
ist als
ein beispielhafter Vertreter des SHS-Standards. Seit der Gründung der Bundesrepublik
Deutschland ist das Steuersystem organisch gewachsen, ohne sich dabei streng an den
Grundprinzipien zu orientieren. Im Lauf der Zeit wurde das deutsche Steuerrecht dabei
immer komplexer, sei es durch Berücksichtigung von immer mehr ,,Einzelfällen" oder
durch Lobbyaktivitäten von Interessenverbänden. Zusätzlich hat der Gesetzgeber das
Steuerrecht in zunehmendem Maße für Lenkungsfunktionen
26
benutzt.
Die Diskussion in Abschnitt 1.3. wird zeigen, wie diese Abweichungen von den
Grundprinzipien bzw. die konkrete Ausgestaltung des deutschen Steuerrechts zu bewerten
ist. Vorerst erfolgt allerdings eine Vorstellung der wichtigsten deutschen Steuerarten und
die Zuordnung zu den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital.
23
z.B. bleiben die jährlichen Wertsteigerungen eines privaten Eigenheims steuerfrei.
24
zu den indirekten Steuern gehören neben der Umsatzsteuer die Versicherungssteuer, Kfz-Steuer,
Mineralölsteuer, Stromsteuer, Zölle sowie sonstige Steuern v. Verbrauch und Aufwand (13 an der Zahl).vgl.
BMF (2003, S. 14).
25
Nach Andrews (1974) ist das deutsche System deshalb auch eine ,,hybride Einkommenssteuern",
26
Vgl. auch Arndt (2000, S. 24) für Beispiele

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1.2. Überblick über die wichtigsten Steuern
Gemäß den oben beschriebenen Grundprinzipien des deutschen Steuersystems wird
entweder die Quelle oder die Verwendung von Einkommen besteuert. Grundsätzlich
kommen 3 Einkommensquellen als Besteuerungsgrundlage in Frage: Profit, Arbeit und
Kapital. Für die Analyse wird es sich als sinnvoll erweisen, die wichtigsten Einkommens ­
und Unternehmenssteuern den einzelnen Einkommensquellen zuzuordnen.
Aus Effizienzgründen wäre die Besteuerung der echten Profite optimal, da dies keine
negativen Anreizwirkungen hätte. Allerdings sind in der Realität die Möglichkeiten dazu
äußerst begrenzt, da sich u.a. echte Profite nur schwer klar von den risikoabhängigen
Kapitalkosten abgrenzen lassen.
27
Deshalb verzichten die meisten Staaten wie auch
Deutschland auf eine Besteuerung echter Profite. Alle Einkommens­ und
Unternehmenssteuern können demnach entweder den Produktionsfaktoren Kapital oder
Arbeit zugerechnet werden.
Auf eine Zuordnung der indirekten Steuern zu Ihren Einkommensquellen kann für diese
Arbeit verzichtet werden, da keiner der untersuchten Steuerreformvorschläge die Höhe
dieser Steuern verändern möchte. Dies gilt auch für die Steuern auf den
Vermögensverkehr,
28
sowie die Grundsteuer.
29
Im Folgenden werden deshalb nur
diejenigen Steuern aufgezählt und zugeordnet, die durch die Steuerreformvorschläge
verändert werden sollen und deshalb für die Analyse relevant sind. Für eine vollständige
Übersicht über die in Deutschland erhobenen Steuern sei auf BMF(2003a, S. 14)
verwiesen.
27
Weitere ungeklärte Fragen: Was ist die ,,richtige" Eigenkapitalrendite bei riskanten Projekten? Wie wird
der Kapitalstock berechnet? vgl. dazu Koskela et al. (1998) und Schneider (1997).
28
Steuern aus dem Vermögensverkehr: Erbschaftssteuer, Grunderwerbssteuer, Wechselsteuer,
Börsenumsatzsteuer, Gesellschaftssteuer.
29
Merz (2003, S. 34) spricht in seinem Thesenpapier die Grund­ und Erbschaftssteuer zwar an, sie haben
aber keine weitere Bedeutung und stehen in keinem Zusammenhang zu den anderen Reformvorschlägen. Sie
sind deshalb für diese Arbeit nicht relevant.

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1.2.1. Arbeitssteuern
Die Lohnsteuer und der zurechenbare Teil des Solidaritätszuschlags
30
sind die einzigen für
die Analyse dieser Arbeit relevanten Steuern, die den Faktor Arbeit belasten.
31
Die Lohnsteuer ist ein Teil der Einkommenssteuer und wird direkt als Quellenabzug vom
Bruttolohn abgezogen. Im Jahre 2003 betrugen die Einnahmen 140.200 Mio. zuzüglich
der zurechenbaren knapp 8.494 Mio. aus dem Solidaritätszuschlag.
32
Die Lohnsteuer wird gemäß dem Leistungsfähigkeitsprinzip durch einen linear-
progressiven Tarif erhoben. Die Abbildung 4 gibt eine Übersicht über den Tarifverlauf
gemäß §32 EStG:
Abbildung 4: Tarifverlauf der derzeitigen Einkommenssteuer nach §32a EStG
Grundfreibetrag
(Nullzone)
Erste
Progressionszone
Zweite
Progressionszone
Proportionalzone
Von ­ Bis in
0 bis 7.664,-
7.665-12.739
12.740 ­ 52.151
ab 52.152
Grenzsteuersatz
0%
16% - 20%
20% - 45%
45%
Tabelle 1: Tarifverlauf der derzeitigen Einkommenssteuer nach §32a EStG
30
5,5% der Lohnsteuer, abzugsfähig von der Lohnsteuer
31
Für eine ausführliche Diskussion über die tatsächliche Belastung des Faktors Arbeit vgl. u.a. Nickel und
Layard (1999, S. 3038), OECD (2001, S. 179) oder Berthold, Fehn (2002, S. 15).
32
Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzungen vom November 2002, aus BMF (2003a). Der der Lohnsteuer
zurechenbare Solidaritätszuschlag ergibt sich aus eigenen Berechnungen aus den gegebenen Daten.

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Pro Kind bekommt jeder Bürger entweder Kindergeld in Höhe von derzeit 1848,- pro Jahr
oder er optiert für die Berücksichtung eines Kinderfreibetrages von 3648,- und
Erziehungsfreibetrages in Höhe von 2160,-.
33
Der Lohn als Bemessungsgrundlage ­ also als das zu versteuernde Einkommen kann nur
sehr begrenzt von den Steuerpflichtigen verringert werden. Als Stichworte seien hier
lediglich die Pendlerpauschale, Eigenheimzulage, Werbungskosten und
Arbeitnehmersparzulage genannt. Die Möglichkeiten zur Steuervermeidung und
Anpassung können vom Gesetzgeber sehr genau definiert werden.
Ingesamt wird der Faktor Arbeit steuerlich mit 148.694 Mio. belastet. Bei einem
Gesamtsteueraufkommen der hier untersuchten Steuerarten von insgesamt 207.966 Mio.
im Referenzjahr 2003 ergibt dies einen Anteil des Faktors Arbeit von knapp 71,5 %.
Anzumerken bleibt, dass Steuern nur einen Teil der Gesamtbelastung des Faktors Arbeit
darstellen. Die Sozialversicherungsbeiträge als Aufschlag auf die Löhne haben den
gleichen Effekt wie höhere Lohnsteuern. Deren Belastung des Faktors Arbeit spielt seit
Jahren unter dem Stichwort der Lohnnebenkosten in der Diskussion zur Senkung der
Arbeitslosigkeit eine entscheidende Rolle. So ist der Anstieg der Arbeitskostenbelastung in
den letzten Jahren nicht auf eine Erhöhung der dem Faktor zurechenbaren Steuern, sondern
auf die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge zurückzuführen. Ingesamt betrug der
Anteil der Sozialversicherungsbeiträge an der Gesamtbelastung des Faktors Arbeit 1996
bereits 70,4%. (vgl. Hettich, Schmidt (2000, S. 7). Seitdem ist er weiter gestiegen und hat
damit die durch die Steuerreform 2000 ausgelösten Senkungen der Arbeitssteuern
überkompensiert.
34
33
auch an dieser Stelle gibt es zahlreiche Sonderregelungen und Bestimmungen, vgl. BMF(2004)
34
Eine wirklich effektive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müsste deshalb die Reform der
Sozialversicherungssysteme mit einschließen. Für einen interessanten Vorschlag, wie die Arbeitskosten über
die Subvention der Sozialbeiträge senken kann vgl. Schöb und Weimann (2003).

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1.2.2. Kapitalsteuern
Da Profite nicht besteuert werden, können alle übrigen Einkommens­ und
Unternehmenssteuern, die durch die Steuerreformvorschläge betroffen sind, dem Faktor
Kapital zugeordnet werden. Dazu gehören (in Klammern Aufkommen 2003 in Mio. ):
die Körperschaftssteuer (6.600), Gewerbesteuer (23.000), veranlagte Einkommenssteuer
(5.500), nicht veranlagte Steuern vom Ertrag (21.495), sowie der zurechenbare Teil des
Solidaritätszuschlags in Höhe von ca. 2676 Mio. .
35
Die veranlagte Einkommenssteuer sowie die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag gehören
zur Einkommenssteuer und werden deshalb nach dem bei den Arbeitssteuern erläuterten
Tarif versteuert. Interessanter ist die Körperschaftssteuer als eine Art Einkommenssteuer
von juristischen Personen wie zum Beispiel GmbHs und Aktiengesellschaften
36
. Diese
unterliegen einem einheitlichen proportionalen Steuersatz von 25%. Allerdings müssen
ausgeschüttete Gewinne bzw. Dividenden hälftig erneut mit dem persönlichen
Einkommenssteuersatz versteuert werden (sog. Halbeinkünfteverfahren
37
). Die
Gewerbesteuer kann als Körperschaftssteuer der Gemeinden bezeichnet werden und wird
nach einem komplizierten Schlüssel basierend auf der Körperschaftssteuer berechnet.
38
Während bei der Lohnsteuer die Bemessungsgrundlage praktisch gegeben ist bzw.
unmittelbar durch die Gesetze der Politiker beeinflusst werden kann, ist dies bei den
Kapitalsteuern ungleich komplizierter. Es liegt in der Natur einer Marktwirtschaft, dass der
Staat nicht in jedem Detail vorschreiben kann und will, welche Aufwendungen in welchem
Fall gerechtfertigt und damit abzugsfähig sind. Ähnlich wie bei der Erstellung der
35
Quelle: Arbeitskreis Schätzungen vom November 2002, aus BMF (2003a). Der dem Kapital zurechenbare
Teil des Solidaritätszuschlages ergibt sich aus eigenen Berechnungen aus den gegebenen Daten.
36
Weitere Beispiele von juristischen Personen: rechtsfähige Vereine, Genossenschaften, Betriebe
gewerblicher Art, u.a.
37
Dieses Verfahren wurde aufgrund von Problemen mit der Besteuerung von ausländischen
Kapitaleinkünften eingeführt. Vgl. Arndt (2001, S. 88). Im Vergleich zum vorherigen System führt es bei
geringeren Einkünften zu einer höheren Belastung und bei höheren Einkommen zu einer Entlastung.
38
Vgl. Arndt (2002) für eine Beschreibung.

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Handelsbilanz gibt es auch bei der Steuerbilanz viele Möglichkeiten, der Steuer
auszuweichen. In Deutschland sorgt der Staat zusätzlich mit einer Vielzahl von
Einzelregelungen für eine weitere Verkomplizierung der Situation. Durch
Abschreibungsvergünstigungen,
39
vorteilhaften Bewertungsvorschriften von Anlage­ und
Umlagevermögen, Rückstellungen sowie Verlustverrechnungen kann die
Bemessungsgrundlage signifikant reduziert werden. Der effektive Steuersatz auf Kapital
liegt also derzeit weit unterhalb des nominellen (Spitzen-)Steuersatzes.
40
Bei den untersuchten Steuerarten trägt der Faktor Kapital insgesamt 59.272 Mio. zum
Aufkommen bei. Bei dem Gesamtsteueraufkommen von 207.966 Mio. entspricht dies
einer Quote von knapp 28,5% .
1.2.3. Zusammenfassung
Neben den hier aufgeführten Einkommens­ und Unternehmenssteuern bilden die
indirekten Steuern die zweite große Säule des deutschen Steuersystem mit Einnahmen von
insgesamt 232.781 Mio. . Zusammen mit den Steuern aus dem Vermögensverkehr in
Höhe von 8.107 Mio. und den Steuern aus dem Vermögensbesitz von insgesamt 9660
Mio.
41
ergeben sich im Referenzjahr 2003 insgesamt Steuereinnahmen von 458.513 Mio.
42
. Abbildung 5 stellt diese Zusammenhänge graphisch dar. Es wird klar, dass die hier
untersuchten Steuerreformen nur auf knapp die Hälfte der gesamten Steuereinnahmen des
Staates Einfluss haben werden. Würden die hier nicht berücksichtigten Steuern ­
insbesondere die indirekten Steuern ­ ebenfalls den Faktoren Arbeit und Kapital
39
Wieso vermindern zu schnelle Abschreibung die effektive Steuerlast ?
Bei beschleunigter Abschreibung wird die effektive Steuerlast in den Anfangsjahren erheblich reduziert. Das
so gesparte Kapital kann angelegt werden und erwirtschaftet so Zinsen. Um diese Zinsgewinne verringert
sich die Steuerlast durch die beschleunigten Abschreibungen. Sinn und Scholten (1999) kommen sogar zu
dem Ergebnis, dass in Deutschland Kapitalinvestitionen dadurch subventioniert werden. Vgl. auch Schöb
(2000), S. 26
40
Vgl. dazu auch Schöb (2000 S. 22 ff.)
41
z.B. Grundsteuer
42
Alle Zahlen aus Arbeitskreis Schätzungen vom November 2002, aus BMF (2003a).

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hinzugerechnet, so würde sich der relative Anteil der Arbeitssteuern am gesamten
Steueraufkommen wesentlich erhöhen. Aber auch ohne diese Zurechnung wird deutlich,
dass der Faktor Arbeit derzeit den größten Teil der Steuerlast tragen muss.
Abbildung 5: Verhältnis der Kapital und Arbeitssteuern der untersuchten Steuerarten,
Quelle: eigene Berechnung nach Abschnitt 1.2.
1.3. Diskussion des derzeitigen Steuersystems
Nach Adam Smith sollte ein Steuersystem frei von staatlicher Willkür sein, den gängigen
Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechen, sowie die Erhebungskosten minimieren. Das
derzeitige deutsche Steuersystem erfüllt leider keines der hier aufgeführten Anforderungen
in angemessener Weise
43
. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der Steuerbelastung
( Höhe der Steuern), der steuerlichen Benachteiligung der arbeitenden Bevölkerung
gegenüber internationalen Kapitalgesellschaften ( Faktorbesteuerungsverhältnis) sowie
Zunahme der Einkommensschere ( Umverteilung) spricht dafür, dass das Steuersystem
den ,,gängigen" Gerechtigkeitsvorstellung nicht hinreichend entspricht. Die Integration
zahlreicher Lenkungstatbestände, Ausnahme­ und Einzelfallregelungen führen zu einem
43
Auch die von Stiglitz (1988, S. 456) vorgeschlagenen fünf wünschenswerten Eigenschaften eines guten
Steuersystems erfüllt das deutsche Steuersystem nicht: ,,Efficiency ­ the tax system should not be
distortionary; if possible, it should be used to enhance economic efficiency; Administrative simplicity ­ the
tax system should have low cost of administration and compliance; Flexibility . the tax system should allow
easy adaptation to changed circumstances; Political responsibility ­ the tax system should be transparent;
Fairness ­ the tax system should be, and should be seen to be, fair, treating those in similar circumstances
similarly, and imposing higher taxes on those who can better bear the burden of taxation".

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ineffizienten Steuersystem ( Effizienz) und haben das Steuerrecht in zunehmendem Maße
verkompliziert ( Komplexität). All dies schlägt sich in unnötig hohen Erhebungskosten
wieder. Ungenaue Formulierungen sowie die hohe Komplexität des Steuerrechtes führen
verstärkt zu aufwendigen Rechtsstreitigkeiten bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder
sogar Europäischen Gerichtshof. (vgl. Hettich, Schmidt, 2000, S. 8). Der Schutz vor
staatlicher Willkür erfordert also bereits hohe Aufwendungen und Wachsamkeit der
Steuerzahler. Auch der Sachverständigenrat (2003, 478) kommt zu dem Schluss, dass ,,die
aktuelle Steuerpolitik Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit vermissen ließe".
Die mit den Begriffen in Klammern beschriebenen Themenkomplexe werden im
Folgenden eingehender diskutiert. An diesen Themenkomplexen werden sich auch die
Steuerreformvorschläge im 2. Kapitel messen lassen und im Analyseteil des 3. und 4.
Kapitels Ihre Vorteilhaftigkeit unter Beweis stellen müssen.
1.3.1. Höhe der Steuerbelastung
Nach den Erhebungen der OECD (2002)
44
aus dem Jahr 2001 liegt die deutsche Steuer­
und Abgabenquote (also inkl. der Sozialbeiträge) mit 36,4% im unteren Mittelfeld.
Insgesamt scheint die steuerliche Belastung in Deutschland im internationalen Vergleich
also sehr moderat. Es stellt sich die Frage, warum Deutschland trotzdem den Ruf eines
Hochsteuerlandes hat und warum argumentiert wird, dass für die Wettbewerbsfähigkeit des
Landes weitere Steuersenkungen nötig wären.
Die Antwort auf diese Frage ist eigentlich simpel: Es wird nicht insgesamt zu viel
besteuert, sondern das Falsche in falscher Höhe. Die Bemessungsgrundlage muss verändert
werden, um Deutschland für Unternehmen und Bürger attraktiver zu machen.
Der Sachverständigenrat schreibt in dem Jahresgutachten (2003, S. 486) dazu folgendes:
,,Die Gesamtsteuerbelastung ist gar nicht für den Standort entscheidend, sondern die
44
zitiert aus BMF (2002, S. 13)

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Durchschnitts- (für Neu) und Grenzsteuerbelastung (für Ergänzungsinvestitionen). Darauf
bezogen ist Deutschland nach wie vor ein Hochsteuerland". Zur Unterstützung dieses
Argumentes führt er eine Übersicht über die Grenz- und Durchschnittssteuerbelastung in
mit uns konkurrierenden Ländern an (vgl. Tabelle 2).
45
Tarifbelastung
Effektive Durchschnitts-
steuerbelastung
Effektive Grenzsteuer-
belastung
Einzelwerte
Deutschland
40,7% 37,2% 31,1%
Frankreich
35,4% 34,9% 34,1%
UK
30,0% 29,1% 27,5%
Irland
12,5% 13,0% 14,1%
Italien
38,3% 32,4% 21,4%
Niederlande
34,5% 32,4% 28,5%
Schweden
28,0% 23,3% 17,0%
Spanien
35,0% 32,0% 26,1%
Durchschnitt
ungew. ohne D
30,5% 26,1% 24,1%
Tabelle 2: Steuerbelastung auf Unternehmensebene in ausgewählten europäischen Ländern für das
Jahr 2003
46
Dir Unterschiede zwischen dem gesetzlichen Steuersatz und der Effektivbelastung ergibt
sich durch die bereits in 1.2.2. erwähnten großzügigen Möglichkeiten in Deutschland, die
zu versteuernde Bemessungsgrundlage zu minimieren. Aber auch mit diesem Effekt wird
klar, dass die Steuerbelastung für Unternehmen im internationalen Vergleich hoch ist. Der
Sachverständigenrat (2003 S. 482: ) kommt sogar insgesamt zu dem Ergebnis, dass ,,der
Standort Deutschland gleichermaßen für inländische wie ausländische Investoren
unattraktiv [ist], wenn ausschließlich die steuerliche Belastung von Erträgen betrachtet
wird.". Unter Berücksichtigung des internationalen Steuerwettbewerbs sollte der effektive
Unternehmenssteuersatz 30-35% nicht überschreiten. (2003, S. 506).
45
Die nominale Tarifbelastung ergibt sich aus der Körperschaftssteuer zuzüglich der Gewerbesteuer.
46
Quelle: Sachverständigenrat 2003, S. 554., für eine genaue Beschreibung der Vorgehensweise vgl.
Sachverständigenrat (2001, Kasten 7 und Tabelle 78)

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Der internationale Steuerwettbewerb zwingt also zu einer weiteren Absenkung derjenigen
Steuersätze, die auf Standortentscheidungen Einfluss haben. Doch darf dies nicht dazu
führen, dass der seit 1998 beschrittene Weg der damals neuen Bundesregierung fortgeführt
wird. Ohne gravierende Änderungen an der Struktur des Steuersystems
47
wurden
Einkommenssteuer und Unternehmenssteuern permanent gesenkt, wie die Abbildung 6 für
die Einkommenssteuer deutlich macht.
Abbildung 6: Entwicklung der Höchst- und Eingangssteuersätze, Quelle: Bundesregierung (2003b)
Allein seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2005 soll nach Angaben der Bundesregierung die
Gesamtsteuerbelastung um 51 Mrd. gesunken sein. Bei den bereits durchgeführten
Steuersenkungen wurde bisher nur zu einem geringen Teil davon Gebrauch gemacht die
Steuersenkungen durch den Abbau von Vergünstigen und Ausnahmetatbeständen, also
durch die Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage,
48
zu finanzieren. Wie die
aktuellen Steuerreformvorschläge zeigen, ist auf diese Weise die eine weitere Senkung der
Grenzsteuersätze
49
möglich, ohne die Staatsverschuldung gravierend erhöhen zu müssen.
50
47
Abgesehen von der Umstellung vom Vollanrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren bei der
Unternehmensbesteuerung.
48
nach dem Vorbild der in den USA durchgeführten Steuerreformen 1986: ,,tax cut cum base broadening".
49
Auch wenn sich die Gesamtsteuerbelastung von Unternehmen durch die Senkung der Grenzsteuersätze bei
gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht wesentlich verändert, kommt aus
Standortüberlegungen dem eine große Bedeutung zu. Ausländische Investoren sind in der Regel nicht mit
den Feinheiten des deutschen Steuerrechts vertraut und haben deshalb Schwierigkeiten die effektive

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Die bisherigen Steuersenkungen haben bisher leider nicht den erhofften positiven Effekt
auf die Beschäftigung erbracht. Dies bestätigt erneut unsere in der Einleitung erwähnte
Vermutung, dass es nicht nur auf die Höhe der Steuerbelastung ankommt, sondern das
Verhältnis der Besteuerung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital mindestens ebenso
wichtig ist. Dies werden wir im nächsten Abschnitt genauer betrachten.
1.3.2. Faktorbesteuerungsverhältnis
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist ein strukturelles Problem. Für die Struktur der
Ökonomie entscheidend ist nicht die Höhe der Steuern, sondern das Verhältnis der
Besteuerung der Produktionsfaktoren. Offensichtlich unterstützt oder zumindest verhindert
das aktuelle Steuersystem in Deutschland nicht, dass es von Jahr zu Jahr neue Rekorde bei
der Arbeitslosigkeit gibt. Wie der Abschnitt 1.2. gezeigt hat, belasten knapp 2/3 der hier
untersuchten Steuerarten den Faktor Arbeit. Lediglich ca. 1/3 müssen vom Faktor Kapital
getragen werden. Wie die Abbildung 8
51
zeigt, ist dieses Größenverhältnis das Ergebnis
einer langjährigen Entwicklung.
Abbildung 7: aus Schöb (2000) S. 19, basierend auf OECD Revenue Statistics, diverse Jahrgänge
Besteuerung abzuschätzen. Eine Angleichung zwischen den effektiven und nominellen Steuern ist deshalb
sinnvoll.
50
Eine weitere Finanzierung von Steuersenkungen durch die Aufnahme von Schulden ist aufgrund des
Brüsseler Stabilitätspaktes nicht möglich, der die Neuverschuldung auf 3% des BSP begrenzt.
51
In dieser Abbildung sind Arbeitssteuern wie unter 1.3.1. definiert zuzüglich der
Sozialversicherungsbeiträge. Als Kapitalsteuern wurden Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, veranlage
Einkommenssteuer sowie Steuern auf einbehaltene Gewinne berücksichtigt.

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Seit 1970 musste der Faktor Kapital einen immer geringeren Teil für die Finanzierung des
Staates beitragen. Wie die Beschreibung der (neo-)klassischen Empfehlung in Abschnitt
3.2. zeigen wird, sind die Ökonomen an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Trotz
oder wegen der Entlastung des Faktors Kapital ist die Arbeitslosigkeit im gleichen
Zeitraum kontinuierlich gestiegen (vgl. Abbildung 1). In diesem Zusammenhang ist ein
Blick auf das Faktorbesteuerungsverhältnis eines Landes interessant, dessen
Arbeitslosigkeitsentwicklung erfreulicher als die von Deutschland war: die Niederlande
(vgl. Abbildung 8).
Abbildung 8: Entwicklung der effektiven Steuersätze von Kapital und Arbeit.
Quelle: Genser et al. (2000, Tab. 6).
Im Gegensatz zu Deutschland blieb hier das Verhältnis der effektiven Steuersätze
52
auf
Kapital und Arbeit in etwa relativ konstant.
53
Auf den ersten Blick lohnt es sich also zu überprüfen, ob durch das
Faktorbesteuerungsverhältnis das Faktoreinsatzverhältnis in der Ökonomie beeinflusst
werden und so die Arbeitslosigkeit reduziert werden kann. Sollte dies gelingen, wäre ein
52
Für eine genaue Definition der Berechnung der Arbeits­ und Kapitalsteuern vgl. Genser et. al (2000). Da
die Definition leicht abweichen, sind die Abbildungen 8 und 9 nicht direkt miteinander vergleichbar. Da es
an dieser Stelle aber auf die die Verhältnisse der Arbeits ­ und Kapitalsteuern innerhalb des Landes
ankommt, ist dies für die Argumentation in der Arbeit nicht entscheidend.
53
Das konstante Besteuerungsverhältnis ist nur ein Teil des Beschäftigungserfolges in den Niederlanden. In
dem häufig zitierten Abkommen von Wassenaar aus dem Jahr 1982 haben sich die Tarifparteien zusätzlich
zu Lohnzurückhaltung verpflichtet. Vgl. auch Schmid, G.
(1997)

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zusätzlicher Vorteil, dass dann Wirtschaftswachstum ceteris paribus zu einem größeren
Beschäftigungswachstum führen würde, als dies derzeit der Fall ist.
54
Eine nicht zu
vernachlässigende Begründung in einem demokratischen Staat sollte allerdings auch die
zunehmende Unzufriedenheit damit sein, dass große Kapitalgesellschaften einen immer
geringeren Teil zur Finanzierung des Gemeinwesens übernehmen. In wie weit diese
Überlegung sogar Auswirkungen auf die Beschäftigung haben kann, wird spätestens im
Abschnitt 3.4.2.2. bei der Endogenisierung der Lohnverhandlungen deutlich werden.
1.3.3. Umverteilung
Kirchhof (2003, S. 3) begründet die Notwendigkeit einer Steuerreform unter anderem
damit, dass die zu zahlende Steuersumme zum großen Teil von der ,,Virtuosität abhänge,
mit der man auf dem total verstimmten Klavier des Einkommenssteuergesetzes spielen
könne" und nicht mehr von der Leistungsfähigkeit der Bürger.
Dieser sehr metaphorische Ausdruck macht auf ein zunehmendes Problem aufmerksam: Je
größer das Einkommen ist und von je mehr Einkommensquellen dies kommt, von desto
mehr Gestaltungsspielräumen und Ausnahmetatbeständen kann der Steuerpflichtige
Gebrauch machen und so seinen effektiven Steuersatz deutlich unter den formellen senken.
Diesen Punkt werden wir unter dem Gesichtspunkt der Komplexität (2.4.4.) des deutschen
Steuerrechts noch näher betrachten. Vorerst können wir festhalten, dass Unternehmen und
Bezieher von hohen Einkommen einen sehr viel größeren Gestaltungsspielraum
55
haben,
der sich auch in der effektiven Steuerlast bemerkbar macht. Nach einer Studie von Lang et
al. (1997) liegt der effektive Steuersatz in den hohen Einkommensgruppen bei konstant
54
Vgl. dazu Schöb (2000, S. 73)
55
Ein nicht repräsentatives Beispiel mag verdeutliche, dass die Steuerlast bei höheren Einkommen sehr viel
volatiler ist und nicht nur vom Einkommen abhängt: laut dem Geschäftsbericht z.B. von BMW, beträgt die
Steuerquote ca. 38% an (BMW zahlt bei einem Umsatz von knapp 3 Mrd. Euro ca. 1 Mrd. Euro Steuern). Bei
Daimler Chrysler liegt laut Geschäftsbericht 2002 die Steuerquote bei knapp 20%. (Daimler Chrysler zahlt
nur knapp 1Mrd bei 6Mrd insgesamt). Damit zahlen Großkonzerne weniger Steuern als Privatpersonen,
sind aber auch nicht ­ wie Gewerkschaften manchmal behaupten ­ völlig ,,steuerfrei".

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etwa 16% unter dem formellen. Dies liegt allerdings nicht ausschließlich an der
geschickten Anwendung von ,,Steuersparmodellen": Kapitaleinkommen werden schlicht
geringer besteuert als Arbeitseinkommen und müssen nur hälftig bei der Ausschüttung
nachversteuert werden. Durch ihren überproportionalen Anteil von Einkommen aus
Kapital können die Bezieher hoher Einkommen dadurch Ihren Durchschnittssteuersatz
senken. Der Blick auf die tatsächliche Einkommensverteilung in Deutschland vor und nach
Steuern in Abbildung 9 unterstützt diese Argumentation:
Abbildung 9: Einkommensverteilung vor und nach Steuern,
Quelle: BMF Datensammlung zur Steuerpolitik 2003 S. 22., eigene Grafik
Die Umverteilungswirkung der Steuern ist erstaunlich gering. Das liegt neben den bereits
beschriebenen Möglichkeiten zur Steuerersparnis auch daran, dass durch die Inflation viele
Bezieher leicht überdurchschnittlicher Einkommen in die Gruppe der Spitzensteuersätze
gerutscht sind. Während derzeit der Spitzensteuersatz bereits ab einem Einkommen von
52.152 einsetzt, müsste nach den Verhältnissen von 1980 diese Grenze bei 126.530
liegen. (vgl. CSU Konzept 21, S. 16).
Trotz all dieser offensichtlichen Verringerung der Umverteilung in der letzten Zeit, hat das
deutsche Steuerrecht insgesamt immer noch einen sehr progressiven Charakter. Das dem

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Einkommen nach obere Viertel der Steuerzahler trägt knapp 75% gesamten Steuerlast bei
der Einkommenssteuer (BMF 2003a, S. 22). Das untere Viertel der Steuerzahler trägt
lediglich 0,3% zur Einkommenssteuer bei (CSU-Konzept 21, S. 18).
Nimmt man allerdings die gesetzlichen Steuersätze als Grundlage, darf wegen der großen
Differenz zwischen effektiven und gesetzlichen Steuersätzen trotzdem bezweifelt werden,
ob die derzeitige in der Einkommenssteuer integrierte Umverteilung von der Masse der
Bevölkerung noch als fair empfunden wird. Die Unzufriedenheit mit der ungleichmäßigen
Besteuerung von Arbeit und Kapital wird sogar regelmäßig besonders von
Arbeitnehmervertretern geäußert. So fordert der DGB derzeit eine Erhöhung der
Körperschaftssteuer und eine Entlastung des Faktors Arbeit.
56
1.3.4. Komplexität
Der in Abschnitt 1.1. beschriebene Mangel an einer klaren und einheitlichen
Steuerphilosophie schlägt sich in einer sehr hohen Komplexität des Steuerrechts nieder.
Das Steuerrecht ist auf mehr als 100 originäre Steuergesetze aufgeteilt, hinzukommen eine
große Anzahl außersteuerlicher Gesetze, die ebenfalls steuerliche Vorschriften enthalten.
Mehr als 96.000 Verwaltungsvorschriften und 5000 Schreiben des
Bundesfinanzministeriums sollen den Finanzbeamten bei der Interpretation helfen.
57
Hettich und Schmidt (2000, S.8) sehen in der Komplexität und mangelnden Transparenz
des deutschen Steuerrechts einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil des Standortes
Deutschlands. Die im internationalen Vergleich hohen gesetzlichen Steuersätze könnten
zwar durch das Ausnutzen zahlreicher Ausnahmetatbestände und
Einzelfallberücksichtigungen auf ein wettbewerbsfähiges Maß reduziert werden, doch sei
das Wissen dafür natürlich nicht kostenlos. Gerade für potentielle ausländische Investoren
56
Vgl. hierzu DGB (2004)
57
Quelle CSU Konzept 21,S. 7

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Erscheinungsjahr
2004
ISBN (eBook)
9783832480684
ISBN (Paperback)
9783838680682
DOI
10.3239/9783832480684
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
arbeitslosigkeit arbeitssteuern kapitalsteuern faktorbesteuerungsverhältnis schwarzarbeit
Produktsicherheit
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Titel: Schaffen die aktuellen Steuerreformvorschläge mehr Beschäftigung und Zufriedenheit?
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