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Domain specificity oder domain generality? Die Funktion des medialen Gyrus fusiformis bei der Objekterkennung

Eine fMRT-Studie

©2004 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Die Funktion des medialen Gyrus fusiformis bei der Objekterkennung ist Gegenstand der Studie. Insbesondere auf der Basis neuropsychologischer Befunde sowie Untersuchungen mit funktioneller Bildgebung wurde diese neuronale Struktur zunächst als eine (Kategorien-spezifische) Region angesehen, die ausschließlich für die Erkennung von Gesichtern zuständig ist und deshalb als fusiform face area (FFA) bezeichnet (domain specificity/ category-specific model). In jüngerer Zeit wurde jedoch eine alternative Sichtweise vorgeschlagen, nach der die Spezialisierung des medialen Gyrus fusiformis für Gesichter zum einen in der ganzheitlichen und konfiguralen Verarbeitung der visuellen Information, und zum anderen und wesentlich in dem Grad an „Expertentum“ beim Gesichtererkennen begründet liegt. Nach dieser Theorie ist die Verarbeitung unabhängig von der spezifischen Objektkategorie (domain generality/ process-map model). Dieser Sichtweise folgend geht die vorliegende Untersuchung von der Hypothese aus, dass der mediale Gyrus fusiformis in gleichem Maße bei Gesichtererkennung wie bei anderen, Expertentum erfordernden visuellen Erkennungsleistungen ansprechen sollte. Untersuchungsziel ist insbesondere, einen Experteneffekt nachzuweisen, indem die neuronale Aktivierung mittels fMRT bei der Verarbeitung von Gesichtern und der Verarbeitung von Handschriften verglichen wird.
Die funktionelle Aktivierung im occipito-temporalen Cortex wird für beide Stimuluskategorien mittels fMRT gemessen. Lokale Unterschiede in der Aktivierung im visuellen System werden dargestellt. Der prozentuale Aktivierungsanstieg im medialen Gyrus fusiformis wird sowohl für Handschriften als auch für Gesichter errechnet und beide Werte miteinander verglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass beide Objektkategorien Regionen des ventralen visuellen Systems ansprechen. Es zeigt sich weiterhin, dass der prozentuale Aktivierungsanstieg für Gesichter im Gegensatz zum prozentualen Aktivierungsanstieg für Handschriften in der rechten FFA signifikant höher ist. In der FFA der linken Hemisphäre ergibt sich ein höherer prozentualer Aktivierungsanstieg für Handschriften.
Die Ergebnisse werden in Hinblick auf Unterschiede im Grad an Expertentum und Lateralisierungstendenzen zwischen rechter und linker Gehirnhälfte diskutiert.


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:

ZUSAMMENFASSUNG6
1.EINLEITUNG7
2.HINTERGRUND DER STUDIE8
2.1Lokalisierung des visuellen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8460
Maier, Christina: Domain specificity oder domain generality? Die Funktion des medialen
Gyrus fusiformis bei der Objekterkennung - Eine fMRT-Studie
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Ludwig-Maximilians-Universität München, Diplomarbeit, 2004
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Lebenslauf
Zur Person
Name:
Christina
Maier
Kontaktdaten:
Bärmannstrasse 8a
81245 München
Telefon: 089/82071873
E-Mail:
maier-christina@gmx.de
Geburtsdatum:
15.09.1975
Familienstand:
ledig
derzeitige Tätigkeit
seit 12/04
Wissenschaftliche Hilfskraft am Transferzentrum für
Neurowissenschaften und Lernen Ulm unter der Leitung
von Prof. Spitzer
Studium
05/2004
Diplom in Psychologie (Note:1,7)
01/2004 Diplomarbeit,
vorgelegt
bei PD Dr. H. Deubel am
Lehrstuhl für Allgemeine und Experimentelle Psycho-
logie, Thema: ,,Domain Specificity oder Domain
Generality. Die Funktion des medialen Gyrus fusiformis.
Eine fMRT- Studie" (Note:1,3)
10/2000 ­ 05/2004
Hauptstudium der Psychologie an der Ludwig-
Maximilians-Universität München mit Vertiefungsfach
Neuropsychologie bei Prof. Dr. J. Zihl und Nachbarfach
Neurologie
11/1998 ­ 09/2000
Grundstudium der Psychologie an der Universität
Regensburg
10/1996 ­ 09/1997
Grundstudium der Ernährungswissenschaften an der
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Studienbegleitende Tätigkeiten
Seit 04/2002
Studentische Hilfskraft in der Praxis Prof. Dr. med. W.
Fries, neuropsychologisches Therapiezentrum, Tätigkeit:
Durchführung der neuropsychologischen Diagnostik und
Leitung verschiedener Therapiegruppen
01/2003 ­ 06/2003
Praktikum an der Klinik für Psychiatrie und Psycho-
therapie der Universität München, Forschungsgruppe
Dementielle Erkrankungen und Bildgebende Verfahren,
Tätigkeit: Mitarbeit am Forschungsprojekt zum Thema
,,Mechanisms of Selective Attention to Objects in the
Human Visual Cortex"
01/2002 ­ 06/2002
Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Allgemeine und
Experimentelle Psychologie an der Universität München,
Tätigkeit: Mitarbeit am Projekt ,,Aufgabenabhängiges
Sehen: Die selektive Konstruktion einer transsakka-
dischen Szenenrepräsentation"
12/2001 ­ 03/2002
Praktikum in der Praxis Prof. Dr. med. W. Fries,
neuropsychologisches Therapiezentrum, Tätigkeit:
Hospitation in verschiedenen Therapiebereichen der
Praxis sowie selbständige Durchführung von Gruppen-
bzw. Einzelsitzungen und Diagnostikterminen im Bereich
Neuropsychologie
08/2001 ­ 09/2001
Praktikum am Max-Plank-Institut für Psychiatrie,
Arbeitsgruppe Neuropsychologie, Tätigkeit: Mitarbeit an
diversen Forschungsprojekten , u.a. ,,Neuropsycho-
logische Störungen bei Patienten mit Depression oder
Schizophrenie"
Studienbegleitende Weiterbildungen
09/2004
Teilnahme an der ,,Fall Academy of the Doctoral Program:
Neuropsychiatrie und Psychology of Aging" unter Beteili-
gung der Charite Universitätsmedizin und des Max-Planck-
Institutes für Bildungsforschung
09/2004
Teilnahme an der 19. Jahrestagung der Gesellschaft für
Neuropsychologie zum Thema ,,Wahrnehmungsstörun-
gen ­ Neglect ­ Unawareness"
04/2004
Teilnahme am Regionaltreffen Süd-Ost der Gesellschaft
für Neuropsychologie zum Thema ,,Störungsbewusstsein
und Krankheitsverarbeitung"
09/2002
Teilnahme an der Veranstaltung ,,Neuropsychological
Rehabilitation: Clinical Experiences and Research Findings"
der Gesellschaft für Neuropsychologie, Referent: Dr. George
P. Prigatano, Ph.D.

Ehrenamtliche Tätigkeiten
01/1998 ­ 10/1998
Mitarbeit im Entwicklungspolitischen Arbeitskreis der
Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg sowie Organisation
und Leitung einer Jugendbegegnung zwischen bolivia-
nischen und deutschen Pfadfindern in Potosi (Bolivien)
09/1993 ­ 10/1998
Ehrenamtliche Jugendarbeit in der Deutschen Pfadfinder-
schaft St. Georg der Diözese München und Freising
05/1998 ­ 10/1998
private Betreuung eines Parkinsonpatienten
Fremdsprachen
Englisch (sehr gut in Wort und Schrift)
Französisch
(Grundkenntnisse)
Spanisch
(Grundkenntnisse)
Latinum
EDV-Kenntnisse
SPSS
(Anwendungskenntnisse)
MS-OFFICE
(Anwendungskenntnisse)
WINDOWS
(Grundkenntnisse)
LINUX (Grundkenntnisse)
MS-DOS (Grundkenntnisse)
Hobbys
Bergsteigen, Jogging, Radfahren, Skisport, Schwimmen,
Töpfern, Lesen

INHALTSVERZEICHNIS:
Seite
ZUSAMMENFASSUNG...6
1. EINLEITUNG ...7
2. HINTERGRUND DER STUDIE ...8
2.1 Lokalisierung des visuellen Assoziationscortex im Gehirn...8
2.2 Die zwei Verarbeitungswege im visuellen Assoziationscortex -
die dorsale Bahn und die ventrale Bahn im Besonderen...12
2.3 Die zwei Modellvorstellungen (domain specificity / domain generality)
zum funktionellen Aufbau des ventralen Verarbeitungsweges, insbe-
sondere des medialen Gyrus fusiformis...14
2.3.1 Richtungsweisende theoretische Ansätze...14
2.3.2 Übertragung der theoretischen Ansätze
auf die Funktionsweise des ventralen Verarbeitungsweges...16
2.3.3 Auswirkungen der zwei Modellvorstellungen in Bezug auf die
Funktionsweise des medialen Gyrus fusiformis ...17
2.3.4 Forschungsergebnissen aus der kognitiven Psychologie...20
2.3.4.1 domain specificity / category-specific model...20
2.3.4.2 domain generality / process-map model...21
2.3.4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse aus der
kognitiven Psychologie...25
2.3.5 Forschungsergebnisse aus der Neuropsychologie...26
2.3.5.1 domain specificity / category-specific model ...26
2.3.5.2 domain generality / process-map model ...31
2.3.5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse aus der
Neuropsychologie ...33
2.3.6 Forschungsergebnisse aus der Bildgebung...34
2

Seite
2.3.6.1 domain specificity / category-specific model...34
2.3.6.2 domain generality / process-map model...37
2.3.6.3 Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Bildgebung...38
2.4 Vorläufige Schlussfolgerungen aus den vorliegenden
Forschungsergebnissen...39
2.5 Hypothese und Untersuchungsziel...40
2.5.1 Hypothese...40
2.5.2 Untersuchungsziele...40
3. MATERIAL UND METHODEN ...40
3.1 Versuchspersonen ...40
3.2 Test- und Stimulationsmaterial ...43
3.2.1 Neuropsychologische Tests und psychiatrische Befragung ...43
3.2.2 Stimulationsmaterial ...46
3.3 Procedere ...49
3.3.1 Aufgabe ...49
3.3.2 Experimentelles Design ...49
3.3.3 Durchführung...50
3.4 Untersuchungsmethode ...50
3.4.1 Grundlagen der funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) ...50
3.4.2 Untersuchungsparameter ...53
3.5 Bilddatenanalyse ...54
3.5.1 Korrektur für Bewegungen zwischen den Scans...54
3.5.2 Glättung der Bilddaten ...55
3

Seite
3.5.3 Räumliche Normalisierung ... ............55
3.5.4 Extraktion von Gehirnstrukturen in strukturellen Bildern ...55
3.5.5 Statistische Analyse - Das allgemeine lineare Modell ...56
3.5.6 Analyse der
vorliegenden Daten ...56
4. ERGEBNISSE ...58
4.1 Behaviorale Daten ...58
4.2 Gruppenanalyse:
Aktivierungsunterschiede zwischen den Bedin-
gungen im occipito-temporalen Cortex (Aktivierungsspitzen) ...60
4.3 ROI-Analyse ...65
5. DISKUSSION ...68
5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse ...68
5.2 Diskussion der vermehrten Aktivierungsspitzen im occipito-
temporalen Cortex bei der Verarbeitung von Handschriften ...69
5.3 Diskussion der Ergebnisse aus der ROI-Analyse zur Aktivierung
im medialen Gyrus fusiformis ...69
5.3.1 Die rechte Hemisphäre...72
5.3.2 Die linke Hemisphäre...77
5.3.3 Limitationen ...78
5.3.4 Exkurs: Kritische Anmerkung zum Begriff des Expertentums, insbe-
sondere zu seiner Anwendung im Rahmen des process-map model ...80
4

Seite
6. AUSBLICK...81
7. LITERATURVERZEICHNIS ...84
8. VERZEICHNIS DER VERWENDETEN ABKÜRZUNGEN ...92
9. VERZEICHNIS DER TABELLEN ...95
10. VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN ...96
5

ZUSAMMENFASSUNG
Die Funktion des medialen Gyrus fusiformis ist Gegenstand der Studie.
Diese Region des ventralen visuellen Systems wird nach einer Theorie als eine
Region angesehen, die ausschließlich für die Erkennung von Gesichtern zu-
ständig ist und deshalb als fusiform face area (FFA) bezeichnet (domain speci-
ficity / category-specific model). Im Gegensatz dazu wird in einer anderen Theo-
rie davon ausgegangen, dass bestimmte Wahrnehmungsprozesse (Experten-
tum einhergehend mit dem Level der Kategorisierung) ausschlaggebend sind
für die Aktivierung des medialen Gyrus fusiformis. Dabei ist die Verarbeitung
unabhängig von der Objektkategorie (domain generality / process-map model).
In der vorliegenden Studie soll nun überprüft werden, ob die Funktion des me-
dialen Gyrus fusiformis tatsächlich auf Expertentum beruht.
Gesichter und Handschriften ­ für beide Objektkategorien hat der Mensch visu-
elles Expertentum erlangt ­ dienen als Stimuli.
Die funktionelle Aktivierung im occipito-temporalen Cortex wird für beide Stimu-
luskategorien mittels fMRT gemessen. Lokale Unterschiede in der Aktivierung
werden dargestellt. Der prozentuale Aktivierungsanstieg im medialen Gyrus
fusiformis wird sowohl für Handschriften als auch für Gesichter errechnet und
beide Werte miteinander verglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass beide Objektkategorien Regionen des ventralen
visuellen Systems ansprechen. Es zeigt sich weiterhin, dass der prozentuale
Aktivierungsanstieg für Gesichter im Gegensatz zum prozentualen Aktivie-
rungsanstieg für Handschriften in der rechten FFA signifikant höher ist. In der
FFA der linken Hemisphäre ergibt sich ein höherer prozentualer Aktivierungs-
anstieg für Handschriften.
Die Ergebnisse werden in Hinblick auf Unterschiede im Grad an Expertentum
und Lateralisierungstendenzen diskutiert.
6

1. EINLEITUNG
Die Psychologie als die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des
Menschen befasst sich unter anderem auch mit der Erforschung kognitiver Vor-
gänge im menschlichen Gehirn. Dabei bestanden seit jeher unterschiedliche
Modellvorstellungen für die Funktionsweise des menschlichen Gehirns bei der
Verarbeitung von Umweltreizen. Insbesondere auch die visuelle Wahrnehmung
und deren Verarbeitung im menschlichen Gehirn ist seit langem Gegenstand
zahlreicher Untersuchungen in der Psychologie; dies wohl nicht zuletzt deshalb,
weil gerade der ,,Gesichtssinn" des Menschen maßgeblich zu seiner Orientie-
rung in der Welt beiträgt und er dabei die unterschiedlichsten Arten von wahr-
genommenen Objekten zu verarbeiten hat.
Dabei befasst sich die kognitive Psychologie
1
u. a. mit der Frage, auf welche Art
und Weise visuelle Informationen verarbeitet werden. Sie versucht, aus den
gewonnenen Untersuchungsergebnissen Rückschlüsse auf die Funktionsweise
des menschlichen visuellen Systems zu ziehen. Vor allem auch auf dem Gebiet
der Neuropsychologie wird versucht, von differenzierten Störungsbildern im Be-
reich der visuellen Wahrnehmung auf die Funktionsweise des menschlichen
Gehirns zu schließen. Moderne Methoden im Bereich der Bildgebung, z.B. die
funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), ermöglichen heute zum einen
die Überprüfung der aus der kognitiven Psychologie und der Neuropsychologie
gewonnenen Schlussfolgerungen und zum anderen eine zuverlässige Lokalisie-
rung der betreffenden Gehirnareale. Im Verlaufe der Forschung unter Einsatz
dieser immer differenzierter und effektiver gewordenen Untersuchungsmetho-
den ist zunehmend auch der visuelle Assoziationscortex, dort insbesondere der
mediale Gyrus fusiformis, Gegenstand der Forschungsbemühungen geworden.
Die vorliegende Abhandlung will unter Einbeziehung einer experimentellen
fMRT-Untersuchung einen Beitrag zu diesen Forschungsbemühungen liefern.
Zunächst werden die allgemeinen Grundlagen und der spezifische Hintergrund
1
Kognitive Psychologie wird hier einfachheitshalber als diejenige Richtung der kognitiven Psy-
chologie definiert, welche sich auf die Erhebung von Verhaltensdaten beschränkt.
7

des derzeitigen Forschungsstandes dargestellt und anschließend die Ergebnis-
se der eigenen Untersuchung im Kontext mit den bereits vorliegenden fMRT-
Studien verglichen und diskutiert.
2. HINTERGRUND DER STUDIE
2.1 Lokalisierung des visuellen Assoziationscortex im Gehirn
Jenseits des primären visuellen Cortex des Menschen (Area 17 nach Brod-
mann ­ Abbildung 2 A), auch Area V1 oder striatärer Cortex genannt, liegen
die Areale des visuellen Assoziationscortex, übergeordnete visuelle Felder, de-
ren Nervenzellen unterschiedliche visuelle Reizmerkmale (Form, Bewegung,
Farbe und Ausrichtung von Objekten) weiterverarbeiten und sich über occipital
nach parietal und temporal erstrecken. Nach Roland (1993) sind dem visuellen
Assoziationscortex, der auch als extrastriatärer Cortex bezeichnet wird, folgen-
de Gehirnregionen zuzuordnen: Gyrus occipitalis superior, Gyrus occipitalis
medius, Gyrus occipitalis inferior, Gyrus lingualis, Gyrus fusiformis, Cuneus,
Praecuneus, Lobulus parietalis superior, Lobulus parietalis inferior, Gyrus angu-
laris, Gyrus temporalis superior, Gyrus temporalis medius, Gyrus temporalis
inferior und Gyrus parahippocampalis (Abbildung 1).
Wie der primäre visuelle Cortex, sind auch die Regionen des extrastriatären
Cortex meist retinotopisch gegliedert. Orientiert man sich an der cytoarchitekto-
nischen Einteilung des Gehirns nach Brodmann, sind Area 18 und 19 im Occi-
pitallappen dem visuellen Assoziationscortex zuzuordnen (Abbildung 2 A).
Brodmann identifizierte weiterhin vier temporale visuelle Felder (Area 20, 21, 37
und 38 ­ Abbildung 2 B) und fünf parietale Regionen, welche polymodale Zel-
len enthalten, die auch auf visuelle Informationen ansprechen (Area 5, 7, 39, 40
und 43 ­ Abbildung 2 C).
8

Abbildung 1: Makroskopische Anatomie des Gehirns. Bezeichnet sind an
der visuellen Wahrnehmung beteiligte Regionen des Occipital-, Temporal-
und Parietallappens. A. Die auf der lateralen Oberfläche sichtbaren Struk-
turen. B. Die in der mediane Ansicht erkennbaren Strukturen.
A
B
9

Abbildung 2: Die cytoarchitektonischen Felder des visuellen Systems
nach Brodmann. A. Laterale Ansicht der cytoarchitektonischen Felder des
Occipitallappens. B. Die cytoarchitektonischen Felder der lateralen Ober-
fläche des Temproallappens. C. Die in lateraler Ansicht erkennbaren cy-
toarchitektonischen Felder des Parietallappens.
A
19
18
17
B
22
21
37
38
20
10

C
5
7
43
40
39
11

2.2 Die zwei Verarbeitungswege im visuellen Assoziationscortex -
die dorsale Bahn und die ventrale Bahn im Besonderen
Bereits in den 80er Jahren wurde an Macaquengehirnen die Funktions-
weise des extrastriatären Cortex intensiv erforscht. Dabei kristallisierte sich
heraus, dass die visuelle Informationsverarbeitung des extrastriatären visuellen
Systems der Macaquenaffen in zwei Hauptbahnen gegliedert ist (Mishkin et al.,
1983; Ungerleider und Mishkin, 1982).
Eine Bahn nimmt ihren Ausgang in V1 und zieht in den parietalen Cortex. Diese
Bahn ist auf die Identifizierung von räumlichen Informationen spezialisiert. Hier
wird analysiert, wo sich einzelne Objekte im Raum befinden und welche räumli-
chen Relationen zwischen ihnen bestehen (Ungerleider und Mishkin, 1982).
Diese Route wird auch als dorsale Bahn bezeichnet.
Die zweite Bahn führt ventral in den inferior-temporalen Cortex und ist mit der
Erkennung von Objekten (einschließlich Farbe) betraut, dem ,,Was" einer visuel-
len Szene (Ungerleider und Mishkin,1982). Für sie ist die Bezeichnung ventrale
Bahn üblich.
Eine Vielzahl von Studien, überwiegend Läsionsstudien bei Patienten mit Pro-
sopagnosie, ließen vermuten, dass die Verarbeitung visueller Informationen im
extrastriatären visuellen System des Menschen ebenfalls in diese zwei Bahnen
gegliedert ist (Abbildung 3).
Prosopagnosie bezeichnet eine spezifische Beeinträchtigung der Gesichter-
wahrnehmung. Die Betroffenen können zwar ein Gesicht als Gesicht identifizie-
ren, meist Geschlecht und Alter bestimmen, sind aber unfähig, das Gesicht ei-
ner bestimmten Person zuzuordnen (Tranel et. al., 1988). Damasio et al. be-
schrieben einen Fall einer 65-jährigen Frau, die unfähig war, das Gesicht ihres
Mannes, ihrer Tochter oder anderer ihr bekannter Personen zu erkennen (Da-
masio et al. 1990).
12

Abbildung 3: Bildliche Darstellung der zw
ei visuellen In
formationsverarbeitungsw
ege. Di
e dorsale Route verarbeitet
räumliche Informationen (Wo), die ventrale Bahn ist
für die Erkennung von Objekten zuständig (Was).
Wo
Was
13

Damasio et al. (1982) untersuchten post mortem die Gehirne von drei Schlag-
anfallpatienten mit Prosopagnosie. Es zeigten sich bei allen Patienten bilaterale
Läsionen in occipito-temporalen Regionen entlang des ventralen Verarbei-
tungsweges.
Auch PET-Studien an gesunden Probanden (Grady et al., 1992; Haxby et al.,
1991) bestätigten die Vermutung einer Trennung der visuellen Informationsver-
arbeitung im extrastriatären Cortex in die dorsale und ventrale Bahn. Haxby et
al. (1991) untersuchten den cerebralen Blutfluss bei 11 jungen, gesunden Män-
nern, während diese Gesichter sahen bzw. die Lage von zwei Punkten in je
zwei Quadraten auf Gleichheit überprüfen mussten. Als Kontrollbedingung dien-
te eine sensomotorische Aufgabe. Nach Subtraktion der Kontrollbedingung
zeigten sich während der Gesichterbedingung bilaterale Aktivierungen in Regi-
onen des occipito-temporalen Cortex. Während der Punktlokalisationsaufgabe
wurden Regionen des occipito-parietalen Cortex bilateral aktiviert.
Die Einteilung der Informationsverarbeitung im visuellen Assoziationscortex des
Menschen in die zwei Verarbeitungswege dorsale Bahn und ventrale Bahn gilt
heute als gesichert.
2.3 Die zwei Modellvorstellungen (domain specificity / domain generality)
zum funktionellen Aufbau des ventralen Verarbeitungsweges, insbe-
sondere des medialen Gyrus fusiformis
2.3.1 Richtungsweisende theoretische Ansätze
In The Modularity of Mind (Fodor, 1983) beschreibt Fodor zwei konkurrie-
rende Ansichten über den strukturellen Aufbau des Geistes
2
.
2
Es gibt im Deutschen keinen klaren und prägnanten Ausdruck für ,,mind"; dieser Begriff wird
hier mit ,,Geist" übersetzt. Sinngemäß umfasst dieser Begriff alle Kognitionen.
14

Nach Fodor geht die wohl bekannteste Theorie auf Franz Joseph Gall, dem Be-
gründer der Phrenologie, zurück. Der zugrunde liegende Theorieansatz besteht
darin, dass der Geist in abgegrenzte parallele Einheiten unterteilt ist. Danach
sind die kognitiven Fähigkeiten (z.B. Gedächtnis, Wahrnehmung, Aufmerksam-
keit oder Vorstellungskraft) bereichsspezifisch (domain specific) und jeweils mit
bestimmten neuronalen Strukturen assoziiert. So gibt es nach Fodors Darstel-
lung etwa ein Gedächtnis für Musik und ein Gedächtnis für Zahlen; beide Fä-
higkeiten sind in voneinander abgegrenzten Gehirnregionen repräsentiert.
,,The mind has an intrinsic structure, and mental contents have
instantaneous locations (...)" (Fodor, 1983, S. 12)
Neurowissenschaftler, die diese Meinung vertreten, suchen nach Gehirnregio-
nen, die für die Verarbeitung spezifischer Inhalte zuständig sind.
Fodor beschreibt demgegenüber aber auch eine zweite theoretische Vorstel-
lung. Hiernach sind die einzelnen kognitiven Fähigkeiten auf verschiedene In-
haltsbereiche anwendbar (domain general). Beispielsweise würde das bedeu-
ten, dass es eine Fähigkeit ,,Gedächtnis" gibt, welche ganz heterogene Inhalte
aufnehmen kann, in etwa Musik, Zahlen etc..
"A (...) system is thus individuated by reference to its charac-
teristic operations (...)" (Fodor, 1983, S.13).
Gehirnforscher, die in ihren Untersuchungen von dieser Theorie ausgehen, su-
chen nach Regionen, die heterogene Inhalte durch bestimmte kognitive Fähig-
keiten verarbeiten können.
In Fortführung dieser beiden Theorienansätze ist auch die Objektwahrnehmung
im ventralen Verarbeitungsweg in den Focus der bestehenden Diskussion über
domain specificity und domain generality gerückt.
15

2.3.2 Übertragung der theoretischen Ansätze auf die Funktionsweise des
ventralen Verarbeitungsweges
Die ventrale Bahn des menschlichen Gehirns besitzt, wie bereits er-
wähnt, die Fähigkeit, mentale Repräsentationen für eine Vielzahl von Objekten
zu generieren. Elementare Teilmerkmale unterschiedlichster Objekte wie Ge-
sichter, Tiere, Gegenstände und andere komplexe Formen, z.B. schriftliches
Material, werden hier zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. Die Ansichten
über die funktionelle Architektur des ventralen Verarbeitungsweg gehen auch
entsprechend der zwei oben beschriebenen Theorieansätze (domain specificity
und domain generality) auseinander.
Analog dazu geht die eine Vorstellung davon aus, dass der ventrale visuelle
Cortex Regionen enthält, welche auf die Erkennung bestimmter Objektkatego-
rien (Gesichter, Häuser usw.) spezialisiert sind. Die kognitiven Fähigkeiten,
welche bei der Verarbeitung einzelner Objektkategorien eine Rolle spielen, sol-
len danach qualitativ verschieden sein. Diese Sichtweise postuliert hiernach
eine bereichsspezifische Verarbeitung von Objekten (domain specific) durch
abgegrenzte Strukturen im ventralen Verarbeitungsweg.
Dem gegenüber postuliert das zweite Modell, dass einzelne Regionen innerhalb
der ventralen Bahn auf unterschiedliche Objektkategorien ansprechen. Dabei
sollen die einzelnen Strukturen befähigt sein, die mentale Repräsentationen für
verschiedene visuelle Inhalte (Objekte) zu generieren (domain general), sobald
dieselben kognitiven Fähigkeiten bei der Wahrnehmung der Objekte erforderlich
sind.
Einen ,,Mikrokosmos" dieser seit langer Zeit bestehenden Grundsatzdiskussion
stellt die gegenwärtige Auseinandersetzung über die Funktionsweise des medi-
alen Gyrus fusiformis (siehe Abbildung 1 B) dar.
16

2.3.3 Auswirkungen der zwei Modellvorstellungen in Bezug auf die
Funktionsweise des medialen Gyrus fusiformis
Zum einen wird der mediale Gyrus fusiformis als eine für die selektive
Verarbeitung von Gesichtern zuständige Region (domain specific) angesehen
und als fusiform face area (FFA) bezeichnet (Kanwisher et al., 1997, Kanwisher
et al., 1999). Nach deren Meinung ermöglicht die spezifische Geometrie von
Gesichtern, der Inhalt des Objekts also, der FFA die Identifizierung eines Ge-
sichts aufgrund seiner spezifischen ganzheitlichen (holistic) und konfiguralen
Charakteristika. Diese beruhen hiernach auf den in jedem Gesicht vorhandenen
Merkmalen (Auge, Nase, Mund etc.), die für alle Gesichter ähnliche Relationen
zueinander aufweisen. Der Prozess der ganzheitlichen und konfiguralen Verar-
beitung soll demnach einen für die Wahrnehmung von Gesichter spezifischen
Mechanismus darstellen (Tanaka und Farah, 1993).
Die Vorstellung einer spezifischen ,,Gesichterregion" entspricht dem Modell,
dass getrennte Regionen in der ventralen Bahn für die Verarbeitung unter-
schiedlicher Objektkategorien zuständig sind, bezeichnet als category-specific
model (Kanwisher et al., 1997, Kanwisher et al., 1999).
Dabei stellt sich aber die Frage, ob die Spezialisierung der FFA für Gesichter
ausschließlich auf der spezifischen Geometrie von Gesichtern beruht (domain
specific). Es wäre nämlich andererseits auch denkbar, dass stattdessen be-
stimmte Wahrnehmungsprozesse bei der Identifizierung von Gesichtern für die
Spezialisierung ausschlaggebend sind (domain general).
Dieser Gedankenansatz ist der Ausgangspunkt für das sogenannte process-
map model (Gauthier et al., 1999b; Gauthier et al. 2000b). Danach beruht die
Spezialisierung der FFA für Gesichter zum einen auf zwei Wahrnehmungspro-
zessen
3
, welche die Identifizierung von Gesichtern steuern (Gauthier und Tarr,
1996).
3
Der von Gauthier et al. verwendete Begriff ,,Wahrnehmungsprozesse" meint dabei die kogniti-
ven Fähigkeiten, die bei der Identifizierung von Gesichtern herangezogen werden.
17

Einer dieser Prozesse ist die auch von den Vertretern des category-specific
model angenommene ganzheitliche und konfigurale Verarbeitungsweise, die
bei der Gesichterwahrnehmung zum Einsatz kommt. Ganzheitliche Verarbei-
tung meint dabei die simultane Erfassung aller Merkmale eines Objekts. Konfi-
gurale Verarbeitung bezeichnet die Erfassung der genauen Relationen zwi-
schen den einzelnen Merkmalen eines Objekts.
Der zweite und nach Tarr und Gauthier (2000) ausschlaggebende perzeptive
Prozess für eine Verarbeitung von Gesichtern in der FFA ist die Fähigkeit, Ge-
sichter auf differenzierende Art und Weise wahrzunehmen. Im Gegensatz zu
anderen Objekten, die auf allgemeinem Niveau wahrgenommen werden (basic
level categorisation), um die Zuordnung zu einer Objektkategorie zu ermögli-
chen, (z.B. ,,ein Stuhl", ,,eine Tasse", etc.), können Gesichter auf untergeordne-
ter Ebene ja sogar individuell kategorisiert werden (z.B. ,,ein männliches Ge-
sicht" oder sogar ,,das Gesicht von Eva", statt ,,ein Gesicht" ­ subordinate level
processing bzw. individual level processing). Dadurch wird eine individuelle Un-
terscheidung zwischen den visuell ähnlichen Gesichtern ermöglicht und nicht
nur eine Zuordnung zur allgemeinen Objektkategorie ,,Gesicht" getroffen.
Zum anderen werden beide gerade beschriebenen Prozesse, so die Meinung
der Vertreter des process-map model, durch die jedem Menschen eigentümli-
chen Erfahrung mit der Objektkategorie ,,Gesichter" verstärkt (Tarr und
Gauthier, 2000). Diese visuelle Erfahrung macht den Menschen gewisserma-
ßen zu einem ,,Experten" für die visuelle Verarbeitung von Gesichtern und au-
tomatisiert individual level processing sowie ganzheitliche und konfigurale Ver-
arbeitung.
Zusammenfassend lässt sich der Theorienansatz des process-map model da-
hingehend beschreiben, dass eine Verarbeitung auf einem subordinate und so-
gar individuellem Level ausschlaggebende für die Funktion des medialen Gyrus
fusiformis ist und durch Expertentum
4
mit der Objektkategorie Gesichter auto-
4
Im Deutschen gibt es keine passende Übersetzung für das englische Wort expertise. Es wird
im Weiteren mit Expertentum übersetzt.
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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832484606
ISBN (Paperback)
9783838684604
DOI
10.3239/9783832484606
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Psychologie
Erscheinungsdatum
2004 (November)
Note
1,3
Schlagworte
magnetresonanz gehirn gesichter bildgebung
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Titel: Domain specificity oder domain generality? Die Funktion des medialen Gyrus fusiformis bei der
Objekterkennung
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