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Ökonomische Implikationen der Deckung des Regelenergiebedarfs in Deutschland

©2004 Diplomarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:

„Stoppt die Energieabzocker“ (Bild), „Strompreise steigen um bis zu 15 Prozent“ (Bild am Sonntag), „Energiekonzerne treiben die Preise“ (Spiegel), „Konzerne lassen sich Stromspitzen teuer bezahlen“ (Handelsblatt)…
So oder so ähnlich lautete in den letzten Wochen der Tenor der Pressestimmen über die geplante Erhöhung der Strompreise seitens der nationalen Energiemultis (RWE, E.ON, EnBW sowie Vattenfall). Kaum ein Wirtschaftsthema löste – mit Ausnahme der Debatte um Hartz IV- eine breitere Empörung in der Öffentlichkeit aus. Schließlich - so die einhellige Meinung - ginge es den Verbrauchern und letztlich uns allen ans Portmonee. Die kontroversen Positionen reichten von „notwendiger Anpassung“ bis hin zur „reinen Abzocke“. Die Argumentationen eröffnen die folgenden Fragen: Sind die vier Großen der Strombranche tatsächlich nur eilig auf das „Abkassieren“ fixiert, bevor die Regulierungsbehörde ihre Arbeit aufnimmt? Oder erzwingen vielmehr Sondereinflüsse auf der Kostenseite die Preisanhebungen in zweistelliger Höhe? Wie so oft in der Strombranche - sind auch hier Erklärungen komplex und vielschichtig. Eine sachliche Analyse der Einflussfaktoren und Hintergründe ist hierbei zielführend.
Obgleich der öffentlich-politische Druck die Energiemultis zwischenzeitlich zum Einlenken gezwungen hat – die Preiserhöhungen sind größtenteils auf Eis gelegt worden - sind sie aber nicht vollständig vom Tisch. Die Konzerne begründen Preiserhöhungen generell mit dem Anstieg der Preise für Vorprodukte und Dienstleistungen, die sie ihrerseits auf den jeweiligen Beschaffungsmärkten aufwenden müssen. Die bedeutendste Vorleistung im Bereich der Netze stellt dabei die Bereitstellung von sog. Regelenergie dar. Regelenergie muss eingekauft und im Bedarfsfall zusätzlich ins Netz eingespeist werden, um die Netzversorgung stabil zu halten. Ansonsten drohen Black-outs und Versorgungsausfälle. Als wichtiges Bindeglied zwischen den Teilnehmern des nationalen Stromwettbewerbes hat sich seit drei Jahren ein dynamisch wachsender Markt für Regelenergie etabliert. Die Netztöchter von RWE & Co. wälzen ihre Kosten für den Regelenergiebezug auf Stromhändler und Netznutzer ab. Die vorliegende Arbeit bearbeitet umfassend alle wesentlichen, ökonomischen Implikationen, die mit ihrer Erzeugung, Bereitstellung und Verteilung einhergehen. Dabei werden die Argumentationslinien der Produzenten, Netzbetreiber und Großhändler auf Stichhaltigkeit geprüft. Die folgende […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 8457
Sahin, Taner:
Ökonomische Implikationen der Deckung des Regelenergiebedarfs in Deutschland
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Universität Duisburg-Essen, Standort Essen, Diplomarbeit, 2004
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http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
IV
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ... 1
1.1
Stellenwert der Regelenergie im liberalisierten Elektrizitätsmarkt ... 2
1.1.1
Systemverantwortung des Netzbetreibers ... 3
1.1.2
Mehrkosten für Netznutzer und Stromhändler ... 4
1.1.3
Neues Marktsegment für Kraftwerksbetreiber ... 5
1.2
Problemstellung... 6
1.3
Aufbau der Arbeit... 7
2
Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung ... 9
2.1
Ablauf der Frequenzregelung... 10
2.1.1
Primärregelung... 12
2.1.2
Sekundärregelung... 12
2.1.3
(Manuelle) Minutenreserve ... 12
2.2
Technische Konzepte zur Erbringung von Regelenergie... 13
2.2.1
Dampfkraftwerke ... 13
2.2.2
Gasturbinenkraftwerke ... 14
2.2.3
Pumpspeicherkraftwerke... 15
2.2.4
Abschaltbare Lasten ... 15
2.3
Qualitative Kostenanalyse der Frequenzhaltung ... 16
2.4
Bemessung des Regelenergiebedarfs ... 18
2.4.1
Kriterium des Value-of-Loss-Load ... 19
2.4.2
Zeitliche Entwicklung des Regelleistungsbedarfs ... 21
2.5
Zwischenfazit... 22
3
Energiewirtschaftlicher Hintergrund des Regelenergiesystems in Deutschland ... 24
3.1
Entflechtung und Netzzugangsmodell... 24
3.2
Netznutzungsentgelte und Kostenwälzung ... 25
3.2.1
Kosteneffekt der Regelenergie auf die Netznutzungsentgelte... 27
3.3
Strommärkte ... 28
3.3.1
Terminmarkt ... 28
3.3.2
Spotmarkt... 28
3.3.3
Ausgleichsmarkt... 28
3.3.4
Regelmarkt... 29
3.4
Stromhandel, Fahrpläne und Bilanzkreise ... 31
3.4.1
Fahrplanmanagement ... 31
3.4.2
Bilanzkreismodell ... 32
3.4.3
Stromhandel ... 33
3.5
Bilanzkreisverantwortung ... 34
3.5.1
Bilanzabweichungsrisiko ... 35
3.5.2
Sanktionen bei Missbrauch des Bilanzkreisvertrages ... 35
3.6
Zwischenfazit... 36

Inhaltsverzeichnis
V
4
Konzeption einer wirtschaftlich effizienten und wettbewerbskonformen Bereitstellung
von Regelenergie im liberalisierten Elektrizitätsmarkt... 37
4.1
Modellgrundlagen für den Markt für Regelenergie... 37
4.1.1
Nachfragefunktion nach Regelenergie... 39
4.1.2
Angebotsfunktion für Regelenergie... 39
4.1.3
Modellkritik ... 41
4.1.4
Fixkostendeckung ... 42
4.2
Wirtschaftliche und wettbewerbspolitische Kriterien der Bereitstellung der
Regelenergie ... 43
4.2.1
Wettbewerbliche Beschaffung von Regelenergie ... 43
4.2.2
Effiziente Preisbildung für Regelenergie... 44
4.2.3
Verminderung der Auswirkungen marktbeherrschender Stellungen ... 48
4.3
Zwischenfazit... 49
5
Öffnung des Marktes für Regelenergie für den Wettbewerb ... 51
5.1
Gegebenheiten vor der Marktöffnung... 51
5.1.1
Preisstellung und Abrechnung für Regelenergie gemäß VV II ... 51
5.1.2
Kritik an der Preisstellung für Regelenergie... 53
5.2
Auflagen des Bundeskartellamtes gegenüber RWE und E.ON ... 54
5.2.1
Inhalt und Begründung der Auflagenerteilung ... 54
5.2.2
Fahrplan der Auflagenumsetzung ... 56
5.3
Umsetzung der Auflagen durch die Netzbetreiber ... 58
5.3.1
Präqualifikation... 58
5.3.2
Ausschreibungsmarkt... 59
5.3.3
Abrechnung mit Bilanzkreisen... 60
5.3.4
Zusammenhänge der Erlös- und Kostenzuordnung ... 61
5.4
Entwicklung der Preise für Regelenergie ... 62
5.4.1
Preisentwicklung Primärregelung... 62
5.4.2
Preisentwicklung Sekundärregelung... 63
5.4.3
Preisentwicklung Minutenreserve ... 63
5.5
Begründung der Netzbetreiber für steigende Beschaffungskosten für
Regelenergie ... 65
5.5.1
Gestiegene Händleraktivitäten ... 65
5.5.2
Zunahme der Windenergie- Einspeisungen... 68
5.5.3
Abbau von Kraftwerkskapazitäten ... 71
5.5.4
Spekulative Bilanzkreisverantwortliche... 72
5.6
Zwischenfazit... 72
6
Wettbewerbliche Schwächen im Aufbau des Beschaffungsmarktes für
Regelenergie ... 74
6.1
Präqualifikation ... 74
6.1.1
Festlegung von Mindestangebotsleistungen... 75
6.1.2
Regelzonenüberschreitende Erbringung ... 76
6.1.3
Sonstige Festlegungen ... 77
6.2
Rahmenvertrag... 77
6.3
Ausschreibung... 78
6.3.1
Verfügbarkeitsanforderungen und Fristen ... 78
6.3.2
Angebotsstrukturen ... 79

Inhaltsverzeichnis
VI
6.4
Auswahl der Anbieter ... 80
6.5
Dispatching der Regelenergie ... 80
6.6
Vergütung der Anbieter ... 81
6.7
Veröffentlichung der Ausschreibungsergebnisse... 82
6.7.1
Dateninkonsistenzen... 83
6.8
Zwischenfazit... 84
7
Schlussfazit... 86
Anhang I (Regelzonen) ... 88
Anhang II (Mengenbedarf)... 89
Anhang III (Netznutzungspreise) ... 91
Anhang IV (Bilanzabweichungen: Messung und Preise)... 93
Anhang V (Handelsmodalitäten)... 95
Anhang VI (Regelenergiepreise) ... 97
Bibliographie ... 99

Abbildungsverzeichnis
VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1-1: Echtzeit-Ausgleich von Verbrauch und Erzeugung ... 3
Abbildung 1-3: Abgrenzung von Regel- und Ausgleichsenergie aus Sicht des ÜNB ... 7
Abbildung 2-1: Ursachen für Leistungsbilanzungleichgewichte... 9
Abbildung 2-2: Typischer Frequenzverlauf nach einer 1300-MW-Störung... 11
Abbildung 2-3: Idealtypischer Ablauf der Frequenz-Wirkleistungs-Regelung ... 11
Abbildung 2-4: Auswirkungen der Reservehaltung in Form ,,rotierender Reserve" ... 18
Abbildung 2-5: Defizitwahrscheinlichkeit bei Gesamtregelleistung der RWE Net ... 19
Abbildung 3-1: Entbündelung der Wertschöpfungskette ... 24
Abbildung 3-2: ,Regelenergieeinfluss' in der Mittelspannung ... 27
Abbildung 3-3: Zeitlicher Ablauf von Handelsgeschäften in Finnland und Schweden... 29
Abbildung 3-4: Merit Order und Preisbildung im Regelmarkt ... 30
Abbildung 3-5: Systematik der Saldierung und Abrechnung von Bilanzabweichungen .. 33
Abbildung 3-6: Portfolioübersicht von Strombeschaffungsprodukten ... 34
Abbildung 4-1: Preisbildung im Nordpool... 38
Abbildung 5-1: Abrechnung von Bilanzabweichungen gemäß VV II ... 52
Abbildung 5-2: Abrechnung von Ausgleichsenergie auf ¼h-Basis ... 60
Abbildung 5-3: Kosten- /Erlöszuordnung aus Regelenergie... 61
Abbildung 5-4: Preisentwicklung Primärregelung ... 62
Abbildung 5-5: Leistungspreisentwicklung Sekundärregelung ... 63
Abbildung 5-6: Histogramm Regelzonensaldo EnBW, 2002-2003 ... 67
Abbildung 5-7: Histogramm Regelzonensaldo E.ON, 2002-2003 ... 68
Abbildung 5-8: Anteil der Windenergie am Stromverbrauch in Deutschland... 68
Abbildung 6-1: Prozedur der Beschaffung von Regelenergie... 74
Abbildung 6-2: Anzahl der Markteilnehmer im RWE- und E.ON- Markt ... 79
Abbildung I-1: Die nationalen Regelzonen... 88
Abbildung II-1: Entwicklung des Regelleistungsbedarfs P
Sek+Min
im RWE-Gebiet ... 89
Abbildung II-2: Entwicklung des Regelleistungsbedarfs P
Sek+Min
im E.ON-Gebiet... 90
Abbildung II-3: Entwicklung des Regelleistungsbedarfs P
Sek+Min
im EnBW-Gebiet ... 90
Abbildung II-4: Entwicklung des Regelleistungsbedarfs P
Sek+Min
im Vattenfall-Gebiet... 90
Abbildung IV-1: Bilanzabweichungen des BKV auf der Erzeugungsseite ... 93
Abbildung IV-2: Bilanzabweichungen des BKV auf der Entnahmeseite ... 93
Abbildung IV-3: Preise für Ausgleichsenergie, E.ON ... 94
Abbildung IV-4: Preise für Ausgleichsenergie im Tagesverlauf, E.ON ... 94
Abbildung VI-1: Zeitreihen mittlerer Leistungspreise für pos. Minutenreserve, E.ON... 97
Abbildung VI-2: Zeitreihen mittlerer Leistungspreise für neg. Minutenreserve, E.ON ... 97
Abbildung VI-3: Arbeitspreise für positive Minutenreserve, E.ON... 98

Tabellenverzeichnis
VIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 3-1: Zeitliche Hierarchie physischer Strommärkte... 31
Tabelle 5-1: Preise für Regelenergie, Stand Juni 2000 ... 53
Tabelle 5-2: Zeitplan der Marktöffnung ... 58
Tabelle II-1: Bedarf Primärregelung (P
Pr
), BRD ... 89
Tabelle II-2: Bedarf Sekundärregelung (P
Sek
) und Minutenreserve (P
Min
), BRD ... 89
Tabelle III-1: Netznutzungsentgelte EnBW Transportnetze AG... 91
Tabelle III-2: Netznutzungsentgelte E.ON Netz GmbH... 91
Tabelle III-3: Netznutzungsentgelte RWE Net AG ... 92
Tabelle V-1: Ausgestaltungsmerkmale deutscher Primärregelmärkte ... 95
Tabelle V-2: Ausgestaltungsmerkmale deutscher Sekundärregelmärkte ... 95
Tabelle V-3: Ausgestaltungsmerkmale deutscher Minutenreservemärkte ... 96

Einleitung
1
1 Einleitung
Aufgrund der bedingten Speicherfähigkeit von Elektrizität ist in einem Elektrizitätsversor-
gungssystem für ein stetiges Gleichgewicht zwischen eingespeister und entnommener
elektrischer Energie zu sorgen. Diese Aufgabe wird von den nach der Liberalisierung des
nationalen Energiemarktes aus den Verbundunternehmen hervorgegangenen Übertra-
gungsnetzbetreibern (ÜNB) wahrgenommen. Unabhängig vom Grad der Marktöffnung
oder der Marktstruktur benötigen sie Kraftwerkskapazitäten (Regelreserve), um auftre-
tende Leistungsschwankungen unverzüglich auszuregeln.
Jeder ÜNB ist dabei für ein abgegrenztes Gebiet (Regelzone) verantwortlich.
1
Als reine
im Zuge der Entflechtung vom Erzeugungsbereich getrennte Netzgesellschaften verfügen
die ÜNB jedoch über keine eigenen Kraftwerke, um ihren Regelenergiebedarf zu decken.
Bisher wurde die benötigte Regelenergie ausschließlich über im Konzern verbundene
bzw. langfristig verpflichtete Kraftwerksunternehmen beschafft, die somit über ein fakti-
sches Monopol für Regelenergie verfügten. Dies konnte auf Dauer nicht mit dem Kartell-
recht vereinbart werden.
Auf Druck der Kartellbehörden mussten die ÜNB ihre Beschaffungspraxis zugunsten
einer marktkonformen Lösung aufgeben. Nachdem Vattenfall Europe aufgrund fusions-
bedingter Verzögerungen erst im September 2002 nachziehen konnte, haben inzwischen
alle ÜNB ihre Beschaffungsmärkte für andere Anbieter geöffnet. Seitdem wird der ge-
samte deutsche Regelenergiebedarf öffentlich ausgeschrieben und unter Wettbewerbs-
bedingungen gedeckt.
Die Kartellbehörden verfolgen mit der Einführung von Auktionen im Wesentlichen zwei
Ziele: Zum einen soll der Ausschreibungswettbewerb Preisdruck unter den Anbietern der
Regelenergie auslösen und damit die Beschaffungskosten der ÜNB senken. Zum ande-
ren sollen sich die reellen Herstellungskosten im Sinne der gewünschten Allokationseffi-
zienz in den Abrechnungspreisen widerspiegeln, die von den ÜNB für die Regelenergie-
bereitstellung verlangt werden. Kosteneinsparungen bzw. Effizienzgewinne, welche die
ÜNB im Rahmen ihrer Ausschreibungen erzielen, dürfen sie demzufolge ihren Kunden
(Netznutzer und Bilanzkreisverantwortliche) nicht vorenthalten. Gemäß Verursacherprin-
zip tragen diese Kunden die eigentliche Kostenlast. Das wettbewerbspolitische Kalkül ist
einfach: Die Netzkunden sollen dort finanziell entlastet werden, wo ihnen in der Vergan-
genheit unangemessen hohe Preise in Rechnung gestellt wurden. Unterstützt werden die
wettbewerbspolitischen Motive durch die Richtlinien der Verbändevereinbarung. In den
dortigen Preisfindungsansätzen sind die Grundsätze der Kostengerechtigkeit und Kos-
1
Siehe Anhang I.

Einleitung
2
teneffizienz expressis verbis verankert.
2
Kostengerechtigkeit setzt voraus, dass die Preis-
stellungen der ÜNB den Ausschreibungsergebnissen entsprechen und die Ausschrei-
bungsergebnisse zeitnah veröffentlicht werden. Nur so entsteht Transparenz und das
erforderliche Vertrauen der Marktteilnehmer in die Engeltkalkulationen der ÜNB.
Da die oben genannten Ziele - Ausschreibungswettbewerb und Preiseffizienz - die ent-
scheidenden ökonomischen Weichen für den zukünftigen Markt für Regelenergie in
Deutschland stellen, wird dem Ausmaß ihrer Verwirklichung in dieser Arbeit besonderes
Augenmerk geschenkt.
1.1 Stellenwert der Regelenergie im liberalisierten Elektri-
zitätsmarkt
In Folge der Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes sind zu den traditionellen Vertretern
der Stromwirtschaft weitere Akteure dazu gestoßen. Für die nachfolgenden Betrachtun-
gen ist es hilfreich, die typischen Protagonisten und ihre Berührungspunkte zur Regel-
energie vorzustellen:
· die Bereitsteller: RWE Net AG (ehemals RWE und VEW), E.ON Netz GmbH (frü-
her PreussenElektra und Bayernwerk), EnBW Transportnetze AG (vormals Ba-
denwerk und EVS), Vattenfall Europe Transmission GmbH (vormals Bewag,
HEW, VEAG),
· die Empfänger: Netznutzer und Bilanzkreisverantwortliche. Dazu gehören unab-
hängige Händler, Industriebetriebe, Stadtwerke, Einkaufskooperationen der
Stadtwerke, Handelsgesellschaften alteingesessener Verbundunternehmen, Re-
gionalversorger auf der Verteilnetzstufe (VNB),
· die Erbringer: RWE Power AG (ehemals RWE Rheinbraun AG und RWE Power),
E.ON Energie AG, EnBW Kraftwerke AG und andere im EnBW Konzern konsoli-
dierte Kraftwerksunternehmen, Vattenfall Europe Generation AG & Co KG, indus-
trielle Kraftwerksbetreiber, lokale Energiedienstleister mit Eigenerzeugung sowie
Kraftwerksbetreiber aus der Schweiz und Österreich.
2
Vgl. VV II +, Anlage 3.

Einleitung
3
1.1.1 Systemverantwortung des Netzbetreibers
Der Einsatz von Regelenergie leistet seit Beginn der vernetzten Elektrifizierung einen
wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Stromversorgung und ist somit als Instrument der
Systembeherrschung nichts Neues. Vor der Liberalisierung wurde Regelenergie inner-
halb eines Unternehmens angefordert und bereitgestellt. Ihre ökonomische Bedeutung
erschöpfte sich darin, interne Bedarfsträger kostenoptimal zu versorgen. In der Außenbe-
ziehung tauchte Regelenergie höchstens implizit als Vorleistung für die dem Endabneh-
mer gelieferte Kilowattstunde auf.
3
Regelenergie genießt nun einen anderen Stellenwert. Die Aufgabe der Bereitstellung von
Regelenergie leiten die ÜNB aus der Systemdienstleistung (SDL) der Frequenzhaltung
ab. Da die Übertragungsnetze keine autarken Versorgungsinseln sind und Elektrizität
zwischen den Regelzonen ausgetauscht wird, müssen außerdem Reservevorgaben und
Regeln zum koordinierten Zusammenwirken aller Netzbetreiber im synchron betriebenen
europäischen Verbundnetz der UCTE
4
eingehalten werden. Im UCTE- Netz existieren
350.000 MW Kraftwerksleistung, davon 115.000 MW allein in Deutschland. Für die
Erbringung von Regelenergie werden derzeit in Deutschland rund 7.000 MW vorgehalten.
G
G
G
G
R
Systemverantwortung des Übertragungsnetzbetreibers
Regelenergie für Regelzone
und für Bilanzkreise
G
G
G
Regelzone
Bilanzkreis i
Bilanzkreis j
Bilanzkreis n
G
G
G
G
R
Systemverantwortung des Übertragungsnetzbetreibers
Regelenergie für Regelzone
und für Bilanzkreise
G
G
G
Regelzone
Bilanzkreis i
Bilanzkreis j
Bilanzkreis n
Abbildung 1-1: Echtzeit-Ausgleich von Verbrauch und Erzeugung
Zu den Leistungen, die der Netzbetreiber beim Angebot von Netzdiensten in der Höchst-
und Hochspannungsebene zu erbringen hat, gehören die sog. Systemdienstleistungen.
5
Diese Dienstleistungen sind für eine zuverlässige und sichere Durchleitung unverzicht-
bar. Hierzu erforderliche Vorleistungen müssen im Zuge der geforderten höheren Markt-
effizienz von externen Lieferanten unter Wettbewerbsbedingungen eingekauft werden.
3
Vgl. Sallé, C.: Ancillary Services An Overview 1996, S. 1.
4
Union of the Coordination of Transmission of Electricity.
5
Frequenzhaltung, Spannungshaltung, Versorgungswiederaufbau und Betriebsführung gemäß
TransmissionCode2003, Abschnitt 4.1 (1).

Einleitung
4
Hierbei sind grundsätzlich zwei Märkte zu unterscheiden: der Markt auf der Lieferanten-
seite und der Markt auf der Kundenseite.
6
Ob der ÜNB als aktiver Marktteilnehmer seine
Gewinne maximieren kann oder sich in die Rolle des ,,Durchleitungsknechtes" fügen
muss, ist von seinem wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum auf diesen Märkten abhän-
gig. Ein zu großer Spielraum ermöglicht dem ÜNB, seine einzelwirtschaftlichen Interes-
sen zulasten anderer Marktteilnehmer zu verfolgen. Dieses Verhalten ist problematisch,
wenn - wie im Fall der Netze - ein natürliches Monopol besteht.
7
1.1.2 Mehrkosten für Netznutzer und Stromhändler
In einem liberalisierten Energiemarkt müssen Stromversorger und Händler den
Verbrauch ihrer Kunden möglichst präzise im Vorfeld bestimmen, um die entsprechende
Energiemenge rechtzeitig ins Netz einzustellen. Dazu benötigen sie verlässliche Progno-
sen. Grundsätzlich sind Prognosen mit Unsicherheiten behaftet, so dass sich prinzipiell
folgendes Problem stellt:
Was geschieht, wenn die Kunden des Händlers A mehr Elektrizität verbrauchen, als die-
ser in das Netz gestellt hat und gleichzeitig der Mehrverbrauch durch Händler B ausge-
glichen wird?
Es wäre nur recht und billig, wenn Händler A die Energie bezahlt, die er zum Ausgleich
seiner Mindereinspeisung bezogen hat, während Händler B seine Mehreinspeisung ver-
gütet bekommt. Demzufolge muss es in einem liberalisierten Strommarkt vertragliche und
institutionelle Regelungen geben, die einen faires Kompensationsmodell bieten. Nach
skandinavischem Vorbild wurde in Deutschland das Bilanzkreismodell implementiert, an
dessen Spitze ein Bilanzkoordinator/ÜNB die ungewollten und ungeplanten Abweichun-
gen der Liefer- und Bezugsprogramme der Händler bewertet und den Bilanzausgleich
(Balance Settlement) vornimmt.
8
Zu jeder Zeit wird es Händler geben, deren Kunden mehr Elektrizität verbrauchen, als
ihnen zur Verfügung steht. Gleichzeitig wird es andere Händler geben, deren Kunden
weniger Elektrizität verbrauchen, als für sie bereitgestellt wurde. Mehreinspeisungen und
Mehrbezüge werden sich im Betrachtungszeitraum in einem hohen Maß gegenseitig
kompensieren- bis auf ein wahrscheinlich verbleibendes Restsaldo. Es ist letztlich dieser
Saldo, der durch gezielte Leistungserhöhung bzw. -senkung in den Regelkraftwerken
ausgeglichen wird. Dieser Betrag liegt um ein Vielfaches unter den Mengen an Aus-
gleichsenergie
9
, die im Bilanzausgleich ausgewiesen werden.
6
Vgl. Doll et al.: Die Zukunft des Netzbetreibers, 1999, S. 8.
7
Ebda., S. 9 ff.
8
Vgl. Abschnitt 3.4.2, Seite 32.
9
Von Bilanzkreisen zum Bilanzausgleich benötigte Energie.

Einleitung
5
Die Bedeutung der Regelenergie liegt für die Stromhändler somit in der Sicherstellung
der Weiterversorgung ihrer Kunden für den Fall, dass ihre eigenen Prognosen fehlerhaft
waren bzw. kontrahierte Kraftwerksleistung ausgefallen ist. Die Kosten für diesen Aus-
gleichsdienst sind seit Beginn der Ausschreibungen teilweise um 100% angestiegen.
Der weitaus größte Teil der Regelenergiekosten fließt in die Netznutzungsentgelte (NNE).
In den letzten zwei Jahren wurden die NNE mit der Begründung steigender Regelener-
giekosten mehrmals angehoben worden. Steigerungsraten von bis zu 20% gegenüber
dem Vorjahr belasten Netznutzer mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe.
10
Für
Stadtwerke und andere Energiedienstleister wird es zunehmend schwerer, die in der
Vergangenheit erreichten Preisvorteile an ihre Kunden weiterzugeben.
1.1.3 Neues Marktsegment für Kraftwerksbetreiber
Die Bereitstellung von Regelenergie bietet potentiellen Erbringern eine zusätzliche Erlö-
serwartung in einem jungen, rasant wachsenden Markt.
11
Die Erlöse liegen deutlich über
dem, was im Spotmarkt verdient werden kann.
Neben industriellen Kraftwerksbetreibern, dezentralen Erzeugern und Kraftwerksgesell-
schaften der großen Energiekonzerne, finden Kraftwerksanbieter aus Österreich und der
Schweiz zunehmend den Weg in den deutschen Markt.
12
Auch sind Kunden mit abwurf-
fähigen Lasten als potentielle Erbringer zu erwähnen.
Der Markt für Regelenergie ist von der geringen Anzahl der Nachfrager (ÜNB) und dem
Zulassungsverfahren zur Prüfung der technischen Eignung (sog. Präqualifikation) ge-
prägt.
Die 8. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes hat in mehreren Entscheidungen den
Ausschreibungswettbewerb und Bildung von Kostenpreisen zur Lösung der Allokations-
probleme vorgegeben. Das faktische Angebotsmonopol im Kraftwerksbereich soll durch
Wettbewerbstrukturen ersetzt werden.
13
An den Ausschreibungen sollen explizit Anbieter
mit Standorten außerhalb der Regelzone teilnehmen dürfen. Fragwürdig ist, ob die An-
zahl der derzeit zugelassenen Anbieter für einen funktionsfähigen Wettbewerb ausreicht.
10
Für die RWE-Regelzone wird ein Anstieg um ca. 160 Millionen /a geschätzt. Diese Schätzung
stammen von dem BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Aachen.
11
Das aktuelle Marktvolumen wird v. Autor auf mind. 800 Mio. /a geschätzt (Stand 2003).
12
Vgl. N.N: Regelenergie: Das teure Gut im Stromwettbewerb, Energie und Management,
13
Vgl.. Dort heißt es: ,,In ihren Regelzonen verfügen RWE- und E.ON-Konzernunternehmen im
Kraftwerksbereich aufgrund von Eigenerzeugungskapazitäten und langfristigen Lieferverträgen
mit Kraftwerksbetreibern über eine sehr starke Stellung. Sie stellen i.d.R. zwischen 70 % und
100 % der beiden teuren Energiearten (Sekundärregel- und Minutenreserve, Anm. d. V.) be-
reit.", Pressemeldung des BKartA v. 26.02.2003.

Einleitung
6
1.2 Problemstellung
Der Markt für Regelenergie ist als Bindeglied zwischen den Marktteilnehmern sowohl in
technischer als auch kommerzieller Sicht ein wichtiges Instrument für die Funktionsfähig-
keit des wettbewerblichen Elektrizitätsmarktes. Der Markt wurde durch Kartellamtsaufla-
gen
14
konstituiert. Ein unverzügliches und reibungsloses Funktionieren des Marktes zu-
mal für technisch komplexe Produkte konnte nicht erwartet werden. Zwischen Marktöff-
nung und heute liegen annähernd drei Jahre. Das Vorliegen aktueller Probleme ist dem-
nach nicht als Folge einer Übergangsphase zu sehen. Vielmehr belegen sie strukturelle
Defizite im Marktdesign. Den Kartellbehörden liegen etliche Beschwerden von Marktteil-
nehmern vor, die sich benachteiligt sehen. Sie kritisieren einstimmig die Marktgestaltung
der ÜNB. Der Vorwurf lautet, sie schöpften vorhandene Synergieeffekte nicht aus und
nähmen dadurch überhöhte Kosten zulasten ihrer Netzkunden billigend in Kauf.
Die von heterogenen Interessen gelenkten Argumente gegeneinander abzuwägen, ist
schwer. Diese Arbeit versucht eine neutrale Position einzunehmen, soweit es möglich ist
und die eigene Bewertung der Sachlage zulässt.
Sachlich abzugrenzen vom Markt für den Bezug von Regelenergie ist der Teilmarkt für
die Abrechnung von Ausgleichenergie. Beide Märkte sind sprichwörtlich zwei Seiten einer
Medaille. In beiden Teilmärkten rückt der ÜNB ins Zentrum der Betrachtung (vgl.
Abbildung 1-1, S.7). Während der Methodik der Abrechnung von Händlerbilanzabwei-
chungen ganze Abschnitte der Verbändevereinbarung gewidmet sind (VV II +, Anhang 1,
2, 3 zu Anlage 2), liegt die praktische Ausgestaltung des Beschaffungsverfahrens fast
völlig im Ermessen des ÜNB. Die Kartellamtsauflagen geben zwar die ungefähre Rich-
tung vor; die Tücke liegt jedoch - wie so häufig - im Detail.
Im Rahmen der Beschaffungsdurchführung hat der ÜNB die freie Wahl des Verfahrens-
ansatzes bei der Zulassung der Anbieter (Präqualifikation), der Auswahl der Anbieter
(Vergabe), dem Abruf der angebotenen Leistung (Einsatz) und der Preisregel (Vergü-
tung). Die ausgewogene Gestaltung dieser Verfahrenselemente ist entscheidend für die
wettbewerbliche Funktionsfähigkeit des Beschaffungsmarktes.
Auf der Abrechnungsseite stellt sich die Frage, ob der ÜNB Anreiz hat, Entgelte und
Preise nach transparenten, objektiven und diskriminierungsfreien Kriterien zu gestalten.
15
Er darf bereits aus kartellrechtlichen Gründen keine fiktiven oder überhöhte Kosten auf
14
BKartA, Beschl. v. 3. Juli 2000, Az. B 8 U-309/99 ­ RWE/ VEW.
15
Die EU-Kommission sieht aufgrund mangelnder Entflechtung die Gefahr von Wettbewerbsver-
zerrungen durch Quersubventionierung zwischen Übertragung und Vertrieb. Die ÜNB seien ge-
neigt ,,durch hohe Durchleitungsentgelte und entsprechend geringe Stromabgabepreise Wett-
bewerber, insbesondere Händler, in ihren Wettbewerbschancen zugunsten der eigenen Produk-
tionsunternehmen zu beeinträchtigen. Es besteht in einer derartigen Konstellation wenig Anreiz,
transparente Tarife anzuwenden, die auf ihr Verhältnis zu den Kosten und zu den Regeln der
Verbändevereinbarung II ... überprüft werden können." (Sache Nr. COMP/M.1673 ­ VE-
BA/VIAG v. 13.06. 2000)

Einleitung
7
die Netznutzer und Händler abwälzen (§ 19 Abs. 4 Nr.2 GWB) bzw. unangemessene
Verkaufspreise verlangen (§ 19 Abs. 4 Nr.4 GWB). Die Sachgerechtigkeit der Netznut-
zungsentgelte (NNE) nachzuweisen, ist wegen der integrierten Veröffentlichungsweise
schwierig.
16
Beschaffungsmarkt für
Regelenergie
Abrechnungsmarkt für
Ausgleichsenergie
Kraftwerke und Großverbraucher
(z.B. Hüttenwerke) sind Erbringer
Bilanzkreisverantwortliche (BKV)
lösen Regelenergiebedarf aus
BKV
BKV
BKV
Vergütung der
Regelleistung und Regelarbeit
Netznutzungsentgelte
Netznutzer bezahlen die Kosten für die Regelleistung
Energieströme
Geldströme
Nachgelagerte
Netzbetreiber
Energiehändler
Stadtwerke
Abrechnung
auf Basis der Kosten der
Regelarbeit
ÜNB
Beschaffungsmarkt für
Regelenergie
Abrechnungsmarkt für
Ausgleichsenergie
Kraftwerke und Großverbraucher
(z.B. Hüttenwerke) sind Erbringer
Bilanzkreisverantwortliche (BKV)
lösen Regelenergiebedarf aus
BKV
BKV
BKV
Vergütung der
Regelleistung und Regelarbeit
Netznutzungsentgelte
Netznutzer bezahlen die Kosten für die Regelleistung
Energieströme
Geldströme
Nachgelagerte
Netzbetreiber
Energiehändler
Stadtwerke
Abrechnung
auf Basis der Kosten der
Regelarbeit
ÜNB
Abbildung 1-2: Abgrenzung von Regel- und Ausgleichsenergie aus Sicht des ÜNB
Die folgende Arbeit illustriert den Übergang vom Bereitstellungsmonopol zum selbstregu-
lierenden Markt. Ob die zwischenzeitlich eingeführten Marktmechanismen mit den Prinzi-
pien des freien Wettbewerbs und der wirtschaftlichen Effizienz vereinbar sind, ist im wei-
teren Verlauf zu untersuchen.
1.3 Aufbau der Arbeit
In Kapitel 2 wird erklärt, wodurch der Regelenergiebedarf entsteht und welche unter-
schiedlichen Regelenergiearten zum Einsatz kommen. In einem nächsten Schritt werden
die zur Erbringung der jeweiligen Regelenergieart geeigneten Kraftwerkstypen vorge-
stellt. Daran knüpft sich eine qualitative Betrachtung der wesentlichen Kosten an, die
durch die Frequenzregelung verursacht werden. Abschließend wird auf die Methodik der
Bedarfsmessung und die Bedarfsentwicklung der letzten drei Jahre eingegangen.
16 Vgl. BDI, bne, EFET-D, VIK: Forderungen der Netznutzer für einen wettbewerbsgerechten Kal-
kulationsfaden zur Ermittlung von Netznutzungsentgelten, Anlage 1, 2003.

Einleitung
8
In Kapitel 3 werden die Instrumentarien zur Weitergabe der Regelenergiekosten im libe-
ralisierten deutschen Elektrizitätsmarkt vorgestellt: Netzpunkttarif und Bilanzkreissystem.
Anschließend wird die Belastung der Netznutzungsentgelte durch steigende Regelener-
giekosten untersucht. Des Weiteren wird die Funktion des Regelmarktes mit Blick auf die
Day-ahead- und Intraday-Märkte erläutert. Die unfreiwillige Inanspruchnahme von Regel-
energie stellt ein finanzielles Risiko dar, auf die bestimmte Stromhändler und Energie-
dienstleister mit der Übernahme der Bilanzkreisverantwortung reagieren. Ihre Aufgaben
und Strategien werden im letzten Teil erörtert.
Kapitel 4 ist der konzeptionellen Ausgestaltung des Regelmarktes gewidmet. Dabei wird
zunächst auf den allgemeinen Preismechanismus im Strommarkt eingegangen und an-
schließend ein theoretisches Modell des Regelmarktes entwickelt. Darauf aufbauend
werden die Idealanforderungen an den effizienten Markt definiert.
Kapitel 5 arbeitet den Hintergrund der vom BKartA initiierten Marktöffnung auf. Steigende
Beschaffungskosten infolge des Ausschreibungswettbewerbs widersprechen den Erwar-
tungen des Kartellamtes. Die ÜNB begründen die Kostenanstiege mit steigenden Wind-
energie-Einspeisungen, Kraftwerkstilllegungen, Prognosefehler der Händler und spekula-
tiven Bilanzkreisverantwortlichen. Diese Begründungen sind kritisch zu hinterfragen.
Kapitel 6 sucht nach den elementaren Ursachen für die Preisanstiege der letzten Zeit.
Diese könnten in der geringen Attraktivität des Ausschreibungsmarktes für potentielle
Anbieter liegen. Hier sind die Schwächen in der Ausgestaltung der einzelnen Elemente
des Ausschreibungsmarktes zu suchen.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
9
2 Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
Bekanntermaßen ist Strom in größeren Mengen wirtschaftlich nicht speicherbar und muss
daher in dem Augenblick produziert werden, in dem er verbraucht wird. Ohne Aus-
gleichsmaßnahmen führen Abweichungen zwischen Einspeisung und Entnahme unwei-
gerlich zu einer Destabilisierung des Gesamtsystems.
Für die jeweilige Bilanzperiode saldieren sich die Abweichungen aller Händlerbilanzkreise
zum Gesamtsaldo der Leistungsbilanz der Regelzone:
+
=
Exporte
-
Importe
Verbrauch
-
Erzeugung
saldo
Regelzonen
Das Regelzonensaldo entsteht durch nicht vorhersehbare Ereignisse. Erzeugerseitige
Störungen werden durch Nichtverfügbarkeiten der eingeplanten Erzeugungsleistung
(Kraftwerksausfälle, WEA-Leistungsfluktuationen, etc.) ausgelöst. Da ein Großteil der
elektrischen Last in Deutschland durch die Leistung thermischer Kraftwerke (Kern-, Koh-
le-, Gaskraftwerke) gedeckt wird, bestimmt überwiegend das stochastische Ausfallverhal-
ten dieser Kraftwerke den erzeugerseitigen Regelenergiebedarf.
17
Der lastseitige Bedarf
wird durch das stochastische Abnahmeverhalten der Endkunden bestimmt (siehe
Abbildung 2-1).
Witterung
(Sonnenscheindauer, Temperatur, Luftfeuchtigkeit)
P
t
¼ h
Erzeuger- Ausfall
(Startversagen, Totalabschaltung,
Teilabschaltung, technische Störung)
Stochastisches Verbraucherverhalten
(kulturelle Großereignisse, regionale
Lebensgewohnheiten, etc.)
Last
Prognose
Witterung
(Sonnenscheindauer, Temperatur, Luftfeuchtigkeit)
P
t
¼ h
P
t
¼ h
Erzeuger- Ausfall
(Startversagen, Totalabschaltung,
Teilabschaltung, technische Störung)
Stochastisches Verbraucherverhalten
(kulturelle Großereignisse, regionale
Lebensgewohnheiten, etc.)
Last
Prognose
Abbildung 2-1: Ursachen für Leistungsbilanzungleichgewichte
17
Vgl. Roggenbau, M.: Kooperation der ÜNB zur Minutenreservehaltung in elektrischen Verbund-
systemen, S. 7.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
10
Zwar weisen große Lastkollektive einen für den jeweiligen Wochentag und die jeweilige
Jahreszeit typischen mittleren Tagesgang auf, dennoch sind kurzfristige Abweichungen
der Last von ihrem Prognosewert nicht ausgeschlossen. Lastschwankungen entstehen
letztlich durch das stochastische Zusammenwirken von Millionen Verbrauchseinheiten.
18
In sind typische Einflussfaktoren auf den Tageslastverlauf dargestellt.
Analysiert man eine typische Zeitreihe der Gesamtlast der Regelzone, so fallen dem Bet-
rachter die oszillierenden Ausschläge im Sekundentakt auf.
19
Dieses markante Phäno-
men wird als Lastrauschen bezeichnet. Der tägliche Lastverlauf lässt sich als stetige
Funktion von ¼h-Mittelwerten darstellen. In dieser zeitlichen Aggregation nimmt die Last-
kurve die typische Stufenform an (sog. Lastrampe). Auf Basis der aktuellen Erzeugung
und der Fahrplananmeldungen der Händler wird die Gesamtlastprognose der Regelzone
erstellt. Die Abweichung zwischen dem tatsächlichen ¼h-Lastmittelwert und der ¼h-
Lastprognose wird als Lastprognosefehler bezeichnet. Die Prognoseabweichungen sind
näherungsweise normalverteilt und werden über den folgenden Regelungsprozess aus-
geglichen.
2.1 Ablauf der Frequenzregelung
Die Frequenz ist der entscheidende Indikator für das Ausmaß des Ungleichgewichts zwi-
schen Stromeinspeisung und Stromentnahme. Frequenzabweichungen, die bereits im
Normalbetrieb entstehen können, müssen durch Regeleinrichtungen behoben werden.
Diese greifen auf Kraftwerksleistungsreserven zu und werden nach ihrer Ansprechzeit
und maximalen Einsatzdauer differenziert. Die Primärregelung greift auf primär geregelte
Kraftwerke zurück und steht innerhalb von 30 Sekunden voll zur Verfügung. Die Sekun-
därregelung löst die Primärregelung ab und nimmt im Zeitraum bis 15 Minuten die ge-
samte Sekundärregelreserve in Anspruch. Zusätzliche Einheiten (manuelle Minutenre-
serve) werden im Störfall hinzugeschaltet, um ausgefallene Kraftwerksleistung zu kom-
pensieren.
Tritt ein Leistungsbilanzungleichgewicht auf, verändert sich sprunghaft die Netzfrequenz.
Grundsätzlich müssen die Generatoren in den Kraftwerken mit konstanter Umdrehungs-
zahl, nämlich 50 Hz rotieren.
20
Ist die Summe der Last größer (kleiner) als die der einge-
speisten Leistung, sinkt (steigt) die Drehzahl und damit die Frequenz. Das folgende
Schaubild zeigt die Auswirkungen einer 1300-MW Störung auf die Frequenz im Zeitbe-
reich der Frequenzregelung.
18
Vgl. Dany, G.: Kraftwerksreserve in elektrischen Verbundsystemen mit hohem Windenergiean-
teil, S. 23.
19
Vgl. Scherer, Ulrich: Herkunft der Abweichungen Gründe für die Ausregelung, DVG/VDN-
Fachtagung, 06.11.2001.
20
Als Indikator für einen störungsfreien Betrieb gilt eine Frequenz zwischen 49,95 und 50,05 Hz
(UCTPE 1998).

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
11
? f
Sekundärregelung
Minutenreserve
min
Primärreglung
49,92
49,94
49,96
49,98
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Fre
q
ue
nz
[
H
z]
f
Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
60
Reserveenergie
50,00
Zeit [min]
? f
Sekundärregelung
Minutenreserve
min
Primärreglung
49,92
49,94
49,96
49,98
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Fre
q
ue
nz
[
H
z]
f
Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
60
Reserveenergie
50,00
Zeit [min]
? f
Sekundärregelung
Minutenreserve
min
Primärreglung
49,92
49,94
49,96
49,98
-2
0
2
4
6
8
10
12
14
16
Fre
q
ue
nz
[
H
z]
f
Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
60
Reserveenergie
50,00
Zeit [min]
Abbildung 2-2: Typischer Frequenzverlauf nach einer 1300-MW-Störung
Ein Frequenzeinbruch von mehr als 150 mHz aktiviert automatisch den Frequenzrück-
gangschutz. Die Folge sind Lastabwürfe und die Abtrennung der Kraftwerke vom Netz.
Um dies zu vermeiden, führt die Frequenz- bzw. Wirkleistungsregelung die Abweichung
nach dem Schema in Abbildung 2-3 auf Null.
Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
Reserveenergie der
Händlerbilanzkreise
W
ir
k
le
is
tu
ng
[
M
W
]
Trägheit
Primärregelung
0
Reserve
durch
BKV
Regelung durch ÜNB
200
400
600
800
1000
1200
30 s
Sekundärregelung
15 min
60 min
Minutenreserve
Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
Reserveenergie der
Händlerbilanzkreise
W
ir
k
le
is
tu
ng
[
M
W
]
Trägheit
Primärregelung
0
Reserve
durch
BKV
Regelung durch ÜNB
200
400
600
800
1000
1200
30 s
Sekundärregelung
15 min
60 min
Minutenreserve
Abbildung 2-3: Idealtypischer Ablauf der Frequenz-Wirkleistungs-Regelung
Die Frequenzregelung wird über eine Hauptschaltleitung/ Leitzentrale gesteuert, die via
Mess-, Regel-, und Kommunikationstechnik auf die relevanten Kraft- und Umspannwerke
zugreift. Die dafür vorgesehenen Prozeduren, Regeln und Abläufe sind in mehreren Re-
gelwerken festgelegt.
21
21
Spielregeln zur primären und sekundären Frequenz- und Wirkleistungsregelung der UCTE,
Stand Juni 1998 · TransmissionCode 2003 - Netz- und Systemregeln der deutschen Übertra-
gungsnetzbetreiber, VDN, Mai 2003 · Das versorgungsgerechte Verhalten der thermischen
Kraftwerke, DVG, Okt 1991 · Anforderungen an die Primärregelung im UCPTE-Verbundbetrieb,
DVG, Dez 1996 · Spielregeln - Beobachtung der Anwendung der Regeln zur primären und se-
kundären Frequenz- und Leistungsregelung in der UCTE, Mai 1999.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
12
2.1.1 Primärregelung
Die Primärregelung
22
ist ,,...die im Sekundenbereich automatisch wirkende stabilisieren-
de Wirkleistungsregelung des gesamten zusammengeschalteten synchron betriebenen
Drehstrom-Verbundnetzes. Sie entsteht aus dem Aktivbeitrag der Kraftwerke bei Ände-
rung der Netzfrequenz und wird unterstützt durch den Passivbeitrag der von der Netzfre-
quenz abhängigen Lasten (Selbstregeleffekt)."
2.1.2 Sekundärregelung
Die Sekundärregelung
23
ist ,,die gebietsbezogene Beeinflussung von zu einem Versor-
gungssystem gehörigen Erzeugungseinheiten zur Einhaltung des gewollten Energieaus-
tausches des Gebietes (Regelzone/Regelblock) mit dem übrigen Verbund bei gleichzeiti-
ger, integraler Stützung der Frequenz."
Die Sekundärregelung hat somit die Aufgabe, die
vereinbarten Austauschlieferungen zu den benachbarten Regelzonen sicherzustellen und
die unter der Primärregelung laufende Kraftwerksreserve freizusetzen.
Die Sekundärregelung arbeitet im UCTE-Verbund nach dem Netzkennzahlverfahren.
welches sicherstellt, dass stets die Sekundärregelreserve der Regelzone aktiviert wird, in
der die Leistungsbilanz gestört ist.
2.1.3 (Manuelle) Minutenreserve
Die manuelle Minutenreserve
24
,,(...)soll nach Eintritt eines Leistungsausfalls ohne
Verzögerung eingesetzt werden können und muss nach der derzeitig gültigen Spielregel
der UCTE spätestens nach 15 Minuten die Sekundärregelung abgelöst haben." Die
Minutenreserve dient primär der Ablösung teurerer Einheiten durch langsamere Dampf-
und Hydraulikkraftwerke. In Ermangelung einer einheitlichen Begriffsabgrenzung wird im
weiteren Verlauf die manuelle Minutenreserve als Minutenreserve bezeichnet.
Die Unterscheidung der automatisch eingesetzten Regelreserve in Primär- und Sekun-
därregelung ist ein Zugeständnis an die gegenüber hydraulischen Systemen höheren
Regelkosten thermischer Kraftwerkssysteme. In den skandinavischen NORDEL- Mit-
gliedsstaaten wird aufgrund der Dominanz preisgünstiger Wasserkraftwerke nur zwi-
schen der automatischen ,,Primary Regulation" und der manuellen ,,Secondary Regulati-
on" (vgl. Minutenreserve) unterschieden.
25
22
DVG: GridCode 2000, S. 43.
23
Ebda, S. 44.
24
Ebda., S. 42.
25
Vgl. Müller, L.: Blick über die Grenzen: Internationale Regelleistungsmärkte, DVG/VDN-
Fachtagung, 06.11.2001.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
13
2.2 Technische Konzepte zur Erbringung von Regelener-
gie
Zur Bereitstellung von Sekunden- und Minutenreserve werden unterschiedliche
Kraftwerkstypen eingesetzt:
· Die Sekundenreserve wird nahezu ausschließlich in primär geregelten Dampf-
kraftwerken vorgehalten.
· Die (automatische) Minutenreserve wird überwiegend von sekundär geregelten
Dampfkraftwerken bereitgestellt. Bei zusätzlichem Bedarf wird auf (manuelle) Mi-
nutenreserve in Gas-, Öl- und Wasserkraftwerken zugegriffen. (Kernkraftwerke
scheiden aus Gründen der Wirtschaftlichkeit bei der Erbringung von Minutenre-
serve aus.)
· Im Stunden- bzw. Tagesbereich übernehmen die Fahrplanlieferungen des Verur-
sacherbilanzkreises den übergeordneten tertiären Leistungsausgleich.
Wie hier zu erkennen ist, wird die Kraftwerksreserve nach dem Zeitbereich unterschie-
den, in der die einzelnen Regelungsstufen wirksam werden (Sekunden-, Minuten-, und
Stundenreserve).
Die Praxis differenziert überdies nach einem anderen Merkmal. Je nach Betriebszustand
wird zwischen ,,rotierender" und ,,stehender" Reserve unterschieden. Die ,,rotierende"
Reserve setzt sich aus Kraftwerken zusammen, die bereits am Netz sind und Strom pro-
duzieren. Die ,,stehende" Reserve setzt sich aus schnell startbaren Kraftwerken zusam-
men, die außer Betrieb sind. Eine weitere Differenzierung wird unter dem Gesichtspunkt
der Regelrichtung (±) vorgenommen. Die dekrementelle Reserve nimmt überschüssige
Energie durch Pumpleistung oder Lastabwürfe aus dem Netz, während die inkrementelle
Reserve ein Energiedefizit mit zusätzlicher Energie überbrückt.
Letztlich entscheidet die Leistungsdynamik einer Anlage über ihre Eignung als Regelre-
serve. Die Dynamik wird an der Verzugszeit zwischen Anforderung und Änderung der
Leistung abgelesen. Sie äußert sich in der Steilheit des Leistungsgradienten (Leistungs-
änderung/min). Sehr kurze Verzugszeiten weisen die mit Öl und Gas betriebenen
Dampfkraftwerke auf, gefolgt von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken.
26
2.2.1 Dampfkraftwerke
Zur Bereitstellung von Sekunden- und Minutenreserve in Dampfkraftwerken sind zwei
wesentliche Verfahren verfügbar: modifizierter Gleitdruckbetrieb und Kondensatstau.
26
Vgl. Dany (2000), S. 19.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
14
Im modifizierten Gleitdruckbetrieb bleiben die Frischdampf-Einlassventile teilweise ver-
schlossen (Androsselung). Deren vollständige Öffnung erlaubt einen nahezu unverzöger-
ten Zugriff auf die im Kessel gespeicherte Energie. Um Reserveleistung vorhalten zu
können, muss die ,,angedrosselte" Anlage deutlich unterhalb ihres maximalen Leistungs-
vermögens fahren. Der damit einhergehende suboptimale Wirkungsgrad führt zu einem
höheren Brennstoffverbrauch.
27
Die modernere Methode ist der Kondensatstau, der durch gleichzeitiges Schließen des
Niederdruck-Anzapfventils und Drosseln des Dampfmassestroms eingeleitet wird. Kraft-
werke mit dieser Verfahrenstechnik können auch im natürlichen Gleitdruckbetrieb unter
Primärregelung eingesetzt werden.
28
Ein Teil des Dampfstroms wird hierbei nicht zum
Antrieb des Generators, sondern zum Vorwärmen des Kesselspeisewassers verwendet.
Durch kurzzeitiges Absperren der Dampfentnahmen lässt sich die Generatorleistung
rasch um einige Prozent erhöhen.
Bei beiden Methoden ist die Leistungserhöhung auf wenige Minuten begrenzt, da an-
sonsten der Wasser-Dampf-Kreislauf zusammenbricht. Ständige Lastwechsel können nur
durch zusätzliche Verfeuerung erzielt werden; sie müssen letztlich eine energetische
Basis haben. Während bei der erstgenannten Steuerungsvariante die Anlage noch vor
Abruf der Regelleistung in Vorleistung geht, entsteht beim Kondensatstau ein zusätzli-
cher Brennstoffbedarf erst nach der Leistungserbringung.
29
2.2.2 Gasturbinenkraftwerke
Im Gasturbinenkraftwerk wird Gas mit komprimierter Luft in eine Brennkammer eingeleitet
und entzündet. Der entweichende Gasstrahl erreicht Temperaturen von über 1000º Cel-
sius und versetzt durch Rückstoß die Schaufelräder der Turbinenwelle in Bewegung. Die
Verdichtung der Luft vor dem Verbrennungsvorgang erfordert zunächst einen hohen E-
nergiebedarf, so dass Abstriche hinsichtlich des tatsächlich erreichten Wirkungsgrades
(ca. 33% - 45%) gemacht werden müssen. Gasturbinenkraftwerke haben wesentlich hö-
here Leistungsgradienten als Dampfkraftwerke, zeichnen sich durch kurze Anfahrtzeiten
aus und können ,,stehend" eingesetzt werden. Einen höheren Wirkungsgrad erzielen
Anlagen, die Gas- und Dampfturbine kombinieren (GuD). In einer typischen GuD-Anlage
wird die Energie der heißen Abgase über einen Wärmeaustauscher an einen angehäng-
ten Dampfkraftprozess übertragen.
30
Aufgrund ihrer hohen variablen Erzeugungskosten
decken Gasturbinen überwiegend den Spitzenlast- und Minutenreservebedarf ab. Typi-
27
Ebda., S. 18f. .
28
Der Vorteil ist, dass die Anlage im Lastfolgebetrieb vorläufig mit optimalem Wirkungsgrad fah-
ren kann, der erst nach Ausgabe des Reglerbefehls verlassen werden muss.
29
Vgl. Küffner, G.: Die Sicherheit der Stromversorgung leidet unter der Windkraft; in: FAZ v.
04.07.2003.
30
Vgl. Diegel, D.: Netzfrequenzregelung - Reaktionsschnell, Siemens power journal online,
05/2002, S. 1.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
15
sche Einheitengrößen liegen zwischen 50-150 MW.
31
Die Investitionskosten sind im Ver-
hältnis zu Steinkohlekraftwerken nur halb so hoch, da die Anlagen schlüsselfertig gebaut
werden können.
2.2.3 Pumpspeicherkraftwerke
Pumpspeicherkraftwerke nutzen die Fließenergie des Wassers in einem natürlichen Ge-
fälle durch Stauung des oberen Zulaufs in einem Speicherbecken, der durch Röhren mit
einem Unterbecken verbunden ist. Die Befüllung der Speicher ist mittels Pumpen mög-
lich. Die Pumpe fungiert als Generator, wenn Wasser vom Ober- zum Unterbecken fließt.
Ist die Anlage zur Bereitstellung dekrementeller Reserve bestimmt, kann Wasser in um-
gekehrter Richtung vom Unter- ins Oberbecken gepumpt werden. In Starklastzeiten (z.B.
mittags) ermöglicht die Pumpleistung die fast verzögerungsfreie Aufnahme ,,überflüssi-
ger" elektrischer Energie aus dem Netz. Die Leistung des Generators wird von der Spei-
cherkapazität und in geringerem Maß vom Pegelstand bestimmt und ist vom Turbinen-
durchfluss je Zeiteinheit abhängig. Aufgrund der sekundenschnellen Regelung des Turbi-
nenwasserdurchlaufs eignen sich Pumpspeicher hervorragend für Spitzenlast- und Minu-
tenreserveaufgaben. Unter dem Sekundärregler sind Pumpen allerdings bedingt einsetz-
bar, da die übliche Ausführung ungeregelt ist und dadurch kontinuierliche Leistungsan-
passungen nicht möglich sind.
32
Die variablen Erzeugungskosten sind im Verhältnis zu
den hohen Investitionskosten zu vernachlässigen.
2.2.4 Abschaltbare Lasten
Grundsätzlich kann jede Vorleistung zur Frequenzregelung von der Last bereitgestellt
werden.
33
Im TransmissionCode 2003 kann Primär- und Sekundärregelleistung ebenfalls
über regelbare Lasten (z.B. Lastabwurf) erbracht werden.
34
. Lastabwürfe sind unaus-
weichlich, wenn andere Optionen zur Erhaltung der Systemsicherheit bereits ausge-
schöpft sind. So nutzt beispielsweise RWE eine Telefonliste mit Kontaktpartnern großer
Industriebetriebe (z.B. Hüttenwerke), um erforderliche Lastabschaltungen anzukündigen.
Für einen zeitlich begrenzten Lastabwurf erhält der Partner die vorher vereinbarte Vergü-
tung. Die vereinbarte Abschaltung hat somit den Charakter einer Option, deren Wahr-
nehmung durch den ÜNB zum Vereinbarungszeitpunkt offen steht. Kommt die telefoni-
sche Aufforderung zum Abwurf, hat der Kunde üblicherweise weniger als 15 Minuten
Zeit, um die Prozesse in seinem Betrieb zu bestimmen, die abgeschaltet werden sollen.
31
Vgl. Dany, S. 21.
32
Ebda. S. 22.
33
Vgl. Kirby, Brendan et al.: Electric Industry`s Restructuring, Ancillary Services, and the Potential
Impact on Wind, 1997.
34
Vgl. TransmissionCode 2003, Tz. 2.3.7.1 (1) und Tz. 2.3.7.2. Der alte GridCode 2000 sah diese
Möglichkeit nur für die Erbringung von Minutenreserve vor. Insofern stellt die neue Regelung ei-
ne Verbesserung dar.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
16
Das Potential der Last wird in Deutschland aufgrund der einseitigen Ausrichtung der Prä-
qualifikationsanforderungen auf Kraftwerke gegenwärtig kaum ausgeschöpft. Dabei stellt
die Förderung von Lastmanagementmaßnahmen eine wichtige Ressource zur Einspa-
rung von Reserveleistung dar. Eine Untersuchung von Siemes und Reufkauf ergab, dass
bei gegebenem Sicherheitsniveau die Reservevorhaltung (Minuten- und Stundenreserve)
halbiert werden kann, wenn nur 10% der Kunden auf eine sichere Belieferung verzich-
ten.
35
Dies setzt die Schaffung technischer Vorrichtungen zur zentralen Laststeuerung
und Kommunikation (per Funk oder Leitungsnetz) voraus, wobei gleichermaßen finanziel-
le Anreize zum Lastmanagement
36
gesetzt werden müssen.
37
Als finanzieller Anreiz zum freiwilligen Verzicht auf eine sichere Belieferung können zeit-
variable Tarife geschaffen werden, die mit einer üblichen Vorlaufzeit von einem Tag oder
einer Stunde eine Preisobergrenze definieren, ab der seitens des Kunden eine weitere
Belieferung mit Strom nicht erwünscht ist. Solche auch als Real-Time-Pricing (RTP) be-
zeichneten Preisbildungsansätze könnten sich an den zu verdienenden Prämien der Mi-
nutenreserveauktionen orientieren und von Energiedienstleistern vermarktet werden. Die
breite Vermarktung von Kundenflexibilitäten steht in der BRD allerdings noch am Anfang.
2.3 Qualitative Kostenanalyse der Frequenzhaltung
Nachfolgend werden die Kosten der Frequenzhaltung in einem integrierten Kraftwerk-
Netz-System betrachtet. Obgleich die institutionelle Trennung zwischen Erzeugung und
Übertragung im Zuge der Liberalisierung bereits vollzogen wurde und anstelle der vor-
mals integrierten Systemkostenoptimierung Marktpreisrelationen getreten sind, bleiben
die Kosten der Reservebereitstellung zur Frequenzregelung in der qualitativen Betrach-
tung gleich.
Die unter Primärreglung laufenden Kraftwerke haben aufgrund der Androsselung einen
erhöhten Wärmeverbrauch. Der suboptimale Wirkungsgrad erfordert mehr Brennstoffein-
satz (,,energy costs") und führt zu höherem CO
2
Ausstoß (,,emission costs"). Diese Kosten
sind dispositionsabhängig, d.h. variabel und sind somit als Arbeitskosten der Primärrege-
lung zu bewerten. Darüber hinaus sind die Kosten in die Investition von Kraftwerksleis-
tung zu berücksichtigen, die als Ersatz für die Androsselung dienen. Diese Kosten sind
als Leistungskosten zu bewerten (,,capacity costs").
Kosten der Sekundärregelung fallen analog zur Primärregelung an, wobei es graduelle
Unterschiede gibt. Ständige Arbeitspunktwechsel führen zu einer stärkeren Abnutzung
35
Vgl. Siemes, Bernd und Reufkauf, Thomas. Reserveleistung im Wettbewerb, 1998, S. 225-229.
36
Das Lastmanagement bezweckt Energiekosteneinsparungen durch die zeitliche Entkopplung
von Erzeugung und Verbrauch. Dazu eignen sich Geräte, die mit einem Speicher verbunden
sind wie Wasserpumpen, Heizgeräte, Kompressoren etc. .
37
Vgl. Nabe, Chr.: Technische und ökonomische Bewertung der Inanspruchnahme von Netz-
dienstleistungen durch Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, 2001, S. 8.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
17
der Anlagen und somit zu höheren Wartungskosten (,,maintenance costs"). Kraftwerke
älterer Bauart sind dieser Kostenbelastung stärker ausgesetzt als Kraftwerke mit moder-
ner Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, die ein präzise und damit preiswerte Leis-
tungsregelung zulassen.
38
Als Leistungskosten sind die Kosten der Investitionen in die
thermische Kraftwerksleistung, die ausschließlich der Sekundärregelung dienen, die Er-
weiterungskosten für den Ausbau bestehender zu regelbaren Kraftwerken sowie die In-
vestitionskosten in neue Speicherkapazität (bei Pumpspeichern) zu bewerten.
39
Hinzu kommen die Arbeitskosten aufgrund des erforderlichen Teillastbetriebes und die
Verschiebung der Erzeugung auf teurere Anlagen. Um dies zu verstehen, sind folgende
Ausführungen aus dem Bereich der Kraftwerkseinsatzoptimierung (Economic Dispatch)
nötig. Die Last wird von der Dispatching-Leitstelle mit einem Tag Vorlauf auf die im Fahr-
plan vorgesehenen Kraftwerke und die Reserve (Primärregelung, Sekundärregelung und
Minutenreserve) aufgeteilt. Diese Grobplanung reicht jedoch nicht aus, um auf untertägi-
ge Abweichungen der Prognose von der realen Last zu reagieren. Ist die Unterschreitung
der Reservevorgabe absehbar, greift die Leitstelle im Rahmen der Momentanoptimierung
nach den Kriterien minimaler Bezugskosten und minimaler, schonender Stellbewegungen
der Kraftwerke ein.
40
Ein Kostenoptimum liegt vor, wenn von den insgesamt n unter Ver-
trag stehenden Regelkraftwerken jeweils die m ,,besten" Kraftwerke mit Volllast arbeiten,
ein einziges Kraftwerk mit variabler Teillast fährt und die übrigen (n-m-1) Kraftwerke ab-
geschaltet bleiben.
41
Allerdings ist eine kostenoptimale und brennstoffsparende Vorsteue-
rung der Regelkraftwerke nach diesem Schema nicht immer möglich. In Abbildung 2-4
kann Block 3 die Reserveforderung nicht erfüllen, so dass ein weiterer Block eingesetzt
werden muss. Block 4 kann aber nicht unter seiner Minimalleistungsgrenze gefahren
werden, so dass Block 3 aus seinem Bestpunkt genommen werden muss. Zusätzlich zu
den Mehrkosten durch die Verschiebung der Erzeugung auf Block 4 kommt es zu Kosten
infolge der Absenkung der Leistung in Block 3. Diese Kosten sind als Arbeitskosten der
Minutenreserve zu bewerten.
38
Vgl. Diegel, S. 1.
39
Vgl. Doll et al. (1999) , S. 6
40
Die Momentanoptimierung ist ein Verfahren zur kontinuierlichen Anpassung der Lastprognose
an reale Lastwerte. Die Prognoseadaption leitet die optimale Lastaufteilung durch aktive Vor-
steuerung der Minutenreservekraftwerke ein (vgl. Dany, S. 38f). Die Momentanoptimierung wird
im TransmissionCode nicht explizit erwähnt. Als Bestandteil der Systemdienstleistung ,Betriebs-
führung' wird sie dem Netzkunden über die Netznutzungsentgelte in Rechnung gestellt
41
Vgl. Leonhard, W. u. Müller, K. : Ausgleich von Windenergieschwankungen mit fossil befeuerten
Kraftwerken- wo sind die Grenzen? (2002), S. 31.

Einsatz von Regelenergie zur Frequenzhaltung
18
Leistung
Block 1
Block 2
Block 3
Block 4
ohne Reservehaltung
mit Reservehaltung
Last
Last + Reserveforderung
Reserveleistung
eingesetzte
Leistung
Minimalleistungsgrenze
Quelle: Roggenbau, M.: Kooperation der Übertragungsnetzbetreiber zur
Minutenreservehaltung in elektrischen Verbundsystemen, Aachen, S.15
Leistung
Block 1
Block 2
Block 3
Block 4
ohne Reservehaltung
mit Reservehaltung
Last
Last + Reserveforderung
Reserveleistung
eingesetzte
Leistung
Minimalleistungsgrenze
Quelle: Roggenbau, M.: Kooperation der Übertragungsnetzbetreiber zur
Minutenreservehaltung in elektrischen Verbundsystemen, Aachen, S.15
Abbildung 2-4: Auswirkungen der Reservehaltung in Form ,,rotierender Reserve"
2.4 Bemessung des Regelenergiebedarfs
Bislang beruht die Bestimmung der vorzuhaltenden Regelleistung in allen Zeitbereichen
auf Heuristiken, denen implizit Kosten und Nutzen der Regelenergiebereitstellung gegen-
über stehen. Im Rahmen der durch die Liberalisierung eingeleiteten Kostentransparenz
sind diese Abschätzungen zu explizieren. Die entsprechenden Verfahren sind ggf. den
neuen Markterfordernissen anzupassen. Die Netzbetreiber stützen sich bei der Reserve-
bemessung aus Mangel an besseren Alternativen auf Methoden aus der Zeit vor der
Liberalisierung, in der eine hohe Systemzuverlässigkeit im Vordergrund stand und nicht
die marktorientierte, kosteneffiziente Beschaffung von Regelleistung.
Die Primärregelleistung P
Pr
wird von allen UCTE-Verbundpartnern solidarisch entspre-
chend ihrer jeweiligen Beteiligungsquote bereitgestellt. Als Referenzstörung wird der
gleichzeitige Ausfall zweier Grenzleistungsblöcke in einer Höhe von 3000 MW ange-
nommen. Dementsprechend empfiehlt die UCTE ihren Mitgliedern die Vorhaltung von
insgesamt 3000 MW.
42
Der auf Deutschland entfallende Bereitstellungsanteil wird wie-
derum auf die jeweiligen Regelzonen aufgeteilt. Die Aufteilung orientiert sich an den
Empfehlungen der DVG/VDN (siehe Anhang II).
Die Menge an vorzuhaltender Sekundärregelleistung P
Sek
und Minutenreserve P
Min
ist
von den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Regelzone abhängig. Die Sekundärre-
gelleistung P
Sek
orientiert sich üblicherweise an den Lastschwankungen und errechnet
sich in Abhängigkeit von der erwarteten Maximallast. P
Sek
reicht aber nicht aus, um Last-
prognosefehler und Kraftwerksausfälle gleichzeitig aufzufangen. Folglich bedarf es zu-
42
Vgl. UCTE- Empfehlungen XX

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783832484576
ISBN (Paperback)
9783838684574
DOI
10.3239/9783832484576
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Duisburg-Essen – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (November)
Note
2,3
Schlagworte
energie wirtschaft stromwettbewerb netznutzungsentgelte bilanzkreise energietechnik
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Titel: Ökonomische Implikationen der Deckung des Regelenergiebedarfs in Deutschland
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