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Die Effektivität ökonomischer Politikberatung in Deutschland

Eine empirische Studie

©2000 Diplomarbeit 98 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Ökonomische Beratung der Politik ist eine Kommunikation zwischen einem beratenden Ökonomen einerseits und einem die Beratung nachfragenden Politiker andererseits, in deren Rahmen volkswirtschaftliches Wissen vom Berater zum Politiker übertragen werden kann. Die Effektivität solcher Beratung kann nur in Abhängigkeit von den Zielen beurteilt werden, die beide Seiten mit Hilfe der Beratung erreichen wollen. Während viele beratend tätige Volkswirte für sich beanspruchen, das wirtschaftliche Allgemeinwohl im Sinne der neoklassischen Wohlfahrtstheorie im Auge zu haben, ist der Politiker – so die These der ökonomische Theorie der Politik – vor allem an seiner Wiederwahl interessiert.
Diese Arbeit nimmt für ihre empirische Untersuchung die allgemeine Beraterperspektive ein: Ökonomische Politikberatung ist effektiv, wenn ihre Empfehlungen befolgt, also politisch umgesetzt werden. In Interviews mit Landespolitikern und externen sowie internen ökonomischen Beratern ergab sich folgendes Bild:
Häufig kommt die Beratung nicht zustande, weil die Politiker (wenn sie Parlamentarier sind) zuwenig Geld oder (in jedem Falle) zuwenig Zeit haben. Oft erreicht die Beratung ihren eigentlichen Adressaten nicht, weil sie in der Hierarchie der Bürokratie versickert. Zum Teil wird die Beratung nicht verstanden oder bleibt unveröffentlicht.
Bisweilen wird die Beratung im Sinne einer bereits getroffenen politischen Entscheidung manipuliert, um diese mit einer wissenschaftlichen Legitimation zu versehen. Bei wissenschaftlich umstrittenen Fragen kann solche Manipulation ersetzt werden durch die gezielte Auswahl desjenigen Beraters, der die politisch genehme wissenschaftliche Position vertritt. In beiden Fällen wird eine echte Beratung nur vorgetäuscht. Sucht der Politiker dagegen unvoreingenommen Rat, sind die uneinigen Wissenschaftler ihm keine Entscheidungshilfe.
In der Mehrzahl der Fälle richten sich die Politiker nach den Wünschen von Interessengruppen, da diese im Unterschied zu den Beratern glaubhaft mit dem Entzug von Wählerstimmen drohen können. Entspricht das ökonomisch Empfohlene nicht diesen Wünschen, bleibt die Beratung ineffektiv. Einen Ausweg bietet hier die strategische, die Wünsche der Interessengruppen mit berücksichtigende Beratung im Sinne eines Kompromisses zwischen ökonomischer Vernunft und politischer Opportunität oder die langfristige Strategie einer Politikänderung über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung.
Am […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7796
Henning, Tobias: Die Effektivität ökonomischer Politikberatung in Deutschland - Eine
empirische Studie
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Technische Universität Dresden, Technische Universität, Diplomarbeit, 2000
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Abbildungsverzeichnis
Seite I
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ...III
Abkürzungsverzeichnis... IV
1. Einleitung ...1
2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland ...3
2.1 Definition ökonomischer Politikberatung... 3
2.2 Klassifikationen von Politikberatung... 4
2.2.1 Modelle wissenschaftlicher Politikberatung nach Habermas... 4
2.2.2 Andere Klassifikationen ... 5
3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht
der ökonomischen Theorie ...10
3.1 Der Effektivitätsbegriff im Kontext ökonomischer Politikberatung ... 10
3.2 Neoklassik ... 12
3.2.1 Pareto-Effizienz als Wohlfahrtskriterium... 12
3.2.2 Neoklassische Wirtschaftspolitik ... 13
3.2.3 Begriff und Bedingungen effektiver Politikberatung ... 15
3.3 Ökonomische Theorie der Politik ... 17
3.3.1 Abgrenzung zur Neoklassik... 17
3.3.2 Effektivitätsbegriff... 19
3.3.3 Bedingungen effektiver Politikberatung... 21
4. Messung der Effektivität ökonomischer Politikberatung ...24
4.1 Produktionsfunktion... 24
4.2 Fallbeispiele ... 28
4.3 Befragung von Beratern und Politikern ... 29
5. Interviews mit Beratern und Politikern ...31
5.1 Zur Vorgehensweise ... 31
5.1.1 Die Gesprächspartner ... 31

Abbildungsverzeichnis
Seite II
5.1.2 Zur Gesprächsführung ... 32
5.2 Inhaltliche Auswertung ... 34
5.2.1 Die Beratung kommt nicht zustande: Geldmangel, Zeitmangel, und
Nichtveröffentlichung... 35
5.2.2 Vom Berater zum Politiker: Der Übertragungsweg ... 40
5.2.3 Die Qualität wissenschaftlichen Rats:
Verständlichkeit und Sachgerechtigkeit ... 42
5.2.4 Rechtfertigung vorgefasster Meinungen durch wissenschaftlichen Rat ... 44
5.2.5 Die Uneinigkeit der Berater... 48
5.2.6 Sind ökonomische Berater konsensfähig?... 53
5.2.7 Die politische Durchsetzbarkeit wissenschaftlichen Rats ... 54
5.2.8 Der Einfluss ökonomischen Rats auf die Wirtschaftspolitik... 58
6. Fallbeispiel: Ein Gutachten des ifo Instituts für das Sächsische
Wirtschaftsministerium... 62
6.1 Einführung... 62
6.2 Die Entstehungsphase des Gutachtens ... 63
6.3 Gegenstand des Gutachtens: Förderprogramme zur
Unternehmensberatung in Sachsen ... 64
6.3.1 Ziele und Mitteleinsatz ... 64
6.3.2 Durchführung ... 68
6.4 Das Ziel und die Methode des Gutachtens... 69
6.5 Die Empfehlungen und das anschließende politische Handeln ... 70
6.5.1 Empfehlungen zur Verbesserung der Effektivität der Beratungsförderung ... 70
6.5.2 Empfehlungen zur Verbesserung der Effizienz der Beratungsförderung... 72
6.6 Haben die Empfehlungen etwas bewirkt?... 76
6.7 Wenn es das Gutachten nicht gegeben hätte... ... 79
7. Zusammenfassung der Ergebnisse... 81
Literaturverzeichnis ... 83
Gesetzes- und Urteilsverzeichnis... 87
Anhang: Interviews... A1-A130

Abbildungsverzeichnis
Seite III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 3.1: Ökonomische Politikberatung
im Modell der neoklassischen Wohlfahrtstheorie... 16
Abbildung 3.2: Ökonomische Politikberatung
im Modell der ökonomischen Theorie der Politik ... 19
Abbildung 5.1: Grundmodell der Beratung als Übertragungsprozess ... 34
Abbildung 5.2: Die Beratung kommt nicht zustande, weil... ... 36
Abbildung 5.3: Beratung geht auf dem Weg
zum Politiker verloren oder wird verfälscht ... 40
Abbildung 5.4: Beratung wird vom Politiker
nicht verstanden oder nicht für sachgerecht gehalten ... 42
Abbildung 5.5: Beratung wird vom
bereits entschiedenen Politiker vorgegeben... 44
Abbildung 5.6: Die zur Entscheidung passende Beratung wird ausgewählt ... 48
Abbildung 5.7: Der Politiker weiß nicht, welchen Rat er befolgen soll ... 51
Abbildung 5.8: Die Berater einigen sich auf einen gemeinsamen Rat... 53
Abbildung 5.9: Der Politiker wird in seiner Entscheidung
von Interessengruppen beeinflusst ... 54
Abbildung 5.10: Soll der Berater den Einfluss
der Interessengruppen berücksichtigen? ... 56
Abbildung 5.11: Hat die Beratung einen Einfluss
auf die politische Entscheidung? ... 58
Abbildung 6.1: Fördermitteleinsatz für die
RKW-Beratungsprogramme in Sachsen 1992-1996... 67

Abkürzungsverzeichnis
Seite IV
Abkürzungsverzeichnis
A
Symbol für Andere Wissenschaften
AP
Symbol für Andere Problemsichten
BMWi
Bundesministerium für Wirtschaft
CDU
Christlich-Demokratische Union
CO
2
Kohlendioxid
CSU
Christlich-Soziale Union
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin
DM
Deutsche Mark
E
Zeichen für Entscheidung
EB
Interviewkürzel für externe Berater/innen
ECU
European Currency Unit (Europäische Währungseinheit)
EU
Europäische Union
FB
Interviewkürzel für Fraktionsberater/innen
FDP
Freie Demokratische Partei Deutschlands
GA
Gemeinschaftsaufgabe ,,Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur"
GF
Interviewkürzel für den Geschäftsführer der RKW Sachsen GmbH
GG
Grundgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GO
Geschäftsordnung
HTW
Hochschule für Technik und Wirtschaft
HWWA
Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv
I
Zeichen für Interessengruppe bzw. -gruppen
ifo
Institut für Wirtschaftsforschung
IfW
Institut für Weltwirtschaft Kiel
IHK
Industrie- und Handelskammer
IWF
Internationaler Währungsfond
KMU
kleine(s) und mittlere(s) Unternehmen
LA
Interviewkürzel für Landtagsabgeordnete

Abkürzungsverzeichnis
Seite V
LM
Interviewkürzel für Landesminister/innen
Mio.
Millionen
N3
Norddeutscher Rundfunk
ÖB
Symbol für Ökonomische Politikberatung
ÖE
Symbol für Wirtschaftspolitische Entscheidung
ÖP
Symbol für Ökonomisch Informierte Problemsicht
P
Zeichen für Politik bzw. Politiker
R
Zeichen für Beratung bzw. Rat
RKW
Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft
RL
Interviewkürzel für Referatsleiter/innen oder Referenten/innen im SMWA
SAB
Sächsische Aufbaubank
SäHO
Sächsische Haushaltsordnung
SMF
Sächsisches Staatsministerium der Finanzen
SMWA
Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SSW
Südschleswiger Wählerbund
TDM
Tausend Deutsche Mark
TH
Interviewkürzel für Diplomand Tobias Henning
TU
Technische Universität
UN
United Nations (Vereinte Nationen)
USA
United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)
URL
Unique Ressource Locator (eindeutige Internet-Adresse)
V
Symbol für Volkswirtschaftslehre
VGR
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
VOL
Verdingungsordnung für Leistungen
VWL
Volkswirtschaftslehre
WD
Wissenschaftlicher Dienst oder
Interviewkürzel für Mitarbeiter/innen des Wissenschaftlichen Dienstes
X
Symbol für Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft
Z
Symbol für Weitere Einflüsse
ZEW
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung


1. Einleitung
Seite 1
1. Einleitung
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob das Wissen über gesamtwirtschaftliche
Zusammenhänge, das die Volkswirtschaft bereithält, in die Entscheidungen der Wirt-
schaftspolitiker Eingang findet. Dieses Wissen kann auf unterschiedlichen Wegen in die
Politik gelangen. Den kürzesten Weg muss das Wissen zurücklegen, wenn der Politiker
selbst Wirtschaftswissenschaftler ist. Einen sehr langen, eventuell Jahrzehnte in
Anspruch nehmenden Weg nimmt es in Form ökonomischer Ideen, die sich allmählich
durchsetzen, zunächst im Bereich der Wissenschaft, schließlich auch in der Gesellschaft
und der Politik.
1
Die in dieser Arbeit betrachtete Form der Übertragung volkswirt-
schaftlichen Wissens in die Politik ist die ökonomische Politikberatung. Im Unterschied
zur Personalunion von Politiker und Ökonom, bei der das Wissen sich von vornherein
am Ort der Entscheidung befindet, und zur Ausbreitung ökonomischer Ideen, die
unmerklich geschieht, handelt es sich bei der wirtschaftswissenschaftlichen Politikbera-
tung um eine Kommunikation zwischen zwei Personen, dem Ökonomen als Berater und
dem beratenen Politiker. Der Überlegenheit des Beraters an Wissen steht die Überle-
genheit des Politikers an Macht gegenüber. In dieser Beziehung ist das Erkenntnis-
interesse nur eines von mehreren denkbaren Motiven. Während der Politiker mögli-
cherweise seine Macht durch Wissen festigen will, geht es dem Berater möglicherweise
um die Durchsetzung seiner Ideen mit Hilfe der Macht. Die nächstliegende Interpreta-
tion ist jedoch die, dass der Wissenschaftler sich bemüht, den Politiker zu ökonomisch
vernünftigen Entscheidungen zu veranlassen. Diese Arbeit soll einen Beitrag zur
Beantwortung der Frage leisten, ob dieser Versuch gelingt.
Auf diese Einleitung folgt im zweiten Kapitel zunächst eine Definition ökonomischer
Politikberatung und eine Darstellung, wie unterschiedliche Formen ökonomischer Poli-
tikberatung klassifiziert werden können. Daran anschließend richtet sich im dritten
Kapitel der Blick auf die Effektivität der Beratung. Diskutiert werden die Aussagen der
neoklassischen Wohlfahrtstheorie und der ökonomischen Theorie der Politik zu Begriff
und Bedingungen der Effektivität ökonomischer Politikberatung. Darauf aufbauend
werden im vierten Kapitel drei verschiedene Möglichkeiten beschrieben, die Effektivität
ökonomischer Beratung zu messen. Zwei dieser Methoden werden in den darauffol-
genden Kapiteln angewandt: Im fünften Kapitel werden die im Rahmen der Diplom-
1
Vgl. Frey (2000), S. 8.

1. Einleitung
Seite 2
arbeit geführten Interviews ausgewertet, in denen Berater und Politiker zur Effektivität
der Politikberatung befragt wurden, und im Fallbeispiel des sechsten Kapitels wird
untersucht, ob die Empfehlungen eines Gutachtens für das Sächsische Wirtschaftsmini-
sterium umgesetzt wurden. Im siebten Kapitel werden die Ergebnisse der Arbeit
zusammengefasst.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 3
2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
2.1 Definition ökonomischer Politikberatung
Bevor sie auf ihre Effektivität hin untersucht wird, soll die ökonomische Politikberatung
selbst zunächst definiert werden. Für den ersten Teil des Begriffes "ökonomische
Politikberatung" lässt sich eine klare Abgrenzung finden: Die Berater haben ein wirt-
schaftswissenschaftliches Studium absolviert. In den meisten Fällen sind es Volkswirte,
da sich Politik und damit auch Politikberatung mit gesamtwirtschaftlichen Fragen
befasst. Nicht gemeint sein soll Politikberatung im Sinne von Unternehmensberatung,
mit deren Hilfe z. B. ein Minister zu einer besseren Organisation des von ihm geleiteten
Verwaltungsapparates gelangen will. Der zweite Teil des Begriffes ist schwieriger zu
fassen. Es gibt eine Reihe von politischen Entscheidungsträgern, an die sich die
Beratung richten kann. Ebenso kann die Beratung selbst in unterschiedlicher Form
stattfinden. Im nächsten Abschnitt werden einige Kriterien vorgestellt, nach denen eine
Klassifikation von Politikberatung möglich ist. In dieser Arbeit soll jedoch keine zu
starke Eingrenzung des Begriffes "Politikberatung" vorgenommen werden. Allerdings
wird an der grundsätzlichen Trennung von Berater und Politik festgehalten. Ausge-
schlossen sind damit solche Fälle, in denen Ökonomen selbst politische Ämter über-
nehmen.
1
Ökonomische Politikberatung soll definiert werden als eine Kommunikation zwischen
Wirtschaftswissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern, in der beide Seiten
versuchen, volkswirtschaftliches Wissen für wirtschaftspolitische Entscheidungen nutz-
bar zu machen. Diese Definition soll darauf hinweisen, dass Beratung nicht einseitig
vom Berater geleistet werden kann. Der Beratene muss wenigstens insoweit beteiligt
sein, als er den Rat zur Kenntnis nimmt. Volkswirtschaftliches Wissen nutzbar zu
machen, ist zunächst in einem sachlich-neutralen Sinne zu verstehen: In Anwendung
des theoretischen Wissens über gesamtwirtschaftliche Wirkungszusammenhänge auf die
jeweils aktuellen Wirtschaftsdaten müssen durchführbare politische Handlungs-
anweisungen abgeleitet werden.
2
Weitergehend kann die ökonomische Theorie, wenn
1
Eine Liste von Professoren der Volkswirtschaftslehre als Regierungspolitiker oder Zentralbankchefs in
Europa findet sich in Frey (2000), S. 22 ff.
2
Im "interventionsoptimistischen" Idealfall wird ein ökonometrisches Gesamtmodell der Volkswirtschaft
"handlungsorientiert umgeformt"; vgl. Streit (1991), S. 360.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 4
sie normative Aussagen trifft, auch nutzbar gemacht werden, indem sie der Wirtschafts-
politik ökonomisch begründete Ziele vorgibt. Oder aber sie nützt dem beratenen Poli-
tiker, indem sie umgekehrt versucht, Ziele, die dieser bereits festgelegt hat, wissen-
schaftlich zu untermauern.
2.2 Klassifikationen von Politikberatung
2.2.1 Modelle wissenschaftlicher Politikberatung nach Habermas
Zunächst soll die von Habermas eingeführte Unterscheidung zwischen dezisionisti-
schem, technokratischem und pragmatistischem Beratungsmodell vorgestellt werden,
3
die sich zwar nicht speziell auf ökonomische Politikberatung bezieht, auf die aber in der
ökonomischen Literatur zum Thema vielfach zurückgegriffen wird.
4
Als dezisionisti-
sches Modell bezeichnet Habermas unter Berufung auf Max Weber die strenge Unter-
scheidung zwischen der Aufgabe des Politikers, Entscheidungen zu treffen, und der
Aufgabe des Wissenschaftlers, Daten als Entscheidungsgrundlage und Mittel zur
Umsetzung der Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Die Entscheidung selbst ist
jedoch wissenschaftlich nicht begründbar:
"[...] [D]as politische Handeln [...] realisiert vielmehr eine Entscheidung zwischen
konkurrierenden Wertordnungen und Glaubensmächten, die zwingender Argu-
mente entraten und einer verbindlichen Diskussion unzugänglich bleiben."
5
Nach dem dezisionistischen Modell ist der wissenschaftliche Berater nur ein Instrument
in der Hand des Politikers. Das technokratische Modell, das nach Habermas unter dem
Eindruck der Verwissenschaftlichung und Technisierung der Lebenswelt entstanden ist,
sieht den Politiker in Umkehrung des dezisionistischen Verhältnisses vollständig in der
Macht des "Sachzwangs". Der Wissenschaftler diktiert ihm, was jeweils notwendig zu
tun ist, so dass "[...] dem Politiker im technischen Staat nur mehr eine fiktive Entschei-
dungstätigkeit [bleibt]."
6
In Widerlegung des technokratischen Modells stellt Habermas
fest, dass politische Entscheidungen über bestimmte "praktische" Fragen (im Unter-
schied zu "technischen"), etwa über die Befriedigung "sozialer Bedürfnisse", Wertur-
teile erfordern und sich deswegen der technologischen Rationalisierung grundsätzlich
3
Vgl. Habermas (1964).
4
Vgl. z. B. Berg / Cassel / Hartwig (1999), S. 270 f.; Streit (1991), S. 363 f.; Gäfgen (1987), S. 4 ff.;
Wegner (1974), S. 29 ff.
5
Habermas (1964), S. 121.
6
Ebenda, S. 122.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 5
entziehen.
7
Andererseits hält er dem dezisionistischen Modell entgegen, dass solche
Entscheidungen dennoch einer wissenschaftlichen Diskussion zugänglich gemacht
werden können und nicht einsam getroffen werden müssen.
8
Denn:
"Offensichtlich besteht zwischen Werten, die aus Interessenlagen hervorgehen,
einerseits und den Techniken, die zur Befriedigung wertorientierter Bedürfnisse
verwendet werden können andererseits, ein Verhältnis der Interdependenz."
9
Deswegen schlägt Habermas ein pragmatistisches Modell wissenschaftlicher Politik-
beratung vor, in dem sich der Berater in ständiger Diskussion sowohl mit der Politik als
auch mit der Öffentlichkeit befindet.
10
Diese Diskussion soll "in Form eines institutio-
nalisierten Regelkreises ablaufen."
11
Auf diese Weise soll der Berater über die Bedürf-
nisse und Wertvorstellungen in der Gesellschaft aufgeklärt werden, um seine wissen-
schaftliche Arbeit an diesen auszurichten. Andererseits soll er diese Bedürfnisse vor
dem Hintergrund seines Wissens auf ihre Erfüllbarkeit hin kontrollieren und eventuell
Korrekturen der Wertvorstellungen vorschlagen.
12
Der Wissenschaftler kann sich daher
im pragmatistischen Modell eigener Werturteile nicht mehr enthalten.
Die drei Modelle nach Habermas sind auf die Beziehung zwischen Berater und Poli-
tiker gerichtet. Sie erlauben eine Einordnung danach, welche Seite in dieser Beziehung
die bestimmende, zielsetzende ist. Im folgenden werden nun einige Möglichkeiten der
Einordnung anhand äußerer Kriterien aufgeführt.
2.2.2 Andere Klassifikationen
Adressaten der Beratung: Regierung, Parlament und Öffentlichkeit
Die älteste Form ökonomischer Politikberatung ist die Beratung des Herrschers. In der
Demokratie ist dies die Regierungsberatung. Das bekannteste ökonomische Beratungs-
gremium in den USA, der "Council of Economic Advisers", berät ausdrücklich den
Regierungschef.
13
In Deutschland sind die Fachministerien die wichtigsten Adressaten
der Regierungsberatung. Diese entscheiden eigenständig darüber, in welchem Maße und
in welcher Form sie Beratung in Anspruch nehmen wollen (Ressortprinzip): "Es gibt
7
Vgl. ebenda, S. 123.
8
Vgl. ebenda, S. 125.
9
Ebenda.
10
Vgl. ebenda, S. 126 f.
11
Berg / Cassel / Hartwig (1999), S. 271.
12
Vgl. Habermas (1964), S. 127.
13
Vgl. Porter (1997), S. 105 f.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 6
nicht so etwas wie eine regierungseinheitliche beratungsbezogene Richtlinienkompe-
tenz."
14
Es fehlt daher auch ein genauer Überblick über die Anzahl der Beratungs-
gremien.
15
Eine schriftliche Befragung aller Bundesministerien und des Bundeskanzler-
amts im Jahr 1992 ergab eine Gesamtzahl von 294 ressortbezogenen Beiräten
16
mit
insgesamt knapp 2.900 Mitgliedern, für die 16,3 Mio. DM aufgewandt wurden. Davon
entfielen 44 Beiräte (490 TDM) auf das Wirtschafts- und 4 (241 TDM) auf das
Finanzministerium.
17
Für "Ad hoc-Beratung"
18
(Gutachten, Forschungsaufträge, Anhö-
rungen) wurden insgesamt weitere 65 Mio. DM ausgegeben.
19
Zu beachten ist außer-
dem, dass der Ministeriumsspitze bereits im eigenen Haus eine Vielzahl wissenschaft-
lich ausgebildeter Mitarbeiter zur Verfügung stehen: "Die Ministerialbürokratie als
,institutionalisiertes Gedächtnis` der Regierung funktioniert insgesamt als ein Politik-
beratungsgremium."
20
Da die Regierung als die ausführende Gewalt unter ständigem
Entscheidungszwang steht, ist ihre Nachfrage nach Beratung im Vergleich zu der des
Parlaments groß. Dem Berater bietet sich die Beratung der Regierung als kürzester Weg
zur Umsetzung seiner Vorschläge an.
Die Parlamentsberatung ist demgegenüber wesentlich schwächer ausgeprägt. Es lassen
sich vier Quellen der Parlamentsberatung unterscheiden: Die wissenschaftlichen Mitar-
beiter der Abgeordneten und Fraktionen, der Wissenschaftliche Dienst beim Parlament
samt der Parlamentsbibliothek, die Anhörung externer Sachverständiger ("Hearing") in
den Parlamentsausschüssen sowie die Enquete-Kommissionen. Für die Abgeordneten
des Bundestages bestehen mehr und besser ausgestattete Möglichkeiten der Beratung
als für die Landtagsabgeordneten. Da sich der empirische Teil dieser Arbeit auf die
Länder Sachsen und Schleswig-Holstein konzentriert, werden die dort bestehenden
Möglichkeiten kurz betrachtet.
Sowohl in Sachsen als auch in Schleswig-Holstein erhalten die Abgeordneten Aufwen-
dungsersatz für die Beschäftigung persönlicher Mitarbeiter. In Schleswig-Holstein wird
eine Obergrenze von monatlich 1.565 DM genannt.
21
Wissenschaftliche Berater können
14
Murswieck (1994a), S. 108.
15
Vgl. ebenda.
16
Dieser Begriff umfasst Gremien unterschiedlicher Art, von der ministeriumsintern gebildeten
Arbeitsgruppe bis zur mit externen Wissenschaftlern besetzten Expertenkommission.
17
Vgl. ebenda, S. 110.
18
Vgl. Fußnote 41 in diesem Kapitel.
19
Vgl. Murswieck (1994a), S. 110.
20
Murswieck (1994b), S. 11.
21
Vgl. Sächsisches Abgeordnetengesetz, § 6 Abs. 4 Satz 1 und Schleswig-Holsteinisches
Abgeordnetengesetz, § 9 Abs. 3.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 7
daher nur von den Fraktionen aus ihren monatlichen Zuschüssen finanziert werden.
22
In
beiden Ländern können die Ausschüsse Sachverständige anhören.
23
In Sachsen kann die
Ausschussminderheit eine Anhörung durchsetzen,
24
in Schleswig-Holstein ist dazu ein
Mehrheitsbeschluss und - wegen des Kostenaufwands - die Zustimmung der Landtags-
präsidentin nötig.
25
Enquete-Kommissionen kann der Landtag nur in Schleswig-Hol-
stein "[z]ur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame
Sachkomplexe [...]" einsetzen.
26
Im Unterschied zu den Ausschüssen, die ausschließ-
lich aus Mitgliedern des Parlaments bestehen, sollen die Enquete-Kommissionen
möglichst viele externe Mitglieder haben
27
und so als parlamentarisches Gegenstück zu
Expertenkommissionen der Regierung dienen. Wenn die Berufung der Kommissions-
mitglieder nicht einvernehmlich erfolgt, geschieht sie wie bei den Ausschüssen nach
dem Stärkeverhältnis der Fraktionen.
28
Im Unterschied zu den Fraktionsberatern, die zu
den Fraktionen in einem Loyalitätsverhältnis stehen, ist der Wissenschaftliche Dienst
ausdrücklich zu überparteilicher und vertraulicher Beratung der Abgeordneten
verpflichtet.
29
Allerdings verfügt er auf Landesebene meist nur über wenige Mitar-
beiter,
30
die zudem oft keine ökonomische, sondern eine juristische Ausbildung
besitzen, da die Hauptaufgabe des Wissenschaftlichen Dienstes traditionell in der Bera-
tung der Abgeordneten zu Fragen der Gesetzesformulierung und der parlamentarischen
Geschäftsordnung besteht.
31
Auch die Öffentlichkeit kann als Akteur im politischen System gesehen werden und
daher als Adressat ökonomischer Politikberatung in Betracht kommen. Vor allem dann,
wenn Politiker die Empfehlungen der Wirtschaftswissenschaftler mit der Begründung
ablehnen, sie seien "in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar", scheint die Beratung
gerade dieser Öffentlichkeit geboten zu sein. Eine solche Beratung muss über die
22
Vgl. Sächsisches Fraktionsrechtsstellungsgesetz, § 3 Abs. 1 und Schleswig-Holsteinisches
Fraktionsgesetz, § 6 Abs. 3.
23
Vgl. Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages, § 32 Abs. 1 und Geschäftsordnung des Schleswig-
Holsteinischen Landtages, § 16 Abs. 2.
24
Vgl. Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages, § 32 Abs. 3.
25
Vgl. Arens (Hrsg.) (1999), S. 61.
26
Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages, § 12 Abs. 1.
27
Vgl. Arens (Hrsg.) (1999), S. 47.
28
Vgl. Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages, § 12 Abs. 2.
29
Vgl. Backhaus-Maul (1990), S. 26 und S. 30 f.
30
Zum Jahresende 1987 waren 131 Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes beim Bundestag
Angehörige des höheren Dienstes (vgl. Backhaus-Maul (1990), S. 34 und S. 62 f.). Beim Schleswig-
Holsteinischen Landtag sind es aktuell vier.
31
Vgl. das Interview mit dem Wissenschaftlichen Dienst beim Schleswig-Holsteinischen Landtag im
Anhang (Interview mit WD). In Schleswig-Holstein sind dessen Mitarbeiter zusätzlich die Justitiare des
Landtags.

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 8
Medien, möglichst sogar über Massenmedien vermittelt werden, was die Ökonomen mit
der schwierigen Aufgabe konfrontiert, komplizierte Zusammenhänge in einfacher
Sprache und so knapp wie möglich darzustellen.
32
Der Sachverständigenrat zur Begut-
achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein 1963 per Gesetz eingerichtetes,
weisungsunabhängiges Professorengremium, übergibt sein jährliches Gutachten zwar
der Bundesregierung, hat aber ausdrücklich auch den Auftrag, "[...] zur Erleichterung
der Urteilsbildung [...] in der Öffentlichkeit [...]" beizutragen.
33
Er ist daher auch zur
Veröffentlichung seiner Gutachten verpflichtet.
34
Wünsche vertritt die Ansicht, Ludwig
Erhard habe in den fünfziger Jahren mit der Einrichtung des Sachverständigenrats in
erster Linie die Hoffnung verbunden, dieser könne gegen den aufkommenden Vertei-
lungskampf der Gruppeninteressen wirken und die Öffentlichkeit dafür gewinnen, dass
eine marktwirtschaftliche Ordnungspolitik dem Gemeinwohl letztlich am meisten
diene.
35
Interne und externe Beratung
Die Charakterisierung einer Beratung als "intern" soll zunächst darauf hinweisen, dass
sie in einem engen organisatorischen Zusammenhang mit ihrem Adressaten steht. Die
klassische interne ökonomische Beratung ist die des wissenschaftlich ausgebildeten
Beamten im höheren Dienst der Ministerialbürokratie, meist in den wirtschaftspoli-
tischen Grundsatzabteilungen und -referaten. Externe Beratung steht dagegen außerhalb
des Verwaltungsapparates. Sehr häufig wird der Begriff "externe Beratung" im Sinne
von "unabhängiger Beratung" gebraucht, während die interne Beratung grundsätzlich
unter dem Verdacht steht, nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich von den
Weisungen ihres Auftraggebers abhängig zu sein. In Deutschland geschieht externe
Beratung von Forschungsinstituten und Universitäten in starkem Maße im Auftrag der
Ministerien, so dass interne Beratung oft auf externer aufbaut. Dadurch gerät allerdings
die externe Beratung ihrerseits in Abhängigkeit von derartigen Forschungsaufträgen,
was durch eine - wiederum staatliche - Grundfinanzierung verhindert werden soll. Es
gibt aber nicht nur abhängige externe, sondern auch unabhängige interne Beratung.
Hierfür ist der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ein
32
Vgl. Schmidt (1995), S. 74 f.
33
Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung, § 1 Abs. 1. Vgl. auch ebenda, § 3 Abs. 1 und § 6 Abs. 1.
34
Vgl. ebenda, § 6 Abs. 1.
35
Vgl. Wünsche (1995).

2. Ökonomische Politikberatung in Deutschland
Seite 9
gutes Beispiel: Dieser hat zwar sein Sekretariat im Ministerium,
36
berät jedoch "[...] den
Bundesminister der Finanzen in voller Unabhängigkeit und ehrenamtlich in allen Fra-
gen der Finanzpolitik [...]."
37
Über die Berufung und Abberufung seiner Mitglieder
entscheidet der Beirat selbst ("Ko-Optation"), ebenso über die Gegenstände seiner
Beratung.
38
Außerdem gilt: "Die gutachtlichen Äußerungen des Beirats sind grundsätz-
lich zu veröffentlichen."
39
Institutionalisierte Beratung und Ad hoc-Beratung
Mit institutionalisierter Beratung wird meist eine auf Dauer angelegte Beratung
bezeichnet, die eine nach außen hin "sichtbare" Organisationsform besitzt.
40
Hierzu
gehören einerseits Beratungsgremien wie die wissenschaftlichen Beiräte der Ministe-
rien, die Monopolkommission oder der Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, andererseits die wirtschaftswissenschaftlichen
Forschungsinstitute. Die Beratung erfolgt periodisch, wie bei den Jahresgutachten des
Sachverständigenrates und den jeweils im Frühjahr und Herbst veröffentlichten
Gemeinschaftsgutachten der sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute, oder konti-
nuierlich, zum Beispiel in Form von Publikationen. Unter Ad hoc-Beratung
41
wird
demgegenüber eine Beratung aus konkretem Anlass verstanden, die zeitlich und inhalt-
lich auf die Bearbeitung des gestellten Themas begrenzt ist. Ad hoc-Beratung geschieht
oft in Form von Gutachten oder Anhörungen von Sachverständigen, aber auch in Form
von zeitlich begrenzt eingesetzten Expertenkommissionen.
42
Eine Mischform stellt die
parlamentarische Enquete-Kommission dar, die einerseits immer mit einem konkreten
Auftrag eingesetzt wird und hierzu auch einen Abschlussbericht verfasst, andererseits
aber meist sehr lange - teilweise über mehr als eine Wahlperiode hinweg - besteht.
43
36
Vgl. Satzung des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, § 10.
37
Ebenda, § 1.
38
Vgl. ebenda, § 3 und § 6.
39
Ebenda, § 8.
40
Dagegen ist mit der Institutionalisierungsform der Politikberatung allgemein die Art und Weise ihrer
Ausgestaltung gemeint. Vgl. Murswieck (1994a), S. 107 f. und Gäfgen (1987), S. 11 ff.
41
Vgl. Duden Fremdwörterbuch (1982): "ad hoc [lat.]: 1. [eigens] zu diesem Zweck [gebildet, gemacht].
2. aus dem Augenblick heraus [entstanden]".
42
Solche Kommissionen werden häufig eingesetzt, um Vorschläge für Systemreformen (Steuerreform,
Rentenreform, Hochschulreform, Bundeswehrreform usw.) auszuarbeiten.
43
Vgl. Braß (1990), S. 95.

3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der Theorie
Seite 10
3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der öko-
nomischen Theorie
Bisher wurde geklärt, was unter ökonomischer Politikberatung zu verstehen ist und wie
die unterschiedlichen Formen, in denen sie auftritt, eingeordnet werden können. Für
Deutschland wurden dabei einige Institutionen der Politikberatung beispielhaft genannt.
In dieser Arbeit wird der Blick auf eine bestimmte Qualität ökonomischer Politikbera-
tung gerichtet: ihre Effektivität. Letztlich soll eine Antwort auf die Frage gefunden
werden, ob ökonomische Politikberatung tatsächlich effektiv ist. Zuvor muss jedoch
geklärt sein, an welchem Begriff von Effektivität die Praxis der Beratung gemessen
werden soll. In diesem Kapitel wird deswegen danach gefragt, welcher Effektivitäts-
begriff sich aus der ökonomischen Theorie ableiten lässt. Weil es um die Beratung der
Politik geht, wird insbesondere die Theorie der Wirtschaftspolitik herangezogen. Dabei
werden die Aussagen der neoklassischen Theorie der Wirtschaftspolitik denjenigen der
ökonomischen Theorie der Politik (auch als Neue Politische Ökonomie oder Theory of
Public Choice bezeichnet) gegenübergestellt. Unter der Annahme, dass Beratung sich
nicht auf die Vermittlung neutralen Faktenwissens beschränkt, sondern auch eine
Aussage darüber macht, was getan werden soll, ist jeweils auch der normative Teil der
Theorierichtungen von Interesse.
3.1 Der Effektivitätsbegriff im Kontext ökonomischer
Politikberatung
Zunächst wird danach gefragt, wie der Begriff der Effektivität im Zusammenhang mit
ökonomischer Politikberatung zu fassen ist. Was soll man sich unter effektiver Politik-
beratung vorstellen? Effektivität bedeutet, allgemein gesprochen, Wirksamkeit.
1
Effektiv ist etwas, das einen Effekt, eine Wirkung hat. Wenn der Begriff der Effektivität
auf zielgerichtetes menschliches Handeln angewandt wird, erfährt er eine wichtige
Einschränkung: Eine Handlung kann nur dann als effektiv bezeichnet werden, wenn die
Wirkung, die sie hat, vom Handelnden beabsichtigt ist. Die Effektivität einer Handlung
kann definiert werden als die Tatsache, dass die mit der Handlung angezielte Wirkung -
1
Vgl. z. B. Brockhaus-Enzyklopädie (1988), S. 113. Vgl. auch lat. efficere: hervorbringen, bewirken.
Das Adjektiv "effektiv" wird häufig auch im Sinne von "tatsächlich", "wirklich", "greifbar" verwendet
(vgl. z. B. ebenda und Schirmer (1911), S. 50.), auch in Verbindungen wie "effektive Leistung",
"Effektivlohn", "effektiver Jahreszins" usw.

3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der Theorie
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verursacht durch die Handlung - eintritt. Eine kürzere Definition lautet: Effektiv ist die
Handlung, wenn sie Erfolg hat.
Daraus folgt, dass das Ziel einer Handlung bekannt sein muss, bevor festgestellt werden
kann, ob sie effektiv ist. Der Handelnde bestimmt sein Handlungsziel aufgrund eines
Werturteils, mit dem er bestimmte Effekte als für sich wünschenswert und daher anzu-
strebend identifiziert. Ob jemand seine Handlung als effektiv bezeichnet, ist deswegen
abhängig von seinen Wertvorstellungen. In dieser Arbeit geht es um die Handlung
"ökonomische Politikberatung". Eine Besonderheit der Beratungshandlung liegt darin,
dass es zwei Handelnde gibt: den Berater und den Beratenen. Um etwas über die Effek-
tivität ökonomischer Politikberatung aussagen zu können, muss nach den Wertvorstel-
lungen und daraus abgeleiteten Zielen sowohl der beratenden Ökonomen als auch der
beratenen Politiker gefragt werden. Eine Beratung kann, wenn die an sie geknüpften
Erwartungen sich unterscheiden, für die Berater ineffektiv, aus Sicht der Politiker aber
durchaus wirkungsvoll sein.
Nachdem geklärt ist, was unter effektiver Beratung zu verstehen ist, ist es in einem
zweiten Schritt sinnvoll, nach den Bedingungen zu fragen, die erfüllt sein müssen,
damit die Beratung effektiv sein kann. Damit ist das Problem angesprochen, dass die
Ziele, die der Beratungshandlung gesetzt sind, auch durch die Beratung erreicht werden
müssen, wenn sie effektiv sein soll. Es sei nun angenommen, dass das Ziel wirt-
schaftswissenschaftlicher Beratung grundsätzlich ein bestimmtes wirtschaftspolitisches
Handeln ist. Die Bedingung der Effektivität der Beratung besteht dann darin, dass
dieses angezielte wirtschaftspolitische Handeln in die Tat umgesetzt wird. Wieder ist
zwischen der Perspektive des Beraters und der des Politikers zu unterscheiden. Für den
Berater schließt die eben getroffene Annahme, die Beratung ziele auf ein bestimmtes
politisches Handeln, die Übermittlung von bloßen Fakten aus ­ seine Beratung ist
immer auch eine Empfehlung. Aus Sicht des Politikers bedeutet die Annahme, dass er
entweder nach der geeigneten Handlungsalternative sucht oder sich eine bereits
gewählte vom Berater bestätigen lassen will. Ausgeschlossen wird hier ein rein takti-
scher Einsatz von Beratung ohne wirkliches Interesse an deren Inhalten. Nach diesen
grundsätzlichen Bemerkungen werden im folgenden die Aussagen zu Begriff und
Bedingungen der Effektivität ökonomischer Politikberatung zum einen der neoklas-
sischen Theorie der Wirtschaftspolitik (Abschnitt 3.2) und zum anderen der ökono-
mischen Theorie der Politik (Abschnitt 3.3) analysiert.

3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der Theorie
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3.2 Neoklassik
3.2.1 Pareto-Effizienz als Wohlfahrtskriterium
Wirtschaftspolitik versucht, das Wirtschaftsgeschehen in Richtung auf bestimmte Ziele
zu beeinflussen. Soweit sie sich dabei an wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen
orientiert, kann sie als "angewandte Wirtschaftstheorie"
2
bezeichnet werden. Für die
Wirtschaftspolitik ist dabei vor allem die Wohlfahrtstheorie als der "normative Teil der
Neoklassik"
3
interessant. Mit dem grundlegenden Kriterium der Pareto-Effizienz
4
kann
die Wohlfahrtstheorie einen bestimmten Zustand als gesellschaftlich wünschenswert
auszeichnen und damit wirtschaftspolitischem Handeln ein Ziel setzen.
5
Im Grundmodell der Allokationstheorie ist der Staat nicht enthalten. Diese zeigt im
Gegenteil gerade, dass ein Wohlfahrtsoptimum grundsätzlich ohne staatliche Lenkung
erreichbar ist. Wenn die ihren privaten Nutzen maximierenden Konsumenten zu
bestimmten unbeeinflussbaren Preisen gerade soviel an Gütern kaufen wollen, wie die
ihren Gewinn maximierenden Produzenten zu denselben Preisen herstellen und verkau-
fen möchten, liegt ein Marktgleichgewicht vor.
6
Dieses ist nach dem ersten Hauptsatz
der Wohlfahrtsökonomie
7
unter bestimmten Annahmen Pareto-effizient, das heißt, es ist
in einem solchen Marktgleichgewicht nicht möglich, die Produktionsstruktur oder die
Verteilung der produzierten Güter so zu verändern, dass wenigstens ein Konsument
8
besser gestellt wird, ohne wenigstens einen anderen schlechter zu stellen. Befindet sich
eine Marktwirtschaft in einem Pareto-effizienten Zustand, ist das grundlegende Ziel der
Allokationstheorie erreicht, die knappen Ressourcen der Volkswirtschaft bestmöglich
auf die Konsumenten aufzuteilen.
Einer Einteilung Streits
9
folgend, werden nun die wichtigsten Aufgaben der
Wirtschaftspolitik benannt, knapp theoretisch begründet und daraufhin untersucht, wie
2
Wagner (1992), S. 4.
3
Söllner (1999), S. 125.
4
Vgl. Sohmen (1976), S. 30 ff.
5
Vgl. Böventer et al. (1997), S. 255.
6
Vgl. Sohmen (1976), S. 71. Zur Frage, ob garantiert ist, dass sich ein solches Gleichgewicht einstellt
(Stabilität des Gleichgewichts), vgl. Böventer et al. (1997), S. 229 ff. und S. 251 ff.
7
Vgl. Böventer et al. (1997), S. 291.
8
Letztlich ist nur das Wohl der Konsumenten entscheidend, weil alle Gewinne der Produzenten an deren
Eigner fließen, die ihrerseits auch Konsumenten sind.
9
Vgl. Streit (1990), S. 994 ff.

3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der Theorie
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ökonomische Politikberatung aus Sicht der neoklassischen Theorie von Nutzen sein
kann.
3.2.2 Neoklassische Wirtschaftspolitik
Allokationspolitik
Für öffentliche Güter und externe Effekte existieren keine Märkte, weil niemand von
deren Konsum ausgeschlossen, also auch kein Preis verlangt werden kann.
10
Ineffiziente
Güterallokationen treten weiterhin bei natürlichen Monopolen und unvollständiger
Information auf. In diesen Fällen kann ein Staatseingriff gerechtfertigt werden. Der
Staat wird im Modell als wohlwollender Diktator gedacht, der sich bemüht, die Volks-
wirtschaft dem effizienten Zustand so nahe wie möglich zu bringen,
11
zum Beispiel,
indem er versucht, gerade soviele öffentliche Güter bereitzustellen, wie die Bürger
konsumieren würden, wenn sie sie bezahlen müssten. Verfügt dieser Diktator nicht über
Allwissenheit, ist das Modell um einen wirtschaftspolitischen Berater zu erweitern.
Dessen Ziel ist mit dem des Diktators identisch. Er wird mit Hilfe seines ökonomischen
Wissens beispielsweise ein Verfahren erdenken, das der Staat einsetzen kann, um die
Bürger zur Preisgabe ihrer Zahlungsbereitschaft für öffentliche Güter zu bewegen.
Verteilungspolitik
Der Staat kommt auch dann ins Spiel, wenn es darum geht, aus der Vielzahl möglicher
Pareto-effizienter Zustände einer Volkswirtschaft einen bestimmten als wünschenswert
auszuwählen und zu implementieren. Die Pareto-effizienten Zustände unterscheiden
sich darin, wie die Güter und damit der durch die Güter gestiftete Nutzen auf die
Konsumenten verteilt sind. Der Staat kann eine soziale Wohlfahrtsfunktion definieren,
die jeder Nutzenverteilung ein bestimmtes Niveau der gesamtgesellschaftlichen Wohl-
fahrt zuweist, um dann den Pareto-effizienten Zustand zu bestimmen, in dem diese
soziale Wohlfahrt maximiert wird. Ob das Wohlfahrtsmaximum bei einer gleichmä-
ßigen oder eher bei einer ungleichmäßigen Verteilung der Güter bzw. Nutzen auf die
10
Im Falle eines negativen externen Effekts kann niemandem verwehrt werden, von dessen Beseitigung
zu profitieren.
11
Weil der (Pareto-)effiziente Zustand ein Optimum ist, gibt es im wohlfahrtstheoretischen Kontext keine
mehr oder weniger effizienten Zustände, sondern man nähert sich dem Optimum an oder entfernt sich
von ihm. Denkbar ist es, von mehr oder weniger ineffizienten Zuständen zu sprechen. Wenn dennoch
häufig von "Effizienzsteigerung" und "effizienter machen" die Rede ist, liegt dem eine andere Definition
zugrunde, nach der Effizienz das Verhältnis von Output zu Input bezeichnet.

3. Effektivität der Politikberatung aus Sicht der Theorie
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Gesellschaftsmitglieder erreicht ist, muss der ökonomische Berater der Politik überlas-
sen. Ihm fällt die Aufgabe zu, den Staat bei der Implementierung des gefundenen
Zustands maximaler Wohlfahrt zu unterstützen, indem er Umverteilungsmechanismen
vorschlägt, die zum einen kosteneffizient sind, also ihr Ziel mit geringstmöglichem
Aufwand an staatlichen Mitteln erreichen und zum anderen die individuellen Entschei-
dungen am Markt möglichst nicht beeinflussen. Beispielsweise könnte er auf ein wegen
Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu geringes Arbeitsangebot im Niedriglohnbereich
hinweisen und stattdessen eine negative Einkommensteuer vorschlagen, weil er sich
davon höhere Arbeitsanreize für Empfänger von Sozialtransfers sowie ein weniger
aufwändiges Verwaltungsverfahren verspricht. Auch der Mechanismus zur Erhebung
von Steuern, die Umverteilung und alle andere Staatstätigkeit erst möglich macht, kann
nach dem Kriterium der Effizienz optimiert werden.
Stabilisierungspolitik
Empirisch lassen sich zyklische Schwankungen (Konjunkturen) wichtiger gesamtwirt-
schaftlicher Größen, z. B. des Bruttoinlandprodukts und der Beschäftigung, beobachten.
Hier gegensteuernd einzugreifen, ist Aufgabe der Stabilisierungspolitik. Der ökono-
mische Berater prognostiziert die Schwankungen und versucht, Gegenmaßnahmen
vorzuschlagen. Die sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute der Blauen Liste haben
auf diesem Gebiet traditionell einen ihrer Arbeitsschwerpunkte und heißen deswegen
auch Konjunkturforschungsinstitute. Ein Grund dafür, dass konjunkturelle Schwan-
kungen als unerwünscht betrachtet werden, liegt in den Wohlfahrtsverlusten durch die
zeitweilige Unterauslastung des Produktionspotentials (zum Beispiel in Form von
Arbeitslosigkeit), also durch eine ineffiziente, weil ressourcenverschwendende Produk-
tion. Insofern lässt sich Stabilisierungspolitik auch allokationstheoretisch begründen.
12
Ob sie in ihrer keynesianischen Form des staatlichen Versuchs, die Gesamtnachfrage
antizyklisch zu beeinflussen (Globalsteuerung), wirksam durchzuführen ist, wird heute
vielfach bezweifelt, unter anderem auch von der in Abschnitt 3.3 zu behandelnden öko-
nomischen Theorie der Politik.
13
12
Vgl. Wagner (1992), S. 15.
13
Vgl. ebenda, S. 71 und S. 106 ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783832477967
ISBN (Paperback)
9783838677965
DOI
10.3239/9783832477967
Dateigröße
629 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (März)
Note
1,3
Schlagworte
theorie neue ökonomie politiker interview wirtschaftsförderung
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