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Reisen - Menschen - Bilder

Untersuchung zum Menschenbild deutschsprachiger Globetrotter

©2003 Diplomarbeit 125 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
In meiner Diplomarbeit konzentriere ich mich darauf, wie Globetrotter die Einflüsse und Auswirkungen der Reisen und der Begegnungen mit Menschen anderer Kulturen auf ihr individuelles Menschenbild einschätzen. Aufgrund des lückenhaften Forschungsstandes und der Komplexität des Themas wird hypothesengenerierend vorgegangen.
Das Datenmaterial besteht aus vier transkribierten Interviews, die ich im Zeitraum von Februar bis April 2003 mit Globetrottern führte. Diese Texte wurden mittels eines qualitativen Verfahrens ausgewertet. Ich orientierte mich hauptsächlich an dem von Jaeggi, Faas und Mruck (1998) publizierten Auswertungsleitfaden des zirkulären Dekonstruierens. Diesen kombinierte ich mit Elementen aus der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967), einem Verfahren zur Hypothesengenerierung anhand des Datenmaterials, und mit der Technik der Feinanalyse (Mecheril & Thon, persönl. Mitteilungen). Neben den Transkripten der Interviews bezog ich die Protokolle meiner Eindrücke aus den Gesprächen ebenfalls in die Auswertung ein.
In der Darstellung der Ergebnisse konzentriere ich mich zunächst auf Einzelfalldarstellungen, um dann die aus den Menschenbildreflexionen der Befragen gewonnenen, übergreifenden, psychologischen Gestalten zu referieren.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung4
2.Theorie6
2.1Das Menschenbild7
2.1.1Definitionen7
2.1.2Bestandteile desindividuellen Menschenbildes10
2.1.3Einflussfaktoren und Entstehung von Menschenbildern11
2.1.4Ausgewählte Untersuchungen und eine Theorie zum Thema14
2.1.4.1Oerters Stufentheorie15
2.1.4.2Weltanschauungen von Therapeuten17
2.1.4.3Menschenbilder von Informations-System-Designern18
2.2Die Fernreise19
2.2.1Das Erleben während der Reise19
2.2.1.1Offenheit20
2.2.1.2Begegnungen21
2.2.1.3Bewegung und Zeitwahrnehmung23
2.2.2Reise als Weg zur Selbstfindung und Selbsterkenntnis25
2.2.3Das Fremde26
2.2.3.1Sehnsucht und der Reiz der Fremde27
2.2.3.2Begegnung mit dem Fremden28
2.2.3.3Modi des Fremderlebens29
2.2.3.4Das äußere und das innere Fremde33
2.2.3.5Das Fremde als Lernanlass33
2.2.4Tourismuskritik35
2.2.5Die Weltreisenden vom Typus „GlobetrotterIn“36
2.2.5.1Günstige Voraussetzungen für Begegnungen40
2.2.5.2Überlegungen zu Besonderheiten von Fernreisenden40
2.3Zusammenfassende Darstellung der theoretischen Überlegungen42
3.Präzisierung der Fragestellung43
4.Methodik der Untersuchung44
4.1Begründung einer […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7680
Reischl, Anna Maria: Reisen - Menschen - Bilder - Untersuchung zum Menschenbild
deutschsprachiger Globetrotter
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Paris-Lodron-Universität Salzburg, Universität, Diplomarbeit, 2003
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
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Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

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,,Gracias a la vida, que me ha dado tanto..."
Bedanken möchte ich mich gleich an zweiter Stelle bei meinen Eltern Brigitte
und Max, die mir dieses Studium und noch viel mehr ermöglicht haben.
Meiner Schwester Elisabeth danke ich für ihre Hilfe und Anwesenheit.
Felicitas Rhomberg bin ich sehr dankbar für die stärkenden positiven
Gedanken.
Ganz besonders ausschlaggebend für das Gelingen dieser Arbeit war die
Forscherinnengruppe ,,Prima"! Ohne ihre erfahrene Unterstützung hätte ich
mein Thema wahrscheinlich irgendwann aufgegeben.
Michaela Ledebur hat mir mit ihren kritischen Anmerkungen und ihrer lieben,
hilfsbereiten Art in der Endphase der Arbeit sehr geholfen.
Auch der Bielefelder Forschergruppe gebührt Dank, da sie mich in einer
schwierigen Phase ermutigt und mir Einblicke in die spannende Welt der
Feinanalyse gewährt haben.
Herrn Prof. Allesch danke ich für seine Bereitschaft dieses interessante Thema
zu betreuen.

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2.1
Das Menschenbild
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2.1.1 Definitionen ... 9
2.1.2
Bestandteile des individuellen Menschenbildes ... 12
2.1.3
Einflussfaktoren und Entstehung von Menschenbildern ... 13
2.1.4 Ausgewählte
Untersuchungen
und eine Theorie zum Thema ... 16
2.1.4.1 Oerters
Stufentheorie... 17
2.1.4.2 Weltanschauungen
von
Therapeuten... 19
2.1.4.3 Menschenbilder von Informations-System-Designern... 20
2.2
Die Fernreise
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2.2.1 Das
Erleben
während der Reise ... 21
2.2.1.1 Offenheit ... 22
2.2.1.2 Begegnungen... 23
2.2.1.3 Bewegung
und
Zeitwahrnehmung... 25
2.2.2
Reise als Weg zur Selbstfindung und Selbsterkenntnis... 27
2.2.3 Das
Fremde... 28
2.2.3.1 Sehnsucht und der Reiz der Fremde... 29
2.2.3.2 Begegnung mit dem Fremden ... 30
2.2.3.3 Modi des Fremderlebens ... 31
2.2.3.4 Das äußere und das innere Fremde... 35
2.2.3.5 Das Fremde als Lernanlass... 35
2.2.4 Tourismuskritik... 37
2.2.5
Die Weltreisenden vom Typus ,,GlobetrotterIn" ... 38
2.2.5.1 Günstige
Voraussetzungen für Begegnungen ... 42
2.2.5.2 Überlegungen zu Besonderheiten von Fernreisenden ... 42
2.3
Zusammenfassende Darstellung der theoretischen Überlegungen
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4.1
Begründung einer hypothesengenerierenden Forschungsstrategie
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4.2
Datenerhebung 47
4.2.1
Das episodische Interview ... 47
4.2.2
Die Konstruktion des Interviewleitfadens ... 49
4.2.3
Die Auswahl der Gesprächspartner ... 50
4.2.4
Anmerkungen zur Gesprächsführung ... 50
4.2.5
Transkription der Interviews... 51
4.3
Auswertung der Daten
51
4.3.1
Erfassung des Menschenbildes ... 52

4
4.3.2 Zirkuläres
Dekonstruieren ... 52
4.3.3 Theoretisches
Kodieren ... 55
4.3.4 Feinanalyse ... 57
4.4
Validierung der Forschungsarbeit
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5.1
Einzelfalldarstellungen: Ergebnisse der ersten Auswertungsphase
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5.1.1
Tim
:
"Reisen muss auch erst mal gelernt werden"
... 60
5.1.1.1 Paraphrasierung... 61
5.1.1.2 Tims
Menschenbild... 62
5.1.2
David
:
"Also du mußt auf jeden Fall positiv eingestellt sein, weil wenn du, nee das kannst
vergessen, das haut net hin, da darfst net so a Reise machen"
... 66
5.1.2.1 Paraphrasierung... 66
5.1.2.2 Davids
Menschenbild... 69
5.1.3
Georg
:"
Jetzt reis i wirklich , jetzt fahr i auch nimmer mit Bussen oder so, und schlaf auch in
keine Guesthäuser mehr, sondern jetzt pack i mein Rucksack und geh einfach den einzigen
Weg den es gibt entlang, und schau mal was passiert"
... 72
5.1.3.1 Paraphrasierung... 73
5.1.3.2 Georgs
Menschenbild... 75
5.1.4
Andi:
"Also es ist immer so, dass ich zwar weiß, dass ich jetzt ham muss oder so, aber dass i
wenn i net miasat einfach weiterfahren tät"
... 78
5.1.4.1 Paraphrasierung ... 79
5.1.4.2 Andis
Menschenbild... 81
5.2
Ergebnisse der zweiten Auswertungsphase
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5.2.1 Nutz(ge)nießer ... 84
5.2.2
Begegnung mit dem Fremden... 89
5.2.3 Sehen-suche ... 95
5.2.4 Getrosten
Mutes... 101
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In Tansania gibt es das Sprichwort: ,,In der Fremde erfährt man mehr als zu Hause."
Angenommen in dieser Weisheit steckt ein wahrer Kern, dann verwundert es auch nicht,
dass ich die meisten ,,Erkenntnisse" über mich und die Menschen hauptsächlich, auf
Reisen und im Kontakt mit Menschen anderer Kulturen gewann.
Dennoch bin ich weit davon entfernt ein explizites, wohldefiniertes Menschenbild mein
Eigen zu nennen. Stattdessen ragen einige Theorien wie Inseln aus dem Meer meiner
Erfahrungen. Ich habe viel gelernt und mit dem Radius meines Wissens wächst auch der
Umfang unbeantworteter Fragen. So bleibt mein Interesse an den Menschen intensiv und
das motiviert mich leidenschaftlich Reisende, die mit vielen verschiedenen Menschen in
unterschiedlichstem Umfeld zusammentreffen, zu dem Thema zu befragen.
Ich möchte an dieser Stelle kurz erklären, was mich bewogen hat trotz der Vorteile eines
quantitativen Forschungsdesigns, einem qualitativen Verfahren den Vorzug zu geben.
Mein Erkenntnisinteresse ist ausschlaggebend, denn meine Art von Neugier kann mit
quantitativen Verfahren nur schlecht gestillt werden. Vor dem Resultat schon eine
Theorie im Kopf zu haben, die oft eine gewisse ,,No-na Qualität"
1
hat und die
Bandbreite der Antworten einschränkt, hat mich nie sehr gereizt. Die Komplexität
reduziert sich auf einen möglicherweise signifikanten statistischen Unterschied. Mein
Erkenntnisinteresse treibt mich eher in unerforschtes Neuland, ,,Aha-" statt ,,No-na"-
Erlebnissen entgegen.
Da sich aus diesem Grund meine Fragestellung durch eine große Offenheit und Breite
auszeichnet, ist ein offenes Vorgehen nötig, ebenso auch, weil es mir darum geht,
subjektive Theorien über Menschen (Menschenbilder) zu erfassen und zu rekonstruieren.
Dies lässt sich nur mit einer qualitativen Methode erreichen.
Ebenso spricht der lückenhafte Forschungsstand für eine hypothesengenerierende
Strategie. Ein quantitatives, experimentelles oder Fragebogen-Verfahren ist nicht zuletzt
aufgrund des mangelhaften Forschungsstands wenig vielversprechend.
1
Vgl. dazu auch Semmer, N. & Tschan, F. (1990). "Und dafür habt Ihr so lange geforscht?" Zum Problem
der Trivialität in der Psychologie.

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INLEITUNG
,,Beim Durchqueren fremder Länder erkennt der Reisende nicht nur die ,Allgemeinheit'
der anderen, sondern auch seine eigene- das, was er mit den anderen gemeinsam hat,
ungeachtet aller Unterschiede von Sprache, Kultur, Rasse, Religion oder
Ernährung"(Leed, 1993, S.84).
Dieses Zitat illustriert, dass sich auf Reisen das Menschen- und Weltbild verändern
können. Ein prominentes Beispiel dafür ist Darwin. Seine langjährigen Forschungsreisen
an Bord der Beagle haben sein Menschenbild beeinflusst. Seine Erkenntnis, dass die
Variationen innerhalb einer Art und zwischen verschiedenen Unterarten eindeutig mit
ihrer Umwelt in Beziehung stehen, hat überdies die Meinungen Vieler zur Stellung des
Menschen in der Welt verändert.
Sie, wir, ich: die Menschen! Mein Wissensdrang, dem Menschlichen auf die Spur zu
kommen, motivierte mich Psychologie zu studieren. Kurz vor Abschluss meines
Studiums stelle ich mir die Frage: Was habe ich über die Menschen gelernt? Sicherlich
einiges darüber, wie der Mensch in der Psychologie gesehen wird. Das Menschliche, wie
es mir im Studium vermittelt wurde, beruht auf je spezifischen Menschenbildern, die
sich individuell und auch je nach wissenschaftlichen Blickwinkeln unterscheiden
können. Damit meine ich Perspektiven, die in erster Linie philosophisch fundiert sind.
Nach wie vor fungieren sie jedoch als Ausgangspunkte für die Art und Weise der
Fragestellungen.
Munzert hat 1999 die Menschenbilder der verschiedenen psychologischen Richtungen
treffend und knapp beschrieben: In der kognitiven Psychologie ist der Mensch ein
Informationsverarbeiter und -anwender. Der Mensch ist für HandlungspsychologInnen
ein handelndes Wesen, das Bewusstsein besitzt. Im Behaviorismus wird der Mensch als
ein durch seine Umwelt geformtes und gesteuertes Lernwesen gesehen.
Selbstverantwortlicher Architekt und Gestalter seines Lebens mit intellektuellem und
kreativem Potenzial ist der Mensch in der humanistischen Psychologie.
In der Tiefenpsychologie hingegen herrscht ein Bild des Menschen als ein von inneren,
überwiegend unbewussten Kräften getriebenem Lustsucher und Unlustvermeider vor.
Analog zur Wissenschaft, determiniert auch im Alltag das subjektive Menschenbild die
Beziehung eines Menschen zu sich und zu anderen. Aus der Untersuchung von Katein

7
und Hübner geht hervor: Das Menschenbild bestimmt unsere Denk- und
Wahrnehmungsschemata nachhaltig (vgl. Katein & Hübner, 1998, S.8).
Ist man beispielsweise der Überzeugung, alle Menschen wären hinterhältig und
verdorben, wird man ihnen anders entgegentreten, als wenn man der Meinung ist, der
Mensch sei gut.
Es ist auffällig, dass trotz der zentralen Bedeutung, die das individuelle Menschenbild
für den zwischenmenschlichen Bereich hat, diesbezüglich kaum Untersuchungen
existieren. Weder entdeckte ich umfangreiche Forschungen zum Menschenbild direkt,
noch solche, die sich annähernd mit der Verknüpfung von Menschenbild und Reisen
auseinandersetzen oder eine Theorie zum Thema, die geeignet war Hypothesen
abzuleiten und zu prüfen.
Gerade vor dem Hintergrund aktueller Themen, wie vermehrter Einwanderung, erhöhter
Mobilität, Reiseboom und Angst vor Fremdem wäre es wichtig zu erfahren, wie sich ein
Menschenbild jenseits von Selbst und Fremdbildern konstituiert, und wie es sich durch
einen schnellen Zuwachs an neuen Eindrücken und Erfahrungen verändern kann, wie
dies beim Reisen der Fall ist.
Ich gehe davon aus, dass Reisende, die zahlreiche und intensive Kontakte mit
Einheimischen pflegen, besonders offen für Modifikationen ihres Menschenbildes sind.
Aus meiner eigenen Erfahrung und aus vielen Gesprächen mit Vielgereisten verstärkt
sich die Vermutung, dass Begegnungen mit verschiedenen Menschen und Kulturen
eigene Einstellungen und sogar subjektive Theorien begründen oder modifizieren, sowie
auch andersherum von diesen bestimmt werden. Die Frage, wie das vor sich geht,
vollständig und umfassend zu beantworten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Ich möchte dieses interessante Thema untersuchen, um einige Bausteine zu einer
Theorie beizusteuern.
Ich konzentriere mich in dieser Untersuchung darauf, wie Globetrotter, definiert als
intensiv Reisende, die Einflüsse und Auswirkungen der Reisen und der Begegnungen
mit Menschen anderer Kulturen auf ihre individuellen Menschenbilder einschätzen.
Aufgrund des schon erwähnten lückenhaften Forschungsstandes entschloss ich mich
hypothesengenerierend vorzugehen. Auch um der Komplexität des
Forschungsgegenstandes gerecht zu werden, bediente ich mich zur Auswertung meiner
Daten eines qualitativen Verfahrens.

8
Dazu interviewte ich in dem Zeitraum von Februar bis April 2003 sieben
deutschsprachige Globetrotter und eine Globetrotterin. Von diesen Interviews wertete
ich schließlich vier mittels eines qualitativen Verfahrens aus. Ich orientierte mich dabei
hauptsächlich an dem von Jaeggi, Faas und Mruck (1998) publizierten
Auswertungsleitfaden des zirkulären Dekonstruierens. Diesen kombinierte ich mit
Elementen aus der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967), einem Verfahren
zur Hypothesengenerierung anhand des Datenmaterials, und mit der Technik der
Feinanalyse (Mecheril & Thon, persönl. Mitteilungen). Neben den Transkripten der
Interviews bezog ich die Protokolle meiner Eindrücke aus den Gesprächen ebenfalls in
die Auswertung ein.
2. T
HEORIE
Wie in der Einleitung schon erwähnt ist der Forschungsstand zu meinem Thema sehr
lückenhaft. Ich fand zwar kaum Bezüge, die sich direkt verwenden lassen, aber doch
Hinweise bzw. nützliches Vorwissen zum Thema.
Zuerst dokumentiere ich einige Definitionen des Begriffes ,,Menschenbild". Im
Anschluss zergliedere ich das Konstrukt ,,Menschenbild" in mögliche Bestandteile.
Einflussfaktoren auf dessen Entstehung behandle ich im Anschluss. Eine Theorie und
zwei Untersuchungen, die sich mit individuellen Menschenbildern befassen, werden
ebenfalls beschrieben.
Das nächste Kapitel widme ich dem zweiten großen Komplex dieser Arbeit, nämlich
dem Phänomen des Fernreisens. Im Kapitel 3.2.1 ,,Das Fremde" führe ich unter anderem
auch die Theorie des Umgangs mit der Fremde (Schäffter, 1997) an. Dann gehe ich auf
Eigenheiten des Erlebens auf Reisen ein. Nach einer kurzen Zusammenfassung der
Kritik am Dritte-Welt-Tourismus, beschreibe ich den Typ ,,GlobetrotterIn", um den es in
der Untersuchung geht. Abschließend stelle ich noch einige Überlegungen zu
Besonderheiten von GlobetrotterInnen vor.

9
2.1 Das Menschenbild
Das individuelle Menschenbild verändert sich ebenso wie das Menschenbild einer
Gesellschaft durch die Integration neuer Erkenntnisse, Strömungen und Bedürfnisse.
Die Veränderung des individuellen Menschenbildes ist jedoch im Gegensatz zur
Veränderung des Menschenbildes über Generationen schwerer nachzuweisen, weil
Daten mit denen man die Menschenbilder rekonstruieren könnte, oft fehlen. Außer von
professionellen DenkerInnen , PhilosophInnen und WissenschafterInnen wird das
individuelle Menschenbild selten klar reflektiert und expliziert, sondern schwingt
implizit in Handlungen und Lebensweisen mit bzw. beeinflusst diese (Katein & Hübner,
1998). Wichtig ist zuerst einmal zu dokumentieren, was mit diesem vielschichtigen
Begriff gemeint wird.
2.1.1 Definitionen
Definitionen dieses Begriffs gibt es unüberschaubar viele. Ich habe in der Folge einige
zusammengetragen, die einmal die Vielfalt illustrieren und ebenfalls drei Aspekte des
Menschenbildes, die für meine Untersuchung relevant sind, hervorheben sollen:
Individuelle Menschenbilder sind erstens subjektiv und von biographischen Erfahrungen
abhängig, zweitens beeinflussen sie das Verhalten gegenüber Mitmenschen und drittens
sind sie dynamisch angelegt, d.h. sie können sich durch Erfahrungen und Erlebnisse
verändern.
Im ,,Fachlexikon ABC Psychologie" werden unter Menschenbild: "die in einer
bestimmten Epoche vorherrschenden Auffassungen und Vorstellungen, die sich die
Menschen über sich selbst bzw. über das Wesen des Menschen machen" verstanden
(Hiebsch, 1995, S.297).
Das Menschenbild wird also als ein Gemeingut der Mehrheit von Zeitgenossen definiert.
Auch Hermann Hesse sieht das ähnlich: "Was die Menschen jeweils unter dem Begriff

10
`Mensch` verstehen, ist stets nur eine vergängliche bürgerliche Übereinkunft"(Hesse,
1974, S.52).
Demnach ist der Inhalt dessen, was Menschen über sich selbst denken, das Wesen des
Menschen, also ein Menschenbild. So verstehen auch Katein und Hübner (1998) diesen
Begriff:
alles, was jemand in Bezug auf die Kennzeichen, die Existenz und die
Funktionen des Menschen denkt, einschließlich der impliziten Annahmen, die in
Aussagen oder Erzählungen über den idealen, den gesunden und geheilten
Menschen, über das individuelle Glück und
die Freiheit oder über das jeweilige
Subjektmodell eingehen (Katein & Hübner 1998, S. 7).
Sie geben auch konkrete Beispiele von Menschenbildern:
So wird der Mensch als hilfreich und gut oder als Bestie (Homo homini lupus)
angesehen. Daß der Mensch seinem Karma unterliegt, einen Lebensauftrag hat,
ein gottähnliches Wesen ist, in jedem Menschen etwas von allem steckt und
umgekehrt, perfekt ist, so wie er ist, sind weitere Bilder. Für einen Freudianer ist
die Natur des Menschen triebbestimmt, für einen orthodoxen Psychodramatiker
ist der Mensch von Natur aus schöpferisch, kreativ und mit einem Bedürfnis nach
Handlung und Ausdruck ausgestattet, mit einem Antrieb zur
Selbstverwirklichung. Andere sehen den Menschen durch die elementaren
Bedürfnisse der Selbsterhaltung und Neugier oder des Strebens nach Sinn und
Werten bestimmt. Die Objektbeziehungstheoretiker sehen ihn in Abhängigkeit
von wichtigen Bezugspersonen. Andere definieren ihn als umweltabhängiges,
psychosoziales Wesen oder als Leib-Seele-Geist-Subjekt (Katein & Hübner
1998, S. 7f).
Auch die Definition von Chapman und Jones aus dem Psychologischen Wörterbuch
stellt die Subjektivität individueller Menschenbilder heraus: ,,Menschenbild;
übersummatives Bild vom Menschen. Die persönliche Antwort auf die Frage, was ist der
Mensch ­ abhängig von Selbstbild und Idealbild"(Chapman & Jones, 1998, S.531).
Übersummativität ist ein Begriff, der aus der Gestaltpsychologie kommt und impliziert,
dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Was bedeutet das in Bezug auf das
Menschenbild?

11
Das Menschenbild wird hier als individuelle (persönliche) Vorstellung definiert.
Selbstbild ist in diesem Zusammenhang ein psychologischer Terminus, der beschreibt,
wie ein Individuum sich selbst sieht, aber auch wie es sich gerne sehen würde.
Damit untrennbar verbunden ist die Einbettung des Menschenbildes in ein Weltbild.
Benesch (1990) zählt das Menschenbild neben dem Weltbild, der Wertanschauung, der
Lebensanschauung und der Moralanschauung zu den fünf Komplexen, die die
Weltanschauung ausmachen.
Schinko (2000) zufolge, ist eine klare Trennung zwischen Welt- und Menschenbildern
auch nicht möglich, weil Menschenbilder meist auf zugrunde liegenden Weltbildern
basieren oder von diesen mitgeprägt werden.
Amication (n.d.) definiert dagegen das Menschbild etwas knapper als individuelle
Einstellung zu den Mitmenschen, die das Verhalten ihnen gegenüber beeinflusst. Auch
der dynamische Aspekt wird hier aufgezeigt: ,,Unter Menschenbildern werden
psychische Grundhaltungen verstanden, die sich im Laufe des Lebens entwickeln und
die unsere innere Position zum anderen beinhalten."
Auch nach Schütz (1993) beeinflusst jede Handlung die ausgeführt wird den Menschen.
Er ist vor der Handlung ein anderer als hinterher, denn er hat Erfahrung gewonnen. Bei
jeder Handlung ist der Mensch jedoch von seinen biographischen Voraussetzungen d.h.
seinen Erfahrungen geprägt. Er handelt auf der Grundlage dessen, was er weiß und
gelernt hat. Mead (1934), zufolge ist jede Interaktion reziprok, also eine
Wechselwirkung. Für mein Thema adaptiert hieße das: Die Begegnung mit anderen
Menschen wirkt sich auf das Menschenbild aus und das Menschenbild beeinflusst
seinerseits auch die Begegnung.
Auch Oerter, einer der wenigen Psychologen, die das Thema empirisch untersuchen,
geht davon aus, dass Menschenbilder das individuelle Handeln und Erleben in der
persönlichen Interaktion prägen (vgl. Oerter, 1999, S.1).
Er verwendet für seine Forschungen (vgl. auch Kapitel 2.1.4.1 dieser Arbeit), folgende
Definition, die alle genannten Aspekte einschließt:
Menschenbilder sind Konstruktionen oder Konstrukte, die von Laien und
Wissenschaftlern als Teil ihres Weltbildes implizit oder explizit entworfen
werden, um eine Gesamtorientierung des Urteilens und Handelns zu
ermöglichen. Menschenbilder werden je nach Bedarf, Ziel, und
weltanschaulicher Orientierung konstruiert. Menschenbilder haben im Regelfall

12
handlungsleitende Funktionen, d.h. sie beeinflussen Planung, Ausführung und
Bewertung des Handelns (Oerter, 1999, S.1).
Zusammenfassend sind Menschenbilder also in erster Linie individuell, implizit,
handlungsleitend in eine Weltanschauung eingebettet und sehr umfassend. Aus allen
Erfahrungen, die man mit Individuen und Gruppen von Menschen gemacht hat, aus
allem, was man erlebt hat, aus allen medialen Informationen zum Thema und dazu noch
aus dem Glauben an eine Religion oder an eine Philosophie, konstituiert sich das
Menschenbild.
Es ist also auch durch Erfahrungen veränderbar, eine persönliche Angelegenheit, eine
eigene Antwort auf drängende Fragen, etwas, das sich durch bewusstes Überlegen,
Nachdenken, Reflektieren und Konstruieren im Laufe der Zeit entwickelt. Kurz: eine
psychische Grundhaltung den Menschen gegenüber, die unsere Beziehungen und unser
Handeln beeinflusst.
Das Menschenbild ist eine höchst subjektive und erfahrungsabhängige mentale
Konstruktion. Sie ist bei allen Menschen unterschiedlich, wenngleich es gewisse,
philosophisch-theologische Vorlagen gibt, an denen man sich orientieren kann und auch
orientiert. Im folgenden Abschnitt extrahiere ich aus den referierten Definitionen einige
zentrale Fragen. Diese verstehe ich als eine Art Schablone, die eine grobe Struktur für
die Analyse der individuellen Menschenbilder der Globetrotter bieten soll.
2.1.2 Bestandteile des individuellen Menschenbildes
Die Frage, die jeder bezüglich dem Menschenbild für sich klären muss, ist die Frage
nach dem Wesen des Menschen, seiner Natur oder einfacher formuliert:
Was ist der Mensch?
Coreth (1976) meint, die Frage nach dem Wesen des Menschen sei nicht die Frage nach
einer Definition, sondern gehe darüber hinaus. Gemeint ist, was eigentlich und
ursprünglich den Menschen konstituiere, sodass die übrigen Merkmale, inklusive der
eigenen geistig kulturellen Leistungen daraus erklärt werden können. Das Wesen sei

13
nicht statisch, sondern dynamisch, es hänge vom Werden, Wachsen und Wirken des
Einzelnen und der Menschheit ab. Er fährt fort: ,,Die Frage nach dem Wesen und der
Wesenskonstitution des Menschen schlägt sich geistesgeschichtlich nieder im ,Leib-
Seele-Problem'"(Coreth, 1976, S.144). Hieran angelehnt und die oben referierten
Definitionen einbezogen ergeben sich folgende Fragen an das individuelle
Menschenbild:
Woher kommt der Mensch?
Wozu soll er sein Leben nutzen?
Wie ist meine Einstellung zu den Menschen? Ist der Mensch gut, böse oder vereint er
beides in sich?
Wie ist der ideale Mensch?
Was sind die Funktionen des Menschen?
Welche Stellung hat der Mensch in der Welt?
Was unterscheidet den Menschen vom Tier?
Was haben alle Menschen gemeinsam?
Welche Faktoren die Art und den Inhalt der Antworten auf diese Fragen beeinflussen,
und wie Menschenbilder entstehen können, behandle ich im nächsten Kapitel.
2.1.3 Einflussfaktoren und Entstehung von Menschenbildern
Ich stelle in der Folge einige Überlegungen an, wie sich das Menschenbild im Laufe des
Lebens bildet und welche Faktoren Veränderungen provozieren können. Eine große
Rolle spielen dabei die Einflussfaktoren Zeitgeist, Bildung und medienvermittelte
Informationen, persönliche Biographie und Sozialisation.
Ebenso sind an der Entstehung subjektiver Menschenbilder komplexe geistige
Operationen beteiligt, die anschließend skizziert werden.

14
Zeitgeist, Bildung und medienvermittelte Informationen:
Kühn (1991) meint, dass es bei Philosophen weniger die subjektiv differenten
Erkenntnisse und das Formulierungsvermögen als vielmehr der weltgeschichtliche
Kontext und Hintergrund sind, die die Unterschiede im Menschenbild erklären. So
beeinflusst die Zeit, in der man lebt, das Menschenbild.
Auch Norbert A. Luyten (1987, S. 290) schrieb in ,,Veränderungen im Menschenbild",
nachdem er die wissenschaftlichen Beiträge nach Veränderungen abgeklopft hatte: ,,Am
wichtigsten dürfte die Frage sein, inwieweit die Verschiebungen, die wir in Philosophie
und Wissenschaft festgestellt haben, das Menschenverständnis der Gesellschaft
bedingen und prägen." Er weist damit auf die entscheidende Verantwortung von
Philosophie und Wissenschaft in der Mentalitätsbildung hin.
In der Menschenbilddefinition der encycloMedica (2002) wird unter anderen Faktoren,
auf denen das Menschenbild beruhen kann, auch das biologische Wissen angeführt.
Heutzutage ist mehr denn je über den Menschen bekannt. Die Informationen sind immer
zugänglicher und breit gefächert. Auch das Angebot an Welt-Erklärungsmodellen ist
unüberschaubar geworden. Wie aber geht man mit dieser Fülle an Informationen um?
Gehen manche eklektizistisch vor, um sich ein Bild zusammenzuschustern, das ihnen
auf irgendeine Weise plausibel erscheint? Nehmen andere einfach eine Theorie oder eine
Philosophie an und ordnen ihr ihre eigenen Erfahrungen unter?
Der Zugang zum Wissen ist dabei strukturell unterschiedlich und hängt vom
individuellen Bildungshintergrund ab. Zur Veranschaulichung zwei Beispiele: Alte
Menschen haben größere Schwierigkeiten auf das Internet zuzugreifen, weil sie nicht
gelernt haben mit Computern umzugehen. Genauso sind für Analphabeten schriftliche
Informationen unergründlich.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist demnach die Sozialisation.
Persönliche Biographie und Sozialisation:
Sicher wirken sich die vergangenen, eigenen Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse auf
unsere Vorstellung und unsere Gedanken zum Menschen aus.
Müller und Kutter meinen (1998, S.13), ,,Menschenbilder sind tief verinnerlichte, latente
Ideen, die sich infolge unserer Sozialisation als mentale Strukturen niedergeschlagen

15
haben." Aber viele dieser tief innerlichen, latenten Ideen sind uns auch durch unser
Menschsein mitgegeben und unterliegen einer geistigen Antriebsstruktur (Benesch 1990,
S.28).
In der Vorstellung der Psychologen Hübner und Katein (1998) entsteht das
Menschenbild weitgehend ohne unser Zutun. Geprägt wird es von unseren Anlagen und
dem, was danach mit uns passiert, also von unserer familiären und weiteren Sozialisation
und damit der persönlichen Biographie. Es besteht hauptsächlich aus unbewussten, nicht
formulierbaren Inhalten, die sich dennoch ständig manifestieren und mitschwingen.
Menschenbilder entstehen also in einem Spannungsfeld von vielfältigen Einflüssen, die
bewusst oder unbewusst integriert werden.
Es stellt sich die Frage, welche bewusst wahrnehmbaren Einflüsse der Faktor
,,Fernreisen" und speziell der Kontakt mit Menschen verschiedenster Kulturen hat.
Denken, Überlegen, Reflektieren, Abstrahieren, Integrieren,Konstruieren:
Menschenbild: Synthese von Aussagen über den Menschen, vielfach in Metaphern. Ein
Menschenbild kann z.B. auf mehr oder weniger deutlich bewertenden Reflexionen
bisheriger Erfahrungen beruhen, auf Überlegungen, woher der Mensch kommt und was
er ist, wozu er sein Leben nutzen soll, auf biologischem Wissen.(encycloMedica, 2002).
Mit dem Wort ,,Synthese" in der Definition klingt an, dass widersprüchliche Aussagen
über den Menschen zu einer schöpferischen Einheit integriert werden. Diese Aussagen
sind nicht selten bildliche Ausdrücke, mit denen etwas veranschaulicht wird.
Reflexionen, Überlegungen und Wissen sind Phänomene, die eine bewusste aktive
Beschäftigung mit dem Thema voraussetzen. Es genügt nicht, Erfahrungen gemacht zu
haben. Um das Gelernte zu verbalisieren, muss man auch darüber nachdenken.
Da hauptsächlich PhilosophInnen, AnthropologInnen und andere DenkerInnen sich mit
der Niederschrift von Menschenbildern befassen, liegt es nahe, dass hierbei kognitive
Leistungen gefragt sind. Das Menschenbild ist demzufolge auch ein geistiges Produkt,
zu dessen Konstruktion man Überlegungen anstellt, Erfahrungen reflektiert,
gegensätzliche Aussagen zu einer Einheit zusammenfasst und Theorien überprüft.
Abstraktion ist eine geistige Operation, die im Alltag, bei der Kommunikation und

16
natürlich auch bei der gedanklichen Beschäftigung mit dem eigenen Menschenbild
ständig zum Einsatz kommt.
Subjektive Theorien:
Subjektive Theorien sind, wie oben schon gezeigt, ein zentraler Bestandteil jedes
Menschenbildes.
Eine klare und präzise Definition liefert Groeben (1988, S.19). Subjektive Theorien sind
demnach komplexe Kognitionssysteme des Erkenntnisobjekts, in denen sich dessen
Welt- und Selbstsicht manifestiert und die eine zumindest implizite
Argumentationsstruktur aufweisen.
Für ihn ist es selbstverständlich, dass seine Untersuchungsobjekte parallele oder
zumindest analoge Strukturen aufweisen wie er selbst. Das heißt, da auch sie denken und
wissen, sind sie kompetent, Auskunft zu geben über das, was in ihnen vorgeht. Die
Früchte des so genannten Alltagsdenkens erfüllen im täglichen Leben ähnliche
Funktionen wie wissenschaftliche Theorien für die Wissenschaft: Erklärung, Prognose
und Wissensanwendung (vgl. Groeben, 1988).
Ziel meiner Arbeit soll auch sein, diese Theorien soweit wie möglich zu erfassen.
2.1.4 Ausgewählte Untersuchungen und eine Theorie zum Thema
Die Suche nach Forschungen und Theorien zum Thema Menschenbild blieb nicht
gänzlich fruchtlos. Oerters Stufentheorie greift zum Teil Aspekte auf, die schon im
vorangegangenen Kapitel erörtert wurden, die aber wegen ihrer Relevanz für das
Verständnis des Menschenbildes zusätzlich referiert werden.

17
2.1.4.1 Oerters Stufentheorie
Unter Menschenbild versteht Oerter: "the individual's theory or philosophy about human
beings as a part of his or her worldview" (Oerter, 1997). In der Folge referiere ich in
groben Zügen seine Theorie, wie er sie 1997 in einer Internetpublikation darstellt.
Die Bilder vom Menschen setzen sich nicht aus unverbundenen Einzelmerkmalen
zusammen, sondern bilden Strukturen. Man bezieht diese Einzelaspekte aufeinander und
leitet sie voneinander ab. Oerter spricht ja in seiner Definition auch von individuellen
Theorien. Es erstaunt demnach weiter nicht, dass die einzelnen Erkenntnisse nicht
isoliert das Menschenbild ausmachen. Nachvollziehbar und logisch scheint auch, dass
mit einer Zunahme an Wissen über Mensch und Welt und mit mehr Lebenserfahrung die
konstruierten Strukturen komplexer werden.
Diese Strukturen bilden meistens kein integriertes, konsistentes Gesamtbild. In den
meisten Fällen ist die Struktur des Menschenbildes unvollständig und als Ganzes aus
dem Gedächtnis nicht jederzeit verlässlich abrufbar.
Welche Komponenten bilden die Struktur des Menschenbildes?
Individuen besitzen u.a. auch deklaratives, also explizites Wissen über die Menschen.
Dieses Wissen kann bei Nachfrage leicht reproduziert werden. Demnach ist eine
Komponente des Menschenbildes das ausdrückliche Wissen über die menschliche Natur.
Darüber hinaus wenn Personen nach ihrer Meinung, ihrem Wissen oder ihrem Glauben
über das menschliche Wesen befragt werden, versuchen sie, sämtliche Inhalte zu
integrieren und ein sinnvolles Ganzes zu konstruieren. Anders gesagt ist alles, was wir
von Individuen zu diesem komplexen Thema lernen, ihre eigene Konstruktion.
Aus dem Blickwinkel des Konstruktivismus
1
sind die Antworten Früchte von
langfristigen und kurzfristigen Konstruktionen. Die langfristigen Konstruktionen
bestehen aus allen Erfahrungen, die das deklarative Wissen ausmachen und daher
1
Der Konstruktivismus ist eine interdisziplinäre, insgesamt nicht einheitliche Auffassung von
Wissenschaft, in deren Mittelpunkt die Vorstellung einer Welt steht, die nicht unabhängig von den darin
existierenden Individuen interpretiert werden kann: Wir erschaffen uns unsere eigene Wirklichkeit. Das
heißt: Abschied vom Begriff der Objektivität. Bekannte Konstruktivisten sind: P. Watzlawick, R.
Maturana, H. von Foerster und Ernst von Glaserfeld. (vgl. Brandl; Verfügbar unter:
http://www.stif2.mhn.de/konstr1.htm [3.4.2003]. )

18
abgerufen und ausgedrückt werden können. Das Ergebnis dieser Konstruktionen kann
als Netzwerk oder Struktur des Wissens über den Menschen gesehen werden. Ein großer
Teil dieses Wissens setzt sich aus Wissen über die Welt, Wissen über die Psychologie
und der persönlichen Biografie zusammen.
Kurzfristige Konstruktionen werden durch entsprechende Fragen des Gegenübers
hervorgerufen. Die Menschen versuchen konsistente und zusammenhängende Antworten
zu geben. Frühe Antworten könnten spätere Antworten verändern. In einer
Untersuchung über das Menschenbild werden also mehr oder weniger konsistente
Strukturen oder nur lose verbundene Substrukturen produziert. Diese treten in Form von
Erzählungen auf. Denn sie nehmen immer in irgendeiner Weise Bezug auf die
persönliche Lebensgeschichte. Uns ist es nicht möglich, alles was wir wissen
gleichzeitig zu präsentieren. Wir müssen Elemente nacheinander auswählen um
sinnvolle, zusammenhängende Erklärungen abzugeben.
Versuchspersonen erstellen ihr Menschenbild Schritt für Schritt während der Befragung,
wenn sie sich nicht schon vorher bewusst und systematisch mit diesem philosophischen
Thema auseinandergesetzt haben. Aus diesen Gründen konstruieren sie eine neue, nie da
gewesene Geschichte. (vgl. Oerter, 1997).
Rolf und Rosemarie Oerter haben in bisherigen Studien (1993, 1995) fünf Stufen
unterschiedlicher Strukturniveaus postuliert. Sie nehmen an, dass erst die niedrigen
Niveaustufen vorhanden sein müssen, bevor die nächst höheren erklommen werden
können. Weiter gehen sie davon aus, dass die Stufen formale Strukturen sind, die mit
verschiedenen Inhalten gefüllt werden können und, dass diese formalen Stufen in allen
Kulturen auftreten. Jede Stufe lässt sich in eine Persönlichkeitstheorie, eine Sozial- bzw.
Umwelttheorie und eine Handlungstheorie aufgliedern. Diese Teiltheorien bilden
idealerweise eine Gesamtstruktur.
Um in diesen Studien (Oerter & Oerter, 1993) das Menschenbild zu erheben, wird das
Erwachsenen-Interview verwendet. Zusätzlich werden vorgegebene, fiktive Dilemma-
Geschichten von den Versuchspersonen bearbeitet. Ein Beruf-Familien-Dilemma, das
einen Konflikt innerhalb des Individuums provoziert, und ein Karriere-Dilemma, bei
dem es um einen Konflikt zwischen Individuen geht.
Das Erwachsenen-Interview besteht aus einer Reihe von Fragen über Erwachsene, z.B.
wie sie sein sollten, wie sie sind, welche wichtigen Rollen (Familie, Beruf und Politik)
sie einnehmen, oder über die Bedeutung von Verantwortung, Glück und dem Sinn des

19
Lebens. Zuletzt wird die bisherige persönliche Entwicklung, sowie die zukünftige
Entwicklung des Gegenübers erfragt. Um den Theorien auf die Spur zu kommen, wird
nach Begründungen verlangt. Einzelheiten werden gefordert, um eine detailliertere
Beschreibung zu erhalten (vgl. Oerter & Oerter 1995, S.154-172).
In einer kulturvergleichenden Untersuchung zum Menschenbild junger Erwachsener
wird darauf Wert gelegt, dass die erhobenen Menschenbilder eine Koproduktion von den
forschenden Personen und Befragten darstellen. Befragt wurden Jugendliche aus Japan,
Korea, Indonesien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland. Tatsächlich
konnten universelle Strukturen über alle diese Kulturen hinweg gefunden werden. Es
gab aber auch große Unterschiede zwischen den westlichen und den östlichen
Denkweisen (vgl. Oerter & Oerter, 1993). Oerter bekräftigt noch einmal die Konsequenz
seiner konstruktivistischen Herangehensweise.
The main conclusion of this approach thus leads to a new view of psychological
results. Whenever we are interested in personal attitudes, knowledge, cognitive
structures and information about the self, we obtain co-constructions that need to
be interpreted as a shared performance of subject and researcher. (...)Therefore,
the psychological reality assessed by empirical investigation is not primarily a
reality existing within the individual but a reality existing between individuals
(Oerter, 1997).
2.1.4.2 Weltanschauungen von Therapeuten
Katein und Hübner (1998) haben sich gefragt, wie die subjektiven Theorien von
Gesundheit und Krankheit bei einzelnen Psychodramatikern aussehen und wie sich
Heilungskonzepte in ihren Deutungen spiegeln. Es geht in ihrer qualitativen
Interviewstudie zwar unter anderem darum, das Menschenbild zu erheben, der
Schwerpunkt liegt aber auf anderen Fragen, z.B. der Beziehung von Weltanschauung
und therapeutischer Interaktion. Sichtbar wird der starke Einfluss von subjektiven
Theorien und individuellen Weltanschauungen auf den therapeutischen Prozess.
Dennoch ist diese Studie hauptsächlich methodisch interessant für meine Arbeit. Der
Begriff Menschenbild wird zwar in dieser Studie beschrieben (vgl. Kapitel 2.1.4.2 dieser

20
Arbeit), aber es wird diesbezüglich auf keine existente Theorie Bezug genommen. Daher
entschlossen sich auch Katein und Hübner (1998) zu einem qualitativen Vorgehen.
Darüber hinaus orientierte sich Katein (2001, S.109) an dem interpretativen Paradigma,
weil ihn vor allem die subjektive Perspektive der Therapeuten interessierte. Seine Art
der Datenerhebung und -auswertung weist auch sonst einige Parallelen zu meiner
eigenen Herangehensweise auf.
2.1.4.3 Menschenbilder von Informations-System-Designern
Hannakaisa Isomäki (2001) untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation die qualitativ
verschiedenen Menschenbilder von Informations-System-Designern.
Sie verwendet zur Erhebung die qualitative Methode der ,,Phenomenography"
2
.
Ihre Begründung für die Anwendung dieser Methode nimmt einiges vorweg, was ich im
Methodenteil noch ausführen werde. Sie schreibt:
Because the object of research IS designers' conception of the human being is
considered as subjective and descriptive by nature a qualitative research strategy
is considered. (...) the conception of the human being is a concept, which is not
distinctively enough definable for empirical operationalisation, and thus is not
adequately usable as such. Rather, it is relativistic by nature in the sense that it
needs to be defined theoretically within the discipline or point-of-view in
question. In this case, this relativistic conception of the human being - the image
of the human being in ISD - does not provide a sufficient basis for
operationalisation. It also seems evident that only one (empirical) theory
concerning human characteristics and behaviour with respect to IS (e.g.
McGregor's Theory X- Theory Y) does not offer a sufficiently broad basis for
acquiring knowledge regarding the IS designers' view of the human being.
Further, a theory-testing approach does not serve the purpose of this study
2
Phenomenography ist ein empirischer Forschungsansatz, der konzipiert wurde, um Fragen zum Denken
und Lernen zu beantworten. Es geht um die Beziehungen von Menschen mit der sie umgebenden Welt.
Etymologisch bedeutet Phenomenography Beschreibung von Erscheinungen. Mehr Informationen zur
Methode, Datenanalyse und Anwendung verfügbar unter:
http://chemed.chem.purdue.edu/chemed/bodnergroup/frameworks/phenography.htm [11.9.2003]. ­ und
http://www.ped.gu.se/biorn/phgraph/misc/constr/goodno2.html [11.9.2003].

21
because the interest is to reveal the IS designers' genuine opinions (Isomäki,
2001, S.19).
Da für meine Arbeit belanglos, gehe ich nicht auf die Ergebnisse der Untersuchung ein.
Parallel zu meiner Fragestellung werden auch die Menschenbilder einer bestimmten
Gruppe erhoben. Diese ist hier definiert durch ihren Beruf, nicht wie bei mir durch ihre
Berufung.
2.2 Die
Fernreise
,,Reisen ist die paradigmatische Erfahrung an sich, der Inbegriff eines unmittelbaren und echten
Erlebnisses, das die betreffende Person zutiefst verändert"(Leed, 1993, S.19).
Die Reise als Bewegung und Lernprozess ist wie kaum ein anderes Phänomen mit der
menschlichen Geschichte verwoben. Man kann sie grob als einen freiwilligen
Ortswechsel, der nicht der Niederlassung oder der Erwerbstätigkeit am Reiseort dient,
definieren (vgl. Kaspar, 1996, S.16).
2.2.1 Das Erleben während der Reise
sven sagte ich per handy, dass so eine reise eine ganz eigene geschichte schreibt,
perlenkette
von ereignissen, zufaellen.
...
reisen ist fuer mich immer wieder versuchsaufbau derartiger kompression der erfahrung, weltentanz.
Alfred Banze (1999)
Reise- und Urlaubserlebnisse stellen ein facettenreiches Konstrukt dar. Sie können sich
in persönlichen Eindrücken oder Begegnungen mit anderen Menschen äußern. Ebenso
können sie sich auf kulturelle Sehenswürdigkeiten oder Naturerlebnisse beziehen.

22
Eine Befragung von Alleinreisenden zeigte: ,,Glücksgefühle während der Reise beziehen
sich auf die erlebte Selbstständigkeit, die Möglichkeit zu Kontakten und die Chance zur
Wahrnehmung der Fremde"(Steinecke & Klemm, 1985, S.63).
Gibt es so etwas wie ein ,,Reisefeeling" - ein spezifisches Gefühl auf Reisen? Jeder, der
schon einmal unterwegs war, wird diese Frage wahrscheinlich bejahen können. Die
Hauptursache dieser Art des Erlebens ist meiner Meinung nach die kontinuierliche
Konfrontation mit Neuem. Selbstverständlich ist zu Hause die Zukunft auch
unvorhersehbar, aber die Umgebung bleibt konstant. Auf Reisen ist man unterwegs, in
Bewegung und ständig ändert sich die Landschaft ­ je nach Fortbewegungsmittel abrupt
oder fließend. Ich habe in Reiseberichten (z.B. Hesse, 1973; ) und ,,Travellogs"
3
gestöbert um herauszufinden, was dieses Gefühl bei Reisenden ausmacht.
Leidenschaftlich Reisende verbinden mit dem Reisen vorwiegend positive Erlebnisse.
Extreme Glücksgefühle bleiben sehr gut im Gedächtnis. Das wiederum vergoldet die
ganze Reise, und übertüncht vielleicht viele Schwierigkeiten, etwa stundenlanges
Herumirren schwer bepackt auf der Suche nach einer günstigen Unterkunft.
Es ist also nicht verwunderlich, wenn das Reisegefühl der Reisewütigen ein Gefühl ist,
das sie gerne immer hätten. Wahrscheinlich ist es nicht repräsentativ für das Erleben
während der ganzen Reise, sondern. eher eine idealisierte, sehnsüchtige Idee, eine
Beschreibung von Glanzmomenten.
2.2.1.1 Offenheit
,,Reisen ist für mich: Mit Offenheit neue Personen kennen zu lernen, ihre Kultur, ihre
Lebensphilosophie ..."(Markus, n.d.).
Die Ursache für den Zuwachs an Offenheit und Sensibilität gegenüber der Welt ist die
Angst der Reisenden und der mit primitiven Reisebedingungen verbundene Verlust an
Sicherheit (vgl. Leed, 1993, S.24).
Sicherlich gibt es auch Situationen auf Reisen, wo man zumacht, weder hören noch
sehen will. Aber wenn man ständig reist ohne offen zu sein, ist das Erleben nicht so
intensiv wie es sein könnte. Orlovius (1984) hat herausgefunden, dass die untersuchten
3
Im Internet veröffentlichte Reisetagebücher.

23
Fernreisenden für das Zufällige und die Begegnung mit Neuem offen sein wollen. Diese
Offenheit wird durch ein ,,Sich-Wappnen-Müssen" eingeschränkt. Man sichert sich u.a.
gegen Krankheiten mit Impfungen, gegen Diebstahl mit Vorhängeschlössern oder
Reiseversicherungen ab (vgl. Orlovius, 1984).
2.2.1.2
Begegnungen
Sozial und bewußtseinsmäßig verändernd wirkt nur die überschaubare Einzelbegegnung,
in der man sich beeindrucken lässt von den Qualitäten dieses oder jenes Menschen aus
der Türkei, aus einem arabischen oder afrikanischen Land.
(Heinrichs, 1992, S.15)
In den vorhergehenden Kapiteln habe ich schon gezeigt, dass Begegnungen sich auch
auf das Menschenbild auswirken können
.
Deshalb ist es für meine Arbeit wichtig, die
Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Kontakts zwischen Individualreisenden
und Einheimischen zu behandeln.
Bei Fernreisenden ist das Interesse an der Begegnung mit anderen Kulturen groß. Denn
im Gegensatz zu Massentouristen geben gerade Individualreisende an, Land und Leute
wirklich kennen lernen zu wollen. Die Ergebnisse einer psychologischen Untersuchung
(Orlovius, Wetzels & Beek, 1989) zeigen jedoch, dass es ihnen letztendlich doch nicht
um Begegnungen geht, sondern um das Grundproblem ,,sich in der Fremde wohl- und
wie zu Hause zu fühlen"(Orolovius-Wessely, 1993, S.137).
Die Forscherin schränkt weiter ein: ,,Interkulturelle Begegnung auf (Fern-)Reisen findet
nur ansatzweise statt"(Orlovius-Wessely, 1993a, S.363).
Begegnungen werden zudem widersprüchlich empfunden. Obwohl die befragten
Individualreisenden ihr möglichstes taten, um so authentisch und gleichzeitig so
angepasst wie möglich zu wirken, und ihren vergleichsweise großen Reichtum nicht
zeigen wollten, merkten sie, dass sie sich dennoch in dem Dritte-Welt-Land als
Paradiesvögel und reiche Fremde abhoben. Das empfanden sie einerseits als erhebend
andererseits als ärgerlich. Auch im Schoße einer gastfreundlichen Familie hielten es
viele nicht lange aus. Sie erlebten sich in der Möglichkeit der freien Wahl und der
Selbstbestimmung beschnitten, mussten trotz mangelnder Sprachkenntnisse Rede und

24
Antwort stehen usw. Nur wenige waren bereit, den Aufwand einzugehen, sich an die
Enge und Nähe familiärer Verhältnisse anzupassen. Der Rest der Individualreisenden
zog sich sehr bald auf sich, die Partner oder auf Mitreisende zurück(vgl. Orlovius,
1984).
Fazit dieser Diplomarbeit über das Fernreisen (Orlovius, 1984):
Die oft zitierte und gewünschte Begegnung mit den Einheimischen findet nicht
statt, sie wird nur angerissen. Der Kontakt bleibt kurzfristig und oberflächlich. So
verzichtet man auf Unangenehmes, Peinliches, Schuld, Scham und schlechtes
Gewissen. Man genießt und demonstriert lieber durch ständige Ortsveränderung
sein Anders-Sein. Begegnung im Sinne einer Völkerverständigung wäre nur
möglich, wenn Belastungen angenommen und Unerträgliches ertragen gelernt
würde (Orlovius, 1984, S.121).
In einer empirischen Studie über Hybridtouristen auf den Philippinen untersuchte
Rotpart unter anderem auch die Intensität von und den Umgang mit Kontakten zu
Einheimischen. Sie suchen sich ihr eigenes Maß an verdaubarer Fremdheit und vertrauen
ansonsten der leichter erlebbaren, individualtouristischen Szenerie entlang der
,,Travellerrouten". Aus Erlebnissen wie einem einfachen Smalltalk, einer
anspruchsvolleren Diskussion oder einem Besuch bei einer einheimischen Familie kann
sich das Gefühl der Machbarkeit und der eigenen interkulturellen Kontaktfähigkeit
ergeben. Dem steht aber, wie auch Orlovius (1984) zeigte, der Alltag in den Dritte­
Welt-Ländern gegenüber. Man wird als reicher Tourist betrachtet und fühlt sich von
vielen Menschen bedrängt, denen man vorwirft, es nur auf Geld abgesehen zu haben.
Einige Touristen meinen, ein wirklicher Kontakt zur Bevölkerung wäre deshalb nicht
möglich gewesen (vgl. Rotpart, 1996).
Die erwähnten Studien vermitteln ein ernüchterndes Bild von Begegnungsmöglichkeiten
zwischen Reisenden und Einheimischen. Insgesamt scheint der interkulturelle Kontakt
für die Touristen nur ein Faktor unter mehreren zu sein, der einerseits hilft
fragmentarische Einblicke in eine andere Kultur zu erhalten, andererseits aber auch als
Möglichkeit zu Erlebnissen betrachtet wird.
Hier stellt sich die Frage, wie Globetrotter über Beziehungen mit Einheimischen
berichten, und ob sie diese anders, z.B. als produktiver und unkomplizierter beschreiben.

25
2.2.1.3 Bewegung
und Zeitwahrnehmung
Die Bewegung als Medium der Wahrnehmung ermöglicht es dem Reisenden, das
'Unwandelbare inmitten des Wandels' der Welt zu erkennen.
( Leed,1993, S.86)
Bewegung und Zeit sind, wie die Relativitätstheorie von Einstein zeigt, untrennbar
miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Im Reisen löst sich die
Vorstellung von Raum und Zeit als getrennte Dimensionen auf (vgl. Leed, 1993, S.90).
Reisen ist immer mit Fortbewegung verbunden.
Die Entwicklung der Bewegungsfähigkeit von Kindern ist dafür verantwortlich, dass die
Bewegung sehr eng mit dem Selbst verbunden ist. Die zunehmende Beweglichkeit des
wachsenden Kindes wirkt sich äußerst positiv auf seine wahrgenommene
Unabhängigkeit aus. Aus diesem Grund meint Hilger, (1998) zunehmende
Bewegungsfähigkeit und wachsendes Selbstvertrauen wären untrennbar miteinander
verknüpft. Er bemerkt weiter, dass uns in der postindustriellen Gesellschaft die
Initiationsriten abhanden gekommen seien. Der Wechsel vom Jugendlichen zum Mann
werde nicht wie in den Naturvölkern symbolisch unterstützt. Er postuliert, dass die
hiesige bewegte Suche der Jugendlichen nach Grenzerfahrungen und Abenteuern dieser
Notwendigkeit Rechnung trage.
Hilger unterscheidet die innere von der äußeren Bewegung, die sich in ihren
Extremformen behindern. "Raserei und innere Starre sind Zwillinge"(vgl. Hilger, 1998).
Demnach kann es vorkommen, dass innere Unbeweglichkeit durch äußere Bewegung
kompensiert wird.
Mobilität ist aber auch unmittelbar mit der Vorstellung persönlicher Freiheit verknüpft.
So beruht nach Vogt (2002) unser Freiheitsbegriff zu einem beträchtlichen Teil auf dem
Recht zu gehen wann immer und wohin man möchte, also in der Freiheit jeden Ort zu
jeder Zeit verlassen zu können. Die Freiheit der Mobilität bedeutet auch die Fähigkeit
sich um Menschen und Orte herum zu bewegen, ohne mit ihnen in Kontakt zu treten.
Distanz und Loslösung sind dem Zustand der Bewegung inhärent (vgl. Leed, 1993,
S.94). Das ist im Hinblick auf meine Annahme interessant, die Weltreisenden würden
sich um intensive Kontakte bemühen. Ist es im Gegenteil so, dass die konstante

26
Bewegung dazu dient, nicht begegnen zu müssen und dem Aufeinandertreffen von
unterschiedlichen Sichtweisen aus dem Weg zu gehen? Leed (1993) geht indessen noch
weiter und unterstellt den Reisenden, die Freiheit der ständigen Bewegung deshalb
häufig zu wählen, um nicht denken zu müssen.
In der Bewegung übertragen wir die ,,Zeit" auf den Raum. Er beschreibt dieses
Phänomen. Auf Reisen ist die Zukunft das näher kommende Ziel. Die Gegenwart ist das
Vorbeifließende und die Vergangenheit ist das, was man erblickt, wenn man den Kopf
wendet und auf die bewältigte Strecke zurückschaut. Reisen wird seit jeher als ein Mittel
betrachtet den Lauf der Zeit zu verlangsamen und wird sogar als Chance
wahrgenommen, Endlichkeit und Tod zu entgehen, indem die Bindung an einen Ort
außer Kraft gesetzt wird. Denn diese Bindung ist es, die das Gefühl zeitlicher
Wiederholung verstärkt. Durch die Bewegung im Raum bleibt demnach scheinbar die
Zeit stehen (vgl. Leed, 1993, S.32).Wer reist, hat zumindest rückblickend mehr vom
Leben. So beschreibt jedenfalls Thomas Mann (2000) im Zauberberg ein Paradox der
Zeitwahrnehmung. Das subjektive Zeitempfinden während ,,langweiliger" Tätigkeiten,
oder Routinen ist geradezu endlos lang. Dennoch nehmen diese Stunden, Tage, Monate
oder sogar Jahre fast keinen Raum in unseren Erinnerungen ein. Sie verschmelzen zu
einem Einheitsbrei. Ganz umgekehrt verhält es sich bei spannenden,
abwechslungsreichen und ,,kurzweiligen" Erlebnissen: die Zeit verfliegt, aber die
Erinnerungen sind zahlreich. Man kann sich an jeden Tag, sogar zum Teil an jeden
Augenblick erinnern. Dieses Phänomen hat mit der Intensität der Erlebnisse unterwegs
zu tun. Das Neue, Unbekannte, Gefährliche, Schöne will aufgenommen und entdeckt
werden. Die Augen sind weit offen. Staunend bewegt man sich und saugt alles in sich
auf. Die Eindrücke können inspirieren, regen die Phantasie an und nehmen einen voll in
Anspruch.
Manche Reisende werden geradezu süchtig nach diesem Gefühl weiterzukommen,
immer wieder von gänzlich neuen Eindrücken fremder Umgebungen inspiriert und
gefordert zu werden. Sie ziehen es vor, unterwegs zu sein und nie lang an einem Ort zu
verweilen (vgl. Leed, 1993, S.91).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832476809
ISBN (Paperback)
9783838676807
DOI
10.3239/9783832476809
Dateigröße
840 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Salzburg – Naturwissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (Februar)
Note
2,0
Schlagworte
fernreise dekonstruieren reise interview
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