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Chancen und Risiken des EU-Beitritts von Polen und dem Baltikum

©2003 Diplomarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die Arbeit widmet sich dem Ziel, die Chancen und Risiken der EU-Osterweiterung aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu erörtern. Da sämtliche Beitrittsländer gemäß Artikel 4 des Beitrittsvertrages bereits ab dem 1.Mai kommenden Jahres an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen, gälte es prinzipiell, Chancen und Risiken sowohl des EU- als auch des mittelfristig erwarteten Beitritts zum gemeinsamen Währungsraum abzuwägen. Hier möchte ich indes eine erste Einschränkung vornehmen: Schwerpunkt der Untersuchung ist die Zeit zwischen dem Beitritt zur EU und der Einführung der Einheitswährung in den MOEL. Insofern werden Erkenntnisse zu Chancen und Risiken des Beitritts zur Währungsunion, wie sie aus der Theorie optimaler Währungsräume hinreichend bekannt sind, in diese Arbeit nicht einfließen.
Die so eingegrenzte Aufgabenstellung verlangt eine Gegenüberstellung der (erwarteten) materiellen Kosten und des (erwarteten) materiellen Nutzens der Osterweiterung. Von einer Berücksichtigung immaterieller Wohlfahrtskomponenten, insbesondere der dauerhaften Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa, wird daher abgesehen, obwohl gerade diese Überlegungen bei der Beurteilung der vorliegenden Erweiterungsrunde eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Da jedoch auch die verbleibenden Facetten des Themas noch so zahlreich sind, dass nicht alle detailliert behandelt werden können, werden in einem Überblickskapitel Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien über Chancen und Risiken der EU-Osterweiterung jeweils aus Perspektive der aktuellen EU-Mitgliedstaaten sowie der beitretenden Länder zusammengefasst.
Im Hauptteil der Arbeit wird der Versuch unternommen, das Risiko einer Währungs- und Bankenkrise, dem die vier nordöstlichen Beitrittsländer Polen, Litauen, Lettland und Estland (NO 4) in der Zeit zwischen EU-Mitgliedschaft und Beitritt zur Währungsunion ausgesetzt sein werden, abzuschätzen. Die Untersuchung umfasst neben einer ausführlichen Darstellung des theoretischen Hintergrundes von Banken- und Währungskrisen eine Analyse des Gefährdungspotentials in den NO 4, die sowohl rechtliche und institutionelle Aspekte als auch makroökonomische Risikofaktoren einbezieht; hier sind insbesondere zu nennen: reale Aufwertung, Zuflüsse internationalen Kapitals sowie die Stabilität der jeweiligen nationalen Bankensysteme.
Aufbauend auf diese Analyse wird dann die Gefährdung der makroökonomischen Stabilität mit Hilfe des […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7675
Witt, Karsten: Chancen und Risiken des EU-Beitritts von Polen und dem Baltikum
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Universität zu Köln, Universität, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

4
Gliederung
Abkürzungsverzeichnis
6
Abbildungsverzeichnis
7
Tabellenverzeichnis
8
1
Einleitung
9
2
Überblick über Chancen und Risiken
11
2.1
Gemeinsame Chancen
11
2.2
Risiken für die Europäische Union
12
2.3
Risiken für den Euroraum
16
2.4
Risiken für die Beitrittsländer
18
2.5
Ausblick über den Fortgang der Untersuchung
21
3
Ursachen von Finanzkrisen
22
3.1
Währungskrisenmodelle der ersten Generation
23
3.2
Währungskrisenmodelle der zweiten Generation
25
3.3
Vergleich und Kritik der Modellgenerationen
30
3.4
Bankenkrisen
31
3.5
Der Zusammenhang von Banken- und Währungskrisen
32
3.6
Übertragung von Währungskrisen
35
4
Gefährdungspotentiale für Polen und das Baltikum
37
4.1
Rechtlicher und institutioneller Rahmen des Beitrittsprozesses
38
4.1.1 Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs
38
4.1.2 Beitritt zum Wechselkursmechanismus
39
4.1.3 Wechselkursarrangements
41
4.2
Quellen makroökonomischer Instabilität
42
4.2.1 Reale Aufwertung
42
4.2.2 Kapitalzuflüsse
45
4.2.3 Bankensysteme
48
4.2.3.1 Marktstruktur
48
4.2.3.2 Regulierung und Überwachung
49
4.2.3.3 Die Entwicklung ausgewählter Rentabilitäts-
indikatoren
49
4.2.3.4 Risiken im Bankensektor
51

5
5
Statistische Analyse des Gefährdungspotentials ­ der Signalansatz
53
5.1
Methodik
54
5.2
Prognosequalität der Indikatoren
57
5.3
Der Verlauf des Gesamtindikators
59
5.4
Ergänzungen zum Signalansatz
62
6
Eigene Beurteilung des Risikopotentials und wirtschaftspolitische
Empfehlungen
65
7
Schlussbemerkung
69
8
Literaturverzeichnis
70
9
Anhang
78

6
Abkürzungsverzeichnis
Variablen
Ausländische Größen werden mit einem Stern gekennzeichnet.
e
Wechselkurs (logarithmiert)
p
Preisniveau (logarithmiert)
r
Zinssatz
I
Indikatorvariable
S
Schwellenwert
GI
Gesamtindikator
Weitere Abkürzungen
ADI
Ausländische Direktinvestitionen
BIP
Bruttoinlandsprodukt
EGV
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EU
Europäische Union
EU 15
Die fünfzehn derzeitigen EU-Mitgliedsstaaten
EWS
Europäisches Währungssystem
EWWU
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
EZB
Europäische Zentralbank
GAP
Gemeinsame Agrarpolitik
MOEL
Mittel- und osteuropäische Länder, die am 1.Mai 2004 der EU beitreten
werden: Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland,
Lettland, Litauen
NO 4
Die vier nordosteuropäischen Beitrittskandidaten Polen, Estland, Lett-
land und Litauen
NTSR
Noise-to-Signal Ratio

7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Schematische Darstellung des Signalansatzes
48
Abbildung 2:
Prognosequalität der Einzelindikatoren
49
Abbildung 3a:
Gesamtindikator Estland
71
Abbildung 3b:
Gesamtindikator Lettland
71
Abbildung 3c:
Gesamtindikator Litauen
72
Abbildung 3d:
Gesamtindikator Polen
72

8
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Aktueller Stand (2002) ausgewählter Konvergenz-
kriterien im Euroraum
70
Tabelle 2:
Fundamentale Wirtschaftsdaten in den NO 4
70

9
1
Einleitung
Die Erweiterung der Europäischen Union um zehn Staaten wurde auf dem Gipfel von
Athen am 16. April diesen Jahres mit der offiziellen Unterzeichnung das Beitrittsvertra-
ges rechtskräftig.
1
Am 1. Mai 2004 werden die acht mittel- und osteuropäischen Länder
Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen
(MOEL) sowie Zypern und Malta der Europäischen Union (EU) beitreten. Die Athener
Zeremonie markiert den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die mit der Unter-
zeichnung der Europaabkommen mit Polen, Ungarn und der damaligen Tschechoslowa-
kei am 16. Dezember 1991 ihren Anfang nahm.
2
Mit der kommenden Erweiterung wird die wirtschaftliche und politische Integration des
europäischen Kontinents ein großes Stück vorangetrieben. Die Einigung Europas er-
reicht damit ein Ausmaß, welches vor dem Fall des eisernen Vorhanges im Jahre 1989
noch undenkbar schien. Insofern ist es durchaus gerechtfertigt, diese größte Erweiterung
in der Geschichte der EU als einen historischen Schritt zu bezeichnen. Im Rahmen der
Athener Zeremonie sprach Polens Staatspräsident Kwasniewski vermutlich im Sinne
aller Anwesenden, als er verkündete: ,,Wir werden dazu fähig sein, unsere Träume und
besonders die Träume unserer Kinder und Enkel umzusetzen."
3
Der Begeisterung und den großen Erwartungen, die sich mit Beitritt verbinden, stehen
allerdings Risiken gegenüber. Diese Risiken, die in den vergangen Jahren immer wieder
den Fortgang des Integrationsprozesses beeinträchtigt haben
4
, verdienen Beachtung, da
sie auch zukünftig das Projekt eines vereinten, dauerhaft befriedeten und wohlhabenden
Europas gefährden könnten.
Die vorliegende Arbeit widmet sich daher dem Ziel, die Chancen und Risiken der EU-
Osterweiterung aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu erörtern. Da sämtliche Bei-
trittsländer gemäß Artikel 4 des Beitrittsvertrages bereits ab dem 1.Mai kommenden
Jahres an der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen
5
, gälte es prinzipiell, Cha n-
1
Vorbehaltlich der Ratifizierung in den Staaten der derzeitigen
EU-Mitglieder sowie der zukünftigen
Mitgliedstaaten. Der Ratifizierung in den Beitrittsländern durch die Parlamente gehen (teilweise nicht
bindende) Volksabstimmungen voraus. Inzwischen liegen von allen beitrittsberechtigten Länder der Re-
gion positive Voten vor.
2
Vgl. Kommission (Gesamtbericht) 1991, Ziff. 823; bis 1996 schlossen alle acht MOEL sowie Rumänien
und Bulgarien Assoziationsverträge (,,Europaabkommen") mit der EU.
3
Handelsblatt vom 17.04.2003.
4
Vgl. Gabrisch (1998), S. 3-4, Baldwin et al. (1997), S. 128.
5
Die Beitrittsländer haben, solange sie die Konvergenzkriterien nicht erfüllen, den Status eines Mitglied-
staates, für den eine Ausnahmeregelung gilt (Art. 4 des Beitrittsvertrages i.V.m. Art. 122 EGV).

10
cen und Risiken sowohl des EU- als auch des mittelfristig erwarteten Beitritts zum ge-
meinsamen Währungsraum abzuwägen. Hier möchte ich indes eine erste Einschränkung
vornehmen: Schwerpunkt meiner Untersuchung ist die Zeit zwischen dem Beitritt zur
EU und der Einführung der Einheitswährung in den MOEL. Insofern werden Erkennt-
nisse zu Chancen und Risiken des Beitritts zur Währungsunion, wie sie aus der Theorie
optimaler Währungsräume hinreichend bekannt sind, in diese Arbeit nicht einfließen.
6
Die so eingegrenzte Aufgabenstellung verlangt eine Gegenüberstellung der (erwarteten)
materiellen Kosten und des (erwarteten) materiellen Nutzens der Osterweiterung. Von
einer Berücksichtigung immaterieller Wohlfahrtskomponenten, insbesondere der dauer-
haften Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa, wird daher abgesehen, obwohl
gerade diese Überlegungen bei der Beurteilung der vorliegenden Erweiterungsrunde
eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
7
Da jedoch auch die verbleibenden Facetten des Themas noch so zahlreich sind, dass
nicht alle detailliert behandelt werden können, wird im folgenden Kapitel ein kurzer Ü-
berblick präsentiert, in dem Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien über
Chancen und Risiken der EU-Osterweiterung jeweils aus Perspektive der aktuellen EU-
Mitgliedstaaten sowie der beitretenden Länder zusammengefasst werden.
Im Hauptteil der Arbeit wird die Untersuchung dann auf eine der beiden möglichen Per-
spektiven, einen spezifischen Risikoaspekt und ausgewählte Länder beschränkt. Im
Mittelpunkt steht das Risiko einer Währungs- und Bankenkrise, dem die vier nordöstli-
chen Beitrittsländer Polen, Litauen, Lettland und Estland (NO 4) in der Zeit zwischen
EU-Mitgliedschaft und Beitritt zur Währungsunion ausgesetzt sein werden. Die Unter-
suchung umfasst neben einer ausführlichen Darstellung des theoretischen Hintergrundes
eine Analyse des Gefährdungspotentials in den NO 4. Darauf aufbauend wird dann die
Gefährdung der makroökonomischen Stabilität mit Hilfe des Signalansatzes empirisch
abgeschätzt. Die Arbeit schließt mit einer eigenen Beurteilung, einigen wirtschaftspoli-
tischen Empfehlungen sowie einer kurzen Schlussbetrachtung.
6
Eine Ausnahme bildet hier das Kapitel ,,Risiken für den Euroraum", welches aber eher politökonomi-
sche Probleme anspricht. Literaturangaben zur Anwendung der Theorie optimaler Währungsräume auf
die MOEL sowie eine Quantifizierung des erwarteten Nutzens für Polen finden sich bei Borowski 2003.
7
Vgl. etwa Baldwin et al. 1997, S. 128; Gabrisch 1998, S. 5.

11
2
Überblick über Chancen und Risiken
2.1
Gemeinsame Chancen
Die Wohlfahrtswirkungen der anstehenden Erweiterungsrunde werden unterschiedlich
beurteilt. Einigkeit besteht lediglich hinsichtlich der uneinheitlichen Verteilung der Ef-
fekte: In Anbetracht der geringen ökonomischen Wirtschaftskraft der MOEL, deren
kumuliertes BIP weniger als 5 Prozent des BIP der fünfzehn derzeitigen EU-
Mitgliedsstaaten (EU 15) ausmacht, aber auch aufgrund von Erfahrungen aus früheren
Erweiterungen gehen die Studien von nur relativ schwachen Auswirkungen der Erweite-
rung auf die derzeitigen EU-Mitglieder aus.
8
Dahingegen werden aufgrund der niedr i-
gen ökonomischen Ausgangsbasis starke ökonomische Effekte auf Seiten der Beitritts-
länder erwartet.
9
So prognostiziert die Kommission (2001) für acht MOEL in Abhängig-
keit von der Intensität der Strukturreformen im Zeitraum von 2000 bis 2009 jährliche
Wachstumssteigerungen zwischen 1,3 und 2,1 vH
10
, während die EU 15 im gleichen
Zeitraum lediglich einen Gesamtanstieg des realen BIP von 0,5 bis 0,7 vH erwarten
können. Eine frühere Studie von Baldwin et al. (1997) gelangt zu einem ähnlichen Re-
sultat, ist aber insofern weiter gefasst, als sie eine erste Schätzung der Erweiterungs-
kosten für die EU 15 enhält. Diese Beispiele veranschaulichen die asymmetrische Ver-
teilung der integrationsbedingten Einkommenseffekte, die gleichwohl für beide Seiten
positiv ausfallen. Dicke (2003) bestreitet genau dies, indem er behauptet, dass auf Seiten
der EU 15 keine signifikanten positiven realen Effekte anfallen werden. Er übt Kritik an
den von Baldwin et al. (1997) und der Kommission (2001) verwendeten Modellansätzen
und schließt sich damit früherer, ähnlich lautender Kritik an.
11
Unter Bezugnahme auf
die Clubtheorie spricht er der Osterweiterung ihre ökonomische Sinnhaftigkeit ab, da sie
den bisherigen Clubmitgliedern zusätzliche Kosten auferlegt, ohne zusätzlichen (öko-
nomischen) Nutzen zu generieren.
12
Im Gegensatz dazu erinnern Baldwin et al. (1997)
daran, dass die wirtschaftliche Integration Mittel zum höheren Zweck politischer Stabi-
lität auf dem Kontinent ist, und bezeichnen die Osterweiterung als gutes Geschäft für
die EU 15.
13
8
Vgl. Dicke/Foders 2000, S. 157 und Kommission 2001, S. 7, die beide die Süderweiterung der EG um
Griechenland (1981), Spanien und Portugal (beide 1986) als Referenzfall heranziehen.
9
Eine theoretische Begründung für asymmetrischen Auswirkungen der Integration unterschiedlich leis-
tungsstarker Wirtschaftsräume geben Baldwin et al. 1997, S. 129f.
10
Wohlfahrtseffekte aus dem Beitritt zur Währungsunion werden von der Analyse ausgeschlossen, da
,,the potential impact of enlargement on EMU ist not deemed sufficiently clear on the horizon 2009 [...]"
(S. 6).
11
Vgl. Rodrik 1997, S. 170ff.; Gabrisch 1998, S. 7; Piazolo 2001, 97f. und S. 121f.
12
Vgl. Dicke 2003, S. 43ff.
13
Vgl. Baldwin et al. 1997, S. 168: ,,It´s a bargain".

12
Ungeachtet der Kontroverse über die ökonomischen Auswirkungen der anstehenden
Erweiterung auf die jetzigen Mitgliedsländer bleibt festzuhalten, dass auf Seiten der
Beitrittsstaaten signifikante Wohlfahrtsgewinne erwartet werden. Diese können über-
wiegend mit den aus der Theorie der Handelsintegration bekannten Akkumulationsef-
fekten begründet werden. In den MOEL ist Kapitalakkumulation vor allem durch aus-
ländische Direktinvestitionen (ADI) zu erwarten. Auch Transferleistungen der EU wer-
den zur Aufwertung des Kapitalstocks in den Beitrittsländern beitragen und das
Wachstumspotential erhöhen.
14
Von zentraler Bedeutung für das Entfalten der Akk
u-
mulationseffekte ist allerdings die Aussicht auf baldigen Beitritt zur Währungsunion, da
dieser wesentliche Gefahren im Transformationsprozess eliminiert. Der Beitritt zur
Währungsunion bedeutet den Import nachhaltiger monetärer Stabilität. Die darauf fu-
ßenden positiven Erwartungen sind zusammen mit verbesserten Rahmenbedingungen
des Wirtschaftens in den osteuropäischen Beitrittsländern durch Aufwertung der wirt-
schaftlichen und politischen Institutionen für das Absinken der Risikoprämien entschei-
dend.
15
Der enge Zusammenhang von verringerten Risikoprämien und ausländischen
Direktinvestitionen, auf den vor allem Baldwin et al. (1997) hinweisen
16
, zeigt klar die
Bedeutung, welche ein baldiger Beitritt zur Währungsunion hat.
2.2
Risiken für die Europäische Union
Viele potentiell riskante Entwicklungen in der Europäischen Union haben ihren Ur-
sprung darin, dass die Staatengemeinschaft seit ihrer Gründung immer neue Mitglieder
aufgenommen hat, ohne dass jedoch ,,das politische Problemlösungspotential [...] mit
dem Problempotential gewachsen"
17
wäre. Durch den Beitritt der mittel- und osteur o-
päischen Volkswirtschaften, die sich im Entwicklungsstand stark von denen Westeuro-
pas unterscheiden, wird das Problempotential weiter wachsen. Interessenkonflikte sind
vor allem bei der Verteilung der Mittel aus den Struktur- und Kohäsionsfonds
18
und bei
14
Lt. Berechnungen von Piazolo 2001, S. 122, lösen die Nettotransfers aus dem EU-Haushalt an Polen
den stärksten Wohlfahrtseffekt aus (untersucht wurden außerdem die Senkung des Außenzolls und der
Transaktionskosten).
15
Vgl. Begg et al. 2003, S. 54; Eichengreen/Ghironi 2001, S. 12f.
16
Baldwin et al. 1997, S. 139ff., schätzen den Einkommenseffekt aus dem Rückgang der Risikoprämie
auf ein um fast 19 vH höheres BIP für die von ihnen untersuchten MOEL; zu ähnlichen Einschätzungen
kommen Eichengreen/Ghironi 2001, S. 8ff.; Piazolo 2001, S. 72ff.
17
Gabrisch 1998, S. 9.
18
Mit Hilfe der Strukturfonds ( EAGFL ­ Abteilung Ausrichtung, Europäischer Sozialfonds, Europäi-
scher Fonds für regionale Entwicklung-EFRE) und eines Kohäsionsfonds führt die EU Maßnahmen
durch, die der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der Gemeinschaft dienen.

13
der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), den mit Abstand größten Posten auf der Ausga-
benseite des EU-Haushalts, zu erwarten.
19
Die Strukturfonds sind der seit 1988 am schnellsten wachsende Posten im EU-Haushalt.
Dies deutet bereits darauf hin, dass die Erweiterung der EU um Regionen, die aufgrund
ihres relativen wirtschaftlichen Rückstandes die Kriterien für den Empfang von Trans-
fers erfüllen, in der jüngeren Vergangenheit stets zu einer Ausweitung des Umvertei-
lungsvolumens unter den Mitgliedsländern geführt hat.
20
Diese Tendenz lässt sich mit
hoher Sicherheit in die Zukunft extrapolieren, da
-
die neuen Mitglieder einen Einkommensrückstand im Vergleich zum EU-
Durchschnitt aufweisen, der den der Süderweiterung noch bei weitem übersteigt;
-
die Anzahl der ärmeren Mitgliedstaaten von vier auf vierzehn Staaten anwachsen
und damit ihr Einfluss auf die politischen Entscheidungen der EU dauerhaft zuneh-
men wird;
-
die regional uneinheitliche Verteilung von Nutzen und Kosten der Osterweiterung
innerhalb der EU 15 zu einer Ausweitung der Verteilungskonflikte führen wird, die
durch Aufstockung der schon bestehenden Transferzahlungen gelöst werden könn-
ten
21
.
Die Planungen des für die Strukturpolitik zuständigen Kommissars, denen zufolge im
kommenden Planungszeitraum 2007-2013 die Ausgaben für strukturpolitische Maß-
nahmen nicht nur absolut, sondern auch relativ, in Prozent des den Berechnungen
zugrunde gelegten sogenannten ,Bruttovolkseinkommens` zunehmen sollen, bestätigen
diese Vermutung.
22
Ähnliche Überlegungen gelten für die Gemeinsame Agrarpolitik; auch hier werden Inte-
ressenkonflikte und Ausgabensteigerungen prognostiziert: Mit der Osterweiterung wer-
den landwirtschaftliche Nutzfläche und die Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäf-
tigten stark zunehmen. Zwar ist der landwirtschaftliche Sektor in den MOEL derzeit nur
wenig produktiv, doch ist mit der Einführung der EU-Agrarmarktordnung ein Produkti-
vitätsschub wahrscheinlich, denn die mittel- und osteuropäischen Landwirte werden mit
dem EU-Beitritt voll von den Preisstützungsmechanismen der EU profitieren. Außer-
19
Vgl. Baldwin et al. 1997, S. 152; auch die Bundesbank 2003, S. 36f. äußert in ihrem jüngstem Monats-
bericht die Befürchtung, dass es bei den kommenden Haushaltsberatungen der EU zu ,,heftigen Vertei-
lungskämpfen kommen" wird.
20
Vgl. Baldwin et al. 1997, S. 158ff., wo der Anstieg der SF-Zahlungen detailliert nachvollzogen wird;
vgl. auch Dicke/Foders 2000, S. 149.
21
Vgl. v. Hagen 1997, S. 385.
22
Vgl. Dicke 2003, S. 21.

14
dem haben sie einen verbesserten Zugang zu Kapital und modernen Produktionstech-
nologien. Die zusätzliche Belastung des EU-Landwirtschaftshaushalts ist abhängig von
der Höhe der Direktbeihilfen an die Landwirte in den MOEL.
23
In diesem Zusamme n-
hang von großer Bedeutung ist außerdem die Kopplung der Direktzahlungen an Pro-
duktionsmengen, die von der jüngsten Reform der GAP vom 26.06.2003 nur teilweise
aufgegeben wurde.
24
Wird die Kopplung auch in Zukunft aufrecht erhalten, ergibt sich
aus dem erwarteten Produktivitätsschub eine zusätzliche finanzielle Belastung. Da der
Europäische Rat im vergangenen Jahr gleichzeitig eine Deckelung der Agrarausgaben
bis 2013 beschlossen hat, die nur einen geringen Spielraum für höhere Ausgaben ge-
währt, sind Interessenkonflikte in der EU-Landwirtschaftspolitik vorgezeichnet
25
: Spä-
testens 2007 wird nach Angaben der Kommission die Ausgabenobergrenze erreicht
werden. Da Entscheidungen über notwendige Subventionskürzungen erst getroffen
werden sollen, wenn eine Überschreitung der Obergrenze unmittelbar absehbar ist, wer-
den an den Verhandlungen, die bislang am Nord-Süd-Konflikt in der EU 15 gescheitert
sind, auch die MOEL teilnehmen.
26
Eine Entspannung der Verhandlung ssituation ist
unwahrscheinlich, da die Landwirtschaft bei den osteuropäischen Nachbarn eine wichti-
ge Rolle auf der politischen Agenda einnimmt, worauf die kontroversen Beitrittsver-
handlungen über das Kapitel ,,Landwirtschaft" hindeuten.
27
Auf die Risiken, die sich aus den hier skizzierten Interessenkonflikten ergeben, weisen
mehrere Autoren hin. Bereits 1997 warnt Rodrik: ,,Political and bureaucratic gridlock in
an enlarged EU is a real danger that should be taken seriously."
28
Ein wenig erfreulicher
Ausweg aus der Gefahr der institutionellen Lähmung der erweiterten EU ist die Aufblä-
hung des EU-Haushalts. So gehen trotz anders lautender offizieller Beschlusslage der
EU, die mittelfristig eine unveränderte Beitragsobergrenze von 1,27 vH des BSP vor-
sieht
29
, die meisten Studien davon aus, dass die der Osterweiterung für die EU 15 zu
höheren Ausgaben und Bruttobeiträgen führen wird.
30
Dicke (2003) sagt voraus, dass
die Beitritte der ersten zehn Staaten den EU-Haushalt langfristig, d.h. mit Beginn des
nächsten oder übernächsten Finanzplanungszeitraumes 2007 oder 2014, mit Netto-
23
Auf dem Gipfel von Kopenhagen am 13.12.2001 wurde eine stufenweise Anhebung der Direktbeihilfen
vereinbart; die vollen Zahlungen erhalten die Landwirte in den MOEL erst 2013; vgl. Kommission
2002b.
24
Vgl. Kommission 2003, S. 1.
25
Die Deckelung erlaubt einen Anstieg der Ausgaben für Direktzahlungen und Marktsubventionen von
bisher rund 40 auf knapp 49 Mrd. Euro 2013.
26
Vgl. FAZ, 27.06.03.
27
Vgl. Kommission 2002a, S. 2.
28
Rodrik 1997, S. 173; siehe auch Gabrisch 1998, S. 9f.; Eichgreen/Ghironi 2001, S. 29ff.
29
Vgl. Kommission (Gesamtbericht) 1999, Ziff. 3-7.
30
Vgl. Dicke/Foders S. 148ff.

15
Ausgaben zwischen 15,2-32 Mrd. Euro (in Preisen von 2004) belasten werden, wobei er
dem höheren Wert die größere Eintrittswahrscheinlichkeit beimisst. In Höhe der fiskali-
schen Effekte entstehen den Bürgern der EU 15 Einkommensverluste durch die Oster-
weiterung. Aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit ist zu erwarten, dass die
höheren Kosten der Mitgliedschaft nicht durch Ausgabenkürzungen, sondern durch
Steuererhöhungen finanziert werden, was aufgrund allokativer Verzerrungen zu zusätz-
lichen Wohlfahrtsverlusten führt.
31
Den Gefahren der institutionellen Lähmung und/oder der Aufblähung des Budgets sollte
durch eine grundlegende Reform der EU-Institutionen auf dem Gipfel von Nizza im
Dezember 2000 begegnet werden.
32
Die Beschlüsse blieben indes hinter den Erwartu n-
gen zurück und nicht wenige Autoren bezweifeln, dass die Reformen von Nizza ausrei-
chen werden, um die Funktionsfähigkeit der erweiterten Union sicherzustellen.
33
Ein Risiko, das in der politischen Diskussion vor allem der Nachbarstaaten der Bei-
trittsländer zu besonderer Prominenz gelangte, ist das Migrationspotential, das nach
Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit von den MOEL ausgeht. Dem
Hinweis auf die geringen Wanderungsströme nach der Süderweiterung in den achtziger
Jahren wird entgegengehalten, dass zum einen von den drei Ländern nur Spanien eine
gemeinsame Grenze mit einem EG-Land aufwies, während bei der kommenden Erwei-
terung Deutschland, Österreich und Finnland direkt betroffen sein werden. Zum anderen
ist diesmal der Einkommensrückstand der MOEL zur EU deutlich größer als jener der
südlichen Länder vor ihrem Beitritt. Da Einkommensunterschieden große Bedeutung für
die Migrationsentscheidung beigemessen wird, deuten die Fakten auf größere Wande-
rungsbewegungen hin. Diese wären für die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme der auf-
nehmenden Länder eine erhebliche Belastung. Besonders in den Grenzregionen der
Nachbarländer wird mit Lohndruck in den unteren Einkommensgruppen gerechnet, da
von der Zuwanderung überwiegend gering qualifizierter Arbeiter ausgegangen wird.
34
Obwohl aufgrund dieser Befürchtungen bereits Übergangsfristen vereinbart wurden,
während derer die Menschen in den MOEL nur eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügig-
keit genießen, kommen die meisten Studien zu diesem Thema zu dem Ergebnis, dass
31
Vgl. Dicke/Foders 2000, S. 155; bereits für die fiskalischen Effekte gemäß dem Finanzplan des Euro-
päischen Rates in Berlin berechnen Dicke/Foders für einen excess-burden-Faktor von 0,8 jährliche Wohl-
fahrtsverluste für die EU 15 von 10,4 Mrd. Euro bis 2006.
32
Die Reformen betrafen im Wesentlichen die Zusammensetzung der Kommission sowie die Stimmen-
gewichtung und Entscheidungsfindung im Ministerrat; vgl. Kommission (Gesamtbericht) 2000, Ziff. 14.
33
Vgl. Dicke 2003, S. 9ff.; Busch 2002, S. 17ff.; Kühnhardt 2001, S. 3ff.
34
Vgl. IWF 2000, S. 170; Eichengreen/Ghironi 2001, S. 28f.

16
Umfang und Auswirkungen der Arbeitskräftewanderung auch ohne Übergangsfristen
gering wären, da u.a. positive Entwicklungsperspektiven ihrer heimischen Volkswirt-
schaften von vielen potentiellen Migranten höher gewichtet werden als momentan be-
stehende Einkommendifferentiale.
35
2.3
Risiken für den Euroraum
Ein möglichst schneller Beitritt zur Währungsunion ist, wie bereits oben erwähnt, für
die MOEL von herausragendem Interesse, da nur er den nach wie vor anfälligen Volks-
wirtschaften dauerhafte monetäre Stabilität und steigenden Wohlstand verheißt. In den
Beitrittsländern wird indes in der näheren Zukunft voraussichtlich kein Zustand wirt-
schaftlicher Konvergenz erreicht werden, der die Erfüllung der Maastricht-Kriterien
36
erlaubt. Wesentliche Hindernisse sind dabei die Erfüllung des Inflations-, des Wechsel-
kurs- und des Budgetdefizitkriteriums.
Ungeachtet dessen könnten die Beitrittsaspiranten das Ziel der möglichst schnellen
Aufnahme in die Währungsunion erreichen, indem sie auf die bisherige Praxis der An-
wendung der Kriterien des Maastrichtvertrages verweisen:
-
Bereits bei der Entscheidung, welche EU-Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für
die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen, gingen die Kommission und
das Europäische Währungsinstitut, die mit der Erstellung der Konvergenzberichte
betraut waren, sowie der Europäische Rat und das Europäische Parlament einen
Kompromiss bezüglich des Schuldenstandskriteriums ein, das nur von vier Ländern
erfüllt wurde
37
;
-
die bei den Inflationsraten zu Beginn der Währungsunion erreichte Konvergenz be-
steht nicht mehr: im Jahre 2002 wäre der Beitritt Griechenlands, Irlands, der Nie-
derlande, Portugals und Spaniens am Inflationskriterium gescheitert (Tabelle 1);
-
der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der darauf abzielt, ,,die finanzpolitische Dis-
ziplin der EU-Länder auch nach dem Eintritt in die Endstufe der Währungsunion
35
Vgl. etwa IWF 2000, S. 170; Dicke/Foders 2000, S. 146f. sowie die jeweils angegebene Literatur.
36
Die Konvergenzkriterien für den Beitritt zur Währungsunion lauten gem. dem Protokoll (Nr. 21) über
die Konvergenzkriterien nach Artikel 121 EGV: (1) Die Inflationsrate darf die durchschnittliche Inflati-
onsrate der drei preisstabilsten Länder nicht um mehr als 1,5 vH überschreiten; (2) der langfristige Zins-
satz darf den langfristigen Durchschnittszins der drei preisstabilsten Länder um nicht mehr als 2 vH über-
schreiten; (3) die jeweilige Währung muss für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren dem Wechel-
kursmechanismus angehören, ohne eine Abwertung erfahren zu haben; (4) das Budgetdefizit darf (von
bestimmten, eng eingegrenzten Ausnahmefällen abgesehen) 3 vH nicht überschreiten; (5) die Staatsver-
schuldung darf höchstens 60 vH des BIP betragen.
37
Vgl. Kommission (Gesamtbericht) 1998, Ziff. 48, 49 sowie Bull. EU 3-1998, Ziff. 1.2.1.-1.2.4.

17
[zu] sichern[,] damit die Geldwertstabilität in der EWWU nicht gefährdet wird"
38
,
wird von wichtigen Ländern nicht befolgt (Deutschland und Frankreich im Jahre
2002 und voraussichtlich wiederum in diesem Jahr; Tabelle 1).
Durch Verweis auf diese Fakten und durch die so gerechtfertigte Forderung nach einer
analogen Auslegung der Konvergenzkriterien im Fall der Osterweiterung könnte es den
Beitrittskandidaten gelingen, einen Beitritt zur Währungsunion durchzusetzen, ohne
dass sie sämtliche Konvergenzkriterien erfüllen. Eine Erweiterung des Euroraumes un-
ter Verzicht auf die disziplinierende Wirkung der Konvergenzkriterien bedeutete im
vorliegenden Fall wahrscheinlich die Aufnahme relativ hoch inflationierender Länder.
Die daraus resultierende Erhöhung der durchschnittlichen Inflationsrate würde dann der
Europäischen Zentralbank das Signal für eine restriktivere Geldpolitik geben, die in ei-
nigen westeuropäischen Staaten, die ohnehin schon eine Inflation unter zwei Prozent
aufweisen, Deflationstendenzen auslösen oder verstärken könnte. Begg et al. (2003) se-
hen diese Gefahr nicht: In Anbetracht der geringen Wirtschaftskraft der Beitrittsländer
im Vergleich zu der des Euroraumes folgern sie, dass ,,price stability and macroecono-
mic stability [...] would hardly be in serious risk if an AC [Accession Country] joined
the euro area with a significantly higher rate of inflation."
39
Wenn auch das Risiko deflationärer Geldpolitik für einige reife Volkswirtschaften des
Euroraumes relativiert werden muss, so steht doch die europäische Geldpolitik als sol-
che vor schweren Herausforderungen: Die EZB muss in absehbarer Zukunft ihre Ent-
scheidungen vor dem Hintergrund einer wesentlich heterogeneren europäischen Wirt-
schaftslandschaft treffen, die neben einer möglicherweise höheren Durchschnittsinflati-
on eine erhöhte Streuung der Inflationsraten erwarten lässt. Dadurch wird eine einheitli-
che Geldpolitik bereits technisch wesentlich erschwert.
40
Zusätzlich drohen, vergleic h-
bar mit den oben beschriebenen Problemen bei Strukturfonds und GAP, die Entschei-
dungsprozesse im EZB-Rat an Effizienz und Effektivität einzubüßen.
41
Ineffizienzen in der einheitlichen Geldpolitik sind zu befürchten, wenn sich bei der
Formulierung der Geldpolitik regionale Interessen auf Kosten der gesamten Wohlfahrt
des Euroraumes durchsetzen. Aufgrund der Zusammensetzung des für die Geldpolitik
38
IFSt 1996, S. 20f.
39
Begg et al. 2003, S. 54.
40
Die Streuung der Inflationsraten wird durch die unterschiedlichen Wachstumsperspektiven innerhalb
der MOEL, die ihrerseits wesentlich von der Entwicklung der jeweiligen Institutionen bzw. der institutio-
nellen Aufwertung abhängen, erhöht; vgl. Eichengreen/Ghironi 2001, S. 9; IWF 2000, S. 147ff.
41
Für die folgenden Erläuterungen vgl. Eichengreen/Ghironi 2001, S. 29ff.

18
im Europäischen System der Zentralbanken maßgeblichen EZB-Rates ist eine solche
Interessenpolitik zumindest möglich. Der EZB-Rat setzt sich zusammen aus den sechs
Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken (Art.
112 EGV). Während das Direktorium sich wahrscheinlich auch in Zukunft bei seinen
Voten vorrangig am Wohl des gesamten Euroraumes orientieren dürfte, könnte es von
einer Koalition nationaler Zentralbankpräsidenten überstimmt werden, die eine Geldpo-
litik anstreben, die nur für einen Teil der Volkswirtschaft des Euroraumes maß-
geschneidert ist.
Doch auch wenn die Präsidenten der nationalen Zentralbanken von jeweiligen Landes-
interessen unbeeinflusst entscheiden, besteht die Gefahr der Ineffektivität der europäi-
schen Geldpolitik. In einem unreformierten Leitungsgremium werden die geldpoliti-
schen Entscheidungen zukünftig von sechs Direktoriumsmitgliedern und 25 Zentral-
bankpräsidenten getroffen. Dieses Größenproblem und der damit verbundene Anstieg
der Entscheidungskosten erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Blockade und Hand-
lungsunfähigkeit im EZB-Rat.
Damit sich die möglichen Konsequenzen eines um die MOEL erweiterten Euroraumes
nicht als ,,the real stumbling bloc to granting admission to these additional members"
42
erweisen, hat der Europäische Rat im Vertrag von Nizza die Möglichkeit einer Reform
der EZB-internen Entscheidungsprozesse eröffnet (Erster Teil, Artikel 5 des Vertrages
von Nizza). Allerdings ist auch die EZB offensichtlich nicht bereit, das grundlegende
Prinzip des ,,one member ­ one vote" aufzugeben
43
, so dass sich noch keine klare Lö-
sung des Effizienz- und Effektivitätsproblems herauskristallisiert hat.
2.4
Risiken für die Beitrittsländer
Obwohl die Beitrittsländer in wirtschaftlicher Hinsicht als die großen Gewinner der
Osterweiterung gelten, weisen wissenschaftliche Untersuchungen auf eine Reihe von
Risiken hin, die sowohl direkt als auch indirekt die makroökonomische Stabilität dieser
Volkswirtschaften bedrohen.
Gefährdungspotentiale für die Realwirtschaft erwachsen aus der vollständigen Über-
nahme der Rechtsvorschriften der EU, des sogenannten ,,acquis communautaire", die
gemäß der Beschlüsse des Europäischen Rates von Kopenhagen 1993, in denen die
42
Eichengreen/Ghironi 2001, S. 29.
43
Vgl. Eichengreen/Ghironi 2001, S. 31.

19
Beitrittsbedingungen festgelegt wurden, Voraussetzung für den EU-Beitritt ist.
44
Die
Rechtsangleichung soll die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den Beitrittslän-
dern stärken und sie so auf den gemeinsamen Markt vorbereiten. Diese Begründung
vernachlässigt indes, dass die Anpassung der betroffenen Unternehmen an geänderte
Regeln und Institutionen mit zum Teil hohen Investitionen verbunden ist.
45
Außerdem
handelt es sich um einen langwierigen Prozess, ,,der nicht nur Kapitaltransfer voraus-
setzt, sondern auch Lernprozesse von Unternehmen und Arbeitnehmern"
46
erfordert.
Beide Faktoren wirken sich nachteilig auf die mittel- und osteuropäischen Unternehmen
aus, indem sie ihre Produktionskostenvorteile schmälern, während die westeuropäischen
Unternehmen in einem ihnen vertrauten institutionellen und rechtlichen Umfeld agieren
und so gegenüber der Konkurrenz aus dem Osten einen Startvorteil besitzen. Die voll-
ständige Übernahme des acquis wird somit in den Beitrittsländern wahrscheinlich kurz-
fristige Produktions- und Beschäftigungsrückgänge auslösen, ähnlich wie in den neuen
Bundesländern nach 1990.
47
Pfadabhängigkeiten können dann mittel- und langfristig
dazu führen, dass sich der ursprüngliche Startvorteil verstetigt und die Wettbewerbsfä-
higkeit der osteuropäischen Unternehmen nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft redu-
ziert wird.
Auch der im Abschnitt ,,Gemeinsame Chancen" herausgestellte Aspekt eines erhöhten
Zuflusses ausländischer Direktinvestitionen in die MOEL nach dem EU-Beitritt bleibt
nicht unwidersprochen. Szalavetz (2002) vertritt die Ansicht, das der Beitritt nicht per se
zu einem Anstieg der ADI führen wird, sondern im Gegenteil in einzelnen Ländern auch
ein Prozess der Desinvestition als Folge von Rationalisierung und Spezialisierung ein-
setzen wird. Ein Abfluss ausländischer Direktinvestitionen ist dann zu erwarten, wenn
der lokal erwirtschaftete Mehrwert, wie in vielen Fällen bislang der Fall, weiterhin ge-
ring bleibt und/oder der Staat sich einer Politik der aktiven Aquisition ausländischer Di-
rektinvestitionen enthält.
48
Die Hypothesen Szalavetz´ (2002) werden durch aktuelle
Entwicklungen in Polen bestätigt: Seit 2002 ist der Zustrom ausländischer Direktinves-
titionen erheblich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr flossen ADI im Wert von 3,7
Mrd. USD nach Polen; 2001 waren es noch 6,9 Mrd. USD. Komulainen (2003) prog-
44
Vgl. Bull. EG 6-1993, Ziff. 1-13: die Kopenhagener Kriterien umfassen (1) institutionelle Stabilität, (2)
eine funktionsfähige Marktwirtschaft und (3) die Übernahme des acquis aommunautaire.
45
The Committee of European Integration 2003, S. 9, sagt für Polen voraus, dass die Höhe der Investit
i-
onsausgaben sektoral unterschiedlich ist. Aufgrund rigider Hygiene- und Ernährungssicherheitsvor-
schriften werden die höchsten Ausgaben in der Lebensmittelindustrie erwartet.
46
Gabrisch 1998, S. 9.
47
Vgl. Gabrisch 1998, S. 8f.
48
Vgl. Szalavetz 2002, S. 5f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832476755
ISBN (Paperback)
9783838676753
DOI
10.3239/9783832476755
Dateigröße
1.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2004 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
osterweiterung kosten-nutzen-analyse währungskrise bankenkrise signalansatz
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Titel: Chancen und Risiken des EU-Beitritts von Polen und dem Baltikum
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