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Hinter Gittern - Gefangenenzeitschriften in Deutschland

©2003 Diplomarbeit 202 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die Publizistikwissenschaft hat Gefangenenzeitschriften bislang nur als Randerscheinung behandelt. Infolgedessen existieren bislang nur sehr wenige Publikationen über Gefangenenzeitschriften, eine breite Bestandsaufnahme der heutigen Gefängnispresse wurde nur relativ selten vorgenommen worden. Die bis dato vorliegenden Studien weisen zudem nach Auffassung der Verfasserin Lücken auf.
So hat Gernot JOERGER 1969 unter dem Titel „Die deutsche Gefängnispresse in Vergangenheit und Gegenwart“ eine Aufarbeitung der Geschichte und der damaligen Situation vorgelegt; doch diese Untersuchung schließt zu einem Zeitpunkt ab, an dem die eigentliche Entwicklung der Gefangenenzeitschriften als Kommunikationsmittel der Gefangenen selber erst begann. Uta KLEIN versucht mit ihrer 1992 veröffentlichten Studie „Gefangenenpresse – Ihre Entstehung und Entwicklung in Deutschland“ den Gegenstand neu zu bewerten und zeigt neben historischen Aspekten die Situation der Gefangenenpresse in der Bundesrepublik bis 1989 auf. Allerdings bezieht sie in ihre Untersuchung keine Zeitschriften aus der DDR ein, da sie diese vor beziehungsweise während dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung durchführte. Eine vergleichende Analyse der Gefangenenpresse aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg liefert Anja VOMBERG mit ihrem 2000 veröffentlichten Werk „Hinter Schloss und Riegel – Gefangenenzeitungen aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Auch ihre Studie und deren Ergebnisse beziehen sich nur auf eine Auswahl der über 60 in Deutschland erscheinenden Gefangenenzeitschriften.
Die eingereichte Diplomarbeit verfolgt daher zwei Ziele. Sie soll einerseits einen aktuellen, wenn auch allgemein gehaltenen Überblick über Anzahl und Erscheinungsorte der Gefangenenpresse in Deutschland geben, die außerdem nach verschiedenen Kriterien wie Erscheinungsweise oder Auflage, Produktionskosten oder Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter untersucht wurden. Andererseits legt die Arbeit dar, welche Ansprüche und Realisierungsmöglichkeiten Gefangenenredakteure an und bei ihrer Zeitungsarbeit hinter Mauern stellen und sehen, und welche Probleme und Grenzen es ihrer Meinung nach gibt. Die hierzu getroffenen Aussagen beziehen sich auf eine Auswahl von Publikationen sowohl aus den alten als auch aus den neuen Bundesländern, die zudem verschiedenen Herausgebermodellen zuzuordnen sind. Inwieweit diese von den Häftlingen geäußerten Ansprüche […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7587
Kreißl, Janka: Hinter Gittern - Gefangenenzeitschriften in Deutschland
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Universität Leipzig, Universität, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1
I. Theoretischer Teil
1. Gefängnispresse ­ Terminologische Abgrenzung der Begrifflichkeiten
4
1.1
Definitionen
1.1.1
Ersatzpresseerzeugnisse/ Amtliche Nachrichtenblätter
4
1.1.2 Anstaltszeitung
5
1.1.3 Gefängnispresse
5
1.2 Abgrenzung der Begriffe Zeitung ­ Zeitschrift
6
1.3 Einordnung der Gefängnispresse: Zeitungen oder Zeitschriften?
7
1.4 Verschiedene Definitionen der Begriffe ,,Gefangenenzeitschrift"
und
,,Gefangenenzeitung"
9
2. Die historische Entwicklung der Gefängnispresse
11
2.1 Ersatzpresseerzeugnisse in deutschen Haftanstalten ­
ihre Entwicklung bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts
11
2.2 Ein erster Vorläufer der Gefangenenzeitschriften:
Die Brücke aus Untermaßfeld/Thüringen ­
ihre Entwicklung bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs
13
2.3 Die Gefängnispresse im Dritten Reich ­
totalitäre Informationspolitik bis 1945
14
2.4 Die Entwicklung der Gefängnispresse
in der Bundesrepublik Deutschland bis in die 70er Jahre
15
2.5 Die Entwicklung der Gefängnispresse
in der Bundesrepublik Deutschland ab 1970
17
2.6. Die Entwicklung der Gefängnispresse
in Ostdeutschland ab 1989/90
19
3.
Alternativpresse
und
Gegenöffentlichkeit
21
3.1 Die Entstehung von Gegenöffentlichkeit
21
3.2 Definitorische Abgrenzung der Alternativpresse
22
4. Die rechtliche Situation von Gefangenenzeitschriften
25
4.1 Kommunikationskontrolle im Gefängnis
25
4.2 Entnahme oder Zensur? Einflussnahme der Anstaltsleitung
27
4.2.1
Der
Anstaltsleiter
als Verleger und Herausgeber
28
4.3
Zensurfälle
in
der
Praxis
32

II: Empirischer Teil
5.
Verwendete
Methoden
34
6. Die Befragung
35
6.1 Theoretische Grundlagen und Voraussetzungen
35
6.2
Ziele
und
Vorgehensweise
36
6.3 Vor- und Nachteile der schriftlichen Befragung
37
6.4 Reliabilität und Validität der Befragung ­ Eventuelle Probleme
38
6.5 Aufbau und Inhalt des verwendeten Fragebogens
39
6.6 Pretest
41
6.7
Durchführung
der
Befragung
42
6.7.a) Exkurs ­ die Dokumentationsstelle für
Gefangenenliteratur
in
Münster
42
6.7.1
Versand
der
Fragebögen
42
7.
Das
Leitfadeninterview
44
7.1 Theoretische Grundlagen und Voraussetzungen
44
7.2
Ziele
und
Vorgehensweise
45
7.3 Vor- und Nachteile des Leitfadeninterviews
46
7.4 Reliabilität und Validität des Leitfadeninterviews ­
Eventuelle Probleme
47
7.5
Auswahl
der
Redaktionen
48
7.5.a) Exkurs ­ Kurzporträts der ausgewählten Zeitschriften
49
7.6 Konzeption und Durchführung der Leitfadeninterviews
52
7.7 Pretest
54
8. Die Inhaltsanalyse
55
8.1 Theoretische Grundlagen und Voraussetzungen
55
8.2
Ziele
und
Vorgehensweise
57
8.3 Vor- und Nachteile der Inhaltsanalyse
58
8.4 Reliabilität und Validität der Inhaltsanalyse ­
Eventuelle Probleme
59
8.5 Qualitative oder quantitative Inhaltsanalyse?
60
8.6 Archivlage und Quellenbeschaffung
61
8.7 Untersuchungsmaterial und Untersuchungszeitraum
61
8.8 Stichprobe
62
8.9
Auswahl-
und
Analyseeinheiten
62
8.10
Dimensionen
und
Kategorien
63
8.11 Pretest
65

III: Aktuelles
9. Ergebnisse der schriftlichen Befragung
67
9.1. Statistische Angaben zu den Gefangenenzeitschriften
67
9.1.1
Aktuelle
Zahlen
67
9.1.2 Erscheinungsweise/ Auflagenstärke/ Druck
69
9.1.3
Vertrieb/
Preise
70
9.2 Publizistische, materielle und finanzielle Arbeitsbedingungen
der Redaktionen
71
9.2.1
Herausgeberschaft/
Finanzierung
71
9.2.2 Räumliche Situation/ Ausstattung der Redaktion
mit Arbeits- und
Recherchemitteln
73
9.3 Situation der Gefangenenredakteure
74
9.3.1 Aktuelle Zahlen/ Berufserfahrung/
Werbung neuer
Mitglieder
74
9.3.2 Besondere Rechte der Gefangenenredakteure/
Redaktionsstatut
75
9.4 Inhalte der Gefangenenzeitschriften
76
9.4.1
Ressorts
und
Rubriken
76
9.4.2 Auswahl/ Bearbeitung der Themen
77
9.4.3
Freiraum
bei
Berichterstattung
78
9.4.4 Verwendung verschiedener Darstellungsformen
80
9.4.5 Ziele der Redakteure und ihre Probleme
81
9.5
Interaktion
mit
den
Lesern
83
10.
Ergebnisse
der
Leitfadeninterviews
87
10.1. Allgemeines
87
10.2 Mitarbeit in der Redaktion
88
10.3
Redaktionelle
Arbeit
92
10.4
Inhalt
der
Zeitschriften
94
10.5 Herausgeberschaft
99
10.6
Funktionen
der
Zeitschrift
105
10.7
Resonanz
der
Leser
107
11.
Ergebnisse
der
Inhaltsanalyse
111
11.1. Allgemeines
111
11.1.1 Erscheinungsbild der Zeitschriften
111
11.1.2
Erscheinungsweise/
Heftumfang
111
11.2 Vergleichende Analyse der einzelnen Zeitschriften
112
11.2.1
Erläuterung
der
Auswertung
112
11.2.2 Form/ Darstellungsform der Beiträge
113
11.2.3
Illustration
der
Beiträge
115

11.2.4 Quellen/ Verfasser der Beiträge
116
11.2.5
Themenbereiche/
Themen
118
11.2.6 Handlungsträger
123
11.2.7
Informationsquellen
124
11.2.8
Argumentationsverlauf
126
11.2.9
Präsentation
der
Themen
127
11.2.10 Charakter der Themen/Ereignisse
128
11.2.11
Funktion
der
Beiträge
129
12. Zusammenfassung und Vergleich der Ergebnisse
131
12.1 Die aktuelle Situation der Gefangenenpresse in Deutschland
131
12.2 Thesen
135
13. Anspruch und Wirklichkeit journalistischer Arbeit hinter Gittern
145
13.1 Berichterstattungsmuster in Gefangenenzeitschriften
148
13.2 Verortung der Gefangenenpresse zur Alternativpresse
153
13.3 Definition des Begriffs Gefangenenzeitschrift
158
Schlussbetrachtung
und
Ausblick
159
Literaturverzeichnis
1. Quellen
162
2.
Sekundärliteratur
162
3.
Literatur
im
Internet
166
Anhang
A - Schriftliche Befragung
A1 ­ Fragebogen
167
A2 ­ Auswertung des Fragebogens (nicht öffentlich)
B ­ Leitfadeninterviews
B1
-
Interviewleitfaden
175
B2 ­ Leitfadeninterviews 1- 4 (nicht öffentlich)
C ­ Inhaltsanalyse
C1 ­ Codierbuch
178
C2 ­ Auswertung der Inhaltsanalyse (nicht öffentlich)
D ­Liste der Gefangenenzeitschriften
D1 ­ Teilnahme an der Untersuchung
188
D2 ­ Nichtteilnahme an der Untersuchung
194

Diplomarbeit
Hinter Gittern
1
,,Wir wollen ein Gegenpol sein zu ,,BILD" und den Zeitungen,
die hier sonst noch erscheinen.
Da haben wir Knackis doch keine Lobby."
Aus einem Interview mit einem Gefangenenredakteur
Einleitung
Gefangenenzeitschriften sind Produkte in der deutschen Presselandschaft, die
trotz ihrer langen Tradition nur einem Bruchteil der Gesellschaft überhaupt be-
kannt sind.
Für die Kommunikationswissenschaft sind sie insofern interessant, als dass sie
sowohl eine intra- als auch eine extrakommunikative Ausrichtung haben und
damit eine Doppelrolle bei der Vermittlung von Informationen spielen. So wird
durch die Knastblätter zum einen die Kommunikation innerhalb der Justizvoll-
zugsanstalten angeregt, indem Informationen publik gemacht und diskutiert wer-
den. Zum anderen fungieren viele Zeitschriften gleichzeitig als Sprachrohr nach
draußen. Sie versuchen, die Öffentlichkeit auf die Situation im Strafvollzug auf-
merksam zu machen und Perspektiven aus dem direkten sozialen Umfeld, aus
dem sie kommen und über welches sie berichten, zu vermitteln. Damit ergänzen
sie die Berichterstattung der etablierten Medien aus einer speziellen Sichtweise
und liefern Informationen zum Leben hinter Gittern, die woanders nur selten zu
finden sind. Einige Gefangenenredakteure bemängeln das Fehlen differenzierter
Sichtweisen zum Strafvollzugswesen und fordern deshalb eine stärkere Rolle
ihrer Publikationen in der Medienlandschaft. ,,Menschen, die im journalistischen
oder wissenschaftlichen Bereich tätig sind und sich mit Fragen zum Strafvollzug
beschäftigen, sollten die von den Häftlingen selbst produzierten Medien verarbei-
ten, wenn sie seriös arbeiten und ernst genommen werden wollen."
1
Mit dieser
Forderung ist natürlich auch ein journalistischer Anspruch verknüpft. Dazu gehört
eine Kompetenz zu gewissen Themenbereichen ebenso wie das Annähern an
professionelle Standards.
Inwieweit diese Ansprüche in den Gefangenenzeitschriften tatsächlich erfüllt
werden, soll die vorliegende Untersuchung näher beleuchten.
Eine breite Bestandsaufnahme der heutigen Gefängnispresse ist bisher nur rela-
tiv selten vorgenommen worden, und innerhalb der Publizistikwissenschaft wur-
den Gefangenenzeitschriften bislang nur als Randerscheinung behandelt.
Zwar hat Gernot JOERGER 1969 unter dem Titel ,,Die deutsche Gefängnispres-
se in Vergangenheit und Gegenwart" eine Aufarbeitung der Geschichte und der
damaligen Situation vorgelegt, doch diese Untersuchung schließt zu einem Zeit-
punkt ab, an dem die eigentliche Entwicklung der Gefangenenzeitschriften als
Organ der Gefangenen selber erst begann. Uta KLEIN versucht mit ihrer 1992
veröffentlichten Studie ,,Gefangenenpresse ­ Ihre Entstehung und Entwicklung in
1
lichtblick, 2000/ 3-4, S. 5.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
2
Deutschland", diese Entwicklungen aufzugreifen und stellt neben der histori-
schen Entwicklung auch die aktuelle Situation der Gefangenenpresse in der
Bundesrepublik dar. Allerdings bezog sie in ihre Untersuchung keine Zeitschrif-
ten aus dem Osten des Landes ein, da diese vor beziehungsweise während dem
Fall der Mauer und der Wiedervereinigung beider Staaten stattfand. Eine ver-
gleichende Analyse der Gefangenenpresse aus Nordrhein-Westfalen und Bran-
denburg liefert Anja VOMBERG mit ihrem 2000 veröffentlichten Werk ,,Hinter
Schloss und Riegel ­ Gefangenenzeitungen aus Nordrhein-Westfalen und Bran-
denburg zwischen Anspruch und Wirklichkeit". Die genannten Studien liegen
dieser Arbeit zugrunde.
Die vorliegende Untersuchung soll sowohl einen Überblick über den derzeitigen
Stand der Gefangenenpresse in Deutschland geben, als auch Ansprüche der
Zeitungsarbeit hinter Mauern und deren Umsetzung darstellen. Die Arbeit wurde
dazu in drei Teile gegliedert.
Der erste Abschnitt gibt einen Überblick über die Terminologie des Forschungs-
gegenstandes. Dabei werden einerseits verschiedene Definitionen des Begriffs
Gefangenenzeitung vorgestellt, andererseits wird die von der Autorin vorge-
nommene begriffliche Einordnung unter publizistischen Gesichtspunkten erläu-
tert und begründet.
Im Anschluss daran wird die geschichtliche Entwicklung der Gefangenenzeit-
schriften in Deutschland dargelegt. Aus den Ersatzpresseerzeugnissen in deut-
schen Haftanstalten entwickelten sich noch vor dem Zweiten Weltkrieg die ers-
ten Vorläufer der Gefangenenzeitschriften, wobei Die Brücke aus Untermaß-
feld/Thüringen eine wichtige Rolle spielte. Unter Hitler entwickelte sich die Ge-
fängnispresse zum Verlautbarungsorgan seiner totalitären Informationspolitik, so
dass erst nach 1945 zumindest in der BRD wieder von einer unabhängigen Ent-
wicklung der Gefängnispresse die Rede sein kann. In der DDR hingegen waren
Gefangenenzeitschriften verboten; die legale Herstellung solcher Publikationen
war erst nach dem Fall der Mauer wieder möglich.
In einem eigenen Kapitel wird die rechtliche Situation der Gefangenenpresse
dargelegt. Diese ausführliche Betrachtung schien der Autorin notwendig und
sinnvoll, da die Kommunikationskontrolle im Gefängnis ein journalistisches Ar-
beiten im herkömmlichen Sinne in vielen Fällen unmöglich macht. Die Beschrei-
bung der Herausgeberverhältnisse liefert zudem Erläuterungen zu Zensurfällen
in der Praxis, die rechtlich zwar legitim, aber in der wissenschaftlichen Literatur
trotz allem umstritten sind.
Im Anschluss daran folgt der empirische Teil der Arbeit. Um dem umfangreichen
Untersuchungsmaterial gerecht zu werden und sicherzustellen, dass die Arbeit
der Gefangenenredakteure von allen Seiten beleuchtet wird, wurden drei ver-
schiedene Methoden - Befragung, Leitfadeninterview und Inhaltsanalyse - mit-
einander kombiniert. In drei Kapiteln werden die verwendeten Forschungsme-

Diplomarbeit
Hinter Gittern
3
thoden vorgestellt, es wird auf die jeweiligen Vor- und Nachteile ebenso wie auf
Reliabilität und Validität der Methoden eingegangen. Die angewandte Vorge-
hensweise für die vorliegende Untersuchung wird erläutert und Probleme bei der
Forschungsarbeit geschildert.
Um einen Überblick über die Gesamtsituation der Gefängnispresse in Deutsch-
land zu erhalten, wurde eine schriftliche Befragung der Redaktionen vorgenom-
men. Hierbei wurden Fragen zu den Zeitschriften selbst, den Mitarbeitern, den
Arbeitsbedingungen und den Lesern geklärt. Auch die intendierte Funktion der
Blätter wurde erfragt.
Um die Ansprüche an eine Redaktionsarbeit hinter Gittern genauer zu erfor-
schen, wurden in einem zweiten Schritt Leitfadeninterviews mit den Redakteu-
ren von vier Gefangenenzeitschriften geführt. Diese wurden unter anderem nach
Unterschieden in der Herausgeberschaft sowie in der Größe der Redaktionen
und der Auflage des Blattes ausgewählt. Neben Fragen nach der persönlichen
Motivation, der inhaltlichen Ausrichtung sowie Funktion der Zeitschriften wurde
auch das journalistische Selbstverständnis der Gefangenenredakteure hinter-
fragt.
Durch die Inhaltsanalyse wurde dann überprüft, inwieweit die in den Interviews
geäußerten Ansprüche der Redakteure umgesetzt werden. Dabei wurden jeweils
drei Exemplare der Zeitschriften ausgewertet, was in einem Fall dem kompletten
Jahrgang, in den drei anderen Fällen einer Stichprobe entspricht. Die Analyse
erfolgte in zwei Schritten: So wurde jede einzelne Ausgabe als Auswahleinheit
definiert, um Aussagen über das äußere Erscheinungsbild zu erhalten. Zudem
wurde jeder Beitrag als Analyseeinheit definiert, um Erkenntnisse über die inhalt-
liche Gestaltung der Ausgaben zu gewinnen. Hierbei wurde neben den verschie-
denen Darstellungsformen auch die thematische Struktur der Zeitschriften unter-
sucht.
Im dritten und letzten Teil der Arbeit werden die empirischen Daten vorgestellt.
Dabei werden die wichtigsten Ergebnisse jeder Untersuchungsmethode zur bes-
seren Übersicht teilweise in Diagramm- beziehungsweise Tabellenform innerhalb
des Textes abgebildet.
Zudem beinhaltet dieser Abschnitt der Arbeit eine Einordnung des Untersu-
chungsgegenstandes aus journalistischer Sicht: Es wird diskutiert, inwieweit es
sich bei den Gefangenenzeitschriften um Produkte der Alternativpresse handelt.
Schließlich werden die Erkenntnisse aus Befragung, Leitfadeninterviews und
Inhaltsanalyse miteinander verglichen und interpretiert. Aus diesen Zusammen-
hängen entwickelt die Verfasserin Thesen, indem sie ihre Erkenntnisse aller drei
angewandten Untersuchungsmethoden zusammenfasst.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
4
I. Theoretischer Teil
1. Gefängnispresse ­ Terminologische Abgrenzung der Begrifflichkeiten
Der Bezeichnungen für das Produkt Gefängnispresse gibt es viele. Nicht nur die
Autoren wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auch die Mitarbeiter der
Blätter von Inhaftierten für Inhaftierte verwenden unterschiedliche Namen für
diese Presseprodukte. Am häufigsten findet man Bezeichnungen wie Gefange-
nenzeitung, beziehungsweise -zeitschrift, Knastblätter, Gefängniszeitung bezie-
hungsweise -zeitschrift, Haus- und Anstaltszeitung, Nachrichtenblatt, Insassen-
zeitung bzw. -zeitschrift oder Knastgazette.
Im folgenden Abschnitt soll zum besseren Verständnis ein Überblick über die
Terminologie und die einzelnen Formen von Gefängnispresse gegeben werden.
Den wissenschaftlichen Definitionen folgen eine Einordnung der Autorin und die
Begründung für die Verwendung der von ihr verwendeten Begrifflichkeiten.
1.1 Definitionen
1.1.1 Ersatzpresseerzeugnisse/ Amtliche Nachrichtenblätter
In der wissenschaftlichen Literatur oftmals als ,,Vorläufer der Gefängnispresse"
2
bezeichnet, entwickelte sich in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts die
so genannte Ersatzpresse. Zwar waren ab 1918 Tageszeitungen in deutschen
Justizvollzugsanstalten gestattet, wegen ,,vermeintlicher Politisierung und unkon-
trollierbarer Auswirkungen"
3
wurden diese jedoch oftmals von Aufsichtsbehörden
und Gefängnisleitung eingezogen oder gar nicht erst weitergeleitet. So kam es
zur Gründung von Blättern, die damals allgemein Gefangenenzeitungen genannt
wurden. Beispiele hierfür sind der Kompaß (1904 - 1923) oder der Blick in die
Welt (1921 - 1935).
Helmut KOCH weist diese Produkte den Ersatzpresseerzeugnissen zu, da sie
seiner Definition nach eine Art Pressespiegel darstellen, der die Auswahl aus
den aktuellen Nachrichten ,,nach Gesichtspunkten von Sicherheit, Ordnung und
Ruhe traf".
4
Die Gefängnisproblematik blieb, ebenso wie die redaktionelle Mitar-
beit Gefangener, vollkommen ausgeschlossen.
Ebenfalls dieser Einteilung folgt Uta KLEIN in ihrer 1988 publizierten Übersicht
über die Entwicklung der Gefangenenpresse. Als Ersatzpresse bezeichnet sie
Zeitungen, ,,die von der Anstaltsleitung herausgegeben wurden (...), [die] sich
nicht mit Themen des Strafvollzugs befassen und an deren inhaltlicher Mitarbeit
Gefangene nicht beteiligt sind."
5
Ihrer Definition nach sind dies Produkte, die ei-
nerseits Informationen geben, andererseits dem Gedanken des Erziehungsvoll-
2
Vgl. KOCH 1982, S. 113.
3
KLEIN 1988, S. 161.
4
KOCH 1982, S. 114.
5
KLEIN 1988, S. 161f.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
5
zugs entsprechen sollten. Dies seien ,,keine Nachrichtenblätter, sondern unter
dem Aspekt der Erziehung zusammengestellt[e]"
6
Zeitungen. Nach KLEINS Ver-
ständnis war und ist die Ersatzpresse zudem ,,Mittel zur Zensur der allgemeinen
Presse",
7
da sie sich aus amtlich herausgegebenen Blättern zusammensetzt,
welche die wichtigsten politischen Ereignisse übermittelten. Die von den An-
staltsleitern vorgenommene Selektion der Nachrichten sowie deren journalisti-
sche Aufbereitung fallen nach KLEINS Auffassung somit unter den Begriff Zen-
sur.
1.1.2 Anstaltszeitungen
Kurz nach dem Ende des II. Weltkriegs erschienen bis in die 5oer und 60er Jah-
re Blätter, die nicht mehr in die Kategorie der Ersatzpresseerzeugnisse fallen, da
sie zumindest ansatzweise einen thematischen Bezug zum Strafvollzug aufwie-
sen. Diese Veröffentlichungen bezeichnet KLEIN in ihren Studien als Anstaltszei-
tungen, ,,Zeitungen, die von der Anstalt für die Gefangenen herausgegeben wer-
den und zumindest zu einem gewissen Teil Beiträge zur Strafvollzugsproblema-
tik beinhalten".
8
Als Herausgeber fungierten meist Beamte des Vollzugsdienstes,
oft Lehrer oder Geistliche. Die Inhalte dieser Zeitungen waren jedoch nach
KLEINS Definition von Gefangenen weitgehend unbeeinflusst, von der redaktio-
nellen Arbeit waren die Häftlinge ausgeschlossen. Eventuell wurden Leserbriefe
abgedruckt oder Berichte aus den Anstalten publiziert. Als Beispiel führt sie die
Umschau (1947 ­ 1951) oder Die Brücke aus Freiburg (1950 - 1968) an. Laut
KLEIN
9
existieren heute keine Blätter mehr, die dem Typus Anstaltszeitung zu-
geordnet werden könnten.
10
1.1.3 Gefängnispresse
Als Gefängnispresse im engeren Sinn definiert Gernot JOERGER ,,diejenige
Druckpresse, die periodisch, mindestens einigermaßen regelmäßig, erscheint
und die inhaltlich eigens auf Gefangene abgestimmt ist".
11
Nicht notwendig nach
seiner Begriffsbestimmung ist, dass diese Periodika im Gefängnis entstehen,
dass sie sich ausschließlich an Gefangene wenden, dass Gefangene redaktio-
6
KLEIN 1988, S. 164.
7
KLEIN 1988, S. 161f.
8
KLEIN 1988, S. 162.
9
Vgl. KLEIN 1988, S. 166.
10
Eine der angeschriebenen Redaktionen legte Wert auf die Feststellung, dass es bun-
desweit ,,gerade einmal eine Handvoll" Gefangenenzeitungen gebe, bei allen anderen
Publikationen handele es sich um Anstaltszeitungen, da diese vom jeweiligen Anstaltslei-
ter herausgegeben, zensiert und unter seinen Vorgaben produziert würden. Der Brief
findet sich im Anhang der Arbeit unter E4 - Korrespondenz.
11
JOERGER 1971, S. 6.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
6
nell mitarbeiten oder an der technischen Herstellung mitwirken. Die in Strafvoll-
zugsanstalten herausgegebene Gefängnispresse unterteilt JOERGER nochmals
in amtliche Gefängnispresse und Insassenpresse. Als erstere bezeichnet er die
von einer Anstalts- oder Justizverwaltung herausgegebene Presse, also diejeni-
ge, welche KOCH und KLEIN in ihren später angelegten Untersuchungen als
Ersatzpresseerzeugnisse oder Anstaltszeitungen definieren.
Unter Insassenpresse versteht JOERGER den ,,allein oder überwiegend von Ge-
fangenen herausgegebenen Typ der Gefängnispresse".
12
Auf eine begriffliche Abgrenzung von Gefängniszeitungen und ­zeitschriften ver-
zichtet er in seiner Studie, da in der Strafvollzugsliteratur bis 1970 seiner Aussa-
ge nach beide Begriffe gleichbedeutend gebraucht werden. Zudem sei es in der
Publizistik und Rechtswissenschaft sehr umstritten, nach welchen Merkmalen
Zeitungen und Zeitschriften voneinander abzugrenzen sind. Nach JOERGERS
Beobachtung komme es ohnehin oft vor, dass selbst die betroffenen Produkte
nicht zwischen den beiden Presseformen unterschieden, sondern sich ein Blatt
einmal Zeitung und dann wieder Zeitschrift nenne.
13
Nichtsdestotrotz soll im Folgenden eine Übersicht über die Merkmale beider Gat-
tungen gegeben werden und versucht werden, eine Einordnung der Gefängnis-
presse vorzunehmen.
1.2 Abgrenzung der Begriffe Zeitung ­ Zeitschrift
In der wissenschaftlichen Literatur wurden bis zum heutigen Zeitpunkt viele Ver-
suche unternommen, Zeitungen und Zeitschriften per Definition eindeutig von-
einander zu trennen. Da eine ausführliche Darstellung dieses Problems zu viel
Raum einnehmen würde, sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Merkmale
aufgezählt werden, mittels derer sich die Zeitschrift gegenüber der Zeitung ab-
grenzt.
Das Fischer-Lexikon für Publizistik gib als wichtigste Merkmale der Zeitung Pub-
lizität, Aktualität, Universalität sowie Periodizität an. Außerdem wird die Fixierung
in Schrift und Druck als weiteres notwendiges Merkmal genannt.
14
Somit ist eine
Zeitung nach dieser Definition ein sich an die Öffentlichkeit richtendes, allgemein
zugängliches, auf die Gegenwart bezogenes Druckprodukt, welches in regelmä-
ßigen Abständen immer wieder veröffentlicht wird und auf fortlaufende Erschei-
nungsweise angelegt ist. Zudem darf kein Thema von der Veröffentlichung aus-
geschlossen sein. DOVIFAT definiert folgendermaßen: ,,Die Zeitung vermittelt
jüngstes Gegenwartsgeschehen in kürzester regelmäßiger Folge der breitesten
Öffentlichkeit."
15
Unter dem Begriff Zeitschrift versteht DOVIFAT folgendes
:
12
JOERGER 1971, S. 7.
13
Vgl. JOERGER 1971, S. 7f.
14
Vgl. WILKE/ NOELLE-NEUMANN 1994, S. 417f.
15
zitiert nach KOSZYK 1970, S. 393.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
7
,,Fortlaufend und in regelmäßiger Folge erscheinendes Druckwerk, das einem
umgrenzten Aufgabenbereich oder einer gesonderten Stoffdarbietung (Bild, Un-
terhaltung) dient. Danach bestimmt sich ihre Öffentlichkeit, ihre Tagesbindung,
ihr Standort, die Mannigfaltigkeit ihres Inhalts und die Häufigkeit ihres Erschei-
nens."
16
Nach dem Fischer Lexikon muss die Zeitschrift genau wie die Zeitung publizis-
tisch sowie periodisch sein, die Merkmale Aktualität und Universalität hingegen
sind häufig, entweder beide oder eines von beiden, nur ,,abgeschwächt, begrenzt
oder gar nicht vorhanden".
17
Ein zusätzlicher Faktor ist der Buch-Charakter der
Zeitschrift, der durch die Zusammenfassung aller Ausgaben eines Jahres zum
Jahrgang bedingt wird.
1.3 Einordnung der Gefängnispresse: Zeitungen oder Zeitschriften?
In der Strafvollzugsliteratur wird zumeist der Begriff der ,,Gefängniszeitung" oder
,,Gefangenenzeitung" verwandt. Auch in Presseartikeln und im Sprachgebrauch
der Justizministerien haben sich beide Bezeichnungen eingebürgert. Die weni-
gen wissenschaftlichen Untersuchungen, die zum Thema Gefängnispresse vor-
liegen, weisen jedoch alle Unterschiede in der Terminologie auf.
So ist in den Untersuchungen von Helmut H. KOCH durchgängig von Gefange-
nenzeitschriften die Rede, allerdings ohne dass diese Begriffswahl näher be-
gründet würde. Uta KLEIN hingegen schreibt grundsätzlich von Gefangenenzei-
tungen, da ihrer Aussage nach eine eindeutige Abgrenzung von Zeitung und
Zeitschrift problematisch ist. Zudem würden beide Begriffe in der Strafvollzugsli-
teratur gleichbedeutend verwendet.
18
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, erachtete Gernot JOERGER eine definiti-
ve Zuordnung als unmöglich und somit auch unnötig, weshalb er die Begriffe
Zeitung und Zeitschrift im Wechsel verwendet. In einer Studie von Anja VOM-
BERG ordnet diese im letzten Teil ihrer Arbeit die Knastblätter der publizisti-
schen Gattung der Zeitschriften zu, in der gesamten Untersuchung ist jedoch
durchgängig von Gefangenenzeitungen die Rede. Auch die von ihr entworfene
Definition beschreibt die untersuchten Presseprodukte als Zeitungen.
Einzig Frank VOLLMER rechnet die in Justizvollzugsanstalten erscheinenden
Periodika ,,eindeutig dem Typus Zeitschrift"
19
zu, begründet dies ausführlich und
verwendet diesen Begriff in seinen Veröffentlichungen konsequent.
Die Autorin der vorliegenden Arbeit hat sich nach einem Vergleich aller vorhan-
denen Definitionen und Merkmale dafür entschieden, im Folgenden von ,,Gefan-
genenzeitschriften" zu sprechen.
20
Zu begründen ist dies wie folgt:
16
zitiert nach KOSZYK 1970, S. 391
17
Vgl. WILKE/ NOELLE-NEUMANN 1994, S. 427.
18
KLEIN 1992, S. 28f.
19
VOLLMER 1980, S. 1.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
8
Im Gegensatz zum Typus der Anstalts- beziehungsweise Gefängniszeitungen,
welche nach KLEIN inhaltlich weitgehend unbeeinflusst von Gefangenen blie-
ben, werden die redaktionellen Aufgaben bei den hier untersuchten Druckwerken
ausschließlich von Inhaftierten übernommen.
21
Zwar haben bei vielen Publikatio-
nen die Anstaltsleiter als Herausgeber die Möglichkeit, in die redaktionelle Arbeit
einzugreifen, Form und Inhalt der Blätter werden jedoch heutzutage maßgeblich
von den Gefangenenredakteuren bestimmt.
Als Zeitschriften werden die Publikationen bezeichnet, weil die Aktualität, wie sie
als Merkmal einer Zeitung gilt, bei der höchstens monatlichen, oft aber seltene-
ren Erscheinungsweise von Knastblättern, nicht gegeben ist. Somit liegen die
inhaltlichen Akzente nicht auf der Verbreitung ,,jüngsten Gegenwartsgesche-
hens" (DOVIFAT), sondern umfassen thematisch den Strafvollzug im weitesten
Sinne, Rechtssprechung, sowie Unterhaltung und Freizeitaktivitäten.
22
Damit ist
auch die Universalität der Berichterstattung nicht vorhanden.
Die Publizität ist nur eingeschränkt gegeben, da eine Vielzahl der Veröffentli-
chungen nur innerhalb der Vollzugsanstalten verteilt wird. Somit sind die Blätter
im Regelfall nicht allgemein zugänglich
23
, was sich im Übrigen häufig bereits in
der Auflagenhöhe deutlich macht. Schließlich ist Periodizität, wie bereits ange-
deutet, eher die Ausnahme als der Normalfall. Aus Gründen, auf die an anderer
Stelle noch näher eingegangen wird, erscheinen Gefangenenzeitschriften allzu
oft unregelmäßig, manche stellen ihr Erscheinen für kurze Zeit ein, um später als
Neugründung wieder aufzuerstehen, andere setzen monatelang ihr Erscheinen
aus und bringen dann innerhalb weniger Wochen mehrere Ausgaben heraus.
All diese Fakten lassen es sinnvoll erscheinen, die Knastblätter als Gefangenen-
zeitschriften zu definieren, obwohl auch bei dieser Zuordnung Einschränkungen
gelten. So würden die Publikationen ­ losgelöst von ihrem Erscheinungsort und
den Produzenten ­ einige Kriterien einer Zeitschrift nicht erfüllen. Dies wären
beispielsweise die Publizität ­ wie bereits erwähnt, wenden sich die Hefte nur an
eine begrenzte Öffentlichkeit ­ und zum anderen Periodizität, da viele Publikati-
onen nur unregelmäßig erscheinen.
Demzufolge erscheint es der Verfasserin wichtig, zu betonen, dass im Rahmen
dieser Arbeit der Begriff ,,Zeitschrift" eng mit dem Begriff ,,Gefangene" verbunden
ist und daher die Bezeichnung ,,Gefangenenzeitschrift" ganzheitlich betrachtet
werden muss.
20
Die Bezeichnungen anderer Autoren werden in deren Wortlaut übernommen, wenn
diese zitiert werden, auch wenn sie die Terminologie abweichend einsetzen.
21
Vgl. KLEIN 1988, S. 166.
22
Auf die genauen Inhalte dieser Presseprodukte wird an späterer Stelle ausführlich ein-
gegangen.
23
Einzelne Zeitschriften liegen in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken, Universitä-
ten oder Schulen aus; manche gelangen durch externe Besucher an eine breitere Öffent-
lichkeit.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
9
1.4 Verschiedene Definitionen der Begriffe ,,Gefangenenzeitschrift" und ,,Gefan-
genenzeitung"
Nach dieser begrifflichen Einordnung sollen kurz einige Definitionen von Gefan-
genenzeitschriften vorgestellt werden.
In den Studien von KOCH ist, wie bereits angemerkt, von Gefangenenzeitschrif-
ten die Rede, von ,,Zeitschriften also, die von Gefangenen zu Problemen des
Knastalltags und zu allgemeinen Problemen des Strafvollzugs für Gefangene
(und meist auch die Öffentlichkeit) verfasst wurden".
24
Den Anfangspunkt der
Entwicklung solcher Zeitschriften sieht er nach dem II. Weltkrieg, für ihn sind sie
,,Ausdruck der Ansätze zur Demokratisierung des gesamten gesellschaftlichen
Lebens, (...) der Diskussion um den Strafvollzug, (...) Ausdruck freilich auch der
Grenzen gesellschaftlicher Demokratisierung und Strafvollzugsreform".
25
KLEIN hingegen schreibt von Gefangenenzeitungen, welche sie als ,,ein Forum
für Texte von Gefangenen" sieht.
26
Zwar würden auch diese wie die Anstaltszei-
tungen (siehe 1.2) meist von der Leitung der jeweiligen Haftanstalt herausgege-
ben und die Veröffentlichungen unterliegen damit noch immer einer Kontrolle.
Jedoch findet sich nach ihrer Ansicht in diesen Zeitungen ,,sicher das ergiebigste
Spektrum von Texten Inhaftierter, seien es literarische Texte, Leser(innen)briefe
oder einfache Sachbeiträge".
27
Als Kriterien für die Einordnung einer Veröffentli-
chung zu den Gefangenenzeitungen nennt sie folgende Voraussetzungen:
,,- Beiträge sind zumindest überwiegend von Gefangenen selbst verfasst, gestal-
tet und besprochen (...)
- Artikel haben überwiegend Bezug zu Anstaltsgeschehnissen und befassen sich
thematisch vorwiegend mit der Strafvollzugsproblematik
- die Redaktion (...) besteht zum überwiegenden Teil aus Gefangenen."
28
Frank VOLLMER deutet in seiner Analyse von 1980 Gefangenenzeitschriften
folgendermaßen:
,,(Eine) Gefangenenzeitschrift ist ein überwiegend oder ausschließlich von Ge-
fangenen verfasstes und gestaltetes, redaktionell und erscheinungsmäßig
standortgebundenes Druckwerk mit umgrenztem Aufgabenbereich, dessen in-
haltliche Schwerpunkte nicht auf der Verbreitung aktuellen und universellen Stof-
fes liegen, wobei unerheblich ist, ob es periodisch, sporadisch oder einmalig er-
scheint."
29
24
KOCH 1982, S. 114.
25
KOCH 1982, S. 114.
26
KLEIN 1988, S. 162.
27
KLEIN 1988, S. 162.
28
KLEIN 1988, S. 168, KLEIN 1992, S. 28.
29
VOLLMER 1980, S. 28.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
10
Eine sehr ausführliche und detaillierte Definition des Begriffs ,,Gefangenenzei-
tung" gibt Anja VOMBERG in ihrem vor drei Jahren erschienenen Buch Hinter
Schloss und Riegel:
,,- Eine Gefangenenzeitung ist ein Produkt, welches von mindestens einem Ge-
fangenen einer Justizvollzugsanstalt inhaltlich gestaltet und produziert wird. (...)
- (...)
- Eine Gefangenenzeitung ist stets standortgebunden und weist keine spezifisch
regelmäßige Erscheinungsweise auf.
- Inhaltlich konzentriert sich eine Gefangenenzeitung in erster Linie auf Themen,
die sich mit der Situation vor Ort (...) beschäftigen. (...)
- (...)
- Die Betreuung sowie die Übernahme der Herausgeberschaft werden nicht nach
einheitlichen Kriterien praktiziert. (...)"
30
Inwieweit die hier genannten Definitionen als sinnvoll und anwendbar gelten, soll
die vorliegende Untersuchung klären. Eine eigene Begriffsbestimmung der Auto-
rin ist im letzten Teil dieser Arbeit zu finden.
31
30
VOMBERG 2000, S. 359.
31
Vgl. dazu Kapitel 13.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
11
2. Die historische Entwicklung der Gefängnispresse
Die Anfänge der deutschen Gefängnispresse werden um das Jahr 1900 gese-
hen. Existierten in der Schweiz, in Italien sowie in Amerika bereits in den 70er
Jahren des 19. Jahrhunderts verschiedene Formen der Gefängnispresse, so be-
durfte es in Deutschland der Anregung verschiedener internationaler Gefängnis-
kongresse, bis eine erste Entwicklung einsetzte.
32
Nach KOCHS Analyse aus
dem Jahr 1982 lässt sich diese in vier Zeitabschnitte untergliedern: die Einfüh-
rung von Ersatzpresseerzeugnissen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, erste
Vorläufer von Gefangenenzeitschriften heutigen Zuschnitts bis zum II. Weltkrieg,
die totalitäre Informationspolitik unter Hitler sowie die Nachkriegs-Entwicklung
bis in die 70er Jahre. In der vorliegenden Arbeit soll außerdem auf die Geschich-
te der Gefängnispresse ab 1970 in der Bundesrepublik Deutschland sowie die
deutsch-deutsche Entwicklung ab 1990 eingegangen werden.
Die Entwicklung der Gefängnispresse in der Deutschen Demokratischen Repu-
blik wird in dieser Arbeit nicht näher erläutert, da es zu diesem Thema nur sehr
wenige Quellen gibt und eine Erforschung dieses Feldes den Rahmen der vor-
liegenden Untersuchung sprengen würde.
2.1 Ersatzpresseerzeugnisse in deutschen Haftanstalten ­ ihre Entwicklung bis
zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Was KOCH noch als ,,Vorläufer einer Gefängnispresse"
33
bezeichnet und KLEIN
als ,,Ersatzpresseerzeugnis"
34
, wurde von JOERGER bereits als ,,erste Gefan-
genenzeitung Deutschlands" tituliert
35
: der Gute Freund, der von 1901 bis 1919
existierte, war eine kalenderähnliche Veröffentlichung, die in den Gemein-
schaftssälen und Einzelzellen der Haftanstalten Süddeutschlands ausgelegt
wurde. Das einmal jährlich erscheinende, immer 68 Seiten umfassende Druck-
werk war zwar in erster Linie für Gefangene bestimmt, konnte jedoch auch im
Buchhandel erworben werden. Die erste Ausgabe enthielt eine ,,längere Abhand-
lung", die die Gefangenen darüber belehrte, ,,was Sinn und Zweck der Freiheits-
strafe und des Strafvollzugs seien",
36
die darauf folgenden Hefte mieden das
Thema Strafvollzug jedoch strikt. Der Inhalt des Guten Freunds war laut KOCH
vielmehr ,,von beschaulich-moralischem Charakter" sowie ,,stark literarisch aus-
gerichtet".
37
Deshalb, und eben weil der Gute Freund es nach seiner Aussage
möglichst vermied, ,,aktuelle Probleme des Gefängnislebens und der allgemei-
32
Vgl. KOCH 1982, S. 113.
33
Vgl. KOCH 1982, S. 113.
34
Vgl. KLEIN 1988, S. 163.
35
Vgl. JOERGER 1971, S. 14.
36
JOERGER 1971, S. 14.
37
KOCH 1982, S. 113.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
12
nen Politik aufzugreifen"
38
, stuft KOCH das Heft als bloßen Vorläufer der Ge-
fängnispresse ein. KLEIN weist in ihrer Untersuchung den Guten Freund den
Ersatzpresseerzeugnissen zu, ,,bei deren Herstellung Gefangene allerhöchstens
als Arbeitskräfte bei Druck und Vertrieb beteiligt waren"
39
. JOERGER hingegen
hält die Bezeichnung ,,Gefängnispresse" für den Guten Freund als gerechtfertigt,
,,da er zur Druckpresse zählte, periodisch erschien und inhaltlich eigens auf Ge-
fangene abgestimmt war".
40
Allerdings schränkt auch er ein, dass der nur einmal
im Jahr erscheinende Gute Freund mit den späteren Typen der Gefängnispresse
wenig gemein hat.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Kompaß, der wie der Gute Freund von Eduard
Eggert in einem Stuttgarter Verlag herausgegeben wurde. Er wurde 1904 ge-
gründet und erschien bis 1920 14-tägig, danach bis 1923 nur noch monatlich.
41
Die laut Untertitel ,,Volkstümlichen Blätter für zeitgemäße Belehrung und Unter-
haltung" wurden ebenfalls nur in Süddeutschland verteilt und waren neben den
Gefängnissen auch im Buchhandel erhältlich. Der Inhalt setzte sich nach JOER-
GER zum Großteil aus ,,belehrenden, erbaulichen, unterhaltenden und sonstigen
Beiträgen nicht aktuell berichtender Art ohne Strafvollzugsthematik" zusammen,
kurzzeitig wurden noch ,,einige aktuelle Nachrichten aus der Außenwelt" ge-
bracht.
42
Seine Intention beschrieb der Kompaß in einer Ausgabe von 1921
folgendermaßen
:
,,...Dem bilderfrohen Auge will er gute, echte, stimmungsvolle Kunst bieten,
spannende Erzählungen, Mitteilungen aus der Länder- und Völkerkunde, prakti-
sche Ratschläge aus der Gesundheits- und Krankenpflege will er in reicher Aus-
wahl darbieten. Durch Sinnsprüche, Gedichte und Andachten will er der Erbau-
ung dienen, (...) ein Schatzkästlein sein zu gediegenem Wissen und zu unge-
trübter Unterhaltung."
43
Auch ,,vor manchem Schaden in Haus, Hof und Garten"
44
wollte der Kompaß
seine Leser bewahren, und dies, obwohl er laut JOERGER besonders für Ge-
fangene geschaffen war. So verwundert es denn auch nicht, dass nach einer
Aussage von FREUND der Kompaß ,,von den Gefangenen nicht sonderlich gern"
gelesen wurde.
45
Bei der redaktionellen Herstellung des Heftes lagen laut
JOERGER, ebenso wie beim Guten Freund, keine Anhaltspunkte für die Mitar-
beit Gefangener vor. Nichtsdestotrotz stellte der Kompaß für ihn ein Produkt der
Gefängnispresse dar, ,,da er eigens für Gefangene bestimmt war und periodisch
erschienen ist".
46
38
KOCH 1982, S. 113.
39
KLEIN 1988, S. 161.
40
JOERGER 1971, S. 15.
41
Vgl. JOERGER 1971, S. 15.
42
JOERGER 1971, S. 16f.
43
zitiert nach JOERGER 1971, S. 16.
44
zitiert nach JOERGER 1971, S. 16.
45
zitiert nach JOERGER 1971, S. 16.
46
JOERGER 1971, S. 17.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
13
KLEIN zufolge sind sowohl der Kompaß als auch der Gute Freund ,,amtlich he-
rausgegebene Blätter ohne inhaltliche Mitarbeit von Gefangenen. Alle dienten
der Übermittlung der wichtigsten politischen Ereignisse, waren aber keine Nach-
richtenblätter, sondern unter dem Aspekt der Erziehung zusammengestellt."
47
Weitere Zeitungen, die in den 20er Jahren in deutschen Gefängnissen zugäng-
lich waren, sind Blick in die Welt, Welt und Leben, Der Leuchtturm oder das
Nachrichtenblatt.
,,Sie verstanden sich als Ersatz der allgemeinen Presse außerhalb der Gefäng-
nisse und stellten eine Art Pressespiegel dar, der freilich die Auswahl aus den
aktuellen Nachrichten nach Gesichtspunkten von Sicherheit, Ordnung und Ruhe
traf. Die Gefängnisproblematik selbst blieb fast vollkommen ausgeklammert, den
Gefangenen wurde keine redaktionelle Mitarbeit gestattet."
48
2.2 Ein erster Vorläufer der Gefangenenzeitschriften: Die Brücke aus Untermaß-
feld/Thüringen - ihre Entwicklung bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs
Einen ersten Vorläufer der Gefangenenzeitschrift im heutigen Sinne stellte Die
Brücke aus Untermaßfeld in Thüringen dar. Vom Anstaltsleiter Albert Krebs im
Juli 1928 ins Leben gerufen, diente sie ,,dem Gedankenaustausch zwischen Ge-
fangenen und Freien".
49
Der Titelkopf der Zeitschrift zeigte zwei Männer, die auf
einer Brücke stehen und sich die Hand reichen. Angekündigt wurde eine Veröf-
fentlichung im monatlichen Rhythmus, dies ließ sich jedoch nicht realisieren, so
dass die vier- bis sechsseitigen Ausgaben manchmal bis zu vier Monaten aus-
einander lagen. Die Leserschaft bestand nach Selbstaussage der Brücke nicht
nur aus Gefangenen, sondern auch aus Anstaltspersonal und Freunden der An-
stalt, ,,die an Reformbestrebungen im Strafvollzug und der Entlassenenfürsorge"
Interesse zeigten, möglichst Menschen mit einem ,,gewissen Einfluß".
50
Bei der Brücke waren Gefangene nicht nur an der technischen Herstellung, son-
dern auch bei der inhaltlichen und somit journalistischen Gestaltung beteiligt.
Jedem Gefangenen stand es frei, Beiträge einzusenden; eine so genannte Pres-
sekommission, die aus vier Anstaltsangestellten sowie vier Häftlingen bestand,
entschied dann über deren Veröffentlichung. Verantwortlich für den Inhalt zeich-
nete der Anstaltsleiter Albert Krebs. Der überwiegende Teil der Artikel war laut
JOERGER von den Gefangenen selbst verfasst, erkennbar an ,,Thematik und
Stil".
51
Doch auch ehemalige Häftlinge oder andere Außenstehende lieferten Bei-
träge für Die Brücke. Thematisch waren fast alle Artikel mit dem aktuellen An-
staltsgeschehen sowie dem Strafvollzug befasst. Damit wollten die Häftlinge ein
Diskussionsforum schaffen und den Dialog zwischen draußen und drinnen för-
47
KLEIN 1988, S. 164.
48
KOCH 1982, S. 114.
49
JOERGER 1971, S. 29.
50
zitiert nach JOERGER 1971, S. 31.
51
JOERGER 1971, S. 30.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
14
dern: ,,Die Brücke will (...) eine Zeitung für alle die sein, die am Anstaltsleben
beteiligt sind, also für die Insassen, für die Beamten und für die freien Menschen
da draußen, die Anteil an uns haben."
52
Anstaltsleiter und Herausgeber Albert Krebs betonte, dass die Zeitschrift sowohl
einen Erziehungsgedanken trage, als auch Mittel der Mitverwaltung für Gefan-
gene sei. Solche Veröffentlichungen seien außerdem nötig, um die Öffentlichkeit
ausreichend zu unterrichten.
53
Mit diesen reformerischen und liberalen Zielen
erregte Die Brücke jedoch im nationalsozialistischen Deutschland das Missfallen
der Machthaber. 1932, noch vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, befand
das Thüringer Justizministerium, dass die Reformbestrebungen im Strafvollzug
zu beenden seien. Die Zeitschrift wurde im Oktober desselben Jahres einge-
stellt, Krebs seines Dienstes enthoben.
2.3 Die Gefängnispresse im Dritten Reich - totalitäre Informationspolitik bis 1945
Die Einstellung der Brücke sowie die Machtübernahme der Nationalsozialisten in
Deutschland markierten einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Ge-
fängnispresse. Ab dem 5. Mai 1935 existierte landesweit nur noch Der Leucht-
turm. 1925 in der Strafanstalt Görlitz (Preußen) gegründet, wurde er zehn Jahre
später zur Reichs-Gefangenenzeitschrift erhoben und setzte sich laut JOERGER
,,schnell und ohne Schwierigkeiten überall im Reich durch".
54
Das Monopol-Blatt
wurde von der Reichsjustizverwaltung wöchentlich in Berlin herausgegeben und
hatte bereits im März 1936 eine Auflage von 31.000 Exemplaren (1935: 20.000,
1939: 41.000).
55
Die Intention der Reichs-Gefangenenzeitschrift beschrieb deren Schriftleiter Kni-
ckenberg im Jahre 1935 folgendermaßen: Der Leuchtturm wolle in erster Linie
,,Lehrer, Erzieher, Rufer und Mahner" sein, ein Organ der ,,Erziehungsfürsorge",
das auf die ,,vernünftige Einstellung des einzelnen zum Geschehen und zu den
Dingen seiner Umgebung" einwirken solle und der ,,national-politischen Erzie-
hung" dienen solle.
56
Die Zeitschrift, die den Charakter eines Pressespiegels trug, hatte Gefangene
nur als technische Mitarbeiter und druckte nur bis 1937 vereinzelt Beiträge Inhaf-
tierter ab. Im November dieses Jahres wurde dann mitgeteilt, dass künftig ,,keine
Aufsätze und Rätsel aus dem Leserkreis" mehr veröffentlicht würden.
57
Anstalts-
interne Geschehnisse wurden nicht thematisiert, der Leuchtturm enthielt nach
JOERGER ,,(oft nationalsozialistisch gefärbte) Berichte aus der Außenwelt und
52
zitiert nach KLEIN 1994, S. 54f.
53
Vgl. KLEIN 1988, S. 165f.
54
JOERGER 1971, S. 35.
55
JOERGER 1971, S. 35.
56
zitiert nach JOERGER 1971, S. 36.
57
JOERGER 1971, S. 36.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
15
nicht aktuell berichtende Beiträge ohne Strafvollzugsthematik".
58
Laut KLEIN in-
formierte er ,,über alles, was auf wissenschaftlich-technischem Gebiet von Inte-
resse ist", nicht jedoch über ,,Parteipolitik und alles Kriminelle".
59
Erstaunlich fin-
det es KLEIN, wie ,,nahezu künstlich vermieden [wurde], zu erwähnen, dass die
Leser Gefangene sind".
60
Der Leuchtturm wurde 1944, vermutlich wegen Papiermangels, eingestellt.
Rückblickend bezeichnet JOERGER die Zeit von 1935 bis zum Ende des II.
Weltkrieges als einen ,,Rückschritt auf dem Gebiet der Gefängnispresse", da an
die Stelle mehrerer Gefängniszeitungen verschiedener Konzeption und Ausges-
taltung eine Monopol-Zeitung gesetzt wurde. Zudem seien die Versuche, Gefan-
gene zur Mitgestaltung der Gefängnispresse heranzuziehen, eingestellt und der
Strafvollzug als Gegenstand der Berichterstattung wieder tabuisiert worden.
61
2.4 Die Entwicklung der Gefängnispresse in der Bundesrepublik Deutschland bis
in die 70er Jahre
Nach dem Ende des II. Weltkriegs verlief die weitere Entwicklung aufgrund der
wirtschaftlichen Verhältnisse sowie durch fehlende öffentliche Presse in den
Strafanstalten zuerst nur sehr zögerlich.
So waren zehn Jahre nach dem Krieg erst acht Zeitschriften gegründet, die ihr
Erscheinen zudem teilweise sehr schnell wieder einstellten.
62
Einen Großteil die-
ser Publikationen, wie zum Beispiel Die Brücke aus Freiburg (1950-1968) oder
die Umschau aus München (1947 ­ 1951) bezeichnet KLEIN in ihren Untersu-
chungen zudem als ,,Anstaltszeitungen", da ,,die Inhalte von Gefangenen weitge-
hend unbeeinflusst blieben".
63
Zwar berichteten die Zeitschriften durchaus aus
den jeweiligen Anstalten und druckten auch Leserbriefe von Häftlingen ab, an
der redaktionellen Arbeit waren die Inhaftierten laut KLEIN jedoch nicht beteiligt.
Die Herausgeberschaft der Veröffentlichungen oblagen dem jeweiligen Anstalts-
leiter oder anderen Beamten des Vollzugsdienstes.
Eine Ausnahme bildete eine Zeitschrift aus München, die ebenfalls Die Brücke
hieß. Sie wurde bereits 1946 vom dortigen Anstaltsleiter gegründet, erschien
14tägig erschien und stand laut VOLLMER ,,am Anfang einer neuen Ära der Ge-
fängnispresse".
64
Herausgegeben von Gefangenen und nur in den Strafanstalten
Münchens erhältlich, verstand sich diese Publikation anfangs noch als Ersatz für
die in der Anstalt verbotene freie Presse. Immer häufiger wurden jedoch auch
58
JOERGER 1971, S. 36.
59
KLEIN 1988, S. 164.
60
KLEIN 1992, S. 82.
61
Vgl. JOERGER 1971, S. 37.
62
Vgl. KOCH 1982, S. 114f.
63
KLEIN 1988, S. 166.
64
VOLLMER 1980, S. 36.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
16
anstaltsinterne Ereignisse aufgegriffen und journalistisch aufbereitet. Die aus
Inhaftierten bestehende Redaktion wurde durch den Anstaltsleiter und einen An-
staltslehrer beaufsichtigt, jedoch soll dieses Aufsichtsrecht relativ zurückhaltend
ausgeübt worden sein.
65
Somit beschränkte sich die Mitwirkung Nichtgefangener
auf die Kontrolle der inhaftierten Mitarbeiter, zu damaliger Zeit ein absolutes No-
vum. Neben aktuellen Nachrichten über Tagesereignisse informierte die Brücke
auch über anstaltsinterne Neuigkeiten. Bereits 1947 stellte das Blatt sein Er-
scheinen jedoch wieder ein, laut VOLLMER, weil ihm ,,durch die Genehmigung
von Tagespresse in Haftanstalten die Existenzgrundlage entzogen worden
war".
66
In den folgenden Jahren stagnierte die Zahl der Neugründungen, eine Entwick-
lung, die sich laut KOCH erst 1965 wieder umkehrte:
,,Erst ab Mitte der 60er Jahre, mit dem ,,Ende des Wirtschaftswunders und der
zunehmend kritischen Selbstreflexion der bundesrepublikanischen Gesellschaft
und dem Aufleben der Debatte um die Strafvollzugsreform nahmen die Neu-
gründungen beträchtlich zu."
67
JOERGER, der in seiner Studie die Situation der deutschen Gefängnispresse
von den Anfängen bis 1969 untersuchte, konstatiert, dass in der Bundesrepublik
bis einschließlich genannten Jahres insgesamt 16 Gefangenenzeitschriften ge-
gründet wurden. Dies waren seinen Angaben zufolge überwiegend Publikatio-
nen, die ohne eine redaktionelle Mitarbeit Inhaftierter entstanden.
68
Nur wenige
Zeitungen wurden von Häftlingen selbst produziert, nach KLEINS Einschätzung
sahen sich diese Zeitschriften vor allem als Sprachrohr für Gefangene sowie als
,,Forum einer kritischen Auseinandersetzung mit Strafe und Strafvollzug"
69
. Dies
machte sich bei einigen Blättern bereits im Titel deutlich (Die Hornisse, Die Lupe,
Der kleine Spiegel).
Doch nicht nur die Inhaftierten nutzten die ,,Sprachrohr-Funktion" dieser Publika-
tionen. Auch viele Anstaltsleitungen sahen in den folgenden Jahren die Gefan-
genenpresse als probates Mittel, ihre Interessen publik zu machen und sie
durchsetzen zu können. Obwohl viele Beamte dieser Form der ,,Eigenaktivität
von Gefangenen" skeptisch gegenüber standen, da diese der ,,bisherigen Praxis
ihrer fast gänzlichen Entmündigung widersprach"
70
, hatten einige Anstaltskonfe-
renzen in den späten 60er Jahren die Neugründungen von Zeitschriften zur Fol-
ge. KLEINS Beobachtungen zufolge erzeugten die beginnenden Reformbestre-
bungen, die neben der Humanisierung des Strafvollzugs und der Verankerung
des Resozialisierungsgedankens vor allem Rechte und Pflichten der Inhaftierten
65
Vgl. JOERGER 1971, S. 38.
66
VOLLMER 1980, S. 36.
67
KOCH 1982, S. 115.
68
Vgl. JOERGER 1971, S. 52.
69
KLEIN 1988, S. 168.
70
KOCH 1982, S. 115.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
17
in den Mittelpunkt stellten, ein ,,aufgeschlosseneres Klima". Die ,,positive Stim-
mung für Veränderungen im Strafvollzug" beeinflusste auch die Entwicklung der
Gefangenenpresse.
71
Nichtsdestotrotz sah sich der Justizminister beim Erscheinen einer ,,wirklich kriti-
schen Gefangenenzeitschrift" (Kassiber, Remscheid) sofort veranlasst, die
,,Grenzen der Pressefreiheit im Gefängnis per Erlass zu ziehen".
72
So wurde bald
wieder eine restriktivere Handhabung bezüglich der redaktionellen Freiheiten
eingeführt und die zuvor proklamierte Pressefreiheit teilweise wieder einge-
schränkt. Den Leitern der Gefängnisse wurde ,,eine Art Zensurrecht"
73
einge-
räumt. KOCH skizziert die Lage zu Beginn der 70er Jahre folgendermaßen:
,,
In der nunmehr recht angenehmen Position, einerseits ein Stückchen Reform im
Gefängnis durch die Gründung von Gefangenenzeitschriften voranzutreiben, an-
dererseits aber die Radikalisierung der Reform mit Hilfe der eigenen Machtkom-
petenz unterbinden zu können, wurden in den Anstalten etliche Gefangenenzeit-
schriften neu gegründet
."
74
2.5 Die Entwicklung der Gefängnispresse in der Bundesrepublik Deutschland ab
1970
Zur Entwicklung der deutschen Gefängnispresse ab 1970 liegen bisher nur rela-
tiv wenige wissenschaftliche Untersuchungen vor. Angaben über die Anzahl der
erschienenen und erscheinenden Zeitschriften sind schwer zu machen, da die
Quellenlage oft nicht eindeutig ist.
Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins ,,Der Spiegel" war das Jahr 1968,
das die Einführung des neuen Strafvollzugsgesetzes brachte, der Beginn der
,,Gründerzeit für Häftlingszeitungen".
75
VOMBERG nennt in ihrer Studie 18 Titel
für 1971, ein Jahr später existieren bereits 30 Titel, und im Jahr 1974 wurden
insgesamt 41 Zeitschriften gezählt.
76
In einer 1976 veröffentlichten Studie gibt das Bundesjustizministerium die Zahl
der Gefangenenpresse-Erzeugnisse für 1975 mit 55 an. Nach KLEIN ist diese
Zahl jedoch nicht hundertprozentig zuverlässig, da das Ministerium zum einen
nicht über die jeweils aktuellen Daten verfüge, zum anderen auch Zeitungen mit-
zähle, die keine Gefangenenzeitschriften sind (z.B. Die kleine Schachpost, eine
von einem Vollzugsbeamten hergestellte Fachzeitschrift).
77
VOLLMER hat für das Jahr 1979 48 Gefangenenzeitschriften ausgemacht, von
denen er jedoch bei einigen ,,nicht sicher" ist, ob sie noch existieren.
78
Zwei Jah-
71
KLEIN 1992, S. 174.
72
KOCH 1982, S. 115.
73
KOCH 1982, S. 115.
74
KOCH 1982, S. 115f.
75
zitiert nach VOMBERG 2000, S. 102.
76
Vgl. VOMBERG 2000, S. 102.
77
Vgl. KLEIN 1988, S. 169.
78
zitiert nach KLEIN 1988, S. 169.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
18
re später weist eine Untersuchung wiederum einen Rückgang der Zahl auf 44
auf. Der Aufschwung, der anfangs der 70er Jahre stattgefunden hatte und eine
beachtliche Zahl von Neugründungen brachte, kehrte sich nach nur relativ kurzer
Zeit um ­ eine Entwicklung die nicht losgelöst von der konservativen Wende im
Strafvollzug gesehen und interpretiert werden kann. ,,Die Reformstimmung zu
Beginn der 70er Jahre fand 1977 mit der Verabschiedung des Strafvollzugsge-
setzes ein vorzeitiges Ende", konstatiert VOMBERG,
79
und auch KLEIN berichtet
von ,,Resignation", die an Stelle der ,,Euphorie- und Reformstimmung" zu Beginn
des Aufbaus der Gefängnispresse getreten sei: ,,Die Zahl der Gefangenenzei-
tungen stagniert zumindest oder bewegt sich im unteren Bereich."
80
Zwar führen KOCH und LINDTKE von der Dokumentationsstelle für Gefange-
nenliteratur der Universität Münster
81
in ihrer Publikation Ungehörte Worte ­ Ge-
fangene schreiben insgesamt 85 Redaktionsanschriften für das Jahr 1981 an.
Diese hohe Zahl kam jedoch nach KLEIN und VOMBERG vermutlich nur des-
halb zustande, weil alle bis dahin bekannten Redaktionsanschriften in die Adres-
senliste mit aufgenommen wurden, ohne dass die Existenz der Zeitschriften ü-
berprüft worden wäre. Einer erneuten Umfrage der Dokumentationsstelle der
Universität Münster zufolge erschienen 1986 aus 32 verschiedenen Redaktionen
regelmäßige Veröffentlichungen, zwei Jahre später gibt die selbe Stelle 59, und
weitere zwei Jahre darauf 40 Titel an. KLEIN hingegen spricht in ihrer Studie von
44 Gefangenenzeitungsredaktionen, die zwecks einer Vorerhebung ermittelt
wurden.
82
Bis 1989 sank die Rate der Neugründungen, verglichen mit den Zahlen der 70er
Jahre, stetig ab. Gleichzeitig stieg die Zahl der Auflösungen von Zeitschriften,
besonders viele Ausgaben wurden in den Jahren 1987 und 1988 eingestellt.
83
KLEIN schreibt in ihrer Studie von 1989/90 von ,,stagnierenden Zahlen im unte-
ren Bereich".
84
2.6. Die Entwicklung der Gefängnispresse in Ostdeutschland ab 1989/90
In den Haftanstalten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik waren
die Herstellung und Verbreitung von Gefangenenzeitschriften streng untersagt.
Gefangene, die sich dem Verbot widersetzten, mussten mit Freiheitsstrafen bis
zu 15 Jahren rechnen.
85
Dennoch nahmen nicht wenige Häftlinge diese Gefahr
in Kauf und fertigten handschriftlich Gefangenenzeitungen an. So berichtet And-
79
VOMBERG 2000, S. 103.
80
KLEIN 1992, S. 179.
81
Dr. Helmut Koch, Anja Vomberg und auch Uta Klein sind bzw. waren Mitarbeiter der
Dokumentationsstelle für Gefangenenliteratur in Münster. Nähere Informationen werden
im Kapitel 6.7.a) Exkurs, gegeben.
82
Die Vorerhebung stammt aus dem Jahr 1988/89. Vgl. KLEIN 1992, S. 210.
83
Vgl. KLEIN 1992, S. 178f.
84
KLEIN 1992, 179.
85
Vgl. VOMBERG 2001, S. 63.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
19
reas EBERHARDT im journalist 1/1994 von einer Knastzeitung, die von 1975 bis
1976 im Gefängnis Cottbus existiert hat:
,,Armes Deutschland nannte der Schriftsteller Siegmar Faust sein Blatt, das er in
mühevoller Arbeit 13mal als Unikat erstellte. (...) Das Risiko war hoch. (...) Die
Zeitung wurde unter den Gefangenen weitergegeben, bis sie buchstäblich ausei-
nanderfiel."
86
Faust wurde, obwohl man ihm nie etwas Konkretes nachweisen konnte, wegen
,,psychologischer Kriegsführung"
87
für 400 Tage in eine Kellereinzelzelle ge-
sperrt. Von dort aus produzierte er dennoch weitere Exemplare seiner Publikati-
on, die durch Verstecken und Schmuggeln überleben konnte.
Bereits nach dem Mauerfall, aber noch vor der deutschen Wiedervereinigung,
nämlich im Juni 1990, forderten Gefangene der Haftanstalt Brandenburg-Görden
das Recht, ein Medium für ihre Belange ins Leben rufen zu dürfen: ,,Ihre Mittel
waren ungewöhnlich und drastisch: Ein viertägiger Hungerstreik der 400 Gefan-
genen überzeugte schließlich Anstaltsleiter und Ministerium von dem ungebro-
chenen Willen der Häftlinge."
88
Daraufhin wurde im damals größten Gefängnis
Europas die Zeitschrift unsere zeitung gegründet. Unterstützt von einem libera-
len Anstaltsleiter erschrieb sie sich ,,im Machtvakuum der Wendezeit eine feste
Position innerhalb der Anstalt"
89
. Nach monatelangem Tauziehen genehmigte
das Justizministerium für unsere anstalt ein Redaktionsstatut, was der Zeitschrift
eine feste Redakteursstelle, Zugang zur Redaktion sowie die Auflagenhöhe und
die Finanzierung sicherte.
Noch in Strafvollzugseinrichtungen der DDR gründeten sich laut EBERHARDT
bald weitere legale Knast-Zeitschriften. Ebenfalls im Juni 1990 wurde der Impuls
aus Cottbus ins Leben gerufen, der nach Eigenaussage die ,,Enttabuisierung der
Grauzone Strafvollzug" ermöglichen wollte und das ,,Demokratieverständnis in-
nerhalb der Mauern" fördern wollte.
90
Im September des gleichen Jahres gründe-
ten Häftlinge den Ruf aus Bautzen, der, so EBERHARDT, dafür Sorge tragen
wollte, dass in der Umbruchzeit die Gefangenen nicht vergessen werden und
den ,,Anschluss an das neue Leben nicht völlig verpassen".
91
Von ihrem neuen Recht, offiziell an Gefangenenzeitschriften mitzuarbeiten und
sie selbst herausgeben zu dürfen, machten letzten Endes nur relativ wenige An-
stalten auf ehemaligem DDR-Gebiet Gebrauch. Eine Vielzahl der kurz nach der
Wende erschienenen Zeitschriften wurde laut EBERHARDT inzwischen wieder
eingestellt oder erscheint nur noch sporadisch.
92
So existierten zum Zeitpunkt
von VOMBERGS Untersuchung im Jahr 1999 nur sechs Gefangenenzeitschrif-
86
EBERHARDT 1994, S. 15.
87
EBERHARDT 1994, S. 15.
88
VOMBERG 2001, S. 62.
89
EBERHARDT 1994, S. 15.
90
zitiert nach EBERHARDT 1994, S. 15.
91
zitiert nach EBERHARDT 1994, S. 15.
92
Vgl. EBERHARDT 1994, S. 15.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
20
ten in den neuen Bundesländern, wobei Thüringen das einzige Land ohne Veröf-
fentlichung war.
93
93
Vgl. VOMBERG 2000, S. 105.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
21
3. Alternativpresse und Gegenöffentlichkeit
3.1 Die Entstehung von Gegenöffentlichkeit
Um zu klären, ob Gefangenenzeitschriften zum Typus der Alternativpresse gehö-
ren, ist es nötig, Wesen und Funktion von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit
im Staat zu klären. Dies soll im Folgenden geschehen; basierend auf den Unter-
suchungsergebnissen wird dann im Kapitel 13 eine Verortung der Gefangenen-
presse vorgenommen.
Die Grundlagen zur Entstehung einer Gegenöffentlichkeit in der Bundesrepublik
wurden mit der Ausbreitung der Alternativbewegung während der 70er Jahre
geschaffen. Der Konflikt um die Notstandsgesetze und die Gründung des Kura-
toriums ,,Notstand der Demokratie" lösten 1966 Massenproteste aus. In Form
von zahllosen Demonstrationen äußerte die damals zumeist linke Studenten-
schaft ihre Unzufriedenheit, protestiert wurde gegen gesellschafts-, bildungs-
sowie innen- und außenpolitische Entscheidungen des Staates. Im Laufe der
Zeit spitzte sich die Studentenbewegung zur Revolte zu. Im Juni 1967 wurde der
Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration von einem Polizisten er-
schossen. Daraufhin griff die Massenbewegung auch auf die letzten deutschen
Universitäten über, gewann an Dynamik und gipfelte schließlich in eskalierenden
Auseinandersetzungen. Im April 1968 kam es zu den bis dahin schwersten Stra-
ßenschlachten in der Geschichte der BRD, bei denen zwei weitere Menschen
getötet wurden.
Die Studenten kritisierten damals die etablierten Massenmedien stark, insbeson-
dere das durch Konzentrationsprozesse gekennzeichnete Pressewesen. Der
Springer-Konzern galt dabei als ,,Inkarnation des Bösen"
94
, da er durch seine
Aktionen und Reaktionen die Eskalation der Auseinandersetzungen in starkem
Maße beeinflusste. Die Berichterstattung über die Proteste wurde zunehmend
diffamierender, die Studentenschaft wurde kriminalisiert und als durchweg mili-
tant und gefährlich dargestellt. Dieser Ausgrenzungsstrategie ausgesetzt, sahen
sich die Studierenden genötigt, mit eigenen Mitteln um ihre Anerkennung bei der
Bevölkerung und um die Artikulation und Durchsetzung ihrer Anliegen zu kämp-
fen. Um die ,,Diktatur der Manipulateure zu brechen"
95
sahen sie sich gezwun-
gen, die Ereignisse aus ihrem Blickwinkel darzustellen und zu kommentieren.
,,Die Erfahrungen mit der Berichterstattung der bürgerlichen Massenmedien zer-
stör[t]en endgültig das Vertrauen, mit Hilfe der Massenmedien eine Gegenöffent-
lichkeit im Sinne der bürgerlich-liberalen Vorstellung herstellen zu können, die
auf Ideen und Diskursen mit aufklärerischem Inhalt basiert."
96
Also versuchten
die Studenten, eine eigene, ,,aufklärende Gegenöffentlichkeit" zu etablieren.
94
BÜTEFÜHR 1995, S. 75.
95
Zitiert nach BÜTEFÜHR 1995, S. 78.
96
Zitiert nach BÜTEFÜHR 1995, S. 80.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
22
Laut STAMM stellt dieser Begriff vordergründig einen ,,Gegenbegriff" gegenüber
der durch die Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit dar, zugleich aber auch
einen ,,Kampfbegriff" gegen die herrschaftslegitimierenden Implikationen, Struk-
turen und Arbeitsweisen des Mediensystems.
97
Von großer Bedeutung für das Konzept der Gegenöffentlichkeit ist die personale
Kommunikation in Form von Diskussionen und Diskursen. Sie wurde von der
Studentenbewegung bewusst eingesetzt, um die Berichterstattung der Massen-
medien zu korrigieren. So wurden unkonventionelle, provokative Aktionen ge-
nutzt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen; Kongresse, Sitzungen oder
Go-Ins wurden zu Foren öffentlich ausgetragener politischer Auseinanderset-
zung umfunktioniert. Doch diese Aktionen alleine reichten nicht aus, die Bewe-
gung auszubreiten, weshalb bald auch eigene Medienmittel wie Flugblätter, Bü-
cher, Broschüren oder Zeitungen produziert und verteilt wurden. Diese alternati-
ven Medien beziehungsweise Gegenmedien bezeichnet STAMM in seiner Un-
tersuchung als ,,Gegenöffentlichkeit im engeren Sinne".
98
Viele der damals in
diesen Gegenmedien in Frage gestellten Standards professioneller Publizistik
(periodisches Erscheinen, Trennung von Nachricht und Kommentar, einheitlich
geregeltes Layout und ähnliches) werden auch heute noch von Alternativmedien
umgangen.
Im folgenden Kapitel sollen einige Definitionen des Begriffs der Alternativmedien
gegenübergestellt werden.
3.2 Definitorische Abgrenzung der Alternativpresse
Formalen Kriterien nach sind die Produkte der Alternativpresse dem Typus Zeit-
schriften zuzuordnen, sie werden jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch sowie
in der wissenschaftlichen Diskussion als Zeitungen bezeichnet.
99
Der größte Un-
terschied zu den etablierten Medien besteht im alternativen Inhalt und den publi-
zistischen Zielen dieser Veröffentlichungen. Auch beim Produkt-Vertrieb gehen
Alternativmedien oftmals einen anderen Weg als konventionelle Presseprodukte.
Eine allgemein gültige und anerkannte Definition des Begriffs Alternativpresse
gibt es bislang nicht. Definitionsversuche bleiben problematisch, weil ,,dieser
Pressesektor äußerst vielfältig und heterogen ist, einem steten Wandel unterliegt
und es im Untersuchungsfeld an Datenmaterial sowohl über die Kommunikato-
ren als auch die Rezipienten, insbesondere aber über die Inhalte mangelt".
100
Eine der frühesten Definitionen für Alternativpresse hat Benno KÄSMAYR in den
frühen 70er Jahren aufgestellt. Nach seinem Verständnis bedeutet Alternativ-
presse die ,,Veröffentlichung eines Buches oder einer Zeitschrift in kleinster Auf-
97
Vgl. STAMM 1988, S. 40.
98
STAMM 1988, S. 42.
99
Diese Einordnung zur Kategorie der Zeitschriften begründet sich auf die Merkmale
Aktualität, Publizität, Universalität und Periodizität.
100
BÜTEFÜHR 1995, S. 164.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
23
lage (...), herausgegeben und meist auch in eigener Arbeit hergestellt von Ein-
zelnen, öfters auch Gruppen mit starker Fluktuation, meist ohne nennenswerte
Werbungsaktivitäten und ohne Erfolg bei einer breiten Öffentlichkeit mit dürftigen
Vertriebsmöglichkeiten".
101
Claus EURICH stellte 1980 einen Katalog von Unterscheidungsmerkmalen vor,
die eine Abgrenzung der Alternativ- von Massenmedien ermöglichen sollen. Der
Zweck alternativer Medien ist demnach die Ergänzung lokaler Öffentlichkeit und
der Abbau von Informationsdefiziten. Dies soll durch horizontale Kommunikation
erreicht werden, wobei die Trennung von Kommunikator und Rezipient aufgeho-
ben wird. Die Produktion liegt in der Hand von Laienpublizisten und folgt dem
Kostendeckungsprinzip durch Verkauf und den Einsatz von Eigenmitteln und
Spenden. Statt der ressortspezifischen Arbeitsteilung gibt es ein Rotationssys-
tem, die Verantwortung wird kollektiv wahrgenommen. Der Vertrieb der nur be-
dingt regelmäßig erscheinenden Produkte, die sich an (lokale) Randgruppen,
Minderheiten und Betroffene richten, geschieht überwiegend direkt. Die Inhalte
sind alltags-, problem- und lebensraumbezogen; sie dienen der Bedürfnis- und
Interessenartikulation, Orientierung und Kritik und bieten Alternativen. Durch ihre
Parteinahme und Initiierung von Aktionen ermöglichen die Alternativmedien
kommunikative Partizipation.
102
Hartmut BROMBACH und Wolfgang BEYWL formulieren vier substanzielle Ka-
tegorien, mit deren Hilfe der Idealtypus der Alternativzeitung beschrieben werden
soll. Zum einen ist ihrer Aussage nach die ökonomische Situation des Blattes
gekennzeichnet von der Entkoppelung von Eigentum und Verfügungsgewalt,
zudem sind die Produkte unabhängig von Anzeigeneinnahmen und zeigen sich
zurückhaltend gegenüber öffentlichen Subventionen. Dies soll sicherstellen,
dass die Zeitung ohne Gewinninteresse gestaltet wird.
103
Als zweite konstitutive Kategorie nennen BEYWL und BROMBACH die Organi-
sation des Arbeitsprozesses. Hier zeichnen sich die alternativen Redaktionen vor
allem durch einen niedrigen Spezialisierungsgrad hinsichtlich der technischen
Ausstattung sowie durch ein rotierendes Arbeitssystem aus. Letzteres soll ver-
hindern, dass sich eine Arbeitshierarchie etabliert.
104
Die Übergänge zwischen
Blattmachern und politischer Aktion bleiben fließend, da die Mitarbeiter häufig
selbst aus den Gruppierungen, über und für die sie schreiben, stammen. Dies
hat zum Ziel, die Rollentrennung zwischen Kommunikator und Rezipient aufzu-
heben und damit ein von den etablierten Medien abweichendes Kommunikati-
onsmodell zu verwirklichen, was gleichzeitig als drittes Merkmal der Alternativ-
presse gilt.
105
Ebenfalls dazu gehört das Bemühen um Authentizität der Bericht-
101
Zitiert nach HOLTZ-BACHA 1999, S. 331.
102
Eine ausführliche Gegenüberstellung der Merkmale von Massenmedien und Alterna-
tivmedien findet sich in tabellarischer Form bei EURICH 1980, S. 252f..
103
Vgl. BEYWL/ BROMBACH 1982, S. 555f..
104
Vgl. BEYWL/ BROMBACH 1982, S. 557.
105
Vgl. BEYWL/ BROMBACH 1982, S. 557.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
24
erstattung, indem die Erfahrungen und die Bedürfnisse der Betroffenen einbezo-
gen werden. Als vierte substanzielle Kategorie machen BEYWL und BROM-
BACH ein spezifisches Politikverständnis zur Bestimmung der Alternativpresse
aus. Demnach verfügen solche Blätter über ein ,,offenes, basisdemokratisches
und nicht expliziertes Politikverständnis", welches sich zwischen dem Streben
nach persönlicher Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Veränderung wie-
der findet.
106
Ergänzend zu den vier Kategorien kommen Kriterien hinzu, die sich
auf die Unterschiede in der formalen Gestaltung sowie in der inhaltlichen
Schwerpunktsetzung beziehen.
Den neuesten Definitionsversuch für den Begriff der Alternativpresse hat Nadja
BÜTEFÜHR unter Berücksichtigung der Angaben von EURICH vorgenommen.
Ihrer Auffassung nach zählen zur bundesdeutschen Alternativpresse Zeitungen
und Zeitschriften, die seit Beginn der 70er Jahre gegründet worden und entwick-
lungsgeschichtlich in den Kontext der neuen sozialen Bewegungen eingebunden
sind. Zudem grenzen sich Alternativmedien zu etablierten Medien vor allem in
den Bereichen Ökonomie/ Finanzen, Finanzierung, Produktionsweise, Zielset-
zung, journalistisches Selbstverständnis sowie Inhalt und Gestaltung ab.
107
BÜ-
TEFÜHR schließt aus dem Typus der Alternativpresse ausdrücklich solche Pres-
seprodukte aus, ,,die von Parteien, parteiähnlichen Gruppierungen, Verbänden,
verbandsähnlichen Organisationen, etablierten Institutionen (wie zum Beispiel
Kirchen, Schulen, Betrieben, Großverlagen) herausgegeben werden, an instituti-
onell begrenzte Zielgruppen gerichtet sind oder Einschränkungen der Presse-
freiheit unterliegen".
108
Für sie sind Gefangenenzeitschriften deshalb nicht in die
Kategorie der Alternativpresse einzuordnen.
Ähnlich argumentiert WEICHLER, der ebenfalls die Presseprodukte nicht zur
Alternativpresse zählt, ,,die sich nur an eine begrenzte Teilöffentlichkeit richten"
sowie mit Einschränkungen der Pressefreiheit leben müssen.
109
Die Ergebnisse der Befragung, des Leitfadeninterviews und der Inhaltsanalyse
werden zeigen, inwieweit diese Definitionen für die Gefangenenpresse in ihrer
heutigen Form Gültigkeit haben und auf sie anwendbar sind.
106
BEYWL/ BROMBACH 1982, S. 564.
107
Vgl. BÜTEFÜHR 1995, S. 166.
108
BÜTEFÜHR 1995, S. 166.
109
WEICHLER 1983, S. 151f.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
25
4. Die rechtliche Situation von Gefangenenzeitschriften
4.1 Kommunikationskontrolle im Gefängnis
Das Grundrecht auf freie Kommunikation ist durch die Verfassung der Bundes-
republik Deutschland geschützt; es beinhaltet neben der Meinungs- und Informa-
tionsfreiheit auch die Freiheit der Medien. Artikel 5 des Grundgesetzes legt Fol-
gendes fest:
,,Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und
zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unter-
richten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk
und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."
110
Alle Grundrechte ­ somit auch das der Meinungs- und Pressefreiheit - gelten
auch ohne Einschränkung für Strafgefangene. Ein Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichtes vom 14. März 1972 nimmt den Vollzugsbehörden die Befugnis,
,,jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum der Gefangenen (...) unter Berufung auf
das sogenannte besondere Gewaltverhältnis des Strafvollzugs, den Anstalts-
zweck, zu rechtfertigen."
111
Die gesetzlich verankerte Meinungsfreiheit umfasst
neben dem Recht auf Informationsbeschaffung auch das Recht zum Äußern und
Verbreiten der eigenen Meinung sowie die Weitergabe von Informationen. All
diese Voraussetzungen garantieren die Möglichkeit zur freien Meinungs- und
Willensbildung der Öffentlichkeit.
Dieser Prozess soll durch die Medien unterstützt und forciert werden. In einer
repräsentativen Demokratie stehen sie als Kontroll- und Verbindungsorgan zwi-
schen dem Volk und der Regierung und sind Sprachrohr für beide. Die Medien
erfüllen eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem
Interesse Nachrichten beschaffen und verbreiten, Stellung nehmen, Kritik üben
oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirken. Diese dienende
Funktion der Medien als so genannte vierte Gewalt hat das Bundesverfassungs-
gericht in einem Urteil bestätigt.
112
Da ­ wie im Kapitel 13 dargelegt werden wird ­ Gefangenenzeitschriften den
Status eines alternativen Presseproduktes haben, sollten demnach sowohl das
Grundrecht der Pressefreiheit geschützt, als auch die per Bundesverfassungsge-
richt zugewiesene Funktionszuschreibung gewährleistet sein.
Doch in der Praxis ist dem nicht so. Für die Produktion und Publikation von Ge-
fangenenzeitschriften gelten neben oben genannten Regelungen weitere, be-
sondere Rahmenbedingungen, die im Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16.
März 1976 festgeschrieben sind. So wird die Beschaffung von Informationen un-
ter anderem durch § 68 (Zeitungen und Zeitschriften) sowie § 69 (Hörfunk und
110
Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes.
111
Zitiert nach DERLEDER 1974, S. 100.
112
Vgl. BRANAHL 1996, S. 20.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
26
Fernsehen) geregelt. Danach dürfen Gefangene Zeitungen und Zeitschriften ,,in
angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt" beziehen beziehungs-
weise am ,,Hörfunkprogramm der Anstalt sowie am gemeinschaftlichen Fernseh-
empfang teilnehmen". Einzelne Ausgaben oder Teile von Zeitungen oder Zeit-
schriften können dem Gefangenen vorenthalten werden, wenn sie ,,das Ziel des
Vollzugs oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden wür-
den". Zur ,,Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt" kann au-
ßerdem der Radio- und Fernsehempfang für alle oder einzelne Inhaftierte aus-
gesetzt werden.
113
Demzufolge können sich Gefangene zwar relativ einfach Zugang zu Informatio-
nen verschaffen, sie bleiben dabei aber immer abhängig von den Entscheidun-
gen der Vollzugsbeamten. Diese sind verpflichtet, Zeitungen und Zeitschriften
auf ,,konkret vorliegende, erhebliche Gefahren für das Vollzugsziel oder die Ord-
nung und Sicherheit der Anstalt"
114
zu prüfen und gegebenenfalls Teile der
Schriftstücke zu schwärzen oder ganz einzubehalten. Dies ist beispielsweise
möglich, wenn zum Widerstand gegen Vollzugsbeamte aufgerufen wird, Richter
oder Polizeibeamte beleidigt werden oder unmäßig überzogene, bösartige Kritik
an den Vollzugsanstalten geübt wird.
115
Nach WASSERMANNS Aussagen
zeugt diese Handlungsweise häufig von einer ,,Praxis der Unmündigkeit", in der
Gefangene mit ,,autoritären Mitteln" gehalten werden:
,,Aus (§ 68, Anm. d. Verf.) Abs. 2 kann kein Zensurrecht gegenüber unbeque-
men, selbst unsachlichen und ungerechtfertigten Äußerungen abgeleitet werden.
(...) Als grundsätzliche Voraussetzung einer Betroffenen-Partizipation (...) haben
Gefangene ein Recht darauf, über unzumutbare, bedenkliche, veränderungsbe-
dürftige und verbesserungsfähige Verhältnisse (...) unterrichtet zu werden."
116
Eine Aufbewahrung von Zeitungen in einem Archiv ist nicht möglich, diese müs-
sen zurückgegeben und nur einzelne Artikel dürfen behalten werden. Per Gesetz
erlaubt ist die Nutzung einer Anstalts-Bücherei, deren Bestände laut WASSER-
MANN jedoch häufig ,,inhaltlich und äußerlich keinem Leser in öffentlichen Biblio-
theken mehr zugemutet" würden.
117
Die genannten Einschränkungen reduzieren die Möglichkeiten der Informations-
beschaffung erheblich, und das obwohl das Grundrecht auf Informationsfreiheit
für Gefangene von ,,besonderer Bedeutung" ist, da sie durch den Strafvollzug
,,faktisch von zahlreichen Informationsquellen abgeschnitten sind".
118
Ähnliche Regelungen wie für die Beschaffung von Informationen gelten in Ge-
fangenschaft für die Äußerung sowie Verbreitung der eigenen Meinung, die nach
dem Grundgesetz frei möglich sein sollte. So regelt beispielsweise § 31 des
113
StVollzG 1976, § 68, § 69.
114
WASSERMANN 1990, S. 374/19.
115
Vgl. WASSERMANN 1990, S. 375/21.
116
WASSERMANN 1990, S. 375/21.
117
WASSERMANN 1990, S. 366/19.
118
WASSERMANN 1990, S. 377/1.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
27
StVollzG das Anhalten von Schreiben. Demzufolge werden Schriftstücke von
draußen nach drinnen und umgekehrt unter anderem dann aus dem Verkehr
gezogen, wenn sie ,,grob unrichtig oder erheblich entstellende Darstellungen von
Anstaltsverhältnissen" oder auch ,,grobe Beleidigungen"
119
enthalten.
Diese Regelung kann für Gefangenenzeitschriften von erheblicher Bedeutung
sein, da auch sie der Anhaltemöglichkeit ­ und somit der Zensur ­ unterliegen.
Zwar seien Werturteile, Meinungen und kritische Stellungnahmen dem Gefange-
nen grundsätzlich unbenommen, so SCHWIND, doch diese finden ihre Grenzen,
wenn die Wahrung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet ist.
120
Diese Einschätzung der Gefahr wiederum obliegt dem jeweiligen Anstaltsleiter
und damit dem subjektiven Urteilsvermögen einer einzelnen Person. Der Forde-
rung WASSERMANNS, beim Anhalten von Gefangenenpresse großzügig sei-
tens der Anstalt zu sein, da die Zeitschriften für alle Beteiligten eine ,,sinnvolle
Artikulationsmöglichkeit" darstelle, widerspricht SCHWIND energisch.
121
Gerade
weil die Vertreter der Gefangenenpresse in der Öffentlichkeit besondere Glaub-
würdigkeit genössen, könnte seiner Meinung nach eine großzügigere Handha-
bung beim Beurteilen ihrer Schreiben dem Ansehen des Vollzugs und damit dem
Resozialisierungsgedanken erheblich schaden.
122
4.2 Entnahme oder Zensur? Einflussnahme der Anstaltsleitung
Auf dem beschriebenen Recht auf das Anhalten von Schreiben begründet sich
eine Diskussion, die sowohl in der Fachliteratur zum Thema Gefangenenzeit-
schriften als auch in den jeweiligen Vollzugsanstalten immer wieder hitzig und
mit einer Vielzahl von Argumenten geführt wird, aber bis jetzt noch zu keinem
eindeutigen Ergebnis geführt hat. Redakteure von Gefangenenzeitschriften re-
den von ,,Vorzensur" und ,,Zensur", die Leiter der Justizvollzugsanstalten von
,,gebotener Entnahme" - und allen geht es dabei um Textbeiträge oder Karikatu-
ren, die für Ausgaben der Gefangenenzeitschriften geplant sind und dann nicht
veröffentlicht werden.
Dass die Anstaltsleitung in die Redaktionsarbeit der Zeitung eingreift, geschieht
in der Praxis häufig, und die Methoden sind vielfältig. So wird beispielsweise die
Arbeit durch die Verwehrung von Arbeitsmaterialien erschwert, das Berichten
über bestimmte Themen von vornherein untersagt, es werden Artikel geändert
oder gar ganz gestrichen. Ein prominentes Beispiel für die Streichung ganzer
Textstrecken ist die Schwerter Gefangenenzeitschrift kuckucksei, die im August
1993 mit 24 leeren Seiten erschien. Doch auch diese Kenntlichmachung des
Eingriffs seitens der Anstaltsleitung soll unterbunden werden, und so wurde es
119
StVollzG 1976, § 31 (1).
120
Vgl. SCHWIND 1983, S. 169/12.
121
Vgl. WASSERMANN 1990, S. 219/7.
122
Vgl. SCHWIND 1983, S. 167/3.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
28
verboten, ,,Artikel, die der Zensor verändert hatte, nicht zu drucken, sondern de-
monstrativ als weißen Fleck zu belassen."
123
Das Nichterscheinen von Artikeln schränkt zum einen die Informationsfreiheit der
Insassen ein, zum anderen behindert es die freie Meinungsäußerung und wird
daher von vielen Redakteuren von Gefangenenzeitschriften als Zensur angese-
hen. In einer Stellungnahme vom März 1994 bezieht der Petitionsausschuss des
Landtags Nordrhein-Westfalen folgende Position zu dieser Problematik:
,,Die Herausgabe von Gefangenenzeitungen (...) ist eine vollzugliche Aufgabe,
die die in der jeweiligen Anstalt dafür verantwortlichen Bediensteten wahrneh-
men. Die Zeitungen werden daher nicht von den Gefangenen, sondern von den
Anstalten herausgegeben. (...) Ob einzelne Beiträge zum Abdruck gelangen,
liegt in der Entscheidung der Verantwortlichen aufgrund ihrer Richtlinienkompe-
tenz. (...) Die Entscheidung der für die Herausgabe verantwortlichen Anstaltsbe-
diensteten, vorgeschlagene, aber ungeeignete Beiträge vom Abdruck auszu-
nehmen, stellt keine Zensur da."
124
4.2.1 Der Anstaltsleiter als Verleger und Herausgeber
Um diesen Sachverhalt näher beleuchten zu können, müssen zuvor einige Beg-
riffe geklärt werden. Bei von Gefangenen selbstständig hergestellten Zeitschrif-
ten ist, wie bei allen anderen periodischen Druckwerken, unter anderem zwi-
schen folgenden Aufgabenbereichen und damit Rechten und Kompetenzen zu
unterscheiden:
a) Verantwortlicher Redakteur
(Verantwortlicher in Sachen des Presserechts)
b) Verfasser/ Autor
c)
Herausgeber
d)
Verleger.
a) Verantwortlicher Redakteur (Verantwortlicher in Sachen des Presserechts)
Der verantwortliche Redakteur ist der Hauptträger der strafrechtlichen Verant-
wortung. Seine Hauptaufgabe besteht darin, den gesamten zu publizierenden
Stoff auf seine Strafbarkeit hin zu durchsuchen, und gegebenenfalls Beiträge
solchen Inhalts zurückzuweisen. Bei Gefangenenzeitschriften übernehmen häu-
fig der oder die Herausgeber oder die Verfasser die Aufgabe des verantwortli-
chen Redakteurs.
125
123
Zitiert nach VOMMBERG 2000, S. 125.
124
Schreiben der Präsidentin des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1994
(AZ: 1.3-Pet.-Nr. 11/13914). Zitiert nach KOCH/VOMBERG 1997, S. 82f.
125
Alle Definitionen nach DERLEDER 1974, S. 108ff.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
29
b) Verfasser/Autor
Der Verfasser ist der Gestalter des Druckwerks oder eines Teils davon. Er ist
gleichzeitig Urheber im Sinne des Urheberrechts.
c) Herausgeber
Da eine Vielzahl periodischer Druckwerke, so auch die Gefangenenzeitschriften,
aus vielen unterschiedlich langen Einzelbeiträgen verschiedener Verfasser be-
stehen, übernimmt oft ein so genanntes ,,geistiges Oberhaupt" die Leitung und
zeichnet damit als Herausgeber verantwortlich. Dieser hat das Druckwerk zwar
nicht (vollständig) selbst verfasst, hat es aber gesammelt und druckreif gestaltet.
Häufig werden Vereine oder Gesellschaften als Herausgeber genannt, die pres-
serechtliche Verantwortlichkeit kann jedoch nur eine natürliche Person über-
nehmen. Demzufolge kann auch nur ein Anstaltsleiter, nicht aber eine Justizvoll-
zugsanstalt Herausgeber einer Gefangenenzeitschrift sein.
d) Verleger
Verleger im presserechtlichen Sinne ist der Inhaber eines Verlagsunternehmens,
der das Erscheinen und Vertreiben von Druckwerken bewirkt. Er vereinigt somit
kaufmännische und publizistische Aufgaben in sich. Im Selbstverlag erscheint
ein Druckwerk, wenn der Verfasser oder Herausgeber sein Werk ohne Hilfe ei-
nes Fremdverlegers zum Erscheinen und zur Verbreitung bringt.
Nach DERLEDER haben die oben genannten Begriffsbestimmungen weitrei-
chende Folgen für die Produzenten von Gefangenenzeitschriften. So definiert
der Rechtswissenschaftler diese Veröffentlichungen als Druckwerke im Selbst-
verlag, da sie ,,von den Gefangenen in selbständiger Gemeinschaftsarbeit ge-
plant, weitgehend mit eigenen Artikeln gefüllt, (...) kalkuliert, veröffentlicht und
vertrieben" werden, wenn auch unter Inanspruchnahme der Unterstützung von
Vollzugsbediensteten. Somit sei der Vollzugsleiter mitnichten als Verleger anzu-
sehen, da das Erscheinen der Zeitschrift ,,zwar auf seine Zustimmung und För-
derung angewiesen, aber in erster Linie von der Initiative der mitarbeitenden Ge-
fangenen abhängig ist."
126
Diese Auslegung ist von großer Bedeutung, da dem Verleger prinzipiell eine
Richtlinienkompetenz zusteht, die es ihm erlaubt, über Fragen von grundsätzli-
cher Bedeutung für die allgemeine publizistische Haltung der Zeitung zu ent-
scheiden. Wenn nun Anstaltsleiter, nach DERLEDERS Begründung, nicht als
Verleger anzusehen sind, bliebe ihnen damit auch die Richtlinienkompetenz und
somit ein hohes Maß an publizistischem Einfluss verwehrt. Doch in der Praxis
sind bei über der Hälfte der Gefangenenzeitschriften Anstaltsleiter Verleger und
Herausgeber in einer Person.
Als ausschlaggebend in dieser Thematik gilt der bereits erwähnte Erlass des
Justizministeriums Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 1974. Damals wurde
126
DERLEDER 1974, S. 108

Diplomarbeit
Hinter Gittern
30
festgelegt, dass die Anstaltsleitungen in diesem Bundesland als Herausgeber
fungieren müssten.
127
Begründet wurde dies damit, dass laut Gesetz nur der An-
staltsleiter das Gefängnis nach außen vertritt, er die Verantwortung für den ge-
samten Vollzug trägt und somit in bestimmten Fällen verpflichtet sei, in die Tätig-
keit der Gefangenenredakteure einzugreifen".
128
Dies ist dann der Fall, wenn
beispielsweise durch Aufrufe zur Meuterei die Sicherheit der Anstalt gefährdet
oder die geordnete Durchführung des Vollzugs durch herabsetzende Äußerun-
gen über Bedienstete gestört würde. Dies zu verhindern ist nach Auffassung des
Gerichts nur möglich, wenn sich die Anstaltsleitung jede Ausgabe der Gefange-
nenzeitschrift vor ihrer Verbreitung vorlegen lässt.
129
Aus juristischer Sicht ist die Entnahme von Text- oder Bildbeiträgen durch die
Anstaltsleitung und damit Herausgeber also legitim, da es sich bei den inhaltli-
chen Eingriffen lediglich um Selbstbeschränkungen, nicht aber um Pressezensur
handelt. Ein Verstoß gegen das Zensurverbot liegt nämlich nur dann vor, wenn
die zensierende Maßnahme von einer außenstehenden Instanz - was auf den
Herausgeber nicht zutrifft - ausgeübt wird.
130
Doch sowohl nach der Auffassung
betroffener Redakteure als auch Außenstehender sei diese Methode der Ein-
flussnahme nicht vertretbar, da sie einer Nachzensur gleichkomme. Namhafte
Juristen wie FEEST, LESTING und DERLEDER sind der Meinung, dass die hie-
rarchische Organisation, bei der der Anstaltsleiter auch die presserechtliche
Verantwortung übernimmt, nicht zwingend notwendig sei.
131
So würde nach
Auffassung DERLEDERS ein Vollzugsbediensteter seiner Verantwortung nach
dem Strafvollzuggesetz genügen, wenn er eine ausschließlich aus Gefangenen
bestehende Redaktion selbstständig eine Gefangenenzeitschrift herstellen und
verbreiten ließe. Dabei genüge es, wenn er seiner Aufsichtspflicht nur insoweit
nachkäme, indem er die Zeitschrift nach ihrem Erscheinen darauf überprüft, ob
vollzugsrechtliche Maßnahmen gegen strafrechtlich relevante Angriffe auf die
Anstalt zu ergreifen sind.
132
Der Spielraum für die Interpretation der Rechtsauslegung ist für die Anstaltsleiter
sehr groß. Sie können sehr kritische Äußerungen tolerieren und sich gegebenen-
falls auf eine Gegendarstellung beschränken. Andererseits können sie aber auch
mit Hinweis auf die Wahrung von Ordnung und Sicherheit sehr stark in die Re-
daktionsarbeit eingreifen, ohne dafür rechtlich belangt zu werden. Dass sich sol-
che Einmischungen auf die Motivation der Redakteure von Gefangenenzeit-
schriften auswirken, ist nachweisbar. Weit verbreitet ist zum einen die ­ bewuss-
127
Erlass vom 27. März 1974 (AZ: 4564 ­ IV A.9). Abgedruckt in KOCH 1982, S. 118.
128
Vgl. LESTING 1988, S. 180 sowie KOCH 1982, S. 118.
129
Vgl. Erlass vom 27. März 1974 (AZ: 4564 ­ IV A.9). Abgedruckt in KOCH 1982, S.
118.
130
Vgl. LESTING 1988, S. 180.
131
Vgl. LESTING 1988, S. 180 sowie DERLEDER 1974, S. 107.
132
Vgl. DERLEDER 1974, S. 107.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
31
te oder unbewusste ­ Selbstzensur; die ,,Schere im Kopf" lässt viele Mitarbeiter
bestimmte Themen von vornherein ausschließen.
133
Zum anderen reichen der
Mut und die Energie zum Aufstand gegen die Anstaltsbeamten oft nicht aus, und
zahlreiche Gefangenenzeitschriften wurden und werden wegen anhaltender Re-
pressalien eingestellt.
Inwiefern sich ihre Arbeit trotzdem lohnt und Sinn macht, fragen sich viele Ge-
fangenenredakteure. § 160 des Strafvollzugsgesetzes ermöglicht es Inhaftierten,
,,an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzu-
nehmen".
134
Doch wie ein Gefangener in den Aufzeichnungen von KOCH/
LINDTKE sehr drastisch beschreibt, ist diese Gefangenenmitverantwortung oft-
mals ,,nur ein Instrument, das uns dazu bringt, den Zustand, den wir erleiden, zu
bejahen, indem wir Blumen um die Peitsche winden, die uns den Rücken zer-
fleischt".
135
Nach Ansicht von KOCH wird der Strafvollzug dem Gesetzgebot der
Resozialisierung nicht gerecht. Von einer Angleichung des Lebens im Vollzug an
die allgemeinen Lebensverhältnisse, festgeschrieben im § 3 des Strafvollzugs-
gesetzes, könne kaum die Rede sein. ,,Der hohe Prozentsatz von Rückfälligkeit
zeigt, dass die Gefangenen nicht nur nicht in das Leben neu oder wieder einge-
gliedert werden, sondern dass sie im Gegenteil sogar verstärkt von ihm ausge-
schlossen werden."
136
Und das, obwohl die Vorbereitung auf ein Leben in sozia-
ler Verantwortung gerade durch Einrichtungen wie Gefangenenzeitschriftredakti-
onen unterstützt werden könnte.
Nach der Ansicht von Helmut KOCH, Leiter der Arbeitsgruppe Randgruppenlite-
ratur/-kultur an der Universität Münster, können Gefangenenzeitschriften ein
hervorragendes Mittel darstellen, ,,verantwortlich und produktiv zu handeln und
sich in einen knastinternen und -externen Diskurs zu integrieren". Doch eine Un-
terdrückung der freien Meinungsäußerung bedeutet, dass die Redaktionstätigkeit
lediglich eine ,,knastinterne Spielwiese" ist.
137
Einen kleinen Schritt in Richtung Normalität versuchen zahlreiche Redaktionen
von Gefangenenzeitschriften zu gehen, indem sie sich mit den Justizbeamten
auf so genannte Redaktionsstatute einigen. Die zwischen beiden Seiten ausge-
handelten Regelungen räumen den Redakteuren eine innere Pressefreiheit ein
und bieten somit einen gewissen Schutz gegen Einflussnahme des Herausge-
bers. Auch die Gestaltung der Redaktionsarbeit sowie ethische Fragen werden
häufig per Statut geklärt. Unter Berufung auf § 3 des Strafvollzugsgesetzes for-
dert LESTING solche Statute als Grundlage jeder Redaktionsarbeit.
138
133
Vgl. Kapitel 10 und 12.
134
StVollzG 1976, § 160.
135
Zitiert nach KOCH 1982, S. 119.
136
KOCH 1982, S. 119, vgl. dazu auch LESTING 1988, S. 183.
137
KOCH 1997, www.humanistische-
union.de/hu/10publikationenordner/grundrechte_report1997/16.htm, 25.7.2002.
138
Vgl. LESTING 1988, S. 183.

Diplomarbeit
Hinter Gittern
32
4.3 Zensurfälle in der Praxis
Doch auch die soeben beschriebene Anlehnung an den normalen presserechtli-
chen Status bietet noch keine Garantie für eine ungestörte Redaktionsarbeit. So
wurde beispielsweise die Gefangenenzeitschrift Blitzlicht aus Berlin-Moabit Ende
der 80er Jahre ,,unter Bruch von Statuten, durch die sie 1980 durch den damali-
gen Justizsenator vertraglich abgesichert wurde", von der Anstaltsleitung aufge-
löst.
139
Der laut KOCH ,,spektakulärste Fall von Zensur in den letzten Jahren" ereignete
sich um die Gefangenenzeitschrift kuckucksei aus der Justizvollzugsanstalt
Schwerte.
140
Das Blatt war 1981 gegründet worden, hatte zeitweise eine Auflage
von 2.000 Exemplaren. Die Redaktion hatte, so KOCH, einen sehr guten Ruf,
,,nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte vielerlei Missstände im deutschen
Strafvollzug". So wurde unter anderem im März 1993 ein offener Brief an den
Ministerpräsidenten Johannes Rau verfasst, der von über 200 Gefangenen un-
terzeichnet war. Darin fand sich unter anderem folgende Kritik: ,,Was in der JVA
Schwerte und in allen NRW-Strafanstalten zurzeit stattfindet, ist eine in dem
Ausmaß unbegründete Säuberungsaktion, ist eine Vernichtung von Resozialisie-
rungsansätzen unter einem jungen, unzulänglichen Strafvollzugsgesetz."
141
Diese deutliche Kritik am Strafvollzug, die im Einzelnen von Gefangenen mit
Fakten und Beispielen belegt worden war, sowie die Forderung nach dem Rück-
tritt des Ministers bedeuteten das Ende für die damalige Redaktion. Zunächst
wurde dem Anstaltsleiter, der die Kritik toleriert hatte, die Herausgeberschaft
entzogen, kurz darauf wurde er wegen dienstinterner Vorgänge versetzt. Die
nächste Nummer der Zeitschrift, herausgegeben von der stellvertretenden An-
staltsleiterin und der Justizbehörde, erschien nach mehrmaliger Vorzensur ver-
spätet und mit 24 leeren Seiten. Nach weiteren Diskussionen und Querelen zwi-
schen Beamten und Inhaftierten wurde schließlich die gesamte Redaktion des
kuckucksei ausgewechselt.
In Anbetracht der beschriebenen Rechtslage und dem Missverhältnis zur Praxis
bleibt den Inhaftierten häufig nur die Möglichkeit, verschiedene Möglichkeiten,
sich gegen die Zensur zur Wehr zu setzen, auszutesten. Die Redaktion des
Blickpunkts aus Hamburg beispielsweise veröffentlichte in ihrer Januarausgabe
von 1998 anstelle eines verbotenen Artikels einen entsprechenden Hinweis. Un-
ter der Überschrift ,,...denn sie wissen, was sie tun!" fand sich der Satz ,,Der hier
vorgesehene Beitrag von Herrn Kardel wurde vom Herausgeber untersagt. Sie
erreichen den Autor über folgende Anschrift: (...)."
142
139
LESTING 1988, S. 183.
140
KOCH 1997, www.humanistische-
union.de/hu/10publikationenordner/grundrechte_report1997/16.htm, 25.7.2002.
141
KOCH 1997, www.humanistische-
union.de/hu/10publikationenordner/grundrechte_report1997/16.htm, 25.7.2002.
142
Zitiert nach LESTING 1988, S. 183.

Diplomarbeit Hinter
Gittern
34
II: Empirischer Teil
5. Verwendete Methoden
Ein umfassendes Bild über Gefangenenzeitschriften lässt sich nur durch den
Einsatz verschiedener Untersuchungsmethoden gewinnen. Die Kombination ver-
schiedener empirischer Methoden ist nach FRIEDRICHS möglich.
1
Auch
SCHEUCH schreibt, dass Methodenkombinationen mit zunehmender Komplexi-
tät von Problemformulierungen wichtiger werden.
2
Um nicht der Gefahr zu erlie-
gen, den Forschungsgegenstand einseitig von einer Außenperspektive darzu-
stellen und zu analysieren, beruht die Konzeption der vorliegenden Studie auf
einem Drei-Methoden-Ansatz, der sowohl die schriftliche Befragung als auch
Leitfadeninterviews und eine Inhaltsanalyse heranzieht.
Die Inhaltsanalyse bietet sich an, um die formalen und inhaltlichen Aspekte der
Gefangenenzeitschriften zu erfassen. Um auch die Aspekte zu untersuchen, die
einer quantifizierend ausgerichteten Materialuntersuchung verschlossen bleiben,
wird dieser Ansatz durch die Methode der Leitfadeninterviews ergänzt. Durch die
persönliche Befragung von Redakteuren von Gefangenenzeitschriften soll her-
ausgefunden werden, welche Ansprüche an die Zeitungsarbeit hinter Gittern ge-
stellt werden. Da die Leitfadeninterviews aus zeitlichen, finanziellen und organi-
satorischen Gründen nur in beschränkter Anzahl möglich sind, wurde für die Ge-
samtheit aller zu untersuchenden Zeitschriften die Methode der schriftlichen Be-
fragung durch einen standardisierten Fragebogen ausgewählt.
Hierbei ist zu beachten, dass sowohl die schriftliche Befragung als auch die Leit-
fadeninterviews in einem geschlossenen System, nämlich der jeweiligen Justiz-
vollzugsanstalt, durchgeführt wurden. Diese besondere Situation schafft eine ge-
nerelle Unsicherheit bezüglich der Ergebnisse, da nicht absehbar ist, inwieweit
die gemachten Aussagen einer Kontrolle seitens der Anstalt unterliegen. Dies gilt
für alle Fragebögen der schriftlichen Befragung; hier besteht das Risiko, dass
Redakteure, die die Fragebögen nach der Beantwortung noch einmal bei An-
staltsbediensteten vorlegen müssen, eventuell manche Fragen gar nicht oder
falsch beantworten. Dies kann geschehen, um sich selbst und der Zeitschrift kei-
nen Schaden zuzufügen, oder um ein Zurückhalten des Bogens zu verhindern.
Eines der drei Leitfadeninterviews zudem muss im Beisein von Vollzugsbeamten
geführt werden, was ebenfalls Verzerrungen im Antwortverhalten erwarten lässt.
Dieses systematischen Fehlers ist sich die Verfasserin der Arbeit bewusst; ob
und in welcher Weise diese Umstände die Ergebnisse tatsächlich beeinflusst
haben, wird bei der Auswertung der Daten diskutiert werden.
Im folgenden Abschnitt der Arbeit werden die drei verwendeten wissenschaftli-
chen Methoden vorgestellt und näher erläutert.
1
Vgl. FRIEDRICHS 1990, S. 189.
2
Vgl. SCHEUCH 1973, S. 66.

Diplomarbeit Hinter
Gittern
35
6. Die Befragung
Mit Hilfe der Befragung werden individuelle Daten gesammelt. Bei diesen Daten
handelt es sich um subjektive oder objektive Tatbestände, die nicht nur zur De-
skription, sondern auch zur Entdeckung oder Prüfung von Zusammenhängen
verwendet werden können. Die Befragung ist die ,,wohl am häufigsten ange-
wandte sozial-wissenschaftliche Forschungsmethode"
3
, da sie ­ im Gegensatz
zu anderen Methoden der direkten Datenerhebung ­ schneller, billiger und ein-
facher zu handhaben ist. Für DIEKMANN ist die Befragung zur Erhebung sozial-
statistischer Daten sowie zur Erforschung von Einstellungen und Meinungen ,,un-
verzichtbar".
4
Nach SCHEUCH werden Befragungen durchgeführt, ,,wenn für alltägliche Vor-
gänge in einem Bereich ein Defizit an deskriptivem Wissen erkannt wird".
5
Er de-
finiert daher das Interview als ,,planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher
Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen o-
der mitgeteilter Stimuli zu verbalen Informationen veranlaßt werden soll".
6
In der Sozialforschung existieren verschiedene Arten der Befragung, die je nach
Forschungsinteresse und Kenntnisstand angewandt werden. DIEKMANN unter-
scheidet zwischen dem persönlichen Interview (,,Face-to-face"-Interview), dem
telefonischen Interview und der schriftlichen Befragung (,,questionnaire").
7
Ferner
können Befragungen nach dem Grad der Strukturierung oder Standardisierung
unterschieden werden. Bei vollständig strukturierten Interviews werden ,,a) alle
Fragen mit b) vorgegebenen Antwortkategorien in c) festgelegter Reihenfolge
gestellt", offene Interviews dagegen fordern nur minimal formale Vorgaben und
können relativ frei dem Gesprächsverlauf überlassen werden.
8
Im Folgenden soll auf die schriftliche Befragung etwas näher eingegangen und
begründet werden, warum sich die Verfasserin für diese Forschungsmethode zur
Informationsgewinnung entschieden hat.
6.1 Theoretische Grundlagen und Voraussetzungen
Eine mögliche Form der schriftlichen Befragung ist die mittels standardisiertem
oder halbstandardisiertem Fragebogen. Dabei werden den zu Befragenden Fra-
gebögen mit ausformulierten, in einer bestimmten Reihenfolge angeordneten
Fragen zugeschickt, mit der Bitte, diese zu beantworten und zurückzusenden.
Die Voraussetzung für das Anwenden dieser Methode ist deshalb, dass eine
möglichst aktuelle Adressenkartei vorliegt. Bei der vorliegenden Studie ist dies
3
MAYNTZ 1978, S. 103.
4
DIEKMANN 1995, S. 371.
5
SCHEUCH 1973, S. 67.
6
SCHEUCH 1973, S. 70f.
7
DIEKMANN 1995, S. 373.
8
DIEKMANN 1995, S. 374.

Diplomarbeit Hinter
Gittern
36
der Fall, eine Adressliste der Gefangenenzeitschriften in Deutschland liegt vor.
Sie wurde aus Angaben der Dokumentationsstelle Münster, des Bundesjustizmi-
nisteriums sowie aus dem Internet zusammengestellt und entspricht nach Wis-
sen der Autorin dem neuesten Stand. Eine Einschränkung der Aktualität kann
sich, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, durch die hohe Fluktuation der Titel
ergeben.
Schriftliche Befragungen mit standardisiertem Fragebogen haben den Vorteil,
dass allen Befragten alle Fragen vorliegen und die Fragestellung nicht verändert
wird. Dies garantiert die Vergleichbarkeit der Antworten und damit die Quantifi-
zierbarkeit der Ergebnisse.
9
6.2 Ziele und Vorgehensweise
Ziel der schriftlichen Befragung war es, genauere Kenntnisse über die Konzepte
von Gefangenenzeitschriften sowie über deren Herausgeber, Redakteure und
Leser zu erhalten. Dies war wichtig, um einen Überblick über die aktuelle Situati-
on in Deutschland zu erhalten, außerdem erwiesen sich die so gewonnenen In-
formationen als nützlich in Bezug auf die Inhaltsanalyse der ausgewählten Zeit-
schriften und somit auf ihre Einordnung in journalistische Konzepte.
Die Erhebung der Daten durch einen Fragebogen war zudem eine unerlässliche
Voraussetzung für die später stattfindenden Leitfadeninterviews, diese Feststel-
lung trifft auch FRIEDRICHS in seinen Studien: ,,Vor jedem Intensivinterview
dürfte eine Kenntnis des Befragten erforderlich sein, sei es aus Akten, früheren
Gesprächen, (oder) einem standardisierten Interview." Zudem weist er darauf
hin, dass bei einer hinsichtlich des Themas homogenen Gruppe - und eine sol-
che liegt in diesem Fall vor - die schriftliche Befragung ,,gewiß gut verwendbar"
sei.
10
Beide Feststellungen bestätigen die Vorgehensweise der Verfasserin, zu-
nächst einmal eine schriftliche Befragung sowie eine Inhaltsanalyse durchzufüh-
ren, und erst dann, zur Prüfung und Vertiefung der Ergebnisse, Leitfadeninter-
views durchzuführen.
Voraussetzung für das Gelingen der schriftlichen Befragung ist ein klar durch-
dachter und somit leicht verständlicher Fragebogen, der ohne zusätzliche Erläu-
terungen auskommt. Dies bezieht sich einerseits auf den Aufbau des Fragebo-
gens: Er sollte in thematische Blöcke (Module) gegliedert sein und sich eng auf
das Gesamtthema der Studie beziehen. Des Weiteren ist es sinnvoll, ihn kurz zu
fassen, um zu vermeiden, dass die Befragten aufgrund des Umfangs abge-
schreckt werden. Ebenfalls sinnvoll ist ein Wechsel von offenen und geschlosse-
nen Fragen. Die Mehrzahl der Fragen sollte geschlossen sein. Grund dafür ist
erstens, dass sie durch die Antwortvorgaben mit geringem Aufwand auswertbar
9
Vgl. MAYNTZ 1987, S. 104.
10
FRIEDRICHS 1982, S. 227f.

Diplomarbeit Hinter
Gittern
37
und leichter vergleichbar sind. Zweitens erfordert die Beantwortung geschlosse-
ner Fragen vom Interviewten einen relativ geringen Zeitaufwand. Außerdem sind
sie für Befragte mit Verbalisierungsproblemen weniger schwierig beantwortbar,
da kein selbst formulierter Text niedergeschrieben werden muss.
Offene Fragen wiederum ermöglichen dem Befragten ausführlichere Aussagen
und können genutzt werden, um einer Ermüdung nach einer Reihe von ge-
schlossenen Fragen vorzubeugen. Auf die einzelnen Fragearten wird bei der
Vorstellung des Fragebogens noch näher eingegangen.
Außer der formalen Gestaltung hat auch der Inhalt des Fragebogens einen gro-
ßen Einfluss auf die Rücklaufquote. So sollten die Fragen kurz und verständlich
formuliert sein, ohne sich in Dialekt oder Umgangssprache beim Befragten ,,an-
biedern" zu wollen. Ebenso zu vermeiden sind stark wertbesetzte Begriffe und
Formulierungen sowie mehrdimensionale Fragen, indirekte Fragen und Sugges-
tivfragen.
11
6.3 Vor- und Nachteile der schriftlichen Befragung
In der wissenschaftlichen Literatur werden fast übereinstimmend folgende Vortei-
le der schriftlichen Befragung genannt:
- Zeitaufwand und Kosten für die Befragung sind relativ gering.
- Auch geographisch verstreute Personen können gut befragt werden.
- Die Fragen können besser durchdacht werden, für Antworten bleibt
mehr Zeit.
12
- Der Interviewer hat keinen, eventuell störenden oder verzerrenden, Einfluss
auf das Interview.
13
Hierzu ist anzumerken, dass der Kostenaufwand für professionelle Forschungs-
institute möglicherweise eine zu vernachlässigende Größe darstellt. Im Rahmen
der vorliegenden Studie fiel dieser Aspekt jedoch unter die Nachteile der schrift-
lichen Befragung, da sowohl die Aussendung der Fragebögen als auch die 2.
und 3. Welle (telefonische Nachfrage und Erinnerung) einen nicht unerheblichen
finanziellen Aufwand bedeuteten.
Als Nachteile der schriftlichen Befragung werden in der Regel folgende Faktoren
genannt:
- Es besteht die Gefahr einer niedrigen Rücklaufquote, was auf die größere
Anonymität und das Fehlen eines Interviewers zurückgeführt werden
kann.
14
11
Vgl. DIEKMANN 1995, S. 412ff., FRIEDRICHS 1990, S. 237f.
12
Ob dadurch auch durchdachtere und gültigere Antworten als im Interview gegeben
werden, ist in der Wissenschaft umstritten.
13
Vgl. FRIEDRICHS 1982, S. 237, SCHEUCH 1973, S. 124f. sowie MAYNTZ 1978, S.
104.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832475871
ISBN (Paperback)
9783838675879
DOI
10.3239/9783832475871
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – unbekannt, Kommunikations- und Medienwissenschaft
Erscheinungsdatum
2004 (Januar)
Note
2,0
Schlagworte
gefängnispresse knastzeitung alternativpresse
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Titel: Hinter Gittern - Gefangenenzeitschriften in Deutschland
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