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Risikoselektion als Folge von Einkaufsmodellen im deutschen Gesundheitswesen

Instrumente, Indikatoren, Nachweis und Möglichkeiten zur Verhinderung der Risikoselektion

©2003 Doktorarbeit / Dissertation 174 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
In Kapitel 2 wird zunächst eine Übersicht über das deutsche Gesundheitswesen gegeben, zu dessen wichtigsten Charakteristika das Solidaritätsprinzip, die prinzipielle Krankenversicherungspflicht sowie paritätische Finanzierung der Krankenversicherung, die freie Arztwahl und die Selbstverwaltung in vielen Bereichen zählen. Zu den Selbstverwaltungspartnern gehören die rund 350 gesetzlichen Krankenversicherungen, in denen knapp 90% der Bevölkerung versichert sind, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhausgesellschaften. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Spitzenorganisation, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, stellen die ambulante ärztliche Versorgung sicher, wofür sie eine befreiende Zahlung von den gesetzlichen Krankenversicherungen erhalten. In den Krankenhäusern erfolgt die stationäre Versorgung der Patienten, eine ambulante Versorgung ist, abgesehen von Notfällen, im Prinzip nicht vorgesehen. Die Vergütung der stationären Leistungen erfolgt derzeit überwiegend mittels tagesgleichen Pflegesätzen, daneben kommen Fallpauschalen und Sonderentgelte in ausgewählten Beeichen zur Anwendung. Diese Vergütung wird schrittweise ab 2003 auf diagnoseorientierte Fallpauschalen, die Diagnosis Related Groups, umgestellt. Für die gesetzliche Krankenkassen besteht Kontrahierungszwang bezüglich der Versicherten, aber auch – von wenige Ausnahmen abgesehen – mit den zugelassenen Leistungsanbietern.
Die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens basiert überwiegend auf den gesetzlichen Krankenkassen und den übrigen Sozialversicherungszweigen. Daneben wird ein nicht unerheblicher Anteil auch von den privaten und öffentlichen Haushalten sowie den privaten Krankenversicherungen getragen. Im Ausgabenbereich stellt die stationäre Versorgung den größten Kostenblock vor der ambulanten ärztlichen Leistungserbringung und der Arzneimittelversorgung dar.
Der Risikostrukturausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenversicherungen soll die krankheitsbedingten Unterschiede in den Leistungsausgaben nivellieren, wozu er derzeit das Alter, das Geschlecht, den Bezug einer Invaliditätsrente sowie das Einkommen und den Krankengeldanspruch berücksichtigt. Diese Ausgleichssystematik soll bis 2007 stärker morbiditätsorientiert gestaltet werden.
Die Disease-Management-Programme wurden 2002 in das Sozialgesetzbuch aufgenommen mit dem Ziel, die Versorgung chronisch Kranker zu verbessern. Damit die dafür notwendigen erhöhten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7574
Knüppel, Dirk: Risikoselektion als Folge von Einkaufsmodellen im deutschen
Gesundheitswesen - Instrumente, Indikatoren, Nachweis und Möglichkeiten zur
Verhinderung der Risikoselektion
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Technische Universität Darmstadt, Technische Universität,
Dissertation/Doktorarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis... I
Tabellenverzeichnis... II
Abkürzungsverzeichnis... III
1. Einleitung ... 1
2. Das deutsche Gesundheitswesen... 2
2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens... 2
2.1.1 Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens ... 2
2.1.2 Versicherungsträger und Finanzierung... 4
2.1.2.1 Die gesetzliche Krankenversicherung ...4
2.1.2.2 Die private Krankenversicherung ...7
2.1.2.3 Weitere Kostenträger...9
2.1.2.4 Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens ...10
2.1.3 Leistungserbringer, weitere Institutionen und Ausgaben ... 11
2.1.3.1 Krankenhäuser ...11
2.1.3.2 Niedergelassene Vertragsärzte ...14
2.1.3.3 Weitere Institutionen...18
2.1.3.4 Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen ...22
2.2 Der Risikostrukturausgleich ... 24
2.2.1 Entwicklung und Ziele des RSA... 24
2.2.2 Berechnung des RSA ... 25
2.2.3 Kritik am RSA ... 27
2.2.4 Weiterentwicklung des RSA ... 28
2.3 Die Disease-Management-Programme... 32
2.3.1 Ziele der DMP... 32
2.3.2 Entwicklung der DMP ... 33
3. Einkaufsmodelle ... 38
3.1 Formen und Voraussetzungen der Einkaufsmodelle ... 39
3.1.1 Formen der Einkaufsmodelle... 39
3.1.1.1 Leistungsvergütung im Einkaufsmodell ...39
3.1.1.2 Eingriffsrechte der Kostenträger im Einkaufsmodell...40
3.1.1.3 Beschränkung der Patientenrechte im Einkaufsmodell ...41
3.1.1.4 Einkaufsmodell und Sicherstellungsauftrag...41
3.1.2 Voraussetzungen der Einkaufsmodelle ... 42
3.1.2.1 Wettbewerbliche Grundorientierung des Gesundheitswesens...42
3.1.2.2 Ausreichende Anzahl der Beteiligten...44
3.1.2.3 Gruppenbildung auf Seiten der Leistungsanbieter und der Krankenkassen ..44
3.1.2.4 Funktionierender RSA ...45

Inhaltsverzeichnis
3.1.2.5 Transparenz für alle Beteiligten...46
3.1.2.6 Gesetzliche Grundlagen ...46
3.1.2.7 Festlegung des Leistungskataloges ...51
3.2 Argumente für und gegen die Einführung von Einkaufsmodellen ... 53
3.2.1 Argumente der Befürworter ... 53
3.2.2 Argumente der Gegner... 55
3.3 Mögliche Folgen der Einführung von Einkaufsmodellen ... 57
3.3.1 Mögliche Folgen für die Krankenkassen... 57
3.3.2 Mögliche Folgen für die Leistungsanbieter ... 61
3.3.3 Mögliche Folgen für die Versicherten ... 63
4. Fragestellung ... 65
5. Risikoselektion ... 66
5.1 Grundlagen und Beweggründe der Risikoselektion ... 67
5.1.1 Theoretische Grundlagen der Risikoselektion ... 67
5.1.2 Beweggründe für Risikoselektion ... 73
5.2 Formen und Instrumente der Risikoselektion... 74
5.2.1 Unterscheidung nach Auswahl der Risiken ... 74
5.2.1.1 Positive Risikoselektion ...75
5.2.1.2 Negative Risikoselektion ...75
5.2.2 Unterscheidung nach Aktivitäten der Risikoselektion ... 75
5.2.2.1 Aktive Risikoselektion...75
5.2.2.2 Passive Risikoselektion ...76
5.2.3 Instrumente zur Risikoselektion... 76
5.2.3.1 Aktive positive Instrumente...76
5.2.3.2 Aktive negative Instrumente ...81
5.3 Indikatoren der Risikoselektion ... 86
5.3.1 Wirtschaftliche Kennzahlen ... 86
5.3.2. Versichertenbezogene Merkmale ... 90
5.3.2.1 Merkmale zur indirekten Erfassung der Morbidität ...91
5.3.2.2 Diagnosebasierte Patientenklassifikationssysteme...96
5.3.2.3 Komplexe Merkmale...102
5.3.3 Möglichkeiten der Krankenkassen zum Einsatz der Indikatoren ... 104
5.3.3.1 Einsatz der Indikatoren zur Risikoselektion unter Bestandsversicherten ...104
5.3.3.2 Einsatz der Indikatoren zur Risikoselektion unter Versicherten anderer
Krankenkassen...115
5.3.4 Nachweismöglichkeiten der Risikoselektion ... 118
5.3.4.1 Nachweis des Einsatzes der Instrumente zur positiven Risikoselektion ...118
5.3.4.2 Nachweis des Einsatzes der Instrumente zur negativen Risikoselektion...121
5.3.4.3 Nachweis der Wanderungsbewegungen der Versicherten ...123
5.4. Mögliche Folgen der Risikoselektion... 126
5.4.1 Mögliche Folgen für die Krankenkassen... 126

Inhaltsverzeichnis
5.4.2 Mögliche Folgen für die Leistungserbringer... 127
5.4.3 Mögliche Folgen für die Versicherten ... 128
5.4.4 Mögliche Folgen für das Gesundheitswesen... 129
5.5 Erfahrungen mit Einkaufsmodellen und Risikoselektion in den...
USA... 132
6. Möglichkeiten zur Verhinderung der Risikoselektion ... 136
6.1 Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle ... 137
6.2 Kontrolle durch bestehende Organisationen ... 139
6.2.1 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen ...
Krankenkassen... 139
6.2.2 Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen... 140
6.2.3 Kassenärztliche Bundesvereinigung... 140
6.2.4 Bundesgesundheitsministerium und nachgeordnete Behörden ... 142
6.3 Kontrolle durch eine neu zu schaffende Organisation... 143
6.4 Systementwicklung ... 144
7. Schlussfolgerungen ... 146
8. Zusammenfassung... 147
Literaturverzeichnis ... 150
Lebenslauf ... 162

Abbildungsverzeichnis
I
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1
Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens
Abb. 2
Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger 2000
Abb. 3
Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens
Abb. 4
Die Beziehungen zwischen den Beteiligten der ambulanten Versorgung
Abb. 5
Die organisatorischen Beziehungen der Hauptakteure im deutschen
Gesundheitswesen
Abb. 6
Ausgaben der GKV nach Leistungsart
Abb. 7
Funktionsweise des RSA
Abb. 8
Formales Verfahren zur Entwicklung von Disease-Management-
Programmen
Abb. 9
Zusammenhang zwischen niedrigem Beitragssatz und Attrahierung gu-
ter Risiken

Tabellenverzeichnis
II
Tabellenverzeichnis
Tab. 1
Anzahl der Versicherten in der GKV nach Versichertenstatus
Tab. 2
Krankenhäuser in Deutschland 2001
Tab. 3
Berufstätige Ärzte in Deutschland 2002
Tab. 4
Voraussetzungen der Einkaufsmodelle und ihr Erfüllungsgrad
Tab. 5
Übersicht über die Instrumente zur positiven Risikoselektion und deren
Einsatzmöglichkeiten
Tab. 6
Übersicht über die Instrumente zur negativen Risikoselektion und deren
Einsatzmöglichkeiten
Tab. 7
Diagnosebasierte Patientenklassifikationssysteme und ihre Erklärungs-
kraft der Kostenvarianz
Tab. 8
Verfügbarkeit und Eignung der Kennzahlen zur Risikoselektion unter
Bestandsversicherten
Tab. 9
Verfügbarkeit und Eignung versichertenbezogener Merkmale der
indirekten Beschreibung der Morbidität zur Risikoselektion unter Be-
standsversicherten
Tab. 10
Systeme der direkten Beschreibung der Morbidität und ihre Verfügbar-
keit sowie Eignung zur Risikoselektion
Tab. 11
Nachweisbarkeit der Instrumente zur positiven Risikoselektion
Tab. 12
Nachweisbarkeit der Instrumente zur negativen Risikoselektion

Abkürzungsverzeichnis
III
Abkürzungsverzeichnis
ABS
Ausgleichsbedarfssatz
ACG
Adjusted Clinical Groups
AEV
Arbeiter-Ersatzkassen-Verband
AKV
Allgemeine
Krankenversicherung
AOK
Allgemeine
Ortskrankenkasse
AR-DRG
Australian-Refined Diagnosis-Related Group
BÄK
Bundesärztekammer
BGBl
Bundesgesetzblatt
BKK
Betriebskrankenkasse
BMG
Bundesministerium für Gesundheit
BMGS
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
BSSichG Beitragssatzsicherungsgesetz
BT
Bundestag
CMI
Case Mix Index
DÄ
Deutsches
Ärzteblatt
DCG
Diagnostic Cost Groups
DKG
Deutsche Krankenhausgesellschaft
DM
Disease
Management
DMP
Disease-Management-Programme
DRG
Diagnosis-Related Group
DS
Disease
Staging
EBM
Einheitlicher Bewertungsmaßstab
EOG
Europäisches Observatorium für Gesundheitssysteme
FP
Fallpauschale
FR
Frankfurter Rundschau
GEK
Gmünder
Ersatzkasse
GKV
Gesetzliche
Krankenversicherung
GKV-NOG Gesetzliche
Krankenversicherung-Neuordnungsgesetz
GSG
Gesundheitsstrukturgesetz
HCC
Hierarchical Condition Categories
HMO
Health Maintenance Organizations
HVM
Honorarverteilungsmaßstab

Abkürzungsverzeichnis
IV
ICD
International Classification of Diseases
ICD-9-CM
International Classification of Diseaes, 9. Ausgabe, Clinical Modifikation
IGES
Institut für Gesundheits- und Sozialforschung
IKK
Innungskrankenkasse
KBV
Kassenärztliche
Bundesvereinigung
KHG
Krankenhausfinanzierungsgesetz
KV
Kassenärztliche
Vereinigung
KVdR
Krankenversicherung der Rentner
KVN
Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
KVNW
Kassenärztliche Vereinigung Nord-Württemberg
KVSA
Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
KZV
Kassenzahnärztliche
Vereinigung
LKK
Landwirtschaftliche
Krankenkasse
MCO
Managed Care Organisation
MDK
Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
PCG
Pharmaceutical Cost Groups
PKV
Private
Krankenversicherung
PV
Pflegeversicherung
RSA
Risikostrukturausgleich
RSAV
Risikostruktur-Ausgleichsverordnung
RV
Rentenversicherung
SE
Sonderentgelt
SGB V
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
SOEP
Sozio-ökonomisches Panel
SVRG
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
SVRW
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung
TK Techniker
Krankenkasse
UV
Unfallversicherung
VdAK
Verband der Angestellten-Krankenkassen
WHO
World Health Organisation
ZE
Zahnersatz

1. Einleitung
1
1. Einleitung
Das deutsche Gesundheitswesen zeichnet sich einerseits durch eine Vielzahl starrer
Regeln aus. Zu nennen ist hier unter anderem der Kontrahierungszwang, also eine
Einschränkung der Vertragsfreiheit der Krankenkassen dadurch, dass sie beispiels-
weise im ambulanten Bereich bisher nur mit den Kassenärztlichen Vereinigungen
Verträge abschließen durften. Andererseits wurde zwischenzeitlich eine nicht uner-
hebliche Anzahl an Ausnahmen von den starren Regeln geschaffen. Zu diesen Aus-
nahmen ist z.B. die integrierte Versorgung zu zählen, in deren Rahmen Direktverträ-
ge zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern möglich sind.
Diese Direktverträge, auch Einkaufsmodelle genannt, können in den derzeit im Auf-
bau befindlichen Disease-Management-Programmen eingesetzt werden. Aufgrund
des Datenaustausches zwischen den Krankenkassen und den Leistungsanbietern,
insbesondere den niedergelassenen Vertragsärzten, erhalten die Krankenkassen in
diesen Programmen und Einkaufsmodellen allgemein weitaus mehr und detailliertere
Informationen über ihre Versicherten als bisher. Insbesondere sind hier Diagnose-
und Kostendaten aus dem ambulanten Bereich zu nennen.
Krankenkassen können diese Daten versichertenbezogen aggregieren und somit
Profile ihrer Versicherten erstellen, die eine Unterscheidung nach Kostengesichts-
punkten zulassen. Wird diese Differenzierung der Versicherten zur Beeinflussung
ihrer Kassenwahlentscheidung genutzt, so spricht man von Risikoselektion.
Die vorliegende Arbeit beschreibt zunächst das deutsche Gesundheitswesen, um
dann darzulegen, dass bereits jetzt die gesetzlichen Grundlagen und Voraussetzun-
gen existieren, um Einkaufsmodelle umzusetzen. Es wird dargestellt, dass diese
Grundlagen und Voraussetzungen aufgrund der von verschiedenen Seiten ­ u.a.
Politik, Wissenschaft und Krankenkassen ­ geforderten Erweiterung der Möglichkei-
ten zum Abschluss von Direktverträgen noch ausgebaut werden. Im nächsten Schritt
wird aufgezeigt, dass Einkaufsmodelle die Gefahr der Risikoselektion beinhalten und
sich diese Gefahr im Vergleich zu den derzeitigen Kollektivverträgen deutlich erhöht.
Anschließend erfolgt eine umfassende Darstellung der zur differenzierten Auswahl
der Versicherten geeigneten Instrumente sowie der zur Unterscheidung der Versi-
cherten verfügbaren Indikatoren. Hierbei werden nicht nur bereits in Deutschland
verwendete Indikatoren betrachtet, sondern erstmals auch die Möglichkeit des Ein-
satzes komplexer, vorwiegend in den USA entwickelter Indikatoren näher beleuchtet.
Auch wird aufgezeigt, mit welchen Mitteln und Methoden dieser Einsatz nachgewie-
sen werden kann; dies fand bisher in der deutschen Literatur zum Thema Risikose-
lektion praktisch keinen Niederschlag. Abschließend wird dargestellt, mit welchen
Mitteln eine Verhinderung der Risikoselektion möglich ist, wobei nicht nur auf den
Risikostrukturausgleich fokussiert wird, sondern auch die Übertragung der Aufsichts-
funktion auf verschiedene Institutionen erörtert wird.

2. Das deutsche Gesundheitswesen
2
2. Das deutsche Gesundheitswesen
Um die Problematik der Risikoselektion bei Einkaufsmodellen besser beschreiben
und verstehen zu können, wird in diesem Kapitel zunächst eine Übersicht über die
Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens gegeben. Der Risikostrukturaus-
gleich sowie die Disease-Management-Programme werden gesondert besprochen,
da sie wesentliche Randbedingungen sowohl für Risikoselektion als auch für Ein-
kaufsmodelle bedeuten.
2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
Das deutsche Gesundheitswesen ist sehr komplex und facettenreich. Eine komplette
Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es erfolgt daher eine Be-
schränkung auf wesentliche Akteure, eine Fokussierung auf die gesetzlichen Rah-
menbedingungen und auf den gegenwärtigen Modus der Abrechnung ambulanter
Leistungserbringung. Die Paragraphen in Klammern beziehen sich auf das Sozialge-
setzbuch Fünftes Buch (SGB V) soweit nichts anderes erwähnt wird.
2.1.1 Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens
Zunächst einige grundlegende Charakteristika des deutschen Gesundheitssystems,
die im Verlauf dieses Kapitels näher erläutert werden (Abbildung 1).
Im Gegensatz zu dem in
vielen anderen Ländern
(z.B. USA) üblichen
Prinzip der Selbst-
verantwortung bauen
weite Teile des deut-
schen Sozialsystems
auf dem Soli-
daritätsprinzip auf. Da-
bei wird unter Solida-
rität die wechselseitige
Verbundenheit zwischen
den Mitgliedern derVersichertengemeinschaft verstanden, wobei den schwachen von
den starken Mitgliedern geholfen wird. Ein markantes Charakteristikum im deutschen
Gesundheitswesen und ein deutlicher Unterschied zu anderen Ländern ist das Sys-
tem der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), in dem rund 86,5% aller in
Deutschland lebenden Menschen versichert sind
1
. Neben der GKV existiert aller-
1
BMG 2002/4, 9.1
Solidaritätsprinzip
Gesetzliche und private Krankenversicherungen
Paritätische Finanzierung der Krankversicherung
Prinzip der Selbstverwaltung durch Körperschaften des
öffentlichen Rechts
Staat kein bedeutender Finanzierer
Umfassender Versicherungsschutz
Zuzahlung in verschiedenen Bereichen
Extrem wenig unversicherte Personen
Freie Arztwahl
Abbildung 1: Charakteristika des deutschen Gesundheitswesens
(Quelle: eigene Darstellung)

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
3
dings für bestimmte Teile der Bevölkerung die Möglichkeit, sich einer privaten Kran-
kenversicherung (PKV) anzuschließen. Beide Versicherungsformen werden von Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer paritätisch finanziert und im Falle der GKV meist auch
paritätisch geleitet. Sie bieten einen umfassenden Versicherungsschutz, wobei ins-
besondere im Bereich der GKV aber für bestimmte Leistungen Zuzahlungen ge-
macht werden müssen. Die Zuzahlungen im Bereich der PKV hängen von den indivi-
duellen vertraglichen Vereinbarungen ab. Abgesehen von bestimmten Teilen der
Krankenhausfinanzierung und in Bereichen der Sozialhilfe finden keine direkten Zah-
lungen des Staates an Anbieter im Gesundheitswesen statt. Allenfalls kann man von
indirekten Zahlungen sprechen, wenn der Staat Teile der Sozialversicherung ­ z. B.
die gesetzliche Rentenversicherung ­ finanziell unterstützt und diese dann Gesund-
heitsleistungen für ihre Mitglieder vergüten. Eine finanzielle Unterstützung der GKV ­
abgesehen von den landwirtschaftlichen Krankenkassen ­ ist allerdings ausge-
schlossen
2
. Da prinzipiell ein gesetzlicher Zwang zur Krankenversicherung für weite
Teile der Bevölkerung gegeben ist, existieren in Deutschland kaum unversicherte
Personen. Obwohl das deutsche Gesundheitswesen der vom Gesetzgeber am meis-
ten regulierte Sektor der Wirtschaft ist
3
, unterliegen wesentliche Teile des Systems
der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, so z.B. auch die Entscheidung über die
Ausgestaltung der Disease-Management-Programme (siehe 2.3). Im Gegensatz zu
vielen anderen Ländern herrscht in Deutschland für gesetzlich und privat Versicherte
das Prinzip der freien Arztwahl unter den Vertragsärzten und mit gewissen Ein-
schränkungen auch der freien Krankenhauswahl.
Zu den wesentlichen Partnern dieser Selbstverwaltung gehören die GKV und die
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sowie die Kassenzahnärztliche Bundes-
vereinigung (KZBV) bzw. die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und Kassen-
zahnärztlichen Vereinigungen (KZV). Alle sind Körperschaften des öffentlichen
Rechts (§§ 4 I, 77 V). Weiterhin sind der Dachverband der privaten Krankenversi-
cherungen und die Landeskrankenhausgesellschaften bzw. die Deutsche Kranken-
hausgesellschaft (DKG) als Dachverband der Krankenhäuser Partner der Selbstver-
waltung; alle letztgenannten sind privatrechtlich organisiert. Dadurch ist das deutsche
Gesundheitswesen in weiten Teilen dezentral aufgebaut
4
.
Im Folgenden werden die Charakteristika näher beschrieben. Hierzu wird das Thema
in 2 große Blöcke aufgeteilt: die Versicherungen sowie die Versicherungsformen und
die Finanzierung einerseits, andererseits die Anbieter von Gesundheitsleistungen,
insbesondere Krankenhäuser und Ärzte, sowie weitere wichtige Institutionen und die
Ausgaben.
2
EOG 2000, S. 51
3
v. d. Schulenberg 1992, 718
4
Wahner-Roedler et al. 1997, 1061

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
4
2.1.2 Versicherungsträger und Finanzierung
Zu den wesentlichen Versicherungsträgern zählt zum einen die gesetzliche Kranken-
versicherung, zum anderen die private Krankenversicherung. Daneben existieren
allerdings noch weitere Versicherungs- bzw. Kostenträger, die in diesem Kapitel kurz
erläutert werden.
2.1.2.1 Die gesetzliche Krankenversicherung
Die wichtigste Form der Krankenversicherung in Deutschland stellt die gesetzliche
Krankenversicherung dar. Sie geht auf die von Bismarck 1883 eingeführte Pflichtver-
sicherung für Arbeiter zurück. Die GKV ist jedoch nicht in Form einer einzelnen gro-
ßen Versicherung organisiert, sondern setzt sich aus rund 350 verschiedenen von-
einander unabhängigen Krankenversicherungen mit insgesamt rund 70,8 Mio. Versi-
cherten zusammen
5
(in Klammern Anzahl der Versicherten in Prozent, Stand Januar
2002
6
):
Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) (36,8%)
Arbeiter-Ersatzkrankenkassen (AEV) (2%)
Angestellten-Ersatzkassen (VdAK) (33,5%)
Betriebskrankenkassen (BKK) (17,9%)
Innungskrankenkassen (IKK) (6,3%)
Bundesknappschaft (1,9%)
Landwirtschaftliche Krankenkassen (LKK) (1,4%)
See-Krankenkasse (0,1%)
Mitglied in einer dieser Krankenversicherungen ist jeder versicherungspflichtige Ar-
beitnehmer, der weniger als die sog. Versicherungspflichtgrenze verdient. Diese
Grenze wird jährlich vom Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Lohn- und Preis-
steigerungen neu festgelegt. Im Jahr 2003 liegt die Versicherungspflichtgrenze bei
45.900 brutto p.a.
7
(§ 6). Wessen Bruttojahresverdienst unterhalb dieser Grenze
liegt, ist automatisch in der GKV versichert; liegt das Einkommen oberhalb dieser
Grenze, kann man freiwilliges Mitglied der GKV bleiben oder zu einer privaten Kran-
kenversicherung wechseln (§ 9).
5
BMG 2002/4, 9.4
6
BMG 2002/1
7
Beitragssicherungsgesetz vom 23.12.2002; BGBl Nr. 87 vom 30.12.2002 Teil I, 4637-4643

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
5
Eine Übersicht über die GKV-Versicherten gibt Tabelle 1.
Tabelle 1: Anzahl der Versicherten in der GKV nach Versichertenstatus, Stand Januar 2002 (Quelle:
BMG 2002/1)
Der Beitrag zur GKV wird von Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte entrichtet
(§ 249); bei Arbeitslosen zahlt die Arbeitslosenversicherung den gesamten Beitrag.
Auch Selbständige können unter bestimmten Voraussetzungen in der GKV versichert
sein; sie zahlen dann den Beitrag in voller Höhe. Rentner sind, wenn sie nicht Mit-
glied der PKV sind, in der Regel freiwillige oder Pflichtmitglieder der Krankenversi-
cherung der Rentner (KVdR) (§ 5 I 11). Die KVdR wird von den Trägern der GKV
durchgeführt, die Beiträge entsprechen dem allgemeinen Beitragssatz der jeweiligen
Krankenversicherung. Auch hier erfolgt eine hälftige Teilung der Beitragszahlung, in
diesem Fall zwischen Versichertem und der Rentenversicherung. Daneben sind nicht
versicherungspflichtig arbeitende Ehegatten und Kinder des Mitglieds bis zu einer
bestimmten Altersgrenze ohne Mehrkosten mitversichert (§§ 3, 10).
Der durchschnittliche Beitragssatz der GKV betrug am 1.1.2003 14,32% vom Brutto-
einkommen
8
. Trotz des Postulats der ,,Beitragssatzstabilität" (§ 71) kann der Bei-
tragssatz von Jahr zu Jahr oder auch im Jahresverlauf schwanken. Er kann von den
einzelnen Krankenversicherungen autonom in den gesetzlich vorgegebenen Gren-
zen festgelegt werden und richtet sich im Allgemeinen nach den Ausgaben der jewei-
ligen Versicherung
9
. Er ist von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und Anzahl
der Mitversicherten (Ehegatte, Kinder) unabhängig. Die Beiträge steigen proportional
zum Einkommen bis zu einer Obergrenze, der Beitragsbemessungsgrenze
10
. Bis
Ende 2002 waren die Versicherungspflichtgrenze und die Beitragsbemessungsgren-
ze in der GKV identisch. Ab 2003 beträgt die Beitragsbemessungsgrenze abwei-
chend von der bisherigen Regelung 41.400 pro Jahr
11
.
Zwischen der AOK, den BKK, den IKK und den Ersatzkrankenkassen kann der Ver-
sicherte seit 1996 prinzipiell mit festgelegten Kündigungs- und Wechselfristen frei
auswählen (§§ 173-175). Die Bundesknappschaft, die landwirtschaftliche Kranken-
8
BMGS 2003/2
9
für das Jahr 2003 gelten besondere Regelungen gemäß BSSichG: Die Beitragssätze dürfen nur
angehoben werden, wenn es zwingend erforderlich ist, um die Leistungsfähigkeit der Kranken-
kasse zu sichern nach Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsreserven und dem Aufbrauchen
sämtlicher Mittel und Rücklagen
10
EOG 2000, S. 43
11
Beitragssicherungsgesetz vom 23.12.2002; BGBl Nr. 87 vom 30.12.2002 Teil I, 4637-4643
Status
Anzahl (in Tsd.)
%
Pflichtversicherte (ohne Rentner)
29.004
41
Freiwillig Versicherte
6.634
9,4
Rentner 15.324
21,6
Familienversicherte 19.851
28
Gesamtzahl 70.814
100

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
6
kasse und die See-Krankenkasse sind bestimmten Berufsgruppen vorbehalten. Die
Krankenkassen sind zur Aufnahme eines Versicherten verpflichtet (Kontrahierungs-
zwang) und dürfen den Aufnahmeantrag nicht aufgrund demografischer, sozialer,
medizinischer oder anderer Gründe ablehnen (Diskriminierungsverbot).
Damit die Wahlfreiheit und der Wettbewerb zwischen den Kassen nicht zu Lasten der
Kassen mit den ungünstigeren Risikostrukturen geht, wurde bereits 1994 der ,,Risi-
kostrukturausgleich" (RSA) zwischen den Kassen der GKV eingeführt. Mehr hierzu in
Kapitel 2.2.
Die Krankenkassen sind in ihrem Leistungsangebot weitestgehend an das SGB V
gebunden. Die wesentlichen Leistungen stellen Sach- und Dienstleistungen dar: Der
Versicherte kann dabei Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen, ohne direkt da-
für zu bezahlen (§ 2 II). Die Leistungserbringer bekommen ihre Vergütung direkt oder
indirekt (über die KV bzw. KZV) von den Krankenkassen. Daneben existieren in ge-
ringerem Umfang auch Geldleistungen. Die wichtigste Geldleistung ist das Kranken-
geld (§ 44), das die Krankenkassen in der Regel nach mehr als sechswöchiger
krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an den Versicherten auszahlt. Es beträgt 70%
des zuletzt erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts (§ 47).
Nach SGB V haben die Versicherten Anspruch auf folgende Leistungen:
- Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung
- Früherkennung von Krankheiten
- Behandlung von Krankheiten
- medizinische Leistungen zur Rehabilitation
- Anspruch auf Sterbegeld
Dies stellt eine Art ,,Pflichtkatalog" dar, den alle Krankenkassen ihren Versicherten
bieten müssen. Er umfasst rund 95% aller Kassenleistungen
12
. Daneben können die
einzelnen Kassen noch weitere Leistungen anbieten, die sog. Satzungsleistungen
(§194 I) oder freiwilligen Leistungen.
Zwar deckt die GKV die medizinisch notwendigen Gesundheitsleistungen, die aus-
reichend, zweckmäßig und wirtschaftlich erbracht werden müssen (§ 12 I), nach dem
Sachleistungsprinzip ab, dennoch sind seit 1989 verschiedene Zuzahlungsregelun-
gen in Kraft getreten. Auf der einen Seite sollen diese Zuzahlungen die Ausgaben
der gesetzlichen Krankenversicherungen vermindern. Auf der anderen Seite sollen
sie das Nachfrageverhalten so verändern, dass weniger Leistungen in Anspruch ge-
nommen werden, also dem sog. ,,Moral Hazard" entgegenwirken. Hierunter wird die
Tendenz der Versicherungsnehmer verstanden, jede mögliche medizinische Leistung
in Anspruch zu nehmen, da sie vermeintlich nicht dafür zahlen müssen, wodurch es
zur Überinanspruchnahme der Leistungen kommt (siehe auch 5.1.1)
13
.
12
Lauterbach/Wille 2001, 29
13 Pauly 1968, 535; SVRW 2002, Ziffer 486; Geser 1995, 29; van de Ven/Ellis 2000, 760; Zwei-
fel/Manning 2000, 413

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
7
So existieren Zuzahlungen für Arzneimittel, Verbandmittel, Heil- und Hilfsmittel,
Krankenhausbehandlung, stationäre Rehabilitationsmaßnahmen und Zahnersatz.
Die Zuzahlungen stellen entweder einen fixen Betrag dar oder werden prozentual
berechnet
14
. Ausgenommen von Zuzahlungen sind Kinder unter 18 Jahren sowie
Personen, die unter die ,,Sozialklausel" fallen (§ 61): Wenn das monatliche Bruttoein-
kommen zum Lebensunterhalt weniger als 952 für Alleinstehende (1309 für ein
Ehepaar, 1547 für ein Ehepaar mit Kind) beträgt, so ist der Versicherte von der Zu-
zahlung befreit (alle Zahlen für das Jahr 2003). Zudem muss kein Versicherter mehr
als 2% seines Jahresbruttoeinkommens für Selbstbeteiligungen aufwenden (Über-
forderungsklausel, § 62). Daneben gibt es noch Befreiungen für weitere Personen-
gruppen, z.B. Empfänger von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe und Empfänger von
Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Im Bereich der GKV besteht das Prinzip der Selbstverwaltung. Dabei setzt der Staat
zwar die ordnungspolitischen Rahmen, verzichtet aber auf viele Zuständigkeiten und
Aufgabenbereiche, die die Krankenkassen wahrnehmen. Die gesetzlichen Kranken-
kassen haben so u.a. die volle Finanzhoheit, Gestaltungs- und Entscheidungsspiel-
räume im Vertragsrecht sowie in der gemeinsamen Selbstverwaltung. Die Mitglieder
in den Führungsgremien der Krankenkassen werden in der Regel paritätisch von
gewählten Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber besetzt. Die Überprü-
fung der wirtschaftlichen Haushaltsführung der Krankenkassen obliegt den Auf-
sichtsbehörden; dies sind in der Regel für lokal tätige Kassen die jeweiligen Landes-
ministerien, für bundesweit tätige Kassen das Bundesversicherungsamt.
2.1.2.2 Die private Krankenversicherung
Die 50 privaten Krankenversicherungen in Deutschland, die im Verband der privaten
Krankenversicherungen zusammengeschlossen sind, versicherten im Dezember
2001 rund 7,71 Mio. Personen (ca. 9% der Bevölkerung) im Rahmen einer Krank-
heitskostenvollversicherung
15
. Sie sind in privatrechtlicher Form organisiert und un-
terliegen der staatlichen Kontrolle durch das Bundesaufsichtsamt für Versicherun-
gen. Mitglieder können Arbeitnehmer mit einem Einkommen oberhalb der Versiche-
rungspflichtgrenze sowie Beamte und Selbständige sein. Bei Arbeitnehmern wird der
Beitrag je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen. Die Beitragshöhe
hängt von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand bzw. Risikofaktoren vor Vertrag-
sabschluß und dem gewählten Leistungsumfang sowie der Eigenbeteiligung ab und
wird versicherungsmathematisch berechnet. Im Gegensatz zur GKV sind nicht arbei-
14
zu aktuellen Zuzahlungshöhen siehe z.B. unter: http://www.dak.de/content/dakleistung/
zuzahlungen.html
(11.03.2003)
15 BMG 2002/4, 9.17; Verband der privaten Krankenversicherungen, 2001, S. 11

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
8
tende Ehegatten und Kinder nicht beitragsfrei mitversichert; für sie muss eine eigene
Versicherungspolice abgeschlossen werden
16
.
Im Unterschied zur GKV herrscht das Prinzip der Kostenerstattung vor: Patienten
gehen mit den Leistungserbringern bzgl. der Vergütung eine unmittelbare privatrecht-
liche Beziehung ein und erhalten Rechnungen von diesen. Die Versicherten müssen
dabei finanziell in Vorleistung treten und die Rechnungen bezahlen. Die Versiche-
rungsunternehmen erstatten diese Kosten dann in Abhängigkeit vom Versicherungs-
vertrag voll oder teilweise. Dies gilt prinzipiell auch für stationäre Behandlungen. Al-
lerdings sind einige Versicherer dazu übergegangen, die Kosten für stationäre Be-
handlungen direkt mit dem Krankenhaus abzurechnen
17
.
Der Leistungsumfang der privaten Krankenversicherung ist prinzipiell vom Versiche-
rungsvertrag abhängig. In der Regel umfasst er ambulante und stationäre Behand-
lung, Medikamente sowie Heil- und Hilfsmittel. Gegen höhere Prämien können aber
auch fast alle anderen Leistungen des Gesundheitswesens in Anspruch genommen
und rückvergütet werden.
Entscheidet sich ein Versicherter für die private Krankenvollversicherung, so ist eine
Rückkehr zur GKV nur in Ausnahmefällen möglich. Dies hat in vielen Fällen zur Fol-
ge, dass der Versicherte lebenslang an die private Krankenversicherung gebunden
bleibt und im Rentenalter häufig mit sehr hohen Beiträgen rechnen muss. Anderer-
seits darf die private Krankenversicherung den Versicherungsvertrag nicht einseitig
aus medizinischen Gründen kündigen
18
.
Neben der Vollversicherung bieten die privaten Krankenversicherungen auch Zusatz-
versicherungen für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen an. Ende
2001 Zeit hatten ca. 7,6 Mio. Personen (rund 9% der Bevölkerung) eine solche Zu-
satzversicherung
19
. Deren Tarife hängen u.a. von Alter, Geschlecht, Gesundheitszu-
stand und Leistungsumfang ab. Es existiert eine Vielzahl von Produkten auf dem
Markt, wobei die häufigsten Zusatzversicherungen für den stationären Bereich abge-
schlossen werden und die Behandlung durch den Wahlarzt (meistens Chefarzt) so-
wie ein Ein- oder Zweibettzimmer abdecken
20
.
16
EOG 2000, 55
17
EOG 2000, 55
18
Knueppel 2001, 356
19
BMG 2002/4, 9.17
20
EOG 2000, 56

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
9
2.1.2.3 Weitere Kostenträger
Abgesehen von GKV und PKV existieren im deutschen Gesundheitswesen noch wei-
tere Kostenträger. Hierzu zählen staatliche Institutionen und Behörden, die die Kos-
ten für die Behandlung von Sozialhilfeempfängern und Asylbewerbern sowie die
Krankheitskostenbeihilfe für Beamte und das öffentliche Gesundheitswesen (z. B.
Amtsärzte) tragen. Zudem werden die Investitionskosten der Krankenhäuser von den
Landesregierungen im Rahmen der dualen Krankenhausfinanzierung (die operativen
Kosten werden von den Krankenversicherungen gezahlt) übernommen
21
.
Die seit 1994 existierende gesetzliche Pflegeversicherung (PV) ist in kurzer Zeit zu
einem der größten Kostenträger im Gesundheitswesen avanciert. Sie trägt im we-
sentlichen die Pflegekosten bei Pflegebedürftigkeit der Versicherten.
Auch die gesetzlichen Unfallversicherungen (UV) - Berufsgenossenschaften - treten
als Kostenträger im Gesundheitswesen auf. Sie zahlen die Leistungen zur Behand-
lung ihrer Versicherten bei Arbeits- und Wegeunfällen.
Die gesetzliche Rentenversicherung (RV) zahlt im wesentlichen Anschlussheilbe-
handlungen bzw. Rehabilitationen ihrer Versicherten.
Rund 0,2% aller in Deutschland lebenden Personen haben keine Krankenversiche-
rung
22
. Dabei handelt es sich entweder um Personen, die aufgrund ihres Einkom-
mens der Versicherungspflicht nicht unterliegen und über ausreichend Vermögen zur
Begleichung möglicher Kosten verfügen, oder es sind Personen, die das Sozialsys-
tem in Deutschland ablehnen bzw. sich entziehen. Nicht zu vergessen sind auch die
illegal in Deutschland lebenden Personen
23
.
21
EOG 2000, 51
22
BMG 2002/4, 9.1
23
Wahner-Roedler et al. 1997, 1062; Knueppel 2001, 355

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
10
2.1.2.4 Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens
Einen Überblick über die Kostenträger der Ausgaben von rund 218 Mrd. Euro im Jah-
re 2000
24
im deutschen Gesundheitswesen gibt Abbildung 2.
Abbildung 2: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträger 2000, Angaben in % (Quelle: Statistisches
Bundesamt, 2002/1)
Aus Abbildung 2 wird deutlich, wie wichtig die gesetzlichen Krankenkassen zur Fi-
nanzierung des deutschen Gesundheitssystems sind. Die erheblichen Ausgaben der
GKV machen andererseits allerdings einen Beitrag von rund 14,3 % (siehe oben)
vom Bruttolohn notwendig. Bereits an zweiter Stelle der Ausgabenträger liegen die
privaten Haushalte, die vor allem durch Zuzahlungen, Selbstbeteiligungen und als
Selbstzahler medizinischer Leistungen das System mitfinanzieren. 1998 betrugen
diese Ausgaben durchschnittlich pro Kopf 302 US$, was ungefähr den Ausgaben
Australiens (338 US$) entspricht und weit unterhalb der Pro-Kopf-Ausgaben in den
USA (652 US$) liegt
25
.
24
Statistisches Bundesamt 2002/1
25
OECD Health Data 2001 (Angaben beruhen auf US$ nach Kaufkraftangleichung)

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
11
Eine schematische Übersicht über die Finanzierung des deutschen Gesundheitswe-
sens gibt Abbildung 3.
Abbildung 3: Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens, schematische Darstellung (Quelle:
eigene Darstellung)
2.1.3 Leistungserbringer, weitere Institutionen und Ausgaben
Nach der Beschreibung der Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems, soll
im Folgenden die Frage beantwortet werden, wofür das Geld ausgegeben wird. Es
findet dabei eine Beschränkung auf die 2 größten Kostenblöcke statt: die stationäre
Behandlung im Krankenhaus und die ambulante Behandlung durch niedergelassene
Vertragsärzte (siehe auch Abbildung 6). Daneben werden weitere maßgebliche Insti-
tutionen des deutschen Gesundheitswesens kurz beschrieben.
2.1.3.1 Krankenhäuser
Rund ein Drittel der Ausgaben der GKV und der PKV wird für stationäre Behandlun-
gen im Krankenhaus benötigt. Die Ausgaben der Versicherungen dienen vor allem
zur Finanzierung der operativen Kosten. Die Investitionskosten werden nach der Re-
form des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) 1972 vom jeweiligen Bundes-
land getragen. Der Investitionskostenanteil betrug dabei in den letzten Jahren 3-7%
der Gesamtkosten. Voraussetzung hierfür ist, dass das Krankenhaus im Bettenbe-

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
12
darfsplan des Bundeslandes aufgeführt ist
26
. Eine statistische Übersicht über Kran-
kenhäuser in Deutschland gibt Tabelle 2.
Tabelle 2: Krankenhäuser in Deutschland 2001 (Quellen: Statistisches Bundesamt 2002/2; DKG 2002)
Erläuterung: Unter öffentlichen Trägern sind alle Krankenhäuser subsummiert, die
sich im Eigentum von Gebietskörperschaften befinden. Frei/gemeinnützig beschreibt
Krankenhäuser in Trägerschaft von verschiedenen Verbänden und Institutionen, z. B.
Kirche, deren Hauptziel nicht die Gewinnerwirtschaftung ist. Die privaten Kranken-
häuser sind solche, deren Hauptziel die Gewinnerwirtschaftung ist.
Die Krankenhäuser in Deutschland sind zwar in regionalen sowie Landesverbänden
unter dem Dachverband DKG organisiert, diese Verbände sind im Gegensatz zu den
gesetzlichen Krankenversicherungen jedoch keine Körperschaften öffentlichen
Rechts. Allerdings wurde die Rechtsstellung der DKG im Rahmen der GKV-
Gesundheitsreform 2000 durch Einführung eines neunzehnköpfigen Krankenhaus-
Ausschusses gestärkt (§ 137 c): Dieser umfasst neun Mitglieder von den Kranken-
kassen, fünf von den Krankenhäusern, vier von der Bundesärztekammer und den
Vorsitzenden des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Er ist unter
anderem mit der Bewertung neuer Technologien im stationären Sektor beauftragt
27
.
Jedes Krankenhaus muss im Prinzip mit jeder Krankenkasse jährlich über die Finan-
zierungsmodalitäten verhandeln. Üblicherweise nehmen alle Krankenkassen mit
mehr als 5% Patientenanteil im entsprechenden Krankenhaus an den Verhandlun-
gen teil (,,Pflegesatzverhandlungen"). Bedingungen betreffs Umfang und Zahl der
26
EOG 2000, 108; Knueppel 2001, 360
27
EOG 2001, 38
Krankenhäuser
2.240
Betten
552.680
Betten pro 1000 Einwohner
6,9
Stationär Behandelte
16,58 Mio.
Aufnahmequote (pro 100 Einwohner)
19,6
Mitarbeiter pro belegtes Bett
1,8
Verweildauer (Tage)
10,1
Bettenauslastung (%)
80,7
Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung (in Euro)
640
Kosten pro Fall (in Euro)
3100
Träger (in %)
Öffentlich
37,4
Frei/gemeinnützig
41,3
Privat (for-profit)
21,3

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
13
angebotenen Leistungen und der Vergütung sind jedoch für alle Krankenkassen gül-
tig.
Die bisherige Finanzierung der Krankenhäuser ist dual: Die Landesregierungen tra-
gen die Investitionskosten, die Krankenversicherungen die operativen Kosten
28
. Die
Finanzierung der operativen Kosten erfolgt auf unterschiedliche Weise: Rund 75-
80% der Leistungen werden über Tagessätze abgerechnet. Bei ca. 20-25% der Leis-
tungen werden Sonderentgelte und Fallpauschalen entrichtet. Dazu kommen Zuzah-
lungen der Patienten (siehe oben). Die Tagessätze (auch Pflegesätze genannt) glie-
dern sich in einen allgemeinen, für das ganze Krankenhaus gültigen, und einen
abteilungsspezifischen Pflegesatz. Der allgemeine Pflegesatz deckt dabei die nicht-
medizinischen Kosten, der abteilungsspezifische Satz die Kosten der medizinischen
Leistungen ab. Diese Sätze werden in den jährlichen Pflegesatzverhandlungen fest-
gelegt. Für eine ganze Reihe von meist chirurgischen Behandlungsfällen existieren
Fallpauschalen (FP), die die gesamten Behandlungskosten abdecken. Überschreitet
der Patient allerdings eine bestimmte Grenzverweildauer, so gelten Sonderregelun-
gen. Die Fallpauschalen sind in der Höhe landeseinheitlich, es können jedoch kran-
kenhausindividuelle Zu- und Abschläge ausgehandelt werden. Für bestimmte opera-
tive Eingriffe sind zudem landeseinheitliche Sonderentgelte (SE) definiert, die zusätz-
lich zu den Pflegesätzen anzuwenden sind, wobei die Pflegesätze bei Anwendung
eines Sonderentgeltes um 10% reduziert werden. Neben einer Festlegung von Pfle-
gesätzen, Fallpauschalen und Sonderentgelten wird in den jährlichen Pflegesatzver-
handlungen auch das krankenhausindividuelle Budget festgelegt. Dies ergibt sich
aus der Summe der angenommenen Pflegetage, Fallpauschalen und Sonderentgel-
te. Werden weniger Patienten als erwartet behandelt, so bekommt das Krankenhaus
einen Teil der Differenz zwischen tatsächlichem Erlös und ausgehandeltem Budget
erstattet. Werden mehr Patienten behandelt, so erhält das Krankenhaus für jeden
zusätzlich Behandelten nur einen Teil des Pflegesatzes bzw. der Fallpauschalen und
Sonderentgelte. Dadurch soll eine unkontrollierbare Mengenausweitung verhindert
werden. Zudem soll die jährliche Steigerung aller Krankenhausbudgets zusammen
nicht über der Steigerung der Grundlohnsumme in Deutschland liegen
29
.
Die privaten Krankenversicherungen haben ein anderes System zur Vergütung der
Krankenhausleistungen: Neben einer Pauschale für Hotel- und Pflegeleistungen so-
wie ggf. Zuschlägen für besondere Serviceleistungen werden ärztliche Leistungen
(z.B. Visiten, Injektionen, Operationen) gesondert vergütet. Budgets existieren in die-
sem Bereich nicht.
Sowohl das Vergütungssystem der GKV als auch das der PKV für stationäre Kran-
kenhausleistungen wird ab 2003 schrittweise in ein diagnoseorientiertes
Fallpauschalensystem überführt (§ 17 b KHG). Dieses System ­ international als
DRG-System (Diagnosis-Related Group-System) bezeichnet ­ wurde erstmals vor
28
EOG 2000, 108
29
Mansky 2001, 174f; Knueppel 2001, 360

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
14
System (Diagnosis-Related Group-System) bezeichnet ­ wurde erstmals vor rund 20
Jahren in den USA im Bereich der Medicare-Versicherung für Rentner zur Vergütung
stationärer Krankenhausleistungen eingesetzt. DRGs können ab 2003 optional von
den Krankenhäusern eingesetzt werden, ab 2004 ist die Abrechnung über DRGs
verpflichtend. Das System soll im Rahmen dieser Arbeit nur kurz skizziert werden, da
der Fokus der Arbeit in einem anderen Bereich liegt:
Jeder Patient wird dabei aufgrund verschiedener Variablen (u.a. Alter, Geschlecht,
Diagnosen, Therapieform) einer Fallgruppe zugeteilt. Jeder Fallgruppe ­ je nach
System existieren zwischen 500 und 1100 ­ ist in Abhängigkeit vom Ressourcen-
verbrauch ein relatives Gewicht zugeordnet. Multipliziert man das relative Gewicht
mit dem Basisfallpreis, der je nach Land von politischer Seite oder von den Kosten-
trägern errechnet und festgelegt wird, erhält man die Vergütung pro Fall.
Gegenüber dem derzeitigen System wird also eine von der Verweildauer prinzipiell
unabhängiger Betrag pro Fall bezahlt. Dadurch geht ein Teil des Morbiditätsrisikos
auf den Leistungserbringer über.
2.1.3.2 Niedergelassene Vertragsärzte
Die ambulante ärztliche Versorgung in Deutschland wird fast ausschließlich von den
Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) gewährleistet. Die KVen sind Körperschaften
des öffentlichen Rechts, die sich unter dem Dach der Kassenärztlichen Bundesverei-
nigung (KBV) in 23 regionale KVen gliedern. Die Mitglieder der KV sind niedergelas-
sene Vertragsärzte. Als Ausgleich für die annähernde Monopolstellung in der ambu-
lanten Versorgung (§ 73 II), haben sich die KVen und deren Mitglieder verpflichtet,
gesetzlich versicherte Patienten rund um die Uhr an 7 Tagen die Woche zu den mit
der GKV vereinbarten Bedingungen zu versorgen (,,Sicherstellungsauftrag", §§ 72,
75). In diesem System herrscht weitestgehend freie Arztwahl für den Patienten (§ 76
I), wobei er einen Hausarzt wählen und den Arzt innerhalb eines Kalendervierteljah-
res nur bei Vorlage eines wichtigen Grundes wechseln soll (§ 76 III); der Vertragsarzt
darf generell keinen Patienten ablehnen.
Die Vergütung beruht auf Budgets, die jede KV mit den gesetzlichen Krankenversi-
cherungen aushandelt. Diese Gesamtzahlung wird in der Regel als Kopfpauschale
pro versichertes Mitglied verhandelt. Die Kopfpauschale, welche innerhalb der Kas-
senarten und Bundesländern um bis zu 300 p.a. differiert
30
, deckt alle Leistungen
der kassenzugelassenen Ärzte aller Fachgebiete einer KV ab (§ 85). Die Höhe der
Kopfpauschalen hat sich traditionell aus den vor der Einführung der sektoralen Bud-
gets bestehenden Einzelleistungsvergütungen und deren Volumen, welches auf die
Zahl der Mitglieder umgelegt wurde, entwickelt. Sie sind unabhängig von Merkmalen
des Versicherten (Alter, Geschlecht, Morbidität etc.). Zwar sind nach § 85 SGB V
30
Hess 2000

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
15
auch ,,weitere Berechnungsarten" zulässig; diese haben sich in der Praxis bisher je-
doch nicht durchgesetzt
31
. Das Gesamtbudget in Deutschland soll dabei in seiner
jährlichen Steigerung an der Steigerung der Grundlohnsumme orientiert sein.
Den gesetzlichen Krankenkassen steht ­ von wenigen Ausnahmen abgesehen ­ nur
die KBV für grundsätzliche Vereinbarungen (Bundesmantelverträge) und die jeweili-
gen KVen für regionale Verträge als Vertragspartner für die ambulante ärztliche Leis-
tungserbringung zur Verfügung (Kontrahierungszwang). Zu den Ausnahmen zählen
integrierte Versorgungsformen (§ 140a), zu denen auch die strukturierten Behand-
lungsprogramme (Disease-Management-Programme) gehören, die in Kapitel 2.3 nä-
her besprochen werden. Eine weitere Ausnahme besteht bei Modellvorhaben (§ 64).
Diese Ausnahmen bzw. eine Aufweichung oder Aufhebung dieses Kontrahierungs-
zwanges sind zudem eine wichtige Voraussetzung für Einkaufsmodelle, daher wird
hierauf in Kapitel 3 detaillierter eingegangen.
Behandelt der Vertragsarzt nun einen gesetzlich versicherten Patienten, so bekommt
er für bestimmte Behandlungspakete, die im sog. ,,Einheitlichen Bewertungsmaß-
stab" (EBM) (§ 87) aufgeführt sind, eine vorgegebene Punktzahl, wobei die erstat-
tungsfähige Punktzahl pro Patient begrenzt ist (Regelleistungsvolumen oder auch
Praxisbudget genannt). An jedem Quartalsende teilt er seiner KV die Patientendaten
inklusive Diagnose(n) sowie die zugehörige Abrechnungsziffern mit. Das zur Verfü-
gung stehende Budget wird dann gemäß Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der je-
weiligen KV durch die Gesamtpunktzahl Ärzte der jeweiligen Fachrichtung geteilt und
ergibt so einen Punktwert in . Dieser Punktwert wird im letzten Schritt mit der indivi-
duellen Punktzahl multipliziert und ergibt so das Honorar des einzelnen Vertragsarz-
tes. Dadurch führt eine Ausweitung der Leistungsmenge automatisch zu einer Ver-
minderung des Punktwertes, wodurch eine unkontrollierbare Mengenausweitung
verhindert werden soll
32
. Trotzdem ist eine Ausweitung der Leistungserbringung für
den einzelnen Arzt rational. Begünstigt wird dies durch die relativ große Diagnose-
und Therapiefreiheit sowie eine Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient,
die zu einer angebotsinduzierten Nachfrageausweitung führen kann
33
.
Neben der skizzierten budgetierten Vergütung mit dem sog. ,,floatendem Punktwert"
existiert ein kleiner Bereich der außerbudgetären Honorierung im Rahmen einer Ein-
zelleistungsvergütung mit festen Punktwerten. Zu diesem Bereich gehören Leistun-
gen der Prävention, der Methadonsubstitution sowie Dialysesachkosten. Diese Aus-
gaben werden jedoch nicht zusätzlich von den Krankenkassen erstattet, sondern
sind Teil des von den Kostenträgern jährlich mit den KVen vereinbarten Gesamtho-
norars.
31
IGES et al. 2001, 57f
32
Wahner-Roedler et al. 1997, 1064; EOG 2000, 114ff
33
SVRG 2001, Ziffer 25; SVRW 2000, Ziffer 473; Breyer et al. 2003, 312; Schaper 1979, 180
Zur Informationsasymmetrie siehe auch 5.1.1
Neben einer angebotsinduzierten Nachfrageausweitung führt das Problem des ,,Moral Hazard" des
Versicherten zu einer Nachfrageausweitung. Siehe auch 2.1.2.1 und 5.1.1

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
16
Die Beziehungen zwischen den Beteiligten der ambulanten Versorgung gibt Abbil-
dung 4 wieder.
Abbildung 4: Die Beziehungen zwischen den Beteiligten der ambulanten Versorgung (modifiziert nach
Maus, 2002, 1337)
Die Entscheidung über den relativen Punktwert aller Leistungen des ambulanten
Leistungskataloges, d.h. den EBM, trifft ein gemeinsamer Ausschuss von Ärzte- und
Krankenkassenvertretern, der Bewertungsausschuss (§87 III). Er besteht aus sieben
Vertretern der KBV sowie je einem Vertreter von den Bundesverbänden der Kran-
kenkassen, der Bundesknappschaft und den Verbänden der Ersatzkassen.
Die Honorierung der ambulanten ärztlichen Leistungen durch die PKV beruht auf ei-
ner Einzelleistungsvergütung ohne Budgetierung. Der Arzt stellt dem Patienten eine
Rechnung für die erbrachten Leistungen. Der Patient begleicht die Rechnung und
bekommt die Kosten ganz oder teilweise von seiner Versicherung erstattet. Da die
PKV die einzelnen Leistungen in der Regel höher vergütet als die GKV, können die
Umsätze durch privat versicherte Patienten 20-30% des Gesamtumsatzes einer Pra-
xis betragen, obwohl der Anteil der Privatpatienten an der Bevölkerung unter 10%
liegt
34
.
Eine Kontrolle der Abrechnungen erfolgt durch die jeweilige KV bzw. bei privatversi-
cherten Patienten durch den Patienten und die Krankenversicherung. Neben den
Krankenkassen obliegt vor allen den KVen auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung der
vertragsärztlichen Versorgung (§ 106). Hierbei werden die medizinische Notwendig-
keit der Leistungen (Indikation), die Eignung der Leistungen zur Erreichung des Ziels
34
EOG 2000, 55; Knueppel 2001, 360

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
17
(Effektivität), die fachgerechte Erbringung (Qualität) und die Angemessenheit der
verursachten Kosten im Hinblick auf das Behandlungsziel überprüft. Insbesondere
werden auch die Häufigkeit von Überweisungen, Krankenhauseinweisungen, Fest-
stellungen von Arbeitsunfähigkeit sowie Häufigkeit und Umfang veranlasster Leistun-
gen kontrolliert. Diese Überprüfungen erfolgen zum größten Teil quartalsweise und
schließen den Vergleich der arztindividuellen mit arztgruppen- und regionalspezifi-
schen Werten ein. Für die Krankenkassen bleiben diese Vergleiche jedoch weitest-
gehend intransparent, da sie im Regelfall keine arzt- oder versichertenindividuellen
Daten von den KVen erhalten. Auch die gesetzlich versicherten Patienten bekommen
­ von regional begrenzten Modellversuchen abgesehen ­ keine Informationen über
Art und Umfang der abgerechneten Leistungen. Diese Intransparenz für die Versi-
cherten hinsichtlich der abgerechneten Leistungen und der dadurch verursachten
Kosten, die nicht nur für die ambulante, sondern auch für die stationäre Leistungs-
erbringung gemäß dem Sachleistungsprinzip gegeben ist, begünstigt exzessives
Nachfrageverhalten
35
.
Das oben erwähnte annähernde Monopol der KV im ambulanten ärztlichen Bereich
wird nur an wenigen Stellen durchbrochen: Zum einen existieren rund 5.700 Arztpra-
xen ohne Vertrag mit einer KV
36
; diese werden auch als ,,Privatpraxen" bezeichnet.
Die Abrechnung von ärztlichen Leistungen darf hier nur im Notfall über die KV erfol-
gen. Daneben dürfen Krankenhäuser selbstverständlich Notfälle ambulant behan-
deln. Auch eine prästationäre Untersuchung der Patienten ist möglich, sofern eine
stationäre Aufnahme geplant ist. Eine poststationäre Weiterbehandlung von gesetz-
lich versicherten Patienten ist den Krankenhäusern nur in sehr engem Rahmen ges-
tattet (§ 115a). Weiterhin sind auch ambulante Operationen im Krankenhaus möglich
(§ 115b).
In der Regel dürfen nur von der KV ermächtigte (leitende) Krankenhausärzte ambu-
lante Behandlungen durchführen (§ 116). Die Zahl dieser Ermächtigungen ist aller-
dings relativ gering und meist sind die Zulassungen an einige Restriktionen gebun-
den. Daneben existieren noch einige Modellversuche zur stärkeren Integration von
ambulanter und stationärer Therapie, die dieses Monopol umgehen (§ 140a-h) (siehe
auch 3.1.2.6). Insgesamt aber ist die Trennung zwischen ambulanter und stationärer
Therapie in Deutschland noch recht starr
37
.
35
SVRW 2000, Ziffer 473
36
Bundesärztekammer 2003, Tabelle 1.0
37
Knueppel 2001, 356

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
18
Eine Übersicht über die berufstätigen Ärzte in Deutschland gibt Tabelle 3.
Tabelle 3: Berufstätige Ärzte in Deutschland 2002 (Quelle: Bundesärztekammer 2003, 1.0; SVRW
2000, Ziffer 473)
2.1.3.3 Weitere Institutionen
Eine der wichtigsten Einrichtungen der Selbstverwaltung für Verhandlungen zwi-
schen Krankenkassen und Ärzten hinsichtlich des Leistungskataloges ist der Bun-
desausschuss der Ärzte und Krankenkassen (§ 91). Er wurde 1923 gegründet und ist
damit die älteste Gemeinschaftseinrichtung des deutschen gesetzlichen Krankenver-
sicherungssystems. Der Ausschuss besteht aus neun Vertretern der Ärzte und einer
gleichen Anzahl von Krankenkassenvertretern, zwei neutralen Mitgliedern, von de-
nen von beiden Seiten jeweils einer vorgeschlagen wird und einem neutralen Vorsit-
zenden, der von beiden Seiten akzeptiert werden muss und im Falle einer Nichteini-
gung die entscheidende Stimme hat.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat dieser Ausschuss ca. 20 Richtlinien zur Verord-
nung von Arzneimitteln, Medizinprodukten und der Versorgung durch nichtärztliches
Personal wie Physiotherapeuten, eine bedarfsgerechte Planung niedergelassener
Ärzte und die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden er-
lassen. Die Richtlinien fokussieren unterschiedliche Zielgruppen. Eine Gruppe der
Richtlinien versucht, das Verhalten niedergelassener Ärzte zu steuern. Die Richtli-
nien für bedarfsgerechte Planung stellen die Grundlage für die tatsächliche Planung
auf Länderebene durch Länderausschüsse der Ärzte und Krankenkassen. Schließ-
lich bestimmen die Richtlinien zur Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behand-
lungsmethoden die Kriterien für tatsächliche Entscheidungen über einzelne Techno-
logien durch den Bundesausschuss.
Das 2. GKV-Neuordnungsgesetz (GKV-NOG) gab dem Bundesausschuss im Juli
1997 neue Befugnisse. Seitdem ist er auch für Technologiebewertung des bestehen-
den ambulanten Leistungskataloges, für die Erstellung einer Positivliste der nichtärzt-
lichen Versorgung und für neue Richtlinien zur rehabilitativen Versorgung zuständig.
Der Bundesausschuss verfügt über verschiedene Arbeitsausschüsse; einer von ih-
Anzahl
%
Gesamtzahl 2002
301.060
100
davon im Krankenhaus
143.838
47,8
ambulant
131.329*
43,6
sonstige
25.893
8,6
Zunahme 1990-1999
53.400
2.3 p.a.
Ärzte pro 1000 Einwohner
3,6
Arztbesuche pro Patient und Jahr
12
* davon sind 123.140 Vertragsärzte

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
19
nen schlug Maßnahmen zu Entscheidungen über Effektivität neuer diagnostischer
und therapeutischer Methoden vor, deren Kriterien erstmalig in den Richtlinien von
1990 festgelegt wurden. Nach der Erweiterung der Kompetenzen des Ausschusses
wurde er in Arbeitsausschuss Ärztliche Behandlung umbenannt und hat seither neue
Richtlinien zur Evaluation verabschiedet
38
.
Neben den bereits erwähnten Ausschüssen (Bundesausschuss Ärzte und Kranken-
kassen, Bewertungssausschuss, Ausschuss Krankenhaus) existiert ein weiterer
wichtiger Ausschuss, der Koordinierungsausschuss (§ 137 e). Er wurde durch die
GKV-Gesundheitsreform ins Leben gerufen und ist damit beauftragt, Entscheidungen
der bereits bestehenden Ausschüsse und des Ausschusses Krankhaus zu koordinie-
ren und unterschiedliche Entscheidungen in den einzelnen Versorgungsbereichen zu
vermeiden. Weiterhin soll er Bereiche der Über- und Unterversorgung identifizieren,
die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit medizinischer Verfahren in der GKV beurteilen
und Behandlungsleitlinien verabschieden. Der Koordinierungsausschuss hat 20 Mit-
glieder: Neun von den Krankenkassen, jeweils drei von der Kassenärztlichen Bun-
desvereinigungen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, zwei von der Kas-
senzahnärztlichen Bundesvereinigung, einem Vertreter der Bundesärztekammer und
die Vorsitzenden des Bundesausschusses sowie des Krankenhaus-Ausschusses
39
.
Eine besondere Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielt der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung (MDK). Er wurde am 1. Januar 1989 gegründet und
ging in den alten Bundesländern als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit erwei-
terten Aufgaben aus dem Vertrauensärztlichen Dienst hervor. In den neuen Bundes-
ländern ist der MDK ein eingetragener Verein. Die Aufsicht obliegt den zuständigen
Sozialministerien der jeweiligen Bundesländer. 1999 arbeiteten knapp 7.000 Mitar-
beiter für den MDK, darunter rund 2.100 Ärzte
40
. Der MDK ist für die gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherungen in einem breiten Spektrum aktiv (§ 275) und
wird auch durch sie finanziert: Er wird von den Krankenkassen im Einzelfall zu Rate
gezogen zur Beurteilungen von Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitationsleistungen, Ver-
ordnungen von Arznei- und Hilfsmitteln sowie zur Beurteilung der Notwendigkeit und
Dauer stationärer Behandlungen. Der MDK gibt dabei allerdings nur Stellungnahmen
ab, die Entscheidung über Gewährung bzw. Nicht-Gewährung einer Leistung liegt bei
den Krankenkassen.
Darüber hinaus berät der MDK die gesetzlichen Krankenkassen in grundsätzlichen
Fragen der Qualitätssicherung im ambulanten und stationären Bereich, der Weiter-
entwicklung der Vergütungssysteme sowie der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit
neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.
38
EOG 2000, 37
39
Zipperer/am Orde 2001, 172; EOG 2000, 38; Gerst 2002/1, 1631
40
MDK 2002

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
20
Der MDK darf nur nach Aufforderung durch die Krankenkassen tätig werden und hat
keine eigene Sanktionsbefugnis. Im Rahmen der DRG-Einführung in Deutschland
wird jedoch eine bedeutendere Rolle des MDK, z. B. in der Qualitätssicherung und
der Verweildauerprüfung, diskutiert
41
.
Die zur Finanzierung des MDK erforderlichen Mittel werden durch eine Umlage von
ihren Trägerverbänden im jeweiligen Bundesland aufgebracht. Da die Medizinischen
Dienste sowohl für die Krankenversicherung als auch für die Pflegeversicherung tä-
tig sind, teilen sich Kranken- und Pflegekassen die Umlage zu jeweils 50
Prozent. Der Umlagebetrag wird auf Basis der Anzahl der Mitglieder der
Krankenkassen, für die der MDK zuständig ist, ermittelt (§ 281). Die Gesamtausga-
ben der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für die Medizinischen Dienste
lagen 1999 bei rund 460 Mio. Euro. Unter Berücksichtigung der hälftigen Finanzie-
rung entspricht dies einem Anteil von 0,17 Prozent an allen Ausgaben der gesetzli-
chen Krankenversicherung und von 1,40 Prozent an den Gesamtausgaben der ge-
setzlichen Pflegeversicherung
42
.
41
Tuschen 2001, 339
42
MDK
2002

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
21
Abbildung 5 gibt einen Überblick über die Organisationsbeziehungen der beschrie-
benen Akteure im deutschen Gesundheitswesen.
Abbildung 5: Die organisatorischen Beziehungen der Hauptakteure im deutschen Gesundheitswesen
(modifiziert nach EOG 2000, 25)

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
22
2.1.3.4 Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen
2002 betrugen die Gesamtausgaben der GKV rund 142,61 Mrd. Euro
43
gegenüber
138,56 Mrd. Euro im Jahr 2001
44
. Eine Übersicht über die prozentuale Verteilung auf
die Leistungserbringer gibt Abbildung 6.
Abbildung 6: Ausgaben der GKV nach Leistungsart, Stand 2002 (Quelle: BMGS 2003/2)
Hinter den USA, die rund 13,6% ihres BIP für das Gesundheitssystem aufwenden,
hat Deutschland bezogen auf das BIP das zweitteuerste Gesundheitssystem der
Welt: Es wendet rund 10,6% seines BIP für Gesundheitsausgaben auf
45
. Trotz der
vergleichsweise hohen Ausgaben erreicht Deutschland beim Vergleich von Säug-
lingssterblichkeit und Lebenserwartung nur einen Mittelfeldplatz; allerdings liegt
Deutschland bzgl. dieser Parameter noch vor den USA, die weitaus mehr für ihr Ge-
sundheitssystem ausgeben
46
. Selbst die Versicherten beurteilen die Lage im deut-
schen Gesundheitswesen zunehmend skeptischer: In einer Umfrage meinten nur
rund 50% der Befragten, dass das deutsche Gesundheitswesen eine hochwertige
Versorgung biete, fast zwei Drittel bemängeln einen Qualitätsrückgang der Versor-
43
BMGS 2003/2
44
BMG 2002/2
45
OECD Health Data 2001
46
OECD Health Data 2001; WHO World Health Report 2001, Annex 1

2.1 Grundzüge des deutschen Gesundheitswesens
23
gung
47
. Nicht zuletzt aufgrund dieser Fakten spricht der Sachverständigenrat für die
Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen auch von Über-, Unter- und Fehlversor-
gung
48
. Auch die Einführung der im Kapitel 2.3 beschriebenen Disease-
Management-Programme ist unter anderem auf die Erkenntnis der Unterversorgung
chronisch Kranker zurückzuführen
49
.
47
Zok 2002, 5ff.
48
SVRG 2001
49
Die Problematik des mäßigen Outcomes bei hohem Ressourceneinsatz im deutschen Gesund-
heitswesen soll hier nur kurz angerissen werden. Zu diesem Punkt kann man noch viele weitere
Ausführungen machen, zumal es bzgl. der Einschätzung dieser Problematik und deren Ursachen
konträre Auffassungen gibt, aber dies würde den Rahmen der Arbeit sprengen.

2.2 Der Risikostrukturausgleich
24
2.2 Der Risikostrukturausgleich
Der Risikostrukturausgleich (RSA) der GKV wurde 1994 eingeführt. Grundlage war
das im Dezember 1992 verabschiedete Gesundheitsstrukturgesetz (GSG), dessen
wesentliche Inhalte zwischen Koalition und Opposition in Lahnstein ausgehandelt
wurden. Daher auch der vielfach verwendete Begriff ,,Kompromiss von Lahnstein"
50
.
Der RSA wurde dabei im Hinblick auf die ebenfalls durch das GSG eingeführte Kas-
senwahlfreiheit für GKV-Versicherte mit Kontrahierungszwang und Diskriminierungs-
verbot auf Kassenseite implementiert. Intention des Gesetzes war die Förderung des
Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen
51
.
2.2.1 Entwicklung und Ziele des RSA
Bis 1993 war das System der GKV durch die Zuweisung der größten Zahl der
Pflichtversicherten zu einzelnen Kassen bzw. Kassenarten gekennzeichnet. Einge-
schränkte Kassenwahlfreiheiten hatten fast ausschließlich Angestellte: Sie konnten
zwischen ihrer zuständigen Primärkasse und den Angestellten-Ersatzkassen wählen.
Arbeiter wurden den AOKen zugewiesen, sofern ihre Betriebe keine Betriebskran-
kenkassen gegründet hatten bzw. mit anderen Betrieben einer Innungskrankenkasse
angehörten. Die Beitragssätze lagen 1992 zwischen 8 Prozent bei einer Betriebs-
krankenkasse und 16,9 Prozent bei der AOK Dortmund. Diese Differenzen wurden in
erster Linie durch die Zusammensetzung der Versicherten bestimmt, weniger durch
andere Faktoren wie Ausgabenmanagement. Mit der Situation der fehlenden Kas-
senwahlfreiheit für Arbeiter beschäftigte sich auch das Bundesverfassungsgericht,
dass die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten für verfassungswidrig
erklärte
52
.
Weiteres Kennzeichen des deutschen Gesundheitssystems war ein dirigistischer
Ordnungsrahmen, ein vollständiger Finanzausgleich mit einem einheitlichen kasse-
nunspezifischem Beitragssatz in der KVdR und fehlendem Wettbewerb zwischen den
Krankenkassen.
Mit der Einführung der Kassenwahlfreiheit ab 1996 wurde zum einen der Ungleich-
behandlung zwischen Arbeitern und Angestellten Rechnung getragen, zum anderen
ein Element des Wettbewerbs in die GKV eingeführt. Um den Kassenwettbewerb auf
eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung auszurichten und um einen Aus-
gleich zwischen den historisch bedingten Einnahmen- und Ausgabenunterschieden
50
IGES et al. 2001, 12
51
Lauterbach/Wille 2001, 27
52
Schneider 2000, 9f.; IGES et al. 2001, 43

2.2 Der Risikostrukturausgleich
25
zwischen Krankenkassen auszugleichen, wurde die Kassenwahlfreiheit mit dem RSA
verbunden
53
.
Im Jahr 1994 galt der RSA zunächst nur für den Bereich der Allgemeinen Kranken-
versicherung (AKV), ab 1995 wurde die KVdR eingeschlossen. Es erfolgte jedoch
eine Trennung zwischen den Rechtskreisen West und Ost, wobei Berlin zum
Rechtskreis West gehörte.
Ziele der Einführung des RSA waren einerseits die Herstellung gleicher Startchancen
der Wettbewerber durch die Verringerung der auf unterschiedliche Zusammenset-
zung der Mitglieder zurückzuführenden Beitragssatzdifferenzen und damit Herstel-
lung von mehr Beitragssatzgerechtigkeit. Andererseits sollte er die Allokation verbes-
sern sowie die solidarische Finanzierung der GKV und den Wettbewerb sichern (,,so-
lidarischer Wettbewerb"). Weiterhin erhoffte man sich eine Vermeidung bzw. Redu-
zierung von Risikoselektion durch die Krankenkassen (siehe Kapitel 5). Durch den
Ausgleich von standardisierten und nicht von tatsächlichen Ausgaben wurde dem
RSA zudem eine Anreizwirkung zu mehr Wirtschaftlichkeit zugesprochen
54
.
2.2.2 Berechnung des RSA
Um diese Ziele zu erreichen wurden bis Ende 2001
- die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder,
- die Zahl der beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen,
- die Alters- und Geschlechtsstruktur sowie
- der Bezug einer EU/BU-Rente
neben dem Krankengeldanspruch als Ausgleichsfaktoren berücksichtigt (§§ 266-267
SGB V). In Ermangelung genauerer Parameter zur Beschreibung von morbiditätsin-
duzierten Ausgabendifferenzen wurden Alter und Geschlecht neben dem Bezug ei-
ner Invalidenrente in den RSA einbezogen.
Die Berechnung des RSA wird vom Bundesversicherungsamt gemäß den §§ 266
und 267 SGB V sowie der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (RSAV) durchge-
führt. Die Transferzahlungen einer Kasse ergeben sich dabei aus der Differenz zwi-
schen Beitragsbedarf und Finanzkraft. Der Beitragsbedarf einer Krankenkasse ist die
Summe ihrer standardisierten Leistungsausgaben. Diese werden für die einzelnen
Versichertengruppen alters- und geschlechtsspezifisch sowie für die Gruppen der
EU-/BU-Rentner ermittelt. Hierfür werden für die unterschiedlichen Versicherten-
gruppen ,,RSA-Zellen" gebildet: Durch die Berücksichtigung der Altersgruppen von 0
53
Buchner et al. 1999, 3
54
IGES et al. 2001, 15ff; Breyer/Kifmann 2001, 2f.; Buchner et al. 1999, 1f.; Lauterbach/Wille 2001,
27

2.2 Der Risikostrukturausgleich
26
bis über 90jährige mit einem Intervall von einem Jahr, des Geschlechts, des Kran-
kengeldanspruchs (ohne, nach oder vor Ablauf von 6 Wochen) und dem Bezug einer
Invalidenrente gab es bis Ende 2001 670 Zellen. Für jede Zelle werden standardisier-
te Leistungsausgaben berechnet, deren Summe ­ wie bereits erwähnt ­ den Bei-
tragsbedarf ergeben. In diesen standardisierten Leistungsausgaben sind Satzungs-
bzw. freiwillige Leistungen sowie Verwaltungsausgaben einer Kasse unberücksich-
tigt
55
.
Die Finanzkraft einer Krankenkasse entspricht dem Produkt aus den beitragspflichti-
gen Einnahmen und dem Ausgleichsbedarfssatz (ABS). Der Ausgleichsbedarfssatz
ist definiert als das Verhältnis der Beitragsbedarfssumme aller Krankenkassen zur
Summe der beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder und kann als mittlerer Bei-
tragssatz der gesetzlichen Krankenkassen bezeichnet werden. Da sich der ABS nur
auf die im RSA berücksichtigten Leistungsausgaben (ohne Satzungs- und freiwillige
Leistungen sowie ohne Verwaltungsausgaben) bezieht, werden Differenzen zwi-
schen den Krankenkassen bei den beitragspflichtigen Einnahmen in ihrer Beitrags-
satzwirkung nur zu rund 92 Prozent ausgeglichen
56
.
Ist die Differenz zwischen Finanzkraft und Beitragsbedarf positiv, muss die Kranken-
kasse Transferzahlungen leisten; ist die Differenz negativ, so erhält sie Transferzah-
lungen. Entsprechend den Vergangenheitswerten unter Einbeziehung aktueller Ver-
änderungen leisten bzw. erhalten die einzelnen Krankenkassen monatliche Ab-
schlagszahlungen. Ein endgültiger Ausgleich erfolgt erst im jeweiligen Folgejahr,
wenn dem Bundesversicherungsamt alle Versicherungsdaten vorliegen.
Ausgenommen vom Risikostrukturausgleich sind nur die Landwirtschaftlichen Kran-
kenkassen (§ 266 IX).
55
IGES et al. 2001, 63; Buchner et al. 1999, 6
56
Schneider 2000, 12; IGES et al. 2001, 64

2.2 Der Risikostrukturausgleich
27
Eine schematische Darstellung der Funktionsweise des RSA gibt Abbildung 7 wie-
der.
Abbildung 7: Funktionsweise des RSA (Quelle: VdAK/AEV 2001, 41)
2.2.3 Kritik am RSA
Von der Initiierung des RSA an wurde Kritik am RSA als solchem, an seinem Be-
rechnungsverfahren und an den berücksichtigten Ausgleichsparametern laut. Die
wichtigsten Kritikpunkte waren folgende
57
:
1. Der RSA sei wettbewerbsfeindlich.
2. Der RSA sei ein Ausgabenausgleich, wodurch Ineffizienz begünstigt werde.
3. Die gewählten Ausgleichsfaktoren seien unzureichend, wodurch Risikoselekti-
on ermöglicht werde.
4. Die Rechtskreistrennung benachteilige bestimmte Krankenkassen.
5. Die fehlende Einbeziehung der Verwaltungskosten benachteilige Kassen mit
effizienter Verwaltung
58
.
57
Buchner et al. 1999, 9; Breyer/Kifmann 2001, 15ff; Schneider 2000, 12; Oberender 2001, 118ff.;
Saatkamp 2002, 365f.; IGES et al. 2002, 73
58
Es sollen hier nur kurz die wichtigsten Kritik- und Problempunkte aufgezeigt werden, wobei der
Fokus auf den Bereichen liegt, die in der RSA-Reform 2002 berücksichtigt wurden. Eine komplette
Darstellung der Kritik würde den Rahmen der Arbeit sprengen.

2.2 Der Risikostrukturausgleich
28
Insbesondere an den Ausgleichsfaktoren wurde in den letzten Jahren die Kritik im-
mer lauter, da für die Kassen weiterhin ein Interesse bestand, innerhalb der einzel-
nen Versichertengruppen möglichst gesunde und kostengünstige Personen zu versi-
chern. Liegen die Ausgaben dieser Personen unterhalb der durch den RSA ausgegli-
chenen standardisierten Leistungsausgaben, so resultieren Beitragssatzvorteile für
die Kasse. Es bestand also ein gewisser Anreiz zur Risikoselektion (siehe hierzu Ka-
pitel 5)
59
. Eine solche Risikoselektion wurde nach Auffassung der Orts- und Ersatz-
krankenkassen von den sog. ,,virtuellen Betriebskrankenkassen" betrieben, also
BKKen ohne Beziehung zu einem Unternehmen und ohne einem Zweigstellennetz.
Untermauert wurde diese Auffassung zum einen durch die zunehmende Zahl der
Kassenwechsler von den Orts- und Ersatzkassen zu den BKKen seit 1998 und zum
anderen durch die zunehmenden Beitragssatzunterschiede zwischen den genannten
Krankenkassengruppen
60
.
Weiterhin problematisch an den gewählten Parametern war, dass die Kassen, die
eine verbesserte Behandlung von chronisch Kranken anbieten wollten, fürchten
mussten, dass sie weitere Chroniker attrahiert. Die erhöhten Kosten der Behandlung
dieser Patienten würden jedoch nicht über den RSA ausgeglichen
61
.
2.2.4 Weiterentwicklung des RSA
Diese Kritikpunkte veranlassten den Bundestag im Dezember 1999, die Bundesre-
gierung aufzufordern, eine Untersuchung über die Wirkung des RSA in Auftrag zu
geben und bis zum 31.03.2001 über die Ergebnisse dieser Untersuchung zu berich-
ten
62
.
Am 31.05.2000 beauftragte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Institut
für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) in Berlin, in Kooperation mit Prof. Dr.
Dieter Cassel (Universität Duisburg) und Prof. Dr. Jürgen Wasem (Universität
Greifswald), mit der Durchführung der Untersuchung
63
.
Ein weiteres Gutachten zum RSA wurde vom VdAK/AEV, dem AOK-Bundesverband
und dem IKK-Bundesverband bei Prof. Dr. Dr. Karl W. Lauterbach (Universität zu
Köln) und Prof. Dr. Eberhard Wille (Universität Mannheim) in Auftrag gegeben
64
.
Beide Gutachten bestätigten den Reformbedarf des RSA, zeigten aber verschiedene
Lösungswege auf:
Das vom BMG in Auftrag gegebene Gutachten kam zu der Empfehlung, den RSA
morbiditätsorientiert weiterzuentwickeln. Bis zum Erreichen der Morbiditätsorientie-
59
Breyer/Kifmann 2001, 10; IGES et al. 2001, 47; Rürup 2001, 8; Felder 2000, 192
60
Schneider 2000, 13; Lauterbach/Wille 2001, 28f.; IGES et al. 2001, 35ff; Saatkamp 2002, 365
61
IGES et al. 2001, 46; Lauterbach/Wille 2001, 12
62
BT-Drucksache 14/2356 vom 15.12.99
63
IGES et al. 2001, 5
64
Lauterbach/Wille 2001, 7

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832475741
ISBN (Paperback)
9783838675749
DOI
10.3239/9783832475741
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Darmstadt – Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2004 (Januar)
Note
2,0
Schlagworte
direktverträge gesetzliche krankenversicherung patientenklassifikationssystem integrierte versorgung disease-management-programm
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