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Parteien als lernende Organisationen

Ein Weg zur Verbesserung ihrer Lernfähigkeit

©2003 Examensarbeit 85 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Demokratie als Steuerungsinstrument von Gesellschaften ist zu einem Erfolgsmodell in der Geschichte der Menschheit geworden. Keine andere Staatsform kann auf eine ähnliche Erfolgsbilanz in punkto Sicherheit, Wohlstand und persönlicher Freiheit blicken. Verantwortlich dafür ist ein politisches System, in dem starke Lernimpulse institutionalisiert sind: Nur über relativ kurze Zeit wird Regierungsmacht übertragen; es gibt feste Regeln wie um diese Regierungsmacht gestritten wird; prinzipiell hat jeder Zugang zur politischen Arena und kann Ideen einbringen; Politik muss sich in einer autonomen Öffentlichkeit darstellen und rechtfertigen. Dadurch werden „die Machtlagen [...] in einer Demokratie ständig instabil gehalten. Diese gewollte und geregelte Instabilität der Macht in der Demokratie nötigt alle politischen Akteure, ständig zu lernen.“ (Kielmannsegg 1988, 88) Der Wettbewerbsgedanke um Zustimmung der Bürger hat autoritäre Formen der Gesellschaftssteuerung, wie das „realpraktizierte“ sozialistische Modell, erfolgreich beerbt bzw. überlebt.
In einer zunehmend komplexer werdenden Welt stoßen westliche Demokratien aber an ihre Steuerungsgrenzen, ihre bisherigen Lernstrategien zur Problemlösung scheinen in Zeiten dynamischen Wandels den Entwicklungen hinterherzulaufen. Der Wandel ist heutzutage gekennzeichnet durch eine gesteigerte Anzahl von Einflussfaktoren, die Wechselbeziehungen zwischen diesen und durch eine große Sprunghaftigkeit, d.h. der Wandel verläuft nicht kontinuierlich, sondern ist eher durch große Fortschritte geprägt (Schmitz 1996, 24).
Wurde bisher in Demokratien aus der Vergangenheit gelernt und nicht-erfolgreiches abgewählt, muss heute vielfach gelernt werden „durch Antizipation der Zukunft [...]; womit gemeint ist: die langfristigen Folgen der Entscheidung und der Nicht-Entscheidung von heute müssen so in Rechnung gestellt werden, als träfen sie uns hier und heute.“ (Kielmannsegg 1988, 95) Es ist eine nicht unwesentliche Herausforderung, aus Erfahrungen zu lernen, die man noch nicht gemacht hat bzw. überhaupt nicht machen kann. Dies trifft im Besonderen auch auf die großen langfristigen Probleme zu, die die Stabilität von westlichen Demokratien bedrohen, wie die Staatsverschuldung, die demographische Entwicklung oder die Umwelt-Übernutzung. Scheinbar haben Demokratien größte Probleme einer vorausschauenden Steuerung, die sich durch Maßnahmen in der Gegenwart auszeichnet.
In Deutschland scheint dieses […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7558
Holstein, Daniel: Parteien als lernende Organisationen - Ein Weg zur Verbesserung ihrer
Lernfähigkeit
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Universität Bielefeld, Universität, Staatsexamensarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

2
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG: WARUM SIND LERNENDE PARTEIEN WICHTIG?
4
2 ENTWICKLUNG DER FRAGESTELLUNG: WIE KANN DIE LERNFÄHIGKEIT VON
PARTEIEN VERBESSERT WERDEN?
9
2.1 Theoretischer Bezugsrahmen
9
2.2 Die Lernfähigkeit von Parteien
11
2.3 Sind Parteien lernfähig bezogen auf ihre primären Ziele?
11
2.3.1 Lernfähigkeit und Prinzipienlogik bzw. Problemlösung
12
2.3.2 Lernfähigkeit und Stimmengewinnlogik
13
2.3.3 Fazit
15
2.4 Ursachenanalyse der eingeschränkten Lernfähigkeit von Parteien
15
2.4.1 Verzögerte Lernanreize und inkonsistente Deutung
16
2.4.2 Vielfältige Parteistruktur
17
2.4.3 Fehlervermeidende Machtstrukturen
19
2.4.4 Unflexible Wertekultur
21
2.4.5 Knappe Zeit
23
2.4.6 Fehlende Selbstbeobachtung
23
2.4.7 Zusammenfassung: Lernhemmende Faktoren in Parteien
26
2.5 Sind Parteien überhaupt lernfähig?
28
2.6 Entwicklung der Fragestellung und des weiteren Vorgehens
29
2.6.1 Zielführende Fragen
30
3 THEORIETEIL: VOM LERNEN IN DER ORGANISATION ZUM LERNEN DER
ORGANISATION 31
3.1 Erste Annäherungen an das Thema
31
3.1.2 Begriffserläuterungen: Lernen und Wissen
33
3.1.3 Begriffserläuterung: Organisationslernen
35
3.2 Argyris/Schön ­ Veränderung der organisationalen Handlungstheorie
37
3.2.1 Was ist organisationales Lernen und wie funktioniert es?
37
3.2.2 Organisationale Lernebenen ­ Was macht eine lernende Organisation aus?
39
3.2.3 Modelle ­ Lernbarrieren und ihre Überwindung
40
3.3 Senge: Die fünf Disziplinen
41
3.3.1 Personal Mastery
42
3.3.2 Mentale Modelle
46
3.3.3 Team Lernen
48
3.3.4 Gemeinsame Vision
50
3.3.5 System Denken
52
3.3.4 Zusammenfassung Senge
54
3.4 Zusammenfassung Organisationslernen
55

3
4 ANALYSE: ORGANISATIONSLERNEN ALS ANSATZ ZUR VERBESSERUNG DER
LERNFÄHIGKEIT VON PARTEIEN?
59
4.1 Fehlerverarbeitung
59
4.2 Wissensbasierung
62
4.3 Komplexitätsverarbeitung
65
4.4 Selbstbeobachtung
69
4.5 Bewertung: Können die fünf Disziplinen die lernhemmenden Probleme in Parteien lösen
und neue Akzente setzen?
71
5 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
74
6 LITERATUR
79
Anhang 1: Grafik - Gegenseitige Beeinflussung der fünf Disziplinen
83

4
1 Einleitung: Warum sind lernende Parteien wichtig?
Demokratie als Steuerungsinstrument von Gesellschaften ist zu einem Erfolgsmodell in der
Geschichte der Menschheit geworden. Keine andere Staatsform kann auf eine ähnliche Er-
folgsbilanz in punkto Sicherheit, Wohlstand und persönlicher Freiheit blicken. Verantwortlich
dafür ist ein politisches System, in dem starke Lernimpulse institutionalisiert sind: Nur über
relativ kurze Zeit wird Regierungsmacht übertragen; es gibt feste Regeln wie um diese Re-
gierungsmacht gestritten wird; prinzipiell hat jeder Zugang zur politischen Arena und kann
Ideen einbringen; Politik muss sich in einer autonomen Öffentlichkeit darstellen und rechtfer-
tigen. Dadurch werden ,,die Machtlagen [...] in einer Demokratie ständig instabil gehalten.
Diese gewollte und geregelte Instabilität der Macht in der Demokratie nötigt alle politischen
Akteure, ständig zu lernen." (Kielmannsegg 1988, 88) Der Wettbewerbsgedanke um Zu-
stimmung der Bürger hat autoritäre Formen der Gesellschaftssteuerung, wie das ,,realprakti-
zierte" sozialistische Modell, erfolgreich beerbt bzw. überlebt.
In einer zunehmend komplexer werdenden Welt stoßen westliche Demokratien aber an ihre
Steuerungsgrenzen, ihre bisherigen Lernstrategien zur Problemlösung scheinen in Zeiten
dynamischen Wandels den Entwicklungen hinterherzulaufen
1
. Der Wandel ist heutzutage
gekennzeichnet durch eine gesteigerte Anzahl von Einflussfaktoren, die Wechselbeziehun-
gen zwischen diesen und durch eine große Sprunghaftigkeit, d.h. der Wandel verläuft nicht
kontinuierlich, sondern ist eher durch große Fortschritte geprägt (Schmitz 1996, 24)
2
.
Wurde bisher in Demokratien aus der Vergangenheit gelernt und nicht-erfolgreiches abge-
wählt, muss heute vielfach gelernt werden ,,durch Antizipation der Zukunft [...]; womit gemeint
ist: die langfristigen Folgen der Entscheidung und der Nicht-Entscheidung von heute müssen
so in Rechnung gestellt werden, als träfen sie uns hier und heute." (Kielmannsegg 1988, 95)
Es ist eine nicht unwesentliche Herausforderung, aus Erfahrungen zu lernen, die man noch
nicht gemacht hat bzw. überhaupt nicht machen kann. Dies trifft im Besonderen auch auf die
großen langfristigen Probleme zu, die die Stabilität von westlichen Demokratien bedrohen,
wie die Staatsverschuldung, die demographische Entwicklung oder die Umwelt-Übernutzung.
Scheinbar haben Demokratien größte Probleme einer vorausschauenden Steuerung, die
sich durch Maßnahmen in der Gegenwart auszeichnet
3
.
In Deutschland scheint dieses allgemeine politische Lerndefizit im Vergleich zu anderen
westlichen Demokratien besonders ausgeprägt zu sein, wenn man Vergleichen im Bereich
Bildung (PISA-Studie), Wirtschaftsentwicklung als Grundlage von Wohlstand
4
oder Gesund-
1
Die Debatte um die ,,Regierungsfähigkeit" von modernen Staaten hatte ihren Höhepunkt in den 90er Jahren.
2
Motor dieser veränderten Rahmenbedingungen ist die Ausdifferenzierung von Teilsystemen, auf die hier aus
Platzgründen nicht eingegangen wird.
3
,,Herkömmliche demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung ist kurzfristig orientiert und vernach-
lässigt systematisch mittel- und langfristige Selbstgefährdung von Gesellschaften." (Willke 1998, 21)
4
Seit 1995 ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) insgesamt nur um 12 Prozent gewachsen, in Großbritan-
nien aber um 22 Prozent, in Frankreich 20,2 Prozent, in Italien 13,9 Prozent und im

5
heitswesen
5
glauben darf.
Wenn man sich die Beteiligten am politischen System in der Bundesrepublik anschaut, trifft
man auf verschiedene Akteure: Wähler, Regierungen, Parteien, Regierungsbürokratien, or-
ganisierte Interessen (Lobbies) etc., die mehr oder weniger stark Einfluss auf die gesell-
schaftliche Entwicklung haben. An dieser Stelle soll die Rolle von Parteien analysiert werden.
Sie sind m.E. die Schlüsselspieler, wenn es um die Lernfähigkeit von Demokratien geht, weil
sie zwei wesentliche Elemente konstituieren:
Regierungen. Parteien in repräsentativen Demokratien stellen und kontrollieren die Exe-
kutive. Bürgermeister und Regierungsmitglieder können nur so gut sein wie die Parteien,
aus denen sie kommen! Entfernt sich eine Regierung zu weit von den kulturellen und in-
haltlichen Grenzen einer Partei, ist großer Ärger vorhersehbar. Die Debatte um die A-
genda 2010 in der SPD veranschaulicht dies.
Strukturen. Seit langem wird über die Wucherungen der föderalen Verfasstheit der Bun-
desrepublik diskutiert und dies parteiübergreifend als Problem anerkannt, weil sie bei be-
stimmten, oft vorherrschenden Konstellationen zu einer Selbstblockade von Bundespoli-
tik führt. Das gleiche gilt für die zeitlich versetzten Wahlen auf Landes- und Bundesebe-
ne, durch die Politik häufig auf Wahlkämpfe Rücksicht nehmen muss. Parteien haben
nicht nur auf Bundesebene die Gestaltungsmacht solche Strukturen zu ändern, die maß-
geblichen Einfluss auf die Qualität von Ergebnissen haben.
Wenn man sich die Beurteilung der Arbeit von Parteien in der Öffentlichkeit und der Wissen-
schaft anschaut, ist diese wenig schmeichelhaft. Die Krise der Parteien wird nicht nur in Bou-
levardblättern beschworen
6
, sondern auch in der Politikwissenschaft und verwandten Berei-
chen herrscht ausnahmsweise Einigkeit. Walter (2001, 6) bestätigt Parteien, dass sie ,,ent-
kernt, ermattet, ziellos" sind. Von Alemann (1998, 35) formuliert die Auswirkungen folgen-
dermaßen: ,,Gerade für die Modernisierung des Staates - um ein wichtiges Beispiel auf-
zugreifen - lässt sich in den Parteien meist nur Stagnation konstatieren. Weder programma-
tisch und praktisch, noch organisationsstrukturell und politisch strategisch sind die Parteien
auf der Höhe der Zeit. Dieses für die Erhaltung eines aktiven Wirtschafts- und Sozialstaates
wichtige Thema wird in Deutschland ­ verglichen mit anderen Ländern ­ nur mit erheblicher
Verzögerung und verminderter Innovationsbereitschaft aufgenommen." Plasser (1992, 15)
fasst für traditionelle Großparteien denn auch zusammen, dass sie ,,lern- und anpassungs-
gestörte, von der gesellschaftlichen Realität weitgehend abgeschottete, überdehnte und er-
Schnitt der 15 EU-Staaten um 19,4 Prozent. Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,228830,00.html
5
Die Zeit vom 17.3.2002, S. 15. Fazit: Deutschland hat europaweit mit das teuerste Gesundheitssystem und
rangiert beim Qualitäts- bzw. Leistungsvergleich im Mittelfeld.
6
Parteien/ Politiker haben in diesem Land auch eine Funktion als ,,seelische Mülleimer", d.h. als Projektionsobjek-
te individueller Unzufriedenheit.

6
starrte Organisationen sind, die den Kontakt zu Wählern verloren haben, auf die entschei-
denden Fragen keine Antwort mehr geben können, Vergangenes verwalten, statt die Zukunft
zu gestalten und einer stetigen Erosion in Form eines schleichenden Niedergangs ausge-
setzt sind."
In der Literatur und in Parteien findet man diverse Vorschläge, wie man der Leistungskrise
der Parteien begegnen kann. Von Aleman (2000, 152) sieht drei große Strömungen in der
Politikwissenschaft: Durch ,,alle Macht den Wählern" werden Ansätze wie in Amerika befür-
wortet, die Kandidatenaufstellungen von Parteien auch durch Nicht-Parteimitglieder, soge-
nannte ,,primaries", vorschlagen; durch ,,alle Macht den Mitgliedern" müssen sich Parteieliten
stärker an den politischen Gestaltungsbedürfnissen der einfachen Parteimitglieder orientie-
ren und durch ,,alle Macht den Profis" werden Professionalisierungsanstrengungen im haupt-
amtlichen Bereich gefordert, die sich von der Idee einer Mitgliederpartei verabschiedet ha-
ben. Alle drei Ansätze haben das Potential Parteien teilweise aus ihrer Erstarrung zu lösen.
In ihrer tatsächlichen Umsetzung halte ich sie aber für utopisch. Meine Ausgangsthese in
dieser Arbeit lautet nämlich: Parteien besitzen momentan in keinster Weise die Fähigkeit
sich adäquat zu reformieren. Ihnen fehlen die organisatorischen bzw. organisationskulturel-
len Voraussetzungen schnell, reibungslos und nachhaltig
7
zu lernen. Die drei Eigenschaften
fehlen in der Lernfähigkeit von Parteien, was in Kapitel 2 deutlich wird. Sie stellen die Kon-
kretisierung des Titels dieser Arbeit dar, in der von einer Verbesserung der Lernfähigkeit die
Rede ist.
Die vorliegende Arbeit richtet den Fokus auf die Lernfähigkeit von Parteien. Dabei ist nicht
das Ergebnis dieser neuen Lernfähigkeit Untersuchungsgegenstand, sondern das Aufzeigen
von Wegen, wie Prozesskompetenzen zu einer besseren internen Steuerung aussehen.
Antworten werden dabei im Bereich der Organisationssoziologie gesucht, die sich seit länge-
rer Zeit Gedanken über Lernfähigkeit unter den Oberbegriffen Organisationslernen (OL) bzw.
lernende Organisation macht. Die Bandbreite der Organisationswirklichkeit der verschiede-
nen Parteien in Deutschland mit ihrer Vielschichtigkeit kann dabei nicht beleuchtet werden.
Stattdessen werden allgemeine Lernbarrieren und übergreifende Muster diagnostiziert, die
sich mehr oder weniger in allen Parteien, auf allen Ebenen und in den vielfältigen Konfliktli-
nien wiederfinden. Passive Mitglieder werden in den Ausführungen nicht berücksichtigt, der
Fokus liegt eindeutig auf den Aktiven, sowohl im Haupt- als auch Ehrenamt.
8
7
Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt eigentlich aus der Forstwirtschaft und beschreibt eine Bewirtschaftungs-
methode, in der nicht mehr Holz geschlagen wird als nachwachsen kann. In dieser Arbeit werden in einem erwei-
terten Verständnis Prozesse, Entscheidungen, Lösungswissen etc. als nachhaltig bezeichnet, die (in der Zukunft)
keine Folgeprobleme hervorbringen.
8
Von Alemann (2000, 210) quantifiziert diesen Ausschnitt auf ca. 250.000 Menschen. Bei 2.5 Mio Parteimitglie-
dern, das sind ca. 5% der Wahlberechtigten, und einem durchschnittlichen Aktivitätsgrad von 10 % kümmern sich
nicht wenige Menschen um die demokratische Teilhabe in diesem Land.

7
Zum inhaltlichen Vorgehen: Zunächst wird bei der Entwicklung der Fragestellung (Kapitel
2) der Begriff der Lernfähigkeit erläutert und hinsichtlich der zwei vordringlichsten Ziele von
Parteien überprüft: dem Machterwerb bzw. dessen Sicherung und der Lösung von gesell-
schaftlichen Problemen, auf die sie einen bestimmten Fokus haben. Es wird deutlich werden,
dass Parteien nicht die organisatorischen Voraussetzungen haben, um ihre selbst gesteck-
ten Ziele zu verwirklichen. Aus diesem Dilemma werden explorativ fünf lernhemmende Kern-
ursachen herausgefiltert und analysiert, die die Ausgangsbasis für den Theorieteil darstellen.
Zum Aufbau organisationaler Lernfähigkeit wird sich dabei zunächst auf die Erarbeitung von
gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktionen in Organisationen nach dem Ansatz von Argy-
ris/Schön (1978) konzentriert. Hierauf aufbauend werden die fünf Disziplinen von Senge
(1990) vorgestellt, die man als weiterführende gestalterische Umsetzung des Ansatzes von
Argyris/Schön sehen kann. Sie werden ausführlich behandelt, weil hier die individuellen
Kernkompetenzen zum Aufbau einer lernenden Organisation beschrieben werden. In der
anschließenden Analyse werden die Probleme, die Parteien zu eingeschränkten Lernorgani-
sationen machen, vor dem Hintergrund des Theorieteils unter der Fragestellung erörtert:
Können Senges fünf Disziplinen einen Beitrag zur lernenden Partei leisten? Im Vordergrund
steht dabei der Aspekt, inwiefern die diagnostizierten lernhemmenden Faktoren in Kapitel 2.4
ihren Einfluss verlieren. Dabei werden fiktive Beispiele eingeflochten, die der Frage nachge-
hen, was in der SPD frühzeitig hätte passieren müssen, damit die Debatte bzw. der Lernpro-
zess um die Agenda 2010 weniger stark eskaliert wäre.
Zum methodischen Vorgehen: Leider konnte bei der Entwicklung der Fragestellung und
ihrer Beantwortung nur eingeschränkt auf ein theoretisches Fundament zurückgegriffen wer-
den - im Allgemeinen wie im Speziellen. Wiesendahl (1998, 91) konstatiert, dass ,,der theo-
retische Fundus der Klassik und Moderne längst nicht so weit [reicht], um selbst grundlegen-
de Fragen der Organisations- und Funktionsweise politischer Parteien realitätsgerecht zu
beantworten". Aus diesem Grund musste bei der Ursachenanalyse zur eingeschränkten
Lernfähigkeit in Parteien explorativ vorgegangen werden
9
. Das gleiche gilt für den Analyse-
teil. Zur Verbindung der Begriffe Partei und Lernfähigkeit gibt es nicht mehr als zwei Artikel
(Baumfeld 2001; Wimmer 1992), die aus Tagungen des Renner-Institutes
10
hervorgegangen
sind und von Referenten der SPÖ stammen, die sich auf Detailfragen richten.
Die zentrale Herausforderung dieser Arbeit bestand demnach darin, die Erkenntnisse der
Organisationssoziologie auf Parteien zu übertragen, wobei die Forschung sich eher auf Pro-
fit-Unternehmen konzentriert, die teilweise nach anderen Systemlogiken funktionieren (Geld).
Bei der Entwicklung der Fragestellung wurde aus Platzgründen eine zusammenhängende
9
Dies führt zu einer ungewöhnlichen Länge dieses Teiles. Es kann wenig verwiesen werden, deswegen war an
einigen Stellen eine eigene ,,Beweisführung" von Nöten, damit der argumentative Faden dieser Arbeit fortgeführt
werden konnte.

8
Darstellung der internen Organisationswirklichkeit von Parteien vermieden. Hier war es sinn-
voller, die entscheidenden Merkmale im Rahmen der fünf beschriebenen ,,Lernhemmer" in
Parteien zu erörtern (Kapitel 2.4). Dabei werden Parteien aus der handlungs- bzw. akteurs-
theoretischen Perspektive betrachtet und nur am Rande werden Einflüsse aus der Umwelt
auf das Lernverhalten thematisiert.
10
Das Renner-Institut ist eine österreichische, den Sozialdemokraten nahestehende Stiftung.

9
2 Entwicklung der Fragestellung: Wie kann die Lernfähigkeit von
Parteien verbessert werden?
Im folgenden Kapitel wird geklärt, unter welchen theoretischen Gesichtspunkten die Frage-
stellung bearbeitet wird. Daran anschließend wird der Begriff der Lernfähigkeit im Zusam-
menhang mit Parteien betrachtet. Was kann man in einem vorläufigen Verständnis
11
davon
halten, wenn Organisationen unter der Lernperspektive betrachtet werden? Die Lern- bzw.
Veränderungsfähigkeit von Parteien wird in Kapitel 2.3 auf ihre wichtigsten internen Ziele
bezogen, die Stimmenmaximierungs- und Prinzipienlogik. Es wird festgestellt, dass ihre Or-
ganisationsbasis wenig dazu beiträgt, in den relevanten Kategorien erfolgreich zu sein und
somit ein Lernbedarf besteht. Was sind die Ursachen hierfür? Welche Faktoren kann man in
Parteien vor dem Hintergrund der festgestellten eingeschränkten Lernfähigkeit identifizieren,
die sie am Lernen hindern? Es sind sechs Gründe, die ausführlich in Kapitel 2.4 analysiert
und in der Form verdichtet werden, dass die Organisationskultur von Parteien maßgeblichen
Einfluss auf die eingeschränkte Lernfähigkeit von Parteien hat. Bei der Massivität der Prob-
leme taucht zwangsläufig die Frage auf, ob komplizierte Gebilde wie Parteien überhaupt ler-
nen können. Dies wird positiv beschieden. Auf diesem Ergebnis wird die grundlegende Fra-
gestellung konkretisiert und Fragen für den Theorieteil entwickelt.
2.1 Theoretischer Bezugsrahmen
Vor welchem theoretischen Hintergrund versucht diese Arbeit die Ausgangsfrage nach der
Verbesserung der Lernfähigkeit von Parteien zu beantworten? Am sinnvollsten erscheint der
akteurs- bzw. handlungstheoretische Zugang. Die Organisationswirklichkeit in Parteien und
ihr Out-Put kann nicht losgelöst von den handelnden und interagierenden Mitgliedern be-
trachtet werden: ,,Was in Parteien geschieht und welche organisatorischen Aktivitäten sie
auch immer entfalten, wird im Rückgriff auf Zusammenhänge interpretiert, bei denen dem
aufeinander bezogenen Handeln einzelner Akteure oder von Akteursgruppen eine zentrale
Rolle zugesprochen wird." (Wiesendahl 1998, 109)
Andere Theorien betonen andere Prägungen. In den klassischen Theorien, die zu Beginn
des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, werden Parteien als sehr zweckorientierte Organi-
sationen gesehen. Ihr Primärziel der Stimmenmaximierung ist der wesentliche Orientierungs-
faktor bei Entscheidungen. Bestes Beispiel dafür sind die unterdrückten Debatten und Kon-
flikte in Wahlkampfzeiten, in denen ein geschlossenes Bild der Partei wichtig ist. Parteien
prägen sich und ihr Handeln aus einem internen Zweck heraus, wohingegen moderne An-
sätze, wie systemtheoretisch-funktionalistische oder kontingenztheoretische, die Prägekraft
der Umwelt hervorheben. Parteien verinnerlichen demnach Ansprüche aus der relevanten
Umwelt und sind somit stark von außen determiniert. Wenn Parteien bspw. durch einen Wer-

10
tewandel in der Bevölkerung oder mit größeren Meinungsverschiebungen in einem wichtigen
Thema konfrontiert werden, versuchen sie diese Veränderungen nachzuvollziehen, damit sie
Mehrheitsfähigkeiten nicht verlieren. Hier lässt sich exemplarisch die Änderung des Grund-
gesetzes in Asylfragen Anfang der 90er Jahre anführen oder die Debatte um den ,,Sozialab-
bau" im Frühjahr 2003. In beiden Fällen wurde die Bundes-SPD durch äußeren Druck genö-
tigt sich zu verändern bzw. zu lernen. Als Gegenbeispiel lassen sich die veränderten Beteili-
gungsbedürfnisse seit den 70er Jahren deuten, auf die Parteien bisher noch nicht organisa-
torisch, z.B. durch Projektangebote, reagiert haben.
Kritisch zu bewerten ist bei modernen als auch klassischen Theorien, dass sie Parteien eine
Rationalität unterstellen, die so nicht gegeben ist (vgl. Wiesendahl 1998, 84f.). Parteien ver-
körpern zahlreiche Widersprüche in sich, haben unterschiedliche Betrachtungsweisen und
Interessenlagen bei der gleichzeitigen Schwierigkeit zu definieren, was förderlich für den
Machterwerb ist bzw. wie Veränderungen in der Umwelt zu deuten sind. Aus dieser Unüber-
sichtlichkeit heraus fällt Parteien es schwer, das ,,Logische bzw. Zweckrationale" zu tun. Ein
schönes Beispiel hierfür ist die Frage zur Trennung von Amt und Mandat bei den Grünen, die
der realpolitisch orientierte Flügel als eine wichtige Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit
der Partei sieht. Auf dem Parteitag kurz nach der Bundestagswahl 2002 wurde ein entspre-
chender Antrag knapp mit 8 fehlenden Stimmen nicht angenommen. Wenn man der Süd-
deutschen Zeitung vom 23.10.2002 (S. 3) glauben darf, waren es etliche Delegierte vom Re-
alo-Flügel, die gegen den Antrag gestimmt haben, als kleines nachträgliches ,,Dankeschön"
für den erfahrenen bzw. erlittenen Führungsstil eines damaligen Parteivorsitzenden, der von
der neuen Regelung profitiert hätte.
Alle drei Zugänge, Handlungstheorie, klassische und moderne Ansätze, verfügen über große
Erklärungskraft, wie das Handeln von Parteien entsteht. Ein theoretischer Ansatz allein kann
dabei die Wirklichkeit und die Funktionsweise von Parteien nicht erklären. In jeder Situation
wird zudem der Erklärungsanteil unterschiedlich zusammengesetzt sein.
In diesem Kapitel wird der Fokus auf die handlungstheoretischen Perspektive gelegt, weil
von der These ausgegangen wird, dass Parteien nicht die internen Voraussetzungen zum
Lernen haben, die Ursachen also in ihrer internen Organisation zu suchen sind.
12
Der Begriff der Handlungstheorie ist dabei ein Dachbegriff, unter dem sich Theorien sam-
meln, die Handeln aus einer Akteursperspektive untersuchen bzw. erklären wollen. In dieser
Arbeit wird dabei der Schwerpunkt auf die Begriffe Organisationskultur, Wirklichkeitsinterpre-
tation, Macht und Motivstruktur gelegt, die ein großes Erklärungspotenzial für Prozesse in
11
Eine ausführliche Darstellung erfolgt in Kapitel 3.
12
Natürlich könnte auch untersucht werden, wie maximaler Außendruck aufgebaut werden kann, damit Parteien
ihren phlegmatischen Habitus ablegen. Dies könnte in Einzelfällen auch gelingen, wenn eine Medien- und Bür-
gerkoalition Druck macht. In der gleichen Richtung scheinen auch die Vorteile von Volksabstimmungen zu liegen.
Bestes Beispiel dafür ist die Abschaffung des Beamtentums in der Schweiz. Eine dauerhafte und kontinuierliche
Entwicklung dieser Demokratie wird es aber nur über Parteien geben, gerade wenn gewährleistet werden soll,
dass auch zukünftige Generationen die gleichen Voraussetzungen vorfinden wie ihre Eltern.

11
Parteien besitzen, im Gegensatz zu Betrachtungsweisen, die unter den Schlagwörtern Nor-
mierung, Ritualisierung, Neoinstitutionalismus o.ä. firmieren (vgl. Wiesendahl 1998, 177f.).
Bevor aber die Binnenwirklichkeit von Parteien näher untersucht wird, sollen die Analyse-
maßstäbe geklärt werden..
2.2 Die Lernfähigkeit von Parteien
Wie kann man komplexe soziale Gebilde unter dem Aspekt der Lernfähigkeit betrachten? Im
Alltagsverständnis würden wohl die sehr verwandten Begriffe der Veränderungs- und Prob-
lemlösefähigkeit verwendet. In der Regel wird auf der individuellen Ebene von Lernen ge-
sprochen, wenn jemand zu einem Zeitpunkt etwas weiß, was er vorher nicht wusste, bzw.
sich in einer Situation anders verhält, als in derselben vorher (vgl. Schüppel 1996, 193f.).
Wenn man nun die Begriffe Wissen und Verhalten (als Lernergebnisse) auf den Organisati-
onstypus Partei überträgt, kann man sagen, dass Wissen in den Parteiprogrammen und Er-
fahrungen abrufbar ist und Verhalten sich in den verschiedenen Prozesskompetenzen wider-
spiegelt, wenn es bspw. darum geht, zu planen, zu managen oder erfolgreich in Projekten zu
arbeiten (vgl. Kielmannsegg 1988, 85). An dieser Stelle soll noch nicht auf die zugrunde lie-
genden Informationsverarbeitungsprozesse beim Lernen eingegangen werden (siehe Kapitel
3.1.2). Für die Entwicklung der Fragestellung ist ein rudimentäres Lernfähigkeitsverständnis
von Parteien ausreichend: Parteien lernen, wenn sie Probleme erkennen, Lösungswissen
erarbeiten und dieses innerparteilich mehrheitsfähig machen, was sich letztendlich in einem
veränderten Verhalten widerspiegelt. An dieser Stelle wird die Problematik von organisatio-
nalen Lernprozessen deutlich. Nicht eine ganze Organisation sieht Probleme und entwickelt
eine Lösung, sondern Individuen, Gruppen oder einzelne Strömungen sind die ,,Lerner", die
Mehrheiten überzeugen müssen, damit irgendwann im Namen aller bspw. eine Position in
das Parteiprogramm aufgenommen wird. Die Lernhemmungen in Parteien werden in Kapitel
2.4.4 vielfach auf Probleme in diesem Überzeugungsbereich verortet.
Worauf soll nun die Lernfähigkeit von Parteien bezogen werden? Wie kann man überprüfen,
ob Parteien lernfähig sind oder nicht?
2.3 Sind Parteien lernfähig bezogen auf ihre primären Ziele?
Um wertende Aussagen über die Lernfähigkeit von Parteien zu machen, muss diese auf ein
Beobachtungsgegenstand, ein Ziel o.ä. bezogen werden. Es ist dabei wichtig, dass diese
Ziele auch von Relevanz für Parteien sind und nicht von außen definiert werden. Parteien
investieren ihre begrenzten Lernressourcen nur dort, wo sie einen von ihnen erwünschten
,,Mehrwert" erwarten können. Wonach streben Parteien nun? Was sind ihre Masterziele, an
denen sich überprüfen lässt, ob Parteien lernfähige Organisationen sind? In der Literatur

12
wird hier fast einstimmig eine Stimmenmaximierungs- und Prinzipienlogik favorisiert (vgl.
Wiesendahl 1998, 242). Sind Parteien veränderungsfähig im Hinblick auf die Verwirklichung
dieser primären Ziele?
2.3.1 Lernfähigkeit und Prinzipienlogik bzw. Problemlösung
Menschen engagieren sich in Parteien, weil sie bestimmte Prinzipien bzw. inhaltliche Werte
und Normen in der Gesellschaft über Politik durchsetzen wollen (siehe auch Kapitel 2.4.4).
Diese individuelle Motivation findet sich in gebündelter Form im Bestreben der Gesamtpartei
wieder, wobei die Ausrichtung der Mitglieder kein Zufallsprodukt ist. Parteien im politischen
System der Bundesrepublik speisen sich aus sozialen Kräften, größeren Milieus oder Klas-
sen, die ihre Interessen verwirklicht sehen wollen (vgl. von Alemann 2000, 209). Dass sie
diese Grundinteressen verwirklichen, ist wichtig für das Allgemeinwohl.
Wenn man sich in diesem Zusammenhang im deutschen Parteiensystem den vereinfachten
Grundfokus der Parteien anschaut, spiegeln sich hierin die wichtigsten Faktoren wieder, die
moderne Gesellschaften für eine zukünftige Entwicklung brauchen: wirtschaftliches Wachs-
tum, das sozial gerecht verteilt wird - in einer Welt, die durch große individuelle Freiheit ge-
kennzeichnet ist und die nicht auf Kosten zukünftiger Generationen lebt, weder in ökologi-
scher noch in finanzieller Hinsicht. Wenn man nach einer Definition von Allgemeinwohl sucht,
wird dieses in der Balance der vier skizzierten Grundpfeiler schweben. Passend würde diese
Balance eingepegelt sein, wenn die relevanten Parteien optimal an der Verwirklichung ihrer
Ziele bzw. Prinzipien arbeiten (vgl. Reichart-Dreyer 2000, 25f)
13
.
Die hier beschriebene Verbindung von grundlegenden Interessen der Parteien ist im Kontext
dieser Arbeit wichtig. In der Einleitung wurde ein politisches Steuerungsdefizit in der Bundes-
republik angenommen, das zu einer Gefährdung von kollektiven Gütern führt (weniger
Wohlstand, Sicherheit, Freiheit und Lebensqualität). Nicht nur für Parteien ist deswegen die
Verwirklichung ihrer Prinzipien wichtig, sondern auch für die Gesellschaft.
Arbeiten Parteien an der Verwirklichung ihrer Prinzipien? An welcher Stelle kann man Aus-
sagen über die Lernfähigkeit bezüglich dieser Ziele treffen?
Bei der Umsetzung der Prinzipien spielt im Zusammenhang mit der Parteiorganisation vor
allen Dingen die Qualität der Programmatik eine Rolle, die durch Vermittlungsprozesse in die
Gesellschaft getragen werden muss. Bei beiden Faktoren finden sich in der Literatur vielfälti-
ge Hinweise auf nicht unwesentliche Probleme. Leider sind diese Ausführungen in der Regel
deskriptiv, so dass keine Aussage über die Höhe von Einflüssen u.ä. gemacht werden kann
und die folgenden Ausführungen somit eher Indiziencharakter haben. Aus Platzgründen
werden sie zudem verkürzt dargestellt.

13
Qualität der Programmatik
Becker (2001, 768) führt in Anlehnung an Walter (2001) und von Alemann (1998) aus: ,,Heu-
te wird man sagen dürfen, dass die Parteiprogramme einen Rückstand in der gesellschaftli-
chen Entwicklung zwischen 5 und 10 Jahren haben." Dies beziehe sich sowohl auf bereits
bekannte Probleme, aber auch auf die Tatsache, dass Entwicklungen nicht früh genug er-
kannt werden. Weibler (2001, 135) und Wiesendahl (1998, 57) kritisieren darüber hinaus,
das Folgewirkungen häufig nicht berücksichtigt werden und somit ein gelöstes Problem mit
häufig verzögerter Wirkung mehrere neue hervorbringt.
Vermittlung der Programmatik in die Gesellschaft
Auch hier finden sich zahlreiche Schwierigkeiten, die als Folgen ausbleibender Lernleistung
interpretiert werden können. Insgesamt stellt die Politikwissenschaft eine abnehmende Inter-
ventionskraft von Parteien in die Gesellschaft fest (von Alemann 2000, 177), d.h. ihre Kraft
zu überzeugen und zu gestalten ist vergleichbar geringer als bspw. in den 60er Jahren. Feh-
lende Persönlichkeiten, die in einer Medienwelt überzeugen können (Machning 2001), und
eine Verankerung in nicht allen Teilen der Bevölkerung machen Parteien oftmals nicht an-
schlussfähig. Hier ist neben den dramatischen Mitgliederrückgängen der Volksparteien auch
eine Abkopplung von jugendlichen Zielgruppen zu bemerken (Kießling 2001).
2.3.2 Lernfähigkeit und Stimmengewinnlogik
Parteien orientieren sich bei ihrer Entscheidungsfindung sehr stark am Faktor Macht, d.h.,
mit welcher Strategie bekommt man möglichst viele Stimmen, um in der Exekutive kollektive
Werte bzw. individuelle Ziele von Parteieliten durchzusetzen. Im Zweifelsfall geben führende
Parteigremien bzw. Einzelpersonen dem Stimmenaspekt den Vorzug (office-seeking) vor
den gestalterischen Absichten (policy-seeking) der Parteibasis
.
Sind Parteien ,,Meister" in der für sie wichtigen Disziplin ,,Wahlen-Gewinnen"?
Die dafür relevanten Einflussgrößen - Effektivität des Wahlkampfs, attraktive Kandidaten, der
erfolgreiche programmatische Spagat zwischen Stammwählern und wichtigen Zielgruppen,
die Geschlossenheit der Partei auf einer funktionierenden Organisationsbasis und die Hal-
tung zu anderen Parteien ­ wurden in der Vergangenheit unterschiedlich erfolgreich bearbei-
tet. Im Folgenden werden Ergebnisse einer umfangreichen Studie von Mair/Müller/Plasser
(1999) wiedergegeben, die Reaktionsstrategien von Parteien in 9 westeuropäischen Demo-
13
In dieser sehr vereinfachten Sichtweise kommt zu kurz, dass Parteien in der Bundesrepublik mehr als interes-
sengeleitete ,,pressure groups" sind und auch sein sollten, wenn sie erfolgreich Wahlen gewinnen wollen. Den
großen Volksparteien bleibt in dieser Hinsicht keine andere Wahl, weil sie ein lagerübergreifendes Wählerklientel
ansprechen müssen, damit sie ihre Mehrheitsfähigkeit sichern können.

14
kratien auf die instabiler werdenden Wählermärkte untersucht haben, wobei verstärkt Ergeb-
nisse aus der Deutschland-Untersuchung dargestellt werden.
Alle Parteien kaufen sich seit längerem für professionelle Wahlkämpfe Expertise von außen
und sichern damit wenigstens theoretisch, dass sie ihr ,,Prozente-Potential" ausschöpfen
können. Möglich wird dies in Deutschland durch die hohe Wahlkampfkostenrückerstattung,
bei deren Genehmigung die Parteien den 70er Jahren erfolgreich zusammengearbeitet ha-
ben (ebenda, 154).
Bei den immer wichtiger werdenden Kandidaten fehlt diese Professionalität. Zwar werden
verstärkt ,,mediale Typen" in den Wahlkampf geschickt, diese werden aber in der Regel aus
einem kleinen Pool ausgewählt, so dass die Qualität relativ zu bewerten ist, besonders auf
kommunaler Ebene. Eine Personalentwicklung (van den Berg 2002), die Kandidaten für ihr
Amt qualifiziert und deswegen einen Kompetenzbonus bei der Wahl einbringen würde, exis-
tiert erst in Ansätzen.
Die beiden deutschen Großparteien reagierten zumeist organisatorisch auf veränderte Wäh-
lermärkte, vor allen Dingen im Bereich von Mitgliederentscheiden und einer Attraktivierung
der Mitgliedschaft, was häufig sehr eng zusammenhängt. Hintergrund war die vielfach geteil-
te These, dass motivierte ,,Truppen" vor Ort ein wichtiges Mittel zum Wahlsieg sind, das
durch die dramatischen Mitgliederverluste (Kießling 2001) gefährdet ist. Hinzu kommt, dass
die Parteibasis vor allem bei den beiden Volksparteien nicht dem Querschnitt möglicher
Wähler entspricht und dementsprechend weniger (emotionalen) Zugang hat, auch weil keine
ansprechenden Kandidaten zur Verfügung stehen.
Die Anstrengungen waren eher halbherzig und scheiterten wie bei der CDU bereits auf Par-
teitagen - wie 1995, als die Delegierten Mitgliederentscheide ablehnten, aus Angst Einfluss
auf die Parteiführung zu verlieren (vgl. Reichart-Dreyer 2000, 45).
In punkto Programmentwicklung sind Parteien ebenfalls oft nicht optimal aufgestellt. Lernen
mit Verzögerung ist die Lernform, die am häufigsten in Parteien anzutreffen ist. Eigentlich
müsste man aufgrund der wegbrechenden Stammmilieus die Programmatik auffächern,
wenn man prozentual nicht verlieren will. Aus Angst vor ,,neuen Ufern"' bzw. innerparteilichen
Auseinandersetzungen wird dieser Schritt möglichst lange hinausgezögert. Zu einer Moder-
nisierung der Programmatik kommt es deswegen häufig erst mit beträchtlicher Verspätung
14
.
Notwendige Kurskorrekturen für eine Maximierung von Wählerstimmen, ohne sich dabei zu
weit von der Parteiidentität zu entfernen, scheitern am Widerstand von Parteiflügeln und füh-
ren zu einer problematischen Positionierung auf dem ,,Spielfeld"
15
. Der sich daraus ergebene
interne Streit ist zugleich höchst schädigend für das Außenbild der Partei und wird durch die
14
Beispielhaft dafür ist das Godesbergerprogramm der SPD, welches erst nach zwei schmerzhaften Bundes-
tagswahl-Niederlagen 1953 und 1957 verabschiedet wurde. (Beispiel in der neueren Zeit: CDU und Gesell-
schaftsmodernisierung)

15
Wähler entsprechend selten durch Zustimmung honoriert (von Alemann 2000, 34).
Insgesamt erweisen sich Parteien als sehr träge, wenn es darum geht sich gegenüber der
Konkurrenz Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten bzw. Wettbewerbsnachteile beim Rennen um
die Macht aufzuholen.
2.3.3 Fazit
Parteien lernen, mit Ausnahme im Bereich der Kommunikation mit Wählern (politisches Mar-
keting), nicht schnell, reibungslos und nachhaltig, was sie eigentlich müssten, wenn sie ihre
beiden Primärziele optimal verfolgen wollten. Auf der Ebene des ,,Wahlengewinnens" können
sie nicht schnell genug Meinungsänderungen in der Öffentlichkeit nachvollziehen und verlie-
ren so tendenziell an Mehrheitsfähigkeit. Besonders viele Zustimmungsprozente kostet auch
interner Streit, der öffentlich ausgetragen wird. Die Kombination dieser Faktoren findet sich
beispielhaft in der Diskussion um die Agenda 2010 im Rahmen der SPD und ihres Sonder-
parteitages, der durch unzufriedene Parteimitglieder angestrengt wurde. Im betreffenden
Zeitraum, als beide oben beschriebenen Faktoren in der Öffentlichkeit mehr als deutlich wur-
den, rutschte die SPD auf die schlechtesten Umfragewerte ihrer Geschichte ab (vgl. Süd-
deutsche Zeitung vom 21.5.2003, S. 7).
Bei der Erstellung inhaltlicher Ziele gibt es ebenfalls Probleme: Dabei werden häufig gesell-
schaftliche Entwicklungen vernachlässigt, was zu verspäteten Anpassungen der Parteipro-
grammatik an die Realität führt. Hinzu kommt, dass häufig Folgewirkungen von Lösungsstra-
tegien übersehen werden, die in der Regel mit einer gewissen Zeitverzögerung zu neuen
Problemen führen, wenn sie durch exekutive Organe umgesetzt werden.
Parteien sind scheinbar nicht in der Lage, konsequent an der Verfolgung ihrer primären Ziele
zu arbeiten. Die Gründe dafür werden im nächsten Kapitel dargestellt.
2.4 Ursachenanalyse der eingeschränkten Lernfähigkeit von Parteien
Das vorige Kapitel hat gezeigt, dass Parteien eingeschränkt lernfähig sind. Dies betrifft so-
wohl die Zielerreichung bei der Stimmenmaximierung, als auch die Lösungsfindung und de-
ren Vermittlung im Rahmen der Prinzipienlogik. Wo liegen die Ursachen dafür?
Leider gibt es in der Literatur zu diesem Aspekt nur vereinzelte und nicht zusammenhängen-
de Antworten, so dass an dieser Stelle explorativ gearbeitet werden muss. Die Ausgangsfra-
gestellung lautet: Was sind die charakteristischen Merkmale bzw. Eigenschaften, die Partei-
en auf den unterschiedlichen Ebenen zu langsamen Lernern machen? Welche Verhaltens-
muster sind dauerhaft in Parteien zu beobachten?
Aus der bisherigen Analyse, den weiterführenden Gedanken und in Bezugnahme auf das
15
Bei der Neupositionierung geht es nicht darum, dass Parteien ihre Ziele aus den Augen verlieren, sondern vor
dem Hintergrund geänderter Rahmenbedingungen neue Wege zum Ziel zu entwickeln und diese erfolgreich zu
kommunizieren.

16
Buch von Wiesendahl (1998) ,,Parteien in Perspektive"
16
, das sich mit den prägenden Fakto-
ren parteilicher Binnenwirklichkeit beschäftigt, drängen sich für den Autor dieser Arbeit sechs
Hindernisse auf, die Parteien nicht optimal lernen lassen:
2.4.1 Verzögerte Lernanreize und inkonsistente Deutung
2.4.2 Heterogene
Parteistruktur
2.4.3 Fehlervermeidende
Machtstrukturen
2.4.4 Unflexible
Wertekultur
2.4.5 Knappe Zeit
2.4.6 Fehlende
Selbstbeobachtung
Diese eigene Systematik erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal an dieser Stelle
auf keine Literatur zurückgegriffen werden konnte, die sich mit der Lernfähigkeit von Parteien
beschäftigt.
2.4.1 Verzögerte Lernanreize und inkonsistente Deutung
Folgt man den Ausführungen aus der Einleitung, werden die Machtlagen in einer Demokratie
ständig instabil gehalten. Diese Instabilität nötigt alle politischen Akteure, ständig zu lernen,
also auch jede einzelne Partei. Diese gewollte Wettbewerbssituation um das beste Pro-
gramm bzw. die beste Performance scheint in der Realität nicht wirklich zu funktionieren,
wenn man sich die Trägheit von Parteien anschaut. Mair/Müller/Plasser (vgl. 1999, 312) füh-
ren als Grund die gegenseitige ,,Nicht-Inspiration" an: Weil sich in der Regel keine Partei
durch Lernen einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet, müssen andere diesen schwierigen Pro-
zess, der oft mit hohen immateriellen Kosten verbunden ist, ebenfalls nicht gehen. Konkur-
renz findet eher in Scheingefechten und Nuancen statt.
Geringer Lerndruck resultiert auch aus den Erwartungen der Wähler hinsichtlich nachhaltiger
Problemlösungen. Diesen Druck gibt es nur marginal, weil dadurch oft aktueller Besitzstand
gefährdet wird. Warum sollten sich Parteien also mit langfristigen Szenarien beschäftigen,
die zu Lösungen führen müssten, die kontraproduktiv für die eigene Machtposition sind?
Verzögerter Lerndruck ergibt sich ebenfalls aus den zeitlich auseinander liegenden Wahlter-
minen. Unternehmen bekommen Fehlentwicklungen sehr schnell an ihren Absatzzahlen zu
spüren. Parteien erhalten Rückmeldungen erst Jahre später
17
. Dies trifft besonders auf der
kommunalen Ebene zu, wo es keine kontinuierliche demoskopische Begleitung gibt.
Zudem können Rückmeldungen, sei es über Umfragen oder Wahlergebnisse, oft von jeder
innerparteilichen Strömung zu ihren eigenen Zwecken gedeutet werden. In der Regel wird
deswegen nicht nach nur einer Niederlage gelernt, sondern es ist eine kleine Serie erforder-
16
Dieses Buch wird im Folgenden häufig zitiert. Es ist m.W. das einzige Buch, das sich in angemessener Aus-
führlichkeit und Qualität mit der Erklärung der Binnenwirklichkeit von Parteien beschäftigt.
17
Besonders problematisch ist der fehlende Lerndruck bei Gewerkschaften, die noch nicht einmal Wahlen als
Rückmeldungen haben, sondern nur ihre stetig abnehmenden Mitgliederzahlen ­ an die man sich nach einiger
Zeit gewöhnt.

17
lich, bis der nötige Leidensdruck für Veränderungen aufgebaut ist. Parteien leben in einer
eigenen Wahrnehmungswelt, wie jede andere Organisation auch. ,,Was wirklich ist, wie et-
was wirklich geschieht, warum es wirklich passiert ist und welche wirklichen Folgen Ereignis-
se haben, bestimmen Parteien selbst. Sie werden die sie umgebende Welt in einer Weise
gewahr, wie sie sie sehen wollen. Unwirklich ist das, was sie nicht sehen wollen. Das, was
für Parteimitglieder Wirklichkeit bedeutet, resultiert aus einem aktiven schöpferischen Aneig-
nungsprozess." (Wiesendahl 1998, 126). Wimmer (1992, 38) formuliert dieses noch etwas
pointierter: ,,Für überzeugungs- und glaubensbasierte Organisationen gilt, dass, wenn dort
gewisse Erwartungen nicht eintreffen, man Erklärungen dafür produziert, warum das so ist.
Erklärungen, die die eigene Überzeugungsbasis natürlich bestätigen [...] Sie können Abwei-
chungen benützen zur Bestätigung dessen, woran sie festhalten." Für Führungspersonen
einer Partei ist es nicht einfach, solche Deutungsmuster zu durchbrechen. Interessant in die-
sem Zusammenhang ist ein vielverwendeter Satz von Gerhard Schröder bei der Überzeu-
gungsarbeit zur Agenda 2010 im Rahmen seiner Partei: ,,Macht Euch doch nichts vor." (Süd-
deutsche Zeitung vom 30.4.2003, S. 3) Er illustriert sehr prägnant den Vorwurf, dass die
kognitiven Wahrnehmungs- und Interpretationsfilter in Parteien allgemein bzw. bei einzelnen
Mitgliedern und Strömungen nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen müssen.
Fazit: Die Parteienkonkurrenz in Deutschland findet nicht auf dem Innovationsfeld statt. Die-
se unvollständige Marktsituation wird durch die verzögerten Rückmeldungen in Folge von
Wahlen ergänzt. Parteien spüren in diesem Umfeld weniger Veränderungs- und Lerndruck
als bspw. Profit-Unternehmen. Hinzu kommt, dass wenn Rückmeldungen aus dem relevan-
ten Umfeld in Parteien nicht mehr ignoriert werden können, diese nicht als Probleme und
damit Lernanlass gedeutet werden müssen. Stattdessen kann uminterpretiert werden, getreu
dem Motto: ,,Was nicht sein darf, kann auch nicht sein." Wirtschaftlicher Misserfolg wird
bspw. mit der Weltkonjunktur erklärt und nicht mit dem Versagen der eigenen Politik in der
Regierung. Lernen braucht aber in der Regel einen Anlass, ein Problembewusstsein. Wenn
dies nicht vorhanden ist, wird in der Regel verspätet zu hohen Kosten gelernt. Im Kapitel
2.4.4 werden mögliche Ursachen dafür erörtert.
2.4.2 Vielfältige Parteistruktur
Elmar Wiesendahl hat Mitte der 80er Jahre als erster die beiden Konstrukte der Organisati-
onssoziologie, ,,organisierte Anarchie" (March/Olsen) und ,,lose Kopplung" (Weick) verbun-
den und auf Parteien übertragen. Seine Definition von Parteien als ,,lose verkoppelte Anar-
chie" bzw. ,,lose verkoppelte Fragment- und Stückwerkstruktur" (1984, 79) ist mittlerweile
zum Standard geworden, wenn man das Binnenleben von Parteien betrachtet. ,,Lose Kopp-
lung" meint nichts anderes, als dass die Verbindungen zwischen Handlungseinheiten
schwach, unregelmäßig und unvollständig sind. Wiesendahl (1998, 230) erweitert dieses

18
Verständnis und sieht bei Parteien ,,nicht nur Organisationsbereiche und Teilelemente, son-
dern auch Personen und Aufgaben, Positionen und Zuständigkeiten, Regeln und Verbind-
lichkeiten, Motive und Organisationsziele, Handlungspläne und Handlungspraxis, Probleme
und Problemlösungen, Entscheidungen und Verantwortlichkeiten, Leistungen und Belohnun-
gen, Tätigkeiten und Folgen unklar und lose miteinander verkoppelt." Zusätzlich erfüllen Par-
teien vollständig die von March/Olsen (1976, 24) aufgestellten Kriterien für organisierte A-
narchien: diffuse und inkonsistente Ziele, undurchsichtige Funktionsweise, eine stark wech-
selnde Beteiligung am Prozessgeschehen und eine sehr große Umweltoffenheit, also wenig
Möglichkeiten der Abgrenzung.
Im Ergebnis stellen sich Parteien, auch aufgrund ihrer zergliederten Struktur, als polyzentri-
sche Organisationen dar, in denen es hochgradig schwierig ist, zielgerichtet und effizient
Veränderungen zu mobilisieren, weil eine sehr heterogene Binnenwirklichkeit existiert, die
wenig steuerbar ist. Mehrere Gründe spielen dabei eine Rolle:
Unterschiedliche Ebenen-Logiken. Jedes Subsystem lernt für sich. Die Bundespartei
brauchen dabei oft die Zustimmung der unteren Gliederungen, die aber ihre Logik nicht
nachvollziehen können. Idealtypisch ist dieses Problem durch die Regierungsbeteiligung
der Grünen auf Landes- und Bundesebene sichtbar geworden. Basisengagierte in den
Ortsverbänden haben nicht verstanden, dass der Preis, um beim ,,Machtspiel" als Koaliti-
onär mitmischen zu dürfen, in der Preisgabe von Grundwerten besteht ­ einfach weil ein-
flussreichere Akteure andere Interessen haben bzw. weil dieses Land in Zusammenhän-
ge eingebunden ist, die nach anderen Maßstäben funktionieren (Bsp. Internationale Si-
cherheitspolitik). Während der Engagierte vor Ort das Parteiprogramm realisiert haben
will, also Gestaltungszielen folgt bzw. wertorientiert ist, steht für Parteieliten im Vorder-
grund Macht zu sichern bzw. Machtpositionen einzunehmen.
Vielfältige Interessen. Gerade in den Volksparteien findet man eine breite thematische
Palette von Interessen: von Arbeitgeber- zu Arbeitnehmerorientierung, über Menschen-
bilder, Interventionspositionen, Standpunkt bei allen inhaltlichen Fragen auf einer rechts-
links Skala, weiter über regionale Interessen und unterschiedliche Generationenperspek-
tiven. Parteien sind sozusagen ein artenreiches Biotop von unterschiedlichen Interessen
und Sichtweisen. Wiesendahl (1998, 216) fasst diesen Zustand zusammen: ,,Alles in al-
lem müssen Parteien mit einer so großen Vielfalt an nur schwer abweisbaren, reglemen-
tierbaren und verpflichtungsfähigen Handlungsmotiven, Zielerwartungen, Bewusstseins-
horizonten und Handlungslogiken fertig werden, dass sie organisationsstrukturell lauter
Unangepasstheiten, Eigenwilligkeiten, Ungleichzeitigkeiten und Nichtentsprechungen zu
verarbeiten haben."
Kaum Sanktionspotential. Anders als weitverzweigte Unternehmen haben Parteien
kaum die Chance, störende Elemente über Sanktionsmöglichkeiten zu disziplinieren.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832475581
ISBN (Paperback)
9783838675589
Dateigröße
862 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld – unbekannt
Note
1,7
Schlagworte
organisationslernen politik demokratieinnovation lernfähigkeit
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Titel: Parteien als lernende Organisationen
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