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Geschlechterdifferenzen im Krankheitsverhalten

©2003 Diplomarbeit 89 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Frauen und Männer haben unterschiedliche Krankheiten mit unterschiedlichen Symptomen und Verläufen, sowie ein anderes Verständnis von Krank- und Gesundsein.
Hier stellen sich eine Reihe von Fragen: Wie verschieden sind Frauen und Männer in ihren Krankheiten tatsächlich? Was folgt daraus für Forschung und Medizin? Diagnostizieren Ärzte bei Frauen anders als bei Männern und werden dadurch Gesundheitsprobleme von Frauen zu wenig bedacht?
Es wird in der Forschung diskutiert, dass ein erweiternder Blick auf die Unterschiede der speziellen krank machenden Lebensumstände bei Frauen und auch bei Männern geworfen wird. Wird eine Veränderung der Lebensbedingungen und Chancen in allen Lebensbereichen als notwendig erachtet? Wie wirken sich die unterschiedlichen Lebensbereiche von Frauen und Männern auf Krankheit und Gesundheit aus?
Wie und warum sind verschiedene Verhaltensweisen von Frauen und Männern in Bezug auf Krankheit entstanden, wie wirken sie sich aus?
Wie sind die Hintergründe des „starken“ und „schwachen“ Geschlechts zu betrachten und inwieweit ist das Klischee heutzutage haltbar?
Für diese und weitere Fragen wird in der vorliegenden Arbeit eine Antwort erarbeitet, um zu zeigen, dass die biologischen Voraussetzungen der Geschlechter in einem engen Zusammenhang mit dem Sozialisationsprozess stehen, was wiederum massiven Einfluss auf ein verstärkt zu beobachtendes geschlechterspezifisches Krankheitsverhalten hat.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung1
2.Problemhorizont4
3.Das Geschlecht - eine Definition und Einführung in die Thematik5
3.1Sozialisierung als Ursprung der Geschlechterdifferenzierung6
3.2Typisch „männlich“, typisch „weiblich“ – Geschlechtsstereotype12
3.3Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentität15
3.4Gender und Genderbias19
3.5Die Frauengesundheitsbewegungund -forschung23
4.Gesundheit und Krankheit im weiblichen Lebenszusammenhang27
4.1Rollenvielfalt von Frauen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen27
4.1.1Haus- und Familienarbeit28
4.1.2Familien- und Erwerbsarbeit – die „Doppelrolle“30
4.2Der weibliche Lebenszyklus34
4.2.1Pubertät und Menstruation35
4.2.2Schwangerschaft und Geburt36
4.2.3Klimakterium/Wechseljahre39
5.Gesundheit und Krankheit im männlichen Lebenszusammenhang41
5.1Männer, das starke Geschlecht?41
5.2Lebensentwürfe von Männern45
5.3Die Männerforschung49
6.Krankheitsverhalten und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung55
6.1Subjektive […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7712
Komsthöft, Yvonne: Geschlechterdifferenzen im Krankheitsverhalten
Hamburg: Diplomica GmbH, 2004
Zugl.: Fachhochschule Köln, Fachhochschule, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2004
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
1
2.
Problemhorizont
4
3. Das Geschlecht - eine Definition und Einführung in die Thematik
5
3.1 Sozialisierung als Ursprung der Geschlechterdifferenzierung
6
3.2 Typisch ,,männlich", typisch ,,weiblich" ­ Geschlechtsstereotype
12
3.3 Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentität
15
3.4 Gender und Gender-bias
19
3.5 Die Frauengesundheitsbewegung und -forschung
23
4. Gesundheit und Krankheit im weiblichen Lebenszusammenhang
27
4.1 Rollenvielfalt von Frauen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen 27
4.1.1 Haus- und Familienarbeit
28
4.1.2 Familien- und Erwerbsarbeit ­ die ,,Doppelrolle"
30
4.2 Der weibliche Lebenszyklus
34
4.2.1 Pubertät und Menstruation
35
4.2.2 Schwangerschaft und Geburt
36
4.2.3 Klimakterium/Wechseljahre
39
5. Gesundheit und Krankheit im männlichen Lebenszusammenhang
41
5.1 Männer, das starke Geschlecht?
41
5.2 Lebensentwürfe von Männern
45
5.3
Die
Männerforschung
49
6. Krankheitsverhalten und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung 55
6.1 Subjektive Befindlichkeiten
55
6.2 Geschlechtsspezifischer Arzneimittelverbrauch am Beispiel
61
psychotroper Substanzen
6.3 Geschlechtsspezifische Verhaltensstile zur Inanspruchnahme
68
medizinischer Versorgung
6.4 Präventionsverhalten und Inanspruchnahme von Vorsorgeunter-
74
suchungen am Beispiel von Krebsfrüherkennungsprogrammen
und Gesundheits-Check-Ups
7. Resümee und Diskussion
77
8. Fazit und Ausblick
80
9.
Literaturverzeichnis
82

1
1. Einleitung
Im Laufe meines Studiums habe ich mich immer wieder mit verschiedenen
Bereichen der Frauenarbeit beschäftigt. Über die Themen
Gleichberechtigung, Frauenbewegung, Gewalt an Frauen,
Geschlechterrollen, Frauen als Mütter galt mein Hauptinteresse dem
Bereich Frauen und Gesundheit. Dieses Thema gewinnt zunehmend an
Bedeutung, seitdem die Frauengesundheitsforschung festgestellt hat,
dass es keine geschlechtsneutrale Gesundheit gibt. Daraus ergibt sich,
dass die Gesundheitspolitik den Zusammenhang zwischen sozialen
Lebensbedingungen und Gesundheit/Krankheit geschlechtsspezifisch in
den verschiedenen Lebensbereichen von Frauen und Männer
berücksichtigen muss.
An diesem Thema interessierten mich vorwiegend die verschiedenen
Krankheitsbilder und das Verhalten von Frauen und Männern im
Krankheitsverlauf. Ich stellte mir auch die Frage, warum Frauen eher
medizinische Versorgung in Anspruch nehmen und beschäftigte mich mit
dem Phänomen, dass Frauen angeblich mehr Medikamente einnehmen
und dass Männer augenscheinlich einem höheren Risiko ausgesetzt sind,
einen Herzinfarkt zu bekommen. Diese sichtbaren Tatsachen in unserer
Gesellschaft wecken mein Interesse an diesem Thema und mir liegt
daran, die Ursprünge zu erarbeiten und die Hintergründe aufzudecken.
Mir wurde z. B. am eigenen Körper bewusst, wie sehr ich selbst - ich
vermute eher unbewusst - gewissen Einteilungen unterliege, als ich
bemerkte, dass mein eigener Medikamentenkonsum zwar nicht immens
ist, aber dennoch recht unreflektiert vonstatten geht. Es ist heute vielfach
festzustellen, dass durch übermäßigem Medikamentenkonsum leicht
Missbrauch entsteht, der in die Abhängigkeit führen kann.
Die Tatsache, dass die Mehrdimensionalität sichtbar wird und sich durch
das Zusammenwirken psychologischer, historischer und gesellschaftlicher
,,Kräfte" ein bestimmtes Bild zusammenpuzzeln lässt, macht die

2
Erarbeitung zur Unterschiedlichkeit der Geschlechter interessant und lässt
für mich eine Erarbeitung als sinnvoll erscheinen.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob neben der biologischen
Unterscheidung der Geschlechter, die sich auch in unterschiedlichen
Krankheiten äußert, das Krankheitsverhalten und die Krankheitsbilder im
wesentlichen von den Geschlechtsrollen abhängig ist und auf
gesellschaftlich bedingte Ursachen zurückzuführen sind. Im zentralen
Blickpunkt bleiben dabei das unterschiedliche Krankheitsverhalten und der
Umgang mit der medizinischen Versorgung.
Da ich den Schwerpunkt auf die sozialen Einflüsse lege, gehe ich auf die
biologische Komponente bei der Unterscheidung der Geschlechter nur am
Rande ein.
Ich beziehe mich auf die Grundlage heterosexueller
Geschlechtskonstellationen und lasse in diesem Zusammenhang andere
Lebensformen wie z. B. Homosexualität unberücksichtigt.
Bei der Formulierung in der männlichen Allgemeinform ist die weibliche
stets mitgedacht.
Die vorliegende Arbeit stellt keine Pauschalisierung der Verhaltensweisen
von Frauen und Männern dar, sondern versteht sich als Reflexion von
Tendenzen als typisch weiblich und männlich belegter Eigenschaften.
Ziel der Arbeit ist, die Ursache des unterschiedlichen Krankheitsverhalten
von Frauen und Männern zu erschließen. Dabei gilt es zu zeigen, dass
nicht nur der biologische Prozess, sondern der Sozialisationsprozess in
Verbindung mit dem gelebten Rollenverhalten von Frauen und Männern
von zentraler Bedeutung ist.
Erläuterung der Vorgehensweise:
In der folgenden Arbeit soll nun im ersten Schritt des dritten Kapitels zum
grundlegenden Verständnis der Begriff ,,Geschlecht" definiert und erläutert
werden. Im Anschluss wird die Entstehung bzw. Entwicklung der
Geschlechterdifferenzierung näher untersucht, und anschließend wird die

3
Geschlechtsidentität und das daraus resultierende Rollenverständnis von
Frauen und Männern betrachtet.
Die Beispiele dienen der Veranschaulichung und erheben nur bei
expliziter Nennung einen Anspruch an Repräsentativität.
Darüber hinaus wird anschließend das soziale Geschlecht erörtert, wobei
ein Zusammenhang mit Forschungsergebnissen innerhalb der Medizin
dargelegt wird. Hierbei wird untersucht, inwieweit die Kategorie
Geschlecht berücksichtigt wird. Abschließend möchte ich einen Überblick
über die Geschichte der Frauengesundheitsbewegung und die zu
verzeichnenden Erfolge geben.
Im vierten Kapitel werde ich mich anhand der verschiedenen
Lebenszusammenhänge primär mit den unterschiedlichen Rollen von
Frauen und den daraus resultierenden Konflikten und auch Ressourcen
beschäftigen. Anschließend zeige ich die physischen und psychischen
Auswirkungen bei Frauen in kritischen Lebensereignissen von der
Pubertät bis zu den Wechseljahren und deren Einfluss auf das
geschlechtsspezifische Krankheitsverhalten von Frauen.
Im fünften Kapitel werden der Männermythos des starken Geschlechts
und die gesundheitsriskante Verhaltensweisen von Männern untersucht,
um einer Begründung zur kürzeren Lebenserwartung gegenüber Frauen
näher zu kommen. Ebenso wird die relativ neu entstandene
Männerforschung mit ihren Strategien und Vorhaben näher betrachtet.
Das darauf folgende, sechste Kapitel setzt sich mit dem
Arzneimittelkonsum von Frauen und Männern auseinander und enthält am
Beispiel psychotroper Medikamente einen Überblick über den
geschlechtsspezifischen Medikamentenkonsum.
Des Weiteren stehen das Krankheitsverhalten und die
geschlechtsspezifischen Verhaltensstile bei der Inanspruchnahme
medizinischer Versorgung im Blickpunkt. Darüber hinaus werden die
subjektiven Befindlichkeiten und das Präventionsverhalten von Frauen
und Männern untersucht.

4
Im siebten Kapitel werden in einem Resümee die Ergebnisse der Arbeit
zusammengefasst und die Hauptthese dieser Arbeit diskutiert und mit
einem abschließenden Fazit abgerundet.
2. Problemhorizont
Frauen und Männer haben unterschiedliche Krankheiten mit
unterschiedlichen Symptomen und Verläufen, sowie ein anderes
Verständnis von Krank- und Gesundsein.
Hier stellen sich eine Reihe von Fragen: Wie verschieden sind Frauen und
Männer in ihren Krankheiten tatsächlich? Was folgt daraus für Forschung
und Medizin?
Diagnostizieren Ärzte bei Frauen anders als bei Männern und werden
dadurch Gesundheitsprobleme von Frauen zu wenig bedacht?
Es wird in der Forschung diskutiert, dass ein erweiternder Blick auf die
Unterschiede der speziellen krank machenden Lebensumstände bei
Frauen und auch bei Männern geworfen wird. Wird eine Veränderung der
Lebensbedingungen und Chancen in allen Lebensbereichen als
notwendig erachtet? Wie wirken sich die unterschiedlichen
Lebensbereiche von Frauen und Männern auf Krankheit und Gesundheit
aus?
Wie und warum sind verschiedene Verhaltensweisen von Frauen und
Männern in Bezug auf Krankheit entstanden, wie wirken sie sich aus?
Wie sind die Hintergründe des ,,starken" und ,,schwachen" Geschlechts zu
betrachten und inwieweit ist das Klischee heutzutage haltbar?
Für diese und weitere Fragen wird in der vorliegenden Arbeit eine Antwort
erarbeitet, um zu zeigen, dass die biologischen Voraussetzungen der
Geschlechter in einem engen Zusammenhang mit dem
Sozialisationsprozess stehen, was wiederum massiven Einfluss auf ein
verstärkt zu beobachtendes geschlechterspezifisches Krankheitsverhalten
hat.

5
3. Das Geschlecht ­ eine Definition und Einführung in die Thematik
Wichtig bei der Auseinandersetzung mit dem Thema ist es, eine genaue,
eindeutige Definition von Geschlecht zu Grunde zu legen. Neben der
grammatischen Unterscheidung und Klassifikation lässt sich der Begriff
,,Geschlecht" ethymologisch auf ,,sexus" zurückführen und bedeutet, ,,zwei
verschiedene Formen, nämlich weiblich und männlich, in denen beim
Menschen, den meisten Tieren und vielen Pflanzen die Einzelwesen
vorkommen; unterscheiden sich immer im Bau der Geschlechtsdrüsen und
oft auch in anderen Merkmalen".
1
Demnach unterscheidet sich das Geschlecht nicht nur im biologischen,
sondern auch im sozialen Sinne. Diesen Aspekt machte sich die etablierte
Geschlechterforschung Ende der 90er Jahre zum Thema. Die
Geschlechterforschung, die aus der Frauenforschung Ende der 70er Jahre
entstand, beschäftigte sich mit der These: ,,Geschlecht ist nicht etwas, das
wir haben, schon gar nicht etwas, das wir sind. Geschlecht ist etwas, das
wir tun."
Arbeitsschwerpunkte der Geschlechterforschung sind u. a. die
Kategorisierung der Geschlechter. Dabei wird die Kategorie ,,Frau" als
gesellschaftliche Konstruktion und das Geschlecht nicht mehr als
Naturgegebenheit, sondern als kulturelles Zeichen und gesellschaftliche
Strukturkategorie betrachtet.
2
Die Forschung und der Gebrauch des Begriffs Geschlecht richtet sich
nach Hervé und Steinmann ,,gegen die Ideologie der
»Geschlechtsstereotype« (Weiblichkeit-Männlichkeit), die die Geistes- und
Sozialwissenschaften in den letzten 300-400 Jahren stark bestimmt und in
Bildung, Erziehung und im öffentlichen Leben direkt wirksam war und ist
[...]."
3
1
Lexikon-Institut, (Hg.), ,,Das moderne Lexikon". Gütersloh, Berlin, München, Wien, 1974, S.29.
2
vgl. Mühlen-Achs, G., ,,Geschlecht bewusst gemacht. Körpersprachliche Inszenierungen- ein
Bilder- und Arbeitsbuch". München, 1998, S.21.
3
Hervé, F., Steinmann, E., Wurms, R., (Hg.), ,,Das Weiberlexikon". Köln, 1995, S.214

6
3.1 Sozialisierung als Ursprung der Geschlechterdifferenzierung
Die Sozialisation eines jeden Menschen ist ein wesentlicher Prozess in
seiner individuellen geschlechtsspezifischen Entwicklung. Einige Theorien
legen dem Begriff der Sozialisation ein Weltbild zu Grunde, das von sehr
starken patriarchalen Strukturen geprägt ist. Sie greifen zurück auf den
Ursprung gesellschaftlicher Grundformen. Zwar haben sich bezüglich der
strikten Rollenklischees im Wandel der Zeit einige Modifikationen ergeben,
die Grundzüge dieser Rollentheorien aber gelten auch heute noch.
Unter dem Begriff Sozialisation versteht Meulenbelt ,,den gesamten
Prozess, bei dem wir lernen, ein Teil dieser Gesellschaft zu werden, bei
dem wir uns die Werte und Normen und Sitten dieser Gesellschaft zu
eigen machen, bis sie Bestandteil unserer Persönlichkeit geworden sind.
Ein Großteil dieses Sozialisationsprozesses ist die Sozialisation zur Frau
oder zum Mann."
4
Man kommt kaum umhin die vorgegebenen sozialen Rollen zu
internalisieren, um ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu werden.
Gegenteiliges Rollenverhalten hätte eher befremdliche Reaktionen oder
sogar eine Stigmatisierung zur Folge. Dies kommt z. B. immer noch durch
mangelnde Toleranz gegenüber Homosexuellen vor.
Aus soziologischer Sicht bedeutet Sozialisation ,,vor allem die Integration
des Menschen in die kulturell vorgegebenen sozialen (Rollen-) Systeme
[...] und gilt als lebenslanger Prozess."
5
Wie Hurrelmann und Bründel ausführen, geht jeder Mensch im Verlauf der
Sozialisation ,,auf seine eigene Art und Weise auf die
geschlechtsbezogenen Erwartungen und Überzeugungen anderer ein und
zeigt aktiv über alle Lebensphasen hinweg geschlechtsbezogenes
Verhalten. Männlichkeit und Weiblichkeit müssen fortwährend angeeignet
4
Meulenbelt, A., ,,Wie Schalen einer Zwiebel oder Wie wir zu Frauen und Männern gemacht
werden". München, 1988, S.83f.
5
Böhnisch, L., Winter, R., ,,Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme männlicher
Geschlechtsidentität im Lebenslauf". Weinheim, München, 1997, S.13.

7
und immer wieder hergestellt werden, damit eine Geschlechtsidentität
erworben werden kann."
6
Nach Aussage der Autoren ist die Aneignung von Männlichkeit und
Weiblichkeit wichtig für die Geschlechtsidentität. Dennoch geht jeder
Mensch auf unterschiedliche Art und Weise auf geschlechtsbezogene
Erwartungen ein, d. h. dass Menschen in ihrem Lebenslauf durchaus eine
intensivere geschlechtstypisierende Sozialisierung durchlaufen als andere.
Diese Theorie gibt eine Antwort auf die Frage, warum es Männer gibt, die
sich außerordentlich feminin verhalten und Frauen, die in ihren
Verhaltensweisen eher maskulin wirken. In diesem Zusammenhang wäre
eine Untersuchung darüber interessant, die Aufschluss geben könnte, ob
sich Auswirkungen auf das Krankheitsverhalten des jeweiligen
Geschlechts mit ,,untypischen" Stereotypen abzeichnen.
Kinder werden in eine Gesellschaft hineingeboren und sozialisiert, die
verschiedene Bewertungen über Männlichkeit und Weiblichkeit beinhaltet.
Eltern und die Erziehung spielen beim Sozialisationsprozess eine
entscheidende Rolle, da sie den Kindern ihren Fundus an Wissen,
Fähigkeiten und Überzeugungen schon im frühen Kindesalter übertragen
und sie in den ersten Lebensjahren des Kindes den größten Anteil an der
Erziehung haben. Dadurch sind sie an der Entwicklung der eigenen
Persönlichkeit ihrer Kinder beteiligt.
Manche Verhaltensweisen, die Eltern ihren Kindern gegenüber zeigen,
sind ihnen gar nicht bewusst, so dass sie über die Beweggründe nicht
reflektieren, wenn sie z. B. der Tochter auftragen, für das gemeinsame
Essen den Tisch zu decken, oder vom Sohn das regelmäßige
Rasenmähen erwartet wird.
Durch diese Prägung geschlechtskonformer Verhaltensweisen durch die
Eltern (und auch anderer Instanzen, wie z. B. die Medien, Schule etc.)
6
Hurrelmann, K., Bründel, H., ,,Konkurrenz, Karriere, Kollaps. Männerforschung und der
Abschied vom Mythos Mann". Stuttgart; Berlin; Köln, 1999, S.13.

8
erfährt ein Kind, welches Verhalten seinem Geschlecht als angemessen
erachtet wird und es wird sich den Rollenvorschriften anpassen.
7
Allerdings berichteten Newson&Newson über ihre Ergebnisse zur
Untersuchung der Erziehungsvorstellungen und Erziehungsverhalten von
ca. 700 Familien in England folgendes:
Mütter von 7-11jährigen Kindern fühlen sich zwar wohler bei
entsprechenden Neigungen ihrer Kinder in die herkömmlichen Rollen,
aber auch rollenwidrige Vorlieben von der Tochter, die gerne Fußball
spielt oder dem Sohn, der für sein Leben gerne häkelt, werden von
Müttern unterstützt. Diese Verhaltensweisen oder Vorlieben werden als
Ausdruck der spezifischen Individualität des Kindes gesehen und sind
somit berechtigt.
Jedoch berichteten einige Mütter dieser Testreihe, dass ihre Kinder von
Gleichaltrigen wegen ihrer, der Geschlechtsrollen widersprechender
Neigungen, aufgezogen und gehänselt werden.
8
In solchen Situationen werden Kinder auf dem Weg zur Individualität
schon frühzeitig ausgebremst. Sie bekommen nicht die Möglichkeit, sich
ohne Einfluss ihrer sozialen Umwelt zu entfalten, wie es ihnen entspricht.
Schon frühzeitig werden sie in vorgeformte Geschlechtsrollen gepresst,
wodurch ihnen keine individuelle Entwicklung ermöglicht wird.
Meulenbelt
vertritt die Auffassung, dass es während des
Sozialisationsprozesses immer wieder zu Brüchen kommt, die Konflikte
mit sich bringen. Immer wieder werden Erwartungen an Frauen und
Männer gestellt. In allen Lebensabschnitten müssen sie sich fragen, ob sie
sich den Rollen anpassen oder nicht.
9
7
vgl. Maccoby, E., ,,Psychologie der Geschlechter. Sexuelle Identität in den verschiedenen
Lebensphasen". Stuttgart, 2000, S.152.
8
vgl. Newson&Newson, 1978, zit. nach Hagemann-White, C., ,,Sozialisation: Weiblich-
männlich?", Opladen, 1984, S.50f.
9
vgl. Meulenbelt, A., 1988, S.84.

9
Es ist der Gesellschaft zuzuschreiben, dass für die Geschlechter
unterschiedliche Normen gelten, wie z. B. für Frauen das
Kindererziehungsgebot und für Männer das lebenslange
Erwerbsarbeitsgebot, geprägt von den patriarchalen Strukturen.
Wie allgemein bekannt ist, sind Männer in den herrschenden
Machtverhältnissen von z. B. Staat und Politik deutlich überrepräsentiert,
wodurch ein Machtungleichgewicht zwischen Frauen und Männern
vorherrscht. Dies äußert sich zum Beispiel an der
Gleichstellungsproblematik in Bezug auf Karrierechancen und niedrigeren
Erwerbseinkommen von Frauen. Hier kann von einer Hierarchisierung
gesellschaftlicher Sphären gesprochen werden. Männer werden in der
Erwerbssphäre im Vergleich zu Frauen privilegiert. Deshalb werden in
öffentlichen Einrichtungen Frauen bei gleicher Eignung auch bevorzugt
eingestellt.
Im Hinblick auf die von der Gesellschaft vorgegebenen Geschlechterrollen
und den Sozialisationsprozess ist die nähere Betrachtung der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zur Erklärung dieses Phänomens
von großer Bedeutung.
Im Zuge der Industrialisierung wurde die Rolle des Mannes im öffentlichen
produktiven Bereich angesiedelt und der Frau wurde ein Platz innerhalb
des Hauses, im Reproduktionsbereich, zugeschrieben. Diese
Rollenaufteilung ergab sich zu den Zeiten des Wirtschaftswunders Ende
der 50er Jahre, mit Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie als Ablösung
des ganzen Hauses
10
. In dieser neuen Lebensform von Familien übte in
der Regel der Mann außerhalb des Hauses seine Arbeit aus und war
alleine für das Familieneinkommen verantwortlich. Die Frau wurde von der
Berufswelt ausgeschlossen. Ihre Funktion beschränkte sich auf die
Aufzucht der Kinder und die Haushaltsführung.
So entstanden stereotype Rollenbilder, die wurden von Institutionen wie
Medien, Schule und Familien weiter getragen, die vorgeben, wie sich die
10
die Ablösung des ,,ganzen Hauses" bedeutet die Auflösung des Mehrgenerationenhaushaltes und
die Ausgrenzung der Erwerbswirtschaft aus der Familie.

10
Menschen, gesellschaftlich gesehen, verhalten sollen und was
,,angemessen" und ,,normal" ist.
Ebenso wird die Begründung der biologischen Tatsache um die
Gebärfähigkeit der Frau für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
herangezogen. Dies wird zu einem natürlichen Zustand erhoben und
verhaftet Frauen in feste Lebensformen, in der jegliche Veränderung als
unnatürlich angesehen wird.
Hierzu nimmt Chodorow wie folgt Stellung: ,,Die Mütterlichkeit der Frauen
ist eine der wenigen universellen und beständigen Elemente der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung."
11
Die Frauen werden nach diesem Gesellschaftsbild innerhalb der
konstruierten Gesellschaftsstrukturen zum Objekt und der Mann zum
Subjekt. Er repräsentiert hier die öffentlichen Werte und Normen, wobei
die Frau im Hintergrund agiert und von ihrem Mann abhängig ist.
Es liegt demnach nahe, aufgrund der biologischen Tatsache der
unterschiedlichen körperlichen Eigenschaften von Männern und Frauen
bei der menschlichen Fortpflanzung die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung zu zementieren. Da Frauen die primäre Bezugsperson der
Kinder sind, z. B. schon durch die zeitliche Verfügbarkeit durch den
Vorgang des Stillens, bringt dies gewisse Einschränkungen mit sich.
Dennoch ist dieses Argument heute sicher nicht mehr allgemein gültig,
und es drängt sich hier die Vermutung auf, dass die Benachteiligung der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung für die Frau ebenso zur Rolle für
die Männer hätte werden können, wenn sie gebären könnten.
Ausschlaggebender Punkt für unsere Vorfahren zur Herstellung der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hätte ebenso die biologische
Eigenschaft des männlichen Körperbaues sein können, die den Mann
besser dazu eignet, schwere körperliche Arbeit zu verrichten.
12
11
Chodorow, Nancy, ,,Das Erbe der Mütter. Psychoanalyse und Soziologie der Geschlechter".
München, 1985, S. 10.
12
vgl. Maccoby, E., Stuttgart, 2000, S.10.

11
Als moderne Form der sozialen Organisation, die dazu beiträgt, diese
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu lockern oder langfristig gar
aufzulösen, gibt es die Möglichkeit für Eltern die Elternzeit
13
gemeinsam
zu nehmen bzw. aufzuteilen. Allerdings variiert die Erwerbsbeteiligung der
Väter fast überhaupt nicht mit ihrer familialen Konstellation. Es gehen in
beiden Landesteilen 9 von 10 Vätern einer Erwerbstätigkeit nach, davon
nicht mehr als 7% mit reduzierter Arbeitszeit und dies ist unabhängig von
der Zahl und dem Alter der Kinder und der Erwerbsbeteiligung der
Mutter.
14
Ein ausschlaggebender Faktor für die Zurückhaltung der Väter dürften
sicherlich finanzielle Einbußen sein sowie die Tatsache dass man als
einziger Vater unter Müttern in Krabbelgruppen und auf Spielplätzen seine
Zeit verbringt.
Andere Alternativen zur Vereinbarung von Familie und Beruf bieten auch
Elterninitiativen, Horte, Kitas, Ganztagsschulen oder Tagesmütter. Es
verlangt zwar viel Organisationstalent, aber in Kombination mit
Teilzeitarbeit gilt diese Gestaltung als die Lösung, um Beruf und Familie
zu kombinieren.
Es zeichnet sich ab, dass sich die traditionelle geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung von Frauen und Männern zwar aufweicht, jedoch wie
Statistiken belegen, nur sehr vereinzelt und zögerlich ein Rollentausch
stattfindet. So wird die Variante Karrierefrau und Hausmann langsam
akzeptiert und umgesetzt.
Um dieses geschlechtsspezifische Phänomen der Rollenaufteilung zu
verdeutlichen, wird im Folgenden die Geschlechtsstereotype näher
untersucht um festzustellen, ob es einen Zusammenhang zum
Krankheitsverhalten gibt.
13
Der Begriff Erziehungsurlaub wurde Anfang 2001 durch ergänzende gesetzliche Regelungen in
allen bundesrechtlichen Vorschriften ersetzt durch den Begriff ,,Elternzeit", der nunmehr bedeutet,
dass Eltern, die ihr Kind selbst betreuen und erziehen, einen Rechtsanspruch gegen ihren
Arbeitgeber auf Elternzeit bis zum Ende des 3. Lebensjahres des Kindes haben. Elternzeit kann
von Mutter und Vater gleichzeitig oder abwechselnd genommen werden, wobei sich die Eltern bis
zu dreimal abwechseln können. Quelle: BMFSFJ, (Hg.), ,,Erziehungsgeld, Elternzeit". Berlin,
2002, S. 41.
14
vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, (BMFSFJ), (Hg.), ,,Die
Familie im Spiegel der amtlichen Statistik". Berlin, 2001, S.110.

12
3.2 Typisch ,,weiblich", typisch ,,männlich" ­ Geschlechtsstereotype
Dieses Kapitel soll ,,typisch" weibliche und männliche Verhaltensmuster,
ihre Entstehung und ihren Erwerb aufzeigen, die die Grundlage unseres
Handelns bilden, beginnend mit der Feststellung von Sigmund Freud,
dass die Begriffe ,,männlich" und ,,weiblich" ,,in der Wissenschaft zu den
verworrensten" gehören.
15
Obwohl diese Begriffe in den meisten Alltagssituationen eindeutig
verstanden werden, gelten sie dennoch als schwer zu bestimmen, wenn
sie kritisch hinterfragt werden.
Zunächst möchte ich eine Begriffserklärung von Geschlechtsstereotype
anführen, da die Bedeutung des geschlechtstypischen Verhaltens einen
wesentlichen Einflussfaktor meines Arbeitsthemas darstellt.
Hurrelmann/Bründel definieren ,,Geschlechtsstereotype" folgendermaßen:
,,Geschlechtsstereotype sind allgemeine Annahmen über Eigenschaften
von Männern und Frauen. Sie kennzeichnen das in einer Kultur und einer
Region für typisch männlich und typisch weiblich gehaltene Verhalten.
Geschlechtsstereotype legen öffentliche Erwartungen fest, indem sie
,,richtige" Eigenschaften von Männern und Frauen durch Vereinheitlichung
definieren, Werthaltungen und Rangpositionen rechtfertigen und
aufrechthalten."
16
Wie schon unter Punkt 1.1. vorgestellt, ergeben sich durch eine
unterschiedliche vorbereitete Sozialisierung beider Geschlechter
vorgegebene und verschiedene soziale Rollen.
Hierzu erscheint es sinnvoll, ein Blick auf die vorindustrielle Gesellschaft
zu werfen, um die Ausbildung der Geschlechtsrollen nachvollziehen zu
können. Dadurch wird ersichtlich, ob sich aus dem Rollenverhalten und
den typischen Eigenschaften von Frauen und Männern ein
geschlechtsspezifisches Krankheitsverhalten ableiten lässt.
15
vgl. Freud, S., [1900], 1972, zit. nach Connell, R. W., ,,Der gemachte Mann. Konstruktion und
Krise von Männlichkeiten". Opladen, 1999, S. 21.
16
vgl. Golombok, S./Fivush, R., zit. nach Hurrelmann, K., Bründel, H., Stuttgart; Berlin; Köln,
1999, S.14.

13
In den Gesellschaften bis zur Industrialisierung lernten die Mädchen, sich
auf Hausarbeit und Kindererziehung vorzubereiten, während Jungen für
die Landwirtschaft oder ein Handwerk ausgebildet wurden. Für die
künftige Rollenentwicklung hieß das: Mädchen sollen ,,damenhaft"
bescheiden und zurückhaltend werden, gehorsam und fürsorglich sein.
Jungen sollten abenteuerlustig, selbständig, risikobereit sein und die
Initiative ergreifen.
Aktivität oder ,,Urheberschaft" wurde als wesentliches Element der
Männlichkeit, Passivität oder Gefügigkeit als wesentliches Element der
Weiblichkeit konzipiert.
17
Demnach entsprechen Abenteuerlust, Aggressivität, Kraft, Mut,
Unabhängigkeit und Stärke typisch männlichen Eigenschaften, während
den Frauen Eigenschaften wie gefühlvoll, einfühlsam, liebevoll und
schwach sein zugeschrieben werden.
18
Als negative stereotype Eigenschaften werden Männern vorwiegend
egoistische, selbstbezogene Attribute zugeschrieben, wie überheblich,
egozentrisch, dominant. Frauen werden dagegen negative Verstimmtheit
wie weinerlich und negative soziale Umgangsformen, wie z. B.
nörglerisch, zugeschrieben.
19
Diese geschlechtstypischen Rollenerwartungen der Gesellschaft werden
in der Regel in das Selbstbild übernommen, und das Verhalten wird den
Rollenerwartungen angepasst.
Diese veralteten tradierten Eigenschaften für geschlechtsrollentypisches
Verhalten sollten meiner Ansicht nach nicht mehr derart pauschalisiert
werden, auch wenn es gesellschaftlich noch häufig umgesetzt wird. Dazu
haben sich im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen ergeben, z. B. die
kämpferische Eigenschaft von Frauen beim Militär. In Amerika sind z. B.
über 15% Frauen in der Armee. Zwar kämpfen sie nicht an der Front, aber
sie bergen verletzte Soldaten, leisten schwere Mechanikerarbeiten,
17
vgl. Maccoby, E., Stuttgart, 2000, S. 10ff.
18
vgl. Hurrelmann, K., Bründel, H., Stuttgart; Berlin; Köln, 1999, S.14.
19
vgl. Spencer et al., 1979, zit. nach Brähler, E., Felder, H., ,,Weiblichkeit, Männlichkeit und
Gesundheit. Medizinpsychologische und psychosomatische Untersuchungen". Opladen;
Wiesbaden, 1999, S. 62.

14
steuern Trucks und bringen Ambulanzpanzer unter Beschuss an die
Front.
20
Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese Frauen im
Krankheitsfall weder schwach noch wehleidig sind, denn mit der Armee
wird Härte und Durchhaltevermögen assoziiert. An dieser Stelle wäre ein
Vergleich von eher ,,männlichen Frauen" und ,,weiblichen Männern"
bezüglich des Krankheitsverhalten aufschlussreich.
Als weiteres aktuelles Beispiel möchte ich kurz das Thema ,,Mädchen und
Gewalt" nennen. Bisher wurde in der Arbeit mit Mädchen und jungen
Frauen vor allem der Aspekt Mädchen als Opfer von Gewalt diskutiert.
Doch Befunde aus Wissenschaft und Forschung zeigen, dass Mädchen
ebenso Gewalt gegen andere ausüben und dass es in der Ausübung
Ähnlichkeiten mit den Formen männlicher Gewalt, wie Jungen sie
ausüben, gibt. Diese Tatsache wird gesellschaftlich anders bewertet.
Deswegen gilt es Klischees und Stereotypen zu überprüfen.
21
Nicht nur stereotypische Verhaltensmuster werden mit dem einen oder
anderen Geschlecht verknüpft. Als weiterer Aspekt, die Geschlechter
zuzuordnen und zu bewerten, dient z. B. auch die Kleiderordnung.
So ist das Kriterium, an dem weibliche Kleidung gemessen wird,
,,Attraktivität", auch untermalt durch optische Reize. Sie ist häufig
disfunktional, unbequem und schränkt die Bewegungsfreiheit ein, wie z. B.
beim Tragen hochhackiger Schuhe oder kurzer Röcke.
22
Entweder bekommen Frauen dadurch einen ,,Sympathievorschuss", wenn
das attraktive Äußere mit den richtigen Rundungen am perfekten Körper
gepaart ist oder sie werden schnell als unattraktiv und ,,Mannsweiber"
deklariert.
Wie extrem Frauen durch übersteigerte Vorstellungen von Schlankheit
und Attraktivität ein gestörtes Essverhalten erzeugen, lässt sich im diesem
Bereich belegen, von Essstörungen sind zu 90% Frauen betroffen.
20
vgl. Liebig, C. u. Mascher, C., in: Focus, Nr. 15, 07.04.2003, München, S. 33.
21
vgl. Landesjugendamt/Gleichstellungsamt, Landschaftsverband Rheinland, ,,Mädchen und
Gewalt. Dokumentation der Fachtagung am 18.4.2002 in Köln, Kolpinghaus". Köln, 2002, S. 7.
22
Mühlen-Achs, G., ,,Wie Katz und Hund. Die Körpersprache der Geschlechter". München, 1993,
S.21f.

15
Als Gründe werden von der Deutschen Hauptstelle gegen die
Suchtgefahren Probleme mit der Geschlechterrolle vor allem in der
Pubertät angegeben.
23
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die weibliche Geschlechtsrolle dennoch
einen realen Wandel in Richtung Selbstbestimmung erfahren hat. Die
Erweiterung der weiblichen Rolle mit der Berufsrolle, der Rolle als Mutter,
Partnerin und auch Hausfrau hat jedoch ihren Preis. Der Rollenwandel
wird von Männern bisher nicht in genügendem Maße nachvollzogen. Denn
die an die Frauen gerichteten Erwartungen sind im Kern nach wie vor
Fürsorglichkeit und Dienst am Menschen und der Familie.
24
Ein Beispiel für diesen Wandel ist der Aufwärtstrend von Müttern, die erst
ihren Karrierewünschen nachkommen und sich später für ein Baby
entscheiden. So waren deutsche Mütter im Jahr 1980 durchschnittlich 25
Jahre alt bei der Geburt ihres ersten Kindes, während das Alter im Jahr
2000 auf durchschnittlich 29 Jahre stieg.
25
Wie sich der Einfluss der weiblichen und männlichen Geschlechtsrolle und
der Geschlechtsrollenidentität während des Sozialisationsprozesses auf
das Krankheitsverhalten auswirken, wird in Kapitel 1.3 untersucht.
3.3 Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentität
Im Folgenden wird der Unterschied von Geschlechtsidentität und
Geschlechtsrolle erklärt und ein Abriss der Theorien zum Erwerb der
Geschlechts- und Geschlechtsrollenidentität aufgezeigt. Anschließend
werden mögliche Problemkonstellationen anhand von Beispielen, die bei
der Entwicklung von Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern
entstehen können, vorgestellt.
23
vgl.
www.dhs.de
, ,,Frauen und Sucht. Schätzzahlen der DHS. (Stand 2001).
24
vgl. Alfermann, D., ,,Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten". Stuttgart; Berlin;
Köln, 1996, S.46.
25
vgl. Becker, R., (Hg.), ,,Apotheken-Umschau". März 2003, Baierbrunn, S. 52.

16
Explizit unterscheidet Meulenbelt den Begriff ,,Geschlechtsidentität" als
Gefühl und Bewusstsein, ein Mann oder eine Frau zu sein. Der Begriff der
Geschlechtsrolle zeigt ihrer Definition nach ,,weibliches" oder ,,männliches"
Verhalten. Die Geschlechtsidentität reift demnach aus der privaten
Erfahrung der Geschlechtsrolle, und die Geschlechtsrolle ist das
öffentliche, nach außen gerichtete Verhalten.
Obwohl nach den ersten Jahren unserer Sozialisation die
Geschlechtsidentität festgelegt ist, d. h. das Gefühl darüber, ein Mädchen
oder Junge zu sein, entwickelt ist, werden im Laufe des Lebens immer
wieder neue Erwartungen an uns gestellt. Ständig müssen wir uns, ob als
Heranwachsender oder älterer Mensch, neuen Rollen anpassen oder
Widerstand leisten. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: In der
Schule werden an Kinder andere Erwartungen gestellt als zu Hause,
ebenso ändern sich Anforderungen und Erwartungen, wenn das
Berufsleben beginnt.
26
Alfermann veranschaulicht Meulenbelts Unterscheidung, indem sie
hinzufügt, ,,dass die Geschlechtsrollenentwicklung in der Übernahme von
als maskulin und/oder feminin geltenden Attributen, Interessen, äußeren
Symbolen (z. B. Schmuck), interpersonalen Präferenzen usw. resultiert.
Werden diese vom Individuum in das eigene Selbstbild übernommen, wird
von Geschlechtsrollenidentität gesprochen."
27
Bedeutende Beiträge zum Erwerb der Geschlechts- und
Geschlechtsrollenidentität haben die Theorien von Freuds Psychoanalyse,
der Banduras Lerntheorie, Kohlbergs kognitive Theorie, die Rollentheorie
von Parson und Mead und die feministische Theorie von Chodorow
geliefert.
Alle diese Theorien haben eines gemeinsam, nämlich die
Grundüberzeugung, ,,dass Jungen und Mädchen beim Erwerb ihrer
Geschlechtsidentität und beim Einüben ihrer Geschlechtsrolle zwar den
26
vgl. Meulenbelt, A., 1988, S. 84f.
27
Alfermann, D., Stuttgart; Berlin; Köln, 1996, S. 58.

17
Erwartungen ihrer Eltern, Freunde, Peers entsprechen und auch
Fremdzuschreibungen unterliegen, jedoch auch aktiv gestalten und selbst
entscheiden, wann und in welchen Situationen sie welches
geschlechtsspezifische Verhalten zeigen. Die Wechselwirkung von aktiver
Selbstformung und passivem Geformtwerden kennzeichnet den Erwerb
der Geschlechtsidentität. Die Psychoanalyse betont dabei die Bedeutung
der Körperempfindungen und psychosexuellen Erfahrungen, die
Rollentheorie die Interaktionen und Identifikationen eines Kindes mit
seinen Eltern, die kognitive Theorie die Realitätsurteile und
Selbstkategorisierungsprozesse des Kindes und die Lerntheorie das
Einüben und Festigen des Geschlechtsrollenverhaltens."
28
Die Probleme, die beim Erwerb bzw. bei der Festigung der
Geschlechtsrollenidentität bei Mädchen und Jungen entstehen können,
werden anhand jeweils einen Beispiels verdeutlicht:
· Türkische Mädchen in Deutschland befinden sich häufig in einem
Autonomiedilemma, besonders wenn sie schon von Geburt an oder
seit frühem Kindesalter in Deutschland leben. Sie wachsen hier auf,
fühlen sich durchaus als deutsche Staatsbürgerin und müssen
dennoch Kopftücher tragen, weil diese kulturelle Tradition in den
Köpfen der Eltern verankert ist und sie dies von ihren Töchtern
erwarten.
So wird es türkischen Mädchen erschwert, ihre
Geschlechtsrollenidentität zu finden, da sie zwischen zwei Kulturen
hin- und hergerissen sind. So weichen viele Mädchen auf die
,,Zwischenlösung" aus, z. B. in der Schule kein Kopftuch zu tragen
und dieser ,,Pflicht" nur zu Hause im Kreis der Familie
nachzukommen.
28
Hurrelmann, K., Bründel, H., Stuttgart; Berlin; Köln, 1999, S.17.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832477127
ISBN (Paperback)
9783838677125
DOI
10.3239/9783832477127
Dateigröße
631 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln – Sozialarbeit
Erscheinungsdatum
2004 (Februar)
Note
2,7
Schlagworte
frau gesundheit gender arzneimittel sozialisierung
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Titel: Geschlechterdifferenzen im Krankheitsverhalten
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