Lade Inhalt...

Kommunale Reaktionen auf städtische Schrumpfungsprozesse

Anhand ausgewählter ostdeutscher Beispiele

©2003 Diplomarbeit 140 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Seit der Industrialisierung ist die Entwicklung von Städten wie selbstverständlich geprägt von einem Wachstum von Bevölkerung und Arbeitsplätzen. Die Aufgabe der Stadtplanung war über viele Jahrzehnte, dieses Wachstum in räumlich geregelte Bahnen zu lenken. In den 80er Jahren zeigten sich in einigen Regionen Westdeutschlands erste Anzeichen für eine fundamental andere Entwicklung. Diese Tendenzen einer sich differenzierenden Entwicklung von Städten fanden jedoch nur geringe Beachtung und wurden durch das Wendewachstum im Zuge der Wiedervereinigung weitestgehend verdrängt.
Das bestehende, die genannten auseinandergehenden Entwicklungsmuster kennzeichnende, „Süd-Nord-Gefälle“ der westdeutschen Bundesländer wurde in den 90er Jahren überlagert von einem wesentlich stärker ausgeprägten „West-Ost-Gefälle“ zwischen den alten und neuen Bundesländern. Trotz vieler Erfolgsbilanzen auf unterschiedlichen Gebieten der ostdeutschen Entwicklung seit der politischen Wende, sind heute die ostdeutschen Städte nahezu flächendeckend geprägt von Bevölkerungsabwanderung und -schrumpfung, hohen Arbeitslosenzahlen und einem nicht zu übersehenden Leerstand an Wohn-, Büro- und Gewerbeflächen.
Diesen Funktionswandel, Nutzungsschwund und Einwohnerrückgang in den Städten politisch und vor allem psychologisch zu akzeptieren, ist für die beteiligten Akteure nicht leicht. Durch den Ende 2000 vorgelegten Abschlußbericht der, von der Bundesregierung eingesetzten, „Kommission zum Wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ hat das brisante Thema endlich die Aufmerksamkeit der Fachwelt und der Öffentlichkeit erreicht. Seitdem findet in Ostdeutschland eine intensive Auseinandersetzung mit zukünftigen Stadtentwicklungsaufgaben statt. Mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ wurden Mitte des Jahres 2001 von der Bundesregierung eine Reihe von Empfehlungen der wohnungswirtschaftlichen Kommission aufgegriffen und die Kommunen zunächst bei der Erstellung integrierter Stadtentwicklungskonzepte, als eine Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung der Schrumpfungsprozesse, unterstützt. In den gegenwärtigen Diskussionen über städtische Schrumpfung und entsprechend auch in den erstellten Integrierten Stadtentwicklungskonzepten haben jedoch wohnungswirtschaftliche Themen noch einen dominierenden Stellenwert. Der so in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellte massenhafte […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7488
Brandstetter, Benno: Kommunale Reaktionen auf städtische Schrumpfungsprozesse -
Anhand ausgewählter ostdeutscher Beispiele
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Technische Universität Dresden, Technische Universität, Diplomarbeit, 2003
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

2
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Inhaltsverzeichnis
A ­ Einleitung
1
1. Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
1
1.1. Problemstellung
1
1.2. Herangehensweise an die Thematik
2
1.3. Aufbau der Arbeit
3
1.4. Methodik
4
B - Grundlagen & Theorie
7
2. Das Phänomen ,,Schrumpfung"
7
2.1. Schrumpfungsphänomene im natürlichen Kontext
7
2.2. Schrumpfungsphänomene im wirtschaftlichen Kontext
8
2.3. Schrumpfungsphänomene im städtischen Kontext
10
2.3.1. Einordnung städtischer Schrumpfung
10
2.3.2. Umgang mit städtischen Schrumpfungsphänomenen
11
2.3.3. Der Begriff städtischer Schrumpfung
13
3. Bisherige Schrumpfungstendenzen und
entsprechende Erklärungsansätze
14
3.1. Stadtschrumpfung in den westdeutschen Bundesländern
14
3.1.1. Wirtschaftliche Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland
14
3.1.2. Demographische Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland
16
3.1.3. Zusammenfassung westdeutscher Schrumpfungsprozesse
18
3.2. Schrumpfungsprozesse in Europa
19
3.3. Erklärungsansätze für Schrumpfungsprozesse
19
3.3.1. Produkt-Lebenszyklus-Theorie 20
3.3.2. Theorie der langen Wellen
21
3.3.3. Regulationsansatz
21
3.3.4. Zusammenfassung
22
4. Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung
in Ostdeutschland
23
4.1. Transformation in Ostdeutschland - eine Einführung
23
4.2. Grundzüge der Stadtentwicklung in der DDR
24
4.3. Stadtentwicklung in Ostdeutschland seit 1990
25
4.3.1. Stadtstrukturveränderungen
26
4.3.2. Infrastrukturausstattung
27
4.3.3. Entwicklung des Wohnungsmarktes
28
4.3.3.1. Entwicklung der einzelnen Wohnungsmarktsegmente
28
4.3.3.2. Wohnflächenverbrauch
30
4.3.3.3. Entwicklung des Wohnungsleerstandes
31
4.4. Demographische Entwicklung in Ostdeutschland
33
4.4.1. Bevölkerungsentwicklung vor 1989
33
4.4.2. Natürliche Bevölkerungsentwicklung seit 1989
35
4.4.3. Wanderungsverhalten seit 1989
36
4.4.3.1. Großräumige Bevölkerungsbewegungen
36
4.4.3.2. Suburbanisierung - Kleinräumige Bevölkerungsbewegungen
37
4.4.4. Haushaltsentwicklung seit 1989
38

3
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
4.5. Wirtschaftsentwicklung
38
4.5.1. Strukturwandel & Deindustrialisierung
39
4.5.2. Entwicklung der einzelnen Wirtschaftsbereiche
41
4.5.3. Arbeitsmarkt
42
5. Schrumpfungsprozesse in ostdeutschen Städten
44
5.1. Einordnung von ostdeutschen Stadtschrumpfungsprozessen
44
5.2. Merkmale ostdeutscher Schrumpfungsprozesse
45
5.2.1. Demographische Merkmale
45
5.2.2. Ökonomische Merkmale
46
5.2.3. Auswirkungen der Schrumpfungsprozesse auf die Kommunalfinanzen
47
5.2.4. Wohnungsmarkt ­ der aktuelle Mittelpunkt der Diskussion
47
5.2.5. Zusammenfassung
48
5.3. Ostdeutsche Schrumpfungstendenzen im Vergleich zu
bisherigen Schrumpfungsprozessen
50
6. Integrierte Stadtentwicklungsplanung
54
6.1. Der Begriff ,,Stadtentwicklungsplanung"
54
6.2. Stadtplanungsphasen seit 1945
55
6.2.1. Auffangplanung
56
6.2.2. Entwicklungsplanung
56
6.2.3. Perspektivplanung
57
6.2.4. Planung in den 90er Jahren
58
6.3. Die integrierte Stadtentwicklungsplanung der 60er und 70er Jahre
59
6.4. Aktuelle Strategien für die schrumpfende Stadt
61
6.4.1. Neue Rahmenbedingungen für Integrierte Konzepte
61
6.4.2. Initiativen der Bundesländer
62
6.4.3. Bund-Länder-Programm ,,Stadtumbau Ost"
63
6.5. Zusammenfassung
64
C - Empirie
65
7. Auswahl und Portrait der untersuchten Städte
65
7.1. Abgrenzung der Untersuchungsregion
65
7.2. Auswahl der zu untersuchenden Städte
66
7.3. Kurzportraits der ausgewählten Städte
67
7.3.1. Stadt Großenhain
68
7.3.2. Stadt Heidenau
69
7.3.3. Stadt Meißen
71
7.3.4. Stadt Riesa
73
7.3.5. Gemeinsamkeiten der ausgewählten Städte
75
8. Reaktionen ausgewählter sächsischer Kommunen
auf städtische Schrumpfungsprozesse
77
8.1. Aufbau des Leitfadens
77
8.2. Akteursgruppe Stadtplaner (kommunale Verwaltung)
78
8.2.1. Wahrnehmung von Schrumpfung
78
8.2.2. Integrierte Stadtentwicklungskonzepte
83
8.2.3. Zukunftsvisionen und Forderungen an Land und Bund
88
8.2.4. Zusammenfassung der Akteursgruppe Stadtplaner
89
8.3. Akteursgruppe kommunale Wohnungsunternehmen
90
8.3.1. Wahrnehmung von Schrumpfung
90

4
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
8.3.2. Integrierte Stadtentwicklungskonzepte
94
8.3.3. Zukunftsvisionen und Forderungen an Land und Bund
99
8.3.4. Zusammenfassung der Akteursgruppe kommunale
Wohnungsunternehmen
100
8.4. Akteursgruppe politische Entscheidungsträger
101
8.4.1. Wahrnehmung von Schrumpfung
101
8.4.2. Integrierte Stadtentwicklungskonzepte
105
8.4.3. Zukunftsvisionen und Forderungen an Land und Bund
108
8.4.4. Zusammenfassung der Akteursgruppe der politischen
Entscheidungsträger 108
8.5. Einschätzung der kommunalen Reaktionen im Vergleich
der Akteursgruppen
109
D - Zusammenfassung
113
9. Fazit und Ausblick
113
9.1. Fazit
113
9.2. Offene Forschungsfragen und Ausblick
115
9.2.1. Hochwasser 2002 als Besonderheit
115
9.2.2. Offene Fragen
115
9.2.3. Ausblick
116
10. Literaturverzeichnis 118
E - Anhang
128
11. EidesstattlicheErklärung
128
12. Leitfaden für Intensivinterviews
129
12.1. Leitfaden I - Stadtplaner
129
12.2. Leitfaden II - Kommunale Wohnungsunternehmen
130
12.3. Leitfaden III - Politische Entscheidungsträger
131
13. Interviews 133
13.1. Gesprächspartner
133
13.2. Kodierungsschlüssel
134
13.3. Protokolle der Interviews
134

5
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
skizzierter Aufbau der Arbeit
3
Abbildung 2:
Bevölkerungsentwicklung in Westdeutschland in verschiedenen
Gebietstypen 1970 - 1980 in Mio Einwohnern
17
Abbildung 3:
Rückgang der Bevölkerung und der Arbeitsplätze in Duisburg,
Essen und Bochum zwischen 1961 und 1989 in%
18
Abbildung 4:
Leerstandsquoten des ostdeutschen Wohnungsmarktes 1998
nach Raumordnungsregionen in %
31
Abbildung 5:
Leerstandsquoten in den neuen Bundesländern 1998 in %
32
Abbildung 6:
Bevölkerungsentwicklung in der DDR bzw. den neuen
Bundesländern (1949-1999)
33
Abbildung 7:
Einwohnerentwicklung nach Gemeindegrößenklassen in
der DDR von 1950 bis 1989
34
Abbildung 8:
Natürliche Bevölkerungsentwicklung in den neuen
Bundesländern von 1990-1999
35
Abbildung 9:
Wanderungsverhalten (Ost-West-Wanderungen) in den
neuen Bundesländern von 1990-1999
36
Abbildung 10:
Anteil der Wirtschaftsbereiche an den Berufstätigen
in der DDR in % (Stand 1988)
39
Abbildung 11:
Veränderung des ostdeutschen Bruttoinlandsproduktes
gegenüber dem Vorjahr in %
40
Abbildung 12:
Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den neuen
Bundesländern (1995-2001)
43
Abbildung 13:
Möglichkeit einer Schrumpfungskette
nach Bürkner und Dürrschmidt (2001)
45
Abbildung 14:
Einflußfaktoren für Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt
48
Abbildung 15:
Wirkungszusammenhänge von Schrumpfungsprozessen in
der Stadtentwicklung nach Spars
49
Abbildung 16:
gesellschaftliche Einordnung der Planungsphasen
in Deutschland nach Küpper (1990)
55
Abbildung 17:
zeitliche Einordnung der Planungsphasen
in Deutschland nach Albers (1993)
55
Abbildung 18:
Untersuchungsregion intermobil-Region Dresden
65
Abbildung 19:
Die Untersuchungsregion und die ausgewählten Städte
67
Abbildung 20:
Bevölkerungsentwicklung von Großenhain zwischen 1990 und
2001 und die Veränderung der Einwohnerzahl gegenüber dem
Vorjahr in %
68
Abbildung 21:
Entwicklung des Leerstandes der Großenhainer
Wohnungsverwaltungs- und Baugesellschaft mbH in %
69
Abbildung 22:
Bevölkerungsentwicklung von Heidenau zwischen 1990 und
2000 und die Veränderung der Einwohnerzahl gegenüber dem
Vorjahr in %
70
Abbildung 23:
Bevölkerungsentwicklung von Meissen von 1990 bis 2001 und
die Veränderung der Einwohnerzahl gegenüber dem Vorjahr
von 1996 bis 2001 in %
71
Abbildung 24:
Entwicklung des Leerstandes der Stadtentwicklungs- und
Stadterneuerungsgesellschaft Meissen mbH in %
73
Abbildung 25:
Bevölkerungsentwicklung von Riesa in absoluten Zahlen und
die Veränderung der Einwohnerzahl gegenüber dem Vorjahr in %
74
Abbildung 26:
Entwicklung des Leerstandes der Wohnungsgesellschaft
Riesa mbH in %
74
Abbildung 27:
Bevölkerungsentwicklung der untersuchten Gemeinden zwischen
1990 und 2000
75

6
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Abkürzungsverzeichnis
AHG
Altschuldenhilfe-Gesetz
ARL
Akademie für Raumforschung und Landesplanung
BBR
Bundesamt für Bauwesen und Raumordung
BfLR
Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordung
BMVBW
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DifU
Deutsches Institut für Urbanistik
EW
Einwohner
FNP
Flächennutzungsplan
GWG
gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft
GWVB
Großenhainer Wohnungsverwaltungs- und Baugesellschaft mbH
ILS
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung
des Landes Nordrhein-Westfalen
INSEK
Integriertes Stadtentwicklungskonzept
IÖR
Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. Dresden
IRS
Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung e.V. Erkner
Jhd.
Jahrhundert
o.J.
ohne Jahr
ÖPNV
öffentlicher Personennahverkehr
SEEG
Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungsgesellschaft Meißen mbH
SRL
Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e.V.
WE
Wohneinheiten
WGR
Wohnungsgesellschaft Riesa mbH
WVH
Wohnungsbau- und Wohnungsverwaltungsgesellschaft Heidenau mbH

7
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Vorwort
Nach einem langen Zeitraum es ist jetzt geschafft und ich hoffe, mit dieser Arbeit der gegenwär-
tigen Diskussion um das Phänomen der schrumpfenden Stadt einige interessante Aspekte hinzu-
fügen zu können.
Für die Begleitung der Arbeit möchte ich meinen beiden Gutachtern danken. Herrn Dr. Danielzyk
insbesondere dafür, daß er trotz seiner neuen Aufgabe beim ILS in Dortmund die Betreuung über-
nommen hat ­ durch seine schnellen Reaktionen auf jede Anfrage hatte die räumliche Entfernung
keine große Bedeutung. Herrn Prof. Dr. Winkel danke ich für die Zeit, die er sich öfter für mich
genommen hat, um aufgetretene Fragen ausführlich zu diskutieren.
Ein grosses Dankeschön an meine Interviewpartner, die mir trotz des ungünstigen Zeitpunktes
durch die zeitliche Überschneidung der Befragungen mit der Abgabe der Stadtumbau-Ost-Beiträ-
ge die Möglichkeit für ein Interview einräumten und fast ohne Ausnahme sehr offen meine Fragen
beantwortet haben. Besonders möchte ich Herrn Militzer, Frau Diersche, Herrn Dr. Reimitz und
Herrn Kulpe für die sehr umfangreichen Gespräche danken.
Bedanken möchte ich mich bei all denen, ohne deren Unterstützung die Arbeit nicht in dieser
Form vorliegen würde, vor allem:
·
Jürgen Glaser und Christiane Hackel für die Tips in der Themeneingrenzungsphase, die mich
von manchem Umweg abhielten
·
Jan Glatter, Thilo Lang, Thomas Tellkamp und Antje Matern für etliche fachliche Diskussionen
·
Juliane Friedrich, Stephan de la Rosa, Heiko Plötz und Mathias Siedhoff für das Korrekturlesen
und manchen Denkanstoß und
·
Gunter Rönsch für die vielen kritischen und ironischen Bemerkungen.
Ein ganz besonderes Dankeschön an ,,meine" beiden Frauen, die den meisten Stress ertragen
mussten, wenn es mal nicht so weiterging wie gedacht. Danke Conny, für den immer wieder ge-
schaffenen Freiraum und die reichliche Geduld. Und danke Rebekka für die vielen sprudelnden
Ideen, mit denen Du meine Tagesplanung so oft durcheinandergebracht und mir gezeigt hast, wie
viele schöne und andere Dinge es noch gibt (... letzlich hat die Kristallkugel doch recht gehabt ...).
Benno Brandstetter (Januar 2003)
PS: Sollte ich mal wieder eine größere wissenschaftliche Arbeit zu schreiben haben, würde ich
mir wünschen, dass Kindergärten auch mal länger als bis 16.30 Uhr geöffnet haben ...

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
8
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
A ­ Einleitung
1. Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
1.1. Problemstellung
,,... Deutschland schrumpft in diesem Jahrhundert! Darin sind sich alle Prognosen einig, auch vie-
le Städte werden schrumpfen! Demographisch steht diese Entwicklung heute schon fest. Durch
Wanderungsbewegungen, genauer Abwanderungen, die vielerorts diesen Entwicklungsprozess
überlagern, stehen vielen Städten beinahe dramatische Entwicklungen ins Haus ..."
(K
OZIOL
2001)
1
Seit der Industrialisierung ist die Entwicklung von Städten wie selbstverständlich geprägt von ei-
nem Wachstum von Bevölkerung und Arbeitsplätzen. Die Aufgabe der Stadtplanung war über vie-
le Jahrzehnte, dieses Wachstum in räumlich geregelte Bahnen zu lenken.
2
In den 80er Jahren
zeigten sich in einigen Regionen Westdeutschlands erste Anzeichen für eine fundamental andere
Entwicklung. Diese Tendenzen einer sich differenzierenden Entwicklung von Städten fanden je-
doch nur geringe Beachtung und wurden durch das Wendewachstum im Zuge der Wiederverei-
nigung weitestgehend verdrängt.
3
Das bestehende, die genannten auseinandergehenden Entwicklungsmuster kennzeichnende,
,,Süd-Nord-Gefälle" der westdeutschen Bundesländer wurde in den 90er Jahren überlagert von ei-
nem wesentlich stärker ausgeprägten ,,West-Ost-Gefälle" zwischen den alten und neuen Bundes-
ländern.
4
Trotz vieler Erfolgsbilanzen auf unterschiedlichen Gebieten der ostdeutschen Entwick-
lung seit der politischen Wende, sind heute die ostdeutschen Städte nahezu flächendeckend ge-
prägt von Bevölkerungsabwanderung und -schrumpfung, hohen Arbeitslosenzahlen und einem
nicht zu übersehenden Leerstand an Wohn-, Büro- und Gewerbeflächen.
5
Diesen Funktionswandel, Nutzungsschwund und Einwohnerrückgang in den Städten politisch
und vor allem psychologisch zu akzeptieren, ist für die beteiligten Akteure nicht leicht. Durch den
Ende 2000 vorgelegten Abschlußbericht der, von der Bundesregierung eingesetzten, ,,Kommissi-
on zum Wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern"
6
hat das brisan-
te Thema endlich die Aufmerksamkeit der Fachwelt und der Öffentlichkeit erreicht. Seitdem findet
in Ostdeutschland eine intensive Auseinandersetzung mit zukünftigen Stadtentwicklungsaufga-
ben statt. Mit dem Programm ,,Stadtumbau Ost" wurden Mitte des Jahres 2001 von der Bundes-
regierung eine Reihe von Empfehlungen der wohnungswirtschaftlichen Kommission aufgegriffen
und die Kommunen zunächst bei der Erstellung integrierter Stadtentwicklungskonzepte, als eine
1.
Koziol, Matthias (2001b): Raumplanung für schrumpfende Städte
2.
vgl. Glock, Birgit (2002): Schrumpfende Städte, S. 3
3.
vgl. Ganser, Karl (2001): "Hände weg, liegenlassen!", S. 27
4.
vgl. Harlander, Tilman (1998): Stadtplanung und Stadtentwicklung in der BRD, S. 8
5.
vgl. u.a. Hunger, Bernd (2001): Schrumpfende Städte - Zwischenbilanz 12 Jahre nach der Wende, S. 6
6.
vgl. Pfeiffer, Ulrich / Simons, Harald / Porsch, Lucas (Hrsg.) (2000): Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den
neuen Bundesländern - Bericht der Kommission

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
9
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung der Schrumpfungsprozesse, unterstützt.
In den gegenwärtigen Diskussionen über städtische Schrumpfung und entsprechend auch in den
erstellten Integrierten Stadtentwicklungskonzepten haben jedoch wohnungswirtschaftliche The-
men noch einen dominierenden Stellenwert. Der so in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellte
massenhafte Wohnungsleerstand ist aber nur eine Folge von rückläufigen Bevölkerungs- und Ar-
beitsplatzentwicklungen. Deshalb ist diese wohnungswirtschaftliche Sichtweise nicht mehrdimen-
sional genug, um die, aus der gesellschaftlichen und ökonomischen Transformation Ostdeutsch-
lands entstandene, Problemvielfalt aufzuzeigen oder gar zu bewältigen.
In Ostdeutschland ist inzwischen das Ende des verdichtenden Städtewachstum ein konkretes und
ein deutlich sichtbares Problem ­ auf die Abwanderungen folgen Leerstände, auf die Leerstände
folgen Abrisse ­ so gesehen verläuft die Entwicklung der ostdeutschen Städte rückwärts.
7
Es wird
erwartet, daß sich die Städte in naher Zukunft neben den demographischen und wohnungswirt-
schaftlichen Fragestellungen verstärkt mit bislang weitgehend ausgeblendeten ökonomischen,
sozialen, versorgungs- und infrastrukturrelevanten Problemstellungen auseinandersetzen wer-
den müssen, um auf Schrumpfungsprozesse Einfluss nehmen und die Entwicklung bewältigen
oder eventuell auch steuern zu können.
Für die Bewältigung von Schrumpfungsproblemen liegen keine generalisierenden Patentrezepte
vor und wird es auch künftig keine geben.
8
Zudem kann für die Steuerung dieses städtischen
Rückbildungsvorganges bisher kaum auf Erfahrungen, Beispiele und erprobte Problemlösungs-
strategien zurückgegriffen werden.
9
Es ist für alle Beteiligten eine neue Aufgabe, an die alle Ak-
teure nur experimentell herangehen und testen können, welche Auswirkungen sich ergeben.
In der vorliegenden Arbeit werden die vielfältigen Ursachen ostdeutscher Schrumpfungsprozesse
herausgearbeitet und Vergleiche der aktuellen mit den bisher aufgetretenen Schrumpfungser-
scheinungen vorgenommen. Außerdem wird anhand ausgewählter Fallbeispiele der gegenwärti-
ge Stand der konzeptionellen Auseinandersetzung von verschiedenen Akteursgruppen mit städt-
ischen Schrumpfungstendenzen aufgezeigt.
1.2. Herangehensweise an die Thematik
Am Anfang dieser Arbeit ergaben sich ­ unter der Berücksichtigung, daß sich die aktuelle Diskus-
sion über städtische Schrumpfungsphänomene in Ostdeutschland noch in einem sehr frühen Sta-
dium befindet ­ im wesentlichen die folgenden vier Leitfragen:
·
Was sind die Ursachen für die städtischen Schrumpfungserscheinungen in Ostdeutschland ?
·
Was kann für die gegenwärtige Situation in ostdeutschen Städten aus den bisherigen Diskus-
sionen über städtische Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland entnommen werden bzw.
7.
vgl. Schröder, Thies (2001): Blattgold und Bagger, S. 11
8.
vgl. Bürkner, Hans-Joachim (2001): Schrumpfung und Alltagskultur: Blinde Flecken im Stadtumbau-Diskurs, S. 60
9.
vgl. Pfeiffer, Ulrich / Simons, Harald / Porsch, Lucas (Hrsg.) (2000): Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den
neuen Bundesländern, S. 54

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
10
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
auf welche Strategien im Umgang mit Schrumpfung kann zurückgegriffen werden ?
·
Integrierte Stadtentwicklungskonzepte
10
werden in der aktuellen Diskussion als Vorausset-
zung für den Umgang mit Stadtschrumpfung angesehen. Welche Funktion können diese Kon-
zepte haben und welche Erfahrungen der kommunalen Akteure mit den Konzepten liegen vor ?
·
Wie reagieren beteiligte Akteure in von Schrumpfungsprozessen betroffenen Kommunen ?
Unter diesen Fragestellungen erfolgte zunächst eine umfangreiche Auseinandersetzung der vor-
liegenden Veröffentlichungen, mit den Schwerpunkten bei den ,,historischen" Schrumpfungser-
scheinungen, den bisherigen Erfahrungen mit integrierten Stadtentwicklungskonzepten und den
aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Stadtentwicklung und Stadtschrumpfung in Ostdeutsch-
land. Parallel dazu wurde für den empirischen Teil ein Leitfaden erstellt und Interviews in den aus-
gewählten Städten durchgeführt und ausgewertet.
11
1.3. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in einen, aufgrund der Aktualität eher umfangreichen Grund-
lagenteil, in welchem sich mit dem Begriff Schrumpfung, mit bisherigen Erscheinungsformen von
Stadtschrumpfung, mit dem Instrument integrierter Stadtentwicklungskonzeptionen sowie den ak-
tuellen Entwicklungsprozessen in Ostdeutschland auseinandergesetzt wird und einen empiri-
schen Teil, in welchem die Ergebnisse der, in ausgewählten Städten, durchgeführten Fallstudien
dargestellt werden (s. Abb. 28).
Abbildung 28: skizzierter Aufbau der Arbeit
10.
Integrierte Stadtentwicklungskonzepte sind ein Instrumentarium, welches eine kurzzeitige Hochphase zu Beginn der
70er Jahre hatte - siehe Kap. 6.
11.
Zur Methodik vgl. Kap. 1.4. und zur Auswertung siehe Kap. 8.
Begriff Schrumpfung
Geschichte Schrumpfung
Geschichte Integrierte Konzepte
Schrumpfung in Ostdeutschland
Integrierte Stadtentwicklungskonzepte
erste kommunale Reaktionen auf städtische Schrumpfungsprozesse in Ostdeutschland
Akteursgruppe
Akteursgruppe
Akteursgruppe
Städtische Planer
Wohnungsunternehmen
politische Entscheidungsträger
Meissen
Großenhain
Riesa
Heidenau

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
11
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Das Einleitungskapitel führt in die Thematik schrumpfender Städte ein, zeigt die der Arbeit zugrun-
deliegenden Fragestellungen und die angewendete Methodik für den empirischen Teil auf. Im An-
schluß erfolgt im Kapitel 2 durch eine Einordnung in verschiedene Zusammenhänge eine
Annäherung an den Begriff ,,Schrumpfung". Außerdem werden bisherige Reaktionen auf städti-
sche Schrumpfungsprozesse aufgezeigt und der Begriff ,,Schrumpfung" für diese Arbeit einge-
grenzt. Im Kapitel 3 wird auf die Ursachen der Schrumpfungserscheinungen in Westdeutschland
(und Westeuropa) in den 80er Jahren und die Frage eingegangen, welche Bedeutung städtischer
Schrumpfung bisher beigemessen wurde und wie mit diesen Phänomenen umgegangen werden
kann. Im Anschluß werden die bisher vorhandenen theoretischen, vor allem ökonomisch gepräg-
ten, Erklärungsansätze vorgestellt. Das Kapitel 4 setzt sich mit den spezifischen Entwicklungspro-
zessen in Ostdeutschland auseinander, zeigt die aktuellen stadtentwicklungsrelevanten Rahmen-
bedingungen und Entwicklungsmuster auf sowie die demographischen und ökonomischen Ver-
änderungen. Dabei wurde versucht, möglichst alle betroffenen Bereiche mit einzubinden, was an
einigen Stellen allerdings zu Abstrichen in der Tiefe der Betrachtung führen mußte. Diesen Aus-
führungen folgt anschließend in Kapitel 5 eine Eingrenzung bzw. eine Verdichtung auf die ursäch-
lichen Auslöser der aktuellen Schrumpfungsprozesse und deren Vergleichbarkeit mit den in
Kap. 3.1. dargestellten bisherigen Stadtschrumpfungsphasen. Das Kapitel 6 bildet das Ende des
Grundlagenteiles und nimmt eine Einordnung integrativer Stadtplanung in die deutsche Planungs-
geschichte vor. Es werden die Gründe für das Scheitern der Integrierten Planung in den 70er Jah-
ren aufgezeigt und die Argumente, welche für eine Wiederaufnahme des integrierten Ansatzes
sprechen.
Im empirischen Teil der Arbeit werden in Kapitel 7 der Untersuchungsraum und die ausgewählten
städtischen Fallbeispiele mit einer Kurzfassung ihrer Struktur und bisherigen Entwicklung vorge-
stellt. Danach werden in Kapitel 8 mittels der Darstellung der im Frühsommer 2002 durchgeführ-
ten leitfadengestützten Intensivinterviews die Reaktionen ausgewählter kommunaler Akteurs-
gruppen auf Schrumpfungsprozesse und der Umgang mit Integrierten Stadtentwicklungskonzep-
ten aufgezeigt. Zum Abschluß werden die Aussagen der drei befragten Akteursgruppen in den
vier Städten gegenübergestellt. Kapitel 9 fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen, zeigt offene
Fragen auf und gibt einige weiter als die bisherige Diskussion gefasstere Denkanregungen.
1.4. Methodik
Besonders den Grundlagenkapiteln der Arbeit, aber auch dem Entwurf des Leitfadens für die In-
terviews liegt ein intensives Literaturstudium der stadtschrumpfungsrelevanten Literatur der 80er
Jahre und der vielfältigen aktuellen Veröffentlichungen zugrunde. Die aktuelle Diskussion über
städtische Schrumpfungsprozesse steht noch sehr am Anfang, so daß viele Veröffentlichungen
nur einen ersten Überblickscharakter besitzen und wesentliche Neuveröffentlichungen von Ta-
gungsergebnissen zunächst nur kurz zusammengefasst in Tageszeitungen verfügbar sind.

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
12
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Die Grundlage des empirischen Teiles dieser Arbeit bilden die im Sommer 2002 in den vier Städ-
ten Grossenhain, Heidenau, Meissen und Riesa
12
durchgeführten Intensivinterviews.
Qualitative Interviews
Bei den im Rahmen dieser Arbeit geführten Interviews wurde eine qualitative, teilstandardisierte
Befragungsform genutzt, da als Ziel der Befragungen das Gewinnen neuer Einsichten und nicht
die Prüfung bereits vorhandener Thesen im Vordergrund stand.
13
Die Gespräche orientierten sich
an einem grob strukturierten Ablaufschema ­ einem Leitfaden, der für die einzelnen Akteursgrup-
pen leicht modifiziert wurde.
14
Der Vorteil dieser Interviewform bestand darin, daß ­ obwohl durch
die, vorab per Fax zugesandten Themenschwerpunkte, ein Rahmen vorgegeben war ­ die kon-
kreten Fragen und die Vorgehensweise flexibel der Gesprächssituation angepasst werden konn-
ten und so genügend Raum für persönliche Schwerpunktsetzungen der Befragten gegeben war.
15
Der größere Zeitaufwand, welcher bei dieser Interviewform benötigt wird,
16
stand besonders
durch den Termindruck des ,,Stadtumbau-Ost" Wettbewerbes in einem starken Widerspruch zum
Zeitbudget der Befragten. Die Gespräche hatten aus diesem Grund einen sehr unterschiedlichen
Zeitumfang von einer dreiviertel bis über zwei Stunden Dauer.
Der Nachteil von Intensivinterviews ist die, durch die frei formulierten Antworten bedingte, geringe
Vergleichbarkeit der Aussagen, welche eine Auswertung erschwert.
17
Hinzu kamen der durch den
bereits angesprochenen Zeitdruck bedingte sehr unterschiedliche Tiefgang der Gespräche und
die, aufgrund der geringen Interviewzahl pro Akteursgruppe, fehlende Möglichkeit die Antworten
zu klassifizieren. Eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse war daher nicht zu erwarten.
Die Einwilligung zur Aufzeichnung der Gespräche wurde in allen Fällen erteilt. Somit war eine aus-
schließliche Konzentration auf die Gesprächsführung möglich, und konnte eine selektive Wahr-
nehmung bzw. ein Informationsverlust während des Protokollierens ausgeschlossen werden.
18
Im
Anschluß an die Interviews wurde ein Ergebnisprotokoll erstellt. Die Wiedergabe der Interviewer-
gebnisse in dieser Arbeit erfolgt in codierter Form, um die zugesicherte Anonymität zu gewährlei-
sten.
19
Auswahl der Akteursgruppen
Der Ausgangspunkt der Akteursgruppenauswahl war, daß die Frage, wie Städte auf Schrump-
fungsprozesse reagieren, nicht durch eine ausschließliche Befragung der städtischen Planer be-
antwortet werden konnte. Deshalb konnte das Anliegen der Arbeit nur durch eine Beschränkung
12.
Auf die Auswahl dieser Städte wird in Kap. 7.2. eingegangen.
13.
vgl. Stratmann, Bernhard (1999): Stadtentwicklung in globalen Zeiten, S. 197
14.
vgl. Wessel, Karin (1996): Empirisches Arbeiten in der Wirtschafts- und Sozialgeographie, S. 132
15.
vgl. Friedrichs, Jürgen (1980): Methoden empirischer Sozialforschung, S. 224
16.
vgl. Atteslander, Peter (1995): Methoden der empirischen Sozialforschung, S. 175 oder Friedrichs, Jürgen (1980):
Methoden empirischer Sozialforschung, S. 226
17.
vgl. Atteslander, Peter (1995): Methoden der empirischen Sozialforschung, S. 176 oder Wessel, Karin (1996): Empiri-
sches Arbeiten in der Wirtschafts- und Sozialgeographie, S. 136
18.
vgl. Wessel, Karin (1996): Empirisches Arbeiten in der Wirtschafts- und Sozialgeographie, S. 133
19.
Der Kodierungsschlüssel ist im Kapitel 13.2. enthalten.

Einführung, Aufbau und Methodik der Arbeit
13
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
in der Anzahl der zu untersuchenden Städte und stattdessen einer Einbeziehung der für die bis-
herige Schrumpfungsdiskussion wesentlichen, städtischen Akteure erreicht werden. Durch die
,,Neuheit" dieser Diskussion war die Auswahl der Akteure nicht leicht, denn die Städte reagieren
erst langsam und teilweise noch sehr unsicher. Städtische Schrumpfungsprozesse zeigen sich
vor allem am Wohnungsleerstand sehr offensichtlich, weshalb dieser im Mittelpunkt der ,,Integrier-
ten Stadtentwicklungskonzepte" (INSEK) steht. Eine Auswahl der Interviewpartner war daher in
den Akteursgruppen Stadtverwaltung und Wohnungsunternehmen sinnvoll, welche noch durch
die Akteursgruppe der politischen Entscheidungsträger ergänzt wurde.
Die wesentliche Akteursgruppe für die qualitativen Befragungen waren die Akteure der Stadtver-
waltungen, welche sich konkret mit den Strategien für Schrumpfungsprozesse auseinanderset-
zen. Die Gespräche mit den städtischen Planern wurden in jeder Stadt als erstes geführt, um
bereits am Anfang die Besonderheiten der jeweiligen Stadt zu erfahren und um einen intensiven
Einblick in die Probleme der Stadt und entsprechend in das erstellte INSEK zu erhalten.
Als zweite im derzeitigen Diskussionsprozeß wesentliche Akteursgruppe stellten sich die städti-
schen Wohnungsunternehmen heraus. Als am meisten vom Wohnungsleerstand betroffene Un-
ternehmen sind sie am Prozeß des Stadtumbaus (und der Bewältigung des Leerstandes)
interessiert und intensiv in die Erstellung des INSEK mit eingebunden, was sich bei anderen Woh-
nungsmarktteilnehmern noch kompliziert gestaltet. Eine Einbeziehung anderer Wohnungsmarkt-
akteure in die Befragung wurde daher zum Zeitpunkt der Befragung als weniger sinnvoll erachtet.
Als dritte Akteursgruppe wurden politische Entscheidungsträger ausgewählt, da diese letztlich
über die Vorstellungen der Stadtverwaltung abstimmen und damit die Möglichkeit von richtungs-
weisenden Entscheidungen im Umgang mit Schrumpfung haben. Die Auswahl der Stadträte er-
folgte unter der Bedingung, daß der betreffende Stadtrat Mitglied im technischen Ausschuß und
daher über die Vorgehensweise bei der Erstellung des INSEK informiert sein sollte. Anhand einer
Liste dieser Ausschußmitglieder wurde jeweils ein Stadtrat telefonisch kontaktiert. In zwei Fällen
erfolgte eine Weiterempfehlung an ,,kompetentere" Stadträte. In Riesa wurde auf die Befragung
dieser Akteursgruppe verzichtet, da eine Vorstellung des INSEKs vor den Stadträten in Riesa
noch ausstand und eine Befragung zu diesem Zeitpunkt keine vergleichbaren Ergebnisse er-
bracht hätte. Außerdem konnten durch die Befragung eines anderen Riesaer Akteurs, welcher
selbst Stadtrat gewesen ist, bereits interessante Einsichten gewonnen werden.

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
14
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
B - Grundlagen & Theorie
"... Die Stadt ist mittlerweile überall. Es hat sich gezeigt, daß sie nicht zu ordnen und wie ein Ma-
schine zu reparieren ist. Sie umsteht uns mit häßlichen Mauern und schmutzigen Ecken. Aber sie
ist imstande, sich immer aufs Neue den Umständen anzuverwandeln ..."
(W
ILKENS
1995)
20
2. Das Phänomen ,,Schrumpfung"
Seit der Veröffentlichung des Abschlußberichtes der ,,Kommission zum wohnungswirtschaftlichen
Strukturwandel in den neuen Bundesländern"
21
(auch Leerstandskommission genannt) wird in ak-
tuellen Fachdiskussionen, Tageszeitungen und im Politikgeschehen über ,,Schrumpfung" bzw.
über die ,,schrumpfende Stadt" diskuttiert. Dabei wird deutlich, daß es sich um vielfältige Prozesse
handelt, welche für die rückläufige Entwicklung der ostdeutschen Städte verantwortlich sind.
Bei dem Versuch, herauszufinden, was unter dem Begriff ,,Schrumpfung" verstanden wird, fallen
die sehr unterschiedlichen Interpretationen auf, welche eine Spannweite vom natürlichen Gegen-
prozess des Wachstums bis zum negativ belegten Niedergang haben. Um sich dem Begriff zu nä-
hern, soll hier eine Abgrenzung bzw. eine Eingrenzung der Begriffsinhalte durch Einordnung von
Schrumpfungsprozessen in unterschiedliche Zusammenhänge erfolgen.
2.1. Schrumpfungsphänomene im natürlichen Kontext
Schrumpfungsphänomene sind in beinahe allen Bereichen der Natur zu beobachten. H
AGER
UND
S
CHENKEL
(2000) greifen diese natürliche Vielfalt in dem Buch ,,Schrumpfungen ­ Chancen für ein
anderes Wachstum" auf.
22
Als Diskurs angelegt, wird in sechs unterschiedlichen Rubriken
Schrumpfung als Phänomen der Zeit, des Raumes, des Körpers, des Denkens, des Handelns und
der Zukunft dargestellt.
In der Natur gehören Wachstum und Schrumpfung immer zusammen - ohne Wachstum gibt es
keine Schrumpfung und ohne Schrumpfung ist kein Wachstum möglich. Dieser Zusammenhang
von ,,...Wachstum und zur Ruhe kommen..."
23
läßt sich vielfach beobachten:
·
Jedem Frühling geht im Jahresverlauf der Winter vorweg,
·
auf Ebbe folgt Flut,
·
jedes Ausatmen benötigt vorher ein Einatmen,
·
jedes natürliche Wachsen braucht Absterben und
·
Schwellen ist nicht möglich ohne Schrumpfen.
24
20.
Wilkens, Michael (1995): Rekonstruktion - Dekonstruktion - Stadtplanung nach dem Städtebau, S. 169
21.
vgl. Pfeiffer, Ulrich / Simons, Harald / Porsch, Lucas (Hrsg.) (2000): Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den
neuen Bundesländern - Bericht der Kommission
22.
vgl. Hager, Frithjof / Schenkel, Werner (Hrsg.) (2000): Schrumpfungen - Chancen für ein anderes Wachstum
23.
Hager, Frithjof / Schenkel, Werner (2000): Einleitung, S. 3
24.
vgl. Jorden, Walter (2000): Schrumpfen heißt Ausatmen, S. 139

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
15
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Gemeinsam ist diesen Prozessen, daß sie sich nicht monoton, also ohne Umkehr, in nur eine
Richtung entwickeln. In der Natur ist Wachstum bis zu einem bestimmten Punkt ­ einem erreich-
baren Maximum, welches abhängig von genetischer Anlage, räumlicher Ausdehnung, Nahrungs-
mittelangebot oder anderen Faktoren ist ­ möglich, dem eine Phase des Schrumpfens folgt.
Natürliches Wachstum ist nie ein linearer Prozess, sondern immer zyklisch und pulsierend, wes-
halb Innehalten, Schrumpfung oder Rückbildung als integrale Bestandteile des Wachstumspro-
zesses anzusehen sind.
25
Wachstum und Schrumpfung lassen sich auch im menschlichen Leben nachvollziehen. Genau-
sowenig wie ständiges Wachstum gibt es andauernden Stillstand. Das Leben eines Menschen
besteht aus Bewegungen zwischen Plus und Minus, zwischen Wachsen und Abnehmen.
26
Die
Menschheit als Ganzes stellt ­ im Gegensatz zu den bisherigen Überlegungen ­ eine Ausnahme
in der Natur dar, da sie, von Krisenerscheinungen abgesehen, immer wachsen und sich kontinu-
ierlich weiter ausbreiten konnte. Eventuell handelt es sich hierbei um eine andere Zeitdimension
und das erreichbare Maximum wurde noch nicht erreicht.
Erstaunlich ist, daß trotz des deutlichen Zusammenhanges von Wachstum und Schrumpfung bei
natürlichen Vorgängen, der Prozess ,,Schrumpfen" bisher kaum untersucht ist und es keine Theo-
rie für Schrumpfung gibt.
27
2.2. Schrumpfungsphänomene im wirtschaftlichen Kontext
Ein anderes Herangehen ist bei wirtschaftlichen Zusammenhängen zu finden. In der Regel wird
für eine Veränderung das Wort ,,Wachstum" verwendet. Von Schrumpfung dagegen wird nicht ge-
sprochen, allenfalls von vorübergehenden Konsolidierungsphasen.
Die wirtschaftliche Logik in einer Geldwirtschaft ist auf Wachstum angelegt, wodurch ein Wachs-
tumszwang initiiert wird.
28
Deshalb ist eine Stagnation des Wachstums ein Alarmsignal und eine
Entwicklung in den negativen Bereich eine Katastrophe, weil damit gravierend in die Grundlage
des Wirtschaftssystems eingegriffen wird.
29
Durch den langen Aufschwung nach dem II. Weltkrieg gilt Wachstum als der Zentralbegriff der
ökonomischen Moderne ­ so zentral, daß selbst ein vorübergehendes Nichtanwachsen mit ,,Null-
wachstum" bezeichnet wird.
30
Schrumpfungen oder Schrumpfungsprozesse sind dagegen
,,...Fremdkörper im soziologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs der Moderne..."
31
,
was auf die Entstehung dieser Disziplinen, die sich in engstem Zusammenhang mit Ausdeh-
nungs- und Wachstumsprozessen entwickelten, zurückzuführen ist.
25.
vgl. u.a. Bischof, Marco (2000): Wachstum und Schrumpfung in Biologie, Medizin und Biophysik, S. 126
26.
vgl. Jorden, Walter (2000): Schrumpfen heißt Ausatmen, S. 144
27.
vgl. Hager, Frithjof / Schenkel, Werner (2000): Einleitung, S. 3
28.
vgl. ebd., S. 4
29.
vgl. Jorden, Walter (2000): Schrumpfen heißt Ausatmen, S. 140ff.
30.
vgl. Tennes, Bernd (o.J.): Zeit des Rhythmus, Temporalität der Operation
31.
Engler, Wolfgang (2001): Essay - Themen zeitgenössischer Architekturdebatten: Schrumpfen, S.42

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
16
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Durch die Ausklammerung der im letzten Kapitel angesprochenen natürlichen Aspekte sind in der
heutigen Wachstumsgesellschaft Diskussionen über Stagnation oder Schrumpfung negativ be-
legt, haben keine Zuversicht und sind emotional bedrückend. Sie werden als Einschränkung, Ri-
siko oder Bedrohung empfunden und stehen für Mißerfolg von Politik oder Unternehmen. Auch
Bundeskanzler Schröder hat bei seinem Amtsantritt 1998 ,,...in aller Deutlichkeit Wachstum als
das unbezweifelte und unangefochtene Grundprinzip und Ziel staatlichen Steuerungshandeln in
Deutschland..."
32
herausgestellt. Dennoch gibt es Meinungen, die diese Interpretationen hinterfra-
gen. Aus einer ökologischen Perspektive schreibt V
ESTER
(1983): "...Die Abhängigkeit vom
Wachstum ist einer der stupidesten Zwänge, die es gibt. Denn sie vereitelt jegliche Evolution, Ent-
faltung, Flexibilität und Anpassung und gefährdet damit die Überlebensfähigkeit...".
33
Viele Unternehmen bewegen sich heute ­ trotz der in den Industrieländern vorherrschenden li-
nearen Entwicklungsmodelle ­ in reifen oder rückläufigen Märkten. Die Anzeichen von Stagnati-
on, welche etwa 3/4 aller Branchen in Westeuropa, Japan und den USA betreffen, sind zu sehen:
·
im verschärften Wettbewerb,
·
in steigenden Überkapazitäten,
·
in schrumpfenden Gewinnen und
·
höheren Insolvenzzahlen.
34
Trotzdem wurde den Problemen der Marktstagnation und Marktschrumpfung von betriebswirt-
schaftlicher Seite vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt, so daß Unternehmen nur auf ein
schwach ausgebildetes Instrumentarium zurückgreifen können.
35
Eine Ursache dafür wird in der
angesprochenen negativen Stigmatisierung von Schrumpfung gesehen.
Bei bisherigen Untersuchungen zu wirtschaftlichen Schrumpfungsproblemen erfolgte je nach In-
halt eine spezifische Begriffsverwendung. So kann Schrumpfung interne Gründe, welche ein ver-
meidbares Fehlverhalten unterstellen, aber auch externe Gründe als Ursache haben, welche
neutral sind und keine Schuldzuweisungen beinhalten.
36
Allgemein wird in den betriebswirtschaft-
lichen Veröffentlichungen unter Schrumpfung eine fehlende Aufrechterhaltung der Anpassungs-
fähigkeit des Unternehmens an externe Umweltveränderungen verstanden.
37
Interessant ist, daß nach dieser Begriffserklärung das Gegenteil von Schrumpfung nicht Wachs-
tum, sondern Anpassungsfähigkeit ist.
32.
Heil, Karolus (2000): Stadtentwicklungsplanung und Nachhaltigkeit - neuer Wein in alten Schläuchen?, S. 29
33.
Vester, Frederic (1983): Ballungsgebiete in der Krise, S.68
34.
vgl. Wenk, Thomas (1998): Unternehmensstrategien in schrumpfenden Märkten
35.
vgl. Welge, Martin / Hüttemann, Hans (1993): Erfolgreiche Unternehmensführung in schrumpfenden Branchen, S. 10
36.
vgl. ebd., S. 5
37.
vgl. ebd., S. 3

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
17
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
2.3. Schrumpfungsphänomene im städtischen Kontext
2.3.1. Einordnung städtischer Schrumpfung
Seit der Industrialisierung
38
im 19. Jahrhundert ist es ein ,,...menschheitstypischer Glauben..."
39
,
daß Städte prinzipiell wachsen. Sämtliche Stadtentwicklungstheorien gehen von dem Wachstum
der Städte aus.
40
Die Ausnahmen sind Folgen von Krieg, Katastrophen oder anderen Krisener-
scheinungen. Schrumpfung war daher eine seltene und zum Teil vorübergehende Erscheinung,
weshalb die Vorstellung, daß Städte schrumpfen, unerhört und bedrohlich erscheint.
41
Das zeigt
auch die in Deutschland vorherrschende Expansionsausrichtung und Wachstumsplanung unter
dem Motto: "... Städte wachsen! Diese Erfahrung ist so alt wie die Städte selbst ..."
42
.
Bisher hat die deutsche Stadtforschung, analog zu den Wirtschaftswissenschaften, wenige theo-
retische Erklärungen für den urbanen Rückbildungsvorgang anzubieten, obwohl seit den 70er
Jahren verschiedentlich von Schrumpfung die Rede war.
43
Allerdings wurde entweder nicht deut-
lich formuliert, was Schrumpfung ist und wie damit umgegangen werden muss oder entsprechen-
de Ansätze wurden nicht weiter aufgegriffen.
44
In einer der wenigen Veröffentlichungen zum Thema Schrumpfung analysierten H
ÄU
ß
ERMANN
UND
S
IEBEL
(1988) die rückläufige Beschäftigten- und Bevölkerungsentwicklung in westdeutschen
Städten Mitte der 80er Jahre und bezeichneten den Prozess ,,Schrumpfung" als Resultat des
Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft.
45
Als Ergebnis dieses Wandels
komme es zu einer Spaltung des ehemals einheitlichen Entwicklungstypes ,,Stadt" in zwei gegen-
sätzliche Muster städtischer Entwicklung mit konträren Perspektiven. Diese zwei Stadttypen ­ die
weiterhin prosperierenden und die zunehmend retardierenden Städte ­ stellen eine neue räumli-
che Erscheinungsform gesellschaftlicher Ungleichheit und damit eine Überlagerung der bisher
dominanten Stadt-Land-Gegensätze dar.
46
Die Entwicklungstendenzen vom Aufstieg über die Stagnation zur Schrumpfung von Städten sind
nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industrienationen anzutreffen.
47
Einigkeit besteht darin,
38.
Diese Begrenzung auf die letzten 150 Jahre wird nicht von allen Autoren übernommen. Einige sehen in den aktuellen
Einwohnerverlusten der Städte ein erstmaliges Phänomen seit dem Mittelalter. (vgl. u.a. Venturi, Marco (1997): Das
Verschwinden der Städte, S. 282)
39.
Richter, Peter (2001): Region erahnter Kindheitsmuster - Schwermut Ost
40.
Bereits das Stadtentwicklungsmodell von Burgess versteht Stadtentwicklung als Prozess des Wachstums durch Expan-
sion des Zentrums und darauf folgend einer Ausdehnung der Stadt in konzentrischen Zonen. Diese Regelmäßigkeit
wird zwar seit längerem als nicht mehr zeitgemäß interpretiert (siehe Modelle von Ullmann und Hoyt u.a.), die Wachs-
tumsausrichtung dagegen wurde aufgrund der beobachteten Bevölkerungsentwicklung nicht in Frage gestellt. (vgl.
Hamm, Bernd (1997): Globalisierung, Stadtentwicklung, Segregation, S. 7)
41.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 91
42.
Pfeiffer, Ulrich (2001a): Der Leerstandsschock, S. 29
43.
vgl. Hannemann, Christine (2000): Zukunftschance Schrumpfung - Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 99
44.
vgl. Haller, Christoph / Liebmann, Heike (2002): Vom Wohnungsleerstand zum Stadtumbau, S. 39
45.
Mit der Industrialisierung setzte ein explosionsartiges Wachstum der Städte ein, welches zunächst zu einer Bevölke-
rungskonzentration führte. Durch die inzwischen nahezu flächendeckende Ausbreitung städtischer Produktions- und
Lebensformen haben Städte ihre besondere Qualität eingebüßt und verlieren durch anhaltende Suburbanisierungspro-
zesse sowie durch die zum Stillstand gekommenen Verdichtungsprozesse auch quantitativ an Gewicht. Die absehba-
ren Auswirkungen für die Städte seien stark genug, um von einem neuen Stadtentwicklungstyp zu sprechen, der zwar
kein vollkommener Gegensatz zur wachsenden Stadt sei, sich aber in ökonomischen, sozialen und kulturellen Parame-
tern von der prosperierenden Stadt deutlich abhebt. (vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1988): Die schrump-
fende Stadt und die Stadtsoziologie, S. 78ff.)
46.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 8

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
18
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
daß die Anzeichen nicht für eine nur vorübergehende, konjunkturabhängige Krise sondern eher
für einen grundlegenden Wandel der Funktion von Städten sprechen.
48
Unklar dagegen ist, ob al-
ternde Städte von der Bühne der Entwicklung abtreten oder beim qualitativem Wachstum ange-
kommen sind.
2.3.2. Umgang mit städtischen Schrumpfungsphänomenen
Der Umgang mit Schrumpfungserscheinungen ist bereits auf der psychologischen Ebene kompli-
ziert. Durch das jahrzehntelange Wachstum von Bevölkerung, Wirtschaftskraft und Wohlstand
wurde dieser Prozeß zur Norm erhoben und als natürliches, selbstverständliches und positives
Phänomen aufgefaßt. Aus dieser Perspektive heraus kann die Ungewißheit von Schrumpfungs-
prozessen nur negativ beurteilt werden.
Entsprechend wurden bisher Gedanken zu Schrumpfung überwiegend mit ,,...eisigem Schwei-
gen..."
49
quittiert und als Panikmache abgetan. Sie lösten ,,...mehr Beschimpfungen als Nachden-
ken..."
50
aus und waren auch Mitte der 90er Jahre tabu und nicht diskussionsfähig.
51
Ursachen für
diese Reaktionen sind auch in der Stadtentwicklung gängige Vorstellungen der Art: ,,Urbanität =
Dichte + Größe + Heterogenität". Sie erschweren die Akzeptanz der wahrgenommenen Schrump-
fungsprozesse und implizieren eine negative Bewertung.
52
Ein weiterer Grund für die fehlende
Bereitschaft, sich mit den Schrumpfungstendenzen auseinanderzusetzen ist eine mögliche Erklä-
rung von Schrumpfung als Erosion des Städtischen, welche als Einschränkung, Risiko oder Be-
drohung empfunden wird, lähmende und stigmatisierende Wirkungen hat, ein mentales Problem
ist und vor allem keine Zuversicht hat.
53
Vorstellungen eines Wachstumsprozesses, als kontinu-
ierlicher natürlicher Vorgang ­ in der Form, daß sich das Stadtgebiet ausweitet, sich revidiert, sich
verdichtet und sich wieder neu ausweitet ­ sind undenkbar geworden und eine ,,...Überforderung
aller Beteiligten...".
54
Außerdem ist ,,...Wandel ohne Wachstum [...] bislang kaum vorstellbar, in der
Theorie wenig ausformuliert und politisch-praktisch kaum mehrheitsfähig..."
55
.
Aber Schrumpfungstendenzen müssen keinesfalls eine ,,Endlosschleife des Niederganges" sein,
was die Entwicklung des Städtesystems, welches sich als Ganzes seit 1000 Jahren wenig verän-
dert hat, verdeutlicht.
56
Diese Konstanz zeigt, daß anscheinend im Städtesystem ,,...selbststabli-
sierende Wirkungen..."
57
vorhanden sind und Schrumpfen daher nicht endlos ist, sondern sich die
47.
vgl. Ganser, Karl (1997): Aufstieg und Fall städtischer Regionen, S. 7
48.
vgl. Weiske, Christine / Schmitt, Jürgen (2000): Metamorphosen der Stadt: Cities on the Move, S. 161
49.
Kil, Wolfgang (2001): Überflüssige Städte ? - Über den Leerstand in ostdeutschen Städten, S. 59
50.
Krämer-Badoni, Thomas (1997): Das Verschwinden der Städte - eine Einführung, S. 4
51.
vgl. Hannemann, Christine (2000): Zukunftschance Schrumpfung - Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 99
52.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1988): Die schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie, S. 92
53.
vgl. u.a. Pfeiffer, Ulrich (2001a): Der Leerstandsschock, S. 32 // Weiske, Christine / Schmitt, Jürgen (2000): Metamor-
phosen der Stadt: Cities on the Move, S. 162 // Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1988): Die schrumpfende Stadt
und die Stadtsoziologie, S. 86
54.
Hoffmann-Axthelm, Dieter (1996): Anleitung zum Stadtumbau, S. 154
55.
Ganser, Karl (1997): Aufstieg und Fall städtischer Regionen, S. 11
56.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 92
57.
Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 115

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
19
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
betroffenen Städte auf einem niedrigeren Niveau stabilisieren können, da wichtige städtische
Funktionen erhalten bleiben.
58
Wesentlich ist die Erkenntnis, daß Schrumpfung als dominante Entwicklung nicht verleugnet wer-
den darf, denn Abschwungs- wie auch Wachstumsprozesse erlangen, wenn sie erst einmal in
Gang gekommen sind, einen sich selbst verstärkenden Charakter, so daß ungesteuertes
Schrumpfen ebenso wie ungezügeltes Wachstum zu hochproblematischen räumlichen und sozia-
len Strukturen führen kann.
59
Die Prozesse der Desinvestition, des Rückbaus und des Rückzuges
müssen bewußt gelenkt werden,
60
um das bestehende negative Image einer schrumpfenden
Stadt von Verfall und Resignation nicht zu einer ,,...selbsterfüllenden Prophezeihung..."
61
werden
zu lassen.
Zwar werden die Möglichkeiten einer Stadt, mit geeigneten Strategien aus Schrumpfung wieder
Wachstum zu erzeugen, als aussichtslos eingeschätzt
62
, aber es bestehen vielfältige Chancen,
die Zeiten mit Wachstumsdefiziten durch neue Optionen, wie:
·
,,...mehr Luft zum Atmen,
·
mehr Raum sich zu bewegen und
·
mehr Wohnfläche um zu leben..."
63
,
für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Städten zu nutzen. In den 60er Jahren wur-
den in einigen deutschen Städten Diskussionen geführt, ,,Nullwachstum" als stadtentwicklungspo-
litische Alternative zu nutzen. Das spiegelt die Erkenntnis wieder, daß die Nachteile weiteren
Wachstum als schwerwiegender angesehen wurden, als die Vorteile.
64
Nach L
ÜTKE
-D
ALDRUP
(2000) ist planvolles und maßvolles Schrumpfen kein ,,...Horrorszenario...",
sondern eine attraktive Zukunft, mit der sich Städte auseinandersetzen müssen.
65
Mit einem po-
sitiven Leitbild einer qualitätsvollen Stadt mit geringerer Dichte,
66
können qualitative Chancen wie
die Beseitigung von zu dichter Überbauungen, der größere Wohnraum bei geringeren Mieten und
die Schaffung von mehr Durchgrünung und Wohnumfeldverbesserung genutzt werden.
67
Weitere
Möglichkeiten zur Stärkung der Stadt können durch die neuen Freiräume, die anderen Nutzungs-
und Wohnqualitäten enstehen, wo sich Experimentelles, Unbekanntes und Unvorhersehbares
entwickeln kann.
68
Dabei sind ,,...Haken einer schnellen Entwicklung ebenso ein(zu)schließen,
wie Verlangsamung, Verzögerung, ja das völlige Stehenbleiben der Entwicklung..."
69
.
58.
vgl. ebd., S. 118f.
59.
vgl. Pichierri, Angelo (1992): Regionale Strukturkrisen und ihre politische Bewältigung - das Beispiel Genua, S. 82
60.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (2000): Neue Entwicklungstypen von Großstädten, S. 80
61.
Friedrichs, Jürgen / Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1986): Zum Problem des Süd-Nord Gefälles in der Bundes-
republik , S. 8
62.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1988): Die schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie, S. 92
63.
Afheldt, Heik (2001): 65 Millionen reichen auch
64.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 149
65.
vgl. Lütke Daldrup, Engelbert (2000): Die neue Gründerzeit, S. 167
66.
vgl. Oswalt, Philipp / Overmeyer, Klaus / Prigge, Walter (2002): Experiment und Utopie im Stadtumbau Ostdeutsch-
lands, S. 57
67.
vgl. Winkel, Rainer (2002a): Bestandsentwicklung - schrumpfende Stadt, wie ist damit konzeptionell umzugehen, S. 17
68.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 211

Das Phänomen ,,Schrumpfung"
20
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Bisher gibt es noch keine theoretisch abgesicherten Indikatoren, die für die Identifizierung von
Schrumpfungsprozessen und ihre Wirkungen geeignet wären,
70
so daß Auswirkungen und Reak-
tionen auf Wirkungszusammenhänge nur begrenzt abschätzbar sind. Daher ist die Bewältigung
städtischer Schrumpfung ein ,,...Experiment ohne Vorlage..."
71
, für das es keine Erfahrungen, kei-
ne Beispiele und keine erprobten Problemlösungsstrategien gibt. Die vorhandenen Instrumente
für den Rückbau sind in jeglicher Hinsicht ,,...miserabel entwickelt..."
72
und der Stadtentwicklungs-
politik fehlt es an Orientierungsmöglichkeiten.
73
2.3.3. Der Begriff städtischer Schrumpfung
Im Wörterbuch wird der Begriff ,,Schrumpfung" als die ,,...Verminderung der Größe von etwas..."
74
bzw. als ,,...das Geringerwerden..."
75
erklärt. In den vorangegangenen Kapiteln wurde deutlich,
daß Schrumpfung von vielfältigen Prozessen geprägt sein kann und abhängig von der Problem-
stellung unterschiedliche Arbeitsdefinitionen genutzt werden.
76
In der Vielfalt von Begrifflichkeiten
zwischen Kontraktion und Stagnation, zwischen negativem ,,Niedergang" und positiver ,,Regene-
rierung" ist keine exakt einheitliche Verwendung auszumachen, was nach K
EIM
(2001) auch nicht
zwingend nötig scheint.
77
H
OFFMANN
-A
XTHELM
(1993) sieht in der Ökologie, die sich unter Schwächebedingungen der
Wachstumsgesellschaft eingeführt hat, eine Theorie der schrumpfenden Stadt.
78
Dieser Aspekt
ist deshalb von hohem Interesse, weil dadurch die mehrdimensionale Dimension des Schrump-
fungsprozesses, welcher neben einem sich vielfach überlagernden Wandel von demographi-
schen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen auch baulich-physische Veränderungen
betrifft.
Im Rahmen dieser Arbeit soll städtische Schrumpfung als ein gesamtstädtischer Wandlungspro-
zess aufgrund veränderter Rahmenbedingungen verstanden werden, der von einem Verlust an
Einwohnern und einer nachlassenden wirtschaftlichen Entwicklung geprägt ist. Diese demogra-
phischen und ökonomischen Prozesse überlagern sich gegenseitig und haben tiefgreifende Aus-
wirkungen auf alle städtischen Lebensbereiche. Im Ergebnis kann diese Entwicklung zu einer
geringeren Nutzungsdichte und damit einem Funktionsverlust der Städte führen, wobei den qua-
nitativen Verlusten Möglichkeiten qualitativer Verbesserungen gegenüber stehen können.
69.
Doehler, Martha (2001): Staatsplanthema Abbruch, S. 33
70.
vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1988): Die schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie, S. 84
71.
Ruscheinsky, Dagmar (2001): Abriss Ost oder Abkehr vom Wachstum
72.
Ganser, Karl (1985): Zur Lage, S. 16
73.
vgl. Glock, Birgit (2002): Schrumpfende Städte, S. 3
74.
Bünting, Karl-Dieter (1996): Deutsches Wörterbuch, S. 1025
75.
ebd.
76.
vgl. TU Dresden / IÖR / Sächsische Akademie der Wissenschaften (2002): Schrumpfungsprozesse in verdichteten
Räumen - am Beispiel der Region Dresden, S. 29
77.
Keim, Karl-Dieter (2001b): Forschungs- und Entwicklungsprogramm zur Regenerierung der ostdeutschen Städte, S. 19
78.
vgl. Hoffmann-Axthelm, Dieter (1993): Die dritte Stadt, S. 18

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
21
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
3. Bisherige Schrumpfungstendenzen und
entsprechende Erklärungsansätze
Bereits im letzten Kapitel wurde aufgezeigt, daß städtische Schrumpfung nicht neu, aber bisher
nur vereinzelt aufgetreten ist. Historisch gesehen war die Entwicklung von Städten immer schon
ein Auf und Ab, und Wachstumsschübe eher eine Ausnahme als die Regel.
79
Nur die letzten 150
Jahre waren von einer kontinuierlich Expansion der Städte in Mittel- und Westeuropa geprägt.
80
Von diesem Hintergrund aus betrachtet, erscheint das Phänomen des Schrumpfens neu.
Die allgemeine Entwicklung in Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg war geprägt von Wachs-
tumsprozessen, von einer Zunahme von Bevölkerung, Arbeitsplätzen und einer räumlichen Aus-
dehnung der Stadt. In den 70er Jahren differenzierten sich diese Entwicklungen und zeigten
teilweise gegenläufige bzw. stagnierende Tendenzen ­ letztere insbesondere in altindustrialisier-
ten Regionen.
81
Die daraufhin in den 80er Jahren geführten Diskussionen um städtische
Schrumpfungsprozesse und die zur Erklärung dieser Tendenzen herangezogenen theoretischen
Ansätze werden im folgenden Kapitel behandelt. Ob die damaligen Prozesse mit den aktuellen
Tendenzen in den neuen Bundesländern vergleichbar sind und sich daraus entsprechende Hand-
lungsansätze ergeben, soll in Kap. 5.3. dargestellt werden.
3.1. Stadtschrumpfung in den westdeutschen Bundesländern
3.1.1. Wirtschaftliche Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland
Durch den ökonomischen Strukturwandel in den 60er und 70er Jahren kam es durch verschiede-
ne, gleichzeitig auftretende ökonomische Veränderungen zu Krisenerscheinungen, welche vor al-
lem in altindustriell geprägten und monostrukturierten Regionen, wie dem Ruhrgebiet, dem Saar-
land und an den Küstenregionen, zu einem städtischen Niedergang führten.
Die Hauptursachen dieses wirtschaftlichen Wandels waren die stärkere Herausbildung einer in-
ternationalen Arbeitsteilung und damit neuer preisgünstiger Konkurrenten auf dem Weltmarkt, die
Verschärfung des internationalen Wettbewerbs durch Veränderungen der Welthandelsbestim-
mungen und der Einsatz neuer Technologien, welche die Produktionsverfahren automatisierten.
82
Von der u.a. aus diesen Faktoren resultierenden anhaltenden weltmarktbedingten Absatzkrise,
waren insbesondere die traditionellen Industrien des sekundären Sektors wie die Textilindustrie,
die Montan-Industrie und der Schiffsbau betroffen.
83
79.
vgl. u.a. Hoffmann-Axthelm, Dieter (1993): Die dritte Stadt, S. 11oder Hannemann, Christine (2002): Schrumpfende
Städte: Überlegungen zur Konjunktur einer vernachlässigten Entwicklungsoption für Städte, S. 6
80.
Diese Zeitangabe blendet vorübergehende Einbrüche, aufgrund von Seuchen, Hungersnöten oder kriegerischen Ereig-
nissen aus.
81.
Dabei ist auffällig, daß ,,Schrumpfung" selten explizit genannt wurde, die dahinterstehenden Prozesse der Überalte-
rung, des Bevölkerungsrückgangs, der anhaltenden Abwanderung, des nachlassenden bzw. fehlenden Wachstums,
der fehlenden wirtschaftlichen Basis u.a.m. dagegen schon.
82.
vgl. Häußermann, Hartmut (1992a): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen, S. 10
83.
vgl. Friedrichs, Jürgen / Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (Hrsg.) (1986): Süd-Nord Gefälle in der
Bundesrepublik ?, S. 1

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
22
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Der Wandel der ökonomischen Rahmenbedingungen führte in Westdeutschland, wie in allen ent-
wickelten Industrieländern, zu einer Umgestaltung der bisherigen Industriegesellschaft, in welcher
die Güterproduktion im Mittelpunkt stand zu einer Dienstleistungsgesellschaft, mit einem dominie-
renden Anteil des tertiären Sektors. Es wurde so ein weltweiter Wandel industrieller Strategien
ausgelöst, welcher eng mit einem politischen und gesellschaftlichen Wandel verknüpft war.
84
Die-
se Entwicklungen gingen mit einer Flexibilisierung der Produktion, Mobilität von Kapital, Unabhän-
gigkeit von traditionellen Standortfaktoren sowie politischen Deregulierungserscheinungen ein-
her.
85
Während in den oben genannten Regionen Schrumpfungsprozesse auftraten, begannen sich an-
dere Regionen (vorrangig in den südlichen Bundesländern) zu entfalten. Es bildete sich ein nach-
weisbares und durchgängiges Gefälle zwischen nördlichen und südlichen Agglomerationsräumen
hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation, der Wirtschaftskraft, des Wirtschaftswachstums, bei den
Forschungsaktivitäten, dem Einkommensniveau und der Bevölkerungsentwicklung heraus,
86
wel-
ches unter dem Schlagwort ,,Süd-Nord-Gefälle" bekannt wurde und in den 80er Jahren eine Be-
schreibung der regional unterschiedlichen Folgen des Strukturwandels war.
87
Entscheidend für die Bewältigung des Strukturwandels war die wirtschaftliche Struktur der Regio-
nen. In den Städten, wo eine von der Strukturkrise betroffene Branche einen dominanten wirt-
schaftlichen Stellenwert einnahm, konnte der Erosion der wirtschaftlichen Basis wenig ent-
gegengehalten werden, während in anderen Städten, deren Wirtschaftsstruktur kleinteiliger und
vielfältiger ausgeprägt war, die Verluste in einem Bereich durch ein Wachstum von anderen Be-
reichen ausgleichen konnten. Für die weitere ökonomische Entwicklung der Städte waren zudem
die Reaktionen der ökonomischen Akteure auf die neuen Bedingungen von wesentlicher Bedeu-
tung. Die Unternehmen mußten Maßnahmen ergreifen, um ihre Marktpositionen bei ausgereiften
Produkten aufrechtzuerhalten. Entsprechende Möglichkeiten wurden in Rationalisierungsmaß-
nahmen durch Arbeitskräfteabbau und durch neue automatisierte Produktionstechniken sowie in
der Verbilligung der Arbeitskosten durch Verlagerung des Unternehmensstandortes gesehen.
Durch diese beiden, parallel ablaufenden Prozesse wurden bestimmte Regionen vom Arbeits-
platzabbau doppelt getroffen und mußten eine starke Verringerung der absoluten Arbeitsplatzzahl
verkraften. Diese noch nie in diesen Dimensionen aufgetretenen Beschäftigtenfreisetzungen
standen im Mittelpunkt der damaligen Diskussionen.
Ein offener Umgang mit der rückläufigen Entwicklung war wegen des negativen Images von
Schrumpfung nicht möglich. Deshalb wurde bis auf wenige Ausnahmen
88
die Diskussion des
84.
vgl. Häußermann, Hartmut (1992a): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen, S. 21
85.
vgl. Läpple, Dieter (1986): "Süd-Nord-Gefälle", S. 106
86.
vgl. Sinz, Manfred (1988): Nord-Süd-Kontraste in der Stadtentwicklung, S. 1001
87.
vgl. Friedrichs, Jürgen / Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1986): Zum Problem des Süd-Nord Gefälles in der Bun-
desrepublik, S. 2
88.
Diese Ausnahmen waren vor allem im Ruhrgebiet, wo in einigen Städten Pläne mit konkreten Festlegungen über die
Schließung von Infrastruktureinrichtungen erstellt wurden, und an der Grenze zur DDR zu finden.
(vgl. Winkel, Rainer (2002b): Schrumpfung und ihre siedlungsstrukturellen Wirkungen, S. 99)

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
23
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Schrumpfens tabuisiert und anstelle des kommunalpolitisch nicht ,,verkaufbaren" Themas zu ver-
meintlich sichereren Ansätzen wie ,,Scheinwachstum" gegriffen. Aus diesem Grund war in den
sich zunehmend unterschiedlich entwickelnden Städten eine auffällig ähnliche Politik zu beobach-
ten, die sich noch immer an wirtschaftlichen Wachstumsvorstellungen orientierte.
89
Die Folgen des Strukturwandels sollten durch eine Erhöhung des Anteils von High-Tech-Unter-
nehmen und entsprechende Förderung mittels klassischer Strategien der Wirtschaftsförderung
ausgeglichen werden, zu denen die Bereitstellung von Gewerbeflächen, die Subvention bei Be-
triebsneugründungen und Qualifikationsmaßnahmen gehören. Außerdem wurden verstärkt wei-
che Standortfaktoren wie die Steigerung der Attraktivität durch Modernisierung und Umwelt-
verbesserung im Wohnbereich und vor allem eine Intensivierung der Kulturpolitik berücksichtigt.
90
Trotz aller Bemühungen der betroffenen Städte im Ruhrgebiet, im Saarland und der Küstenregion
mit dieser Wachstumspolitik die Schrumpfung des sekundären Sektors zu bewältigen, konnte
kein adäquates Wachstum erreicht werden. Als Ursachen für die Erfolglosigkeit, sich als Standor-
te von Zukunftsbranchen zu profilieren, sind spezifische Eigenschaften altindustrialisierter Regio-
nen zu sehen, welche das Entstehen neuer Industrien blockieren. Dazu gehören:
· der spezialisierte, auf die vorhandenen Industrien ausgerichtete Arbeitsmarkt
· die gewachsene Verflechtung (Verfilzung) der Unternehmen mit Teilen der kommunalen Ver-
waltung, welche innovationshemmend wirkt
91
·
die Auswirkungen alter Industrien auf die Umwelt in Form von Luftverschmutzung, Lärmbelä-
stigung und Altlasten
·
die hohe Auslastung der auf die ansässigen Unternehmen zugeschnittenen Infrastruktur
·
die, um Arbeitsplätze zu sichern, vorrangig auf den Erhalt der alten Industrien ausgerichtete
Fördermittelvergabe, welche zu einer Vernachlässigung der Entwicklung von zukünftsträchti-
gen Wirtschaftsbereichen führt und
·
das negative Image einer altindustrialisierten, belasteten Industrieregion.
92
3.1.2. Demographische Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland
Die demographischen Schrumpfungstendenzen in Westdeutschland hatten ihren Ursprung in der
negativen natürlichen Bevölkerungsentwicklung, welche bereits in den 70er Jahren einsetzte und
durch einen Sterbefallüberschuß sowie eine, für die Bestandserhaltung unzureichende Geburten-
entwicklung gekennzeichnet waren.
93
Gegen Anfang der 80er Jahren lassen sich Wanderungsprozesse als eine zusätzliche, dominan-
89.
vgl. Hannemann, Christine (2000): Zukunftschance Schrumpfung - Stadtentwicklung in Ostdeutschland, S. 99
90.
vgl. Friedrichs, Jürgen / Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1986): Zum Problem des Süd-Nord Gefälles in der Bun-
desrepublik, S. 8
91.
In wachsenden Regionen werden diese Verflechtungen positiv als Netzwerk bezeichnet.
92.
vgl. Sinz, Manfred / Strubelt, Wendelin (1986): Zur Diskussion über das wirtschaftliche Süd-Nord-Gefälle unter Berück-
sichtigung entwicklungsgeschichtlicher Aspekte, S. 31
93.
vgl. Jung, Ronald / Mackensen, Rainer (1984): Mit welcher Bevölkerungsentwicklung müssen wir rechnen, S. 43

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
24
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
tere Entwicklung erkennen. Die großstädtischen Bedingungen entsprachen in Folge von Verdich-
tungs- und funktionalen Differenzierungsprozessen sowie der unter einem enormen Wachstums-
druck erfolgenden Vergrößerung der Stadt immer weniger den Bedürfnissen und Ansprüchen der
Bevölkerung. Zu der wahrnehmbaren ,,...Unwirtlichkeit..."
94
der Städte gehören Faktoren wie Woh-
nungsnot, Bodenspekulation, Flächenknappheit, Verkehrsprobleme und Umweltverschmutzung,
welche bereits in der wirtschaftlichen Wachstumsphase der sechziger Jahre zu Suburbanisie-
rungsprozessen führte, die sich in den Folgejahren verstärkten und einen tiefgreifenden Wandel
des Verstädterungsprozesses zur Folge hatten. Das bis dahin auf die Großstädte konzentrierte
Wachstum verlagerte sich zunehmend an den Rand der Agglomerationsräume und den ländli-
chen Raum (s. Abb. 29). Aufgrund dieser Entwicklung, begannen die Großstädte ­ bezogen auf
ihre Einwohnerzahl ­ zu schrumpfen.
Abbildung 29: Bevölkerungsentwicklung in Westdeutschland in verschiedenen Gebietstypen 1970 - 1980
in Mio Einwohnern
95
In den vom ökonomischen Strukturwandel betroffenen Regionen wurde diese negative demogra-
phische Entwicklung von dem wirtschaftlichen Rückgang noch verstärkt. Zu der negativen natür-
lichen Bevölkerungsentwicklung und den Suburbanisierungprozessen kamen noch ökonomisch
motivierte Abwanderungsbewegungen. Verstärkt wurden diese negativen Faktoren durch die ge-
ringeren Zuwanderungen in diese Regionen, was aus einer fehlenden ökonomischen Perspektive
resultiert. Dem Beschäftigtenabbau in den Krisenregionen stand dennoch kein gleich hoher Be-
völkerungsrückgang gegenüber (s. Abb. 30). Die Abwanderung besonders von jungen, mobilen
Bevölkerungsteilen mit guter Ausbildung erhöhten die Anteile der Nichterwerbstätigen, Arbeitslo-
sen und Sozialhilfeempfänger. Durch diese Verschiebungen in der Alters- und Sozialstruktur wur-
den die Chancen und Möglichkeiten der Region zusätzlich beeinträchtigt.
96
94.
siehe u.a. Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte
95.
Quelle: Jung, Ronald (1984): Städte im Umbruch: Die Verstädterung geht weiter - aber wie?, S. 78 (eigene Darstellung)
0
5
10
15
20
25
30
ländliche Gebiete
Agglomerations-
randzonen
Agglom erationskerne
1980
1974
1970

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
25
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Abbildung 30: Rückgang der Bevölkerung und der Arbeitsplätze in Duisburg, Essen und Bochum
zwischen 1961 und 1989 in %
97
3.1.3. Zusammenfassung westdeutscher Schrumpfungsprozesse
Ausgangspunkt der Diskussion um städtische Schrumpfungsprozesse in Westdeutschland in den
80er Jahren waren vor allem ökonomische Veränderungsprozesse, welche in altindustriellen Ge-
bieten zu Schrumpfungstendenzen führten. Die industriellen Bereiche, welche die wichtigsten
Träger wirtschaftlichen Wachstums seit den 50er bis Mitte der 70er Jahre gewesen waren sta-
gnierten bzw. schrumpften. Gleichzeitig expandierten an anderen Standorten neue Wirtschafts-
bereiche, so daß es in der deutschen Wirtschaftskraft zu keiner absoluten Veränderung kam,
sondern nur eine andere räumliche Verteilung erfolgte. Es kann daher von einer Umstrukturierung
der Produktionsweise gesprochen werden, welche räumlich nicht neutral erfolgte und bedeutsa-
me Verschiebungen von Produktionsstandorten und Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur
bewirkte.
98
Die diese Entwicklung bezeichnenden ,,Nord-Süd-Kontraste" waren nur eine von mehreren Di-
mensionen eines großräumig vorhandenen ,,...Disparitätenmusters..."
99
. Für die städtische Ent-
wicklung bedeutsamer war die bereits in Kapitel 2.3.1. genannte Tendenz einer Polarisierung des
städtischen Systems in zwei unterschiedliche Stadttypen - in prosperierende und in retagierende
Städte.
100
Diese zwei gegensetzlichen Stadtperspektiven fanden keinen Niederschlag in kommu-
nalpolitischen oder stadtentwicklungspolitischen Reaktionen, sondern wurden weitestgehend ver-
drängt. Die Vorstellung einer schrumpfenden Stadt hatte keine positiven Aspekte und die Existenz
96.
vgl. u.a. Rommelspacher, Thomas (1992): Wandel der Großstadtpolitik in einer alten Industrieregion, S. 157f.
97.
Quelle: Rommelspacher, Thomas (1992): Wandel der Großstadtpolitik in einer alten Industrieregion, S. 157 (eigene
Darstellung)
98.
Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 44
99.
Sinz, Manfred / Strubelt, Wendelin (1986): Zur Diskussion über das wirtschaftliche Süd-Nord-Gefälle unter Berücksich-
tigung entwicklungsgeschichtlicher Aspekte, S. 15
100. vgl. Läpple, Dieter (1986): "Süd-Nord-Gefälle", S. 97
0,00%
10,00%
20,00%
30,00%
40,00%
50,00%
Duisburg
Essen
Bochum
Bevölkerung
Arbeitsplätze

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
26
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
weiterhin prosperierender Städte war ausreichend für die Hoffnung, mit konsequenter Wachs-
tumspolitik ebenfalls wieder wachsen zu können.
Durch den Strukturwandel haben ­ gesamtdeutsch gesehen ­ die altindustrialisierten Ballungs-
räume in wichtigen Bereichen den Anschluß an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verloren.
101
3.2. Schrumpfungsprozesse in Europa
Analog zu Deutschland waren entsprechende altindustrialisierte Regionen in ganz Europa von
den genannten Strukturveränderungen betroffen.
102
Dazu gehörten der Nordosten von Großbri-
tannien, die Randstadt in den Niederlanden, der Süden von Frankreich um Marseille ebenso wie
der Norden Italiens.
103
Auch außerhalb von Europa gab es Anzeichen von Stagnationsräumen,
welche z.B. in den USA unter den Schlagwörtern ,,Frostbelt" aufgegriffen wurden.
104
Neben diesen, in der Literatur noch am ehesten dokumentierten, primär durch den ökonomischen
Strukturwandel verursachten Schrumpfungsprozessen, gab es in Europa zwei weitere Ursachen
für räumliche Bevölkerungsrückgänge
105
, auf die hier nur verwiesen werden soll. In Nordeuropa
waren es vor allem die nördlich des Polarkreises gelegenen ländlichen Regionen, die von Abwan-
derungen aufgrund mangelnder Zukunftsperspektiven betroffen waren.
106
In Südeuropa - insbe-
sondere in Zentralspanien und Italien - waren massive Geburtenrückgänge für die rückläufige
Bevölkerungsentwicklung verantwortlich.
107
3.3. Erklärungsansätze für Schrumpfungsprozesse
Bevor einige Erklärungsansätze für Schrumpfungsprozesse kurz vorgestellt werden, ist darauf zu
verweisen, daß die Bestimmung geeigneter Ansätze für die Erklärung regionaler Strukturkrisen
problematisch ist. Oftmals sind nur im Auftrag von Behörden durchgeführte Fallstudien oder em-
pirische Untersuchungen vorhanden und die meisten methodischen Ansätze sind nur mit Vorbe-
halt auf die entstandenen regionalen Spaltungen anwendbar.
108
Außerdem ist festzustellen, daß
die wenigen Erklärungsansätze nur eine Art Beschreibung vor allem der wirtschaftlichen Umstruk-
turierungsprozesse liefern, nicht aber Analysen, wann und warum der Verfallsprozeß überhaupt
eingesetzt hat und mit welchen Methoden der Abschwung abgewendet oder ein Aufschwung sti-
muliert werden könnte.
109
So verweist zum Beispiel die Postkeynesianische Theorie als regionale
101. vgl. Rommelspacher, Thomas (1992): Wandel der Großstadtpolitik in einer alten Industrieregion, S. 156
102. Die Ursachen und Ergebnisse der Prozesse in Teilen Europas ähneln denen in Deutschland stark, so daß hier, trotz der
teilweise unterschiedlichen Ansätze von politischen Lösungsstrategien, auf eine weitere Vertiefung verzichtet wird.
103. vgl. Reuther, Iris / Bräuer, Michael (2001): Shrink positive?, S. 18
104. mit der postitive Entsprechung ,,Sunbelt" - vgl. Friedrichs, Jürgen (1985): Die Zukunft der Städte in der Bundesrepublik,
S. 16
105. vgl. Wiechmann, Thorsten (2002): unveröffentliches Arbeitspapier
106. siehe u.a. Glässer, Ewald (1993): Norwegen, S. 31ff. & 203ff. sowie Lindemann, Rolf (1986): Norwegen - räumliche
Entwicklungen in einem dünnbesiedelten Land, S. 14ff.
107. siehe u.a. Birg, Herwig (2001): Die demographische Zeitenwende - Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und
Europa, S. 123
108. vgl. Pichierri, Angelo (1992): Regionale Strukturkrisen und ihre politische Bewältigung, S. 81
109. vgl. ebd., S. 82

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
27
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Raumwirtschaftstheorie nur darauf, daß ,,...Unterschiede in der Verteilung von Investitionen im
Raum [...] zur Herausbildung von Wachstums-, Entleerungs- und Stagnationsgebieten..."
110
füh-
ren.
Im Zusammenhang mit den Schrumpfungsprozessen in den 80er Jahren wurden am häufigsten
ökonomische Erklärungsansätze wie die Theorie der langen Wellen, die Produkt-Lebenszyklus-
Theorie und der Regulationsansatz erwähnt, deshalb wird auf diese Ansätze nachfolgend kurz
eingegangen.
111
3.3.1. Produkt-Lebenszyklus-Theorie
In Anlehnung an die Evolutionslehre wurde in den Wirtschaftswissenschaften die Produkt-Le-
benszyklus-Theorie entwickelt, um Entwicklungen eines Industriezweiges oder Industriestandor-
tes zu verdeutlichen. Nach dieser ­ den organisationstheoretischen Erklärungen zuzuordnenden
­ Theorie besitzen Produkte nur eine begrenzte Lebensdauer, in der sich Produktgestaltung, Pro-
duktionsbedingungen und Absatzbedingungen verändern.
112
Der Lebenszyklus eines Produktes
läßt sich in vier Phasen gliedern: die Entwicklungsphase, die Wachstumsphase, die technologi-
sche Ausreifungsphase und die Schrumpfungsphase. Diese Phasen sind gekennzeichnet durch
unterschiedliche Standortpräferenzen für die Produktion von Gütern. Mit zunehmender Reife der
Güter ist eine zunehmende Peripherisierung der Standorte zu beobachten,
113
was auf eine zuneh-
mende Konkurrenz nach der Markteinführung, verbunden mit der Notwendigkeit die Produktions-
kosten zu reduzieren, zurückzuführen ist. Mit dem Zusammenhang von wachsender Reife eines
Produktes und dem Standort der Produktion bietet die Theorie einen Ansatz, den regionalen
Strukturwandel und damit den Aufstieg oder Niedergang von Regionen durch Verlagerung an ko-
stengünstigere Standorte zu beschreiben und teilweise zu erklären.
L
ICHTENBERGER
(1998) verwendet diese Theorie in abgewandelter Form als duales Zyklusmodell
der Stadtenwicklung, um Prozesse des Stadtverfalls, der Stadterneuerung und der Stadterweite-
rung zu erklären.
114
Stadtentwicklung wird danach in Stadterweiterung und Stadterneuerung auf-
gespalten, also in zwei sich ergänzende Prozesse, zwischen denen ein ausgewogenes Verhältnis
nötig ist, um eine stabile Stadtentwicklung zu gewährleisten. Dem Stadtverfall liegt entsprechend
ein Ungleichgewicht beider Prozesse zugrunde und er ergibt sich aus der Differenz beider Vor-
gänge. Der Zyklus gliedert sich ebenfalls in vier Phasen: Innovations-, Take-off-, Hoch- und Sp-
110. Schätzl, Ludwig (1996): Wirtschaftsgeographie 1 - Theorie, S. 141
111. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind u.a. der Ansatz von Steiner, welcher sich auf strukturelle Faktoren bezieht
und den Abschwung mit einer Konzentration gering expandierender und wenig wettbewerbsfähiger Industrien begrün-
det sowie die von Myrdal erarbeitete Erkenntnis, daß Abschwungsprozessen (ebenso wie Wachstumsvorgängen) ein
kumulativer, sich selbst verstärkender spiralförmiger Charakter eigen ist, was zu der Erkenntnis führt, daß diese Spira-
len durchbrochen werden müssen, wozu eine Koordination und Kooperation der Akteure nötig ist. Auf diese und wei-
tere wird nicht näher eingegangen, da es im Kontext dieser Arbeit nicht für notwendig erachtet wird. (vgl. dazu u.a.
Pichierri, Angelo (1992): Regionale Strukturkrisen und ihre politische Bewältigung, S. 82 und 90)
112. vgl. Schätzl, Ludwig (1996): Wirtschaftsgeographie 1 - Theorie, S. 194ff.
113. vgl. Häußermann, Hartmut / Siebel, Walter (1987): Neue Urbanität, S. 53
114. vgl. Lichtenberger, Elisabeth (1998): Stadtgeographie, S. 282ff.

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
28
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
ätphase. Politische Systemwechsel oder technische Innovationen können einen vorzeitigen
Abbruch des Zyklus, noch bevor in der Spätphase die Wachstumsgrenze des städtischen Sy-
stems erreicht wird, bewirken und machen eine Erneuerung des verbliebenen Bestandes im
nächsten Stadtentwicklungszyklus unter neuen Rahmenbedingungen nötig. Diese Erklärung trifft
weniger auf die Schrumpfungsprozesse in Westeuropa zu, kann aber, ebenfalls ohne Lösungs-
möglichkeiten aufzuzeigen, die Stadtentwicklungsprozesse nach den politischen Umwälzungen
in Osteuropa verdeutlichen.
3.3.2. Theorie der langen Wellen
Die Erfahrungen über das Ende von Lebenszyklen der Produkte aufgrund technischer Innovation
und dann nachfolgenden neuen Produktgenerationen wurden im Konzept der langen Wellen von
K
ONDRATIEFF
, S
CHUMPETER
u.a. theoretisiert.
115
Dieses Phasenmodell sieht unterschiedliche Schlüsseltechnologien als Erklärung für die langfri-
stig zyklische wirtschaftliche Entwicklung an. Danach lösen sich abgrenzbare Phasen (Wellen)
der industriellen Entwicklung, die von einer bestimmten Technologie ­ Basisinnovation genannt ­
getragen werden, in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren ab. Diese neuen Wellen haben neue
Leitsektoren und erzeugen an anderen Orten neues Wachstum, da die neuen Technologien an-
dere Ansprüche an Standorte aufweisen als die bisherigen, die durch bestimmte Organisations-
formen, Kultur und Politik geprägt sind. Diese sind meist zu unflexibel, um auf neue Entwicklungen
zu reagieren. Damit können durch neue Schlüsselindustrien neue regionale Disparitäten entste-
hen, wenn die Standorte der auslaufenden Welle dem Niedergang nichts entgegensetzen kön-
nen.
116
3.3.3. Regulationsansatz
Dieser Ansatz ist im Gegensatz zu den Vorangegangenen nicht nur ökonomisch geprägt sondern
bezieht gesellschaftliche Entwicklungsprozesse in einer integrativen Sichtweise mit ein. Die
Wechselwirkungen von wirtschaftlichen, politisch-administrativen und raumstrukturellen Entwick-
lungen stehen im Vordergrund. Eine Grundaussage des Regulationsansatzes ist, daß sich das bis
in die 70er Jahre wirksame und auf Wachstum ausgerichtete fordistische Entwicklungsmodell,
welches auf Massenproduktion und Massenkonsum beruhte, in Auflösung befindet. Die Endlich-
keit des Modells wird an Kriterien wie sinkendem Wirtschaftswachstum, steigenden Arbeitslosen-
quoten, stagnierenden Einkommen und steigender Inflation sichtbar. Diese Anzeichen deuten auf
eine Umstrukturierung zu einer post-fordistischen Gesellschaftsentwicklung hin, welche durch
Veränderungen des Akkumulationsregimes (Art und Weise der Arbeits- und Produktionsorgani-
sation) wie auch der Regulationsweise (Art und Weise der gesellschaftlichen Aushandlung, wie
115. vgl. u.a. Schätzl, Ludwig (1996): Wirtschaftsgeographie 1, S. 201f.
116. vgl. Häußermann, Hartmut (1992a): Ökonomie und Politik in alten Industrieregionen, S. 12

Bisherige Schrumpfungstendenzen und entsprechende Erklärungsansätze
29
Kommunale Reaktionen für städtische Schrumpfungsprozesse
Regeln, Werte, Normen) bestätigt werden.
117
Die bisherige Stabilität der gesellschaftlichen Ver-
hältnisse wird überlagert von Krisenerscheinungen, welche nicht einer zyklisch auftretenden öko-
nomischen Krise zugeschrieben werden, sondern einem Bruch zwischen Akkumulationsregime
und Regulationsweise. Schlüsselbegriffe sind dabei die Flexibilisierung und Internationalisierung
der Produktion durch auf Mikroelektronik basierenden Innovationen auf der Unternehmensseite
und Prozesse der Deregulierung und Polarisierung auf der gesellschaftlichen Seite. Bislang konn-
te die Regulationstheorie aufgrund der fehlenden Flexiblität von gesellschaftlichen Regelungssy-
stemen noch kein stabiles postfordistisches Akkumulationsregime aufzeigen.
118
3.3.4. Zusammenfassung
Die genannten Theorien werden herangezogen, um vor allem ökonomische Prozesse zu be-
schreiben, welche Auswirkungen auf die Entwicklung von Städten haben, den Dezentralisierungs-
prozeß auf der Suche nach optimalen Produktionsstandorten gemäß dem Produkt-Lebenszyklus,
den mit den neuen Technologien (Basisinnovationen) zusammenhängenden Strukturwandel der
Wirtschaft und den Bruch zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise durch eine Viel-
zahl von ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Von diesen Analyseversuchen werden allgemeine Regelmäßigkeiten erfasst und beschrieben ­
sie sind daher generalisierende Zustandsbeschreibungen. Die Ursachen für Schrumpfungspro-
zesse werden auf einer abstrakten Makroebene vor allem in ,,...ökonomischen Verursachungszu-
sammenhängen und gesellschaftlichen Umbruchfaktoren..."
119
gesehen. Die genannten Theorien
beschreiben dabei den Zusammenhang von der Dynamik ökonomischer Prozesse und deren Fol-
gen für die räumliche Entwicklung. Höchstens durch diese räumliche Komponente kann eine Ver-
bindung zwischen den Entwicklungsprozessen und städtischer Schrumpfung hergestellt werden,
allerdings nur auf einer makroökonomischen Ebene. Für den Umgang mit konkreten spezifisch
ausgeprägten Schrumpfungserscheinungen auf der mikroökonomischen, der kommunalen Ebe-
ne sind die genannten Ansätze allerdings wenig geeignet, da sie Ansätze für das Verständnis und
keine Konzepte für eine Gestaltung der Prozesse sind.
117. vgl. Weck, Sabine (1995): Neue Kooperationsformen in Stadtregionen - eine regulationstheoretische Einordnung,
S. 40ff.
118. vgl. Gaebe, Wolf (1998): Industrie, S. 94
119. Bürkner, Hans-Joachim (2001): Schrumpfung und Alltagskultur: Blinde Flecken im Stadtumbau-Diskurs, S. 46

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832474881
ISBN (Paperback)
9783838674889
DOI
10.3239/9783832474881
Dateigröße
4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften, Geographie
Erscheinungsdatum
2003 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
stadtplanentwicklung stadtumbau stadtschrumpfung ostdeutschland akteure
Zurück

Titel: Kommunale Reaktionen auf städtische Schrumpfungsprozesse
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
140 Seiten
Cookie-Einstellungen