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Die Auswirkungen der Novellierung der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) auf die Distributionssysteme der Autohersteller in Deutschland

Eine kritische Analyse unter Berücksichtigung der Kontrakttheorie

©2003 Diplomarbeit 156 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Unter Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklungstendenzen in der Automobilwirtschaft werden in dieser Arbeit die Auswirkungen der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) 1400/2002 auf den Kfz-Vertrieb untersucht. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz steht die Automobilindustrie seit jeher im Fokus der Europäischen Wettbewerbsaufsicht. Der Vermutungstatbestand eines eingeschränkten Wettbewerbs ist aufgrund der geringen Zahl der marktteilnehmenden Konzerne und der offensichtlichen Preisunterschiede vergleichbarer Produkte in unterschiedlichen Ländern gegeben. Dennoch soll sich diese Arbeit nicht schwerpunktmäßig mit den wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen befassen, sondern eine vertriebsorientierte Beleuchtung der modifizierten GVO und ihrer Folgen für die Marktteilnehmer darstellen.
Die erfolgreiche Umstrukturierung des Distributionssystems für Neufahrzeuge im Sinne der GVO hat für die Wettbewerbsposition der Hersteller eine herausragende Bedeutung. Wegen des überproportionalen Anteils deutscher Autohersteller am EU-Binnenmarkt sind die Auswirkungen der GVO, die sich exklusiv auf den Rechtsraum der EU bezieht, für diese besonders wichtig, insbesondere im Hinblick auf den globalen Wettbewerb. Aufgrund der volkswirtschaftlichen Relevanz sowohl der Hersteller als auch der hohen Anzahl mittelständischer Händler in Deutschland sollen in dieser Arbeit beide Machtpole berücksichtigt werden, wobei die Situation der Händler wegen des direkten Einflusses der GVO auf ihre Kerngeschäftstätigkeit im Vordergrund steht.
Praxisbezogene Arbeit mit Interviews und einer institutionenökonomischen Analyse des Hersteller-Händler Verhältnisses.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
ABBILDUNGSVERZEICHNISIII
ABKÜRZUNGSVERZEICHNISIV
1.EINLEITUNG1
1.1HINTERGRUND UND THEMENSTELLUNG1
1.2AUFGABENSTELLUNG2
1.3ERKENNTNISZIEL3
1.4GANG DER UNTERSUCHUNG4
2.BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN6
2.1BEGRIFFSDEFINITIONEN AUS DER AUTOMOBILWIRTSCHAFT6
2.2DISTRIBUTIONSSYSTEME IN DER AUTOMOBILINDUSTRIE7
2.2.1Vertriebssysteme7
2.2.1.1Direktvertrieb7
2.2.1.2Indirekter Vertrieb8
2.2.1.3Exklusivvertrieb10
2.2.1.4Selektivvertrieb10
2.2.2Struktur und Relevanz der Vertriebskosten eines Automobils11
2.2.3Die dominanten Vertriebssysteme von Automobilen in Deutschland12
3.DIE GRUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG (GVO)1400/02 -EINE EINSCHÄTZUNG13
3.1ARTIKEL 81 EG-VERTRAG UND HISTORIE DER FREISTELLUNGEN13
3.2DIE „ALTE“ GRUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG FÜR DEN […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7272
Faber, Johannes P.: Die Auswirkungen der Novellierung der
Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) auf die Distributionssysteme der Autohersteller in
Deutschland - Eine kritische Analyse unter Berücksichtigung der Kontrakttheorie
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: EUROPEAN BUSINESS SCHOOL, Hochschule, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

I
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... III
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS...IV
1.
EINLEITUNG ...1
1.1
H
INTERGRUND UND
T
HEMENSTELLUNG
...1
1.2
A
UFGABENSTELLUNG
...2
1.3
E
RKENNTNISZIEL
...3
1.4
G
ANG DER
U
NTERSUCHUNG
...4
2.
BEGRIFFLICHE GRUNDLAGEN ...6
2.1
B
EGRIFFSDEFINITIONEN AUS DER
A
UTOMOBILWIRTSCHAFT
...6
2.2
D
ISTRIBUTIONSSYSTEME IN DER
A
UTOMOBILINDUSTRIE
...7
2.2.1
Vertriebssysteme...7
2.2.1.1 Direktvertrieb ...7
2.2.1.2 Indirekter Vertrieb...8
2.2.1.3 Exklusivvertrieb ...10
2.2.1.4 Selektivvertrieb ...10
2.2.2
Struktur und Relevanz der Vertriebskosten eines Automobils ...11
2.2.3
Die dominanten Vertriebssysteme von Automobilen in Deutschland ...12
3.
DIE GRUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG (GVO) 1400/02 -EINE
EINSCHÄTZUNG ...13
3.1
A
RTIKEL
81 EG-V
ERTRAG UND
H
ISTORIE DER
F
REISTELLUNGEN
...13
3.2
D
IE
,,
ALTE
" G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG FÜR DEN
K
RAFTFAHRZEUGVERTRIEB
(1475/95)...14
3.3
D
IE
,,N
EUE
" G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG FÜR DEN
K
RAFTFAHRZEUGVERTRIEB
(1400/02)...16
3.3.1
Die Verordnung - Geltungsbereich ...17
3.3.2
Exklusiver und Selektiver Neufahrzeug-Vertrieb ...18
3.3.3
Mehrmarkenvertrieb...23
3.3.4
Trennung von Verkauf und Service...24
3.3.5
Verkauf des Betriebes inklusive aller Verträge...26
3.3.6
Laufzeit und Kündigungsfristen der Vertragshändlerverträge ...26
3.3.7
Abschaffung des Teilemonopols ...27
3.4
Z
USAMMENFASSUNG UND
F
AZIT
...28
4.
ANALYSE DES VERHÄLTNISSES VON HERSTELLER UND HANDEL
VOR DEM HINTERGRUND DER KONTRAKTTHEORIE...29
4.1
E
RKLÄRUNGSANSÄTZE ANHAND DER
P
ROPERTY
R
IGHTS
T
HEORIE
...30
4.2
T
RANSAKTIONSKOSTENTHEORIE ZUR
E
RKLÄRUNG DER
S
TRUKTUR DER
V
ERTRAGLICHEN
V
ERTRIEBSSYSTEME
...32
4.3
P
RINCIPAL
-A
GENTEN
-T
HEORIE ZUR
A
NALYSE DER
I
NFORMATIONS
-
ASYMMETRIE ZWISCHEN
H
ERSTELLER UND
H
ANDEL
...35
4.4
M
ACHTVERHÄLTNIS
H
ERSTELLER
-H
ANDEL
...37
4.5
A
USGESTALTUNG DER
V
ERTRÄGE UNTER
B
ERÜCKSICHTIGUNG DER NEUEN
G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG
...39

II
5.
DIE ZUKUNFT DES AUTOMOBILVERTRIEBS UNTER
BERÜCKSICHTIGUNG DER AUSWIRKUNGEN DER NEUEN
GRUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG...45
5.1
H
ANDLUNGSMÖGLICHKEITEN DER
A
UTOMOBIL
-V
ERTRAGSHÄNDLER VOR DEN
H
ERAUSFORDERUNGEN DER NEUEN
G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG
...45
5.2
K
UNDENZUFRIEDENHEIT ALS ZENTRALE
E
RFOLGSVORAUSSETZUNG
...48
5.2.1
Relevanz des Markenmanagements und Customer Relationship
Management ...48
5.2.2
Veränderungen der Neufahrzeugpreise als Folge der neuen
Gruppenfreistellungsverordnung ...50
5.3
A
LTERNATIVE
V
ERTRIEBSKONZEPTE IN DER
Z
UKUNFT
...52
5.3.1
Satellitenkonzept...52
5.3.2
Direktvertrieb über herstellereigene Niederlassungen ...54
5.3.3
Brand Image Store, Showroom, Flagship Stores ...56
5.3.4
Automalls und Automeile ...57
5.3.5
Supermärkte, Einzelhandel, Discounter...58
5.3.6
Megadealer...58
6.
SCHLUSSBEMERKUNG UND RESUMÉ...59
ABBILDUNGEN ...62
ANHANG ...82
LITERATURVERZEICHNIS ...132

III
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Vertriebsnetzübersicht Deutschland 2000/2001 ...62
Abbildung 2: Übersicht Betriebstypen in der Automobilbranche ...63
Abbildung 3: Kostenstruktur eines durchschnittlichen Autos in der EU...64
Abbildung 4: Prognose der Kraftfahrzeug-Vertriebskostensplittung...65
Abbildung 5: Alte und neue GVO im Vergleich...66
Abbildung 6: Alte und neue GVO im Vergleich...67
Abbildung 7: Übersicht Internet Neuwagen Händler...68
Abbildung 8: Kreislauf der Originalersatzteile ...69
Abbildung 9: Auswirkungen der neuen GVO auf die Transaktionskosten...70
Abbildung 10: Unzureichende Profitabilität der Autohändler ...71
Abbildung 11: Hersteller-Handel-Kundenperspektive ...72
Abbildung 12: Der Teufelskreis des Automobilvertriebs ...73
Abbildung 13: Satelliten Vertrieb ...74
Abbildung 14: Persönlicher Kontakt beim Autokauf...75
Abbildung 15: Zwischen Direktvertrieb und Händlerdominanz...76
Abbildung 16: Vertriebsempfehlungen nach Marke ...77
Abbildung 17: Bestimmungsfaktoren des Automobilvertriebes ...78
Abbildung 18: Simulation für Strukturveränderungen nach der neuen GVO ...79
Abbildung 19: Marktanteilsprognose Neuwagen...80
Abbildung 20: Simulation Marktanteilsschätzung...81

IV
A
BKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Alte GVO
GVO 1475/95
BMW
Bayrische Motoren Werke AG
Cecra
Verband des Europäischen Kraftfahrzeuggewerbes
CRM
Customer Relationship Management
DSI
Dealer Satisfaction Index
ECR
Efficient Consumer Response
EGV
EG-Vertrag
EU
Europäische Union
F&E
Forschung und Entwicklung
GVO
Gruppenfreistellungsverordnung
HGB
Handelsgesetzbuch
ICDP
International Car Distribution Programme
IFA
Institut für Automobilwirtschaft
Kfz
Kraftfahrzeug
LKW
Lastkraftwagen
Neue GVO GVO 1400/02
OEM
Original Equipment Manufacturer
PoS
Point of Sale
PKW
Personenkraftwagen
USP
Unique Selling Proposition
UVP
Unverbindliche Preisempfehlung
VDA
Verband der deutschen Automobilindustrie e.V.
VO
Verordnung
VW
Volkswagen AG
ZDK
Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe

-1-
1. E
INLEITUNG
1.1 H
INTERGRUND UND
T
HEMENSTELLUNG
Die Automobilindustrie gilt als eine der wichtigsten Branchen weltweit und hat
besonders in der Bundesrepublik eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung.
Dies wird an Zahlen deutlich, wie z.B. dem deutschen Anteil von 18,1 % der
Automobil-Weltproduktion (2001),
1
einer Gesamtwertschöpfung von knapp 3,5
Billionen DM (ca. 1,8 Billionen im Jahr 1999) oder einer Beschäftigungszahl von ca.
730.000 allein in der Kfz-Industrie.
2
Zählt man die Zulieferindustrien in Deutschland
hinzu, ist sogar jeder siebte Arbeitsplatz (ca. 5 Mio. Beschäftigte) von der
Automobilindustrie direkt oder indirekt abhängig.
3
Insofern wird die
Automobilindustrie als ,,Motor (...) und Stabilisator der deutschen Volkswirtschaft"
bezeichnet.
4
Im Zuge des Internationalisierungsprozesses und der Ausweitung der Produktangebote
auf die Weltmärkte haben sich zwei grundlegende Entwicklungen abgezeichnet: Die
Automobilhersteller haben einerseits wesentliche Teile ihrer Wertschöpfungskette
ausgelagert,
5
um sich die kapitalintensiven F&E Aufwendungen zu sparen und sich auf
ihre Kernkompetenzen, nämlich die Produktion und Vermarktung von Automobilen
konzentrieren zu können; zum anderen hat der internationale Wettbewerb dazu geführt,
dass nur Hersteller mit einer kritischen Größe und einem großen Markensortiment
mittelfristig überleben können. Der Zwang zur Konsolidierung auf der Makro-Ebene
hat eine Übernahme-, Fusions- und Kooperationswelle bewirkt,
6
die die
Oligopolstruktur besonders auf den europäischen Kfz-Märkten weiter verstärkt hat.
7
Die Autohersteller haben ihre Restrukturierungsbemühungen primär auf die
Makroebene fokussiert und die Wertschöpfungskette von der Produktion vertikal nach
oben hin kostenoptimiert, die Entwicklung der Vertriebsnetzwerke jedoch
vernachlässigt. Erst in den letzten Jahren wurde auf Optimierung der Händlernetze in
Bezug auf Effizienz und Profitabilität gesetzt. Folge war eine drastische Reduktion der
1
Vgl. VDA: Auto Jahresbericht 2002, (2002), S. 36.
2
Vgl. Meunzel R.; Dringenberg, M.: Kennzahlen und Trends im Autohandel, (2000), S. 1.
3
Vgl. Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren und Alternativen der Absatzwegewahl ­ Das Beispiel
Automobilindustrie, (2002), S. 24.
4
VDA: Auto Jahresbericht 2002, (2002), S. 14.
5
Vgl. Dudenhöffer, F.: On The Importance of Selective and Exclusive Car Distribution Systems in
EU-Europe, (2000), S. 6.
6
Vgl. DaimlerChrysler Fusion 1999, Ford Übernahme von Jaguar, Volvo (...).
7
Vgl. Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren und Alternativen der Absatzwegewahl, a.a.O., (2002), S. 27.

-2-
Vertriebspartner.
8
So lag die Anzahl von lizenzierten Neufahrzeugverkäufern im Jahr
2002 bei 91.690 europaweit, was bereits einen Rückgang von 15,1 % im Vergleich zu
1997 bedeutet. Von dieser Entwicklung waren besonders die mittelständischen
Vertragshändler in Deutschland betroffen, ein Land, das mit durchschnittlich ca. 32
Händlern (EU-Schnitt: 28 Händler) pro 100.000 Einwohnern eine der höchsten
Händlerdichten in Europa besitzt.
9
Deshalb trifft die Neuorganisation und Ausdünnung
der Händlernetzwerke insbesondere Deutschland, wo im Vergleich zum EU-Ausland
noch ein immenser Nachholbedarf besteht.
Der Strukturwandel im Automobilvertrieb und Service wird durch die folgenden
Faktoren maßgeblich beeinflusst:
·
verändertes Kundenverhalten und ­ durch demografische Veränderungen in der
Bevölkerungsstruktur ­ sich ändernde Kundenprofile,
·
den technischen Fortschritt in Bezug auf Internet und (Sicherheits-) Elektronik,
die besonders im Produkt Automobil Einzug gehalten hat,
·
die veränderten finanziellen Rahmenbedingungen, für die ­ hauptsächlich
mittelständisch strukturierten ­ Automobil-Vertragshändler durch die Basel II
Richtlinie
10
·
und nicht zuletzt durch die Änderung der Wettbewerbsrichtlinien (=Spielregeln)
für den Kfz-Vertrieb in der Europäischen Union, nämlich durch die
Gruppenfreistellungsverordnung 1400/2002.
11
1.2 A
UFGABENSTELLUNG
Unter Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklungstendenzen in der
Automobilwirtschaft werden in dieser Arbeit die Auswirkungen der
Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) 1400/2002 auf den Kfz-Vertrieb untersucht.
Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz steht die Automobilindustrie seit jeher im
Fokus der Europäischen Wettbewerbsaufsicht. Der Vermutungstatbestand eines
eingeschränkten Wettbewerbs ist aufgrund der geringen Zahl der marktteilnehmenden
8
Vgl. auch Abbildung 1: Vertriebsnetzübersicht Deutschland 2000/2001, S. 62.
9
Vgl. HWB: GMAP European Car Distribution Handbook 2002, (2002), S. 4.
10
Die eine Risikodifferenzierung bei der Vergabe von Krediten regelt, und damit generell höhere
Eigenkapitalquoten basierend auf Ratings fordert. Vgl. z.B. http://www.bankenverband.de/.
11
Vgl. Sachs, H-U.: Zukunftsprofile für Vertrieb und Service im Automobilgewerbe, (2002), S. 1.

-3-
Konzerne und der offensichtlichen Preisunterschiede
12
vergleichbarer Produkte in
unterschiedlichen Ländern gegeben. Dennoch soll sich diese Arbeit nicht
schwerpunktmäßig mit den wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen befassen, sondern
eine vertriebsorientierte Beleuchtung der modifizierten GVO und ihrer Folgen für die
Marktteilnehmer darstellen.
Die erfolgreiche Umstrukturierung des Distributionssystems für Neufahrzeuge im Sinne
der GVO hat für die Wettbewerbsposition der Hersteller eine herausragende Bedeutung.
Wegen des überproportionalen Anteils deutscher Autohersteller am EU-Binnenmarkt
sind die Auswirkungen der GVO, die sich exklusiv auf den Rechtsraum der EU bezieht,
für diese besonders wichtig, insbesondere im Hinblick auf den globalen Wettbewerb.
Aufgrund der volkswirtschaftlichen Relevanz sowohl der Hersteller als auch der hohen
Anzahl mittelständischer Händler in Deutschland sollen in dieser Arbeit beide
Machtpole berücksichtigt werden, wobei die Situation der Händler wegen des direkten
Einflusses der GVO auf ihre Kerngeschäftstätigkeit im Vordergrund steht.
1.3 E
RKENNTNISZIEL
In Anbetracht der jüngsten Veränderungen in den Vertriebssystemen der
Automobilhersteller in Deutschland, des starken Intra-Brand-Wettbewerbs zwischen
den Kfz-Händlern und der veränderten EU-Gesetzgebung in Form der neuen
Gruppenfreistellungsverordnung (GVO 1400/2002) werfen sich eine Vielzahl von
Fragen und Unklarheiten auf, zur Lösung derer diese Arbeit einen Beitrag leisten soll.
Zentrales Ziel der folgenden Untersuchung wird die Beleuchtung der Frage sein, wie die
Vertriebssysteme in Zukunft aussehen können und welche hersteller- und
handelsseitigen Gestaltungs- und Handlungsoptionen es gibt.
Als Grundlage der Erreichung dieses Ziels steht zunächst die Klärung der Frage, wie die
Markteilnehmer, Kfz-Händler und Kfz-Hersteller, mit den neuen Herausforderungen
umzugehen gedenken bzw. wie sie schon reagiert haben. Die Analyse der Beziehung
zwischen Hersteller und Händler vor einem kontrakttheoretischen Hintergrund erscheint
aufgrund der Interdependenzen unumgänglich, um zukünftige Handlungsoptionen
prognostizieren zu können. Eng verbunden mit der Problemstellung, wie Kfz zukünftig
in Deutschland vertrieben werden, steht die Frage nach dem Schicksal der
gegenwärtigen Vertragshändler. Diese soll im Argumentationsfluss geklärt werden,
12
Vgl. Europäische Kommission: IP/02/1109: PKW-Preise in der Europäischen Union: Noch immer
erhebliche Unterschiede, besonders im Massensegment, (2002).

-4-
wobei in Kapitel 5.1 Handlungsempfehlungen für die Händler abgeleitet werden
können.
Wesentliches Ziel eines jeden Vertriebssystems ist es, ein Produkt effizient zu
vertreiben und den Kunden, den dritten Marktteilnehmer, zu befriedigen, denn er
entscheidet letztlich über den Erfolg eines Vertriebssystems. Von daher wird ein
besonderes Augenmerk auf die Anforderungen an das Produkt Automobil und seine
ideale Distribution gelegt.
1.4 G
ANG DER
U
NTERSUCHUNG
Der geografische Rahmen dieser Arbeit wird sich auf das Kfz-Distributionssystem in
der Bundesrepublik Deutschland beschränken, dabei werden allerdings europaweit
relevante Sachverhalte, die mittelbar oder unmittelbar einen Einfluss auf den deutschen
Markt haben, miteinbezogen. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der EU-weiten rechtlichen
Verbindlichkeit der neuen GVO zu erwarten. Bezugsrahmen werden ferner der Vertrieb
und der Handel ausschließlich mit fabrikneuen Personenwagen sein, eine partiell
analoge Entwicklung im Vertrieb von Lastkraftwagen und Nutzfahrzeugen wird
angenommen, aber nicht besonders berücksichtigt.
Um das grundlegende Ziel der Arbeit, eine Prognose zur Frage, welche Vertriebsformen
es in Zukunft für Automobile in Deutschland geben kann, zu erreichen, wird gemäß
dem folgenden Analyseprozess vorgegangen: Nach einer Kurzdefinition von ­ für die
Erklärung ­ notwendigen Grundbegriffen aus der Automobilindustrie werden die
generell zur Verfügung stehenden Vertriebsoptionen für das Produkt Automobil
rechtlich und definitorisch dargestellt. Dies ist zur späteren Verifizierung eines
bestimmten Absatzweges notwendig. Um die Auswirkungen der neuen
Gruppenfreistellungsverordnung einschätzen zu können, ist es zuvorderst notwendig,
die Neuregelungen im Detail anzuführen und zu erklären. Es wird zur Verdeutlichung
eine historische Herleitung der neuen GVO geben, verbunden mit einer kurzen
wettbewerbsrechtlichen Einordnung des Themas anhand des Artikel 81 des EG-
Vertrages. Schwerpunkt werden allerdings die spezifischen praxisrelevanten
Regularien der neuen GVO sein. Dabei wird schon im gleichen Kapitel auf die
unmittelbaren Folgen und mögliche Konsequenzen der individuellen Neuregelungen
eingegangen. Fokus der Untersuchung stellt eindeutig der Neufahrzeugvertrieb dar,
wobei vor dem Hintergrund der ökonomischen Bedeutung von Service und Ersatzteilen
für Hersteller und Händler eine Nennung und Analyse der diesbezüglichen Regelungen

-5-
unerlässlich sein wird, um dem Anspruch einer holistischen Prüfung der neuen GVO zu
genügen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bezieht sich bewusst auf die
relevanten theoretischen Handlungsoptionen aus der neuen GVO und deren mögliche
Umsetzung in der Praxis; eine vollständige rechtliche Analyse aller Sachverhalte der
GVO 1400/2002 ist nicht Ziel der vorliegenden Arbeit.
Die theoriegeleitete Analyse des Hersteller-Handel-Verhältnisses unter
Berücksichtigung der Theorien der Neuen Institutionenökonomik stellt die Grundlage
dar, um die Veränderungen dieser Beziehung, bewirkt durch die Neuregelung der GVO,
herauszustellen. Die Erkenntnisse der kontrakttheoretischen Untersuchung und der
resultierenden vertraglichen Gestaltungsoptionen werden auch dazu benutzt,
Abhängigkeiten zwischen den Vertragspartnern herauszufinden, die notwendig sind, um
schließlich im 5. Kapitel Aussagen zu zukünftigen Vertriebsmöglichkeiten treffen zu
können. Dabei werden Kundenzufriedenheit und ­ implizit enthalten ­
Preisentwicklungen im Neuwagensektor als Determinanten für den Autoabsatz
vorangestellt. Handlungsoptionen für Händler werden im selbigen Kapitel gesondert
behandelt mit der Vorgabe, Handlungsempfehlungen auf Basis der jeweiligen
strategischen Situation geben zu können. Effektiv wird die Evaluierung zukünftiger
Absatzwege anhand des Analysedreiecks Herstelleranforderungen
­
Handelsanforderungen ­ Kundenanforderungen vollzogen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden vier praxisnahe Interviews durchgeführt, drei von
diesen mit bedeutenden Händlervertretern und eines mit einem großherstellernahen
Vertreter.
13
Ziel der Interviews war es, die eher theoretisch abstrakte Analyse des
Automobil-Distributionssystems durch Praxisnähe zu ergänzen, um schließlich eine
realitätsnahe Prognose über zukünftige Entwicklungen der Kfz-Absatzwege in
Deutschland treffen zu können. Zusätzlich wurde versucht, die Hypothesen und
Ergebnisse empirisch zu validieren. Methodisch waren alle Interviews, die in Form
eines persönlichen dialogischen Gesprächs vor Ort am Firmensitz der Interviewpartner
durchgeführt wurden, ähnlich aufgebaut. Sie basierten auf einem selbsterstellten
Fragebogen mit ca. 35 themenspezifischen Fragen,
14
die teilweise direkt abgefragt und
beantwortet wurden. Darüber hinaus entwickelten sich im Gespräch zusätzliche
Fragenkomplexe, die ­ sofern relevant ­ in die Darstellung eingearbeitet wurden.
13
Herr Reimers (Geschäftsführer Autohof Reimers, Rellingen), Frau Kohl (Alleingesellschafterin Kohl
automobile GmbH, Aachen), Herr Weddigen von Knapp (Geschäftsführer, Gottfried Schultz GmbH
& Co., Ratingen), Herr Prof. Seeba (FH Braunschweig/Wolfenbüttel, Wolfsburg).
14
Sample des Interview Fragebogens im Anhang, S. 85.

-6-
Aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Interviews wurden nicht alle Fragen von jedem
Teilnehmer beantwortet. Daher lassen sich bei den dieser Arbeit angehängten
Interviewprotokollen nur behandelte Fragen wiederfinden.
2. B
EGRIFFLICHE
G
RUNDLAGEN
2.1 B
EGRIFFSDEFINITIONEN AUS DER
A
UTOMOBILWIRTSCHAFT
In diesem Kapital werden die für den nachfolgenden Teil der Arbeit relevanten
Sachverhalte und Grundbegriffe aus der Automobilwirtschaft kurz erläutert.
Der Begriff ,,Automobilwirtschaft" beinhaltet die Gesamtheit aller an Produktion,
Distribution, Aufrechterhaltung der Nutzungsfähigkeit und Verwertung von
Automobilen beteiligten Wirtschaftssubjekte.
15
Innerhalb der Automobilwirtschaft
abgegrenzt wird die Automobilindustrie, die im weiteren Sinne Hersteller von
Kraftwagen, deren Motoren, Anhängern, Aufbauten sowie Kraftfahrzeugteilen und -
zubehör umfasst, im engeren Sinne jedoch nur die Hersteller von Personen- und
Kombinationskraftwagen sowie Nutzfahrzeugen bezeichnet.
16
Der primäre
Geschäftszweck und die Kernkompetenz von Automobilherstellern liegt in der
Produktion und der Vermarktung von PKW und LKW.
17
In dieser Arbeit wird
grundsätzlich die engere Definition angewandt, wobei der Begriff auch in der Kurzform
,,Hersteller" vorkommt.
18
Unter dem Begriff ,,Automobilhandel" wird funktional nur die Tätigkeit des Handelns
mit Automobilen verstanden. Unter institutionalen Gesichtspunkten werden unter dem
Begriff des Automobilhändlers Wirtschaftsobjekte subsumiert, die sich gewerblich mit
dem An- und Verkauf von Automobilen beschäftigen.
19
Dabei wird zwischen
professionellen Händlern und privaten (Gebrauchtwagen-) Händlern differenziert. Im
Verlaufe diese Arbeit wird aufgrund der Konzentration auf den Neuwagenvertrieb die
Bezeichnung ,,Händler" als Synonym für lizenzierter Verkäufer von fabrikneuen
Kraftfahrzeugen verstanden.
Automobilzulieferer sind definitionsgemäß alle Unternehmen, die einem
Automobilproduzenten Vorprodukte, Rohmaterialien oder Dienstleistungen liefern, die
15
Vgl. o.V.: Grundbegriffe auf einen Blick, (o.J.), S. 1.
16
Vgl. Unger, M.: Die Automobil-Kaufentscheidung ­ Ein theoretischer Erklärungsansatz und seine
empirische Überprüfung, (2002), S. 7 f.
17
Vgl. o.V.: Grundbegriffe auf einen Blick, (o.J.), S. 1.
18
Ausländische Hersteller sind in Deutschland durch Importeure vertreten.
19
Vgl. o.V.: Grundbegriffe auf einen Blick, (o.J.), S. 1.

-7-
in das Endprodukt einfließen oder für dessen Herstellung benötigt werden.
20
Sie sind
somit in der Wertschöpfungskette oberhalb des Herstellers angesiedelt und werden
aufgrund des
vom Hersteller intendierten Auslagerungsprozesses von
Fahrzeugkomponenten zunehmend wichtiger.
2.2 D
ISTRIBUTIONSSYSTEME IN DER
A
UTOMOBILINDUSTRIE
Unter der Distribution eines Produktes ist die Gestaltung und Steuerung der
Überführung desselben vom Produzenten zum Käufer zu verstehen. Zu entscheiden ist
zwischen der Wahl des Absatzweges (Absatzkanals), der in den Ausprägungen direkt
und indirekt vorliegt, und der Wahl des Absatzorgans, separiert in unternehmensfremde
und unternehmenseigene Organe.
21
Im Folgenden wird zunächst der direkte vom
indirekten Vertrieb definitorisch abgegrenzt; danach werden die für die
Automobilindustrie relevanten Auswahlkriterien zur Einschränkung des
Vertriebsnetzwerkes
22
genannt und spezifiziert.
2.2.1 V
ERTRIEBSSYSTEME
Die Wahl des Vertriebsweges stellt eine der schwierigsten Entscheidungen der
strategischen Unternehmenspolitik dar. Es werden nun die gängigen Vertriebsoptionen,
insbesondere mit einem Fokus auf die Automobilindustrie, spezifiziert und rechtlich
eingeordnet:
23
2.2.1.1 D
IREKTVERTRIEB
In der Marketingliteratur wird der Direktvertrieb als direkter Eigentumsübergang der
Versorgungsobjekte vom ersten Anbieter zum letzten Nachfrager ohne Einschaltung
eines rechtlich und organisatorisch selbständigen Zwischennachfragers oder -anbieters
definiert.
24
Diese Vertriebsform wird auch als ,,geschlossener Markt" bezeichnet.
25
In
der vorliegenden Arbeit, die den Automobilvertrieb in den Mittelpunkt der Analyse
stellt, wird der Begriff Direktvertrieb in den beiden folgenden Formen benutzt:
26
20
Vgl. o.V.: Grundbegriffe auf einen Blick, (o.J.), S. 2.
21
Vgl. Achleitner, A.-K.; Thommen, J.-P.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, (1998), S. 209 f.
22
Intensive Marktbearbeitung.
23
Eine Komplettübersicht über Betriebstypen im Autohandel findet sich im unter Abbildung 2:
Übersicht Betriebstypen in der Automobilbranche, S. 63.
24
Vgl. z.B. Eichmann, K.: Industrielles Marketing, (1993), S. 32.
25
Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren, a.a.O., (2002), S. 14.
26
Versandhandel (vgl. Tietz, B.: Der Direktvertrieb an Konsumenten, (1993), S. 15 f.) und Internet
Vertrieb wird im Rahmen dieser Arbeit nicht als eigenständige Vertriebsform behandelt, und fällt
unter den Niederlassungsvertrieb bzw. den Vertrieb über Absatzhelfer.

-8-
Vertrieb über Niederlassungen
Im Direktvertrieb über eigene Niederlassungen besitzt der Hersteller die
Verkaufsfilialen und hat somit kapitalintensive langfristige Investitionen zu tätigen, um
eine markterforderlich hohe Dichte der Vertriebsstätten zu erreichen. Vorteilhaft im
direkten Vertriebssystem über eigene Filialen ist die Möglichkeit, Absatz-, Werbe-,
Kundendienst- und Preispolitik selbständig festlegen zu können,
27
ohne dass
wettbewerbsrechtliche Normen wie z.B. vertikale Beschränkungen greifen.
28
Vertrieb über Absatzhelfer
Absatzhelfer sind von Absatzmittlern (s.u.) dadurch abzugrenzen, dass sie zwar
rechtlich selbständig sind, Geschäfte aber auf Rechnung des Auftraggebers abschließen,
also kein Treuhandeigentum erwerben. Sie agieren unter regelmäßigem
wirtschaftlichen Einfluss des Herstellers, der vielfach auch eine Kapitalbeteiligung hält.
Betriebswirtschaftlich werden Absatzhelfer mit dem Direktvertrieb gleichgestellt, da sie
auf derselben Wirtschaftsstufe wie der Hersteller stehen.
29
Als Beispiele für
Absatzhelfer zu nennen sind: Reisende,
30
Kommissionäre
31
oder selbständige
Handelsvertreter
32
.
2.2.1.2 I
NDIREKTER
V
ERTRIEB
In der Absatzform des indirekten Vertriebs werden Absatzmittler eingesetzt, die die
Produkte im Rahmen einer Marktkette vertreiben, definiert als rechtlich und
organisatorisch selbständige Einzelwirtschaften, die das Eigentum am Produkt erwerben
und dann verkaufen.
33
Der Handel befindet sich in der Position zwischen Hersteller und
Verbraucher und hat die originäre Aufgabe, räumliche, zeitliche, quantitative und
qualitative Spannungen zu überbrücken. Die dabei wahrgenommenen Funktionen
beziehen sich auf die Transport- und Beschaffungs-, die Kredit-, die Verteilungs- und
27
Vgl. Sommer, B.: Vertragsgestaltung bei Vertriebssystemen im internationalen Vergleich, (2000), S.
2.
28
Vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler im Anwendungsbereich des Art 81 I EGV, (2002) S. 28.
29
Vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 28 f.
30
Vgl. HGB §§ 59-83. (Handlungsgehilfe).
31
Vgl. HGB §§ 383-406.
32
Vgl. HGB §§ 84-92.
33
Vgl. Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren, a.a.O., (2002), S. 15.

-9-
die Sortimentsfunktion.
34
Im Automobilvertrieb sind allerdings Einschränkungen
vorzunehmen bezüglich der Sortimentsfunktion, da der Handel generell gezwungen ist,
die gesamte Modellpalette eines Herstellers zu führen.
35
Dabei war es ihm gemäß alter
GVO untersagt, Fremd-Marken in seinem Autohaus zu präsentieren und zu vertreiben.
Im Gegensatz zu den o.g. Absatzhelfern handelt es sich bei den Teilnehmern eines
indirekten Vertriebssystems um Absatzmittler, die ­ als konstituierendes Merkmal ­ in
eigenem Namen und auf eigene Rechnung handeln. In der Automobilbranche nehmen
vornehmlich Vertragshändler
36
diese Handelsfunktionen wahr. Der Vertragshändler
erfüllt im Unterschied zum Handelsvertreter die klassischen Umschlagsaufgaben
(Lagerhaltung, Transport, Absatzfinanzierung), ordnet sich aber der Vertriebs- und
Absatzpolitik des Herstellers unter. Er übernimmt verstärkt das Unternehmens- und
Kapitalrisiko, obwohl sein Erfolg maßgeblich vom Marketingführer (Hersteller)
abhängt. Weil die Rechtsform des Vertragshändlers laut HGB nicht exakt definiert ist,
werden die Regeln des HGB für den Handelsvertreter analog für den Vertragshändler
benutzt, um Rechtssicherheit gewährleisten zu können.
37
Ein vertragliches
Vertriebssystem ist durch ein Bündel von Vertriebsvereinbarungen und Verträgen
zwischen dem Hersteller/Importeur und dem Absatzmittler gekennzeichnet, welches
vertikale Beschränkungen konstituiert.
38
Auf die kartellrechtliche Relevanz dieser
Klauseln wird später (in Kapitel 3) eingegangen.
Im Falle, dass der Hersteller statt der extensiven Marktbearbeitung (Universalvertrieb)
eine intensive vorzieht, so wird er anhand der im Folgenden behandelten Punkte eine
Selektion der Absatzmittler durchführen müssen. Die Auswahl von Händlern ist dann
ein wichtiges Kriterium, wenn die Qualität des Vertriebskanals von größerer Bedeutung
ist als ein hoher Distributionsgrad.
39
,,One of the most important functions of selective
34
Vgl. Mattmüller, R.: Handels -Marketing, (1993), S. 79 f.
35
Vgl. Kapitel 3.3.3
36
,,Vertragshändler ist ein Kaufmann, dessen Unternehmen in die Vertriebsorganisation eines
Herstellers von Markenwaren in der Weise eingegliedert ist, dass er es durch den Vertrag mit dem
Hersteller oder einem von diesem eingesetzten Zwischenhändler ständig übernimmt, in eigenem
Namen und auf eigene Rechnung die Vertragswaren zu vertreiben und ihren Absatz zu fördern, die
Funktionen und Risiken seiner Handelstätigkeit hieran auszurichten und im Geschäftsverkehr das
Herstellerzeichen neben der eigenen Firma herauszustellen." In: Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren,
a.a.O., (2002), S. 65, zitiert nach Ulmer, Peter: Der Vertragshändler ­ Tatsachen und Rechtsfragen
kaufmännischer Geschäftsbesorgung beim Absatz von Markenwaren, München, (1969), S.206.
37
Vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler a.a.O., (2002), S. 43-45.
38
Vgl. Schiele, R.: Kraftfahrzeugvertrieb ­ Die kartellrechtliche Zulässigkeit und der wettbewerbliche
Schutz der Vertragshändlersysteme der Kraftfahrzeugindustrie, (1993), S. 3 f.
39
Vgl. Posselt, T.: Die institutionenökonomische Perspektive zur Erklärung von Absatzwegen, (1997),
S. 10.

-10-
distribution systems consists of construction and extension of achievements of brand
enterprises and with these brand achievements corresponding quality protection."
40
2.2.1.3 E
XKLUSIVVERTRIEB
Der exklusive ausschließliche Vertrieb wird durch Absatz und Vertriebsbindungen
innerhalb der Verträge erreicht. Demnach liefert der Hersteller in einem räumlich
abgegrenzten, überschneidungsfreien Marktgebiet nur an einen oder wenige
Exklusivhändler, die wiederum aktiv nur an Kunden in diesem Vertragsgebiet
verkaufen dürfen.
41
Dabei ist neben der geografischen Abgrenzung nach Marktgebiet
auch die Abgrenzung nach Kundengruppen möglich.
42
Fundamentales Ziel des
Alleinvertriebssystems ist es, die Exklusivität der Marke zu erhalten und eine relativ
übersichtliche Vertriebsstruktur zu zementieren. Eine Senkung der Transaktionskosten,
insbesondere der Koordinationskosten, sind in der Regel die Folge.
2.2.1.4 S
ELEKTIVVERTRIEB
Im Rahmen selektiver Vertriebssysteme hat der Hersteller die Möglichkeit, qualitativ
und quantitativ zu selektieren.
43
Eine quantitative Selektion begrenzt die Anzahl der
Verkaufsstellen bzw. Vertriebspartner in einem Marktgebiet und kann vom Hersteller
beliebig ex ante festgelegt werden, sofern er gewisse Marktanteilsschwellen nicht
überschreitet. Die qualitative Selektion kann nach subjektiven und objektiven Kriterien
durchgeführt werden. Aufgrund des Diskriminierungsverbotes müssen ­ rechtlich
gesehen ­ die vom Hersteller geforderten Mindestanforderungen objektiv nachprüfbar
sein, damit eine unfaire Einschränkung des Wettbewerbs ausgeschlossen wird.
44
Eine
solche sachlich-objektive qualitative Selektion kann sich anhand von Anforderungen an
Räumlichkeiten, Werkstattausstattung, Strukturmerkmalen und qualifizierten
Dienstleistungen (Beratung, Service) konkretisieren.
45
40
Dudenhöffer, F.: On The Importance, a.a.O., (2000), S. 8, vgl. auch Werner, H.-W.: Der Kfz-
Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 32-35.
41
Vgl. Zielke S. et al.: Neue Betriebsformen im Autohandel, (2002), S. 129.
42
Vgl. Lademann, R.P.: Zur Zukunft des Automobilvertriebs ­ Neuwagenverkauf in Europa im Lichte
der neuen Kfz-GVO, (2002), S. 6.
43
Eine detaillierte Diskussion der Problemstellung findet sich in Kapitel 3, auch unter
Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Regelungen.
44
Vgl. Schultze et al.: Die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen, (2001), S.
54 f.
45
Vgl. z.B. Heß A.; Meinig W.: Absatzkanalsysteme der Automobilwirtschaft ­ Eine deskriptive
Analyse, (1996), S. 290.

-11-
Überwiegend liegt ein selektives Vertriebssystem in der Ausprägung beider, nämlich
qualitativer und quantitativer Kriterien zugleich, vor. Es ist offensichtlich, dass durch
die Wahl eines selektiven oder exklusiven Distributionssystems eine
Marktzutrittsbarriere geschaffen wird. Nach Schiele
46
erfüllt die selektive
Vertriebsform eine Reihe von Funktionen, wie z.B. die Steuerungsfunktion, die
Kooperationsfunktion, die absatzfördernde Funktion, Prestige- und Imagewirkung,
Qualitätssicherungs-, Preisstabilisierungs-, Vertriebskostensenkungsfunktion u.a..
2.2.2 S
TRUKTUR UND
R
ELEVANZ DER
V
ERTRIEBSKOSTEN EINES
A
UTOMOBILS
Vertriebs- bzw. Distributionskosten sind beim Produkt Automobil von signifikanter
Bedeutung und haben die Ausprägung der im Markt vertretenen Vertriebsformen
bestimmt. Die Zahlen einer Andersen-Studie für die Europäische Kommission
bestätigen, dass in der EU ca. 32% des effektiven Kaufpreises auf Distributionskosten
fallen.
47
Insofern ist bei der Optimierung der Vertriebsstruktur ein hohes
Kostensenkungspotenzial enthalten. Von der Gesamtmenge der Distributionskosten
fallen etwas weniger als die Hälfte für herstellerseitige Marketing- und
Produktpositionierungsmaßnahmen an, ein größerer Teil aber betrifft die händler- und
kundenspezifischen Kosten. So beträgt der prozentuale Kostenanteil der Händlermarge
zuzüglich Rabatten und Boni im Schnitt etwa 11%. Rabatte und Preissenkungen, die im
Rahmen von Verkaufsaktionen, Tageszulassungen und generellen Preisnachlässen an
den Kunden weitergegeben werden, betragen laut o.a. Studie rund 8%, variieren aber in
Abhängigkeit des Marktumfeldes.
48
Das größte Kostensenkungspotenzial sehen die Hersteller bei den Margen der
Händlerorganisationen, die sie durch Optimierung der Wertschöpfungskette nach unten
und den verstärkten Einsatz von E-Business zur Effizienzsteigerung der Prozessabläufe
erreichen wollen (...).
49
46
Vgl. Schiele, R.: Kraftfahrzeugvertrieb, a.a.O., (1993), S. 12-23.
47
Vgl. Abbildung 3: Kostenstruktur eines durchschnittlichen Autos in der EU S. 64; Dietz geht in
seinem Beitrag ,,Preissenkungen bei Neuwagen ­ Fakt oder Illusion? (2002)" von einem niedrigeren
Wert von ca. 20%+ aus, auch teilt er die Kosten anders auf, die Aussage jedoch, dass die
Händlermarge die relevante Größe ist, bleibt gleich.
48
Zahlen sind extrahiert aus o.g. Andersen Studie und Degryse, H.; Verboven, F.: Car Price
Differentials in the European Union: An Economic Analysis, (2000), S. 110-114.
49
Vgl. Voggenreither,D.; Oswald S.: Die selektive Evolution im Automobilvertrieb, (2001), S. 2 und
Abbildung 4: Prognose der Kfz-Vertriebskostensplittung, S. 65.

-12-
2.2.3 D
IE DOMINANTEN
V
ERTRIEBSSYSTEME VON
A
UTOMOBILEN IN
D
EUTSCHLAND
Unter der Prämisse, Distributionssysteme optimal auszugestalten, haben sich in
Deutschland vier Absatzkanal-Systeme des Automobilvertriebes herausgebildet, die
überwiegend in vergleichbarer Form in der EU vorliegen:
1. Der Direktvertrieb über reine Niederlassungssysteme,
2. der indirekte Vertrieb über reine einstufige Händlersysteme,
3. der indirekte Vertrieb über reine zweistufige Händlersysteme und der
4. der duale (direkter & indirekter) Vertrieb über gemischte Systeme.
50
Während reine einstufige Händlersysteme die klassischen Vertragshändler oder
Handelsvertreter darstellen und in der Vertriebslandschaft zunehmend an Dominanz
gewinnen, existieren nach wie vor zweistufige Systeme, die sich vorwiegend durch die
,,nachfragebedingte Notwendigkeit zu Sicherstellung eines marktabdeckenden
Kundendienstnetzes"
51
erklären lassen. Im zweistufigen System lassen sich parallel zu
den Vertragshändlern Unterorganisationen abgrenzen, die zwar selbständig im Bezug
auf Werkstattleistungen und Teileverkauf agieren, Neufahrzeuge jedoch als
Absatzhelfer auf Rechnung des Herstellers vertreiben.
52
Die Zukunftsfähigkeit solcher
zweistufiger Systeme und ihre organisatorische und wirtschaftliche Integration wird in
Kapitel 5 beurteilt. Gemischte Systeme werden von einigen Premium-Marken wie
BMW und Mercedes-Benz, aber auch Citroen praktiziert, wobei der dualen
Vertriebsorganisation generell Niederlassung und Vertragshändler parallel angehören.
Es sind aber auch mehrstufige gemischte Systeme mit Unterhändlern bzw.
Vertragswerkstätten zu finden.
Dem Vertragshändler kommt eine dominante Bedeutung in der deutschen
Vertriebslandschaft zu, da er in drei o.g. Vertriebsformen (2., 3., 4.) eine entscheidende
Rolle spielt.
53
Bei Betrachtung der optimalen Länge automobilwirtschaftlicher
Absatzkanäle lässt sich eine Überlegenheit indirekter verkürzter Vertriebswege in der
50
Vgl. Heß A.; Meinig, W.: Absatzkanalsysteme, a.a.O., (1996), S. 284 f.
51
Heß A.; Meinig, W.: Absatzkanalsysteme, a.a.O., (1996), S. 285.
52
Vgl. Anhang, Interview mit Frau Kohl, Frage 17, S. 110.
53
Vgl. Lademann, R.P.: Auswirkungen der GVO auf Wettbewerb und Marktstrukturen in der
Automobilwirtschaft, (2002), S. 55.

-13-
Ausprägung Automobilhersteller
à
Automobil(einzel)händler
à
Automobilbedarfsträger (Kunde) identifizieren.
54
3. D
IE
G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG
(GVO) 1400/02 -
EINE
E
INSCHÄTZUNG
3.1 A
RTIKEL
81
EG-V
ERTRAG UND
H
ISTORIE DER
F
REISTELLUNGEN
Bei der Beurteilung von vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen ist das
Gemeinschaftsrecht, also das Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft,
nationalen Rechtsrichtlinien übergeordnet und erfährt somit eine unmittelbare
Anwendung.
55
Es gilt der Grundsatz des Anwendungsvorrangs
56
des
Gemeinschaftsrechts. Insofern gilt das EU-Recht als Primärrecht und das nationale
Recht als Sekundärrecht.
57
Deshalb ist als relevante Rechtsgrundlage der Artikel 81
EGV (vormals Art. 85 EWGV) anzuwenden. Nach Art. 81 (1) EGV sind Kartelle, also
Vereinbarungen, Verträge oder abgestimmte Verhaltensweisen, die ,,zur Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs (...)" durch Preisbindungen,
diskriminierende Lieferkonditionen, Vertriebsbeschränkungen und
Abnahmeverpflichtungen entstehen, verboten und somit rechtlich nichtig.
58
Es ist allerdings eine Ausnahmetatbestandsregelung in Art. 81 (3) EGV vorgesehen, die
eine Freistellung vom Verbot für Verträge oder Vereinbarungen ermöglicht, falls
folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Der Nutzen, der durch die Vereinbarung
erreicht wird (z.B. Effizienzsteigerung), muss im Verhältnis zu den
wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen der Vereinbarung überwiegen. Dieser
zusätzliche Nutzen muss zudem in angemessenem Umfang dem Verbraucher zugute
kommen
59
, z.B. durch Preissenkungen, verbesserte Qualität o.ä.
60
Eine Freistellung
muss von den betroffenen Unternehmen, die eine vertikale kooperative Vereinbarung
mit wettbewerbsbeschränkendem Charakter eingehen, beantragt werden. Da die
Einzelfreistellungsanträge ­ für die im Automobilsektor ursprünglich die BMW
54
Vgl. Heß A.; Meinig, W.: Absatzkanalsysteme, a.a.O., (1996), S. 289.
55
Vgl. Schiele, R.: Kraftfahrzeugvertrieb, a.a.O., (1993), S. 62.
56
Zur Abgrenzung dient die Zwischenstaatlichkeitsklausel vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler,
a.a.O., (2002), S. 72 f.
57
Zur näheren Erläuterung der juristischen Problematik vgl. z.B. Schultze, J.-M. et al.: Die
Gruppenfreistellungsverordnung, a.a.O., (2001), S. 22-26.
58
Vgl. Wortlaut Art. 81 EGV im Anhang (1), S. 83.
59
Verbraucherschutzprinzip.
60
Vgl. Europäische Kommission: Leitfaden zur VO 1400/02, (2002), S. 7 f.

-14-
Einzelfreistellung im Jahre 1975 den Charakter eines Präzendensfalles hatte
61
­ von
vielen Herstellern eingereicht wurden und die europäische Wettbewerbsbehörde in der
Einzelbeurteilung überlasteten, wurde als Lösung das Konstrukt der sog.
Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) entwickelt. Letztere fasst bestimmte
Gruppenbildungen von Wettbewerbsbeschränkungen abstrakt zusammen und stellt
diese vom Art. 81 (1) EGV frei, ohne jedoch die Möglichkeit, (nach wie vor)
individuelle Einzelfreistellungen für unternehmensspezifische Vertriebssysteme zu
beantragen, einschränken zu wollen.
62
Nach mehreren Spezial-GVOen, die in Teilen auch das Automobilgewerbe betrafen
63
,
wurde schließlich im Jahre 1985 die GVO 123/85 für Vertriebs- und
Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge als erste branchenspezifische
Gruppenfreistellung für ein quantitativ und qualitativ selektierendes Vertriebssystem
eingeführt.
64
Die Notwendigkeit einer auf die Automobilbranche zugeschnittenen GVO
war demzufolge aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Automobilsektors (s.o.),
seiner produktspezifischen Besonderheiten (Hochwertigkeit, technische Komplexität,
Langlebigkeit, Wartungsbedürftigkeit) und der weitestgehend herstellerübergreifend
gleichartigen Vertriebssysteme erwachsen.
3.2 D
IE
,,
ALTE
" G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG FÜR DEN
K
RAFTFAHRZEUGVERTRIEB
(1475/95)
Die GVO 123/85 für den Automobilsektor stellte die direkte Vorläuferin und damit
Grundlage der GVO 1475/95 dar, die am 18. Juni 1995 verabschiedet worden und bis
zum 30. September 2002 gültig war. Im Wesentlichen handelt es sich bei der GVO
1475/95 lediglich um eine Überarbeitung der GVO 123/85.
Die GVO 1475/95 galt für Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über
Kraftfahrzeuge und ermöglichte es Herstellern und Importeuren
Vertragshändlersysteme, die Automarken exklusiv vertreiben, aufzubauen. Nach der
alten GVO durften die Vertriebsvarianten Exklusiv- oder Alleinvertrieb und
Selektivvertrieb kombiniert von den Herstellern angewandt werden. Die Verpflichtung
61
Das damalige BMW Vertriebssystem verstieß nach Meinung der Europäischen Kommission gegen
Artikel 81 (1) des EGV (bzw. damals Art. 85 (1) EWGV) vgl. Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren,
a.a.O., (2002), S. 65.
62
Vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 94 f.
63
Z.B. GVO 1983/83 für Alleinvertriebsvereinbarungen, oder GVO 1984/83 für
Alleinbezugsvereinbarungen.
64
Vgl. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 94 f. i. Verb. mit Geiseler, B.:
Bestimmungsfaktoren, a.a.O., (2002), S. 66 f.

-15-
auf Seiten der Vertragshändler bestand darin, Kundendienstleistungen anzubieten,
bestimmte Standards einzuhalten und keine Verkaufsstellen außerhalb des ihnen vom
Hersteller zugewiesenen Verkaufsgebiet zu eröffnen, sowie keine konkurrierenden
Automobilmarken im gemeinsamen Verkaufslokal zu präsentieren und zu vertreiben.
Vom Hersteller wurde ihnen dafür garantiert, exklusiv in diesem Vertragsgebiet mit
Neufahrzeugen und Ersatzteilen beliefert zu werden.
65
Dieser ,,Highway Code" wurde
von meisten Herstellern beim Design ihres Vertriebsnetzwerkes berücksichtigt.
Obwohl rechtlich nicht verpflichtend, wurde die alte GVO von den Herstellern als quasi
verpflichtendes Rahmenwerk für den Neuwagenvertrieb anerkannt.
66
Unter den Basisannahmen, dass in der Automobilindustrie ein wirksamer Wettbewerb
vorliegt, die Bündelung von Neufahrzeugvertrieb und Kundendienst geboten und die
Notwendigkeit von Markenspezialisten zur Reparatur von Automobilen gegeben sind,
67
hatte die Kommission folgende grundlegende Ziele in der alten GVO 1475/95
vorgegeben:
68
1. Sicherstellung, dass Neufahrzeugvertrieb und Kundendienst effizient und zum
Nutzen des Verbrauchers durchgeführt werden und dass ein effektiver
Wettbewerb zwischen den einzelnen Vertriebssystemen (Inter-Brand) und auch
innerhalb der Vertriebssysteme (Intra-Brand) herrscht.
2. Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher in Übereinstimmung
mit dem Konzept des internen EU-Binnenmarktes. Förderung eines
Verkaufsumfeldes, das die Möglichkeiten für Inter- und Intra-Brand-
Wettbewerb stärkt und parallele Importe ermöglicht.
3. Stärkung der Unabhängigkeit der Automobil (-vertrags) -händler und
Absatzmittler und Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Ermöglichung eines
Multi Marketing Ansatz (Mehrmarkenvertrieb) unter Auflagen. Gemeinsames
Nutzungsrecht der Werkstatt für alle vertriebenen Marken. Stärkung der
Wettbewerbsposition unabhängiger Reparaturdienstleister.
4. Schutz des Wettbewerbs im After-Sales Service Markt durch bessere
Direktlieferungen von Ersatzteilfabrikanten an Händler.
65
Vgl. Zielke, S. et al.: Neue Betriebsformen im Automobilhandel, (2002), S. 128.
66
Vgl. Monti, M.: Speech/00/177: ,,Who will be in the driver's seat?", (2000), S. 2.
67
Vgl. Geiseler, B.: Bestimmungsfaktoren, a.a.O., (2002), S. 160.
68
Vgl. Europäische Kommission: REPORT on the evaluation of Regulation (EC) No 1475/95 on the
application of Article 85(3) of the Treaty to certain categories of motor vehicle distribution and
servicing agreements, (2000), S. 20-22.

-16-
5. Mehr rechtliche Klarheit, welche Vereinbarungen und abgestimmte
Verhaltensweisen zulässig sind und welche nicht, durch Formulierung einer
,,Weißen Liste" mit Erlaubnissen und einer ,,Schwarzen Liste" (black clauses)
mit expliziten Verboten.
In ihrem Evaluierungsbericht im März 2002 musste die Kommission mitteilen, dass
keine der Annahmen richtig waren bzw. die Ziele nicht erreicht werden konnten.
69
Insbesondere das Ziel der Harmonisierung der Preise wurde ­ wie bereits gesagt ­
grundlegend verfehlt. Dies haben einerseits die Hersteller zu verantworten, andererseits
aber auch der Rechtsrahmen der alten GVO. Gerade an den zahlreichen
Bußgeldverfahren gegen einige Autohersteller wg. Einschränkung des Wettbewerbs
durch Preisdiskriminierung, Verbot des parallelen Handels etc.
70
lässt sich ablesen, dass
eine Reformierung der GVO für den Kraftfahrzeugsektor aus wettbewerbstheoretischen
Gründen dringend vonnöten war. Auch wird in der Literatur oft von einem sog.
,,Zwangsjackeneffekt" gesprochen, da die alte GVO durch explizites Vorschreiben der
freigestellten Vertriebsformen alternative innovative Vertriebskonzepte wie z.B.
Internet etc. behinderte.
71
Aufgrund der unbefriedigenden Bilanz der GVO 1475/95 und dem Auslaufen dieser
Verordnung hat die Kommission die neue GVO 1400/02 nach umfangreicher
Vorbereitung, einer Evaluierung anhand einer Reihe von Studien und langwieriger
Diskussionen mit Hersteller- und Händlerverbänden sowie Politikern und Lobbyisten
entwickelt.
72
3.3 D
IE
,,N
EUE
" G
RUPPENFREISTELLUNGSVERORDNUNG FÜR DEN
K
RAFTFAHRZEUGVERTRIEB
(1400/02)
Die neue Gruppenfreistellung soll in diesem Abschnitt als Erklärungsgrundlage für die
Absatzwegprognose und das Verhältnis von Hersteller und Handel hinreichend erläutert
werden. Alle relevanten Sachverhalte werden angeführt und kommentiert, wobei ein
klarer Schwerpunkt auf dem Vertrieb von Neufahrzeugen liegt.
69
Vgl. Europäische Kommission: Erläuterungen zum Entwurf der Kfz-GVO, (2002), S. 13.
70
Vgl. The Economist Intelligence Unit Ltd. 2002: Irresistible Force? - Carmakers are fighting a
losing battle against the Commission's proposals to liberalise car sales, (2002), S. 1.
71
Vgl. z.B. Europäische Kommission: Leitfaden zur Verordnung 1400/02, (2002), S. 11 f. oder auch
Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 267.
72
Vgl. z.B. Opitz, K.: ,,Gravierende Verbesserungen" ­ Interview mit Cecra-Präsident Prof. Dr. J.
Creutzig nach der Verabschiedung der neuen Kfz-GVO, (2002), S. 16 f.

-17-
3.3.1 D
IE
V
ERORDNUNG
- G
ELTUNGSBEREICH
Die VO (EG) Nr. 1400/2002 wurde am 31.Juli 2002 von der Europäischen Kommission
unterzeichnet und trat am 01.10.2002 als unmittelbar geltendes Recht in Kraft. Ihre
Laufzeit ist befristet bis zum 31.05.2010.
73
Der Geltungsbereich bezieht sich auf den
Europäischen Wirtschaftsraum, d.h. das Gebiet der Europäischen Union sowie die
Länder Norwegen, Island und Liechtenstein.
74
In Aufbau und Struktur differenziert sich
die neue GVO von der alten GVO 1475/95 und lehnt sich an der als ,,Schirm-GVO"
bekannt gewordenen Gruppenfreistellung GVO 2790/99 an, die für alle Arten von
vertikalen Vereinbarungen gilt.
75
Jedoch geht die Kommission davon aus, dass
,,aufgrund der Erfahrungen für diesen Wirtschaftszweig [Kraftfahrzeugsektor] eine
strengere Regelung als die VO 2790/1999 erforderlich ist."
76
Es wird zunehmend ein
Fokus auf die Innovationsfähigkeit von Vertriebsstrukturen gesetzt.
77
Die neue GVO 1400/02 bezieht sich im wesentlichen auf drei Bereiche, nämlich a.) die
Vertriebsvereinbarungen für Neufahrzeuge, b.) den Servicebereich (Instandsetzungs-
und Wartungsdienstleistungen) und c.) Vertrieb von Ersatzteilen. Eine Übersicht bzw.
Gegenüberstellung der Unterschiede der neuen i.Vgl. zur alten GVO findet sich in den
Abbildungen 5 und 6 (S. 66-67) und wird im Folgenden diskutiert und analysiert. Ein
konzeptioneller Unterschied zwischen der alten und der neuen GVO besteht in der
Tatsache, dass die neue GVO nur noch ,,schwarze Klauseln" beinhaltet, also
Sachverhalte spezifiziert, nach denen die Freistellung nicht anwendbar ist.
78
Unter Berücksichtigung der nun angeführten Maßnahmen ist es das Ziel der
Kommission, innovative Vertriebsformen zu fördern, den Wettbewerb auf den Märkten
für den Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge und für den Kundendienst zu stärken und
schließlich dem ureigenen Zweck einer Gruppenfreistellung, nämlich der
,,angemessenen Beteiligung der Verbraucher" an den Effizienzpotentialen,
79
genüge zu
tun.
73
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 12; die Standortklausel in Art. 5 (2) b) gilt nach Art. 12
(2) ab dem 01.10.2005.
74
Vgl. Europäische Kommission, Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für den Kfz-Sektor ­
Derzeitige und neue Regeln, (2002), S. 3.
75
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 Erwägungsgrund (3).
76
N.w. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Erwägungsgrund (2).
77
Vgl. z.B. Werner, H.-W.: Der Kfz-Absatzmittler, a.a.O., (2002), S. 267-271.
78
Vgl. Creutzig, J.: Was ist neu, was bleibt? Ein Vergleich zwischen Kfz-GVO 1475/95 und Kfz-GVO
1400/02, (2002), S. 31.
79
In Form von Senkung von Transaktions- und Distributionskosten u.a., Vgl. Verordnung (EG) Nr.
1400/02 Erwägungsgrund (5).

-18-
3.3.2 E
XKLUSIVER UND
S
ELEKTIVER
N
EUFAHRZEUG
-V
ERTRIEB
Die zentrale Reform der neuen GVO ist die Aufhebung der Verknüpfung von
exklusiven Verkaufsrechten in einem vertraglich vereinbarten Verkaufsgebiet
(Gebietsschutz) mit der selektiven Vertriebsoption. Die Hersteller haben nunmehr die
Möglichkeit, sich in jedem ,,relevanten Markt"
80
für eines der beiden Vertriebssysteme
­ exklusiv oder selektiv ­ zu entscheiden (=Dualismus). Ergänzend steht ihnen
jederzeit die Option eines Direktvertriebes offen, die allerdings in den
Vertragshändlerverträgen geregelt sein muss, da das Wettbewerbsrecht hier nicht
anwendbar ist. Die Problematik des nicht näher in der GVO spezifizierten ,,relevanten
Marktes" wird nach Ansicht Ensthalers so gelöst, dass der Binnenmarkt nach wie vor
nach geografischen Märkten abgegrenzt wird.
81
Diese Vermutung wird in einer
aktuellen Studie von Verboven empirisch fundiert.
82
Weiter sind für die Wahl der
einzelnen Vertriebssysteme Marktanteilsschwellen, die nach GVO 1400/02 Artikel 8 (1)
a. ,,bezüglich des Vertriebs von neuen Kraftfahrzeugen auf der Grundlage der
Absatzmengen der vom Lieferanten verkauften Vertragswaren (...)" berechnet werden,
begrenzend anzuwenden.
Gemäß Artikel 3 (1) der Verordnung gilt die Freistellung nur, ,,(...) wenn der Anteil des
Lieferanten an dem relevanten Markt (...) 30% nicht überschreitet", d.h. die
Vertriebsform des Exklusiv (Allein-) vertriebs darf nur gewählt werden, sofern der
Lieferant bzw. Kfz-Hersteller nicht mehr als 30% des Marktes in dem spezifischen
Land (=Markt) innehat. Sollte der Hersteller ein quantitativ-selektives Vertriebssystem
präferieren, das die Vertriebspartner nach qualitativen Kriterien auswählt und dazu ex
ante deren Anzahl in jedem nationalen Verkaufsgebiet begrenzt, so ist er durch die neue
GVO nur vom Artikel 81 (1) EGV freigestellt, sofern er die Marktanteilsschwelle im
relevanten Markt von 40% nicht überschreitet. Generell immer freigestellt sind
Vereinbarungen über qualitativ selektive Vertriebssysteme aufgrund der überwiegenden
80
Da die neue GVO als Marktabgrenzungsprinzip das Bedarfsmarktkonzept (aus Sicht der Gegenseite)
vorsieht, droht möglicherweise bei Anwendung bisheriger kartellrechtlicher Standards eine
Abgrenzung nach Fahrzeugsegmenten (z.B. Sportwagen) und Regionen (z.B. Frankreich). Dadurch
könnte die Einheitlichkeit der herstellerseitigen Vertriebspolitik gefährdet sein. Vgl. Lademann, R.P.:
Auswirkungen der GVO auf Wettbewerb und Marktstrukturen in der Automobilwirtschaft, (2002), S.
54.
81
Vgl. Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für der Kfz-Vertrieb, (2002), S. 1045.
82
,,the available research (...) leads to the conclusion that the relevant geographic markets can be
reasonably defined at the level of the national countries." Verboven, F.: Quantitative Study to
Define the Relevant Market in the Passenger Car Sector, (2002), S. 33.

-19-
Vorteile.
83
Genannte Freistellungsschwellen beziehen sich neben dem Neuwagen-
verkauf auch auf Kfz-Ersatzteile und Kfz-Servicedienstleistungen.
In der Praxis wird diese Regelung nach Quantifizierung von Marktmacht zumindest im
Vertrieb von Neufahrzeugen wenig einschränkend wirken, da es keinen eindeutig
dominierenden Hersteller in Europa gibt. So besaßen im Jahr 2000 die VW-Gruppe
einen Marktanteil von 18,69% und die PSA-Gruppe etwa 13,09%, keiner der beiden
Marktführer erreichte insoweit auch nur annäherungsweise jene o.g. Schwellenwerte,
die laut neuer GVO die freie Wahl der Hersteller ihres Vertriebssystems beschränken.
84
Exklusivvertrieb
Erlaubt ist nach der neuen GVO der Alleinvertrieb über exklusive Verkaufsstellen,
sofern der Marktanteil des Herstellers 30% nicht übersteigt und sofern dieser ,,dadurch
Verkäufe seitens der Kunden des Händlers oder der Werkstatt nicht begrenzt (...)."
85
Der Händler in einem exklusiven Vertriebssystem hat damit die Möglichkeit bzw. das
,,ausschließliche" Recht, in seinem Marktgebiet Neufahrzeuge ,,aktiv" zu verkaufen,
und zwar sowohl an zugelassene Händler und Endverbraucher als auch an nicht dem
Vertriebssystem zugehörende oder nicht zugelassene Händler.
86
In der Praxis ist zu
erwarten, dass die Automobilhersteller sich vordringlich nicht für das exklusive
Distributionssystem entscheiden werden, da sie sonst aufgrund der Möglichkeit des
Exklusivhändlers, an beliebige Weiterverkäufer (z.B. Supermarktketten) liefern zu
können, jegliche Kontrolle über ihre Absatzwege verlieren würden.
87
Insofern scheinen
die selektiven Vertriebssysteme für den weiterführenden Analyserahmen bedeutsamer.
Selektivvertrieb
Qualitative Selektion
Nach der GVO 1400/02 sind selektive Vertriebssysteme klar definiert,
88
auch der
Begriff der qualitativen Selektion wird im Gesetz konkretisiert.
89
In Märkten mit
selektiver Vertriebsform gibt es keine ausschließlichen Marktverantwortungsgebiete für
den Händler, dafür erhält der Hersteller die Option, den Händlern vertraglich zu
83
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Erwägungsgrund (8).
84
Vgl. Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für der Kfz-Vertrieb, (2002), S. 1053.
85
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 4 (1) Lit.b) i).
86
Vgl. Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung für der Kfz-Vertrieb, (2002), S. 1044.
87
Vgl. z.B. Dietz, W.: Automobilvertrieb ­ Wie die Hersteller auf die neue GVO reagieren müssen,
(2002), S. 53.
88
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 1 (f).
89
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 1 (h).

-20-
verbieten, an Wiederverkäufer oder nicht zum Vertriebssystem gehörende Händler zu
liefern.
90
Die festgelegten Merkmale, anhand derer qualitativ selektiert wird, sind z.B. beim
Neuwagenverkauf die Qualifikation des Verkaufspersonals; Anforderungen hinsichtlich
der Ausstellung der Produkte und an spezifische Gestaltung des Verkaufsraums mit
einem exklusiv der Marke gewidmeten Teil des Verkaufsraums; die Verpflichtung
Vorführwagen vorzuhalten; spezifische ISO Zertifizierungen des Betriebes etc. Obwohl
die Standards nur länderspezifisch (bzw. marktspezifisch) einheitlich sein müssen,
macht es dauerhaft Sinn, europaweit einheitliche Standards einzuführen, um einerseits
bei einem Ländergefälle eine Bevorteilung von Händlern mit niedrigeren Standards zu
vermeiden und andererseits die Möglichkeit einer Aushöhlung des Markenimages durch
ein hohes Qualitätsgefälle zu eliminieren. Gestaltungsideen deutscher Hersteller gehen
davon aus, mittelfristig die qualitativ hochwertigeren Standards z.B. Deutschlands als
benchmark für den Binnenmarkt Europa anzusetzen.
91
Quantitative Selektion
Quantitative Anforderungen können aus Höchstgrenzen für die Gesamtzahl der Händler
in einem Verkaufsgebiet, die Anzahl der Lagerfahrzeuge, Mindestumsatzvorgaben
u.v.a. bestehen. Herstellerseitiges Ziel der quantitativen Selektion
92
und damit der
Grundlage für Gebietsschutz ist es, durch eine zahlenmäßige Limitierung der
Verkaufsstellen pro Marktregion eine Reduktion des Intrabrand-Wettbewerbs zwischen
Händlern gleicher Marke zu erreichen. Auch bedeutet die Option einer quantitativen
Selektion ein effizientes Instrument zur Steuerung der Rentabilität und Machtfülle des
Absatzmittlers durch den Produzenten. Durch den GVO-bedingten Wegfall der
Standortklausel (Location Clause)
93
zum 01.10.2005 wird die Existenz einer
quantitativen Selektion aber de facto aufgehoben, da ab diesem Datum alle
Vertragshändler in selektiven Vertriebssystemen europaweit Verkaufsstellen eröffnen
dürfen. Das bedeutet zwar einerseits die Reduktion der Herstellermacht (und damit eine
Stärkung der Händler) und eine Liberalisierung der europäischen Vertriebslandschaft,
90
Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 4 (1) Lit.b) iii).
91
Vgl. Friedel-Beitz, A.: ,,Die Organisation schützen, das geht nicht!", (2002), S. 2.
92
Definiert nach Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 1 (g).
93
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 5 (2) b) i.Verb. mit
Artikel 12 (2).

-21-
andererseits aber auch den Wegfall des Schutzes von spezifischen Investitionen des
Handels.
Internationaler Vertrieb
Bis 2005 darf der Hersteller nach Art. 4 (1) d) der GVO 1400/02 Geschäfte von
Vertragshändlern in nicht zugelassene Standorte unterbinden, danach jedoch fällt die
Standortklausel (s.o.) weg; die Händler können dann beliebige zusätzliche Verkaufs-
oder Auslieferungsstellen an anderen Standorten im Gemeinsamen Markt (EU)
errichten: Der Hersteller kann dann lediglich den Hauptstandort bestimmen.
94
Festzuhalten ist, dass bei den selektiven Vertriebssystemen im Unterschied zu den
exklusiven kein räumlich begrenzter Gebietsschutz mehr enthalten sein wird; der aktive
und passive Verkauf
95
wird dann grenzübergreifend möglich sein.
Im selektiven Vertrieb können die qualitativen Standards, die ein Händler zur
Zertifizierung durch den Hersteller erfüllen muss, voneinander abweichen.
Diesbezüglich müssen die Auslieferungs- und Verkaufsstellen immer nur den
qualitativen Standards des Standortmarktes genügen.
96
Während eine Expansion
deutscher Vertragshändler in andere Länder vor dem Hintergrund dieser
Rahmenbedingungen in der Praxis ­ nach Meinung von Herrn Reimers
97
­ nicht
prioritär zu erwarten ist, muss mit einem Eindringen ausländischer Händler auf den
lukrativen deutschen Hochpreismarkt gerechnet werden, insbesondere unter der
Berücksichtigung der Tatsache, dass z.B. ein spanischer Händler wesentlich geringere
Investitionen zu tätigen und geringere Lohnkosten zu tragen hat als ein deutscher
Händler. Letztlich ist die Ausbreitung von europaweiten Auslieferungsstellen ab 2005
zumindest fraglich, da eine grenzüberschreitende Filialisierung auf originären und
dauerhaften Wettbewerbsvorteilen beruhen muss.
98
Aufgrund der Tatsache, dass die
94
Zur rechtlichen Diskussion dieser Frage vgl. z.B. Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungs-
verordnung, a.a.O., (2002), S. 1045 oder Reimann, C.: Widerspruch im System, (2002), S. 34.
95
Aktiver Verkauf subsumiert die aktive Steuerung von Absatzfördermaßnahmen durch pro-aktive
Ansprache des Kunden, z.B. Direktwerbung oder Besuche; zum passiven Verkauf gehört eine
händlereigene Internetpräsenz; der Händler darf verkaufen, wenn der Kunde ­ oder ein Vermittler in
dessen Auftrag - ihn direkt kontaktiert. Vgl. Europäische Kommission: Leitfaden zur Verordnung
(EG) Nr. 1400/2002, (2002), S. 32.
96
Vgl. kfz-betrieb: GVO ­ Originaltext, Statements, Fragen & Antworten, Erwägungsgründe, (2002),
S.7
97
Vgl. Anhang, Interview mit Herrn Reimers, Frage 23, S. 103.
98
Vgl. Lademann, R.P.: Zur Zukunft des Automobilvertriebs, a.a.O., (2002), S. 8.

-22-
Hersteller durch die neue GVO verpflichtet werden,
99
jedem Händler alle ­ auch
länderspezifische
100
­ Fahrzeuge (aus ihrem Produktprogramm) zu verkaufen, könnte
sich ­ bedingt durch die internationale Konkurrenz und deren Anpassungsdruck ­ eine
Entwicklung hin zur Standardisierung von Fahrzeugmodellen abzeichnen.
Internet-Handel
Mit dem Ziel, innovative Absatzformen zu fördern, stärkt die neue GVO auch den
Vertrieb über elektronische Medien wie das Internet. Im selektiven System ist
Internethandel uneingeschränkt (also aktiv und passiv) erlaubt, im Exklusivvertrieb
wenigstens passiv, z.B. durch eine händlereigene Homepage. Explizit wird auch der
aktive Verkauf über Internetseiten Dritter freigestellt.
101
Bisher konnte das Geschäft von Absatzmittlern, die häufig über das Internet tätig
sind,
102
durch einen Hersteller mengenmäßig eingeschränkt werden (quantitative
Belieferungsgrenze). Diese quantitative Fixierung ist nach der neuen GVO verboten;
die Vermittler müssen lediglich eine qualifizierte Vollmacht vorlegen, dass sie im
Namen des Kunden handeln.
103
Eine Übersicht über solche Internet-Neuwagen-Händler
in Deutschland, die größtenteils auf Reimport-Basis
104
arbeiten, findet sich im
Anhang.
105
Die Zahlen einer aktuellen Studie über den Internet-Vertrieb zeigen, dass
im Schnitt gerade 0,7% der Neufahrzeuge über das Internet verkauft wurden; das
Internet ist aus Sicht der Kunden eher ein Informationsmedium und nicht für den
Fahrzeugkauf attraktiv.
106
Dennoch reagieren einige Hersteller schon aktiv auf die
neuen Herausforderungen durch Integration des Internet in das Vertriebskonzept. So
plant VW, bei neuen Modellen einheitliche Internet-Auftritte der Hersteller, Importeure
und Händler zu integrieren, um so Synergiepotentiale zu realisieren und durch
effizienteres Lagerbestandsmanagement die Vertriebskosten zu senken.
107
99
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission Art. 4 (1) f) i.Verb. mit
Erwägungsgrund (20).
100
Z.B. mit Rechtslenker, oder besonderen verkehrsrechtlichen Vorrichtungen.
101
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Erwägungsgrund (15) i.Verb.
mit Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung, a.a.O., (2002), S. 1047.
102
Z.B.
www.autoprice.de
,
www.virgincars.com
.
103
Vgl. Europäische Kommission: Memo/02/174 Neue Kfz-Gruppenfreistellung ­ Fragen und
Antworten ­ Hintergrundinformationen zur Pressemitteilung IP/02/1073, (2002), S. 3.
104
Im Prinzip handelt es sich um grenzüberschreitende Arbitragegeschäfte, ermöglicht durch
länderspezifische Preisunterschiede von Neuwagen.
105
Vgl. Abbildung 7: Übersicht Internet Neuwagen Händler, S. 68.
106
Für die detaillierten Zahlen und Ergebnisse vgl. Cap Gemini Ernst & Young: Cars Online 2002 ­
The Adaptive Automotive Enterprise Study, (2002).
107
Vgl. o.V.: Beim Touran verbilligt VW den Vertrieb, (2002), S. 22.

-23-
Es soll an dieser Stelle klargestellt werden, dass das Internet eine
Kommunikationstechnologie darstellt, aber nach fast einhelliger Meinung in Literatur
und Praxis nicht als eigenständiger Vertriebskanal für Neufahrzeuge zu bewerten ist,
weil eine große Zahl der Vertriebsaufgaben (wie z.B. Kundendienst) nicht erfüllt
werden kann.
108
Allerdings ist eine Integration des Internet in die vorhandenen
Vertriebsstrukturen absolut notwendig, um die Effizienzpotenziale, die diese
Technologie im Bezug auf Prozessbeschleunigung im Wertschöpfungsketten-
management, Kundenbetreuung etc. bietet, zu heben.
109
3.3.3 M
EHRMARKENVERTRIEB
Eines der am kontroversesten diskutierten Elemente der neuen Verordnung, von dem
wesentliche Veränderungen in den Vertriebsstrukturen zu erwarten sind, stellen die
Richtlinien zum Mehrmarkenvertrieb (auch ,,Multi-Franchising"
110
) dar. Dieser wird
durch das Gesetz wesentlich erleichtert. Den Händlern wird demnach die Möglichkeit
eröffnet, mehrere Marken auch konkurrierender Hersteller in ihren Verkaufsräumen zu
vertreiben, denn ein herstellerseitiges Verbot des Mehrmarkenvertriebs stellt laut GVO
eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung dar und führt zur Aufhebung der
Freistellung. Ferner muss der Händler nur dann die gesamte Produktpalette des
Herstellers ausstellen, wenn dies die Möglichkeit, weitere Marken zu vertreiben, nicht
einschränkt. Der Händler muss allerdings jede Marke im Ausstellungsraum nach
Herstellerbestimmungen inszenieren und abgrenzen; er kann jedoch nicht vom
Hersteller ­ sozusagen als qualitativer Selektionsgrund - verpflichtet werden,
markenspezifisches Verkaufspersonal einzustellen, es sei denn, der Hersteller kommt
für die zusätzlichen Kosten auf.
111
Diese Regelung bedeutet zweifelsohne eine Stärkung der Macht des Handels und eine
Schwächung des Einflusses der Hersteller.
112
Die Hersteller kritisieren bei der
Neuregelung des Mehrmarkenvertriebs in der GVO 1400/02 besonders die
Aufweichung der Markenexklusivität, die ein effektives Markenmanagement am PoS
108
Vgl. z.B. Meinig, W.; Mallad, H.: E-Commerce im Automobilhandel ­ Kundenansprüche ­
Bedeutungsgewichte ­ Akzeptanz, (2000), S. 29 oder Anhang, Interview mit Herrn Seeba, Frage 4,
S. 126.
109
Vgl. Meinig, W.; Mallad, H.: E-Commerce im Selektiven Vertriebssystem der Automobilwirtschaft
­ Ergebnisse empirischer Studien zu Kunden- und Händleransprüchen, (2001), S. 157-160.
110
Vgl. Hoffmeister, M.: Multi-Franchise-Konzepte im Automobileinzelhandel: Entwicklungen und
Auswirkungen auf die Absatzkanalpolitik der Automobilhersteller, (1998), S. 71-79.
111
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Erwägungsgrund (27).
112
Die weiteren Implikationen für das Hersteller-Handels -Verhältnis werden in Kapitel 4 untersucht.

-24-
unmöglich macht. Deshalb droht eine ,,Austauschbarkeitsfalle" der Automobile,
bedingt durch Nivellierung der produktspezifischen Merkmale wie Design, Antriebs-
und Sicherheitstechnik.
113
3.3.4 T
RENNUNG VON
V
ERKAUF UND
S
ERVICE
Nachdem die These, dass zwischen Neuwagenvertrieb und Service
114
eine natürliche
Verbindung (,,natural link") bestehe, empirisch falsifiziert wurde und der
Zusammenhang der beiden Wertschöpfungsstufen eher als vom Hersteller erzwungen
eingestuft wurde,
115
hat die Europäische Kommission in der neuen GVO kompromisslos
reagiert. Sie hat die Vereinbarungen, die zwischen Hersteller und Händler für Vertrieb
und Service bestanden, vertraglich getrennt. Es ist daher für Händler möglich, einen
Vertriebsvertrag mit einem oder mehreren Herstellern abzuschließen, ohne für die
einzelnen Marken Instandsetzungs- und/oder Wartungsdienstleistungen anbieten zu
müssen, sich also auf den Neuwagenvertrieb zu spezialisieren. Um dem Kunden
dennoch Service und Garantieleistungen, die im Neuwagenerwerbspreis enthalten sind,
ermöglichen zu können, schreibt die Verordnung dem Händler lediglich vor, dem
Kunden vor Abschluss des Kaufvertrages Name und Anschrift sowie Entfernung einer
zugelassenen Werkstatt mitzuteilen. Auch die untervertragliche Weitergabe
(,,Subcontracting"), also das Outsourcen des gesamten Servicesektors vom Händler an
hersteller-zertifizierte Werkstätten, ist erlaubt.
116
Im Kundendienstmarkt ist davon auszugehen, dass derzeit bei allen Fabrikaten eine
Marktanteilsschwelle von 30% überschritten wird;
117
deshalb ist nach den o.g.
geltenden Regelungen im Prinzip hier nur ein qualitativ selektives Vertriebssystem für
Werkstätten und Service Points möglich.
118
Aufgrund der rein qualitativen Kriterien,
die der Hersteller bei der Zertifizierung von Werkstätten anwenden darf, besteht
prinzipiell die Möglichkeit für freie Werkstätten, die bisher überwiegend
Fahrzeugreparaturen und Kundendienstleistungen für PKW außerhalb der Garantiezeit
erbracht haben, sich für das herstellereigene Servicenetz zu bewerben. Da es künftig de
113
Vgl. Ahlert, D. et al.: Strategisches Handelsmanagement ­ Erfolgskonzepte und Profilierungs-
strategien am Beispiel des Automobilhandels, (1996), S. 282.
114
Wartung, Gewährleistungsarbeiten, Inspektionen u.a.
115
Vgl. Autopolis: The Natural Link between Sales and Service, (2000), S. 56 f.
116
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission Art. 4 (1) g).
117
Hier wird nach Werkstätten separiert, die alle, auch komplexe Reparaturen einer Marke machen
können. Danach kommen die Marken-Vertragshändler zu einem Marktanteil von über 50%. Vgl.
Europäische Kommission: Erläuterungen zum Entwurf der KFZ-GVO, (2002), Tz. 41, S. 21.
118
Vgl. kfz-betrieb: GVO, a.a.O., (2002), S. 21.

-25-
facto keine quantitative Selektion der Werkstätten geben wird, ist auch keine
Standortbeschränkung durch den Hersteller erlaubt.
119
Der Hersteller kann zudem die Reparatur mehrerer Marken in einer zugelassenen
Werkstatt nicht untersagen
120
und hat die Verpflichtung, allen ­ auch unabhängigen und
nicht zugelassenen ­ Marktbeteiligten unverzüglich auf Beantragung Zugang zu den für
die Reparatur relevanten technischen Informationen, Diagnosegeräten und Werkzeugen
sowie fachlicher Unterweisung zur Verfügung zu stellen, verbunden allerdings mit der
Einschränkung, einen verhältnismäßigen Preis verlangen zu können.
121
Damit wird das
Machtmonopol der Vertragswerkstatt in der Theorie aufgehoben. Inwieweit von dieser
Regelung in der Praxis Gebrauch gemacht wird, wird sich zeigen.
122
Voraussichtlich
werden gekündigte Vertragshändler sich um eine Autorisierung ihrer Werkstatt (u.U.
auch für andere Marken) bemühen, um im Markt überleben zu können. Die meisten
dieser Werkstätten erfüllen die qualitativen Anforderungen des Herstellers, da sie über
Jahre hinweg in Know-how, Technik und Qualifikation des Personals investiert haben.
Auch der freiwillige Verzicht auf den Neufahrzeugvertrieb ist aufgrund der geringen
erzielbaren Marge möglich, insbesondere wenn der Fall eintritt, dass sich der Hersteller
verstärkt mit eigenen Niederlassungen im Direktvertrieb engagiert.
123
Unter
Berücksichtigung der z.T. beachtlichen Investitionen, die zu tätigen sind, um
markenspezifisches Wartungsequipment zu beschaffen, ist eine Zertifizierung der
meisten kleinen freien Werkstätten schwer vorstellbar. In Anbetracht der
Investitionsbarriere wäre möglicherweise eine Zulassung zum hersteller-lizenzierten
Werkstättennetz für große Service-Ketten wie Auto-Teile-Unger (ATU) oder Pit-Stop
denkbar, wobei diese markenspezifische Schwerpunkte setzen müssten, was allerdings
gegen das bisher praktizierte Multi-Brand-Servicing-Konzept dieser Marktteilnehmer
spricht.
124
119
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission Art. 5 (3): ,,Mit Bezug auf
Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen (...) gilt die Freistellung nicht für alle (...)
Verpflichtungen betreffende den Standort einer zugelassenen Werkstatt in einem selektiven
Vertriebssystem."
120
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission Art. 5 (1) b) i. Verb. mit
Erwägungsgrund 28.
121
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission Art. 4 (2) i. Verb. mit
Erwägungsgrund 26.
122
Zumindest beworben haben sich viele Werkstätten, vgl. Anhang, Interview mit Herrn Seeba, Frage 3,
S. 125.
123
Vgl. Lademann, R.P.: Zur Zukunft des Automobilvertriebs, (2002), S. 10.
124
Vgl. Anhang, Interviews mit Herrn Reimers, Frage 8, S. 96 und mit Herrn Seeba, Frage 3, S. 125.

-26-
Durch die GVO-Klassifizierung von Leasingunternehmen als Endverbraucher unter
bestimmten Voraussetzungen
125
muss herstellerunabhängigen Leasinggesellschaften in
Zukunft der gleiche Preisnachlass wie Großkunden mit vergleichbaren
Abnahmemengen eingeräumt werden. Dadurch wird der Wettbewerb zwischen
unabhängigen Leasinggesellschaften und den Leasingunternehmen der Vertragshändler
gestärkt.
126
Allerdings werden die Hersteller zumeist direkt an die Leasingunternehmen
verkaufen, wodurch ein weiterer Vertriebsweg am Vertragshandel vorbei eröffnet
würde.
127
3.3.5 V
ERKAUF DES
B
ETRIEBES INKLUSIVE ALLER
V
ERTRÄGE
Eine für die Kontrakttheorie (vgl. Kapitel 4) hochrelevante Änderung der neuen GVO
ist die Regelung zum Verkauf des Händlerbetriebes. Bei einem Verkauf gehen im
Gegensatz zur alten GVO alle ,,der aus der vertikalen Vereinbarung erwachsenen
Rechte und Pflichten" auf den neuen Eigentümer über, ohne dass der Hersteller
einspruchs- oder zustimmungspflichtig wäre.
128
Ziel der Kommission in diesem
Regelungspunkt ist es, das Zusammenwachsen der Märkte zu fördern und die
Dominanz der Hersteller im Vertriebssystem einzuschränken.
129
Dies bedeutet eine
nachhaltige Aufwertung des Vertrages,
130
die im weiteren unter dem Gesichtspunkt der
Analyse des Hersteller-Handel-Verhältnisses diskutiert wird. Die Vereinfachung der
Vertriebsveräußerung erleichtert und fördert die ­ unter Effizienzaspekten notwendige ­
Konsolidierung in der Händlerbranche.
3.3.6 L
AUFZEIT UND
K
ÜNDIGUNGSFRISTEN DER
V
ERTRAGSHÄNDLERVERTRÄGE
Verträge, die vor dem 30.09.2002 bereits in Kraft waren, unterliegen einer
Übergangszeit bis zum 30.09.2003. Spätestens dann müssen alle Kfz-Hersteller GVO-
konforme Vertriebsverträge vorlegen.
131
125
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 1 (w) in Verbindung
mit Erwägungsgrund 30.
126
Vgl. z.B. Dietz, W.: Automobilvertrieb, a.a.O., (2002), S. 53.
127
Vgl. Creutzig, J.: Was ist neu, was bleibt?, a.a.O., (2002), S. 47.
128
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 3 (3) in Verbindung
mit Erwägungsgrund 10.
129
Vgl. Europäische Kommission: Leitfaden zur Verordnung (EG) Nr. 1400/2002, (2002), S. 63 f.
130
Vgl. Anhang, Interview mit Herrn Reimers, Frage 15, S. 100.
131
Zur wissenschaftlichen Diskussion der rechtlichen Problematik der GVO Übergangsregelung vgl.
z.B. Ensthaler, J.: Die neue Gruppenfreistellungsverordnung, a.a.O., (2002), S. 1052 oder Genzow,
F.C.: Jetzt kommen die ,,Dirty Tricks," (2002), S. 18 f.

-27-
Die Vertriebsverträge müssen (laut GVO 1400/02) eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren
aufweisen; es wird aber in der Praxis mit unbegrenzten Laufzeiten gerechnet.
132
Bei
Verträgen mit fest vereinbarter Laufzeit ist eine Nichtverlängerung mindestens sechs
Monate vor Ablauf anzukündigen. Die Verträge können allerdings auch (wie zumeist
bereits heute in der Praxis vorzufinden) unbefristet sein. Die Kündigungsfrist von
Seiten sowohl des Herstellers als auch des Händlers beträgt generell pauschal zwei
Jahre. Eine Verkürzung der Frist auf ein Jahr ist nur möglich, wenn sich für den
Lieferanten die Notwendigkeit ergibt, ,,das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem
wesentlichen Teil umzustrukturieren" oder wenn er eine angemessene Entschädigung zu
zahlen bereit ist. Eine herstellerseitige Kündigung des Belieferungsvertrages ist
schriftlich einzureichen und mit Angabe von ,,objektiven und transparenten" Kriterien
zu rechtfertigen.
133
Hier wird vom Gesetzgeber die Willkürlichkeit einer Kündigung
eliminiert und damit die Herstellermacht eingeschränkt.
Zur schnellen Beilegung von Konflikten zwischen den Vertragsparteien stärkt die neue
GVO die außergerichtliche Einigung; sie sollte von einem unabhängigen
Sachverständigen oder einem Schiedsrichter vorgenommen werden.
134
3.3.7 A
BSCHAFFUNG DES
T
EILEMONOPOLS
Bisher wurden Ersatzteile weitgehend vom Automobilzulieferer als Produzent an die
Automobilhersteller geliefert, wo sie ­ u.U. mit dem Automarkenlogo versehen ­ unter
Beaufschlagung des Lieferpreises von im Schnitt 400%
135
im Vergleich zur
Erstausstattung an die Vertriebspartner, zumeist Autohäuser, veräußert wurden. Die
Autohäuser verkauften dann diese Originalersatzteile unter Beaufschlagung einer
weiteren Marge an die Letztnachfrager
136
weiter.
137
Auf diese Einnahmequelle werden
die Autohersteller in Zukunft verzichten müssen,
138
da die GVO es den
Originalersatzteilherstellern (OEM)
139
ermöglicht, ihre Erzeugnisse nicht mehr
ausschließlich exklusiv an den Autohersteller liefern zu müssen, sondern als
132
Herstellerspezifisch; alle Interviewpartner gehen von unbegrenzten Verträgen aus, vgl. Anhang,
Interviews z.B. mit Frau Kohl, Frage 3, S. 105 oder Herrn Weddigen von Knapp, Frage 3, S. 114.
133
Vgl. beide Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 3 (4) und (5).
134
Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Europäischen Kommission, Artikel 3 (6) in Verbindung
mit Erwägungsgrund 11.
135
Vgl. Maderner, S.: Neue Kfz-GVO: Vorteil, Handel!, (2002), S. 1.
136
Endverbraucher oder freie Werkstätten.
137
Vgl. Abbildung 8: Kreislauf der Originalersatzteile, S. 69.
138
Da sie je nach Kfz-Hersteller nur etwa 20% der Teile selbst produzieren.
139
Original Equipment Manufacturer (in der vorliegenden Arbeit wird der Begriff ausschließlich auf den
Ersatzteilhersteller bezogen).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832472726
ISBN (Paperback)
9783838672724
DOI
10.3239/9783832472726
Dateigröße
4.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
European Business School - Internationale Universität Schloß Reichartshausen Oestrich-Winkel – Betriebswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2003 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
hersteller händler vertrieb neue institutionenökonomik automobilvertrieb
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Titel: Die Auswirkungen der Novellierung der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) auf die Distributionssysteme der Autohersteller in Deutschland
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