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Balanced Change

Erfolgreiche Prozessnavigation im Unternehmenswandel

©2003 Diplomarbeit 134 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Vor dem Hintergrund der dynamischer Veränderungen ihrer Markt- und Wettbewerbssituation, rasanten Fortschritten der Informations- und Kommunikationstechnologie und dem Wandel der Arbeitswelt und Gesellschaft stehen viele Unternehmen heute immer häufiger vor der Herausforderung, selbst einen tief greifenden Wandel ihrer Strukturen und Arbeitsprozesse, nicht zuletzt aber ihrer Denk- und Handlungsweisen, Normen und Werte bewerkstelligen zu müssen. Andernfalls drohen sie im Verhältnis zu ihrer relevanten Umwelt in einen unaufholbaren Rückstand abzudriften.
Im Einzelnen kann es sich darum handeln, ein höheres Qualitätsbewusstsein zu erreichen, flachere, effizientere Hierarchien einzuführen, Geschäftsprozesse stärker kundenorientiert zu organisieren oder Unternehmen völlig neu am Markt zu positionieren. Solche Veränderungen müssen zudem immer häufiger, schneller und wirksamer im Unternehmen verankert werden; die Effizienz des Veränderungsmanagements wird nicht zuletzt von Investoren mehr denn je honoriert. Die Anzahl und Vielfalt so genannter „Change“-Projekte in den Unternehmen ist in den vergangenen Jahren folglich sprunghaft angestiegen.
Komplexität, widersprüchliche Herausforderungen und Geschwindigkeitsanforderungen lassen den geplanten Unternehmenswandel für viele jedoch zu einer „mission impossible“ werden: Verschiedene Studien belegen mit nüchterner Deutlichkeit, dass 50 bis 70 Prozent der Veränderungsvorhaben in Wirtschaftsunternehmen oft weit hinter ihren Zielen zurückbleiben oder bereits frühzeitig wieder abgebrochen werden (vgl. LENTZ 1997). Schlimmer noch: Ein Teil dieser Wandelprozesse wird regelrecht gegen die Wand gefahren und hinterlässt schwere Schäden in der Organisation. Die Erklärungsversuche sind vielfältig und reichen von „mangelhafter Umsetzung“, „Widerstand“, über die „Trägheit menschlicher Natur“ bis hin zur „Veränderungsunfähigkeit der Organisation“.
Relative Einigkeit herrscht aber darüber, dass es weniger falsche Marktstrategien oder falsch gesetzte Veränderungsziele als vielmehr einseitig geplante Veränderungsprogramme und insbesondere die mangelhafte Steuerung bzw. Führung des Veränderungsprozesses sind, die zum Scheitern oft dringend notwendiger Veränderungsvorhaben führen.
Die Bewältigung veränderungsstrategischer und führungsrelevanter Herausforderungen erscheinen als Kernaufgabe im organisationalen Wandel. Dabei sind es Menschen, die als Mitarbeiter den Wandel auf individueller und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Hintergrund und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit

2. Organisation und Organisationsgestaltung
2.1 Überblick
2.2 Organisationsbegriffe
2.3 Organisationstheorien
2.4 Entwicklungstrends

3. Der Wandel von Organisationen
3.1 Überblick
3.2 Theorien des Wandels
3.2.1 Wandel als Lernen, Evolution, Entwicklung, Transformation
3.2.2 Prozesstheorien des Wandels
3.2.3 Phasenmodelle des Wandels
3.3 Zwischenfazit: Organisation und Wandel
3.4 Unternehmenskultur und Unternehmenswandel
3.5 Widerstand gegen Unternehmenswandel
3.6 Emotionen im Unternehmenswandel

4. Strategie und Führung von Veränderungsprozessen
4.1 Überblick
4.2 Unternehmenswandel und Strategie
4.3 Unternehmenswandel und Führung

5. Phasenspezifische Strategie- und Führungsanforderungen im Unternehmenswandel
5.1 Überblick
5.2 Anforderungen der Orientierungsphase
5.3 Anforderungen der Austauschphase
5.4 Anforderungen der Übergangsphase
5.5 Anforderungen der Umsetzungsphase
5.6 Anforderungen der Stabilisierungsphase

6. Fazit und Ausblick
6.1 Fazit
6.2 Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Hintergrund und Zielsetzung der Arbeit

Vor dem Hintergrund der dynamischer Veränderungen ihrer Markt- und Wettbewerbssituation, rasanten Fortschritten der Informations- und Kommunikationstechnologie und dem Wandel der Arbeitswelt und Gesellschaft stehen viele Unternehmen heute immer häufiger vor der Herausforderung, selbst einen tief greifenden Wandel ihrer Strukturen und Arbeitsprozesse, nicht zuletzt aber ihrer Denk- und Handlungsweisen, Normen und Werte bewerkstelligen zu müssen. Andernfalls drohen sie im Verhältnis zu ihrer relevanten Umwelt in einen unaufholbaren Rückstand abzudriften.

Im Einzelnen kann es sich darum handeln, ein höheres Qualitätsbewusstsein zu erreichen, flachere, effizientere Hierarchien einzuführen, Geschäftsprozesse stärker kundenorientiert zu organisieren oder Unternehmen völlig neu am Markt zu positionieren. Solche Veränderungen müssen zudem immer häufiger, schneller und wirksamer im Unternehmen verankert werden; die Effizienz des Veränderungsmanagements wird nicht zuletzt von Investoren mehr denn je honoriert. Die Anzahl und Vielfalt so genannter „Change“-Projekte in den Unternehmen ist in den vergangenen Jahren folglich sprunghaft angestiegen.

Komplexität, widersprüchliche Herausforderungen und Geschwindigkeitsanforderungen lassen den geplanten Unternehmenswandel für viele jedoch zu einer „mission impossible“ werden: Verschiedene Studien belegen mit nüchterner Deutlichkeit, dass 50 bis 70 Prozent der Veränderungsvorhaben in Wirtschaftsunternehmen oft weit hinter ihren Zielen zurückbleiben oder bereits frühzeitig wieder abgebrochen werden (vgl. LENTZ 1997). Schlimmer noch: Ein Teil dieser Wandelprozesse wird regelrecht gegen die Wand gefahren und hinterlässt schwere Schäden in der Organisation. Die Erklärungsversuche sind vielfältig und reichen von „mangelhafter Umsetzung“, „Widerstand“, über die „Trägheit menschlicher Natur“ bis hin zur „Veränderungsunfähigkeit der Organisation“.

Relative Einigkeit herrscht aber darüber, dass es weniger falsche Marktstrategien oder falsch gesetzte Veränderungsziele als vielmehr einseitig geplante Veränderungsprogramme und insbesondere die mangelhafte Steuerung bzw. Führung des Veränderungsprozesses sind, die zum Scheitern oft dringend notwendiger Veränderungsvorhaben führen.

Die Bewältigung veränderungsstrategischer und führungsrelevanter Herausforderungen erscheinen als Kernaufgabe im organisationalen Wandel. Dabei sind es Menschen, die als Mitarbeiter den Wandel auf individueller und kollektiver Ebene vollziehen müssen. Veränderung von Organisationen als sozialen Einheiten bedeutet immer eine Veränderung von und zwischen Menschen als sozialer Prozess. Damit gerät das so genannte „Human Resources Management“ im Rahmen des „Change Management“ zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Die vorliegende Arbeit versucht einen Beitrag zur Fragestellung zu leisten, welche strategie- und führungsrelevanten (kommunikativen, interaktiven und psychosozialen) Herausforderungen der geplante Unternehmenswandel mit sich bringt und wie soziale Veränderungsprozesse von Unternehmen möglicherweise mit mehr Aussicht auf Erfolg gestaltet und geführt werden können. Dies setzt ein prozessuales, dynamisches und multidimensionales Verständnis von Veränderungsprozessen voraus.

Die Theoriebildung steht in weiten Teilen hier allerdings erst am Anfang, so dass (auch vor dem Hintergrund des komplexen Gegenstandsbereichs und auch formaler Beschränkungen dieser Arbeit) letztlich nur Grundzüge des Phänomens „Unternehmenswandel“ als sozialer Prozess dargestellt werden können. Dabei sollen auch einige vor dem Hintergrund des Scheiterns vieler Veränderungsvorhaben bedeutsam erscheinende Ausschnitte und Ansätze vertiefend behandelt werden (Unternehmenskultur, Widerstand und insbesondere emotionaler Vorgänge im Wandel).

Vorweg muss klargestellt werden, dass wer Rezepte des Wandels erwartet, grundsätzlich enttäuscht werden wird. Es entspricht der Auffassung des Autors, dass ein Wandel von Organisationen als sozialen Gebilden zwar möglich, aber nicht technisch machbar oder einfach durchsetzbar ist. Vielmehr geht es um den sozialen Prozess des Organisierens des Unternehmenswandels.

Die vorliegende Arbeit verfolgt stärker das Ziel, die bestehende Praxis kritisch zu hinterfragen, die Bedeutung sozialer (Beziehungs-)Prozesse im Unternehmenswandel herauszustellen und einen kleinen Beitrag zur Weiterentwicklung eines reflexiven prozessorientierten Navigationssystems für die soziale Veränderung von Organisationen zu leisten. Es geht dabei letztlich auch um den Versuch - wie die Bezeichnung „Balanced Change“ im Titel der Arbeit nahe legen möchte - aus der Darstellung der möglichen (theoretischen) Vielfalt und komplexer oft gegenläufigen Anforderungen, das Denken über den Unternehmenswandel und die Chancen für eine ausgewogene, d. h. balancierende (nicht: harmonisierende) Praxis zu befördern.

Auch für Psychologen eröffnet sich durch die stärkere Betrachtung sozialer Prozesse statt individueller Bezüge und Unterschiede im Unternehmenswandel für die Zukunft ein zunehmend wichtiger werdendes Forschungs- und Praxisfeld, das nicht ignoriert oder anderen oder sich selbst überlassen werden sollte. Dafür gilt auch, sich der Denkwelt anderer Disziplinen, die sich mit dem Unternehmenswandel beschäftigen schrittweise zu öffnen.

1.2 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich überwiegend in theoretischer und teils handlungsorientierender Weise mit dem Phänomen des geplanten Wandels von Organisationen. Unterschiedliche Auffassungen von „Organisation“ und korrespondierende Organisations- (und -Menschenbilder) bedingen grundlegend verschiedene Auffassungen über deren strategischen Wandel und dessen Führung. Zunächst werden daher grundsätzlich verschiedene Vorstellungen von „Organisation“ sowie Ansätze zur Systematik von Organisationstheorien dargestellt (Kapitel 2).

Anschließend soll das Phänomen des Wandels von Organisationen in unterschiedlichen theoretischen und inhaltlichen Bezügen dargestellt werden, wobei der Fokus hier soziale, kulturelle und nicht zuletzt auf - bisher in der Forschung und Praxis oft vernachlässigte oder einseitig betrachtete - emotionale und psychodynamische Aspekte des Wandels gelegt wird (Kapitel 3).

Vor diesem Hintergrund geht es in Kapitel 4 und 5 darum, zentrale veränderungsstrategische und führungsrelevante Aspekte des Unternehmenswandels aufzuzeigen und in einem handlungsorientierenden Prozessmodell sozialer Wandelprozesse zusammenzuführen. Drei vertiefende, sich überlappende Themenaspekte und damit verbundene Kernfragen sollen dann den Rahmen für die weitere Beschäftigung mit dem Unternehmenswandel als psychosozialem Phänomen bzw. Prozess abstecken:

1. Strategien des Wandels: Welches sind zentrale Herausforderungen für die strategische Veränderung von Unternehmen? Welche Fragen stellen sich der Planung von Veränderungsprogrammen und dem Einsatz verschiedener Veränderungsmethoden (Kapitel 4. 1.)
2. Führung des Wandels: Was bedeutet Führung im Hinblick auf Veränderung? Welche unterschiedlichen Anforderungen stellen sich an die Führung bzw. die Führungskräfte des Wandels? Welche Konsequenzen lassen sich für die Führung von Veränderungsprozessen ableiten? (Kapitel 4.2)
3. Rahmenmodell für Strategie und Führung sozialer Wandelprozesse: Wie lassen sich unterschiedliche strategische Anforderungen, verschiedene Veränderungsmethoden und verschiedene Führungsanforderungen auf eine Vorstellung von Veränderung als dynamischem sozialen wie emotionalem Prozess beziehen? Welche Bedeutung spielt darin das Erleben des Wandels. (Kap. 5).

Abgerundet wird die Arbeit durch ein Fazit und einen Ausblick (Kapitel 6). Die einzelnen Themen und Fragestellungen der Arbeit lassen sich indes nicht streng voneinander trennen, Überlappungen zwischen den Kapiteln sind demnach unvermeidbar, so dass die vorgenommene Einteilung lediglich inhaltliche Schwerpunkte verdeutlichen soll. Bei der Bearbeitung der Fragestellungen wird auf vorliegende Ansätze aus der Organisationsforschung, der Organisationspsychologie, der Kulturanthropologie und weitere allgemeine sozialwissenschaftliche und psychologische Ansätze zurückgegriffen.

2. Organisation und Organisationsgestaltung

2.1 Überblick

„Organisationen“ begegnen uns im Alltag auf vielfältige Weise: Als Unternehmen, Verwaltungen, Parteien, Kirchen etc.. Organisationen sind von grundlegender Bedeutung für das Handeln von Menschen in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Ein Großteil menschlichen Lebens in Ausbildung, Beruf und Freizeit vollzieht sich innerhalb von Organisationen, als deren Teil sich Menschen erleben oder die als ihnen gegenüberstehend erlebt werden.

Organisationen können allgemein als soziale Einheiten definiert werden, die errichtet werden, um spezifische Ziele zu erreichen. Organisationen sind immer dann erforderlich, wenn Aufgaben und Problemstellungen zu bewältigen sind, die von Individuen nicht in alleiniger Anstrengung erledigt werden können. Dies gilt in besonderem Maße für die in der Wirtschaft tätigen Unternehmen. Deren Ziele, wie die Herstellung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen, können überwiegend nur arbeitsteilig bewerkstelligt werden. Organisationen sind in diesem Sinne Instrumente zur zielorientierten Koordination von Teilhandlungen und der Verknüpfung der Aktivitäten zu einem sinnvollen Ganzen. Die arbeitsteilige Aufgabenbewältigung kann auf inter-personeller, inter-institutioneller oder auch internationaler Ebene erfolgen.

Die Ziele der Organisation geben die Richtung der Handlungen an, auf die sich die Organisation konzentriert, in erster Linie sind sie jedoch eine Daseinsberechtigung für die Organisation; hat diese kein kollektives Ziel, kann sie nicht existieren (vgl. KIESER 2002). Organisationsziele stellen Ziele der Organisation als Kollektiv dar, daneben können aber auch individuelle Ziele verfolgt werden (wie z. B. eine Gehaltserhöhung).

Organisationstheorien beschäftigen sich mit Fragen der Funktionsweise und der Gestaltung von Organisationen. Organisationen werden durch Formulierung von Zielen und Handlungsregeln unter mehr oder weniger großer Beteiligung der Organisationsmitglieder gestaltet.

Im Zentrum stehen unterschiedliche Lösungen für die Frage nach der geeigneten Aufgabenteilung und -koordination was aus betriebswirtschaftlicher Perspektive als das grundlegende Organisationsproblem bezeichnet wird (vgl. Schreyögg 1999).

Neben der Arbeitsteilung ist die Ansammlung von Macht in einem oder mehreren Machtzentren, die die Organisation kontrollieren bzw. zu kontrollieren versuchen charakteristisch für Organisationen. Zudem haben Organisationen als soziale Systeme aber auch Bedeutungscharakter für ihre Mitglieder. Da es sich bei Organisationen um hochkomplexe (d. h. uneindeutige) soziale Gebilde handelt existiert eine Vielzahl von Organisationstheorien, die sich mit unterschiedlichen Ausschnitten des Organisationsphänomens aus unterschiedlicher theoretischer Perspektive beschäftigen:

„Organizations are many things at once“ (Morgan 1986).

Das Gegenstandsgebiet der Organisationsforschung wird wesentlich durch Fragen der Gestaltung von Organisationen strukturiert. Als grundlegende, sich teils überlappende und teils ergänzende Basisprobleme der Organisationsgestaltung nennt SCHREYÖGG (1999, S. 20).

- Angemessene Strukturierung von Aufgaben
- Integration von Individuum und Organisation
- Interaktion von Organisation und Umwelt (u. a. Bewährung von Organisationen in kritischen Umwelten)
- Informale Prozesse der Organisation (u. a. im Verhältnis zu Formalstrukturen)
- Organisatorischer Wandel

Im Rahmen dieser Arbeit stehen das Gestaltungsproblem des Wandels von Organisationen bzw. Unternehmen und die Führung von Veränderungsprozessen im Vordergrund der Betrachtung. Das Verständnis von „Organisation“ beeinflusst dabei die Vorstellungen über deren Wandel und dessen Führung in entscheidender Weise.

Das Handeln von Führungskräften in Organisationen ist (wie jedes Handeln) geprägt von expliziten oder impliziten Theorien, Vorstellungen, Grundannahmen und Bildern über die Natur von Menschen („Menschenbilder“) und darüber hinaus über den Sinn, Zweck und die Funktionsweise von Organisationen („Organisationsbilder“).

Daher soll das bisher aufgezeigte Vorverständnis von Organisationen im Weiteren vertieft werden, um eine ausreichende Orientierung für die im Rahmen der Arbeit besonders interessierenden Aspekte des Phänomens des Unternehmenswandels und dessen strategischer Führung zu gewinnen. Im Folgenden sind mit „Organisationen“ speziell (Wirtschafts-)Unternehmen gemeint. Dies schließt eine Übertragbarkeit auf andere mögliche Formen von Organisationen jedoch nicht grundsätzlich aus.

2.2 Organisationsbegriffe

Die Bezeichnung „Organisation“ wird in der Literatur nicht eindeutig verwendet. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Organisationsbegriffe sind gegeneinander abzugrenzen:

Der instrumentelle Organisationsbegriff geht davon aus, dass ein Unternehmen eine Organisation hat. Organisation wird hier als Mittel bzw. als Gesamtheit von Maßnahmen zur Zielerreichung sozialer Systeme verstanden (vgl. KIESER 2002). „Organisation“ stellt sich hier nur als eines von weiteren zweckrationalen Mitteln von Unternehmen wie der „Strategie“ oder der „Technologie“ dar. In Unternehmen findet sich daher oft eine spezielle Organisationsa bteilung so wie es auch eine Marketing- oder Finanz- bzw. Controllingabteilung gibt.

Heute gebräuchlicher ist der institutionelle Organisationsbegriff. Er versteht Unternehmen gleichbedeutend mit Organisation. Das Unternehmen ist also eine Form der Organisation neben anderen Formen wie Parteien, Kleingartenvereinen etc.). Organisationen werden hier als soziales Gesamtsystem begriffen. Dieses verfolgt dauerhaft Ziele, zeichnet sich durch formale Strukturen und Regeln, durch die die kollektiven Aktivitäten (geregelte Arbeitsteilung) auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen (Koordinationsaufgabe) und weist eine relativ beständige Unterscheidbarkeit zwischen organisatorischer Innenwelt und Außenwelt auf (vgl. SCHREYÖGG 1999).

Der institutionelle Organisationsbegriff umfasst aber nicht nur die formale, sichtbare Ordnung, sondern auch informale, unsichtbare Prozesse und geht im Hinblick auf das organisatorische Gestaltungsproblem nicht wie der instrumentelle Organisationsbegriff nur von rationalen organisatorischen Strukturen aus.

Die Mehrdeutbarkeit der Bezeichnung „Organisation“ legt bereits nahe, dass es keine homogene Organisationstheorie gibt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Ansätze und Entwicklungslinien existiert. Die anfänglich betonte Zweckrationalität der Organisation ist heute im Sinne einer Revision der Rationalität weitgehend aufgelöst worden und hat zu einem Pluralismus inhaltlicher und methodischer Zugangsweisen zum Organisationsphänomen geführt.

2.3 Organisationstheorien

Eine tiefer gehende Auseinandersetzung der Vielfalt der Organisationstheorien würde mit Leichtigkeit den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Daher sollen hier lediglich Umrisse der Organisationstheorie und insbesondere deren Systematik und Entwicklungslinien aufgezeigt, die einen ausreichenden Orientierungs- bzw. Verständnisrahmen für die nachfolgende Beschäftigung mit dem Wandel von Organisationen ermöglichen.

Organisationstheorien zielen allgemein darauf, das Verhalten von Organisationen bzw. den Organisationsprozess zu verstehen, zu erklären, vorauszusehen und zu optimieren. Dies dürften aber die einzigen Merkmale sein, welches die unübersichtliche Vielzahl von Theorieansätzen der Organisation verbindet. Einigkeit herrscht heute lediglich darüber, dass keine universell effiziente Organisationsform existiert bzw. die optimale Organisationslösung nicht gibt. KIESER (2002) unterscheidet in seinem Lehrbuch zehn zentrale Richtungen bzw. Ansätze der Organisationstheorie:

1. Bürokratie-Ansatz (Weber), 2. Scientific-Management-Ansatz (Taylor), 3. Human Relations-Bewegung und Organisationspsychologie, 4. Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorien, 5. Situativer Ansatz, 6. Institutionenökonomische Theorien, 7. Evolutionstheoretische Ansätze, 8. Konstruktivistische Ansätze, 9. Institutionalistische Ansätze, 10. Theorie der Strukturierung (Giddens).

Eine im Zusammenhang dieser Arbeit wesentliche Trennlinie kann darin gesehen werden, dass den meisten organisationstheoretischen Ansätzen eine positivistische (1-7), den anderen hingegen eine konstruktivistische Wissenschaftsauffassung (8-10) zugrunde liegt. Erstere geht von der Grundannahme aus, dass sich die Organisationsstruktur und bestimmte Aspekte der Organisation in objektiver Weise als stabile äußere Realität bestimmen und erklären lassen. Hauptfokus der Betrachtung stellen insbesondere formalisierte organisationale Strukturen und Regeln dar.

Konstruktivistische, sozial-konstruktivistische und systemische Ansätze lehnen das positivistische Denken über Organisationen hingegen ab und gehen von der Vorstellung aus, dass Organisation auf subjektiver Ebene stattfindet und auch nur über das Wissen der handelnden Organisationsmitglieder erschlossen werden kann.

Für Vertreter konstruktivistischer Ansätze findet Organisation vor allem in den Köpfen und Herzen [Anm. d. Verf.] der Organisationsmitglieder statt.“ (KIESER 2002, S. 287)

Im Rahmen sozial-konstruktivistischer Ansätze steht die Frage im Mittelpunkt, aufgrund welcher sozialen Kommunikations- und Beziehungsprozesse sich die Eigenschaften und Verhaltensweisen der Organisation als soziale Wirklichkeit konstituieren bzw. als solche verstanden werden können. Organisationen werden hier nicht mehr als äußere Realität, sondern als von - bzw. genauer genommen zwischen - Menschen geschaffene und aufrechterhaltene soziale Gebilde angesehen. Was bedeutet dies genauer?

Organisationen funktionieren nach dieser Auffassung nicht, weil ihre Struktur zweckmäßig gestaltet ist, sondern weil die Mitglieder bestimmte Vorstellungen darüber haben, wie die Organisation funktionieren sollte. Solche „subjektiven Organisationstheorien“ der Organisationsmitglieder lenken die Aktivitäten in der Organisation und sind das Ergebnis sozialer Interaktions-, Verständigungs- bzw. Interpretationsprozesse. Um eine (weitestgehende) Übereinstimmung in den Interpretationen zu erreichen - wie dies für gemeinsames Handeln bzw. organisierte Praxis erforderlich ist - müssen Organisationsmitglieder anhaltend miteinander kommunizieren und interagieren. Organisationen konstituieren sich also durch Kommunikation und Handeln. Sie werden ständig durch Kommunikation (von Sinn- und Handlungsbezügen) interpretiert und neu interpretiert und damit stabilisiert oder verändert.

Nicht die Organisation als stabile Größe, sondern der Prozess des Organisierens, der Herstellungsprozess organisationaler Ordnung wird hier in den Mittelpunkt gerückt (womit sich hier gleichzeitig auch ein Ansatz zum Verständnis organisationalen Wandels als sozialer Prozess andeutet).

Dies stellt eine entscheidend andere Auffassung dar als die Auffassung insbesondere klassischer aber auch modernerer organisationstheoretischer Ansätze mit ihrer Vorstellung, dass Organisationen gemäß ihrer „Baupläne“ bzw. ihrer formalen Aufbau- und Ablauforganisation funktionieren: Diese Vorstellung geht davon aus, dass Regeln und vorgegebene Prozeduren befolgt werden bzw. die Aktivitäten in der Organisation den Vorgaben der formalen Struktur entsprechen.

Sozial-konstruktivistische Ansätze sehen die „Fakten“ und die „Realität“ von Organisationen anders: Formale Strukturaspekte einer Organisation (wie z.B. Organigramm, Stellenbeschreibungen, Geschäftsprozessmodelle) sind lediglich ähnlich einem Ergebnisprotokoll subjektiver Verständigungsprozesse und keine irgendwie geartete objektive äußere Realität. Die zumeist schriftliche Fixierung von Regeln soll die Herausbildung von Verhaltensregeln durch Handeln, Interpretationen und Kommunikation verkürzen, kann diese aber nicht ersetzen (vgl. KIESER 2002). Die Formulierung formaler Strukturen legitimiert letztlich nur die Interpretationen organisationaler Akteure, die dazu berechtigt sind. Der Vorteil formalisierter Strukturen liegt jedoch in ihrer Orientierungsfunktion:

„Organisatorische Regeln geben dem Verhalten grob die Richtung vor, wie Verkehrszeichen dem Verkehr Richtungen weisen.“ (KIESER 2002, S. 306).

Diese Organisationsstrukturen werden aber durch Kommunikation und Interaktion sozial konstruiert und ebenso auch aufrechterhalten. Genau betrachtet wird die von positivistischen Ansätzen als gegebene äußere Realität angesehene und entmenschlichte Organisationsstruktur in sozial-konstruktivistischer Perspektive, erst auf Basis subjektiver Interpretationsprozesse nachträglich formalisiert bzw. (ver-) objektiviert und erscheint dann quasi wie eine objektive Realität.

Für eine weitere Auseinandersetzung mit dem übergreifenden Thema der „Gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ und dem dialektischen Wirkungskreislauf aus „Externalisierung“, „Objektivation“ und „Internalisierung“ im Rahmen der sozialen Konstruktion von Organisationen sei im Weiteren auf das Konzept von Berger & Luckmann (1966) sowie als deren gedanklichen Vorläufern, den Lebenswelt-Ansatz von Schütz (1971) und den Ansatz des Symbolischen Interaktionismus von Mead (1983) verwiesen (vgl. KIESER 2002).

Mit der Darstellung des sozial-konstruktivistischen Ansatzes in der Organisationstheorie deutet sich bereits an, dass eine Veränderung von Organisationen aus dieser Perspektive nicht über den Weg einer rationalen Planung der Veränderung des Bauplans formaler Strukturen, sondern nur über den Weg der Veränderung subjektiver Theorien bzw. Interpretationen der Organisationsmitglieder mittels Kommunikation und Interaktion erfolgen kann.

Indem hier soziale Prozesse (des Organisierens) und nicht mehr formale Strukturen als Analyseeinheit betrachtet werden, eröffnen sich neue Perspektiven auch für zentrale Fragestellungen der Organisationspsychologie wie z. B. Motivation, Führung, Kommunikation, Peronalselektion und Training. Dabei ist allerdings kritisch zu hinterfragen, ob der traditionell personzentrierte und auf die Ermittlung (inter-) individueller Unterschiede angelegte Bezugsrahmen der Organisationspsychologie, aktuellen Problemstellungen der Organisationsforschung wie Globalisierung, neuen Formen der Arbeitsorganisation, Informationstechnologien und nicht zuletzt den zunehmenden Fragen des organisationalen Wandels überhaupt noch sinnvoll gerecht werden kann.

Es existieren viele weitere Versuche die unterschiedlichen konkurrierenden Paradigmen und theoretischen Ansätze innerhalb der Organisationstheorien zu klassifizieren. Grundlegend lassen sich die Ansätze anhand der Kategorien Ontologie (Grundannahmen über das Wesen von Organisationen, „Organisationsbilder“), Epistemologie (wissenschaftstheoretische Grundauffassung), Mensch-Umwelt-Beziehung (Interpretation des Einflussverhältnisses von Individuum und Organisation) und Methodologie (bevorzugtes Forschungsparadigma) charakterisieren (vgl. HINK 2000, KIESER 2002).

GMÜR (1993) sieht in seiner Klassifikation von Organisationstheorien eine zentrale Trennlinie in der Auseinandersetzung zwischen struktur- bzw. systemorientierten auf der einen und handlungs- bzw. individuumsorientierten Ansätzen auf der anderen Seite. Diese Auseinandersetzung prägt die Geschichte der sozialwissenschaftlichen Forschung überhaupt. „Strukturorientiert“ meint hier alle Theorien, die das soziale System als strukturierter Ganzheit als das Primäre betrachten, innerhalb dessen sich individuelles Handeln abspielt und geleitet wird. Der handlungsorientierte Ansatz betont demgegenüber die selbstregulierten Handlungen der einzelnen, die über Kommunikation und Interaktion erst das Ganze und auch dessen Struktur formen. Der wesentliche Unterschied liegt im Menschenbild, in der Interpretation der Gesellschaft und der Beziehung von Sozialem und Individuellem. Während für Struktur- bzw. Systemtheorien eine objektiv erkennbare soziale Ordnung Voraussetzung für individuelle Orientierung und Wohlbefinden darstellt, ist für die Handlungstheorie soziale Ordnung das selbstgewählte und gemeinschaftlich erzeugte Produkt von Individuen, die ursprünglich einmal frei von externer Kontrolle waren (vgl. HINK 2000).

Ein für Fragen nach dem organisationalen Wandel besonders relevanter, häufig rezipierter zweidimensionaler Klassifikationsansatz, stammt von Burrell & Morgan (1979). Neben der Gegenüberstellung von objektivistischen und subjektivistischen Ansätzen (was weitgehend der Polarität Strukturorientierung vs. Handlungsorientierung entspricht) gehen sie von einer zweiten für den Zusammenhang dieser Arbeit wichtigen Grundpolarität aus: dem Gegensatz von Ordnung und Wandel.

Organisationen können zum einen im Wesentlichen unter der Perspektive einer stabilen Ordnung betrachtet werden - bei der Wandel entweder gänzlich ausgeblendet oder nur als vorübergehende Störung eines ansonsten weitgehend stabilen Gleichgewichts begriffen wird (Gleichgewichtstheorien). Zum anderen können sie aus einer dynamischen, wandelorientierten Perspektive betrachtet werden, die auf permanente konflikt- bzw. krisenbedingte Veränderungen der Organisation fokussiert (z. B. aufgrund interner Macht- und Interessenskonflikte oder aufgrund permanenter externer Veränderungen der Organisationsumwelt, die einen permanenten Wandel der Organisation erfordern).

Letztere Ansätze spielen heute eine zunehmende Rolle in der theoretischen und praktischen Diskussion des Grundverständnisses von Organisationen.

Aus den beiden Klassifikationsdimensionen ergibt sich ein Vierfelderschema in dem vier zentrale Paradigmen sozialwissenschaftlicher (organisationstheoretischer) Forschung und Theoriebildung unterschieden und verortet werden können: Das zurzeit in den Sozialwissenschaften vorherrschende funktionalistische Paradigma, das interpretative Paradigma, das (radikal-) humanistische Paradigma, und das (radikal-) strukturalistische Paradigma.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Bezugsrahmen für Organisationstheorien
(vgl. Burell & Morgan 1979, S. 22; modifiziert durch d. Verf.)

Als besonders anschaulicher Systematisierungsversuch erweist sich schließlich noch das Konzept der „Images of Organization“ von Morgan (1986). Hier werden die grundlegenden Perspektiven bzw. Auffassungen von Organisation als „Organisationsbilder“ betrachtet. Ähnlich den „Menschenbildern“ werden diese als grundlegende Auffassungen über das Wesen von Organisationen unterschieden. Führendes Leitbild der klassischen Organisationstheorie stellt z. B. die „Organisation als Maschine“ dar. Humanorientierte Ansätze verwenden hingegen häufig das Leitbild von der „Organisation als Organismus“. Unternehmenskulturansätze arbeiten mit dem Bild der „Organisation als Kultur“. Weniger bekannte Metaphern zur Beschreibung der Gegenstandsdefinition organisationstheoretischer Forschung sind die „Organisation als Theater“, „Organisation als politische Arena“, „Organisation als Gehirn“ bzw. auch die „Organisation als psychisches Gefängnis“.

Solche Organisationsbilder, die paradigmatischen Charakter haben, werden von den Vertretern der jeweiligen Theorien teils explizit benannt, können auch aber implizit bleiben. Gleiches gilt für die zugrunde liegenden Menschenbilder innerhalb der Organisationstheorien wie den „economic man“ bzw. den „homo oeconomicus“, den „social man“ oder den „complex man“ (vgl. STEIGER & LIPPMANN 2003).

Die folgenden Grundfragen verdeutlichen noch einmal den unterschiedlichen Betrachtungsfokus auf den Gegenstand „Organisation“:

Wird die sichtbare formale Organisation oder werden unsichtbare Beziehungsprozesse betrachtet? Wird die Organisation als Einheit oder als Gefüge unterschiedlicher Einzelelemente betrachtet? Wird von dem sozialen System als Ganzes oder von Interaktionen im Einzelnen ausgegangen? Wird davon ausgegangen, dass einer Organisation ein einziges (gemeinsames) Hauptziel als Ordnungsprinzip zugrunde liegt oder, dass sie sich in einem dauerhaften Spannungs- bzw. Konfliktfeld verschiedener Gruppeninteressen befindet? Steht die Struktur einer Organisation im Mittelpunkt der Betrachtung oder der Prozess des Organisierens?

Die dargestellten Klassifikationsansätze machen die Heterogenität und Perspektivität unterschiedlicher Betrachtungsweisen von „Organisation“ deutlich. Organisationstheorien implizieren bestimmte Basisannahmen über den wesentlichen Kern des Organisationsphänomens. Die historisch gewachsenen unterschiedlichen Perspektiven auf Organisationen und ihre Mitglieder existieren heute nebeneinander und beeinflussen auch das Denken und Handeln von Führungskräften auch im Hinblick auf den organisationalen Wandel auf vielfältige Weise. So macht z. B. das moderne Konzept des „Business Process Reengineering“ (vgl. Hammer & Champy 1993) bereits auf sprachlicher Ebene deutlich, dass die Veränderung von Organisationen hier weiterhin entlang des alten Bildes der „Organisation als Maschine“ begriffen wird.

2.4 Entwicklungstrends

Insgesamt zeichnet sich die Entwicklung der Organisationstheorien seit Ende der 80er Jahre aufgrund der Verdrängung und des zunehmenden Verfalls traditioneller Leitvorstellungen der Organisationsforschung durch eine Tendenz zur grundlegenden Neuorientierung in Form von Pluralisierung aus. Türk (1989, S. 21) fasst die Entwicklungstendenzen zu vier zentralen Thesen zusammen, die auch in besonderem Zusammenhang mit einem subjektiven Verständnis von Unternehmenswandel in Verbindung stehen:

- Entmythologisierung (" Die Aufgabe der Rationalitätsprämisse)
“Das Bild der Organisation als rationales Produkt rationaler Akteure wird als Mythos demaskiert und die wahre Gestalt dahinter zu erfassen versucht.“

- Dynamisierung (" Die Organisation als Prozess)
“Die Beschäftigung mit Organisationen als mehr oder weniger stabilen Gebilden der sozialen Welt rückt gegenüber einer Sichtweise, die sie als Zwischenstationen des Organisationsprozesses betrachten - das Organisieren - in den Hintergrund.“

- Rehumanisierung (" Die Wiederkehr des Subjekts)
“Die Sichtweise von Organisationen als Gebilden, die unabhängig von einzelnen ihrer Mitglieder inneren Gesetzmäßigkeiten unterliegen, wandelt sich in eine stärkere Betonung der Rolle des einzelnen Akteurs in der Organisation.“

- Politisierung (" Die Organisation als politische Arena)
“Organisationen werden weniger als Ort der harmonischen Ordnung als vielmehr als Arena der Interessenkonflikte angesehen.“

Infolge der fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft verschiebt sich der Blickwinkel heute zunehmend auch vom Innenleben der Organisation auf ihre Außenbeziehungen. Insbesondere auch auf ihre Einbettung in übergreifende Kontexte wie z. B. Populationen von Organisationen oder das Verhältnis von Organisationen mit Institutionen.

GMÜR (1991) stellt vor dem Hintergrund der fortschreitenden Pluralisierung der
Organisationstheorien mit einem gewissem Zynismus und auch dem Eindruck des Verfassers entsprechend fest:

... dass die Organisationstheorie im Schlepptau der Managementlehre in die Postmoderne übergetreten ist. Was ihr da nach der Verabschiedung des modernistischen Fortschrittsmythos noch bleibt, ist ein Karussell von Modethemen, das sich Tag für Tag, Kongress für Kongress, Wissenschaftsgeneration für Wissenschaftsgeneration dreht, in immer neuen Farben und Formen - bezaubernd und entzückend - und doch immer dasselbe Karussell bleibt. Weil es gerade so schön ist, mag auch niemand absteigen“ (zitiert nach HINK 2000, S. 24).

Kritisch gegenüber der zumeist theoriearmen Managementlehre und der vorherrschenden Vereinfachungstendenz sozialwissenschaftlicher Forschung beklagt BATE (1997), dem hier auch der Verfasser folgen möchte, die Intoleranz gegenüber komplexer angelegten Organisationsanalysen und den „Sirenengesang der Simplifikateure“ (gemeint sind populistische Management-Bestseller), die vor dem Hintergrund einer Macher-Ideologie ermahnen, alles „einfach zu nehmen“ und die „Technologie des Nächstliegenden“ anzuwenden. Demgegenüber kann zu Recht die Auffassung vertreten werden, dass komplexe Fragestellungen und komplexe Phänomene (gemeint sind hier Organisationen und deren Wandel) auch nur mit Komplexität zu beantworten sind.

Türk (1989) beklagt zudem die zunehmende Tendenz in der Organisationsforschung,

... eine Paradigma-Pluralität zu konstatieren, diese als normal zu bezeichnen und allen Ansätzen (mit geringen Einschränkungen) das gleiche Recht, die gleiche Geltung zuzumessen“ (TÜRK 1989, S. 21).

Andere Autoren wie Jackson & Carter (1991) begrüßen jedoch das Nebeneinander von Paradigmen als Wert an sich, weil es die Vielfalt wissenschaftlichen Denkens erhalte und folgen der Forderung nach weiterer Pluralisierung. Eine polare Gegenüberstellung grundlegend verschiedener Ansätze bietet, auch wenn es hierbei zu künstlich aufgebauten Widersprüchen kommen kann, zudem die Chance, die Forschung insgesamt weiterzubringen.

Die Grenzen zwischen organisationstheoretischen Ansätzen und normativen, theoriearmen Managementansätzen scheinen aber insgesamt zunehmend zu verschwimmen. Dies kann als Gegenbewegung zu der ebenfalls beklagten, immer unüberbrückbarer werdenden Kluft zwischen einer mit den Praxisanforderungen kaum mehr Schritt haltenden Theoriebildung verstanden werden.

Die insbesondere anfänglich mit der Anwendung der Systemtheorie auf Organisationen verbundene Hoffnung auf eine Mega-Theorie der Organisation bzw. ein einheitliches Forschungsmodell hat sich bisher jedenfalls nicht erfüllt und muss, folgt man den Postmoderne-Positionen der wissenschaftstheoretischen Diskussion, auch in Zukunft unerfüllt bleiben. Unterschiedliche Theorien können in der Regel nicht immer nur unterschiedliche Ausschnitte des komplexen Organisationsphänomens einfangen (während anderes ausgeblendet wird oder zumindest unterbelichtet bleibt): Die betrachteten Ausschnitte der Realität sind selbst wiederum nur konstruierte Wirklichkeit ohne Anspruch auf eine Form von Objektivität.

Will die Wissenschaft das Feld der Praxis aber nicht völlig aufgeben oder sich selbst überlassen, lohnt ein theorieintegrierendes Vorgehen, das als Gegengewicht zur Tendenz der ständigen Ausdifferenzierung und Isolierung organisationstheoretischer Perspektiven die Lücken einzelner Theorien überwinden und die Erklärungsbreite und Erklärungstiefe von Einzeltheorien vergrößern kann (vgl. Hink 2001). Nicht zuletzt sollten der Organisationspraxis aber seitens der Wissenschaft handlungsorientierende Systeme zur Bewältigung ihrer Herausforderungen unter zunehmend komplexeren Rahmen- und Umweltbedingungen zur Verfügung gestellt werden.

Die in diesem Kapitel dargestellten Betrachtungsperspektiven können ein wenig zur Klärung des eigenen Wahrnehmungsstandpunktes beitragen. Weitere Betrachtungen speziell für einen kritisch-reflexiven Umgang mit verschiedenen organisationstheoretischen Ansätzen liefert insbesondere KIESER (2002, Kap. 1). Für die Beschäftigung mit Organisationen und deren strategischen Wandel sowie dessen Führung lassen sich für den Organisationsforscher zwei wesentliche Fragen formulieren, die über grundlegende Standpunkte gegenüber der Organisationsrealität entscheiden: Welche Organisationsphänomene werden vom Betrachter wahrgenommen bzw. sollen wahrgenommen werden? (Gegenstands- und Beschreibungsebene). Wodurch werden diese Organisationsphänomene geprägt, was ist ihr Kern, ihr Sinn, ihre Ursache, ihr Ziel? (Verständnis- bzw. Erklärungsebene).

Für den weiteren Zusammenhang dieser Arbeit bleibt festzuhalten, dass unterschiedliche Grundauffassungen von Organisation die Vorstellungen über Strategien des Wandels und dessen Führung entscheidend beeinflussen: Die Veränderung von Unternehmen unter dem Blickwinkel der Veränderung einer Maschine bzw. formaler Strukturen und Baupläne ist etwas grundlegend anderes als die Veränderung unter der Perspektive ihrer sozialen Verfasstheit und sozialen Konstruiertheit.

3. Der Wandel von Organisationen

3.1 Überblick

Die zielgerichtete Veränderung von Organisationen (Unternehmenswandel) ist ein Problemfeld, das eine hohe Aktualität besitzt und in der Praxis vor allem unter den modernen Bezeichnungen „Change“ bzw. „Change Management“ große Aufmerksamkeit erfährt.

Trotz wissenschaftlicher Bearbeitung seit über fünfzig Jahren liegt dem Thema aber keine einheitliche theoretische Basis zugrunde (vgl. Brettel et al. 2002) oder fehlt in der normativen Managementliteratur oft gänzlich. Dies kann vor dem Hintergrund der aufgezeigten vielfältigen Entwicklungslinien der Organisationstheorien, die mit der Frage des organisationalen Wandels in direkter Verbindung stehen, auch kaum überraschen. Die Konzeptbildung im Hinblick auf den organisatorischen Wandel ist ebenso uneinheitlich wie die der Organisationstheorien. Die gezielte Veränderung von Organisationen wird unter so verschiedenen Bezeichnungen wie „Change“, „Change Management“, „Cultural Change“, „geplanter Wandel“, „radikaler Wandel“, „organisatorische Transformation“, „Organisationsentwicklung“, „Reorganisation“, „Transition Management“ etc. behandelt.

Im Folgenden geht es darum, eine gewisse Orientierung für das komplexe Phänomen des Wandels von Organisationen bzw. den Unternehmenswandel zu schaffen. Die Bezeichnungen „organisationaler Wandel“ und „Unternehmenswandel“ (sowie deren sprachlichen Surrogate) werden dabei auf Basis des aufgezeigten Verständnisses von Unternehmen als Organisationen synonym verwendet. Ebenso werden die Bezeichnungen „Wandel“ und „Veränderung“, sofern nicht besonders gekennzeichnet, einheitlich verwendet, wobei allerdings „Wandel“ als qualitative Veränderung der inhaltlich führende Begriff sein soll. Die Bezeichnung „Entwicklung“ wird zur Bezeichnung der Gerichtetheit einer Veränderung zu einem differenzierteren Niveau eines Ausgangszustands benutzt.

Bereits die Bezeichnungen „Wandel“ bzw. „Veränderung“ sind als Verbalsubstantive begrifflich mehrdeutig, das sie sowohl das Ergebnis eines Prozesses als auch den Prozess selbst bezeichnen. Zudem kann Wandel bzw. Veränderung als Geschehen und als Handlung verstanden werden.

„Wandel“ kann allgemein als Wechsel oder Übergang von einem Zustand in einen anderen charakterisiert werden. Auch in Anwendung auf Organisationen bleibt dieser Begriff aber zunächst recht abstrakt und bedarf der weiteren Differenzierung.

Wesentlicher erscheint die bereits getroffene Unterscheidung von „Wandel als Geschehen“ (nichtintentional) und „Wandel als Handlung“ (intentional). Dem Wandel als Geschehen fehlt im Gegensatz zum Wandel als Handlung (wandeln, verändern, entwickeln) das Merkmal der Zielgerichtetheit als subjektive Dimension. Wandel als Geschehen folgt einer eigenen objektiven Entwicklungs- bzw. Veränderungslogik, die subjektiv Sinn machen kann, aber kein nur subjektiv zu definierendes Ziel verfolgt. Davon weiter abzugrenzen ist der Wandel als Prozess. Der Wandlungs- bzw. Veränderungsprozess kann intentional als Prozesshandeln oder nichtintentional als Prozessgeschehen erfolgen.

Auf der (Klassifikations-)Ebene der Intentionalität kann also auf der einen Seite zwischen Wandel, der nicht zielgerichtet (nicht geplant, beabsichtigt etc.) bzw. natürlich und spontan ist und zielgerichtetem (geplantem, strategischem, etc.) Wandel auf der anderen Seite unterschieden werden werden. Gleichzeitig kann geplanter Wandel aber auch nicht beabsichtigte Wirkungen entfalten. Die ursprünglich als Reform intendierten und in einem radikalem Umbruch bzw. dem Zerfall endenden Veränderungen der ehemaligen Sowjetunion können hierfür als markantes Beispiel dienen.

Unternehmenswandel als natürlicher bzw. nichtgeplanter Wandel bezeichnet all jene Veränderungen der Organisation, die sich ohne bewussten sozialen Eingriff und von der Organisation unbeeinflussbar vollziehen bzw. als solche geschehen (als Nebenprodukt vieler nicht abgestimmter Alltagshandlungen wie ungesteuerten Lernprozessen, natürliches Ausscheiden von Mitarbeitern, Veralten von Denk- und Handlungsweisen oder Produkten in Relation zu einer nicht beeinflussbaren dynamischen Umwelt etc.).

Das was für die Organisation selbst natürlichen Wandel darstellt, kann allerdings auf anderer Betrachtungsebene durchaus geplanten Charakter haben. Beispiel: Ein Mitarbeiter verändert sich aufgrund einer privat motivierten Ausbildung, wodurch sich auch das Bildungsspektrum der Organisation ändert, deren Mitarbeiter er ist, ohne jedoch dass die Organisation diese Veränderung in irgendeiner Weise geplant hat.

Das Wissen um den natürlichen Wandel bzw. den Prozess der ungeplanten Entwicklung von Organisationen, das auch einen wichtigen Rahmen für den geplanten bzw. strategischen Unternehmenswandel darstellen könnte, ist bisher allerdings recht rudimentär (vgl. BATE 1997).

Es ist also davon auszugehen, dass Organisation sich als menschliche Schöpfungen bzw. soziale Systeme und insbesondere auf informaler Ebene auch ohne gezielte Eingriffe auf formaler und informaler Ebene in der Zeit in gewissem Maße fortlaufend verändern. Im Gegenteil kann sogar davon ausgegangen werden, dass informale Veränderungen größtenteils unbemerkt bzw. hinter dem Rücken der Akteure stattfinden. Und dies oft eher trotz als aufgrund eines formalen Programms mit dem Anspruch, die Änderung von Denk- oder Handlungsmustern der Organisation zu „managen“ (vgl. Hennestad 1991).

Der geplante Wandel von Unternehmen, um den es im Rahmen dieser Arbeit gehen soll, lässt sich als gezielter Eingriff charakterisieren, mit dem beabsichtigt wird, bestimmte Aspekte des Unternehmens in bestimmten Umfang in eine bestimmte Richtung zu verändern. Diese Form des Unternehmenswandels kann auch als strategisch bezeichnet werden, bzw. diesbezüglich von Strategien des Wandels gesprochen werden. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass Wandelprozesse von Unternehmen in der Praxis in der Regel selten wie zunächst geplant, bzw. ganz im Sinne der beabsichtigten Tendenz ablaufen. Es sind also immer nur Mischformen aus geplantem und ungeplantem Wandel vorfindbar; zudem ist der natürliche Wandel von Unternehmen ein den geplanten Wandel fortlaufend begleitender Prozess.

In Zusammenhang mit der Intentionalität bzw. der Planung des Unternehmenswandels steht die Frage, ob der neue Organisationsentwurf induktiv orientiert ist, d. h. an bestehenden Ideen und Erfahrungen anknüpft oder stark von neuen Ideen oder Visionen geprägt ist, also eher deduktiv orientiert ist.

Damit ist bereits die weitere Frage nach der Stärke des Wandels tangiert, bzw. die Frage nach der Entwicklungslogik des Wandels.

In Anlehnung an Watzlawick (1974) lässt sich zwischen Wandel erster Ordnung und Wandel zweiter Ordnung unterscheiden, bzw. zwischen einfachem und fundamentalem Wandel (vgl. Schuster 2000). Veränderungen erster Ordnung lassen sich als Wachstum und Entwicklung innerhalb der gleichen Form beschreiben. Einfacher Wandel vollzieht sich also in der Logik der bestehenden Organisation. Änderung zweiter Ordnung bedeutet, dass eine grundsätzliche neue Organisationsform entsteht (Transformation). Wandel erster Ordnung vollzieht sich kontinuierlich, evolutionär. Wandel zweiter Ordnung zeichnet sich hingegen durch Diskontinuitäten und Brüche mit der bestehenden Organisationsform aus.

Womit beschäftigt sich nun genauer die Forschung zum organisationalen Wandel, was ist ihr Gegenstandstandsbereich? Grob gesprochen stellt sich für die Forschung die Frage nach dem Inhalt bzw. Umfang, der Dynamik und dem Prozess des Wandels. Hinsichtlich der betrachteten Inhalte des Wandels kann zwischen dem Umfang des Wandels und der Systemebene des Wandels unterschieden werden. Umfang des Wandels lässt sich weiter differenzieren in seine Reichweite, Reichhaltigkeit und Strukturiertheit (vgl. Schuster 2000). Reichweite beschreibt den Umfang der vom organisatorischen Wandel betroffenen Organisationsebenen (Mikro-/ Meso-/ Makroebene). Organisatorische Veränderungen können Teileinheiten einer Organisation, eine gesamte Organisation oder aber auch Populationen von Organisationen (z. B. Branchen, Regionen) betreffen. Reichhaltigkeit meint die Zahl der vom Wandel betroffenen Aspekte einer Organisation (strukturelle, technologische, prozessuale, kulturelle etc.).

Die Reichhaltigkeit des Wandels im Rahmen der Einführung neuer EDV-Systeme ist erwartbar geringer als im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung einer Organisation von einem Produktionsunternehmen zu einem Dienstleistungsunternehmen. Strukturiertheit meint die Vernetzungsdichte der einzelnen vom Wandel betroffenen Aspekte im Hinblick auf ihre Reichweite und Reichhaltigkeit. Organisatorische Veränderungen können vergleichsweise klar abgrenzbar sein (z. B. Zusammenlegung oder Outsourcing einzelner Abteilungen bzw. einzelner Arbeitsschritte).

Es ist aber auch denkbar, dass diese eine ganze Organisation erfassen (z. B. wenn es um Veränderungen der Organisationskultur geht).

Insbesondere die Frage nach der Systemebene des Wandels (woran setzt der Wandel an?) macht auf unterschiedliche (organisations-)theoretische Zugänge zu unterschiedlichen Phänomenen des Unternehmenswandels aufmerksam.

3.2 Theorien des Wandels

Wie im Bereich der Organisationstheorien existieren auch für das Phänomen organisationalen Wandels eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge und Perspektiven, die im Folgenden grob zu strukturieren versucht werden sollen. Damit soll eine weitere Annäherung an das Thema Strategie und Führung des Wandels von Organisationen als soziale Einheiten erreicht werden. Implizit oder explizit liegt jeder Veränderungstheorie also eine Ordnungstheorie zugrunde, d. h. eine Vorstellung davon, was den gegenwärtigen Zustand der Organisation aufrechterhält.

Angelehnt an die klassische Organisationstheorie und ihr Leitbild der „Organisation als Maschine“ kann deren Wandel etwa ausschließlich unter äußeren, beobachtbaren formalen bzw. strukturellen Gesichtspunkten, wie z. B. der Veränderung des Organigramms oder der Veränderung formaler Ablaufregeln, betrachtet werden. Organisationaler Wandel stellt hier die rationale Planung von Veränderungen und deren technische Umsetzung bzw. Anordnung dar. Andere Aspekte wie z. B. die Bedeutung von Machtverhältnissen, Interessenpluralismus oder weitere soziale und auch psychische Faktoren im Rahmen von Veränderungsprozessen bleiben in einem solchen Bezugsrahmen weitgehend unberücksichtigt. Letztlich haben traditionelle Organisationstheorien das Thema Veränderung als eigenständiges und prozessuales Phänomen nicht thematisiert. Für Organisationen gibt es in diesen Konzepten einen „one best way“, den es zu identifizieren und zu beschließen gilt. Die Veränderung des Bauplans ist bereits die Veränderung. Stillschweigend wird dabei davon ausgegangen, dass dann auch so wie (oben) beschlossen (unten) gehandelt wird. Strategische Veränderungen einer Organisation beruhen hier auf einem rational-linearen Entscheidungsprozess:

Veränderung einer Organisation - unabhängig auf welcher Ebene und welchen Umfangs - sind im Lichte dieses Ansatzes ein planerisches Problem, in deren Zentrum die Auswahl der besten Entscheidungsalternative bzw. die Auswahl der optimalen organisatorischen Lösung auf Basis des vorhandenen Wissens steht. Wandel ist Ergebnis, kein Prozess. Die Umsetzung in die Praxis wird lediglich als Frage der korrekten Anweisung und nicht weiter als Problem betrachtet. Die Leitformel lautet: Verändern = Planen (und Anordnen). Organisationale Veränderung wird grundsätzlich als „machbar“ angesehen.

Die Realität des Unternehmenswandels sieht allerdings deutlich anders aus:

„Dieses Modell, das den gesamten Wandelprozess, und zwar sowohl das Finden der Lösung als auch ihre Realisierung, als reines Planungsproblem definiert, erwies sich indessen oft als pure Illusion. Immer wieder zeigte sich dasselbe Bild: Der Wandelprozess schleppt sich dahin, die Organisationsmitglieder widerstreben der neuen Lösung, vieles Unvorhergesehene ereignet sich und lässt Umstellungspläne zur Makulatur werden, die alte Routine erdrückt die gewünschten Veränderungen...“ (SCHREYÖGG 1999, S. 483).

Die Praxis geplanten organisationalen Wandels stand damit immer deutlicher vor einem „Implementierungsproblem“ (Reiss 1995). Humanorientierte Ansätze haben in der Folge die Sichtweise für informale bzw. implizite, soziale und personelle Aspekte von Organisationen und deren Wandel geöffnet. French & Bell (1977) haben in diesem Zusammenhang die Metapher des „Eisbergs“ geprägt, nach der - analog einem Eisberg im Meer - nur ein kleiner Teil von Organisationen in Gestalt formaler Aspekte (wie z .B. Organigramm, Stellenbeschreibungen, Aufgabendefinitionen) sichtbar ist. Der größere und der das organisationale Geschehen dominierende Teil setzt sich hingegen aus informalen Aspekten - wie z. B. bestimmten Werten oder Grundannahmen - zusammen, die nicht ohne weiteres erkennbar sind und sich unterhalb der formalen Organisation (bzw. der Ebene der sichtbaren „Artefakte und Schöpfungen“) befinden (vgl. Schein 1985).

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch zwischen der Oberflächenstruktur und der Tiefenstruktur (bzw. den „heimlichen Spielregeln“) von Organisationen differenziert. Vergleichbar mit dem Symptom-Verständnis tiefenpsychologischer oder systemtheoretischer Ansätze auf personaler Ebene, werden sichtbare Äußerungen und Verhaltensweisen von Organisationen wesentlich als von informellen, unsichtbaren vor- und unbewussten bzw. tiefer liegenden Kräften beeinflusst verstanden.

Entscheidende Impulse in dieser letztgenannten Richtung kamen von psychologischer Seite aus der Übertragung der Erkenntnisse systemischer Familientherapie auf Organisationen und deren Wandelprobleme. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass jede Organisation im Laufe der Zeit Handlungsweisen herausbildet, die sich schließlich neben der offiziellen (formalen) Organisationsstruktur - quasi „hinter den Kulissen der Organisation“ (SELVINI PALAZZOLI et al. 1988) - zu einem organisationsspezifischen inoffiziellen (informalen) Muster von Regeln verdichtet, das die Kommunikation und Handlungsweise der Organisationsmitglieder fortan stark beeinflusst und von außen zunächst nur schwer zu erkennen und zu verstehen ist.

Solche Muster können pathologischen oder paradoxen Charakter gewinnen, indem sich im Hinblick auf die offiziellen Ziele der Organisation dysfunktionale Handlungsweisen ausbilden bzw. anders gehandelt als offiziell bekundet wird (Verschleppung von Veränderungsvorhaben etc.). In diesem Zusammenhang wird auch die Bezeichnung der „Organisationspathologie“ angewendet, die sich in Form von dysfunktionalen, nicht-rationalen Denk- und Verhaltensweisen von Organisationen zeigen (massiver Verlust von Umweltbezügen etc.). Im Rahmen einer auf diesem Ansatz aufbauenden organisatorischen Entwicklungsberatung wird das Erkennen und Aufweichen von Tiefenregeln bzw. des alten Regelsystems mittels systemischer Interventionstechniken wie „paradoxer Intervention“ (Kurzerklärung: Eine „Symptomverschreibung“ soll zur Aufgabe des Symptoms bzw. der zugrunde liegenden „Trotzhaltung“ führen) von entscheidender Bedeutung für einen Systemwandel angesehen (vgl. SELVINI PALAZZOLI et al. 1985).

Am Vorbild klassischer Persönlichkeitsstörungen orientiert sich - unter Annahme, dass zentrale Führungspersonen die Kultur einer Unternehmung sehr stark prägendie Unternehmens-Typologie von Kets de Vries und Miller (1986). Hier werden paranoide, zwanghafte, dramatische (hysterische), depressive und schizoide Organisationstypen unterschieden, die im Hinblick auf das kulturell geprägte Organisationsebenen-Modell von Schein (1985) auf der Ebene der „Basisannahmen“ bzw. Weltanschauungen anzusiedeln sind. Auch hier wird nicht die Oberfläche formaler Strukturen bzw. sichtbarer Ausdruckssysteme, sondern die psychosoziale Ebene unsichtbarer und oft unbewusster individueller, insbesondere aber kollektiver Denk-, Handlungs- und Erlebenswelten innerhalb der Organisation untersucht - bevorzugt mittels der Methoden der qualitativen bzw. ethnographischen Sozialforschung.

Wesentlich ist hier festzuhalten, dass sich die humanorientierte Forschung zum organisationalen Wandel im letztgenannten Verständniszusammenhang mit der Veränderung unsichtbarer sozialer bzw. kultureller Konstruktionen bzw. der „Tiefenstruktur“ von Organisationen beschäftigt, also mit so genannten „weichen“ Faktoren. Abzugrenzen sind hier die „harten“ Faktoren, wie formale bzw. strukturelle Aspekte von Organisationen. Behavioristische Modelle innerhalb der humanorientierten Betrachtungsweise von Organisationen beschäftigen sich hingegen stärker mit dem unmittelbar beobachtbaren Verhalten.

Insgesamt haben viele Organisationsansätze „Veränderung“ bzw. „Wandel“ lediglich als zusätzliche Variable in ihre - ansonsten am Leitbild der Stabilität orientierten - Modelle eingearbeitet. Erst die neuere Organisations- und Managementforschung hat die Frage des organisationalen Wandels gänzlich in den Mittelpunkt ihres Interesses gestellt.

3.2.1 Wandel als Lernen, Evolution, Entwicklung, Transformation

Klimecki & Thomae (1997) unterscheiden in Anlehnung an Türk (1989) drei grundlegende Perspektiven bzw. Modelle organisationalen Wandels: Wandel als Lernen, Evolution und Entwicklung. Als weitere Perspektive sollte die Perspektive des Wandels als Transformation ergänzt werden, die heute zunehmende Beachtung findet. Im Folgenden werden diese Basismodelle kurz skizziert, da sie als grundlegende Modelle zum Verständnis des Wandels dienen und die Diskussion um mögliche Strategien und die Führung des geplanten Unternehmenswandels wesentlich beeinflussen:

- Lernmodell: Wandel als Lernen (u. a. Konzept der Lernenden Organisation)

Leitidee: Die Organisation und ihre Mitglieder stehen in einem permanenten Lernprozess. Veränderungen als Verbesserung des organisatorischen Verhaltens sind die Folge natürlicher oder gesteuerter Lernprozesse (kontinuierliche Experimentier- und Problemlöseprozesse). Modell des Lernzyklus: Wahrnehmung der richtigen Probleme -> Umsetzung in individuelle Handlungen -> Verankerung in dauerhafte organisatorische Handlungen -> Ziehen der richtigen Schlussfolgerung über Wirksamkeit der Änderung aufgrund von Umweltreaktionen -> (usw.). Modell der Lernebenen / Lernniveaus (in Anlehnung an Wandel erster und zweiter Ordnung): Anpassungslernen („Single-Loop-Lernen“) als Regelkreis-Lernen innerhalb eines festen, selbst nicht hinterfragten Bezugsrahmens, Lernen als Störungskorrektur im Hinblick auf einen definierten Sollzustand. Reflexives Lernen („Double-Loop-Lernen“) als Veränderung des Interpretations- und Handlungskontextes. „Deutero-Lernen“ als Lernen zu Lernen (basierend auf den Erfahrungen des Single-/ Double-Loop-Lernen. Organisationen werden in diesem kognitivistischen Verständnisrahmen als adaptiv rationales System verstanden, es wird also das Zugeständnis eingeschränkter Rationalität gemacht. (vgl. Argyris & Schön 1978, SCHREYÖGG 1999)

- Selektionsmodell: Wandel als Selektion (Evolutionstheoretische Ansätze)

Leitidee: Organisationen sind zu komplex, um durch geplante Eingriffe in einen gewünschten Zustand überführt werden zu können. Nicht rationale Organisationsgestalter, sondern die Auslese durch die Umwelt entscheidet daher letztlich darüber, welche Varianten der Organisation von Nutzen sind bzw. überleben. Intentionale und adaptiv ausgerichtete Eingriffe in die Organisation schaffen lediglich Rahmenbedingungen und organisationale Variationen, die einem umweltabhängigen Selektionsprozess unterliegen. Die nur begrenzt rationalen Organisationsgestalter setzen Änderungsprozesse in Gang, die nur zum Teil kontrollierbar sind. Variationen erhöhen die Erfolgs- und Überlebenschancen, müssen aber gleichzeitig gesteuert werden. Modell eines evolutionären Managements: Manager als Katalysatoren und Kanalisierer potenzieller organisationaler Varietät.

- Entwicklungsmodell: Wandel als kontinuierliche Entwicklung (u. a. Konzept der Organisationsentwicklung)

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832472382
ISBN (Paperback)
9783838672380
DOI
10.3239/9783832472382
Dateigröße
847 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität zu Köln – Psychologie
Erscheinungsdatum
2003 (September)
Note
1,3
Schlagworte
change management veränderungsmanagement führung strategische organisationsentwicklung veränderungsprozess
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Titel: Balanced Change
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