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Szenario-Technik in der Unternehmensplanung

State of the Art

©2003 Diplomarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Für die Unternehmensführung hat die strategische Planung in den letzten Jahren eine herausragende Bedeutung gewonnen und wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur als unentbehrliche, wenn nicht sogar wichtigste Führungsaufgabe des Unternehmens angesehen. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der vorrangige Zweck der strategischen Planung darin besteht, den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu sichern und damit dessen Existenz nachhaltig zu gewährleisten. Hierfür bedarf es der Fixierung von Strategien, welche die Sicherung vorhandener sowie die Identifikation und Erschließung neuer Erfolgs- und Nutzenpotentiale versprechen. Aufgrund der vielfältigen Verflechtungen mit der Umwelt ist es dazu notwendig, die im Unternehmensumfeld liegenden Chancen und Gefahren zu analysieren und mit den unternehmensspezifischen Stärken und Schwächen abzugleichen.
Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben ist die Erarbeitung einer zuverlässigen Informationsbasis unabdingbar. Der Einsatz geeigneter Analyse- und Prognoseverfahren spielt in diesem Zusammenhang eine unverändert zentrale Rolle. Allerdings haben sich die Anforderungen an ein solches Informationssystem massiv gewandelt. Aus der großen Vielzahl von Faktoren, die heute für unternehmerische Entscheidungen relevant sind und den starken Interdependenzen zwischen ihnen, ergibt sich ein hoher Grad an Komplexität. Geschwindigkeit und Stärke von Veränderungen in der Unternehmensumwelt haben stetig zugenommen, mit einer Fortsetzung der Akzeleration in der Zukunft kann gerechnet werden. Plötzliche Strukturbrüche, sogenannte strategische Diskontinuitäten, treten immer häufiger auf und sind in Ausmaß und Anfallszeitpunkt kaum antizipierbar. Sie stellen als externe Schocks oftmals ein erhebliches Risiko für die Unternehmen dar. Zahlreiche Ereignisse der jüngsten Vergangenheit belegen diese Tendenzen eindrucksvoll, beispielhaft sei hier der „11. September“ genannt. Insgesamt hat die Turbulenz, vor allem im Unternehmensumfeld, drastisch zugenommen, die sich ergebende Unsicherheit für die Unternehmensführung ist erheblich gestiegen.
Vor diesem Hintergrund erweisen sich die klassischen Prognoseinstrumente, welche hauptsächlich auf sicheren, quantitativen Daten der Vergangenheit basieren und der Prämisse der Zeitstabilität unterliegen, für die strategische Planung als zunehmend ungeeignet. Vielmehr bedarf es heute eines geeigneten Denkmodells, das für die Abschätzung zukünftiger […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Problemstellung und Vorgehensweise

Für die Unternehmensführung hat die strategische Planung in den letzten Jahren eine herausragende Bedeutung gewonnen[1] und wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur als unentbehrliche, wenn nicht sogar wichtigste Führungsaufgabe des Unternehmens angesehen.[2] Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der vorrangige Zweck der strategischen Planung darin besteht, den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu sichern und damit dessen Existenz nachhaltig zu gewährleisten. Hierfür bedarf es der Fixierung von Strategien, welche die Sicherung vorhandener sowie die Identifikation und Erschließung neuer Erfolgs- und Nutzenpotentiale versprechen.[3]

Aufgrund der vielfältigen Verflechtungen mit der Umwelt ist es dazu notwendig, die im Unternehmensumfeld liegenden Chancen und Gefahren zu analysieren und mit den unternehmensspezifischen Stärken und Schwächen abzugleichen.[4]

Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben ist die Erarbeitung einer zuverlässigen Informationsbasis unabdingbar. Der Einsatz geeigneter Analyse- und Prognose-verfahren spielt in diesem Zusammenhang eine unverändert zentrale Rolle.[5] Allerdings haben sich die Anforderungen an ein solches Informationssystem massiv gewandelt. Aus der großen Vielzahl von Faktoren, die heute für unternehmerische Entscheidungen relevant sind und den starken Interdependenzen zwischen ihnen, ergibt sich ein hoher Grad an Komplexität. Geschwindigkeit und Stärke von Veränderungen in der Unternehmensumwelt haben stetig zugenommen, mit einer Fortsetzung der Akzeleration in der Zukunft kann gerechnet werden.[6] Plötzliche Strukturbrüche, sogenannte strategische Diskontinuitäten, treten immer häufiger auf und sind in Ausmaß und Anfallszeitpunkt kaum antizipierbar. Sie stellen als externe Schocks oftmals ein erhebliches Risiko für die Unternehmen dar. Zahlreiche Ereignisse der jüngsten Vergangenheit belegen diese Tendenzen eindrucksvoll, beispielhaft sei hier der „11. September“ genannt. Insgesamt hat die Turbulenz, vor allem im Unternehmensumfeld, drastisch zugenommen, die sich ergebende Unsicherheit für die Unternehmensführung ist erheblich gestiegen.[7]

Vor diesem Hintergrund erweisen sich die klassischen Prognoseinstrumente, welche hauptsächlich auf sicheren, quantitativen Daten der Vergangenheit basieren und der Prämisse der Zeitstabilität unterliegen, für die strategische Planung als zunehmend ungeeignet.[8] Vielmehr bedarf es heute eines geeigneten Denkmodells, das für die Abschätzung zukünftiger Entwicklungen eine adäquate Grundlage darstellt und sich systematisch mit der Unsicherheit auseinander zu setzen in der Lage ist.[9]

Eine Methode, welche die Komplexität und Dynamik der Entwicklungsprozesse sowie die vielfältigen Wechselwirkungen der darin wirkenden Faktoren von vornherein berücksichtigt, ist die Szenario-Technik. Bereits vom zugrundeliegenden Ansatz her wird eine willkürliche, reduktionistische Betrachtungsweise vermieden, die in der Vergangenheit oftmals Ursache für gravierende strategische Fehleinschätzungen war.[10]

Diese Arbeit will sich mit Wesen und Inhalt, Systematik und Formen der Szenario-Technik[11] nach aktuellem Verständnis von Wissenschaftstheorie und Unternehmens-praxis auseinandersetzen.

Am Beginn der Betrachtung sollen Planung, strategische Planung und Prognostik kurz charakterisiert und deren Problematik dargestellt werden. Daraufhin werden der Szenariobegriff sowie Entwicklung und Wesen der Arbeit mit Szenarien vorgestellt. Es folgt eine Hinführung zur Szenariotechnik, eine Vorstellung verschiedener Szenario-Philosophien und eine Betrachtung sich ergebendender Ansätze. Als Schwerpunkt der Arbeit wird daraufhin der Prozesscharakter der ST entlang eines Beispielschemas erläutert und dargestellt, welche Techniken innerhalb der einzelnen Prozess-Komponenten möglich sind. Es wird sodann ein Überblick über den Anwendungsstand in der Wirtschaftspraxis anhand der Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchungen gegeben. Abschließend werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und ein kurzer Ausblick versucht.

2 Die Unternehmensplanung als Rahmen der Szenario-Technik

2.1 Planungsbegriff und Unternehmensplanung

Planung bedeutet „prospektives Denkhandeln“[12] und ist damit „ein bewusster geistiger Prozess, durch den zukünftiges Geschehen gestaltet werden soll“[13].

In der Literatur besteht weitgehende Einigkeit hinsichtlich der typischen Merkmale der Planung. Üblicherweise ist „Planung“ durch Zukunftsbezogenheit und Rationalität sowie ihren Informations-, Gestaltungs- und Prozesscharakter beschrieben.[14]

Aus der Gesamtheit aller Planungen ergibt sich das Planungssystem, welches in das Führungssystem des Unternehmens eingeordnet wird.[15] Die effiziente Nutzung eines Planungssystems setzt voraus, dass dieses den spezifischen Informationsbedürfnissen des Unternehmens gerecht wird. Je nach Ausgestaltung der formalen, inhaltlichen, organisatorischen und methodischen Gestaltungsparameter lassen sich vielfältige Differenzierungen der Planung finden. Am geläufigsten ist heute die Einteilung nach Planungsebenen.[16] Dabei wird in eine strategische, taktische und operative Ebene unterteilt, die sich jeweils durch ein bestimmtes Eigenschaftsbündel auszeichnen.[17]

Die strategische Planung besitzt eine besondere Bedeutung für diese Arbeit, da sie den Bedingungs-, Anforderungs- und Handlungsrahmen der Szenario-Technik darstellt.

2.2 Strategische Unternehmensplanung und die Bedeutung der Prognostik

Die strategische Planung tritt mit dem Ziel an, die Zukunft möglichst proaktiv, bewusst und vorausschauend zu gestalten, um so die Existenz des Unternehmens nachhaltig zu sichern. Dazu benötigt sie eine Vielzahl zuverlässiger Informationen über die Zukunft, für deren Gewinnung die Verwendung von Prognoseverfahren eine herausragende Rolle einnimmt.[18] Gemäß ihrer Aufgabe, die langfristigen Erfolgspotentiale des Unternehmens zu erschließen und zu verteidigen, arbeitet die strategische Planung mit einem weiten Planungshorizont, der üblicherweise mit 5 bis 10 Jahren angegeben wird.[19] Daraus ergibt sich eine starke Unsicherheit, teilweise sogar Ungewissheit, der zugrundeliegenden Informationen.[20] Ein Großteil der benötigten Daten lässt sich demgemäß nur ordinal oder nominal beschreiben. Aus diesem Grund arbeitet man vorrangig mit qualitativen Informationen auf einem hohem Abstraktionsniveau und sieht sich schlecht strukturierten Problemstellungen gegenüber.[21]

Ausgehend von einem Verständnis des Unternehmens als ein offenes, sozio-technisches System, ist dieses in ein Übersystem, seine Umwelt eingebettet. Mit dieser bestehen vielfältige und wechselseitige Beziehungen.[22] Die konsequente Orientierung an der Umwelt des Unternehmens ist deshalb ein weiteres kennzeichnendes Merkmal der strategischen Planung.[23] Häufig wird in die unternehmensspezifische und die globale Umwelt unterteilt. Erstere besteht dabei aus den Gruppen, mit denen die Unternehmung einen direkten Interaktionsprozess unterhält und auf deren Verhalten sie in Grenzen unmittelbar einzuwirken in der Lage ist. Einflüsse aus der globalen Umwelt sind dagegen indirekter Art und besitzen zumeist den Charakter von deterministischen Rahmenbedingungen. Diese haben in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, gleichzeitig sind die Einwirkungsmöglichkeiten des Unternehmens in diesem Zusammenhang jedoch stark begrenzt oder überhaupt nicht vorhanden.[24]

Die Literatur übt umfassende Kritik an der strategischen Planung. So stellt MINTZBERG gar die Frage, ob die Verbindung der Begriffe „strategisch“ und „Planung“ nicht als ein Oxymoron anzusehen sei.[25]

Dies zeigt, dass die Kritik sich weniger auf die Relevanz der strategischen Planung bezieht, sondern regelmäßig auf ihre Prämissen und Instrumente abzielt. Oft wird dabei die Verwendung klassischer Prognoseinstrumente bemängelt und eine allzu große Prognosegläubigkeit vorgeworfen.[26] Der klassische Prognosebegriff umfasst begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen über den Eintritt oder Nicht-Eintritt zukünftiger Ereignisse. Sie basieren auf Erfahrungen der Vergangenheit und auf Hypothesen, die aus Theorien abgeleitet werden. Diese sollen die historischen Beobachtungen erklären. Grundlegende Voraussetzung für die Durchführung einer Prognose ist die Annahme der Fortgeltung von vermuteten Gesetzmäßigkeiten in der Zukunft. Diese wird als Zeitstabilitätsprämisse bezeichnet.[27]

Zu den traditionellen Verfahren zählen BEA/HAAS Prognosemethoden auf der Basis von Befragungen, Indikatoren, Zeitreihen und ökonometrischen Funktionen.[28]

Die angesprochene Kritik an diesen Methoden wird nachvollziehbar, wenn man anhand der Prognosedefinition deren Eignung als strategisches Informationsinstrument prüft. Grundsätzlich ist es problematisch zu unterstellen, die zugrundegelegten Gesetz-mäßigkeiten würden in der, vor allem langfristigen Zukunft ihre Geltung behalten. Die „Gesetzmäßigkeiten“ selbst stellen größtenteils Vermutungen dar und sind durch stark vereinfachende und zeitlich beschränkte Hypothesen fundiert, die sich zudem auf einem hauptsächlich linearen, eindimensionalen und monokausalen Denken begründen. Auch der starke Vergangenheitsbezug der Inputdaten steht im Widerspruch zum ausgeprägt antizipativen Charakter der strategischen Planung. Darüber hinaus ist die Fähigkeit der quantitativen Verfahren, auch qualitative Informationen verarbeiten zu können, stark beschränkt bzw. überhaupt nicht gegeben. Unsicherheiten können nur im Rahmen mathematischer Fehlerintervalle, Diskontinuitäten dagegen oftmals überhaupt nicht berücksichtigt werden.[29]

Akkurate Ergebnisse können die klassischen Ansätze uneingeschränkt auf einem engen Gebiet der Planung, bei kurzfristigen Problemen mit solider Datenbasis und stabiler Umweltsituation, erzielen. Darüber hinaus bewirken sie aber leicht eine Unterschätzung der Unsicherheit im Gesamtsystem, was dazu führen kann, dass sowohl Risiken als auch Chancen zu spät oder gar nicht erkannt werden.[30] Insgesamt erscheinen die Prämissen der klassischen Prognose hinsichtlich der spezifischen Eigenschaften der strategischen Planung, vor allem aber angesichts der Turbulenzen im heutigen Unternehmensumfeld geradezu antithetisch. Es sind deshalb andere, zeitgemäße Methoden für eine Auseinandersetzung mit der Zukunft erforderlich.[31]

2.3 Paradigmenwechsel als mentale Voraussetzung für die Szenario-Technik

Es genügt nicht, nur innovative Planungsinstrumente zu implementieren. Ein Anwendungserfolg setzt voraus, dass auch die mit der traditionellen Prognostik verbunden Denkmuster aufgeben werden. Stattdessen ist ein Planungsverständnis zu internalisieren, dass dem heutigen Bedingungsrahmen entspricht.[32]

Zunächst ist es notwendig, dass sich Unternehmen von der Vorstellung einer einzigen, exakt voraussagbaren Zukunft lösen und sich stattdessen dem Gedanken einer „multiplen Zukunft“ annähern.[33] Ferner ist ein simplifizierendes Denken in Extremen zu vermeiden, zu dem Menschen in Prognosesituationen häufig tendieren. So wird oftmals angenommen, dass eine erwartete Zukunft entweder sicher eintrifft oder aber so ungewiss ist, dass sich eine Auseinandersetzung mit ihr nicht lohnen würde.[34] Demgegenüber hat die Erfahrung gezeigt, dass die meisten strategischen Entscheidungssituationen zwischen den Extremen liegen.[35] In dieser Spanne künftiger Möglichkeiten lässt sich die Zukunft zwar nicht voraussagen, wohl aber vorausdenken und durchaus durch systematisch erstellte Zukunftsbilder, sogenannte „Szenarien“ sinnvoll beschreiben. Ein entsprechendes Bewusstsein wird als „zukunftsoffenes Denken“ bezeichnet.[36]

Weiterhin sollten Unternehmen anerkennen, dass in einer hochkomplexen Welt die traditionellen „Gesetze“ von Ursache und Wirkung an Bedeutung verlieren. Ferner gilt es, eine einseitige und isolierte Betrachtung von Bereichen, Funktionen und Zielen des Unternehmens zu vermeiden. Vielmehr ist heute die Berücksichtigung von Multi-dimensionalitäten und Interdependenzen unerlässlich. Für die Bearbeitung derartig komplexer Problemphänomene bedarf es einer zusammenhängenden, integrativen Sichtweise, welche unter dem Terminus des „ganzheitlichen, vernetzten Denkens“ bekannt geworden ist.[37]

Da die genannten, heute erforderlichen Prämissen unmittelbar als die charakteristischen Merkmale der ST anzusehen sind, verspricht diese, ein geeignetes Instrument für eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Zukunft zu sein.

3 Szenariobegriff und Grundlagen für die Arbeit mit Szenarien

3.1 Historische Entwicklung von Szenariobegriff und der Arbeit mit Szenarien

Der Begriff „Szenario“ erfreut sich bereits seit einigen Jahren großer Beliebtheit als Modewort. Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass der Begriff semantisch zu verwässern droht.[38] Deshalb soll an dieser Stelle zunächst eine planungsrelevante Abgrenzung des Szenariobegriffs erfolgen und dessen Entwicklung aufgezeigt werden.

Etymologisch ist der Ursprung des Wortes auf das lateinische „szenarium“ oder das griechische „sk­e­­­­ne“ zurückzuführen und bezeichnet in der Theaterwissenschaft den zur Orientierung festgelegten Handlungsablauf eines Stückes, einen Vorgang auf der Bühne oder auch ein Bühnenbild.[39] Im englischen Sprachraum wird dafür der Ausdruck „scenario“ bedeutungsgleich verwendet.[40]

Die erstmalige Verwendung des Begriffs „scenario“ in den Wirtschafts- und Sozial-wissenschaften geht auf KAHN zurück. Dieser beschäftigte sich als Mitarbeiter der RAND CORPORATION, einem vom amerikanischen Verteidigungsministerium gegründetem Institut für Zukunftsforschung, in den 1950er Jahren mit militärstrategischen Planspielen.[41] Ziel der von KAHN angefertigten Studien war es, mögliche zukünftige Umweltsituationen im globalen Rahmen zu explorieren, die als Grundlage für militärische Planungsanstrengungen vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges dienen sollten. Bei der Suche nach einer Bezeichnung der so entwickelten Zukunftsbilder entschied sich KAHN bewusst für den der Theater- und Filmsprache entlehnten Begriff des Szenarios. Mit dieser Analogie intendierte er die Zukunftsbilder hinsichtlich ihrer prognostischen Fähigkeiten zu entidealisieren und mit dem plakativen Hinweis auf das nahegelegene Hollywood auf deren „Drehbuchcharakter“ aufmerksam zu machen.[42] Insofern geht die heute anerkannte Auffassung, dass Szenarios nicht dazu dienen, eine Zukunft sicher vorauszusagen, sondern vielmehr zum Zweck haben, alternative Zukunftssituationen und den Weg dorthin „durchzuspielen“, bereits auf die frühen Arbeiten KAHNs zurück. Die Innovation seines Ansatzes bestand also darin, dass er erstmals die Vorstellung alternativer „Zukünfte“ im Rahmen sogenannter „kanonischer Variationen“ zuließ. Dies wird auch durch die von KAHN und WIENER erstmalig publizierte Definition eines Szenarios als „a hypothetical sequence of events constructed for the purpose of focusing attention on causal processes and decision points“[43] deutlich. Der Ansatz konnte sich weiterhin durch die betont qualitativ-kreative Orientierung von den dominierenden statistisch-mathematisch Prognosemodellen abgrenzen. Mit der Veröffentlichung der Studie „The Year 2000“ erlangte die Arbeit mit Szenarien ab dem Jahr 1967 erstmals breite öffentliche Aufmerksamkeit.[44]

Ab 1971 übertrugen KAHN/WIENER am HUDSON-INSTITUTE ihre bisherigen Erfahrungen auf die Planung einiger Großunternehmen und bildeten für diese mögliche zukünftige Umwelten mit Hilfe des von ihnen entwickelten „scenario writings“ ab.[45] Vor dem Hintergrund schwieriger werdender Kontextbedingungen begannen zur selben Zeit auch die ersten Unternehmen, selbst Szenarien zu erstellen. Neben GENERAL ELECTRIC und LOCKHEED, war es vor allem die ROYAL DUTCH/SHELL GROUP, die sich intensiv mit der ST beschäftigte und sie im Jahr 1973 voll in ihre unternehmensweite Planung integrierte.[46]

Weitere Bekanntheit erlangten FORRESTERS „System Dynamics“ sowie die vom CLUB OF ROME veröffentlichten Weltzukunftsmodelle, die vor allem auf deren Vertreter MEADOWS sowie PESTEL und MESAROVIC zurückgehen. Ebenfalls als Vorläufer der heutigen Szenario-Technik anerkannt, basierten diese Ansätze jedoch ausschließlich auf simulativ generierten, mithin quantitativen Daten.[47]

Parallel entstand in Frankreich eine Denkrichtung, die quantitative und qualitative Elemente miteinander verband. Sie wurde als „Prospective Analysis“ bzw. „La Prospective“ bekannt und in der Verwaltungsplanung eingesetzt. Als ihre wichtigsten Vertreter sind BERGER DUPPERIN, GODET und JOUVENEL zu nennen.[48]

In der Folgezeit waren es vor allem wissenschaftliche Institute (z.B. CENTER FOR FUTURES RESEARCH, SRI INTERNATIONAL) und futurologisch ausgerichtete, wissenschaftsnahe Unternehmensberatungen (z.B. BATELLE, GBN, THE FUTURES GROUP), welche die ST methodisch wesentlich weiterentwickelten und durch Publikationen und Lehrangebote auf sie aufmerksam machten.[49] So ist auch die Literatur, sowohl im englisch- als auch im deutschsprachigen Raum, nahezu ausschließlich von Vertretern der in diesem Abschnitt genannten Institutionen verfasst.

3.2 Szenariobegriff und Denkmodell in der Gegenwart

Ausgehend von der traditionellen Definition KAHN/WIENERs existieren heute zahlreiche weitere in der Literatur, die sich jedoch recht ähnlich sind und auf deren Diskussion deshalb hier verzichtet wird. Generell lassen sich im überwiegenden Teil der Literatur einige charakteristische Merkmale von Szenarien identifizieren, deren Essenz GÖTZE in nachfolgender Definition zusammenfasst, die dieser Arbeit zugrunde gelegt wird: „Ein Szenario

a) stellt ein hypothetisches Zukunftsbild eines sozio-ökonomischen Bereichs und den Entwicklungspfad zu diesem Zukunftsbild dar,
b) gibt in Verbindung mit weiteren Szenarien einen Raum möglicher zukünftiger Entwicklungen des untersuchten Bereiches an,
c) wird systematisch und transparent sowie unter Berücksichtigung der Entwicklungen mehrerer Faktoren und der Zusammenhänge zwischen diesen erarbeitet und ist daher plausibel und widerspruchsfrei,
d) enthält quantitative wie auch qualitative Aussagen, die einen ausformulierten Text bilden und
e) dient der Orientierung über zukünftige Entwicklungen und/oder der Entscheidungsvorbereitung.“[50]

Die Merkmale lassen sich mit Ausnahme von d) anhand des in Abbildung 1 dargestellten „Szenario-Trichters“ visualisieren. Dieser geht im wesentlichen auf Mitarbeiter BATELLE-Institutes in Frankfurt/Genf (GESCHKA, REIBNITZ) zurück und ist in der deutschsprachigen Literatur häufig zu finden. Der Szenario-Trichter dient der Veranschaulichung der Entwicklung eines sozio-ökonomischen Bereiches im Zeitablauf und verdeutlicht zugleich das der Szenario-Technik zugrundeliegende Denkmodell:[51]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der Szenariotrichter

Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Reibnitz, U.v. (1992), S. 27; Geschka, H. (1999), S. 522.

Der Scheitelpunkt des Trichters entspricht der Gegenwart und ist mit t = 0 angegeben. Die heutige Situation an diesem Punkt wird von einer Vielzahl an Faktoren festgeschrieben, die auf das Unternehmen einwirken. Hierbei handelt es sich um die bereits beschriebenen Einflüsse aus spezifischer und allgemeiner Unternehmensumwelt. Die Strukturen der Gegenwart vermögen die nahe Zukunft von zwei bis drei Jahren noch zu determinieren, von operativen Schocks einmal abgesehen. Würden die gegenwärtigen Faktoren und Trends in der Zukunft fortgelten, erhielte man so das Trendszenario „D“.[52] Je weiter man sich bei der Betrachtung vom Anfangszeitpunkt entfernt, desto geringer wird der Einfluss der Gegenwart, der Bereich zukünftiger Möglichkeiten weitet sich gleich einem Trichter zur Zukunft hin aus. Anders ausgedrückt: mit zunehmender Reichweite werden auch Komplexität und Unsicherheit immer umfassender und vielfältiger. So können neue, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abzusehende Faktoren hinzukommen. Des weiteren nimmt die Wahrscheinlichkeit von Diskontinuitäten, also Trendbrüchen oder sogar Trendumkehr der Einflussfaktoren zu. Diese werden vor allem durch das Auftreten von auswirkungsintensiven Störereignissen verursacht. Kommt es nun zu einem solchen Ereignis, lenkt dieses die trendmäßige Entwicklung in eine andere Richtung und es entsteht ein neues Zukunftsbild „B“. Das Unternehmen wird nun im Rahmen einer Gegensteuerungsmaßnahme (Entscheidung) auf das Ereignis reagieren, um den Pfad wieder in die gewünschte Richtung zu steuern, so dass sich ein weiteres Zukunftsbild „C“ ergibt. Auf der Schnittfläche des Trichters befinden sich sämtliche Endzustände der Entwicklungspfade zu einem beliebigen Zeitpunkt t = T und somit alle denkbaren und theoretisch möglichen Zukunftssituationen. Im Rahmen der ST werden nur einige wenige davon als „Szenarien“ beschrieben, da es weder ökonomisch sinnvoll noch logisch plausibel ist, sämtliche denkbare Entwicklungen zu betrachten. Der Trichter wird durch das pessimistischste und das optimistischste Szenario (Extremszenarien „A“ und „E“) nach oben und unten hin begrenzt.[53]

Der didaktische Wert des Trichters besteht darin, anschaulich zu verdeutlichen, dass man von einer einzigen Zukunftsentwicklung nicht ausgehen kann und vielmehr mit mehreren möglichen Zukunftskonstellationen im Rahmen des Möglichkeitenraums rechnen muss. Es ist ferner zu erkennen, dass mit zunehmendem Betrachtungshorizont auch der Alternativenraum größer wird.[54]

4 Begriff und Ansätze der Szenario-Technik

4.1 Begriff der Szenario-Technik und Einordnung in die Planungstheorie

Für die Erstellung von Szenarien haben sich in Deutschland die Begriffe „Szenario-Technik“ oder „Szenario-Analyse“ etabliert. Weiterhin wird von einigen Autoren der Terminus „Szenario-Management“ gebraucht, der die Erweiterung der ST um vor- und nachgelagerte Planungsaktivitäten bezeichnet.[55]

Im angelsächsischen Sprachraum existieren ebenfalls vielfältige Bezeichnungen, die sich in ihrem Bedeutungsinhalt aber deutlicher unterscheiden: „Scenario analysis/ building“ wird der eigentlichen Szenario-Erstellung, also der ST im engeren Sinne gleichgesetzt. „Scenario planning“ stellt eine Kombination aus strategischer Planung und ST dar und ist mit dem „Szenario-Management“ vergleichbar. „Scenario techniques“ bezeichnen die im Rahmen der ST angewandten Instrumente allgemein. Unter „scenario learning“ wird organisationales Lernen auf Basis von Szenarien verstanden. „Scenario/direct writing“ bezeichnen zwei spezielle Erstellungsansätze intuitiver Art. Das gelegentlich gebrauchte „multiple“ soll verdeutlichen, dass mit alternativen Zukünften gearbeitet wird.[56]

[...]


[1] Nach dem „ Management-Tools-Survey“ von BAIN & COMPANY ist die strategische Planung das weltweit am meisten genutzte Führungsinstrument.; Vgl. BAIN & COMPANY (2001), S. 14.

[2] Vgl. Al-Laham, A. (1997), S. 1; Götze, U. (1994), S. 3; Hahn, D. (1999), S. 2; Kreikebaum, H. (1997), S. 28; Porter, M.E. (1995), S. 9.

[3] Vgl. Bea, F.X./Haas, J. (2001), S. 49; Kreikebaum, H. (1997), S. 28.

[4] Vgl. Horváth, P. (2001), S. 192; Steinmann, H./Schreyögg, G. (2000), S. 161.

[5] Vgl. Kreikebaum, H. (1997), S. 30; Welge, M./Al-Laham, A.(2001), S. 289.

[6] Vgl. Buchner, H./Krause, St./Weigand, A. (1998), S. 453; Geschka, H. (1999), S. 518; Kreikebaum, H. (1997), S. 25.

[7] Vgl. Bea, F.X./Haas, J. (2001), S. 9; Staehle, W. (1999), S. 627.

[8] Vgl. Adam, D. (1996), S. 206f; Staehle, W. (1999), S. 639; Welge, M./Al-Laham, A. (2001), S. 294.

[9] Vgl. Makridakis, S.C./ Wheelwright, St.C./Hyndmann, R.J. (1998), S. 452; Ringland, G. (1998), S. 10 Steinmann, H./Schreyögg, G. (2000), S. 160.

[10] Vgl. Eisenführ, F./Weber, M. (1994), S.21f; Hinterhuber, H.H. (1996), S. 215; Porter, M.E. (1995), S. 295; Welge, M./Al-Laham, A. (2001), S. 294.

[11] „Szenario-Technik“ wird nachfolgend mit „ST“ abgekürzt.

[12] Horváth, P. (2001), S. 170.

[13] Küpper, H.U. (2001), S. 64.

[14] Vgl. Hahn, D. (1999b), S. 664; Küpper, H.-U. (2001), S. 64; Homburg, Ch. (2000), S. 3.

[15] Vgl. Horváth, P. (1998), S. 110, 162; Küpper, H.U. (2001), S. 15.

[16] Unter einer „Ebene“ wird ein bestimmtes Eigenschaftenbündel subsumiert, zu dem typischerweise Planungshorizont, -umfang, -gegenstand, Zielorientierung, hierarchische Zuordnung sowie Detailliertheit, Präzision und Differenziertheit gezählt werden.; Vgl. Horváth, P. (2001), S. 189-192.

[17] Vgl. Horváth, P. (2001), S. 189-192.

[18] Vgl. Homburg, Ch. (2000), S. 103; Hungenberg, H. (2002), Sp. 1888ff; Kreikebaum, H. (1997), S. 30; Welge, M./Al-Laham, A. (2001), S. 289.

[19] Vgl. Hinterhuber, H.H. (1996), S.23.

[20] Unsicherheit liegt vor, wenn mindestens subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten über mögliche Zukunftszustände vorliegen. Bei Ungewissheit können keinerlei Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden.; Vgl. Bamberg, G./Coenenberg, A.G. (2000), S. 19.

[21] Vgl. Horváth, P. (2001), S. 191f; Müller-Stewens, G./Lechner, Ch. (2001), S. 76.

[22] Vgl. Horváth, P. (2001), S. 111ff; Staehle, W. (1999), S. 416.

[23] Vgl. Bea, F.X./Haas, J. (2001), S. 49; Steinmann, H./Schreyögg, G. (2000), S. 154.

[24] Vgl. Horváth, P. (2001), S. 383.

[25] Vgl. Mintzberg, H. (1995), S. 7.

[26] Vgl. Adam, D. (1996), S. 206f; Staehle, W. (1999), S. 639; Wack, P. (1995), S. 395; Welge, M./Al-Laham, A. (2001), S. 294; Zerres, M. (1994), S.72.

[27] Vgl. Brockhoff, K. (1997), S. 653ff; Makridakis, S.C./Wheelwright, St.C./Hyndmann, R.J. (1998), S. 9; Streitferdt, L./ Schaefer, Ch. (2002), S. 1563f.

[28] Vgl. Bea, F.X./Haas, J. (2001), S. 268.

[29] Vgl. Bea, F.X./Haas, J. (2001), S. 273f; Götze, U. (1993), S. 34f; Meyer-Schönherr, M. (1992), S. 8.

[30] Vgl. Courtney, H.G./Kirkland, J./Viguerie, P. (2001), S. 5.

[31] Vgl. Geschka, H. (1999), S. 520; Ringland, G. (1998), S. 46f.

[32] Vgl. Reibnitz, U.v. (1992), S. 21; Schoemaker, P.J.H. (1995), S. 429; Wack, P. (1985), S. 150.

[33] Vgl. Fahey, L./Randall, R.M. (1998), S. 14; Gausemeier, J. (1995), S. 15 .

[34] Vgl. Reibnitz, U.v. (1992), S. 27; Ringland, G./Edwards, M/Hammond, L./Heinzen, B./Rendell, A./Sparrow, O./White, E. (1999), S. 404.

[35] Vgl. Courtney, H.G./Kirkland, J./Viguerie, P. (2001), S. 5; Heijden, K.v. (1998), S. 93.

[36] Vgl. Fink, A./Schlake, O./Siebe, A. (2002), S.11f.

[37] Vgl. Gausemeier, J. (1995), S. 13; Probst, G.J.B./Gomez, P. (1999), S. 909.

[38] Vgl. Gausemeier, J./Fink, A./Schlake, O. (1996), S. 95; Geschka, H. (1999), S. 521.

[39] Vgl. Lexikon-Institut Bertelsmann (1994), S. 107.

[40] Vgl. Mißler-Behr, M. (1993), S. 1.

[41] Vgl. Fahey, L./Randall, R.M. (1998), S.17; Ringland, G. (1996), S. 16.

[42] Die RAND CORPORATION hat ihren Sitz im kalifornischen Santa Monica.; Vgl. Schnaars, St. P. (1987), S. 106.

[43] Kahn, H./Wiener, A.J. (1967), S. 6.

[44] Vgl. Lindgren, M./Bandhold, H. (2003), S. 36f; Meyer-Schönherr, M. (1992), S. 21.

[45] Vgl. Meyer-Schönherr, M. (1992), S. 37.

[46] Vgl. Götze, U. (1993), S. 75f; Fahey, L.; Randall, R.M. (1998), S. 17.

[47] Vgl. Geschka, H. (1999), S. 523; Meyer-Schönherr, M. (1992), S. 22.

[48] Vgl. Götze, U. (1993), S. 73.

[49] Vgl. Fahey, L./Randall, R.M (1998), S. 17.

[50] Götze, U. (1993), S. 38f.

[51] Vgl. Geschka, H. (1999), S. 522; Reibnitz, U.v. (1992), S. 27.

[52] Im Beispiel der Abbildung 2 liegt zu Zwecken der Anschaulichkeit ein linearer Trend vor.

[53] Vgl. Götze, U. (1993), S. 39f; Reibnitz, U.v. (1992), S. 26f; Zerres, M. (1994), S. 75.

[54] Vgl. Geschka, H. (1999), S. 522.

[55] Vgl. Fink, A./Schlake, O./Siebe, A. (2002), S. 22; Meyer-Schönherr, M. (1992), S. 20.

[56] Vgl. Lindgren, M./Bandhold, H. (2003), S. 167f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832470753
ISBN (Paperback)
9783838670751
DOI
10.3239/9783832470753
Dateigröße
830 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg – Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Erscheinungsdatum
2003 (August)
Note
2,0
Schlagworte
prognoseverfahren zukunftsforschung strategisches management controlling
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Titel: Szenario-Technik in der Unternehmensplanung
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