Lade Inhalt...

Die Verwendung von berauschenden Substanzen seit dem Altertum im europäischen Kulturkreis

Eine Untersuchung der kulturellen Integration von Rauschmitteln

©2001 Diplomarbeit 162 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Es hat sich ein Wandel abgezeichnet im Umgang mit berauschenden Substanzen. Verwendeten traditionelle Völker noch berauschende Substanzen, um eins zu werden mit der Natur und somit den Göttern näher zukommen, so hat sich dieser sakral – rituelle Transzendenzcharakter des Drogengebrauchs durch geschichtliche Veränderungen (vor allem ab der Neuzeit) in die Suche nach sich selbst, einer individuellen Identität und einer Realität, in der es sich zu leben lohnt, transformiert.
Drogenkonsum und Rausch sind Erfahrungen, die so alt sind wie die Menschheit selbst. Und alle Zivilisationen besaßen ihre besondere Form Transzendenzerlebnisse zu erfahren. Sie betteten den Drogenkonsum und ihre Erfahrungen in Liturgien und Rituale, die immer ihren kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen entsprachen und erreichten dadurch einen ‚Schutz’ vor Missbrauch. Dieser Schutz ist heute nicht mehr gegeben, da sich die Sinnbedeutung des Drogengebrauchs geändert hat. Wenngleich sich unsere heutige Gesellschaft als rauschablehnend bezeichnet, so ist dies nur die halbe Wahrheit. Man vergisst nämlich nur allzu leicht, dass Drogenkonsum und die Suche nach Rausch – ebenso wie auch Bücher lesen, Fernsehen schauen, extrem Sport betreiben usw., Dimensionen verschiedener Realitäten sind, die jedoch gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden; oftmals in die Kategorien ‚gut’ oder ‚schlecht’. Es ist mein Anliegen in dieser Arbeit aufzuzeigen, wie die Menschheit seit ihrer Entstehungsgeschichte mit Drogen umgingen und inwiefern die Entwicklung der Konsumgewohnheiten durch die jeweilige Kultur und ihren gesellschaftlichen Instanzen geprägt beziehungsweise systematisch gesteuert wurde. Weiterhin möchte ich verdeutlichen, dass Rausch, Transzendenzerfahrungen sowie das Bewegen durch verschiede Realitäten ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis ist, welches unbedingt nach Befriedigung verlangt. Erkennt man jenes Streben nach Rausch nicht schon auch bei einem Kind, welches sich die ganze Zeit im Kreise dreht, um eine Art ‚Rausch’ zu erfahren? Die These, die dieser Arbeit zugrunde liegt, lässt sich somit wie folgt formulieren: Das Streben nach Rausch ist ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis und kann daher als anthropologische Konstante aufgefasst werden. Der Umgang mit Drogen aber ist ein Soziokulturhistorisches Phänomen, dessen Verwendungsrahmen von der jeweiligen Gesellschaft oder dem Kulturkreis vorgegeben wird, somit also konstruierten Normen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 7471
Wagner, Thomas: Die Verwendung von berauschenden Substanzen seit dem Altertum im
europäischen Kulturkreis - Eine Untersuchung der kulturellen Integration von
Rauschmitteln
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Universität Erfurt, Universität, Diplomarbeit, 2001
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ...1
2. Beginn des Drogenkonsums ...4
3. Das Streben nach Rausch als anthropologische Konstante ...10
4. Archaische Zeiten und Altertum ...18
4.1
Beispiele für die kulturelle Integration von Rauschmitteln im
Altertum...18
4.1.1 Alkohol... 18
4.1.2 Opium... 25
4.1.3 Cannabis ... 32
4.2
Zusammenfassung: Das Altertum als rauschnahe Epoche ...40
5. Mittelalter...49
5.1
Die Bedeutung von Drogen und Rausch im Mittelalter...49
5.2
Beispiele für die kulturelle Integration von Rauschmitteln im
Mittelalter...51
5.2.1 Alkohol... 51
5.2.2 Opium... 54
5.2.3
Die Flugsalben mittelalterlicher Hexen... 56
5.2.4 Cannabis ... 59
5.3
Zusammenfassung: Das Mittelalter als kulturelles Erbe des
Altertums ...62
6. Neuzeit...64
6.1
Gründe für den Wandel in der Neuzeit ...68
6.1.1
Der aufkommende Protestantismus... 68
6.1.2
Kleiner Exkurs in die Gedankenwelt der Aufklärung ... 70
6.1.3
Die mittelalterlichen Gewürze als Indikator für den neuzeitlichen
Geschmack ... 71
6.2
Die Entstehung von Abhängigkeit und Sucht aus Elend
und Aufklärung ...74
6.3
Beispiele für den Gebrauch von Rauschmitteln in der Neuzeit ...77
6.3.1 Alkohol... 77
6.3.2 Opium... 83
6.3.3 Cannabis ... 88
6.3.4
Kaffee, Tee, Tabak und Coca ­ Die kulturelle Integration
kolonialer Genuss ­ und Rauschmittel in Europa ... 90
6.3.4.1 Kaffee ... 90
6.3.4.2 Tee ... 96
6.3.4.3 Tabak ... 99
6.3.4.4 Coca... 105

6.4
Zusammenfassung: Die Neuzeit als Wendepunkt
gesellschaftlicher Werte ...115
7. Moderne...121
7.1
Die Bewertung des Rausches in der modernen Gesellschaft ...121
7.2
Die aktuelle Drogenpolitik Deutschlands ...124
7.2.1
Entstehung der modernen prohibitiven Drogenpolitik... 124
7.2.2 Das
Betäubungsmittelgesetz
(BtMG)... 125
7.2.3 Gesellschaftliche
Folgen der prohibitiven Drogenpolitik ... 127
7.2.4
Der liberale Ansatz als Ausgangspunkt einer akzeptanzorientierten
Drogenpolitik ­ eine Alternative zur prohibitiven Drogenpolitik? .. 131
7.3
Psychobiologische Grundlagen im Zusammenhang mit Drogen,
Rausch, Sucht und Gesellschaft ...134
7.4
Die moderne Leistungs-, Konsum- und Suchtgesellschaft ...138
8. Fazit ...142
9. Literaturverzeichnis ...151

1
1. Einleitung
Es hat sich ein Wandel abgezeichnet im Umgang mit berauschenden Substanzen.
Verwendeten traditionelle Völker noch berauschende Substanzen, um eins zu werden
mit der Natur und somit den Göttern näher zukommen, so hat sich dieser sakral ­
rituelle Transzendenzcharakter des Drogengebrauchs durch geschichtliche
Veränderungen (vor allem ab der Neuzeit) in die Suche nach sich selbst, einer
individuellen Identität und einer Realität, in der es sich zu leben lohnt, transformiert.
Drogenkonsum und Rausch sind Erfahrungen, die so alt sind wie die Menschheit
selbst. Und alle Zivilisationen besaßen ihre besondere Form Transzendenzerlebnisse
zu erfahren. Sie betteten den Drogenkonsum und ihre Erfahrungen in Liturgien und
Rituale, die immer ihren kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen entsprachen
und erreichten dadurch einen ,Schutz' vor Missbrauch. Dieser Schutz ist heute nicht
mehr gegeben, da sich die Sinnbedeutung des Drogengebrauchs geändert hat.
Wenngleich sich unsere heutige Gesellschaft als rauschablehnend bezeichnet, so ist
dies nur die halbe Wahrheit. Man vergisst nämlich nur allzu leicht, dass
Drogenkonsum und die Suche nach Rausch ­ ebenso wie auch Bücher lesen,
Fernsehen schauen, extrem Sport betreiben usw., Dimensionen verschiedener
Realitäten sind, die jedoch gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden; oftmals
in die Kategorien ,gut' oder ,schlecht'. Es ist mein Anliegen in dieser Arbeit
aufzuzeigen, wie die Menschheit seit ihrer Entstehungsgeschichte mit Drogen
umgingen und inwiefern die Entwicklung der Konsumgewohnheiten durch die
jeweilige Kultur und ihren gesellschaftlichen Instanzen geprägt beziehungsweise
systematisch gesteuert wurde. Weiterhin möchte ich verdeutlichen, dass Rausch,
Transzendenzerfahrungen sowie das Bewegen durch verschiede Realitäten ein dem
Menschen innewohnendes Bedürfnis ist, welches unbedingt nach Befriedigung
verlangt. Erkennt man jenes Streben nach Rausch nicht schon auch bei einem Kind,
welches sich die ganze Zeit im Kreise dreht, um eine Art ,Rausch' zu erfahren? Die
These, die dieser Arbeit zugrunde liegt, lässt sich somit wie folgt formulieren: Das

2
Streben nach Rausch ist ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis und kann
daher als anthropologische Konstante aufgefasst werden. Der Umgang mit Drogen
aber ist ein Soziokulturhistorisches Phänomen, dessen Verwendungsrahmen von der
jeweiligen Gesellschaft oder dem Kulturkreis vorgegeben wird, somit also
konstruierten Normen gesellschaftlicher Wirklichkeiten entspricht.
Diese Arbeit soll aufzeigen, wie und warum bestimmte Völker und Gesellschaften
mit Drogen umgegangen sind und durch welche kulturellen Aspekte jener Umgang
hervorgerufen wurde. Das Wissen, welches sich daraus ergibt, kann im
sozialpädagogischen Kontext dazu verwendet werden Drogenkonsumenten mehr
Verständnis entgegen zu bringen und dadurch einen Anteil in der hilfeleistenden
Arbeit mit Drogensüchtigen bieten. Weiterhin erhält man Kenntnisse und neue Ideen,
wie man dem vermeintlichen ,Drogenproblem' im politischen und gesellschaftlichen
Kontext entgegenwirken könnte. Ebenfalls kann dem Drogenarbeiter die Befähigung
zu Teil kommen, sich nicht allgemeinen gesellschaftlichen Stigmatisierungen zu
unterwerfen, sondern eine eigene Meinung zu bilden, die sich abhebt von der
weitverbreiteten Einstellung, dass Drogenabhängige ,Kranke' seien und somit
gesellschaftliche Einzelfälle in Geschichte, Gegenwart und Zukunft darstellen.
Durch die Methode der Literaturanalyse gelang es mir, Daten über kulturhistorische
Aspekte bezüglich des Umgangs mit Drogen zu systematisieren und diese, aufgrund
der Begrenztheit meines Themas, in geschichtlich - chronologischer Weise
komprimierend zu ordnen. So stehen historische Fakten parallel zu Begründungen,
wie es zu solchen Gebrauchsmustern kam. Diese waren, und sind es auch heute noch,
fast immer mit kulturellen, politischen und religiösen Überzeugungen gekoppelt und
erhalten dadurch ihre spezifische Prägung. In den ersten zwei Kapiteln werden
Thesen vorgestellt, die der Frage nachgehen, wie der Drogenkonsum begann und
warum der Mensch überhaupt ein Bedürfnis nach Rauschzuständen hat.
Anschließend werden die Epochen ­ Altertum, Mittelalter, Neuzeit und Moderne ­
bezüglich ihres Umgangs mit Drogen diskutiert. Jedoch muss ich anmerken, dass
sich der geographische Radius meiner Arbeit bedauerlicherweise auf den
europäischen Kulturkreis reduziert, da die globale Darstellung des Umgangs mit

3
Drogen den Rahmen einer Diplomarbeit sprengen würde. Die Beispiele über die
einzelnen Drogen sind durch ihren gesellschaftlichen Wertigkeitsgrad geordnet und
besitzen allein dadurch schon Aussagekraft (da dem Alkohol im europäischen
Kulturkreis die höchste Wertigkeit zugesprochen wurde und immer noch wird, steht
dieser immer am Anfang der Beispiele). Im Abschnitt der Moderne lasse ich die
Drogenbeispiele außen vor, da sich ihre Verwendung im Sinne der gesellschaftlichen
Einstellung nicht wesentlich von der der Neuzeit unterscheidet. Ich denke aber, dass
durch die Abschnitte der Moderne weitestgehend klar wird, wie der Umgang mit
legalen sowie illegalen Substanzen in der modernen Gesellschaft bewertet wird.
Begriffe wie Drogen, Substanzen, Rauschmittel ... etc. sollen keine definitorischen
Unterschiede verdeutlichen, sondern dienen lediglich der Stilistik und Ästhetik des
sprachlichen Ausdrucks. Ich habe bewusst keine Definitionen über Begriffe wie
Sucht, Rausch oder Drogen in meiner Arbeit verwendet, da die aktuell ­ gültigen
Definitionen nur den Zeitgeist unserer Gegenwart widerspiegelt und somit keine
Aussagekraft in ihrem geschichtlichen Bezugsrahmen besitzen. Hervorhebungen, die
mir wichtig erschienen, sind kursiv geschrieben. Da ich der neuen Rechtschreibregel
noch nicht mächtig bin, bitte ich um Nachsehen der gemischt ­ geschriebenen Form.
Weiterhin habe ich Zitate, in denen die Schreibform keine relevante Aussage besitzt
nach gutdünken in meine umgewandelt (beispielsweise daß in dass, muß in muss
...etc.).
Ich möchte mit dieser Arbeit keineswegs zum Drogenkonsum aufrufen, noch möchte
ich die Gefährlichkeit berauschender Substanzen herabsetzen. Ich hoffe mit dieser
Arbeit einen wissenschaftlichen Beitrag geleistet zu haben, der den Versuch darstellt,
dem Leser gegenwärtige gesellschaftliche Irrtümer und Missverständnisse bezüglich
legalen sowie illegalen Drogenkonsums aufzuzeigen und um ihm dazu zu verhelfen
eine realitätsnahe objektivere Stellung zu dieser Thematik einzunehmen.

4
2. Beginn des Drogenkonsums
Hinweise auf Drogenkonsum lassen sich bis zu ersten historischen Aufzeichnungen
vor circa 6000 Jahren zurückverfolgen, jedoch scheint der Gebrauch von
berauschenden Substanzen die Menschheit seit ihrer Entstehungsgeschichte zu
begleiten. Durch Untersuchungen der sogenannten primitiven Völker entstanden
reichhaltige Kenntnisse über ihre Lebensweise, ihren Drogenkonsum und dem
eventuellen Beginn der Rauschära. ,,Die Buschmänner bereiten ein Gift, mit dem sie
ihre Pfeile salben, aus einer ganz bestimmten Art von Insektenpuppen. Es wirkt
langsam, aber sicher. Das angeschossene Tier wird zunächst sich selbst überlassen,
damit es nicht zu weit fortläuft, und am nächsten Tag ­ die archaischen Jäger sind
unfehlbare Spurenleser ­ aufgesucht". (Schmidtbauer/ vom Scheidt 1996, S. 378).
Wie aber kam es dazu, dass der Mensch herausfand, welche Knollen, Früchte oder
Wurzeln essbar sind? Wie und wann entdeckten die Menschen Pfeilgifte und
berauschende Substanzen? Hat der Mensch das Wissen um berauschende Pflanzen
aus seiner animalischen Zeit ,mitgenommen', oder hat er erst durch seine erworbene
Bewusstheit logische Zusammenhänge erkannt zwischen dem Verzehr ausgewählter
Pflanzen und die daraus resultierenden bewusstseinsverändernden Zustände? Die
Antworten dieser evolutionären Fragen scheinen unbeantwortbar bzw. unbelegbar
aufgrund mangelnder Zeugnisse jener steinzeitlichen Epochen sowie der Unkenntnis
der evolutionären Entwicklung des Menschen, einhergehend mit der Ausformung des
menschlichen Verstandes, welche die Unterscheidung und Abhebung des Menschen
vom Tier einleitete. Die Faktoren, die den Wandel von instinktiv - zu bewusst ­
zielgerichteten Verhaltensweisen veranlassten, liegen genauso im Dunkeln, wie die
geschichtlichen Ereignisse, die vor den historischen Überlieferungen lagen,
vorzüglich die des Rauschmittelkonsums.
Gegenwärtig geht man davon aus, dass unsere menschlichen Vorfahren während der
Evolution 99 Prozent der Zeit als primitive Jäger und Sammler lebten. Die
gegenwärtige physische wie psychische Ausrüstung des Menschen entstand in dieser
Zeit ­ ,,seine Intelligenz ebenso wie seine Neigung, in Gruppen zu leben, sein

5
Mangel an instinktiven Verhaltensweisen wie seine Suche nach transzendenter
Erfahrung." (ebd., S. 378). Für den nomadisierenden Jäger und Sammler, der eng mit
der Natur lebte und praktisch kein Eigentum besaß, war Besitz eine Bürde.
Schmidtbauer/ vom Scheidt schreiben in ihrem Buch, dass die Kenntnis essbarer
Pflanzen eine der wichtigsten Wissensbestandteile zur Sicherung des Überlebens
jener primitiven nomadisierenden Jäger und Sammler war, die durch die
notwendigen Zusammenschlüsse einzelner Individuen in Gemeinschaften von
Generation zu Generation weitergegeben wurde und somit ein immer
breitgefächerteres Wissen entstand. Folglich geht man davon aus, dass die
Kenntnisse um berauschende Pflanzen schrittweise durch probieren, beobachten und
lernen entstanden sind. Behr hingegen legt die Vermutung nahe, dass die Menschen
durch Nachahmung bestimmter Verhaltensmuster aus der Tierwelt lernten, welche
Pflanzen genießbar und/ oder rauscherzeugend sind. (vgl. Behr 1985). So gibt es
beispielsweise Rinder in Mexiko, die sich mit einer bestimmten Pflanze berauschen
und die, wenn man sie nicht wieder entwöhnt, zielgerichtet und rasend die Orte
aufsuchen, wo die Pflanze wächst, gleichgültig ob Hindernisse den Weg versperren.
(vgl. Schmidtbauer/ vom Scheidt 1997, S. 379).
Durch seine Neugier und seinem Wissensdrang motiviert, stieß der Mensch
nichtsdestotrotz eher zufällig, wahrscheinlich oftmals bei der Nahrungssuche, auf
berauschende Substanzen. In jenen archaischen Zeiten muss wohl der Eindruck des
Rausches so unbegreiflich gewesen sein, dass man diesem Zustand etwas göttliches,
unfassbares und übernatürliches zusprach. ,,Der Berauschte fühlte sich den Geistern
oder Göttern nähergebracht, ja er glaubte, mit ihnen sprechen, sie beschwören oder
besänftigen zu können, und betrachtete sich am Ende gar als Vermittler zwischen der
Geisterwelt und den übrigen Menschen." (Baum 1981, S. 10). Dies scheint der
Ausgangspunkt für die rituelle Einnahme von Rauschsubstanzen bei kulturellen
Handlungen und Gebräuchen zu sein, wobei es jedoch unentschieden bleibt, ob
Rauschdrogen nun Beginn oder aber der Anfang vom Ende archaischer Religionen
gewesen sind. Auffallend aber ist, dass sich alle Völker und Rassen ganz bestimmte
Rauschmittel angeeignet haben, welche ihren Lebensbedingungen und den regional
verfügbaren Rauschpflanzen, entsprachen. Sie erkannten auch relativ früh, dass die

6
Einnahme von Drogen den Körper sowie den Geist langfristig verändern sowie den
Tod heraufbeschwören konnten. So entstand ein Wissen um den Zusammenhang von
Rauschdrogen und Gift. In jahrtausendelangem Gebrauch sowie ständige
Bereicherung des Wissens durch die Weitergabe von Erfahrungen in den
Generationszyklen, lernte der Mensch den Umgang mit hochberauschenden Drogen
sowie extrem stark wirkenden Giften und beherrschte diese, indem er sie kulturell
sowie religiös integrierte und dadurch dem Missbrauch entgegenwirkte.
In diesem Sinne haben die Religionen in aller Welt jeweils verschiedene Formen
,anderer' Wirklichkeiten eröffnet. So stand dem ,profanen' Lebensbereich ein
,sakraler' gegenüber, dessen Schwelle übertreten werden musste, um der religiösen
Erfahrung teilhaftig zu werden. Mit Hilfe geregelter Initiationsriten wurde der
Übergang zwischen den Dimensionen vermittelt, um ein Eindringen in die
Geisterwelt überhaupt erst zu ermöglichen. Der Rückweg in die profane Welt verlief
ähnlich: die neu aufgenommenen Kräfte der transzendenten Erfahrungen wurden
langsam abgebaut und durch Gebräuche wie Orakelbefragungen, Opferungen oder
Reinigungsriten eingeleitet. Das Hinein ­ sowie Hinausgelangen aus der sakralen
Welt bedeutete aber auch Gefahr, denn jeder, der die andere Welt gesehen hatte,
konnte bei der Rückkehr in die profane Welt ,zerbrechen'. Das grundlegende Ziel
solcher Erfahrungen bestand für die archaischen Religionen in der Partizipation an
der neuen Bewusstheitsebene. Oftmals wurde der Dimensionsübergang mit
berauschenden Substanzen, vorwiegend mit halluzinogenen Drogen vermittelt, die
häufig selbst als Gott verehrt wurden, jedoch gab es auch Techniken, wie wir sie
auch heute noch kennen, die eine Bewusstseinsveränderung ohne Drogengebrauch
hervorrufen. Meditation, Fasten, Askese, Schlafentzug und Anachoretismus
1
sind
funktionale Äquivalente zum Drogengebrauch und sind auf einen natürlichen
Misszustand zurückzuführen. (vgl. König 1981, S. 16).
Eine andere Annahme über den Beginn der Rauschära ist, dass der Mensch in
prähistorischen Zeiten Verhaltensmuster bestimmter Tiere beobachtete, die
unbekannte Pflanzen fraßen. Ein unbestrittener Beweis dafür scheinen die häufigen
1
Anachoretismus: wochenlange Isolation

7
Selbstmorde der Irokesen ­ Indianer zu sein, die oftmals Schierling für ihr
selbstgewolltes Ableben benutzten. Sie beobachteten das Sterben der Tiere (meistens
Büffel und Rinder), die Cow Bane (lat. Cicuta virosa bzw. deutsch:
Wasserschierling) aßen. Ein weiterer Hinweis scheint die Namensgebung der
Menschen zu sein, die sie bestimmten Pflanzen zuordneten. Siegel schreibt, dass
viele Pflanzen nach ihren offensichtlichen negativen Eigenschaften benannt wurden.
So verursachte beispielsweise Leopard's Bane den Tod der Leoparden, die es fraßen,
Sheep's Bane tötete Schafe und der Fliegenpilz vergiftete Fliegen und andere
Insekten, die sich auf ihm niederließen. Es gibt aber auch Namensgebungen für
Pflanzen, die eine besondere Anziehungskraft auf Tiere ausüben, wie zum Beispiel
die Katzenminze, die von Katzen gierig gefressen wird und die vom Menschen als
Halluzinogen genutzt wird. Die Chinesen verwendeten Hasenlattich als Opiumersatz,
ein Kraut, an dem sich Kaninchen laben um sich zu stimulieren. Ebenfalls ein alter
Volksname für Hanfsamen ist Pigeon Candy, eine Ableitung der stimulierenden
Effekte auf Tauben. Mindestens 47 Drogen soll der Mensch durch Beobachtung und
Nachahmung tierischen Verhaltens entdeckt haben. Angeblich beobachtete circa 900
n. Chr. ein abessinischer Hirte, dass seine Ziegen unnatürlich munter wurden,
nachdem sie die roten Früchte eines unbekannten Baumes, der später Kaffee genannt
werden sollte, verzehrten. Im Jemen bemerkte ein Hirte, dass sich eine Ziege immer
wieder absonderte um sich an einem bestimmten Gewächs zu laben woraufhin es
äußerst belebt schien. Nachdem der Hirte selber davon aß, spürte er neue Kräfte in
sich, trotz des harten Arbeitstages. Mittlerweile ist der Genuss der Quat ­ Blätter in
ganz Jemen verbreitet. Eingeborene Australiens kennen Blätter, die, wenn man sie in
einen See gibt, ganze Fischbestande auslöschen. Ähnlich entdeckten und benutzten
Eingeborene Ostindiens bestimmte Beeren (die Pikrotoxin enthalten), um Fische zu
betäuben und diese zum leichteren Fangen an die Oberfläche zu bringen. Besonders
interessant fand ich bei meiner Literaturrecherche den Mythos der Aborigines, in
dem behauptet wird, der Koala ­ Bär sei ein ,Drogenabhängiger', da er sich nur von
Eukalyptus ernährt, welcher einen narkotischen Effekt hervorruft und lange
Schlafperioden verursacht. Die Eingeborenen benutzen Eukalyptus auch heute noch
zur Linderung und Heilung ihrer Schmerzen und Verwundungen. Als letztes Beispiel
dient die Beobachtung von Packtieren in Peru, die von Cocasträuchen fraßen, da kein

8
anderes Futter vorhanden war. Die Coca ­ Blätter erhielten die Tiere am Leben und
gaben ihnen Kraft. Dies wurde angeblich von den Einwohnern beobachtet und
kopiert. Aufgrund des hohen Vitamingehalts der Coca ­ Pflanze sowie des
Bestandteils des stark aufputschenden Alkaloids Kokain ermöglichte die Pflanze
beispielsweise das Überleben peruanischer Reisender, die wenig zu essen hatten und
über die Bergkämme mussten
2
. (vgl. Siegel 1981, S. 45). Siegel schreibt, dass die
Feldforschungen mit Tieren eine signifikante Korrelation bezüglich menschlicher
und tierischer Verhaltensweisen ergeben hat im Sinne von drogensuchenden sowie
drogenvermeidenden Handlungsweisen. Es scheint relativ gesichert, dass der Mensch
durch Nachahmung tierischer Modellobjekte auf viele Rauschdrogen gestoßen ist;
hinzu kommen wahrscheinlich Erfahrungen durch Selbstexperimente mit bisher
unbekannten Pflanzen von denen der Mensch gelernt hat in einer Weise mit ihnen
umzugehen, also sie zu beherrschen, dass sie an Gefährlichkeit verloren. Vermutlich
geschah dies durch die liturgischen Zeremonien, die offenbar einem Missbrauch
entgegenwirkten.
Schmidtbauer und vom Scheidt geben im Gegensatz der vorangegangenen
Ausführungen an, dass Tiere normalerweise keinen Rausch kennen und diesen auch
nicht zielgerichtet anstreben. Der Grund liegt wohl in der Verschiedenartigkeit der
Wirkung von Rauschsubstanzen in bezug auf Mensch und Tier. Dienen instinktive
Verhaltensmuster beim Tier, welche vom Stammhirn organisiert werden, dem Zweck
des Überlebens und somit der Vermeidung jeglicher Gefahren, erwirbt der Mensch
durch soziales Lernen Kontrollmechanismen
3
, die ebenfalls das Überleben
garantieren sollen, die jedoch auf einer bewussten und nicht mehr instinktiven Ebene
funktionieren. Führt man diesen Gedanken fort, so sieht man, dass Rausch und
Ekstase sowie die Rauschdroge selbst an sozialer Bedeutung gewinnt und in einem
bipolaren Verhältnis dem Menschen gegenüber stehen kann. Der Schamane, der sein
Ich kontrollierend der ,realen' Welt entnimmt, um spirituelle Erfahrung zu machen
und diese in Form religiöser Visionen seinem Stamm weitergibt und somit eine
kulturelle, durch fundiertes Wissen auch sichere Einbettung bestimmter
2
vgl. Kapitel 6.3.4.4
3
Die Kontrollmechanismen beim Menschen lassen sich in der Hirnrinde lokalisieren (vgl.
Schmidtbauer/ vom Scheidt 1997, S. 379)

9
Rauschsubstanzen gewährleistet, so steht auf der anderen Seite der demoralisierte
Süchtige, ,,der soziale Spielregeln verletzt, weil die Droge sein ganzes Wollen
ausfüllt, so dass für andere Absichten kein Platz mehr ist." (Schmidtbauer/ vom
Scheidt 1997, S. 379). Doch gleichgültig, inwiefern sich die sozialen Konstrukte im
Laufe der Evolution sowie in der jüngeren Menschheitsgeschichte modifizierten und
sich somit auch Sinn und Motive des Gebrauchs von Drogen gewandelt haben, steht
immer noch die Frage offen, warum der Mensch seit jeher das Bedürfnis hat, sich der
,objektiven' Welt zu entziehen um Transzendenzzustände zu erleben. An dieser
Stelle möchte auf das Kapitel 2 verweisen, in dem ich versuche dieser Frage auf den
Grund zu gehen.
Trotz verschiedener Annahmen über den Beginn der Rauschzeit verhält es sich so,
dass in den meisten archaischen Kulturen Drogen zur Erreichung von veränderten
Bewusstseinszuständen in einer sozial -, kultur ­ und religiös ­ integrierten Weise
verwendet wurden; drogenfreie Kulturen gehörten zur absoluten Ausnahme. Im
europäischen Kulturkreis verwendete man ebenfalls Drogen in vielfältigen
Ritualisierungen: in kultischem Rahmen den Wein, das Opium sowie Cannabis. Seit
der Kolonialisierung fand auch Kaffe, Tee, Tabak und Coca ein breites
Verwendungsspektrum, worauf ich aber erst in Kapitel 5 eingehen werde.

10
3. Das Streben nach Rausch als anthropologische Konstante
Das individualistische Interesse am Rausch, welches als eine moderne Entwicklung
der westlichen Zivilisation anzusehen ist, kann mit den kollektiven
Transzendenzerfahrungen, die primitive Völker schon lange vor der christlichen
Zeitrechnung machten, gleichgestellt werden. Zwar haben sich aufgrund politischen,
religiösen und ökonomischen Prägungen die sozialen Lebensbedingungen geändert,
doch haben letztendlich alle Rauscherlebnisse ein grundlegendes Motiv: die
Befreiung vom Leiden. (vgl. Kupfer 1996, S. 3). Freud formulierte in seinem Werk
,Das Unbehagen in der Kultur': ,,Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist zu schwer
für uns, es bringt uns zuviel Schmerz, Enttäuschungen, unlösbare Aufgaben. Um es
zu ertragen, können wir Linderungsmittel nicht entbehren. Solcher Mittel gibt es
vielleicht dreierlei: mächtige Ablenkungen, die uns unser Elend geringschätzen
lassen, Ersatzbefriedigungen, die es verringern, Rauschstoffe, die uns für dasselbe
unempfindlich machen." (Freud 1930, S. 22).
In der Evolution kristallisierte sich das menschliche Bewusstsein heraus, welches
sich aus dem Zwang entwickelte, sich in Gruppen zu formieren und zu
kommunizieren, um eine Überlebenschance zu besitzen. Aus dieser Tatsache heraus
sieht sich der Mensch als Krone der Schöpfung, ist aber dennoch von Ängsten
geplagt, die seine Rationalität übersteigen und die er nicht bewusst steuern kann. Als
Individuum ist der Mensch schwach; ohne Schutz, wie Behausung oder Kleider wäre
er nicht lebensfähig; seine Triebe, beispielsweise der Sexualtrieb, verlangen nach
Befriedigung; die Anfälligkeit für Krankheiten machen ihm ständig Sorgen und das
Schlimmste ist wohl das Wissen um die eigene Sterblichkeit sowie der Unkenntnis,
was nach dem Tode passiert und die damit einhergehende Angst, irgendwann im
Nichts zu verschwinden. (vgl. Kupfer 1996, S. 3). Das ,neue' Bewusstsein
,,begünstigte zwar die Eroberung der Umwelt und die Produktion von Werkzeugen,
ließ aber auch quälenden Ängsten Raum, die mit unerbittlicher Folgerichtigkeit aus
der Tatsache entspringen, dass der Mensch, nicht zuletzt durch die Sprache, eine

11
Vergangenheit hat und sich vor der Zukunft fürchten kann." (Schmidtbauer/ vom
Scheidt 1997, S. 381). Diesem Verdruss über die Unvollkommenheit, kann der
Mensch nur entgegenwirken, wenn er sich frei und unsterblich wie ein Gott fühlt.
Um dieses übernatürliche, geistige Gefühl zu erreichen, bedarf es der Flucht aus den
Zwängen der alltäglichen Wirklichkeit. Rauschmittel haben seit jeher dazu gedient,
die Gesetzmäßigkeiten der ,nüchternen' Welt außer Kraft zu setzen, wodurch der
Rausch ­ oftmals auch der Wahnsinn - , vor allem in frühen Zivilisationen, als ein
heiliger Zustand gedeutet wurde. Der Rausch, der fast immer zeitlich begrenzt ist,
entbindet den Konsumenten vorübergehend von seiner Menschlichkeit sowie
Unvollkommenheit und transzendiert ihn zum Göttlichen, um auf einer geistig ­
spirituellen Ebene die Geheimnisse des Universums zu lüften. (vgl. Kupfer 1996, S.
3). Dies ist wohl auch der Grund, warum alle archaischen Religionen tendenziell
seelische Ausnahmezustände befürworteten, die eine Ablösung des Bewusstseins von
der Realität versprachen. Rausch selbst besitzt keine feste Definition und kann in
seiner Auslegung sehr verschiedene Bedeutungen haben, die jedoch in unserer
Gegenwart fast immer mit einem negativen Beigeschmack versehen sind. So gibt es
beispielsweise den Glücksrausch, den Kaufrausch, den Geschwindigkeitsrausch, den
Orgasmus als Sinnesrausch und natürlich den Drogenrausch. Alle Formen der
Berauschung haben aber etwas gemeinsam: sie sind Metaphern, die zum Ausdruck
bringen, ,,dass eine bestimmte Aktion oder Empfindung die Aufmerksamkeit so
fesselt, dass für anderes kein Platz mehr bleibt und die gewöhnlichen Operationen
der Vernunft gleichsam betäubt sind." (Kupfer 1996, S. 3). Die Berauschung kann
soweit gehen, dass wir uns selbst in diesen Momenten vergessen und vollkommen in
dem Gefühl des Wunderbaren aufgehen und diesem unser ganzes Bewusstsein zur
Verfügung stellen, insofern wir es noch realisieren können und nicht nur ganz Gefühl
sind (hier ist als anschauliches Beispiel der sexuelle Orgasmus geeignet, der uns für
einen kurzen Augenblick in solch einen Rausch- beziehungsweise Ekstasezustand zu
führen vermag). Dieser Selbstverlust, der den Menschen von Sorgen, Pflichten,
Ängsten und Beschränkungen entbindet, lässt ihn den Rausch als einen Zustand
wahrnehmen, der Leichtigkeit und Befreiung des Bewusstseins verspricht. Der
Begriff ,Rausch' entzieht sich zwar jeder exakten Definition, beinhaltet jedoch die
Vorstellung einer mysteriösen Kraft, die einen Ansturm vermittelt, in der auch der

12
zeitliche Faktor der Plötzlichkeit eine nähere Bestimmung erfährt sowie die damit
einhergehende Überwältigung und Entrückung des im Bewusstsein verankerten Ichs.
Im Gegensatz dazu steht beispielsweise der englische Begriff ,intoxication', der den
Zustand des Berauschtseins in eine wissenschaftliche Hülle packt und man somit
eine gewisse distanzierte und objektive Position einnimmt, die ein Außenstehen
beziehungsweise unbeteiligtes Beobachten des Geschehens vermittelt. Speziell dem
Begriff des Drogenrausches liegt neben der Überwältigung und des Entrücktseins
auch das visionäre Erleben als ein Phänomen, welches ,,oft als Anschauung des
Paradieses oder der Hölle oder jedenfalls einer gänzlich anderen Welt beschrieben
wurde, die jenseits unserer materiellen Existenz besteht", zugrunde. (ebd., S. 4).
Kupfer fährt fort, dass der äußere Anschein der Wirklichkeit, wie wir sie
wahrnehmen, nicht den einzigen Maßstab zur Beurteilung der Welt beziehungsweise
der vermeintlich objektiven Realität bietet. Kann aber der Rausch eine neue Realität
schaffen, oder sind die Eindrücke die entstehen Trugbilder unserer individuellen
Persönlichkeit? Baudelaire, ein intimer Kenner des Haschischrausches meinte schon
im 19. Jahrhundert, ,,dass die Droge dem Berauschten stets nur Aspekte seiner
eigenen Person in ungewohnter Pointierung vor Augen führen und ihm keinesfalls
etwas völlig Neues eingeben könne." (ebd., S. 5). Dennoch ist die Wahrnehmung
einer veränderten Wirklichkeit ein neues Erleben, welches das Individuum in einen
Sog von nie zuvor da gewesenen Phantasien, Eindrücken,
Bewusstseinsveränderungen und transzendierenden Zuständen schleudert,
gleichgültig wie man es nun formuliert: ob man sich nun tatsächlich durch
Drogenkonsum auf eine höhere geistige und spirituelle Seinsebene begibt, oder
wissenschaftlich ausgedrückt, Schleusen des Unbewussten öffnet und bestimmte
Wahrnehmungsfilter in ihrer Funktionstüchtigkeit, aufgrund neurochemischer
Prozesse im Gehirn, beeinträchtigt. Baudelaire berichtet weiterhin vom
Haschischrausch, dass man sich fühle wie ein Gott, dass intellektuelle
Schwierigkeiten scheinbar mit Leichtigkeit überwunden werden können, dass man
sogar Farben schmecken könne und dass sich manche Berauschte einbilden, ihre
Persönlichkeit löse sich auf und verschmelze mit dem Äußeren
4
. Weiterhin
beschreibt er, wie sich die Dimensionen von Raum und Zeit ins Unendliche dehnen
4
Der psychiatrische Ausdruck dafür ist die Depersonalisation (Anmerkung des Autors)

13
oder sich ganz auflösen bis der Berauschte letztendlich in einer Glückseligkeit,
überwältigt von ekstatischen Glücksgefühlen ausgefüllt ist und oftmals in einen
tiefen Schlaf fällt. Im Rausch findet der Mensch also etwas vor, welches sein
Fassungsvermögen übersteigt, aber dennoch sein eigen ist. Er kann den Zustand nicht
exakt verbalisieren, doch er hat es gefühlt, gesehen und wahrgenommen. Der Rausch
kann ihn ängstigen und sogar erschrecken, aber auf der anderen Seite deckt es auch
die Faszination auf, die dem Rausch obliegt und die den Menschen dazu treibt,
diesem Gefühl seit jeher immer wieder nachzugehen, um der ,profanen' Welt zu
entfliehen. (vgl. Kupfer 1996, S. 7).
Wie das Zitat im Eingang dieses Kapitels zeigt, vermutet auch Freud, dass das
Rauscherleben als ein Zustand gedeutet werden kann, welcher den Menschen von
seinem Leiden befreit und ihm folglicherweise das Gefühl des Glücks verschafft.
Freud jedoch spaltet seine These des Glücksprinzips in eine positive und eine
negative Komponente: einerseits versucht der Mensch Unlustgefühlen zu entfliehen
beziehungsweise ihnen mit Drogen entgegenzuwirken und andererseits versucht der
Mensch dem Lustprinzip zu folgen und verstärkt sein Lustempfinden durch die
Einnahme von Rauschsubstanzen. Die Aussage der negativen Komponente beinhaltet
das Streben nach Glück indem die Unlustvermeidung das Prinzip der gesteigerten
Lust überdeckt und man somit schon Glücksgefühle erhält, wenn man das Leiden
überwinden kann. Das positive Ziel, das der Glückssteigerung, versucht den
Menschen abzuheben von seinen alltäglichen Sorgen und auf eine Ebene zu
befördern, auf der er mit den Objekten der Umwelt verschmelzen kann und somit
dem Gefühl der Ewigkeit, Unbegrenztheit und der Empfindung, welches dem
,Ozeanischen' gleicht, näherzukommen. (vgl. Freud 1930, S. 6). Zwar beschreibt
Freud diese Empfindungen im Zusammenhang mit dem religiösen Glauben als
angebliche Quelle der Religiosität, doch werden wir sehen, dass solche Gefühle auch
analog zu Rausch und Ekstase stehen können.
In der psychoanalytischen Entwicklungslehre vermutet man, dass ein Kind sein Ich
nicht von der Außenwelt abgrenzen kann, somit also Eins mit seiner Umwelt, die
Mutter inbegriffen, ist, welches einem subjektiven Gefühl der Unendlichkeit sowie

14
Ewigkeit entspricht. Im Laufe der frühkindlichen Entwicklung entstehen jedoch
Frustrationen sowie Unlustempfindungen aufgrund der nicht ­ befriedigten
Sehnsüchte und Wünsche; diese werden in die Außenwelt projiziert, womit der
Versuch entsteht, ein schützendes inneres Ich zu entwickeln, ,,dem ein fremdes,
drohendes Draußen gegenübersteht." (Freud 1930, S. 10). Durch Erfahrungen
entsteht aber die Einsicht, dass negative Empfindungen auch von Innen herrühren
sowie Lustempfindungen von Außen ins Ich dringen können. Durch diese
Korrigierung entsteht in der weiteren Entwicklung das Realitätsprinzip, das einen
Menschen dazu befähigt eine Objekt ­ Konstanz aufzubauen, das heißt, der Mensch
lernt, sich selbst von den Objekten der äußeren Welt unterscheiden sowie trennen zu
können. Freud schreibt, dass das Ich ursprünglich ,alles' enthält, jedoch später eine
Außenwelt abspaltet und dass die Summe dieser abgespaltenen sowie inneren Inhalte
jenes allumfassende Gefühl enthält, ,,welches einer innigeren Verbundenheit des Ichs
mit der Umwelt" entspricht. (ebd., S. 11). Dieses an den religiösen Glauben
angelehnte Versprechen der Einswerdung in einem allumfassenden Sinne sowie der
Leidverhütung, verlängert sich im Wirksamkeits- sowie Gefühlsspektrum mit der
Methode der ,Intoxikation'. Freud bezeichnet dieses Vorgehen zur Erreichung von
transzendierenden Glückszuständen die roheste, aber auch die wirksamste Methode
zur Modifizierung psychischer Inhalte, da es ,,die Bedingungen unseres
Empfindungslebens so verändert, dass wir zur Aufnahme von Unlustregungen
untauglich werden." (ebd., S. 27).
,,Die Leistung der Rauschmittel im Kampf um das Glück und zur Fernhaltung des
Elends wird so sehr geschätzt, dass Individuen wie Völker ihnen eine feste Stellung
in ihrer Libidoökonomie eingeräumt haben. Man dankt ihnen nicht nur den
unmittelbaren Lustgewinn, sondern auch ein heiß ersehntes Stück Unabhängigkeit
von der Außenwelt." (ebd., S. 28). Analog dazu beschreibt Freud wie die
Wirklichkeit auch durch die Religiosität, die er dem Massenwahn zuordnet, verzerrt
werden kann. An dieser Stelle laufen die Stränge zusammen und kanalisieren sich im
Prinzip der Lustgewinnung oder der Vermeidung von Unlustzuständen. Die Quelle
des Glaubens, also das Gefühl der Unendlichkeit und des ,Ozeanischen' sowie die
Intoxikation durch Drogen führen nach Freud zu einer infantilen Regression, welches

15
das Ziel der Objektinkonstanz und somit das Gefühl der frühkindlichen Empfindung
des allumfassenden Glücks sowie der absoluten Geborgenheit, bezweckt. (vgl. Freud
1930, S. 18 ff.). Eine Vorbildfunktion für das Glücksstreben liegt im Menschen
selbst verankert, nämlich in der Wechselwirkung des Liebens und Geliebtwerdens.
Um größtmögliche Nähe zum Liebesobjekt zu erhalten, müssen die Psychen der
Liebenden miteinander verschmelzen und Eins werden, was aber durch das
Liebesgefühl automatisch bedingt wird. Somit entsteht ein ,Wir' bei dem die klaren
Grenzen zwischen dem Ich und der Objektwelt (dem Partner) aufgehoben werden.
Gesteigert wird das Empfindungsangebot der Liebe durch die körperliche
Verschmelzung und letztendlich im orgiastischen Höhepunkt, dem Vorbild für
Glücksempfindungen und ekstatischer Objektverschmelzung.
Freuds These des religiösen Infantilismus sowie die durch Drogen induzierte
Regression in frühkindliche Stadien ist zwar stark psychoanalytisch gefärbt, aber
dennoch kann sie Ideen zu Antworten liefern, die die Frage versuchen zu klären,
warum sich der Mensch seit jeher aktiv auf die Suche nach Rausch begibt. Auch die
Verbindung zwischen Religion und Drogen scheint offenkundig zu sein und
bedingen sich gegenseitig, da sie nach Freud, auch wenn es nicht dem äußerlichen
Anschein entspricht, das gleiche Ziel haben: dem Menschen eine Wirklichkeit
präsentieren, in der das Leid keinen Platz mehr hat. Zudem besitzt aber die Droge die
Sonderfunktion, dass sie überdies noch Glücksgefühle und somit Zufriedenheit,
wenigstens im Moment des aktuell erlebten Rausches, auslöst und daher eine
Verführungskraft darstellt, die zu immer weiterem Gebrauch anregt, um effektiv der
Unlust entgegenzuwirken sowie dem Prinzip des Glücks hinterher zueilen.
Bei der Unterteilung des Rausches in Trance und Ekstase begibt man sich auf andere
Ebenen geistiger Seinsformen. Scheerer und Vogt sehen im Rausch eine Vorstufe zur
Ekstase, die aber säkularer als diese ist und nicht im gleichen Ausmaß deren
existentielle Qualitäten besitzt. (Scheerer/ Vogt 1989, S. 10). Beides, Trance und
Ekstase, sind keine scharf definierten Begriffe. Trance kommt vom lateinischen
,transitus' und bringt den Übergang in eine andere Erlebnisform auf den Begriff.
Ekstase wiederum kommt aus dem Griechischen und bezeichnet eine geistige

16
Seinsform des Außer ­ sich ­ seins. Doch beide charakterisieren Zustände, die durch
eine Ablösung der Realitätsorientierung sowie einer stark erhöhten Auto ­ und
Fremdsuggestion und einer extremen Euphorie gekennzeichnet sind. ,,Was den
Rausch seit Menschengedenken zu einem attraktiven, wenn auch geheimnisvollen, in
der Nähe des Übersinnlichen, Göttlichen angesiedelten Zustand überhöhten Erlebens
gemacht hat, ist die Euphorie, die zum typischen Rauschverlauf gehört." (Täschner
zit. in: Scheerer/ Vogt 1989,S. 10). Die Euphorie, die mit Rausch, Trance und
Ekstase einhergeht, wird als intensivstes, unendliches und allumfassendes
Glücksgefühl erlebt, welches oftmals von einer Fülle von Empfindungen und
Einfällen einhergeht, die zur persönlichen wie kulturellen Bereicherung des
Einzelnen wie der Gesellschaft beitragen. Euphorie entsteht vermutlich dadurch, dass
Drogen die hemmende Funktion des Großhirns teilweise oder ganz ausschaltet. Dies
hat zur Folge, dass normale Hemmungen, die dem Menschen auferlegt sind und
oftmals zu negativen Gefühlen wie Unlust oder Niedergeschlagenheit führen,
aufgehoben werden. In der Euphorie kann der Mensch ungehemmt seinen inneren
Regungen folgen und besitzt das Gefühl, dass sein Handeln mit seinem innersten
Wesen in völliger Übereinstimmung harmoniert, wodurch er sich von Sorgen und
Nöten befreit sieht. Euphorische Erlebnisse können zuweilen solche Ausmaße
annehmen, vor allem bei halluzinogenen Drogen, dass alltägliche Gedanken,
Empfindungen und Sorgen völlig verdrängt werden und nicht mehr bewusst
wahrnehmbar, oftmals auch nicht mehr abrufbar sind. Die rauschhafte Euphorie kann
aber auch extrem negative Empfindungen hervorrufen wie Hass, Wut, tiefste
Verzweiflung begleitet von massiven Todeswünschen sowie außerordentliche
Depressionen. Letztendlich hängt dies vom ,Setting', den situativen Faktoren sowie
von der psychischen Verfassung des Konsumenten, ab. Die älteste Möglichkeit solch
einer Euphorie zu verfallen, sind wohl die ritualisierten Tänze, die heutzutage immer
noch in Regionen anzutreffen sind, in denen der Voodoo ­ Kult eine wichtige
kulturelle Stellung einnimmt. Ist das Erreichen des Trancezustandes in den Voodoo ­
Kulten ein kollektiver Rausch, so tritt in schamanistischen Riten nur der Schamane
die Reise in den transzendentalen Zustand an, oftmals mit Hilfe halluzinogener
Wirkstoffe wie beispielsweise psylogene Pilze oder der Saft des Peyote ­ Kaktus,
welchen die Indianer Mittelamerikas nutzten um spirituelle Erfahrungen zu machen.

17
Trancezustände zeigen ihre Wirkung, indem der Schamane erhöhte Muskelstärke,
prophetische Sicht, mystische Erlebnisse und Visionen, demonstriert. ,,In Trance,
Ekstase und wohl auch in jenem Zustand, den die frühen Christen, meinten, wenn sie
sagten: ,,der Geist kam über ihn", wird die in so vielen Religionen verheißene
Erlösung augenblicklich verwirklicht und greifbar ­ ein Vorgeschmack auf die
Erlösung im Jenseits." (Schmidtbauer/ vom Scheidt 1997, S. 382).

18
4. Archaische Zeiten und Altertum
4.1 Beispiele für die kulturelle Integration von Rauschmitteln im
Altertum
4.1.1 Alkohol
Die wichtigste lebenserhaltende Grundbedürfnisbefriedigung von Mensch und Tier
liegt in der Nahrungsaufnahme. Doch nur der Mensch konnte aufgrund seines
,Selbstbewusstseins' sowie seiner in einer Gemeinschaft integrierten Stellung den
Prozess des Essens und Trinkens so modifizieren, dass der ursprüngliche Sinn der
Nahrungsaufnahme immer mehr verwaschen und einer kulturellen Prägung
unterworfen wurde. ,,Wenn die Seele ein Abdruck ist, den die Welt hinterlässt, dann
bildet Essen und Trinken in der Tat eine feste Klammer zwischen Leib und Seele: ein
körperlicher Vorgang, der doch durch und durch kulturell geprägt ist." (Spode 1993,
S. 9). Dies trifft insbesondere auf den Gebrauch des Alkohols zu, welcher
gleichzeitig Nahrungs-, Genuss-, und Rauschmittel ist, weswegen Alkohol eine
Sonderstellung als Rauschmittel einnimmt. Man nimmt an, dass Alkohol die
psychoaktive Substanz ist, die den Menschen schon am längsten begleitet und in
Vergangenheit und Gegenwart die größte Verbreitung fand bzw. findet. Spode
schreibt, dass die Aufnahme vergorener Früchte beziehungsweise Getränke bis in
prähistorische Zeiten zurückreicht und schon damals wie heute universale Trinksitten
ihren Gebrauch bestimmten. Es sind die ,,Gesetze des Zutrinkens und Bescheidtuns:
Trinke bis zum Punkt des Entrücktseins beziehungsweise der Bewusstlosigkeit, lehne
nie einen dargebotenen Trunk ab, trinke immer so viel wie die anderen, sei stark und
beachte die zeremoniellen Formen solange als möglich." (ebd., S. 17). Auch wenn
die extremen Ausmaße archaischer und mittelalterlicher Trinkgewohnheiten nicht
mehr in ihrer Totalität auf unsere übertragbar sind, so lassen sich doch ihre
Grundzüge aufzeigen, nach der sich unsere Trinksitten richten. Die universellen
Gesetze der archaischen Trinkgelage treffen heutzutage eher auf diejenigen zu, die
Alkohol missbräuchlich konsumieren und dadurch einer gesellschaftlichen
Stigmatisierung und Ausgrenzung ausgeliefert sind.

19
Die Anfänge des Alkoholtrinkens, so vermutet man, liegt im biologischen
Naturgesetz verankert, mehr Flüssigkeit zu sich zu nehmen als feste Nahrung. Der
Mensch kann wochenlang überleben, wenn er Flüssigkeit, meist in Form von
Wasser, zu sich nimmt. Hierzu schreiben Paczensky und Dünnebier in ihrem Buch,
dass der Mensch ihren Flüssigkeitsbedarf in erster Linie durch Wasser und Früchte
und sekundär durch feste Nahrung deckten. Nun wurden wahrscheinlich schon am
Anfang der Menschheitsgeschichte gegorene Früchte gegessen, nachgeahmt von der
Tierwelt oder evolutionär bedingt, durch den Übergang von instinktiven zu
bewussten Verhaltensweisen übernommen, die zu einem Rauschzustand führten.
Viele tropische Völker mischten in späteren Epochen wilden Honig in Wasser und
ließen diesen in der Wärme stehen. Mikroorganismen lösen in einem biochemischen
Prozess die Gärung aus und es entsteht der in der Geschichte vielgepriesene Met.
Wenn genug davon getrunken wurde, so entstand ein neues Gefühl: der Rausch.
Diesem sprachen die Völker der meisten Kontinente, außer Nordamerika, etwas
Übernatürliches zu und integrierten den Met und seinen hervorrufenden Rausch in
ihre rituellen und religiösen Kulte. Met wurde den Göttern als Opfergetränk
dargebracht, obgleich in Brasilien, Afrika oder in England. Aber auch die Germanen,
Kelten, Griechen, Römer und die Preußen liebten es und integrierten dieses
alkoholische Getränk in ihre Kultur. In den ältesten Epochen der
Menschheitsgeschichte wurde wohl der Zusammenhang zwischen Rausch und vorher
gegessenen gegorenen Früchten deutlich. So haben alle Völker ihre individuellen
alkoholischen Getränke hergestellt, mit den in ihren Regionen vorkommenden
Früchten. Die Indianer Kanadas gewannen Alkohol aus Ahornsirup, die Mexikaner
aus Agavensaft, Mais und Maniok. Aber auch Beeren, Melonen, Kürbisse, Datteln
und Zuckerrohr fanden Verwendung in der Alkoholherstellung. Es gibt über 200
Pflanzen, die dem Menschen in seiner Geschichte Gärstoffe geliefert haben; und
dadurch, dass die Alkoholgewinnung nicht wie Cannabis- oder Mohnanbau regional
und klimatisch begrenzt ist, sondern durch einen Gärungsprozess gewonnen wird,
der durch fast alle Früchte eingeleitet werden kann, ist die Schlussfolgerung, dass
sich der Alkohol nicht erst verbreiten musste, sondern er musste von den Menschen
entdeckt werden. Der Met besaß über Jahrtausende hinweg die größte Bedeutung

20
unter den alkoholischen Getränken, selbst als die Menschen das Sammlerstadium
verließen und mit der Landwirtschaft und dem Ackerbau begannen. Erst mit Beginn
der systematischen Landwirtschaft, die vermutlich um 7500 v. Chr. begann, bekam
der Met eine ernstzunehmende Konkurrenz, als die Menschen lernten, Gerste und
Weizen sowie Weintrauben anzubauen, um mit diesen Ingredienzien Bier und Wein
herzustellen. Es koexistierten Bier, Wein und Met, doch verschwand der Met immer
mehr. Die Menschen gewöhnten sich immer mehr an nicht ­ süße alkoholische
Getränke und stellten die aufwendige Metherstellung immer mehr ein (vgl.
Paczensky/ Dünnebier 1994, S. 175 f.). Dass in archaischen Zeiten Wein, Bier und
Met religiös, rituell sowie kulturell in die jeweiligen Gesellschaften eingebunden
wurde, zeigen etliche fundierte historische Schriften sowie Zeugnisse jener Zeiten.
Erste schriftliche Aufzeichnungen, die auf die Herstellung von Wein und einem
bierähnlichen Getränk hinweisen, stammen aus der ägyptischen Kultur und werden
auf circa 3000 v. Chr. datiert (vgl. Scheerer/ Vogt 1989, S. 54), wobei Schmidtbauer/
vom Scheidt angeben, dass die Ägypter die Bierbraukunst von den Sumerern, die
offensichtlich schon über tausend Jahre vorher das Bierbrauen und den Weinanbau
entdeckten, übernahmen. (vgl. Schmidtbauer/ vom Scheidt 1997, S. 37). Die
Trinklust der Ägypter beruhte auf rituellen Zwecken, da Rausch und Ekstase ein
religiöser Bestandteil ihrer Kultur wurde. Man geht heute sogar davon aus, dass die
Ägypter und vorher die Sumerer wesentlich mehr Alkohol tranken als die Griechen
oder Römer. Trunkenheit wurde in Ägypten und Mesopotamien aufgrund der religiös
- rituellen Integration in der Gesellschaft nicht negativ bewertet, sondern eher
gefördert, da man annahm, dass sich ein Betrunkener in einem ekstatisch ­ religiösen
Transzendenzzustand befinde. Eine Schrift aus dem 15. vorchristlichen Jahrhundert
beschreibt einen Menschen der rundum glücklich ist als einen Menschen, der den
Mund voll Bier oder Wein habe. Um 1300 v. Chr. stellte Ramses III. während seiner
31- jährigen Regierungszeit 57000 Liter Bier und 36000 Liter Wein zur Verfügung.
Als Gegenpol der Alkohol - Lobpreisungen stand aus dieser Zeit auf dem Grabstein
eines Königs von Memphis: ,,Sein Erdendasein wurde von Wein und Bier zerstört."
(Paczensky/ Dünnebier 1994, S. 176). In China weist ein Dokument, welches um
1000 v. Chr. verfasst wurde, darauf hin, wie man sich bei Zeremonien am Hofe
sittlich zu verhalten habe und enthält unter anderem Vorschriften über Trinksprüche,

21
Segnungen, Formeln und Gesten des Zutrinkens, die man respektvoll zu beachten
hatte.
Das erste europäische Volk, welches den Wein in ihre Kultur und Mythen integrierte,
waren die Griechen. Sie betteten den Alkohol in ihre Riten ein und entwickelten eine
eigene Trinkkultur, die eng mit dem Götterglauben, vorzüglich des Dionysos ­
Kultes
5
, verbunden war. Schriftstücke, die man aus jener Zeit fand, enthielten
erstmalig den Namen des Gottes, den man mit Rausch und Ekstase in Verbindung
brachte: Dionysos. (vgl. Preiser 1981, S. 296). Auch Kupfer schreibt, dass der
Alkohol die wichtigste Droge der Griechen war. In Homers Ilias und Odyssee, den
frühesten schriftlichen Überlieferungen, die um 750 v. Chr. entstanden, spielt der
Wein eine große Rolle, wenngleich sie (die Überlieferungen) noch nicht mit dem
später entstehenden Dionysos ­ Kult in Verbindung gebracht werden können. Die
Funktion, dem der Wein in der griechischen Kultur zugesprochen wurde, reicht vom
Opfertrank über Medizin bis zum Grundnahrungsmittel sowie ,,als Genussmittel und
Medium der Geselligkeit ..." (Kupfer 1996, S. 13). Hesiod bezeichnete (um 700 v.
Chr.) die Trauben zur Weinherstellung als Gaben des Gottes Dionysos und markierte
damit den Auftakt des Dionysos ­ Kultes, dessen Hochphase in archaischen Zeiten
begann und sich bis in die Römerzeit erstreckte, die wiederum Mysterien ­ Kulte
zelebrierten, die dem Gott Bacchus gewidmet waren. Der Wein beziehungsweise der
Rausch wurde vielfach in der griechischen Literatur, in der Kunst sowie in
Komödien gepriesen und verherrlicht, immer im Zusammenhang des Dionysos,
später des Dionysos ­ Kultes. In der Komödie ,Die Weiber des Thesmophorenfest'
(411 v. Chr.) werden die Frauen verspottet, die sich immer wieder heimlich Listen
ausdenken, sich wie ihre Männer zu betrinken. Dies wiederum erscheint ein Hinweis
darauf zu sein, dass der Alkoholgenuss nicht für jeden zugänglich war. Das
Weintrinken war hauptsächlich ein Privileg der Männer, und Frauen sowie Kinder
wurden aus den Trinksitten ausgeschlossen, jedenfalls was die gesellige
Öffentlichkeit anbelangte. Der Philosoph Platon bekundete in seinem literarischen
Werk ,Gesetze' seine Ansicht, dass Männer von 18 bis 30 keinen Alkoholrausch
erfahren und nur mäßig Alkohol trinken sollten. Erst ab dem Alter von 40 Jahren sei
5
Siehe hierzu ebenfalls Kapitel 4.1.2

22
es gutzuheißen, wenn man trinke. Das Buch Platons enthält noch mehr Regeln, an
die man sich beim Alkoholgenuss halten sollte, da diese auf dem Erkenntnisstand der
zeitgenössischen Medizin fußten und Gelehrte, wie Mediziner und Philosophen,
schon relativ früh die toxische Wirkung sowie das Phänomen der Trunksucht bei
übermäßigem Genuss erkannten und davor warnten. (vgl. Kupfer 1996, S. 14).
Hippokrates (4. Jahrhundert v. Chr.) dagegen empfahl seinen Landsmännern sich
durch immensen Alkoholkonsum zum Erbrechen zu bringen, was in vielen
Gesellschaften als ein erstrebenswerter Akt zur Selbstreinigung diente. (vgl.
Paczensky/ Dünnebier 1994, S. 176 f.). Ebenfalls galt es als fein und gesund, Wein
mit Wasser zu vermischen und nur zu oder nach einer Mahlzeit zu konsumieren.
Jedoch war das nur eine Theorie an die sich die Bevölkerung nicht hielt, was
wiederum Bemühungen zeigten, die Trunksucht im 7. und besonders im 5.
vorchristlichen Jahrhundert in Athen einzudämmen. Die Athener jedoch verglichen
sich mit den verbündeten Byzantinern, die die Griechen als versoffen betrachteten
und entwickelten folglich eine Toleranz bezüglich ihrer eigenen Trinkgewohnheiten.
Die Beschreibung eines Schriftstellers soll dies nochmals verdeutlichen: ,,Wie man
sagt, liebten die Byzantiner Wein so leidenschaftlich, dass sie ihre Häuser verließen
und sie an die Fremden vermieteten, die sich in ihrer Stadt niederließen, um sich
selbst in Wirtshäusern einzuquartieren. Sie überließen auch ihre Frauen den Fremden
und begingen also gleichzeitig zwei Verbrechen: Trunkenheit und Prostitution ..."
(Paczensky/ Dünnebier 1994, S. 177). Interessant fand ich in meiner
Literaturrecherche die Typologie der Betrunkenen, die der Philosoph Aristoteles
durch Beobachtung machte: ein vom Wein berauschter Mensch fällt nach vorn aufs
Gesicht, das Bieropfer auf den Rücken. [...] (vgl. Paczensky/ Dünnebier 1994, S.
177). Auch die Römer integrierten, wie die Griechen, den Rausch sowie die
ekstatischen Mysterien - Kulte in ihre Kultur und Mythologie. Bacchus wurde vom
griechischen Gott Dionysos, der der Gott des Weines, des Rausches und der Ekstase
war, abgeleitet. Ihm zu Ehren wurden ausschweifende Feste zelebriert bei denen die
Hauptdroge, jedenfalls meint das Kupfer, der Alkohol war. Wie schon erwähnt,
nahmen die Orgien in der Zeit vom 5. bis 2. Jahrhundert v. Chr. so zu, dass sich die
römische Regierung gezwungen sah, diese bei Androhung der Todesstrafe zu
verbieten. Die Trunksucht höhergestellter römischer Staatsmänner wurde zum

23
wichtigen Angriffspunkt bei politischen Machtkämpfen um die öffentliche Gunst der
jeweiligen Gegner in ein schlechtes Licht zu rücken. So bezichtigte Julius Cäsar
seinen Erzfeind Marcus Porcius Cato der ,ebrietas', und Cicero verurteilte Marcus
Antonius, der sich bei einer Rede vor dem Volk hat übergeben müssen, aufgrund
übermäßigen Alkoholgenusses. Seneca, ein römischer Moralphilosoph, verlangte in
seinen Schriften die sofortige Bloßstellung der Trunkenheit als ,abscheuliches
Laster'. Dagegen riet Horaz, der den Wein in seinen Liedern lobpreiste, dem Dichter
die Zügelung des Alkoholtrinkens. Nichtsdestotrotz ließen sich die Römer von
solchen Warnungen nicht beirren und tranken und verherrlichten weiterhin den Wein
als göttliche Gabe. (vgl. Kupfer 1996, S. 15).
In den indoeuropäischen Kulturen, zu denen unsere Vorfahren, die Germanen,
gehörten, nahm die kollektive Berauschung einen zentralen Stellenwert ein. Die
Römer sahen in den germanischen Völkern umherziehende, unsittliche Barbaren, die
nicht fähig waren sesshaft zu werden beziehungsweise sich zivilisiert zu verhalten.
Und in der Tat galt Sesshaftigkeit sowie Friedfertigkeit bei den Germanen als
Untugend, wohingegen Mut und Freiheitsliebe gefördert und als höchstes Gut
angesehen wurde. Die Römer charakterisierten die Germanen als roh, einfältig,
offenherzig aber auch als freiheitsliebend, wild, leidenschaftlich, impulsiv und die
daraus resultierende Heißblütigkeit; Charakteristika, die wohl heutzutage nicht mehr
auf uns Deutsche, im allgemeinen Sinne, zutreffen. Um 100 v. Chr. machten die
Römer ihre erste Bekanntschaft mit den Germanen, als die Teutonen zusammen mit
Kimbern, Ambronen und Kelten weiter nach Süden vorgedrungen waren. Etwa 200
Jahre später wurde durch die stoische Lebensauffassung der römischen Bevölkerung
eine Umbewertung der Germanen vollzogen. Man suchte nach Tugend und
Natürlichkeit, welche man bei den einstigen als Barbaren titulierten Germanen zu
finden hoffte. Tacitus, ein römischer Gelehrter, der in seinen Schriften über die
Germanen berichtete, bemerkte ironischerweise, dass diese am wenigsten ihren Durst
ertrugen. Weiterhin beschrieb er sie als Menschen, die Nahrung ohne Gewürze oder
Gerätschaften zu sich nahmen, jedoch sehr auf ihre Trinkgefäße und ­ kultur Wert
legten. Schön verzierte Pokale aus Büffelhörnern sowie kunstvoll gefertigte Schalen
aus Silber oder Gold dienten zum Trinken von Met, Bier und seltener dem Genuss

24
des stärker berauschenden Weines. Spode schreibt, dass bei besonderen Feiern die
Hirnschalen erschlagener Feinde dazu dienten, sich die Kraft des Feindes gemischt
mit dem Zaubertrank (gemeint ist der Alkohol, Anmerkung des Autors)
einzuverleiben, um dadurch mehr an Stärke dazuzugewinnen. Bei den Trinkgelagen
blieben Frauen, Kinder und Unfreie ausgeschlossen, da es als verwerflich galt, wenn
diese betrunken waren. Folglich besaßen die Männer die Domäne der ekstatischen
Berauschung, die meistens schon früh morgens begann, bis in die Nacht reichte und
erst endete, als ein tiefer kollektiver Schlaf einsetzte. Während der Mysterien wurde
der kollektive Rausch durch Gesänge und rituelle Schwerttänze verstärkt, um das
Transzendieren in ekstatische Zustände voranzutreiben beziehungsweise zu
beschleunigen. Vermutlich verfolgten die Mysterien das Ziel, alle Beteiligten ,,in
einer Art höherer Individualität zusammenzuschweißen." (Spode 1993, S. 21).
Zusätzlich galt es als ,,Quelle der Erkenntnis" oder ,,Pforte zum Heiligen" (ebd.) und
besaß die Symbolik der Gemeinsamkeit sowie des Friedens aber auch des Wettstreits
und Kampfes. Das Gelage begann mit einer liturgischen Zeremonie, um sich der
Anwesenheit der Götter und Ahnen zu versichern. Die feststehenden Rituale dienten
dazu, die Beteiligten vor den Gefahren des Trinkens zu bewahren und somit ein
sicheres Geleit in göttliche Sphären zu ermöglichen, bei denen sich der Bund
zwischen den Menschen sowie zwischen Menschen und Göttern erneuerte. Die
Gelage bargen dennoch die Gefahr, dass man sich in allzu großer Trunkenheit
,vergaß' und Hemmungen sowie Wahrnehmungen der profanen Welt ablegte. Streit
wurde angezettelt, Rangfolgen in Frage gestellt und oftmals kam es zu Zweikämpfen,
die nicht selten mit Totschlag endeten, was nicht zuletzt auch eine Prüfung der
körperlich ­ geistigen Kräfte beinhaltete. Gleichgültig jedoch wie diese Zeremonien
ausgingen, dienten sie immer dem Zweck, freigesetzte Kräfte, die durch die
Trinkgelage hervorgerufen wurden, zu zähmen. Spode schreibt, dass die
zeremonielle Ordnung, die jedem ein gleiches Maß zuwies, ,,das transzendentale
Gemeinschaftserlebnis ermöglichte, den Vergleich der Körperkräfte objektivierte
und zudem verhinderte, dass sich einer aus dem Rausch ausschloss und sich dadurch
Vorteile gegenüber den anderen verschaffte, aber sie garantierte dabei nur jenes Maß
an Pazifisierung, an Kontrolle und Kalkulierbarkeit, das nötig ist, damit das Gelage
als Institution Bestand haben konnte. Tod und Verwundung wurden beweint, doch

25
ihre schicksalhafte, ,heldische' Notwendigkeit niemals in Zweifel gezogen." [...]
(ebd., S. 23).
4.1.2 Opium
Die botanische Familie Mohn ist mit ihren über 600 Arten über die ganze Welt
verstreut, doch nur der Schlafmohn (Papaver somniferum) produziert die begehrten
Alkaloide, die eine rauschinduzierende Wirkung besitzen. Der Milchsaft des
Schlafmohns, welches die Alkaloide enthält, wird durch das Anritzen der unreifen
Mohnkapsel gewonnen, dann getrocknet und durch ein aufwendiges Verfahren
fermentiert. Nach dieser Prozedur erhält man das Rohopium. Dies ist einerseits der
Ausgangsstoff für den unentbehrlichen Schmerzstiller Morphin und andererseits die
gegenwärtig berüchtigste Straßendroge, welches Heroin genannt wird und ein
chemisch veredeltes Derivat des Rohopiums ist. (vgl. Schmidbauer / vom Scheidt
1997, S. 280 f.).
In der Literatur gibt es etliche Hinweise, dass der Mohn nicht nur wegen seiner
ölreichen Samen bekannt war, sondern hauptsächlich aufgrund seiner psychoaktiven
Wirkung in den verschiedenen Völkern Verwendung fand. Nach wie vor ist aber
unklar, wann und wo die Kultivierung sowie der Gebrauch des Opiums einsetzte.
Seefelder schreibt, dass sich durch die sprachliche Spur, die der Mohn hinterlassen
hat, eine Route erkennen lasse, wie sich das Opium nach Osten verbreitete;
Ausgangspunkt ist die Stadt Mekone
6
. Durch Handel sowie Feldzüge verbreitete sich
der Begriff Mekeri, abgeleitet von der Stadt Mekone, über Ägypten nach Asien.
Nach dem Orient wird Mohn beziehungsweise Opium Afion genannt. Von den
kleinasiatischen Mohnfeldern gelangte das Opium und später die Mohnpflanze
entlang der Karawanenstraßen weiter in den Osten. Dabei wandelte sich Afion zu
Afiuum im Persischen, zu Aphuka beziehungsweise Ahiphena im Indischen und zu A
­ fu ­ yung im Chinesischen. Interessant ist hierbei, dass Opium erst sehr viel später
6
Mekone heißt Mohnstadt und war ein äußerst wichtiger wirtschaftlicher Standpunkt in der
Opiumherstellung. Erst aufgrund des Mohnanbaus, wurde die Stadt Sykion in Mekone umbenannt.
(vgl. Lewin 2000, S. 55)

26
bis nach Japan vordrang. Der bei uns gebräuchliche Name für den Mohnsaft rührt
aus der Antike. Die Griechen gaben dem milchigen Sekret den Namen Opium
7
. (vgl.
Seefelder 1987, S. 8).
Man nimmt an, dass Opium schon im jungsteinzeitlichen Europa bekannt und dass
sein Gebrauch weit verbreitet war. Man fand Schlafmohnkapseln in einer
prähistorischen Begräbnisstätte im Süden Spaniens, die auf einen archaischen
rituellen Einsatz als psychoaktive Substanz gedeutet und auf das Jahr 4200 v. Chr.
datiert wurde. Rudgley schreibt, dass sich Wissenschaftler einig wären, dass Opium
von dieser Zeit ,,an bis in die geschichtliche Zeit als Heilmittel sowie als Entheogen
angebaut und verwendet wurde." (Rudgley 1999, S. 260). Überreste schweizer
Pfahlbauten sowie aus den Fledermaus ­ Höhlen von Albanol bei Grenada weisen
eindeutig darauf hin, dass der Mohn in Europa mindestens seit 4000 Jahren bekannt
ist. Auch fand man zypriotische Tongefäße in einem ägyptischen Grab, welche noch
Restbestände von 3000 Jahre altem Morphin, das aus Opium extrahiert wurde und
immer noch wirksam ist, enthielten. Hierbei geht man davon aus, dass die Ägypter
regen Opiumhandel mit den Zyprioten unterhielten und ihren Bedarf aus
griechischem Opiumanbau deckten. Ebenfalls fand man auf Zypern Artefakte und
Elfenbeinobjekte, die zum Rauchen von Opium verwendet wurden. Diese wurden
auf die Zeit um 1220 bis um 1190 v. Chr., also aus der späten Bronzezeit, datiert.
Eine Opiumpfeife, die auf Kreta entdeckt wurde, identifizierte man als rituelles
Rauchobjekt und integralem Bestandteil des Kultes um eine Fruchtbarkeitsgöttin.
Dies bestätigen wiederum mykenische Siegelringe, die eine weibliche Gottheit
darstellen, die Schlafmohn hält. Dies scheinen Motive zu sein, auf die die späteren
klassischen griechischen Darstellungen von Persephone, mit Schlafmohn in den
Händen haltend, zurückgehen könnten. (vgl. Rudgley 1999, S. 262). Scott weist
sogar darauf hin, dass auf sumerischen Ideogrammen, die vor circa 6000 Jahren
entstanden sind, Mohn als Rauschmittel erwähnt werden. Man geht davon aus, dass
die Priester der Sumerer den Mohn als rituellen Bestandteil ihrer verschiedenen
Mysterien ­ Kulte verwendeten und bezeichneten den Mohn als die Pflanze der
Freuden, aufgrund ihrer orgiastischen Riten, die durch den Mohn oder besser gesagt
7
Opium leitet sich vom griechischen opos ab und bedeutet Saft (vgl. Seefelder 1987, S. 8).

27
durch das Opium initiiert wurden. Seefelder schreibt in seinem Buch, dass sich
Sprachwissenschaftler nicht einig wären, ob das Wort ,Hul Gil' nun ,Pflanze der
Freuden' oder ,stinkende Gurke' heißt. An diesem Beispiel kann man erkennen, wie
historische Schriften Interpretationen ausgesetzt sind, bei denen keine kontextionale
Eindeutigkeit hervorgeht. Es können oftmals nur Vermutungen angestellt werden,
aufgrund der verwirrenden Formulierungen sowie der kulturhistorisch - bedingten
Modifikationen der Sprachen und Schriften (vgl. Seefelder 1987, S. 12). Die
Kenntnisse um diese Pflanze gelangten dann auf unbekanntem Wege nach Ägypten
und dann nach Griechenland in deren Heilmittelschatz. Griechische Ärzte
integrierten das Opium wegen seiner betäubenden Wirkung in ihr
Medikamentenarsenal. Erste Berichte über Opium als Medikament schreibt
Theophrast von Eresos um 370 ­ 287 v. Chr.. Die Indikationen für seine Anwendung
reichten von Magenschmerzen über Husten und Zahnschmerzen bis zu Hysterie, die
als frauenspezifische Krankheit vermutet wurde. Behr berichtet, dass Opium ,,in der
antiken Medizin angewandt wurde wie in unserem Jahrhundert Aspirin" (Behr 1980,
S. 46). Es habe als Heilmittel gegolten und Beschwerden gelindert, aber nicht die
Ursachen der Schmerzen bekämpft. Man setzte Opium aber nicht nur als
Medikament ein, sondern auch als Mittel um Kindergeschrei zu vertreiben. In einem
medizinischen Buch fand man zum Beispiel ein Kapitel in dem geschrieben steht,
dass, wenn man die Körner der spenn ­ Pflanze
8
mit Fliegendreck, welches an der
Wand klebt, zu einem Brei vermischt und dies dem Kinde gibt, so höre das Geschrei
sofort auf. (vgl. Lewin 2000, S. 55). Gerade die medizinische Wirkung des Opiums
schien in Griechenland eine große Rolle zu spielen und auch die suchterzeugenden
Nebenwirkungen waren zu dieser Zeit wahrscheinlich bekannt. So berichtet man zum
Beispiel von dem neuplatonischen Philosoph Plotin, dass dieser von Opium abhängig
gewesen sei. Behr schreibt dazu, dass Diagoras auch die ,,Verführungskraft zu immer
erneuter Verwendung" (Behr 1980, S. 46) und die wahrnehmungsverändernde
Funktion erkannte und diese kritisierte. Es scheint jedoch, als habe er sich mit
solchen Aussagen nicht beliebt gemacht, da er von der Bevölkerung erschlagen
wurde. Es war aber nicht nur die medikamentöse, einschläfernde und betäubende,
sondern auch die hochgiftige Wirkung bekannt. So riet Diagoras aus Melos schon im
8
Die Spenn ­ Pflanze ist nach Lewin ein Synonym der Mohn ­ Pflanze (vgl. Lewin 2000, S. 55)

28
fünften und Erasistratus im dritten vorchristlichen Jahrhundert, das Opium ganz zu
meiden. Die Sonderstellung die das Opium unter den Rauschmitteln einnahm, hatte
vor allem durch die Verbindung mit den griechischen Gottheiten eine besondere
Relevanz. Um zu verstehen, wie die Griechen beziehungsweise die Völker in dieser
Region den Mohn und das Opium in ihre Sagen integrierten, mache ich einen kleinen
Exkurs in die Mythologie der damaligen mediterranen Kulturen.
In den archaischen Religionen des östlichen Mittelmeerraumes stand die Mutter für
die Erde. Sie symbolisierte Fruchtbarkeit sowie Schutz vor sämtlichen
Naturgewalten, die dem Zorn von männlichen Gottheiten zugesprochen wurden. Die
Verehrung der Erde als Mutter hat eine lange Tradition, deren Spuren bis weit in die
dunkle Zeit hineinragt. Selbst als sich Gottvater ­ Religionen in diese Kulturräume
hineindrängten, wurde der Brauchtum, die Mutter Erde zu verehren, weiterhin
fortgesetzt. Die verschiedenen Kulturkreise dieser Region hatten zwar
unterschiedliche Namen für ihre Mutter Erde
9
, doch in der Exegese ihres Glaubens
und ihrer Mythen unterschieden sie sich nur im kulturellen Kontext. ,,Die Idee der
Mutterverehrung ist immer die gleiche, und oft ist ihr Kult ähnlich geprägt von den
Urbedürfnissen der Menschheit." (Seefelder 1987, S. 15). Mohn und Opium wurden
mit dem Mythos der Erdmutter Demeter in Zusammenhang gebracht. Nach einer
Sage soll Demeter über den Raub ihrer Tochter Persephone den Olymp verlassen
haben, um mit einer Fackel die Welt zu durchwandern, bis sie schließlich in der Stadt
Mekone eintraf. Nachdem sie dort den Mohn vorfand und ihn zu sich nahm, wurde
der Schmerz um den Verlust der Tochter gemildert und schenkte diese Pflanze den
Menschen. Somit wurde für die Menschen der Mohn ein Attribut der Göttin, der zu
Ehren die Eleusinischen Mysterienkulte initiiert wurden. Andere Gottheiten wie
Dionysos, Artemis, oder Thanatos, Gott des Todes, wurden in den griechischen
Mythologien ebenfalls mit dem Mohn in Verbindung gebracht. (vgl. Kupfer 1996, S.
13). Auch Aphrodite, Göttin der sexuellen Ekstase, steht mythologisch der Demeter
nahe und besitzt eine Verbindung zum Mohn. Theokrit meinte nämlich, ,,dass der
Mohn aus den Tränen der Aphrodite wuchs, die sie um den Verlust des Adonis
weinte." (Seefelder 1987, S. 20). Die Mohnkapsel wurde zum Symbol des
9
Die Namen der Mutter Erde sind zum Beispiel: Isis, Astarte, Kybele, Demeter, Kore oder später bei
den Römern Ceres. (vgl Seefelder 1987, S. 15)

29
Schlafgottes Morpheus und des Todesgottes Thanatos. Der Zaubertrank Nephentes,
der Freude und Mut spendete kennt man von den homerischen Helden, die ihn vor
Schlachten aber auch bei rituellen Festen einnahmen. Lewin schreibt in seinem Buch
,,Phantastica", dass die schlüssigsten Anhaltspunkte für den Opiumgebrauch, dessen
Geschichte und die damaligen Kenntnisse um die Wirkung des Opiums aus den
schriftlichen Überlieferungen des Homer zu entnehmen wären. Lewin übersetzt den
oben erwähnten Zaubertrank Nephentes als Vergessenheitstrank und ist der Ansicht,
dass dieses Getränk in den homerischen Erzählungen als so bekannt vorauszusetzen
ist, dass man davon ausgehen müsse, dass das Wissen um die Wirkung des Mohns
sehr viel weiter zurückliegt, als man bisher angenommen hat. (vgl. Lewin 2000, S.
53). In der Odyssee wird unter anderem berichtet, dass Telemach Erinnerungen an
Odysseus und andere Krieger kundtat. Als diese Geschichten eine traurige Stimmung
hervorriefen, sollte Helena einen Trank zubereiten, der den Kummer wieder
vertreibt. Die Überlieferungen dieser Situation wird so geschildert:
,,Sie warf alsbald in den Wein, von dem sie tranken, ein Mittel
Kummer zu scheuchen und Gram und jeglichen Leides Gedächtnis.
Wer von diesem genoß, nachdem in den Krug es gemischt ward,
nicht an dem ganzen Tage benetzt ihm die Träne des Antlitz, nicht ob
selbst gestorben ihm wär´ die Mutter, der Vater, nicht ob den Bruder
vor ihm, ob selbst den geliebtesten Sohn ihm tötete feindliches Erz,
und er mit den Augen es sähe. Solcherlei zaubrische Mittel besaß sie,
die Tochter des Gottes, Wirksame, die ihr schenkte die Gattin des
Thon, Polydamna, eine Aegypteryn..." (Lewin 2000, S. 54).
Nach Lewins Interpretation dieser Textstelle, kann nur die Rede von Opium sein, da
es sonst kein Mittel gäbe, welches solch eine Wirkung hervorrufen könnte. Lewin ist
der Ansicht, dass der chronische Gebrauch von Opium zu einer Gleichgültigkeit
führt, die allem gilt, ,,was nicht Ich ist" (vgl. Lewin 2000, S. 54), und Homer diese
Erfahrung, die er wahrscheinlich an Opiophagen
10
gemacht hat, niederschreibt. Nach
dieser Deutung hätten wir einen Hinweis auf den chronischen Gebrauch von Opium,
10
Opiophagen sind Opiumkonsumenten, die chronisch Opium nehmen (vgl. Lewin 2000, S. 54)

30
der eventuell das Phänomen der Sucht beinhaltet, obwohl der Suchtbegriff an sich in
dieser Zeit noch nicht erfunden beziehungsweise Abhängigkeit in unserem heutigen
Sinne nicht realisiert wurde. Ergänzend sei zu erwähnen, dass die oben genannte
Helena die Zubereitung für das opiathaltige Getränke von einer Ägypterin namens
Polydamna erlernte; ein möglicher Hinweis auf das älteste Produktionsland des
Mohns. (ebd., S. 55). Seefelder schreibt dagegen in seinem Buch, dass Polydamna
ein Synonym oder Symbol für den Trank selbst sein könnte, da das Wort in seine
Bestandteile zerlegt, vielfältig Lähmende oder nachhaltig Entspannende bedeuten
könnte.
Als die Römer Griechenland eroberten, verbreitete sich das Opium gen Westen.
Cornelius Nepos, der die Giftigkeit des Mohns demonstrieren wollte, brachte seinen
Vater damit um. Es sei auch erwähnenswert, dass es unter den Römern viele
Selbstmorde gegeben habe, die auf die Einnahme von Opium zurückzuführen sei.
Der römische Leibarzt Neros, Andromachus, mischte seinem Patentrezept Theriak
Opium bei und behauptete, dass diese Medizin gegen alles helfe. 1500 Jahre später
erfand Paracelsus ein ,Wundermedikament', dass er Laudanum und Arkanum nannte
und dessen Hauptbestandteil das Opium war (darauf gehe ich vertiefend in Kapitel
4.1.2 ein). (vgl. Schmidbauer / vom Scheidt 1997, S. 282). Der Gebrauch des
Opiums war in der römischen Gesellschaft ,normal' und hatte nichts Skandalöses an
sich. So gab es viele, die es täglich nahmen. Unter anderem wahrscheinlich auch
Ärzte, die sich sicher waren, dass Opium in einer bestimmten Dosis nicht schädlich
sei. In der römischen Kultur wurden ähnlich wie im damaligen Griechenland die
Mysterien dargebracht. Hieß der Gott der Ekstase bei den Griechen Dionysos, so
gaben die Römer ihrem Gott der Gelüste und der Ekstase den Namen Bacchus, dem
zu Ehren ausschweifende Feste zelebriert wurden, bei denen Wein, Opium und
seltener Cannabis eingenommen wurde um zu ekstatischen Höhepunkten zu
gelangen, die wie die Dionysos ­ Feste, häufig mit Massensex ausarteten. Die
Veranstaltungen nahmen überhand und wurden immer ausschweifender, dass sie
letztendlich bei Todesstrafe von der römischen Republik verboten wurden. Ebenso
war die römische Gesellschaft in der Kaiserzeit eine mordende Gesellschaft, in der
aber auch die Angst bestand, selbst ermordet zu werden. Folglich war das allgemeine

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832474713
ISBN (Paperback)
9783838674711
Dateigröße
865 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Erfurt – Erziehungswissenschaftliche Fakultät
Note
1,0
Schlagworte
drogen kultur gesellschaft geschichte rauch
Zurück

Titel: Die Verwendung von berauschenden Substanzen seit dem Altertum im europäischen Kulturkreis
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
162 Seiten
Cookie-Einstellungen