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Computervermittelte Kommunikation unter kulturellen und sprachwissenschaftlichen Aspekten

Eine Untersuchung am Beispiel von deutschen und französischen Newsgroups

©2002 Magisterarbeit 453 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Das Internet stellt ein interessantes, zukunftsträchtiges Medium dar. Im Zuge eines allgemeinen Anstiegs der Reiseaktivität nutzen immer mehr Menschen immer häufiger die Möglichkeit, fremde Länder und deren Bewohner kennen zu lernen. Nach der Rückkehr ins eigene Land stellt das Internet für sie oftmals die kostengünstigste Möglichkeit dar, mit den Reisebekanntschaften Kontakt zu halten. Generell ist das Internet als ein wesentlicher Faktor im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der interkulturellen / internationalen Kommunikation anzusehen.
Das Thema dieser Arbeit „Sprache, Kommunikation und Kultur im Internet“ bringt vier verschiedene Phänomene miteinander in Zusammenhang, die jedes für sich bereits eine hohe Komplexität aufweisen. Hierbei ist u. a. zu untersuchen, inwieweit kulturelle Faktoren die sprachliche Realisierung von Kommunikationsbeiträgen im Internet beeinflussen. Auf die definitorischen Probleme, die sich aus der Komplexität der betrachteten Phänomene ergeben, wird in den einzelnen Kapiteln näher eingegangen.
Die vorliegende Arbeit wurde in einem interdisziplinären Kontext entwickelt. Sie bringt die Kommunikation im Internet mit Überlegungen zur Sprachwissenschaft und zur Kulturwissenschaft in Zusammenhang. Neben kommunikationswissenschaftlichen und linguistischen Aspekten werden dabei auch soziologische und psychologische Aspekte angesprochen. Zur Veranschaulichung und zum besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge wurden zahlreiche Tabellen in diese Arbeit integriert. Dies erklärt den großen Umfang der Arbeit.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Das zweite Kapitel gibt einen kurzen Überblick über den bisherigen Forschungsstand, um aufzuzeigen, dass die Kommunikationsangebote des Internet bisher nur sehr zögerlich von der Sprachwissenschaft untersucht wurden und es an Literatur fehlt, die das Internet und die Sprache in Bezug zur Kultur bringt.
Die Nutzung des Internet hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Laut Forrester Saltes nutzen im Jahr 1999 19 Prozent der Europäer im Alter von über 16 Jahren regelmäßig das Internet. Ende 2001 lag der geschätzte Anteil der Internetnutzer bereits bei 43 Prozent, was einer Nutzerzahl von 127 Millionen entspricht. Es wird prognostiziert, dass die Zahl der Europäer im Internet bis Ende 2006 auf etwa 200 Millionen (67 Prozent) anwachsen wird.
Im „Le Journal du Net“ werden Zahlen der Internetnutzer in Frankreich und Deutschland für das Jahr 2002 […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6973
Görl, Carmen: Computervermittelte Kommunikation unter kulturellen und
sprachwissenschaftlichen Aspekten - Eine Untersuchung am Beispiel von deutschen und
französischen Newsgroups
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Fachhochschule Südwestfalen, Universität, Magisterarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

2
0.
VORWORT ... 4
1.
EINLEITUNG ... 7
2.
FORSCHUNGSSTAND... 11
2.1.
M
ÜNDLICHKEIT
/ S
CHRIFTLICHKEIT
... 11
2.2.
K
ULTUR
... 18
3.
COMPUTERVERMITTELTE KOMMUNIKATION (CVK)... 21
3.1.
K
OMMUNIKATION
... 21
3.1.1.
Definitionen ... 21
3.1.2.
Sprache und Zeichen ... 25
3.1.3.
Kommunikationskanäle ... 27
3.2.
D
AS
N
EUE AN DER COMPUTERVERMITTELTEN
K
OMMUNIKATION
... 29
3.2.1.
Kommunikationsformen... 29
3.2.2.
Aufhebung der räumlichen und zeitlichen Beschränkungen... 31
3.2.3.
Formen sozialer Organisation im Internet ... 32
3.2.4.
Spielen mit Identitäten ... 35
3.2.5.
Anonymität... 38
3.2.6.
Fehlen von nonverbaler Kommunikation ... 42
3.3.
K
OMMUNIKATIONSDIENSTE
... 43
3.3.1.
E-Mail... 43
3.3.2.
Mailingliste... 45
3.3.3.
Newsgroup... 46
3.3.4.
Chat ... 49
3.3.5.
MUD ... 51
3.4.
F
AZIT
... 52
4.
KONZEPTIONELLE MÜNDLICHKEIT IN DER COMPUTERVERMITTELTEN
KOMMUNIKATION... 54
4.1.
M
ÜNDLICHKEIT VS
. S
CHRIFLICHKEIT
... 54
4.2.
K
OMMUNIKATIONSBEDINGUNGEN DER
N
EWSGROUPS
... 58
4.2.1.
Privatheit vs. Öffentlichkeit ... 58
4.2.2.
Vertrautheit vs. Fremdheit der Partner ... 59
4.2.3.
Starke vs. geringe emotionale Beteiligung ... 60
4.2.4.
Starke vs. geringe Situations- und Handlungseinbindung ... 62
4.2.5.
Origo-naher vs. origo-ferner Referenzbezug... 62
4.2.6.
Räumliche und zeitliche Nähe vs. Distanz ... 63
4.2.7.
Intensive vs. geringe Kooperation ... 64
4.2.8.
Dialogizität vs. Monologizität ... 65
4.2.9.
Spontanität vs. Reflektiertheit ... 66
4.2.10.
Freie Themenentwicklung vs. starke Themenfixierung... 66
4.2.11.
Zusammenfassung der Parameterwerte in den Newsgroups ... 67
4.3.
E
LEMENTE KONZEPTIONELLER
M
ÜNDLICHKEIT IN DER
S
PRACHE DER
N
EWSGROUPS
... 67
4.3.1.
Emotikons ... 68
4.3.2.
Emulierte Prosodie ... 71
4.3.3.
Lexik ... 73
4.3.4.
Syntax ... 82
4.3.5.
Besonderheiten des Französischen... 82
4.4.
F
AZIT
... 83
5.
KULTURELLE FAKTOREN IN DER CVK ... 85
5.1.
D
EFINITION DER
K
ULTUR
... 85
5.2.
K
ULTURELLE
D
IMENSIONEN
... 88
5.2.1.
Hall... 89
5.2.2.
Hofstede... 93
5.2.3.
Trompenaars / Hampden-Turner... 101
5.2.4.
Vergleich von Kulturdimensionen ... 108
5.3.
K
ULTURELLE
D
IMENSIONEN IN DER
CVK... 109
5.3.1.
Hall... 109

3
5.3.2.
Hofstede... 113
5.3.3.
Trompenaars / Hampden-Turner... 119
5.4.
F
AZIT
... 120
6.
UNTERSUCHUNG ... 123
6.1.
U
NTERSUCHUNGSHYPOTHESEN
... 123
6.2.
U
NTERSUCHUNGSMETHODE
... 127
6.3.
U
NTERSUCHUNGSERGEBNISSE
... 131
6.4.
D
ISKUSSION DER
E
RGEBNISSE
... 159
7.
SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK ... 168
8.
LITERATUR ... 172
9.
ANHANG

4
0. Vorwort
Bei der Entstehung dieser Arbeit haben mich viele Menschen begleitet und in vielfältiger
Weise unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken möchte. Mein
besonderer Dank gilt Herrn Dr. Wagner und Frau Dr. Harms für die Zustimmung, dieses
Thema für meine Magisterarbeit verwenden zu dürfen.
Herrn Prof. Uszkoreit danke ich für meine Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft am
DFKI, die mir den für den Abschluss der Arbeit notwendigen finanziellen Rückhalt
gegeben hat.
Des Weiteren gilt mein Dank allen meinen Freunden, die mir durch Tipps, Kritik,
Korrekturen und die bereitwillige moralische Unterstützung hilfreich zur Seite standen.
Problembereiche der Untersuchung
Vor dem thematischen Einstieg möchte ich zunächst noch kurz auf einige Probleme
eingehen, die das Behandeln des hier gewählten Untersuchungsthemas mit sich bringt.
Hierbei ist zwischen methodischen, ethischen und rechtlichen Problemen zu unterscheiden.
Ein methodisches Problem, im Hinblick auf Arbeiten, die sich mit dem Internet beschäf-
tigen, ist das Beschaffen der Literatur. Die aktuellsten Arbeiten zu diesem Thema findet
man im Internet, jedoch sind diese Arbeiten sehr schnell überholt und bei Verweisen auf
Internetadressen kann es passieren, dass die betreffende URL, auf die verwiesen wurde,
schon am nächsten Tag nicht mehr im Netz zu finden ist, sich an einer anderen Stelle
befindet oder dass sich ihr Inhalt seit dem Zeitpunkt, zu dem der Verweis angelegt wurde,
geändert hat. Überdies können im Internet platzierte Texte jederzeit von ihren Autoren
"aktualisiert", d. h. modifiziert werden, wodurch die Nachprüfbarkeit der Zitate nicht mehr
gewährleistet ist.
Weiterhin existiert bei Arbeiten, die im Internet "veröffentlicht" werden, kein
Erscheinungsort und kein Verlag. Aus diesem Grunde habe ich die verwendeten Texte aus
dem Internet mit dem Vermerk "Elektronische Publikation" gekennzeichnet.
Die mit der vorliegenden Arbeit verbundenen ethischen und rechtlichen Probleme beziehen
sich in erster Linie auf die Frage: Wie kann ich eine Untersuchung zu den kommunikativen
Besonderheiten bei Personengruppen aus verschiedenen Kulturen durchführen, ohne die
Wahrung der persönlichen Rechte der kommunizierenden Personen anzutasten?
1
1
Hier beziehe ich mich auf den §823 des BGB, der die Wahrung der Person und ihres Schutzes beinhaltet.

5
Für die empirische Untersuchung der Kommunikation innerhalb von deutschen und von
französischen
Gemeinschaften entschied ich bei der Wahl des Untersuchungsgegenstands
für Newsgroups, da ich auf diese Weise auf Daten zugreifen konnte, die im Internet zu
finden sind und auf die ein Zugriff auch zu einem späteren Zeitpunkt gewährleistet ist.
Aufgrund des öffentlichen Charakters der Newsgroups ist die Auswertung dieser Daten in
juristischer Hinsicht als unbedenklich einzustufen, da die User mit dem Wissen teilneh-
men, dass mit den von ihnen gesendeten Artikeln auch bestimmte persönliche Daten
bekannt beziehungsweise zurückverfolgbar werden. Das Recht auf die Wiedergabe von
Newsgroupbeiträgen bestätigt z. B. Veddern:
Bei zum Abruf bereitgehaltenen (Sic!) Werke auf FTP-Servern sowie in Newsgroups,
Mailinglisten oder Bulletin Boards ist danach zu unterscheiden, ob sich der Kreis der
Zugriffsberechtigten auf eine exklusive, persönlich miteinander verbundene Personengruppe
beschränkt (z. B. die Mitarbeiter innerhalb eines Forschungsteams, Exklusivangebote mit
geheimgehaltenen Subscripe (Sic!)-Adressen) oder das Angebot einer unüberschaubaren
Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt wird (z. B. wenn die Werke auf dem Server durch
die Benutzerkennung "anonymus" jedermann zugänglich sind). Urheberrechtlich geschützte
Beiträge in Newsgroups, Mailinglisten und Bulletin Boards, die jedermann zugänglich sind,
berühren daher immer das Recht zur öffentlichen Wiedergabe.
2
Formale Hinweise
Da zu einigen thematischen Teilgebieten dieser Arbeit eine große Fülle an Informationen
zur Verfügung steht, deren Aufnahme in den laufenden Text in Form von Verweisen den
Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werden Hinweise auf weitere Informationsquellen
im Anhang unter "weiterführende Literatur" aufgeführt.
Ein weiterer formaler Punkt betrifft den Verzicht auf eine geschlechterdifferenzierende
Schreibweise aus Gründen der besseren Verständlichkeit. Es werden nur maskuline
Endungsformen verwendet (beispielsweise "Nutzer" anstatt "NutzerIn"), die geschlechter-
übergreifend zu verstehen sind.
Häufig gebrauchte längere Wörter, werden meist nur bei der ersten Erwähnung ausge-
schrieben (beispielsweise "CVK" anstatt "Computervermittelte Kommunikation"). Dies
wird jedoch an den entsprechenden Stellen angegeben.
Die vorliegende Arbeit ist nach den Regeln der "neuen" Rechtschreibung verfasst. Zitate
aus nach den alten Regeln verfassten Texten werden dagegen nicht verändert.
2
Veddern, M.: Update - Ratgeber Multimediarecht für die Hochschulpraxis. Elektronische Publikation. URL:
http://www.mswf.nrw.de/service/Multimediarecht.pdf (letzter Zugriff: 17.07.02)

6
Allen Teilen der Arbeit ist jeweils eine Kurzübersicht über die darin behandelten Themen
vorangestellt. Sie dient, ebenso wie die Fazite am Ende der einzelnen Kapitel, der besseren
Übersicht.
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass sich im Anhang ein Glossar befindet, welches in
dieser Arbeit verwendete spezifische Begriffe näher erklärt.

7
1. Einleitung
Das Internet stellt ein interessantes, zukunftsträchtiges Medium dar. Im Zuge eines
allgemeinen Anstiegs der Reiseaktivität nutzen immer mehr Menschen immer häufiger die
Möglichkeit, fremde Länder und deren Bewohner kennen zu lernen. Nach der Rückkehr
ins eigene Land stellt das Internet für sie oftmals die kostengünstigste Möglichkeit dar, mit
den Reisebekanntschaften Kontakt zu halten. Generell ist das Internet als ein wesentlicher
Faktor im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der interkulturellen / internationalen
Kommunikation anzusehen.
Das Thema dieser Arbeit "Sprache, Kommunikation und Kultur im Internet" bringt vier
verschiedene Phänomene miteinander in Zusammenhang, die jedes für sich bereits eine
hohe Komplexität aufweisen. Hierbei ist u. a. zu untersuchen, inwieweit kulturelle Fak-
toren die sprachliche Realisierung von Kommunikationsbeiträgen im Internet beeinflussen.
Auf die definitorischen Probleme, die sich aus der Komplexität der betrachteten Phäno-
mene ergeben, wird in den einzelnen Kapiteln näher eingegangen.
Die vorliegende Arbeit wurde in einem interdisziplinären Kontext entwickelt. Sie bringt
die Kommunikation im Internet
3
mit Überlegungen zur Sprachwissenschaft und zur
Kulturwissenschaft in Zusammenhang. Neben kommunikationswissenschaftlichen und
linguistischen Aspekten werden dabei auch soziologische und psychologische Aspekte
angesprochen. Zur Veranschaulichung und zum besseren Verständnis der komplexen
Zusammenhänge wurden zahlreiche Tabellen in diese Arbeit integriert. Dies erklärt den
großen Umfang der Arbeit.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Das zweite Kapitel gibt einen kurzen Überblick über
den bisherigen Forschungsstand, um aufzuzeigen, dass die Kommunikationsangebote des
Internet bisher nur sehr zögerlich von der Sprachwissenschaft untersucht wurden und es an
Literatur fehlt, die das Internet und die Sprache in Bezug zur Kultur bringt.
Die Nutzung des Internet hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Laut Forrester
Saltes
4
nutzen im Jahr 1999 19 Prozent der Europäer im Alter von über 16 Jahren
regelmäßig das Internet. Ende 2001 lag der geschätzte Anteil der Internetnutzer bereits bei
3
Im Rahmen dieser Arbeit werden mit dem Begriff "Internet" vorwiegend folgende fünf Internetdienste angesprochen: 1. E-Mail, 2.
Mailingliste, 3. Newsgroups, 4. Chat, 5. MUD.
4
Forrester Sales. Elektronische Publikation. URL: http://www.forrester.com/home/0,6092,1-0,FF.html (letzter Zugriff: 17.07.02)

8
43 Prozent, was einer Nutzerzahl von 127 Millionen entspricht. Es wird prognostiziert,
dass die Zahl der Europäer im Internet bis Ende 2006 auf etwa 200 Millionen (67 Prozent)
anwachsen wird.
Im "Le Journal du Net"
5
werden Zahlen der Internetnutzer in Frankreich und Deutschland
für das Jahr 2002 angegeben. Die Deutschen mit etwa 24,6 Millionen Usern liegen
demnach weit vor den Franzosen mit nur knapp der Hälfte an Nutzern, nämlich 10,2
Millionen. Wenn man berücksichtigt, dass Deutschland 20 Millionen mehr Einwohner hat
als sein Nachbarland, kommt man bei Deutschland immer noch auf 30% der
Gesamtbevölkerung und in Frankreich nur auf 17%.
Das Internet bietet als Kommunikationsmedium besondere Möglichkeiten für den Aus-
tausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen, was sich wiederum modifizierend
auf die Kommunikationsformen innerhalb der einzelnen Kulturen auswirkt. Dies impliziert
zugleich auch einen generellen kulturellen Wandel:
Because culture is mediated and enacted through communication, cultures themselves, that is
our historically produced systems of beliefs and codes, become fundamentally transformed,
and will be more so over time, by the new technological system.
6
Diese Entwicklung betrifft insbesondere auch neue Kommunikationsformen wie u. a. E-
Mails, Mailinglisten, Newsgroups, Chats und Multi-User Dungeons (MUDs)
7
, die eine
neue Form der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation ermöglichen. Der Nutzer interagiert
nicht direkt mit seinem Kommunikationspartner, sondern unter Nutzung von Computer-
technologien, hier vor allem des Internets. Die Kommunikation findet hierbei rein
textbasiert statt. Für diese spezielle Form der Kommunikation haben sich die Begriffe
"Computer-Mediated-Communication" (CMC) oder "computervermittelte Kommunika-
tion" (im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Abkürzung "CVK" verwendet) etabliert.
Diese neue Kommunikationsform ist zentraler Punkt des dritten Kapitels "Computerver-
mittelte Kommunikation", welches der Erarbeitung von Grundlagen dient. Zunächst erfolgt
eine Bestimmung der Begriffe "Kommunikation", "Sprache und Zeichen" sowie der
"Kommunikationskanäle", bei denen die Kommunikation im "realen" Leben (im weiteren
Verlauf der Arbeit wird der Terminus "face-to-face-Kommunikation" (FTF-Kommunika-
tion) verwendet) der CVK gegenübergestellt werden soll. Weiterhin möchte ich die
5
Le Journal du Net. Elektronische Publikation. URL: http://www.journaldunet.com/dossiers/pays/allgne/021008chiffresallgne.shtml
(letzter Zugriff: 06.11.02)
6
Castells, M.: The Information Age. Economy, Society and Culture. Vol. I. Malden; Oxford: Blackwell Publishers, 1997, S. 328.
7
Siehe Kapitel 3.3.5.

9
Besonderheiten der CVK darlegen und kurz auf die verschiedenen Kommunikationsdienste
im Internet eingehen.
Im vierten Kapitel "Konzeptionelle Mündlichkeit in der CVK" wird das sprachtheoretische
Modell von Koch und Oesterreicher vorgestellt. Diese Autoren beschreiben Phänomene
der Mündlichkeit, wie sie zumeist in Interaktionssituationen auftreten, in denen die
Kommunizierenden über das gesprochene Wort miteinander kommunizieren. Auf der
Basis dieses Modells werden die Newsgroups im Hinblick auf ihre Mündlichkeit unter-
sucht. Im Anschluss daran werden die Elemente der Mündlichkeit in der Internetkommu-
nikation nachgewiesen und mit Beispielen aus deutschen und französischen Newsgroups
belegt. Hierbei gibt es verschiedene Phänomene, die ich ­ zum Zweck einer ersten Einord-
nung und um dem Leser einen besseren Überblick zu verschaffen ­ in die Kategorien
"Ersatz nonverbaler Elemente", "Ersatz paralinguistischer Elemente", "Graphik", "Lexik",
"Syntax" und "Phonetik / Phonologie / Morphologie" unterteilt habe.
Das fünfte Kapitel behandelt die kulturellen Faktoren in der CVK. Hierbei ist zunächst der
Begriff der "Kultur" zu klären. Im Anschluss daran werden die Arbeiten von verschiedenen
Autoren ­ dem Ethnologen und Semiotiker Hall, dem Psychologen Hofstede und den Wirt-
schaftlern Trompenaars und Hampden-Turner ­ vorgestellt, die im Rahmen ihrer Unter-
suchungen zu Merkmalen von nationalen Kulturen, anhand derer sich diese miteinander
vergleichen und voneinander abgrenzen lassen, verschiedene "kulturelle Dimensionen"
identifizierten. Diese kulturellen Dimensionen werden im Folgenden mit den Theorien der
CVK verknüpft und dienen als Grundlage zur Formulierung der Untersuchungshypothesen.
Im sechsten Kapitel werden die auf diese Weise entwickelten Hypothesen anhand einer
Untersuchung von deutschen und französischen Newgroups überprüft und verifiziert oder
falsifiziert.
Der zentrale Punkt, den ich in dieser Arbeit untersuchen möchte, ist die Frage, inwieweit
sich Sprache und Kultur im Internet im Sinne eines "kulturellen Wandels" verändern und
welchen Einfluss die jeweilige nationale Kultur auf die CVK ausübt. Hierbei soll speziell
auch darauf eingegangen werden, inwieweit Elemente der gesprochenen Sprache in die
CVK integriert werden.
Weiterhin ist zu fragen, inwieweit die CVK im Vergleich zur FTF-Kommunikation etwas
Neues darstellt und ob sich durch die CVK die Sprache verändert.

10
Generell will die vorliegende Arbeit dazu beitragen, die Kommunikation von deutschen
und französischen Kulturen im Internet verständlicher zu machen.
In der Schlussbetrachtung (Kapitel 7) werden die gefundenen Unterschiede bezüglich der
Sprache und Kommunikation in deutschen und französischen Newsgroups nochmals
zusammengefasst und Anregungen für Praxis und Forschung gegeben.

11
2. Forschungsstand
Es gibt bereits zahlreiche Arbeiten zur CVK, die sich zu einem Großteil mit soziologi-
schen, psychologischen oder demographischen Aspekten befassen (vgl. "weiterführende
Literatur" im Anhang). Meines Wissens gibt es jedoch bislang recht wenige kulturwissen-
schaftliche Studien im Hinblick auf das Internet, und es besteht weiterhin Forschungsbe-
darf bezüglich sprachwissenschaftlicher Untersuchungen zur CVK.
2.1. Mündlichkeit / Schriftlichkeit
Einige Autoren befassen sich mit den Unterschieden zwischen mündlicher und schriftlicher
Kommunikation.
8
Söll und Hausmann kennzeichnen mündliche Äußerungen als spontan und ­ in Dialog-
situation ­ unvorbereitet und grenzen davon die schriftlichen Äußerungen als vorbereitbar
und vorbereitet ab.
9
Ludwig Söll
10
unterscheidet zwischen einer phonetischen und einer
graphischen Realisierung. In Anlehnung an diese Unterscheidung differenzieren Koch und
Oesterreicher
11
zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit beziehungs-
weise medialer Mündlichkeit und Schriftlichkeit.
Theis-Berglmair vergleicht das Internet mit den Medien der Massenkommunikation wie
Zeitungen, Film, Radio und Fernsehen. Für sie sperrt sich das Internet als Hybridmedium
"gegen eine eindeutige kommunikationswissenschaftliche Verortung, denn diese techni-
sche Plattform gibt den bislang deutlich voneinander separierbaren Kommunikationsfor-
men, nämlich der Massenkommunikation und der interpersonellen Kommunikation
gleichermaßen Raum"
12
.
Viele Autoren sind der Ansicht, dass die Kommunikationsformen im Internet zwischen
Mündlichkeit und Schriftlichkeit liegen, also weder der
herkömmlichen "schriftlichen"
8
Vgl. Ferrara, K.; Brunner, H.; Whittemore, G.: Interactive Discourse as an Emergent Register. (S. 8-34) In: Written Communication
8 (1), 1991, S. 8-34.
9
Vgl. Söll, L.; Hausmann, F. J.: Gesprochenes und geschriebenes Französisch. 3. Aufl. Berlin: Erich Schmidt, 1985. (Grundlagen der
Romanistik; 6), S. 44.
10
Söll, L.: (Hrsg.): Gesprochenes und geschriebenes Französisch. 2. Aufl. Berlin: Erich Schmid, 1980. (Grundlagen der Romanistik;
6), S. 17-29.
11
Koch, P.; Oesterreicher, W.: Schriftlichkeit und Sprache. (S. 587-604) In: Günther, H.; Ludwig, O. (Hrsg.): Handbuch Schrift und
Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Bd. 1, Berlin: de Gruyter, 1994b.
12
Theis-Berglmair, A. M.: Der vernetzte Computer als Herausforderung für die Kommunikationswissenschaft und ­praxis (S. 216-246)
In: Anna M. Theis-Berglmair: Internet und die Zukunft der Printmedien. Kommunikationswissenschaftliche und
medienökonomische Aspekte. Münster et al.: LIT Verlag, 2002, S. 216.

12
noch der typischen "mündlichen" Kommunikation entsprechen
13
. Höflich bezeichnet dies
als "Revitalisierung der Schriftlichkeit"
14
und Kleinberger Günther und Thimm sprechen
von einer "hybride(n) Form konzeptioneller Mündlichkeit im Modus medialer elektroni-
scher Schriftlichkeit"
15
. Auch Beißwenger spricht von einem "konzeptionellen Hybrid"
16
,
worunter er eine neue Form versteht, die prominente Merkmale des einen wie des anderen
in sich vereint.
Döring bezeichnet die Mischung aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit auch als "Oralitera-
lität"
17
. Demnach weisen digitale Texte, die interpersonal über Computernetze ausge-
tauscht werden, sowohl Merkmale von Oralität als auch von Literalität auf.
John December spricht in seinem Aufsatz "Characteristics of Oral Culture in Discourse on
the Net"
18
von einer "text-based orality"
19
und zeigt damit, dass Charakteristika der Münd-
lichkeit im graphischen Netzcode vorhanden sind.
Weingarten weist darauf hin, dass die CVK sprachliche Formen erzeugt, die Gemeinsam-
keiten mit Strukturen gesprochener Sprache aufweisen.
20
13
Vgl. Collot, M.; Nancy, B.: Electronic language: A new variety of English. (S. 41-55) In: Aarts, J.; de Haan, P.; Oostdijk, N. (Hrsg.):
English Language Corpora: Design, Analysis and Exploitation. Amsterdam: Rodopi, 1993, S. 41-56;
Yates, S. J.: The Textuality of Computer-Mediated Communication: Speech, Writing and Genre in CMC Discourse.
Unveröffentlichte PhD Dissertation, Open University, UK, 1993;
Herring, Susan: Linguistic and critical analysis of computer-mediated communication: Some ethical and scholarly considerations. (S.
153-168) In: Information Society, 12 (2), 1996;
Quasthoff, U. M.: Kommunikative Normen im Entstehen: Beobachtungen zu Kontextualisierungsprozessen in elektronischer
Kommunikation. (S. 23-50) In: Weingarten, R. (Hrsg.): Sprachwandel durch Computer. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1997, S.
23-50;
Ogan, C.: Listserver Communication During the Gulf War ­ what Kind of Medium is the Electronic Bulletin Board? In: Journal of
Broadcasting of Electronic Media, 3, 1993, S. 177-196.
Handler, P.: Interdiskursive Aspekte zu wissenschaftlichen E-Mail-Diskussionen. (S. 305-319) In: Thimm, C. (Hrsg.): Soziales im
Netz. Sprache, Beziehungen und Kommunikationskulturen im Internet. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 309.
14
Höflich, J. R.: Technisch vermittelte interpersonale Kommunikation. Grundlagen, organisatorische Medienverwendung, Konstitution
"Elektronischer Gemeinschaften". Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996, S. 91.
15
Kleinberger Günther, U.; Thimm, C.: Soziale Beziehungen und innerbetriebliche Kommunikation: Formen und Funktionen
elektronischer Schriftlichkeit in Unternehmen. (S. 262-277) In: Thimm, C. (Hrsg.): Soziales im Netz. Sprache, Beziehungen und
Kommunikationskulturen im Internet. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 276.
16
Beißwenger, M.: Kommunikation in virtuellen Welten: Sprache, Text und Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Konzeptionalität von
Kommunikationsvollzügen und zur textuellen Konstruktion von Welt in synchroner Internet-Kommunikation, exemplifiziert am
Beispiel eines Webchats. Stuttgart: ibidem, 2000, S. 209f.
17
Döring, N.: Kommunikation im Internet: Neun theoretische Ansätze. (S. 345-377) In: Batinic, B. (Hrsg.): Internet für Psychologen.
Göttingen et al.: Hogrefe. 2. Aufl., 2000a. Zugl.: Elektronische Publikation. URL:
http://www.hogrefe.de/buch/online/netpsycho/lprobe/kap12.html) (letzter Zugriff: 05.06.02)
Siehe auch Langham, D.: The Common Place MOO: Orality and Literacy in Virtual Reality. Elektronische Publikation. URL:
http://sunsite.unc.edu/cmc/mag/1994/jul/moo.html, 1994 (letzter Zugriff: 05.06.02);
December, J.: Characteristics of Oral Culture in Discourse on the Net. Paper presented at the twelfth annual Penn State Conference
on Rhetoric and Composition, University, Park, Pennsylvania, July 8, 1993.
18
December, J., 1993.
19
Ebd.
20
Weingarten, R.: Sprachwandel durch Computer. (S. 7-20) In: Weingarten, R. (Hrsg.): Sprachwandel durch Computer. Opladen:
Westdeutscher Verlag, 1997, S. 8.

13
Spitzer
21
bezeichnet diese neue Schreib-Form als "talking in writing", da die Teilnehmer in
Newsgroups, Mailinglisten und anderen Kommunikationsdiensten so kommunizieren, als
befänden sie sich in einem Dialog.
Murray
22
nennt sie auch "computer conversation" und vergleicht sie mit einem
"(tele)graphischen Gespräch".
In verschiedenen Studien werden die Internetdienste im Hinblick auf ihre Mündlichkeit
untersucht. Haase et al.
23
beschäftigen sich mit E-Mail, Newsgroups, Talk und Internet
Relay Chat (im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Abkürzung "IRC"
24
verwendet).
Sie betrachten die asynchronen Formen (die dadurch gekennzeichnet sind, dass nicht alle
Teilnehmer gleichzeitig online sein müssen)
25
öffentlicher Netzkommunikation konzep-
tionell als schriftlich und die synchronen Formen (die dadurch gekennzeichnet sind, dass
alle Teilnehmer gleichzeitig online sind)
26
wie beispielsweise IRC als konzeptionell stark
mündlich orientiert, wobei "mit der sprechsprachliche[n] Konzeption die Sprecher-Hörer-
Nähe symbolisch erhöht werden soll"
27
.
Dieser Ansicht sind auch Runkehl et al.: "Je stärker die Kommunikation dialogischer und
synchroner erfolgt, desto häufiger lassen sich mündliche Aspekte des Sprachgebrauchs in
der Internet-Kommunikation feststellen."
28
Es gibt jedoch auch Studien, die eine Differenzierung dahingehend vornehmen, E-Mail
aufgrund seiner medialen Form dem schriftlichen Kontext und aufgrund seiner konzep-
tionellen Form dem mündlichen Kontext zuzuordnen. Pansegrau geht z. B. davon aus, dass
"trotz der Tatsache, daß Computer im wesentlichen die Schrift als Medium von Sprache
bereitstellen, E-Mails der konzeptionellen Mündlichkeit näherstehen"
29
. Sie stellt im
Hinblick auf ihren E-Mail-Korpus fest, dass sich darin eine neue Form von Dialogizität
21
Spitzer, M.: Writing style in computer conferences. (S. 19-22) In: IEEE Transactions of Professional Communication PC, 29 (1),
1986, S. 19.
22
Murray, D. E.: When the medium determines turns: turn-taking in computer conversation. (S. 319-337) In: Coleman, H. (Hrsg.):
Working with language. A multidisciplinary consideration of language use in work contexts. Berlin et al.: Mouton de Gruyter, 1989.
(Contributions to the sociology of language; 52).
23
Haase, M. et al.: Internetkommunikation und Sprachwandel. (S. 51-85) In: Weingarten, R. (Hrsg.): Sprachwandel durch Computer.
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1997. Auch: Elektronische Publikation. URL: http://www.uni-giessen.de/~g91063/html/irc/ (letzter
Zugriff: 06.11.02)
24
Siehe Kapitel 3.3.4.
25
Siehe Kapitel 3.2.1.
26
Siehe Kapitel 3.2.1.
27
Haase, M. et al., 1997, S. 81.
28
Runkehl, J.; Schlobinski, P.; Siever, T.: Sprache und Kommunikation im Internet. Überblick und Analysen. Opladen; Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag, 1998.
29
Pansegrau, P.: Dialogizität und Degrammatikalisierung in E-Mail. (S. 86-104) In: Weingarten, R. (Hrsg.): Sprachwandel durch
Computer. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1997, S. 100.

14
und sprachlicher Kreativität konstituiert, die sich an mündlichen Kommunikationssitua-
tionen zu orientieren scheint.
30
Lenke / Schmitz
31
warfen die Frage auf, ob die CVK, speziell Chat-Kommunikation, als
eine Weiterentwicklung der Mündlichkeit anzusehen ist oder vielmehr eine Neuorientie-
rung der Schriftlichkeit an der Dynamik des Diskurses darstellt. Beißwenger
32
bemerkt
dazu in einer Stellungnahme, dass sich im Chat einerseits eine neue und innovative Form
der Mündlichkeit und zum anderen eine Rückholung der Interaktivität in die Schriftkultur
und somit letztlich eine Reintegration der Schriftlichkeit in eine Kommunikationskultur der
Nähe feststellen lässt.
Auch Dürscheid
33
stellt fest, dass der Chat konzeptionell der Mündlichkeit, jedoch medial
der Schriftlichkeit zuzuordnen ist.
Zahlreiche Autoren identifizieren Elemente gesprochener Sprache in der Kommunikation
in Computernetzen, u. a. Kneer
34
, Weingarten
35
, das ELWIS-Projekt
36
, welches Beiträge
aus deutschen Nachrichtenforen mit einem Text der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ver-
gleicht
37
, Schütte
38
, der die Sprache und Kommunikationsformen in Newsgroups und
Mailinglisten untersucht und Feldweg et al.
39
, die das Tübinger Newskorpus untersuchen.
Kirk McElhearn
40
stellt in den von ihm untersuchten Mailing-Listen "elements of both
written and spoken discourse" fest.
30
Pansegrau, P., 1997, S. 102.
31
Lenke, N.; Schmitz, P.: Geschwätz im 'Globalen Dorf' - Kommunikation im Internet. (S. 117-141) In: Schmitz, U. (Hrsg.): OBST
(Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie), 50, 1995a.
32
Beißwenger, M.: Getippte "Gespräche" und ihre trägermediale Bedingtheit. Zum Einfluß technischer und prozeduraler Faktoren auf
die kommunikative Grundhaltung beim Chatten, 2002. Elektronische Publikation. URL:
http://www.unizh.ch./~elwyss/chat/chat.html (letzter Zugriff: 05.06.02)
33
Dürscheid, C.: Zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: die Kommunikation im lnternet (S. 17-30). In: Mayerthaler, W.; Fenk-
Oczlon, G. (Hrsg.): Papiere zur Linguistik, 60 (1) Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1999, S. 21/22.
34
Kneer, V.: Computernetze und Kommunikation. Diplomarbeit, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft und Sozialforschung.
Universität Hohenheim, 1994. Elektronische Publikation. URL: http://www.uni-koeln.de/themen/Internet/cmc/text/kneer.94a.txt
(letzter Zugriff: 05.06.02)
35
Weingarten, R., 1997a.
36
Storrer, A.; Feldweg, H.; Hinrichs, E. H.: Korpusunterstützte Entwicklung lexikalischer Wissensbasen. (S. 59-72) In: Sprache und
Datenverarbeitung, 17, 1993.
37
Das Newscorpus umfasste den Jahrgang 1993 mit ca. 43 Moi. Wortformen, das Zeitungscorpus den Zeitraum von Juli 1992 bis März
1993 mit ca. 35 Moi. Wortformen (vgl. Feldweg et al. 1995, S. 145).
38
Schütte, W.: Sprache und Kommunikationsformen in Newsgroups und Mailinglisten. (S. 142-178). In: Kallmeyer, W. (Hrsg.):
Sprache und neue Medien. Berlin et al.: de Gruyter, 2000 (Zugl.: Jahrbuch/Institut für Deutsche Sprache, 1999)
39
Feldweg, H; Kibinger, R., Thielen, C.: Zum Sprachgebrauch in deutschen Newsgruppen. (S. 143-154) In: Schmitz, U., 1995.
40
McElhearn, K.: Writing Conversation: An Analysis of Speech Events in E-Mail Mailing lists, 1996. Elektronische Publikation. URL:
http://www.mcelhearn.com/cmc.html (letzter Zugriff: 05.06.02).

15
Andere, wie z. B. Maynor, bemerken in Bezug auf die Mündlichkeit in E-Mails: "We are
witnessing the emergence of a writing style that is closer to speech"
41
; ebenso weist
Severinson Eklundh darauf hin, dass E-Mail-Texte "exhibited a range of features
associated with spoken media."
42
Uhlírová
43
beschäftigt sich mit der Frage, ob E-Mail mehr Elemente der geschriebenen
oder der gesprochenen Sprache aufweist. Sie kommt zu folgendem Ergebnis: "Although
written in its substance, E-Mail messages are in some respects no less interactive than
speech, and as such, they bring clear evidence of speech and writing as blurring
categories."
44
Collot und Belmore
45
, die grammatikalischen Strukturen der Kommunikation in einer
Newsgroup untersuchen, stellen fest, dass eine eindeutige Zuordnung des Mediums E-Mail
zu mündlichen oder schriftlichen Formen nicht getroffen werden kann, da die elektronische
Sprache Muster beider Gattungen aufweist. In seinen Charakteristika würde das unter-
suchte Genre am ehesten öffentlichen Interviews und Briefen ähneln.
Lenk
46
analysiert die Kommunikation in einer Newsgroup unter soziologischen, tech-
nischen und sprachwissenschaftlichen Aspekten Für ihre Untersuchung benutzt sie das
Analysemuster der gesprochenen Sprache von Brinker und Sager
47
in leicht abgewandelter
Form und passt es ihrem Korpus an. Auch sie stellt folgendes fest: "Die Newskommuni-
kation und speziell die Quote führen Elemente aus der herkömmlichen mündlichen und
schriftlichen Kommunikation in einer neuen Form zusammen."
48
Handler
49
untersucht die Mündlichkeit- / Schriftlichkeitsproblematik von E-Mails und
konstatiert eine Nähe zum Gespräch aufgrund der "Tendenz zur intensiven Dialogizität"
50
.
Als charakteristisch für E-Mails sieht er die Quoten
51
an, die zur Erleichterung des
41
Maynor, N.: The Language of Electronic Mail: Written Speech? (S. 48-54) In: Little, G. D.; Montgomery, M. (Hrsg.): Centennial
Usage Studies. Publications of the American Dialect Society. Tuscaloosa: University of Alabama Press, 1978, S. 52f.
42
Severinson Eklundh, K.: Electronic Mail as a Medium for Dialogue. (S. 162-173) In: can Waes, L.; Woudstra, E.; van den Hoven, P.
(Hrsg.): Functional Communication Quality. Amsterdam et al.: Rodopi, 1994, S. 162.
43
Uhlírová, L.: E-mail as a new subvariety of medium and his effects upon the message. (S. 273-282) In: Cmejková, S.; Sticha, F.
(Hrsg.):The Syntax of Sentence and Text: Festschrift for Frantisek Danes. Philadelphia: Benjamins, 1994.
44
Ebd., S. 280.
45
Collot, M.; Belmore, N.: Electronic language. A new variety of English. (S. 13-28) In: Herring, S. C. (Hrsg.): Computer-mediated
communication. Linguistic, social, and cross-cultural perspectives. Amsterdam: Benjamins, 1996.
46
Lenk, M.: Der Einfluß der Computerkommunikation auf die deutsche Sprache. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Regensburg, 1995.
47
Brinker, K.; Sager, S. F.: Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1996.
48
Lenk, M., 1995, S. 111.
49
Handler, P.: There`s a message in the wire... Stilistische Annäherungen an das Phänomen E-Mail. (S. 44-63) In: Moderne Sprachen,
1-2, 1995.
50
Ebd., S. 49.
51
Handler wählt für Quotes den Begriff "Kommentar", ein Ausdruck, der sich nicht durchgesetzt hat.

16
Textverständnisses dienen. Er spricht dabei von "abgebildeter Diachronie"
52
. Weiterhin
vergleicht er die E-Mails mit dem Brief und stellt dabei die Verwendung ähnlicher Be-
griffe sowie eine ähnliche Strukturierung (Grußformel, Anrede etc.) fest.
Ebenso wie Handler setzen auch Günther / Wyss
53
, die E-Mail in Bezug zur Textsorte
Brief. Die
Unterschiede zwischen diesen beiden Kommunikationsmedien ergeben sich
ihnen zufolge aus der besonderen Bedeutung der "Mündlichkeit" in der E-Mail-Kommu-
nikation. Sie untersuchen E-Mails u. a. im Hinblick auf den Einsatz von Smileys
(Emotikons
54
), individuellen Formatierungen, ASCII-Art und Abkürzungen (ROTFL,
IMHO
55
etc.) und finden hierbei verschiedene sprachliche Phänomene, die sie als
"Elemente der Mündlichkeit" bezeichnen.
Quasthoff
56
vergleicht in ihrer Studie Fax-Kommunikation, E-Mail-Kommunikation und
die Mailing-Listen LINGUIST-List und ETHNO-List. Ihre Aufmerksamkeit gilt insbeson-
dere dem Unterschied zwischen (konzeptioneller) Mündlichkeit und Schriftlichkeit, der
Anrede und dem Umgang mit orthographischen Normen und sie entdeckt hierbei in den E-
Mails u. a. viele orthographische Fehler, durchgängige Kleinschreibung, Abkürzungen und
"tageszeitorientierte Grußformeln". Durch die daraus resultierende "Flüchtigkeit der
Botschaft" wird "eher der Rahmen einer schnell hingeworfenen Notiz als eines Briefes
erzeugt."
McElhearn
57
und Quasthoff
58
betonen im Hinblick auf die Frage nach der Ähnlichkeit
zwischen E-Mail-Kommunikation und Gesprächen die Bedeutung des Zeitfaktors beim
Austausch von E-Mails. Je länger die temporalen Unterschiede zwischen Produktion und
Rezeption einzelner E-Mails seien, desto größer sei die Entfernung zur Mündlichkeit.
Janich wertet die elektronische Korrespondenz in einem großen Wirtschaftsunternehmen
aus und stellt fest, dass zwar eine "gewisse Aufweichung formaler und grammatischer
52
Handler, P., 1995, S. 50.
53
Günther, U.; Wyss, E. L.: E-Mail Briefe - eine neue Textsorte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. (S. 61-86) In: Hess-
Lüttich, E. W. B.; Holly, W.; Püschel, U. (Hrsg.): Textstrukturen im Medienwandel. Frankfurt a.M. et al.: Lang, 1996.
54
Emotikons werden aus ASCII-Zeichen gebildet und stellen Gesichtsausdrücke dar. Siehe Kapitel 4.3.1.
55
Siehe im Anhang die Liste der Akronyme.
56
Quasthoff, U. M., 1997.
57
McElhearn, K., 1996.
58
Quasthoff, U. M., 1997.

17
Regeln zu beobachten"
59
sei, dass die von ihr untersuchten Schreiben aber fast alle bei
einem "relativ unpersönlichen, nüchternen Geschäftsstil"
60
bleiben.
Dürscheid
61
ist der Meinung, dass E-Mails nur relativ zu ihren Äquivalenten im nicht-elek-
tronischen Bereich näher am Mündlichkeitspol stehen. Sie betrachtet den Chat, E-Mail und
das Usenet und identifiziert als Merkmale für konzeptionelle Mündlichkeit die Smileys,
unflektierte Verbformen (oftmals Verbletztkonstruktionen), orthographische Fehler,
Interjektionen
62
, wiederholte Ausrufe- und Fragezeichen sowie iterierte Buchstaben und
konstante Großschreibung.
Dürscheid erkennt zwischen den elektronischen Schreibbedingungen und den in den
Äußerungsformen verwendeten sprachlichen Mitteln einen Zusammenhang.
So greift der Schreiber im Chat auf Ausdrucksmittel zurück, die der konzeptionellen
Mündlichkeit zuzuordnen sind, und er verwendet spezielle Verschriftungstechniken, um in der
synchronen Kommunikation das Sprechen zu reinszenieren.
63
Storrer
64
identifiziert folgende wesentliche Charakteristika konzeptioneller Mündlichkeit in
der Internet-Kommunikation: ein parataktischer, wenig integrierter Satzbau, eine lose
Aneinanderreihung von Sätzen, die durch Semikolon getrennt werden, das Beenden eines
Satzes durch drei Auslassungspunkte statt durch einen Satzendepunkt, umgangssprachlich
markierte und dialektale Ausdrücke und eine Präferenz für einfache und kurze Wörter.
Das Buch "Soziales im Netz"
65
von Caja Thimm befasst sich u. a. mit der Fragestellung
welche Rolle der Schriflichkeitscharakter der Kommunikation für die Etablierung von
Soziabilität spielt.
Thimm weist darauf hin, dass die "Netzvermittelte Kommunikation des Sozialen (...) durch
Schriftkommunikation [geschieht], d. h. wir haben es mit einer neuen Manifestationsweise
und veränderter Funktionalität von Schriftlichkeitskultur(en) zu tun"
66
. Der Autorin
zufolge "lässt sich die Entwicklung eigener Schriftlichkeitskulturen beobachten, die sich
59
Janich. N.: Electronic Mail, eine betriebsinterne Kommunikationsform. (S. 248-259) In: Muttersprache, 3, 1994, S. 255.
60
Janich, N., 1994, S. 255.
61
Dürscheid, C., 1999.
62
Dazwischengeworfenes'. In Schulgrammatiken auch: Ausrufewort, Empfindungswort. Wortart, die dadurch gekennzeichnet ist, dass
ihre Repräsentanten a) morphologisch betrachtet unflektierbar sind und daher bisweilen den Partikeln zugerechnet werden, b) in
syntaktischer Hinsicht außerhalb des Satzrahmens stehen und deshalb auch als satzwertig angesehen werden, c) in semantisch-
pragmatischer bzw. kommunikativer Hinsicht als diskursspezigisches Mittel zur Kontaktaufnahme, der Lenkung von
Gesprächspartnern bzw. dazu dienen, Empfindungen, Aufmunterungen, Flüche, Verwünschungen usw. zum Ausdruck zu bringen,
z.B. hallo!, he!, au!, aha!, hoppla! O je!, verflixt!.
63
Dürscheid, C., 1999, S. 27.
64
Storrer, A.: Schriftverkehr auf der Datenautobahn: Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation im Internet. (S. 151-175) In:
Voß, G.; Holly, W.; Boehnke, K. (Hrsg.): Neue Medien im Alltag. Opladen: Leske + Budrich, 2000.
65
Thimm, C., 2000.
66
Ebd., S. 11.

18
bestimmter Schriftlichkeitsfunktionen kreativ bedienen"
67
. Dies erkennt man an dem
selbstverständlichen Gebrauch von Emotikons
68
oder Akronymen
69
.
Der "elektronischen Schriflichkeit" kommen damit "neue Funktionen zu, die nicht mehr
schwerpunktmäßig distanzbezogene, sondern auch nähebezogene Aspekte wie Spontanität,
Identitätsarbeit, Emotionalität beinhalten, die in eine Theorie der elektronischen Schrift-
lichkeit integriert werden müssen"
70
. Thimm erkärt weiterhin, dass durch das Netz als
"öffentliches Massenmedium" das Private öffentlich gemacht wird. Das Private und das
Öffentliche scheinen im Internet eine neue gemeinsame Dimension gefunden zu haben, die
für die soziale Kommunikation medienspezifische Formen der Sozialität ermöglicht.
71
Kleinberger Günther und Thimm
72
untersuchen die E-Mail-Kommunikation in schweizer
Unternehmen. Sie stellen fest, dass die betrieblichen E-Mails zwar in ihren Grundstruktu-
ren der schriftlichen Geschäftskommunikation gleichen und damit sowohl medial als auch
konzeptionell schriftliche Texte darstellen, dass sie jedoch ebenfalls eine Vielzahl von
sprachlichen Phänomenen, die nicht üblichen Normen geschäftlicher Kommunikation ent-
sprechen, enthalten. Sie kommen zu dem Schluss, dass die von ihnen untersuchten E-Mails
eine hybride Form konzeptioneller Mündlichkeit im Modus medialer elektronischer
Schriftlichkeit darstellen.
Nach einer statistischen Auswertung von 775 Beiträgen aus 155 ausgewählten News-
groups
73
, stellt Dürscheid fest, dass die Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit in den
Newsgroups längst nicht so frequent wie im Chat sind, was sie auf die Asynchronität in
den Newsgroups zurückführt.
74
2.2. Kultur
In einer Studie zur Internetnutzung in verschiedenen Ländern untersuchen Cronin
75
und
Goodman
76
, von wievielen Usern und zu welchem Zweck das Internet in den einzelnen
Ländern genutzt wird und aus welchen kulturellen Gründen es in den verschiedenen
67
Thimm, C., 2000, S. 11.
68
Siehe Kapitel 4.3.1.
69
Linguistisch gesehen sind Akronyme Kurzwörter, die aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildet werden. In der CVK, die
ein höheres Bedürfnis an Schnelligkeit aufweist, versteht man dagegen unter einem Akronym viele gängige abgekürzte Phrasen.
70
Thimm, C., 2000, S. 12.
71
Ebd., S. 13.
72
Kleinberger Günther, U.; Thimm, C., 2000, S. 262-277.
73
Vgl. Runkehl, J.; Schlobinski. P.; Siever, T., 1998, S. 63.
74
Dürscheid, C., 1999, S. 25.
75
Cronin, M. J.: Global Advantage on the Internet: From Corporate Connectivity to International Competitiveness. New York: Van
Nostrand Reibhold, 1996.

19
Ländern jeweils mehr oder weniger Internetnutzer gibt
77
. Jedoch gibt es, meines Wissens,
bisher kaum Untersuchungen, die sich mit der Sprache und Kultur im Internet beziehungs-
weise mit den kulturellen Differenzen in der Internet-Kommunikation auseinandersetzen.
Nach ausgiebiger Recherche fand ich nur Arbeiten, die sich mit den Beziehungen zwischen
Sprache und Internet oder Kultur und Internet befassten.
Einige wenige Studien thematisieren den jeweils spezifischen deutschen oder franzö-
sischen Sprachgebrauch im Internet oder in E-Mails, doch Abhandlungen, die News-
Artikel untersuchen, sind sehr selten. Im deutschsprachigen Raum haben sich in erster
Linie Ulrich Schmitz
78
und Rüdiger Weingarten
79
mit diesem Thema befasst. Als Heraus-
geber mehrerer diesbezüglicher Texte haben sie schon Ende der 80er Jahre begonnen, die
Auswirkungen des Computers beziehungsweise der neuen Medien auf die Sprache zu
beobachten. Auf französischsprachiger Seite ist Jacques Anis
80
in diesem Bereich tätig, der
durch den Band "Communication médiée par ordinateur" wertvolle Anregungen für diese
Arbeit lieferte.
Ute Hoffmann
81
unterscheidet neben "virtuellen Gemeinschaften" und "Funktionsgemein-
schaften"
82
die sogenannten "Kulturgemeinschaften", die ein vergleichsweise stark ausge-
prägtes "Wir-Gefühl" eint. Unter "Kulturgemeinschaften" versteht sie die Aktivitäten und
Kontakte im Netz, die einen zentralen Sozialbezug darstellen und als Grundlage einer
kollektiven Identitätsbildung fungieren.
Döring
83
hat zehn Modelle zur CVK entwickelt. Eines dieser Modelle bezeichnet sie als
"Kulturraum-Modell" und postuliert darin, dass es die gemeinsamen Aktivitäten der
Nutzerinnen und Nutzer in den Mittelpunkt stellt.
84
76
Goodman, S. E. et al.: The global diffusion of the Internet: Patterns and problems. (S. 27-31) In: Communications of the ACM, 37
(8), 1994.
77
Siehe auch Dahl, S.: Communications and Culture Transformation. Cultural Diversity, Globalization and Cultural Convergence. o.J.
Elektronische Publikation. URL: http://www.stephweb.com/capstone/capstone.shtml (letzter Zugriff: 05.06.02)
78
Schmitz, U., 1995.
79
Weingarten, R. (Hrsg.): Sprachwandel durch Computer. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1997b.
80
Anis, J.: Internet, communication et langue française. Paris: Hermès, 1999.
81
Hoffmann, U.: Request for Comments: Das Internet und seine Gemeinde. (S. 104-117) In: Kubicek, H. et al. (Hrsg.): Jahrbuch
Telekommunikation und Gesellschaft. Heidelberg: v. Decker, 1996, S. 113.
82
Bei ihnen geht es um die kooperative Lösung technischer Probleme der Netzkommunikation.
83
Döring, N.: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale
Beziehungen und Gruppen. Göttingen et al.: Hogrefe, 1999. (Internet und Psychologie, Bd. 2) (Zugl.: Berlin, Freie Universität, Diss,
1998)
84
Ebd., S. 236.

20
Helmers bezeichnet die Computernetze als "Kulturräume"
85
, da die Teilnehmer darin
netztypische symbolische Ausdrucksformen entwickeln, ein spezifisches Wissen teilen und
neue soziale Regularien und Werte etablieren.
Das Fehlen von Literatur bezüglich Kultur und Internet lässt sich wahrscheinlich u. a.
darauf zurückführen, dass sich kommunikative und kulturelle Differenzen nicht so
"objektiv" erfassen lassen, wie beispielsweise die Anzahl der deutschen und französischen
Internetnutzer. Eine weitere Ursache könnte darin liegen, dass die Internetkommunikation
schon für sich genommen, ohne Einbeziehung ihrer interkulturellen Dimension, ein recht
komplexes und schwer zu analysierendes Forschungsgebiet darstellt. Im Zuge der Globali-
sierung ist es jedoch notwendig, den kulturellen Unterschieden mehr Aufmerksamkeit zu
schenken.
85
Helmers, S.; Hoffmann, U.; Hofmann, J.: Offene Datennetze als gesellschaftlicher Raum. Das Modell Internet. In: EU-Kommission,
Vertretung der BRD - Vertretung in Berlin (Hrsg.): Europartner Information. Sonderheft April 1995. Berlin: Berliner Vertretung der
EU, 1995. Auch: Elektronische Publikation. URL: http://duplox.wz-berlin.de/texte/eu, 1995 (letzter Zugriff: 05.06.02)

21
3. Computervermittelte Kommunikation (CVK)
Computervermittelt zu kommunizieren beschert Erlebnisse, bei denen sich Vertrautes und
Unvertrautes mischen und für die wir noch keine adäquate Sprache gefunden haben. Wenn die
"Virtualität" der "Realität" oder die "Netzwelt" dem "wirklichen Leben" (real life)
gegenübergestellt werden, will man damit zu recht andeuten, daß sich soziale Erfahrungen "im
Netz" von denen "außerhalb des Netzes" unterscheiden und drückt sich doch insofern
irreführend aus, als auch Netzkommunikation "echte" soziale Kommunikation darstellt, durch
die wir Wirklichkeiten konstruieren, Identitäten aushandeln, soziale Beziehungen und
Gemeinschaften bilden ­ oder dabei scheitern, wie das auch sonst so üblich ist.
86
Nach dem einleitenden Überblick über den Forschungsstand wenden wir uns in diesem
Kapitel der computervermittelten Kommunikation (CVK) zu. Um zu einem umfassenden
Verständnis dieses für die vorliegende Arbeit so zentralen Begriffs zu gelangen, ist es
unerlässlich, vorab eine umfassende Begriffserklärung vorzunehmen. Dabei ist zunächst
einmal deutlich zu machen, was eigentlich gemeint ist, wenn von Kommunikation,
Sprache, Zeichen, und Kommunikationskanälen die Rede ist. Diese Begriffe werden im
Folgenden präzisiert und spezifiziert, wobei die Frage nach dem Unterschied zwischen der
FTF-Kommunikation und der CVK stets präsent ist. Anschließend werden charakteris-
tische Merkmale der CVK behandelt.
Das Kapitel schließt mit einem Überblick über die neuen Kommunikationsdienste des
Internets und beschränkt sich hierbei auf die Hauptanwendungsformen ­ E-Mail,
Mailingliste, Newsgroup, Chat und MUD.
3.1. Kommunikation
3.1.1. Definitionen
Wo auch immer soziale Strukturen gegeben sind und soziale Interaktionen stattfinden, da
werden sie auch begleitet von oder konstituiert durch Kommunikation mittels
Zeichen(systemen). Ohne Gesellschaft gibt es keine Kommunikation: aber ohne
Kommunikation auch keine Gesellschaft.
87
Der Begriff der Kommunikation wird in vielen Kontexten verwendet, jedoch unter-
schiedlich definiert. Es soll hier zunächst eine Auswahl unterschiedlicher Auffassungen
vorgestellt werden, bevor man näher auf die Definition, welche in dieser Arbeit werwendet
wird, eingeht.
Klaus Merten
88
differenziert u. a. zwischen den folgenden Kommunikationen:
86
Döring, N., 2000a, S. 345.
87
Sottong, H.; Müller, M.: Zwischen Sender und Empfänger: eine Einführung in die Semiotik der Kommunikationsgesellschaft.
Bielefeld: Erich Schmidt, 1998, S. 133.
88
Merten, K.: Kommunikation. Eine Begriffs- und Prozeßanalyse. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1977. (Studien zur
Sozialwissenschaft; Bd. 35)

22
·
Subanimalische Kommunikation
Hierunter versteht Merten die Kommunikation zwischen Organismen, die vor allem
durch chemische Mittel beeinflusst werden. Dabei geht es um technische oder natur-
wissenschaftliche Erscheinungen wie etwa die reziproke Einwirkung zweier magne-
tischer Substanzen aufeinander oder die Entstehung einer Verbindung aus zwei
verschiedenen Molekülen.
89
·
Animalische Kommunikation
Dies ist die Bezeichung für die Kommunikation zwischen Lebewesen, genauer:
zwischen mehreren Tieren oder zwischen Menschen und Tieren.
·
Humankommunikation
Hierunter versteht man ausschließlich Kommunikation zwischen verschiedenen Men-
schen. Als Kriterium für die Humankommunikation nennt Merten die Verfügbarkeit
eines sprachlichen und eines nonverbalen Kanals.
·
Massenkommunikation
Nach Merten ist die Massenkommunikation eine besondere Form der Humankom-
munikation, deren besonderes Kennzeichen darin besteht, dass Kommunikator und
Rezipient füreinander nicht anwesend sind, der Kommunikator selbst relativ anonym
bleibt, der Transfer der Selektionsleistungen grundsätzlich einseitig erfolgt, dass sie auf
technische Medien angewiesen (also indirekt) ist und sich an die Öffentlichkeit richtet.
Dies ist z. B. bei einem Zeitungsartikel der Fall.
Theis-Berglmair
90
differenziert weiter zwischen der interpersonellen Kommunikation, der
Massenkommunikation und zwischen einer (technisch vermittelten) interpersonellen und
einer Individualkommunikation.
Charakteristisch für die interpersonelle Kommunikation ist nach Theis-Berglmair die
Identifizierbarkeit von Sender und Empfänger, der wechselseitige Bezug (Reziprozität)
und der Rollentausch, was die interpersonale Beziehung fördert und zur Identitäts- und
Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Charakteristisch für die Massenkommunikation ist
dagegen die Produktion von Öffentlichkeit.
Die Unterschiede stellt Theis-Berglmair in einer Tabelle dar
91
:
89
Merten, K., 1977, S. 94.

23
Interpersonelle Kommunikation
Massenkommunikation
Austausch von Symbolen zwischen Sendern und
Empfängern
Handlungszusammenhang zur Erzeugung öffentlicher
Aussage unter Berücksichtigung von Produktions-,
Distributions- und Rezeptionsmustern
Rollentausch
und
Reziprozität
Überschreiten der Aufmerksamkeitshorizonte von
Personen, Gruppen und Organisationen durch
medienspezifische Selektionskriterien
Konstitution interpersonaler Beziehungen
Fokussierung gesellschaftlicher Aufmerksamkeit auf
Themen, die als gemeinsame Bezugspunkte für
Anschlusskommunikation dienen.
Gemeinsame (fiktive) Referenz durch universell
akzeptierte Themen
Als Beispiel für eine technisch vermittelte interpersonelle Kommunikation nennt Theis-
Berglmair die E-Mail, denn in einer E-Mail sind die persönlichen Eigenschaften des
Senders und Empfängers relevant.
In der technisch vermittelten Individualkommunikation haben dagegen persönliche
Eigenschaften geringere Bedeutung. Es ist entscheidender, dass der Anfragende eine
Antwort erhält, die seinen individuellen Bedürfnissen entspricht.
Die Kommunikation im weiteren Sinne bezeichnet vor allem Formen der Informations-
übertragung in denen Zeichen übermittelt werden. Unter dem engeren Kommunika-
tionsbegriff versteht man dagegen eine zwischenmenschliche Verständigung mittels Aus-
tausch von Gedanken, Gefühlen, Meinungen oder Informationen durch verbale, vokale,
nonverbale und paraverbale Manifestationen sowie vermittelt über unterschiedliche
Kommunikationsmedien wie Sprache, Schrift, Symbole oder Zeichen, Gestik, Kleidung,
Gangart oder Raumnutzung.
92
Nach Watzlawick, Beavin und Jackson ist es dabei nicht
möglich, nicht zu kommunizieren.
93
Jede Mitteilung besteht nicht nur aus einer Information, sondern drückt auch etwas über
die Beziehung zwischen Sender und Empfänger aus.
94
Nach Lenke et al. ist Kommu-
nikation damit "ein wichtiger Bestandteil unserer sozialen Beziehungen; ohne sie wird es
schwierig, wenn nicht gar unmöglich, berufliche und freundschaftliche Beziehungen
90
Theis-Berglmair, A. M., 2002, S. 228-230.
91
Ebd., S. 220.
92
Vgl. Berelson, B.; Steiner, G. A.: Human Behavior. New York: Harcourt, 1964, S. 527.
93
Watzlawick, P.; Beavin, J. H.; Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 8. Aufl.. Bern et al.:
Huber, 1990, S. 51.
94
Vgl. ebd., S. 53-56.

24
aufrecht zu erhalten beziehungsweise zu vertiefen; sie ist notwendig, um berufliche oder
private Positionen zu erreichen oder zu bewahren"
95
.
Die Sprachwissenschaft versteht unter Kommunikation in der Regel einen Prozess der
Informationsübertragung, an dem folgende Elemente beteiligt sind:
Eine Mitteilung wird von einer sendenden Instanz an eine empfangende gerichtet, wobei die
Mitteilung durch Symbole in einem Medium ausgedrückt und durch einen Kanal übermittelt
wird. Erfolgreiche Kommunikation ist möglich, wenn die Symbole beiden Instanzen
zugänglich sind.
96
Dieser Prozess ist in zahlreichen Kommunikationsmodellen dargestellt.
97
Nach dem klassi-
schen Modell von Shannon und Weaver
98
gliedert sich ein Kommunikationssystem in fünf
Teilbereiche: die Nachrichtenquelle (Codierung), welche die Nachricht (ein Zeichen)
produziert, den Signal-Sender, welcher die Nachricht in Zeichen kodiert, den Übertra-
gungskanal, in dem Zeichen übertragen werden, den Signal-Empfänger, der die Nachricht
von dem Zeichen dekodiert / interpretiert und den Nachrichtenempfänger (Decodierung),
bei dem die Nachricht ankommt. Ein sechstes Element könnte eine Störquelle sein, wie z.
B. beim Telefon ein Geräusch durch das Kabel.
Information
Source
Transmitter
Receiver
Destination
Message
Signal
Received
Signal
Message
Noise
Source
Abb. 1: Kommunikationsmodell von Shannon and Weaver
99
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Austausch von Informationen beziehungs-
weise mit der Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen mit Hilfe des
Computers. Das Medium, welches die Nachricht übermittelt, ist in diesem Falle nicht die
95
Lenke, N.; Lutz, H.-D.; Sprenger, M.: Grundlagen sprachlicher Kommunikation. Mensch ­ Welt ­ Handeln ­ Sprache ­ Computer.
München: Wilhelm Fink Verlag, 1995b, S. 15.
96
Zoeppritz, M.: Kommunikation mit der Maschine. (S. 109-121) In: Weingarten, R.; Fiehler, R. (Hrsg.): Technische Kommunikation.
Opladen: Psycholinguistische Studien, 1988, S. 109.
97
Vgl. McQuail, D.; Windahl, S.: Communication Models for the Study of Mass Communication. London: Longmann, 1993;
Bentele, G.; Beck, K.: Information - Kommunikation - Massenkommunikation. Grundbegriffe und Modelle der Publizistik- und
Kommunikationswissenschaft. (S. 16-52) In: Jarren, O. (Hrsg.): Medien und Journalismus 1. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994.
98
Shannon, C. E.; Weaver, W.: The Mathematical Theory of Communication. Urbana: Illinois University Press, 1967, S. 7.
99
Ebd.,
1967.

25
gesprochene Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung etc., sondern der Computer als technisches
Medium. Dabei wird die zu sendende Information kodiert, d. h. in einen Computer
eingelesen, über ein Netzwerk übertragen und vom Computer wiedergegeben.
3.1.2. Sprache und Zeichen
Sprache spielt in der Kommunikation eine wichtige Rolle:
1) Durch die verbale Kommunikation, in der Wörter nach bestimmten Regeln zu Sätzen
verbunden werden oder 2) durch die nonverbale Kommunikation, die von Edward T. Hall
auch als "silent language"
100
bezeichnet wird.
Sprache ist "Mittel oder Werkzeug der Kommunikation und damit das wesentliche
Instrument der sozialen Interaktion"
101
und dient der "Formulierung und Übertragung von
Informationen zur Orientierung in der Umwelt"
102
. Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil
des persönlichen und sozialen Verhaltens sowie der zwischenmenschlichen Verständigung.
Zeichen bilden dazu die Grundlage. "Die sprachlichen Phänomene sind durch und durch
zeichenhaft".
103
Ohne die Zeichen ist Verständigung nicht möglich. Verständigung liegt
dann vor, wenn der Rezipient eine ihm mitgeteilte Aussage so versteht, wie sie vom
Kommunikator gemeint ist.
104
Zur Verständigung bedarf es eines gemeinsamen, übereinstimmenden Zeichenvorrates der
Kommunikationspartner.
Würde jeder der am Kommunikationsprozeß Beteiligten seine eigene Sprache benutzen,
manipulieren und in einer eigenen Symbolwelt leben, so wäre eine angestrebte Verständigung
kaum möglich.
105
Eine Kultur verfügt über einen übereinstimmenden Zeichenvorrat; es gelten die gleichen
Zeichen und Bedeutungen. Diese eignen sich die Mitglieder der Kulturen während des
Sozialisationsprozesses (Familie, Schule) an. Müller hat dies wie folgt zusammengefasst:
"Die durch soziale Konvention festgelegte Relation zwischen Zeichen und Objekten oder
Ideen lernt das Individuum im Laufe des Sozialisationsprozesses."
106
100
Hall, E.T.: The silent language. Garden City, NY: Anchor Press/Doubleday, 1959.
101
Müller, O.: Semiotik und Kommunikation. Mannheim: Univ., Diss., 1974, S. 45.
102
Ebd., S. 46.
103
Bühler, K.: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 2. Aufl. Stuttgart: Fischer, 1965, S. 33.
104
Vgl. Burkart, R.: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft.
3. Aufl. Wien: Böhlau, 1998, S. 75.
105
Höflich, J. R., 1996, S. 32.
106
Müller, O., 1974, S. 46.

26
Die sprachliche (verbale) Kommunikation wird durch para- und nonverbale Signale
begleitet, die wiederum auf einen Fundus aus para- beziehungsweise nonverbalen Zeichen
verweisen. Unter "paraverbalen Zeichen" versteht man jene Zeichen, die selbst nicht
sprachlicher Art sind, sich aber in Verbindung mit dem sprachlichen Ausdruck mani-
festieren, wie Betonung und Stimmhöhe. "Nonverbale Zeichen" hingegen sind solche, die
unabhängig von der Sprache existieren und vorwiegend über den optischen beziehungs-
weise visuellen Kanal wahrgenommen werden. Durch sie teilt man seine Gefühle (durch
Gesichtausdruck, Augen, Gestik, Körperhaltung, Lautstärke, Tonfall, Kleidung etc.), seine
Einstellungen zum Mitmenschen (beziehungsweise Mitlebewesen) (hassend ­ liebend,
freundlich - feindlich etc.) und die eigene Persönlichkeit (durch Auftreten, Manipulation
des Aussehens etc.) mit.
Nonverbale Zeichen sind kulturell geprägt.
The language of behavior is extraordinarily subtle. Most people are lucky to have one
subcultural system under control ­ the one that reflects their own sex, class, generation, and
geographic region within the country. [...] [Nonverbal communication] systems are interwoven
with the fabric of the personality and into society itself, even rooted in how one experiences
oneself as a man or a woman.
107
Der Zeichenaustausch funktioniert nur aufgrund des Vorhandenseins gemeinsamer Regeln
und Elemente, über die sich Individuen und Gruppen im Verlauf einer gemeinsamen
Geschichte "geeinigt" haben. Über einen in hohem Maße übereinstimmenden Zeichen- und
Regelvorrat verfügen Kommunikationspartner, die nicht nur die gleiche Sprache sprechen,
sondern auch ähnliche oder gleiche Interessen sowie ähnliche oder gleiche Erfahrungen,
Anschauungen und Werthaltungen haben.
108
Je mehr die Zeichen und Regeln der Kommu-
nizierenden übereinstimmen, desto besser die Verständigung.
109
Kultur und Kommunikation gehören demnach zusammen ­ "culture is communication and
communication is culture"
110
­ und sie beeinflussen einander wechselseitig. Die Kultur
eines Menschen beeinflusst seine Art zu kommunizieren und die Art der Kommunikation
kann ihrerseits die geteilte Kultur der Kommunizierenden verändern.
111
107
Hall, E. T.: The Hidden Dimension. New York: Doubleday, 1982, S. 82.
108
Vgl. Merten, K., 1977.
109
Vgl. Sottong, H.; Müller, M., 1998, S. 9.
110
Hall, E. T., 1959, S. 169.
111
Gudykunst, W. B.; Ting-Toomey, S.; Chua, E.: Culture and interpersonal communication. Newbury Park et al.: SAGE, 1988, S. 17.

27
3.1.3. Kommunikationskanäle
Eine wichtige Rolle bei der Kommunikation spielen die Kommunikationskanäle. Die
Kommunikationskanäle in der FTF-Kommunikation unterscheiden sich hierbei von den in
der CVK verfügbaren Kommunikationskanälen.
Face-to-face Kommunikation
Face-to-face message constructions are characterized by a complex, spontaneous,
simultaneous, and immediate collage of verbal, nonverbal, and oral symbols. In contrast,
computer-mediated message constructions are characterized by written, critical, deliberate, and
delayed symbols.
112
Die Face-to-Face-Situation (FTF-Situation) beziehungsweise Body-to-Body-Situation
113
kennzeichnet eine zwischenmenschliche Kommunikation, bei der alle Kanäle zur Verfü-
gung stehen, die durch den direkten menschlichen Kontakt konstituiert werden. Die
Kommunikationspartner befinden sich zur gleichen Zeit am gleichen Ort, d. h. sie sind
körperlich kopräsent.
114
Gemäß Bülow ist menschliche Kommunikation eine "ganzkörper-
liche psychosomatische Manifestation der Gesamtpersönlichkeit", die die Sichtbarkeit der
Kommunikationspartner voraussetzt.
115
In der FTF-Kommunikation findet eine verbale
(Wörter und Sätze in einer Nachricht) und nonverbale Kommunikation statt. Hierbei kann
man seine Kommunikationspartner über verschiedene Kanäle wahrnehmen: über den
visuellen, den auditiven, den taktilen, den thermalen, den gustatorischen und den
olfaktorischen Kanal. Die meisten nonverbalen Informationen, wie Mimik, Gestik,
Körperhaltung, der Abstand zum Gesprächspartner sowie äußere Attribute (Körpergröße,
Kleidung, Frisur) werden über den visuellen Kanal vermittelt. Die Wahrnehmung der
gesprochenen Sprache und der damit verbundenen paraverbalen Komponenten wie
Stimmvariation, Sprechgeschwindigkeit und Sprechrhythmus erfolgt über den auditiven
Kanal. Über den taktilen Kanal werden Körperberührungen wahrgenommen; dazu zählen
beispielsweise Umarmungen oder ein Händedruck bei Begrüßungen, Verabschiedungen,
Beglückwünschungen, Vertragsvereinbarungen etc. und der Abstand zum Gesprächspart-
ner. Eng verbunden mit dem taktilen ist der thermale Kanal, über den man die Körper-
wärme des Kommunikationspartners wahrnimmt. Der gustatorische Kanal vermittelt
Geschmacksempfindungen: So kann beispielsweise die Qualität des Essens zum Gelingen
oder Misslingen von Kommunikation beitragen. Schließlich ist noch der olfaktorische
112
Chesebro, J. W.; Bonsall, D. G.: Computer-Mediated Communication. Human Relationships in a Computerized World. Tuscaloosa
and London: The University of Alabama Press, 1989, S. 62.
113
Döring, N., 1999, S. 34.
114
Ebd., S. 34.
115
Bülow, E.: Sprechakt und Textsorte in der Telefonkommunikation. (S. 300-312) In: Forschungsgruppe Telefonkommunikation
(Hrsg.): Telefon und Gesellschaft. Bd. 2. Berlin: Spiess, 1990, S. 307.

28
Kanal zu nennen, der Gerüche vermittelt. Körpergeruch kann beispielsweise ein kommuni-
kationsstörender Faktor sein, wogegen ein gut riechendes Parfum sich positiv auf die
Kommunikation auswirken kann.
Da man in der FTF-Kommunikation sofort das Geschlecht, das Alter, die Rasse, die
Nationalität, die Kleidung, das Make-up, das Parfum etc. des Gegenüber wahrnimmt und
zudem häufig auch sofort feststellen kann, ob dieser eine (äußerlich erkennbare) Krankheit
oder Behinderung hat, ist der erste Eindruck für den weiteren Verlauf des Gesprächs von
entscheidender Bedeutung.
116
Das Interesse, den Kontakt zu vertiefen, wird dement-
sprechend oft von Äußerlichkeiten bestimmt.
117
Der direkte menschliche Kontakt hat den Vorteil, dass man anhand der Mimik, der Gestik,
des Tonfalls, der Körperhaltung und der Distanz, die die Gesprächspartner zueinander
einnehmen, erkennen kann, ob der andere das Gesagte verstanden hat und diesem
zustimmt, ob er Interesse oder Desinteresse zeigt, wie sympathisch ihm die Person ist, mit
der er oder über die er spricht etc. Eine große Rolle spielen Gesichtsausdrücke wie z. B.
ein Lachen oder Lächeln, Stirnrunzeln oder das Heben der Augenbrauen. Diese sind für die
meisten Menschen die wichtigsten Zeichen um etwas über deren Gefühle und Einstel-
lungen des Gegenüber zu erfahren. Sie zeigen, ob der Kommunikationspartner fröhlich,
ernst oder ärgerlich ist und ob etwas Gesagtes ironisch oder sarkastisch gemeint war.
Computervermittelte Kommunikation
Die CVK ist nach Höflich: "Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Personen unter
Verwendung von Kommunikationstechnologien beziehungsweise technischen und im
besonderen elektronischen Medien."
118
In Abgrenzung zur FTF-Kommunikation nehmen wir bei der CVK über den visuellen
Kanal nicht den Kommunikationspartner, sondern lediglich seine Äußerungen mit dem
visuellen Kanal wahr. Der Computer ist hierbei eine notwendige Voraussetzung zur
Kommunikation, der auf Seiten des Senders und des Empfängers einer Botschaft zur En-
beziehungsweise Dekodierung der Nachricht dient. Im Gegensatz zur FTF-
116
Vgl. Hiltz, S. R.; Turoff, M.: The Network Nation. Human Communication via Computer. London et al.: Addison-Wesley, 1978, S.
78.
117
Vgl. Goffman, E.: The Presentation of Self in Everyday Life. Garden City, N.Y.: Doubleday (Anchor), 1959, S. 22-24.
118
Höflich, J. R., 1996, S. 17.

29
Kommunikation findet durch die reine Textbasiertheit der CVK eine Entkopplung von
Kommunikation und Körper statt, die Kopräsenz wird größtenteils aufgehoben.
119
Dabei sei noch anzumerken, dass es mittlerweile auch nicht textbasierte Kommunikations-
formen, wie die Internet-Videokonferenzen, Internet-Telephonie und Voice-Mails
120
, im
Internet gibt.
3.2. Das Neue an der computervermittelten Kommunikation
Die Unterschiede zwischen CVK und FTF-Kommunikation lassen sich jedoch nicht allein
mit dem Verweis auf die Verfügbarkeit unterschiedlicher Kommunikationskanäle beschrei-
ben. Im folgenden Abschnitt wird näher beleuchtet, was dieses neue Medium besonders
auszeichnet.
3.2.1. Kommunikationsformen
Bins und Piwinger
121
unterscheiden die Mitteilungsformen hinsichtlich dreier Kriterien:
1. Anzahl der Teilnehmer (bilateral / multilateral)
2. Art der Übermittlung (synchron / asynchron)
3. Möglichkeit der Rückmeldung (interaktiv / nicht-interaktiv)
Abb. 2: Kommunikationsformen
122
119
Vgl. Gräf, L.: Locker verknüpft im Cyberspace - Einige Thesen zur Änderung sozialer Netzwerke durch die Nutzung des Internet. (S.
99-124). In: Gräf, L.; Krajewski, M. (Hrsg.): Soziologie des Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk. Frankfurt a.M. et al.:
Campus Verlag, 1997, S. 101.
120
E-Mails, welche per Spracheingabe verfasst werden und als Tondokument beim Empfänger ankommen, das dieser sich anhören
kann.
121
Bins, E. K.; Piwinger, B.-A: Newsgroups: Weltweit diskutieren. Bonn et al.: International Thomson Publishing, 1997.
122
Ebd.

30
Synchrone vs. asynchrone Kommunikation
In der Kommunikationsforschung hat sich für die zeitgleiche vs. zeitungleiche Kommuni-
kation das Begriffspaar Synchronizität ­ Asynchronizität
123
etabliert. "Synchrone Kommu-
nikation" bedeutet, dass die Kommunikationspartner synchron (gleichzeitig) miteinander
verbunden sind. Sie findet z. B. beim Telefonieren und bei Videokonferenzen statt, in
denen die Teilnehmer zeitgleich Sender und Empfänger sind. Sie sind zur gleichen Zeit
aktiv und es ist eine unmittelbare Rückkopplung möglich.
124
Der Gesprächspartner erhält
prinzipiell unmittelbar nach dem Drücken der Enter-Taste die Nachricht, wobei allerdings
faktisch bedingt durch den Übertragungsweg und überlastete Leitungen kurze Verzö-
gerungen entstehen können. Dieses Phänomen wird mit dem englischen Ausdruck "lag"
bezeichnet. Schweiger und Brosius sprechen auch von "Prä-Synchronizität"
125
, da die
völlige Synchronität nicht möglich ist. Döring bezeichnet diese Kommunikationsformen
als "Telepräsenz-Szenarien", in denen räumlich getrennte Personen interagieren können.
126
In diesem Zusammenhang wird auch von "Virtual-Reality-Anwendungen" (VR) und
"virtuellen Räumen" gesprochen.
Bei der asynchronen Kommunikation, wie bei der E-Mail und der Newsgroup, werden
Botschaften aufgezeichnet und zeitverzögert an den Adressierten weitergegeben (Push-
Prinzip) beziehungsweise für ihn zum Abruf bereitgehalten und erst nach einem mehr oder
weniger langen Zeitintervall von ihm rezipiert (Pull-Prinzip).
127
Diese Kommunikationsart erlaubt dem Empfänger sich mit der Antwort Zeit zu lassen.
Sender und Empfänger müssen nicht zeitgleich vor ihren Bildschirmen sitzen, sondern sie
können den Zeitpunkt ihrer Kommunikationsaktivitäten selbst bestimmen.
128
Weiterhin
können sie das Geschriebene abspeichern und später noch einmal nachlesen und sie
können Anfragen oder Antworten genauer überdenken und ausarbeiten.
One-to-one vs. many-to-many Kommunikation
Zu dem privaten Vier-Augen-Gespräch (one-to-one Kommunikation) und zur Unterhaltung
zwischen einer Person und vielen anderen (one-to-many Kommunikation) ist das Internet
123
Vgl. Newhagen, J. E.; Rafaeli, S.: Why Communication Researchers Should Study the Internet: A Dialogue. (S. 4-13) In: Journal of
Communication, 1 (46), 1995;
Morris, M.; Ogan, C.: The Internet as Mass Medium. (S. 39-50) In: Journal of Communication, 1, 1995.
124
Vgl. Döring, N., 2000a, S. 346.
125
Schweiger, W.; Brosius, H.-B.: Internet und Sprache - Zusammenhänge zwischen Online-Nutzung und dem individuellen Schreibstil.
(S. 159-183) In: Beck, K.; Vowe, G. (Hrsg.): Computernetze - ein Medium öffentlicher Kommunikation? Berlin: Spiess, 1997, S.
164.
126
Döring, N., 1999, S. 92.
127
Vgl. ebd., S. 58.
128
Vgl. Hiltz, S. R.; Turoff, M., 1978, S. 29.

31
als weitere, multilaterale Kommunikationsart (many-to-many Kommunikation) hinzuge-
kommen. Darunter versteht man die Kommunikation mit einer praktisch unbegrenzten
Zahl von Partnern, wie beispielsweise beim IRC.
129
Bei der one-to-one-Kommunikation wird dagegen eine Nachricht von einem Sender gezielt
an einen angebbaren Empfänger geschickt.
Interaktive vs. nicht-interaktive Kommunikation
Als interaktiven Dienst kann man beispielsweise die E-Mail betrachten, da aus der
eingetroffenen Nachricht stests die Adresse des Absenders ersichtlich ist und somit eine
direkte Reaktion gewährleistet wird. Mailinglisten, deren Abonnenten in meist wöchent-
lichen Abständen sogenannte Newsletters mit Produktinformationen oder Sonderangeboten
erhalten, sind dagegen nicht-interaktiv.
3.2.2. Aufhebung der räumlichen und zeitlichen Beschränkungen
Fremde Welten rücken mit Hilfe der Massenmedien und modernen Kommunikationsmittel
ganz nah, während gleichzeitig der Nachbar wie der Bewohner einer fremden Welt immer
ferner rückt.
130
Aufgrund seiner Struktur und seiner enormen Größe kann man das Internet als ein "inter-
nationales Kommunikationsmedium" charakterisieren. Wetzstein bezeichnet die Netze
auch als "interkulturelle Begegnungsstätte"
131
und Rheingold spricht von "virtuellen
Gemeinschaften"
132
, da sie nicht raumgebunden ('aspatial')
133
sind und es, wie bei der FTF-
Kommunikation, nicht notwendig ist zur selben Zeit am selben Ort zu sein, sondern man
weltweit und grenzenlos mit Menschen aus anderen Ländern, Kulturen und Zeitzonen in
Kontakt treten kann.
Nach Bühl bewegt sich die "virtuelle Gesellschaft" in "virtuellen Räumen".
Unter virtueller Gesellschaft verstehen wir eine Gesellschaft, in der Produktion, Distribution
und Kommunikation weitgehend in virtuellen Räumen stattfinden, im Cyberspace. Die
virtuelle Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in welcher der computererzeugte virtuelle Raum
den realen Raum überlagert, mit ihm vielfältige neue assoziative Formen bildet, ihn tendenziell
aber auch verdrängt und substituiert, ihn jedoch niemals als Ganzes ersetzen kann. [...] Das
trennende Unterscheidungskriterium zwischen der klassischen Industriegesellschaft und der
virtuellen Gesellschaft stellt für uns der virtuelle Raum dar, den wir als zentralen Indikator
129
Siehe Kapitel 3.3.4.
130
Opaschowski, H. W.: Einführung in die Freizeitwissenschaft. 2. Aufl. Opladen: Leske + Budrich, 1994, S. 182.
131
Wetzstein, T.: Kultur und elektronische Kommunikation. Eine empirische Untersuchung zu den Nutzern von Computernetzwerken.
Inauguraldissertation. Trier, 1995a, S. 313.
132
Rheingold, H.: Der Alltag in meiner virtuellen Gemeinschaft. (S. 95-121). In: Fassler, M.; Halbach, W. R. (Hrsg.): Cyberspace:
Gemeinschaften, virtuelle Kolonien, Öffentlichkeiten. München: Fink, 1994.
133
Vgl. Gräf, L., 1997, S. 101.

32
betrachten sowie der Prozeß der Virtualisierung. [...] Unter Virtualisierung verstehen wir einen
computerinitiierten Prozeß, in dessen Verlauf an die Stelle des realen Raumes als bestimmende
Größe mikro- und makrosoziologischer Bereiche der virtuelle Raum tritt.
134
In der CVK findet man die Gesprächspartner durch gemeinsame Interessen
135
, wogegen
man sich in der FTF-Kommunikation seine Bekannten und Freunde üblicherweise in
seinem nahen Umfeld, d. h. in der Nachbarschaft, in der Schule, im Studium und im Beruf
sucht. Durch die Aufhebung der räumlichen Distanzen, kann man die Kommunikation im
Netz mit einem Dorfplatz vergleichen, denn mit "geographisch weit entfernten Personen
im virtuellen Raum zu interagieren und zu kommunizieren ist ähnlich unaufwendig, wie
mit einem anderen Dorfmitglied in Interaktion zu treten."
136
Darauf nimmt das von
McLuhan geprägte Schlagwort vom "global village" Bezug.
Die asynchrone CVK zeichnet sich überdies dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu
anderen Telekommunikationstechnologien (z. B. Telefon, Funk) nicht nur räumliche
Barrieren überwindet, sondern zudem auch eine zeitliche Entkoppelung der Interaktion
ermöglicht.
3.2.3. Formen sozialer Organisation im Internet
Eine grundlegende Voraussetzung von Kommunikation ist nach Höflich
137
, dass die Han-
delnden über einen gemeinsamen Symbolvorrat verfügen und überdies die gemeinsamen
Symbole nicht willkürlich benutzen oder manipulieren. Die Regeln der Kommunikation
variieren von Kultur zu Kultur.
138
Man erlernt sie im Laufe der Sozialisation ohne sich
dessen bewusst zu werden.
139
Kommunikationsregeln geben an, was man in einer
bestimmten Situation tun oder unterlassen sollte und welches Verhalten daran gemessen
richtig oder falsch ist. Sie "erleichtern die Orientierung der Handelnden und ermöglichen
koordiniertes Handeln"
140
.
Durch neue Kommunikationstechnologien werden neue Kommunikationssituationen
geschaffen. Dies führt zunächst zu einer gewissen Orientierungslosigkeit und zu
Unsicherheiten. Neue Regeln sind daher erforderlich.
134
Bühl, A.: Die virtuelle Gesellschaft ­ Ökonomie, Politik und Kultur im Zeichen des Cyberspace. (S. 39-59). In: Gräf, L.; Krajewski,
M. (Hrsg.): Soziologie des Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk. Frankfurt a.M. et. al.: Campus Verlag, 1997, S. 46, 47.
135
Vgl. Döring, N., 1999, S. 369.
136
Gräf, L., 1997, S. 120.
137
Höflich, J. R., 1996, S. 75.
138
Vgl. Argyle, M.: Einige mögliche Dimensionen sozialen Verhaltens. (S. 282-294) In: Scherer, K. R.; Wallbott, H. G. (Hrsg.):
Nonverbale Kommunikation. Weinheim: Beltz, 1979.
139
Vgl. Watzlawick, P.; Beavin, J. H.; Jackson, D. D., 1990, S. 13.
140
Höflich, J. R., 1996, S. 34.

33
Auch im Internet, wo viele Menschen miteinander weltweit schriftlich kommunizieren und
es wenig Anhaltspunkte für soziale Einordnungen und Verhaltensrichtlinien gibt, sind
Regeln für den Umgang miteinander unerlässlich. Im Laufe der Jahre hat sich daher eine
Richtlinie für korrektes Verhalten im Usenet, die sogenannte "Netiquette" als "allgemein
akzeptierter Satz von Regeln"
141
entwickelt.
142
Die Grundlagen der Netiquette wurden im Oktober 1995 in einem RFC (Request For
Comments) zusammengefasst (RFC 1855). Das RFC 1855 behandelt "minimale Richt-
linien zur Netzwerk-Etikette". Die einzelnen Regeln lassen sich in zwei Gruppen aufteilen:
(1.) Richtlinien für Verhalten gegenüber dem Netz und seinen Ressourcen und (2.) Richt-
linien für kommunikatives Verhalten gegenüber anderen Menschen.
Es gibt einige Grundregeln, die für alle Internetdienste anwendbar sind, doch ist es
unpräzise, von der Netiquette zu sprechen, da sie in den unterschiedlichen Internetdiensten
(z. B. E-Mail, Newsgroup, IRC
143
) teilweise variiert.
Als Beispiel soll hier die Gliederung der Netiquette für die Newsgroup "de.newusers.infos"
zitiert werden. Ein vollständiger Abdruck findet sich im Anhang. Weitere Netiquetten
findet man bei Sally Hambridge
144
, bei Brad Templeton alias "Emily Postnews"
145
und bei
Storrer / Waldenberger
146
.
·
Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!
·
Erst lesen, dann denken. Noch einmal lesen, noch einmal denken. Und dann erst
posten!
·
Teilen Sie etwas Neues mit!
·
Ihre Artikel sprechen für Sie - Seien Sie stolz auf sie!
·
Nehmen Sie sich Zeit, wenn Sie einen Artikel schreiben!
·
Vernachlässigen Sie nicht die Aufmachung Ihres Artikels!
141
Falckenberg, C.: Internet - Spielzeug oder Werkzeug? Studienarbeit. Lehrstuhl für Technische Informatik, Rheinisch-Westfälische
Technische Hochschule Aachen, 1994. Nachdruck durch das Hochschulrechenzentrum der Philipps-Universität Marburg.
Elektronische Publikation. URL: http://www.comnets.rwth-aachen.de/chf/Studienarbeit/internet.html (letzter Zugriff: 05.06.02)
142
Weitere Werke zur Netiquette stehen im Anhang unter "weiterführende Literatur".
143
Siehe Kapitel 3.3.
144
Hambridge, S.: Netiquette guidelines, 1995. Elektronische Publikation. URL: http://www.vision.net.au/main/new_users/new-
users/rfc1855.txt (letzter Zugriff: 05.06.02)
145
Templeton, B.: Dear Emily Postnews. o.J. Elektronische Publikation. URL: http://www.clari.net/brad/emily.html (letzter Zugriff:
05.06.02)
146
Storrer, A.; Waldenberger, S.: Zwischen Grice und Knigge. Die Netiketten im Internet. (S. 63-77) In: Strohner, H.; Sichelschmidt,
L.; Hielscher, M. (Hrsg.): Medium Sprache. Frankfurt a.M. et al.: Lang, 1998. (Forum Angewandte Linguistik; Bd. 34).

34
·
Achten Sie auf die "Subject:"-Zeile!
·
Denken Sie an die Leserschaft!
·
Vorsicht mit Humor, Ironie und Sarkasmus!
·
Kürzen Sie zitierten Text auf das notwendige Minimum!
·
Benutzen Sie E-Mail!
·
Geben Sie eine Sammlung Ihrer Erkenntnisse an das Netz weiter!
·
Achten Sie auf die gesetzlichen Regelungen!
·
Benutzen Sie Ihren wirklichen Namen, kein Pseudonym!
·
Vorsicht mit Kommerziellem!
·
Vorsicht mit Binaries und Multipart-Artikeln!
·
"Du" oder "Sie"?
Netiquetten sind Regeln ohne Gesetzescharakter. Sie dienen vorwiegend zum Zweck der
Information und besitzen lediglich einen Appellcharakter. Hoffmann und Kuhlmann
147
charakterisieren den Status der Netiquette als "kulturell verankerte Regeln des Beneh-
mens", die "weder durch demokratische Verfahren der Entscheidungsfindung legitimiert"
sind "noch durch Androhung exekutiver Maßnahmen durchgesetzt" werden.
Da die Netiquetten allein nicht ausreichen, um das Verhalten zwischen den einzelnen
Gemeinschaftsmitgliedern zu bestimmen, ist darüber hinaus ein System von Maßnahmen
und Sanktionen erforderlich, um diese Regeln durchsetzen zu können. Aus diesem Grunde
gibt es im Netz Administratoren, die die Teilnehmer sanktionieren, wenn diese andere
durch ihr Fehlverhalten negativ beeinträchtigen. Fehlverhalten im Internet sind in erster
Linie Beleidigungen, Belästigungen anderer Teilnehmer und die Überflutung der Kanäle
mit sinnlosen Nachrichten und Beiträgen, die nicht zum Thema des Kanals gehören. Das
Vortäuschen persönlicher Attribute, z. B. eines anderen Geschlechts, die Verbreitung von
Gesprächsmitschnitten, die langfristige passive Anwesenheit sowie die Verwendung von
Robots, Scripts oder Kriegsprogrammen werden ebenfalls nicht gern gesehen. Bei solchen
Übertretungen können die Administratoren den Störenfried von ihrem Server ausschließen
(kicking), verbannen (banning) oder auf andere Weise sanktionieren. Oft reagieren jedoch
auch andere Teilnehmer auf die Übertretung der Regeln. Der Übeltäter wird von ihnen mit
einer mehr oder weniger freundlichen E-Mail auf sein Fehlverhalten hingewiesen, er wird
147
Hoffmann, G.; Kuhlmann, D.: Regulierung und Selbstregulierung im Internet. Netiquette, Nutzungsregeln, Rechtsvorschriften,
Verträge. o.J. Elektronische Publikation. URL: http://www.prz.tu-berlin.de/~derek/internet (letzter Zugriff: 05.06.02)

35
ignoriert, indem seine Nachrichten nicht mehr auf dem Bildschirm angezeigt werden oder
ihm werden sogenannte "Flames"
148
, "Mailbomben" oder andere unangenehme Dinge per
E-Mail geschickt.
3.2.4. Spielen mit Identitäten
Cyberspace is a strange new, frontier-like "space" without physicality; when we "enter" it, we
leave our bodies behind. The Internet is the largest of the many networks that make it up today.
To date, most communication in cyberspace is text-based; individuals communicate by typing,
and can't see one another. Therefore, conventional signals of gender identity such as intonation
and voice pitch, facial features, body image, non-verbal cues, dress and demeanour [...] are
absent.
149
In der FTF-Kommunikation nehmen wir den Gesprächspartner über die "Social Context
Cues"
150
wahr. Dies sind Informationen über den jeweiligen Gegenüber, welche die Inter-
aktionspartner bei der FTF-Kommunikation aufnehmen, wie die Körpersprache (Gestik,
Mimik, Körperhaltung), das physische Aussehen (Attraktivität, körperliche Verfassung,
Alter, Haut- und Haarfarbe, Geschlechtsmerkmale), die Kleidung, die Stimme (Tonfall,
Akzent), die nationale Herkunft, den sozialen Status etc. Es erfolgt sofort eine erste Kate-
gorisierung des Gegenübers. Schon vor dem ersten Wortwechsel haben wir mit unserem
ersten Eindruck bezüglich des Erscheinungsbildes der anderen Person die Kommunika-
tionssituation vorstrukturiert. Attraktive Personen haben hierbei einen Vorteil.
A widely held stereotype in this culture suggests that attractive people are assumed to possess
more socially desirable personalities and are expected to lead better personal, social, and
occupational lives than their unattractive counterparts.
151
Im Netz gibt es sechs grundlegende Möglichkeiten zur Selbstdarstellung.
152
Eine davon ist
die eigene E-Mail-Adresse, die teilweise frei wählbar ist. Viele geben in der Adresse ihren
Vor- und Nachnamen an, doch man kann auch Phantasienamen wählen.
Eine weitere Möglichkeit, sich selbst im Internet darzustellen, ist der Name
153
: In E-Mails,
Mailinglisten-Artikeln und Newsgroup-Postings geben Netznutzer üblicherweise ihren
"wirklichen" Namen an. Dieser Name gibt Aufschluss über das Geschlecht.
148
Reaktionen auf Abweichungen von Verhaltensregelmäßigkeiten mit einem verletzenden, beleidigenden oder provozierenden Inhalt.
149
Danet, B.: Text as Mask: Gender and Identity on the Internet, 1996. Elektronische Publikation. URL:
http://atar.mscc.huji.ac.il/~msdanet/mask.html (letzter Zugriff: 19.09.02)
150
Vgl. Sproull, L.; Kiesler, S.: Reducing social context cues: Electronic mail in organizational communication. (S. 1492-1512) In:
Management Science, 32, 1986.
151
Snyder, M.: When Belief Creates Reality: The Self-Fulfilling Impact of First Impressions on Social Interation. (S. 438-442) In:
O'Brien, J.; Kollock, P. (Hrsg.): The Production of Reality. Essays and Readings on Social Interaction. 2. Aufl. California: Pine
Forge Press, 1997, S. 438.
152
Angelehnt an Döring, N.: Identitäten, Beziehungen und Gemeinschaften im Internet. (S. 299-336) In: Batinic, B. (Hrsg.): Internet für
Psychologen. Göttingen et al.: Hogrefe, 1997a, S. 301.
153
Siehe auch "real name" oder "user name" genannt.

36
Im Unterschied zu den Newsgroups, den Mailinglisten und zur E-Mail-Kommunikation
legen sich die User im Chat und im MUD ein Pseudonym zu. Dieses Pseudonym, im
Internetjargon auch "Nickname" genannt, ist das erste, was die anderen Netznutzer im Chat
oder MUD über einen Teilnehmer erfahren. Kein Nickname darf dort zweimal auftauchen.
Somit ist es wichtig ihn bewusst zu wählen, um einen bestimmten Eindruck bei den
anderen zu hinterlassen. Der Nickname kann die persönliche Identität, das Alter und die
soziale Herkunft des Nutzers verschleiern und ihm auf diese Weise eine neue Identität
geben. Nach Gallery können mit dem Nickname Identitäten aufgebaut und Teilrepräsenta-
tionen des Selbst gezeigt werden.
154
Den Nickname wählt man z. B. nach spezifischen Neigungen, Interessen, Hobbies und
Idolen.
155
Die meisten Nicknames sind herkömmliche Vornamen; es kommen aber auch
Namen und Begriffe aus den Sinnwelten Fantasy, Märchen und Sagen vor, ebenso solche
aus dem Bereich der Tierwelt sowie der Musik, dem Comic, dem Film und dem Computer-
bereich
156
, zudem trifft man auch auf Produktnamen.
157
Weiterhin kann man in vielen Chat-Räumen und Channels neben der Wahl eines Nick-
names auch noch eine Farbe aussuchen. In dieser Farbe erscheinen dann der eigene
Nickname sowie die abgeschickten Beiträge, was einer besseren Übersicht dient. Eine
bestimmte Farbe wird dann mit einem bestimmten Nutzer assoziiert. Andererseits können
Farben auch für semiotische Spielereien genutzt werden, z. B. indem durch einen Farb-
wechsel zu Rot Erröten und damit Verlegenheit ausgedrückt wird.
158
Als weitere Mittel zur Selbstdarstellung stehen Signaturen zur Verfügung. Eine Signatur ist
eine elektronische Visitenkarte, die oft an das Ende einer E-Mail gesetzt wird. Man kann
hier den Namen, die Adressen (z. B. berufliche oder private Kontaktinformationen), einen
Verweis auf die persönliche Homepage, Mottos, Sprüche oder andere Dinge wählen, mit
denen man bestimmte Dinge ausdrücken möchte.
154
Gallery, H.: bin ich ­ klick ich - Variable Anonymität im Chat. (S. 71-88) In: Thimm, C. (Hrsg.): Soziales im Netz. Opladen;
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000, S. 76.
155
Vgl. Wetzstein, T. et al.: Datenreisende. Die Kultur der Computernetze. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1995b, S. 81.
156
Vgl. Runkehl, J.; Schlobinski. P.; Siever, T., 1998, S. 85.
157
Vgl. Bechar-Israeli, H.: From <Bonehead> to <cLoNehEAd> : Nicknames, play and identity on Internet relay chat. In: Journal of
Computer-Mediated Communication, Vol. 1/2, 1995. Zugl. Elektronische Publikation. URL:
http://www.ascusc.org/jcmc/vol1/issue2/bechar.html (letzter Zugriff: 05.06.02);
Döring, N., 1999, S. 96f.
158
Vgl. Beißwenger, M. (Hrsg.): Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialität & Identität in synchroner computervermittelter
Kommunikation. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsfeld. Stuttgart: ibidem, 2001.

37
Eine andere, differenziertere Form zur Darstellung der individuellen Persönlichkeit ist die
persönliche Homepage. Sie enthält Informationen über das private und berufliche Leben
einer Person, eigene Interessengebiete und persönliche Einstellungen. Nicht nur durch die
Inhalte der eigenen Homepage, sondern auch durch die Gestaltungsmerkmale kann man
sich hierbei eine sehr persönliche Note geben.
Als letzte Variante der Selbstdarstellung lässt sich die Selbstbeschreibung nennen. In
MUDs gestaltet man seine Spielfigur beziehungsweise seinen Online-Charakter. Man gibt
sich spezifische Merkmale und kreiert so sein "wahres Selbst". Man gibt an, wie man
aussieht, wie alt man ist, welches Geschlecht man hat, und man beschreibt seinen eigenen
Charakter. Das Internet erlaubt dementsprechend das Spiel mit der eigenen Identität, indem
man neue oder multiple Identitäten
159
kreiert.
Schon P. Steiner drückte das Experimentieren mit Identitäten in einer Karikatur aus, die
1993 in der New York Times Zeitung publiziert wurde. Dort sagt ein Hund, dessen Pfote
auf dem Keyboard eines Computers ruht, zu einem anderen Hund: "On the Internet, no one
knows you're a dog"
160
.
Jeder ist im Internet somit das, was er zu sein vorgibt.
Die Art und Weise, wie wir diese Worte benutzen und die Geschichten (wahre und erfundene),
die wir über uns erzählen (oder über die Identität, für die wir von anderen gehalten werden
wollen) bestimmen unsere Identität in (Sic!) Cyberspace.
161
Man kann bestimmte Aspekte der eigenen Persönlichkeit bewusst verstärken beziehungs-
weise zurücknehmen oder ganz fremde Züge annehmen, bis hin zum Wechsel des
Geschlechts, dem sogenannten "gender-switching"
162
. Dazu muss man sich einen ent-
sprechenden Namen und eine Beschreibung geben und sich in seinem Verhalten dem
geschlechtsspezifischen männlichen oder weiblichen Verhalten anpassen.
Turkle vergleicht die Geschlechtsumwandlung im Internet mit der im "realen Leben":
For a man to present himself as female in a chat room, on an IRC channel, or in a MUD, only
requires writing a description. For a man to play a woman on the streets of an American city,
159
Vgl. Hiltz, S. R.; Turoff, M.; Johnson, K.: Experiments in group decision making: Disinhibition deindividuation and group process in
PEN name and real name computer conferences. (S. 217-232) Decision Support Systems, 5, 1989;
Turkle, S.: Aspects of the Self. (S. 177-209) In: Turkle, S. (Hrsg.): Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York:
Simon & Schuster, 1995a.
160
Steiner, P., The New Yorker, 5. Juli, 1993, S. 61.
161
Rheingold, H., 1994, S. 100.
162
Vgl. Bayerl, P. S.: Psychologische Untersuchungen im Internet Relay Chat. Semesterarbeit am Institut für Psychologie der Justus-
Liebig-Universität Giessen, 1997. Elektronische Publikation. URL: http://www.psychol.uni-giessen.de/~Batinic/survey/irc/inhalt.htm
(letzter Zugriff: 05.06.02);
Bruckman, A. S.: Gender-Swapping on the Internet. Paper presented at the Internet Society. San Francisco, CA, 1993. Elektronische
Publikation. URL: ftp://ftp.cc.gatech.edu/pub/people/asb/papers/gender-swapping.txt (letzter Zugriff: 05.06.02)

38
he would have to shave various parts of his body; wear makeup, perhaps a wig, a dress, and
high heels; perhaps change his voice, walk, and mannerisms.
163
Durch die Identität des anderen Geschlechts lassen sich Erfahrungen in der jeweils anderen
Geschlechtsidentität sammeln.
Taking a virtual role may involve you in ongoing relationships. In this process you may
discover things about yourself that you never knew before. [...] Gender-swapping is an
opportunity to explore conflicts raised by one's biological gender.
164
Frauen nehmen oft das männliche Geschlecht an, um Belästigungen von Männern zu
vermeiden und Männer nehmen oft das weibliche Geschlecht an, um mehr Aufmerksam-
keit, Hilfe und Unterstützung von anderen zu erhalten, die man Frauen oft entgegenbringt.
Jedoch ist die textuelle Umwandlung nicht leicht, da man den Sprachgebrauch und das
Verhalten des anderen Geschlechts kennen muss.
165
Männer neigen z. B. öfter dazu,
Diskussionen zu monopolisieren, einen aggressiven Ton zu benutzen oder sexistische
Bemerkungen zu machen.
166
Das Internet ist hiermit zu einem wichtigen Soziallabor für Experimente geworden, mit
denen wir unser Selbst kreieren.
167
Ebenso wie Turkle interpretiert auch Reid dieses Spiel, das durch die Auflösung
akzeptierter sozialer Normen gekennzeichnet ist, als einen Ausdruck postmoderner Kultur.
My conclusion is that Internet Relay Chat, by deconstructing social boundaries and by the
ways in which users construct their own community and culture, is a postmodern
phenomenon.
168
Wie zuvor dargestellt, kann der Grad der Bekanntheit des Kommunikationspartners in der
CVK zwischen bekannt, pseudonym und anonym variieren. Auf Besonderheiten der Ano-
nymität möchte ich nachfolgend kurz eingehen.
3.2.5. Anonymität
"Social Context Cues" definieren in der FTF-Kommunikation die soziale Situation, die
Rollen der Beteiligten und die zwischen ihnen bestehenden Machtverhältnisse.
169
Man
163
Turkle, S.: Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon & Schuster, 1995b, S. 212.
164
Ebd., S. 213.
165
Vgl. Turkle, S.: Who Am We? We are moving from modernist calculation toward postmodernist simulation, where the Self as a
Multiple, Distributed System, 1995c. Elektronische Publikation. URL: http://www.hotwired.com/wired/4.01/features/turkle.html
(letzter Zugriff: 05.06.02), S. 212.
166
Vgl. Döring, N., 1997a, S. 304.
167
Vgl. Turkle, S., 1995b, S. 180.
168
Reid, E. M.: Electropolis: Communication and Community On Internet Relay Chat. Melbourne, 1991. Elektronische Publikation.
URL: http://home.earthlink.net/~aluluei/electropolis.html (letzter Zugriff: 05.06.02)

39
wird durch die physische Erscheinungsweise beeinflusst. Das Fehlen der "Cues" hat nega-
tive und positive Auswirkungen, die Gegenstand einer kontroversen Diskussion sind und
hier kurz vorgestellt werden. Im Netz besteht aufgrund der Anonymität und Körperlosig-
keit keine Möglichkeit, durch äußerliche Zeichen auf den sozialen Status des Gegenüber zu
schließen. Daher ist es möglich spontan und ungehemmt miteinander zu kommunizieren
ohne sich ständig fragen zu müssen, wie man dem anderen gefällt und ob man zu alt oder
zu jung ist. Man gibt sich nur durch seine schriftlichen Äußerungen zu erkennen und kann
an der Gestaltung seiner Identität nach persönlichen Vorlieben mitwirken
170
. Eine positive
Auswirkung ist die Chancengleichheit
171
, die darauf beruht, dass die Rollen- und Persön-
lichkeitsmerkmale, "die Steuerungs- und Strukturierungsfunktionen nonverbaler Kommu-
nikationselemente ebenso wie signifikante Verweise auf die Identität der Kommunika-
tionspartner"
172
entfallen.
Da sich eine Person im Netz durch die Worte, die sie tippt, darstellt,
173
hängt ihre Kommu-
nikationsfähigkeit von ihrer Schreibkunst, ihrem Stil, ihrem Humor, ihrer Sprachkompe-
tenz, vom verwendeten oder nicht verwendeten Insiderjargon, von der Tippgeschwindig-
keit und auch oft von den Englischkenntnissen ab. Je besser sich jemand im Internet
ausdrückt, umso mehr wird er geschätzt.
Durch den Nickname
174
bleibt man anonym und es können sich keine auf der Kenntnis von
Identitätsinformationen beruhenden Vorurteile gegenüber dem Gesprächspartner aufbauen.
Dies ist eine gute Chance für Menschen, die im normalen Leben wegen ihres Aussehens,
ihrer Nationalität, ihres Glaubens oder einer Behinderung von der Gesellschaft nicht
akzeptiert oder gar ausgestoßen werden, sich Selbstbewußtsein aufzubauen.
169
Vgl. Kiesler, S.; Siegel, J.; McGuire, T. W.: Social Psychological Aspects of Computer-Mediated Communication. (S. 1123-1134)
In: American Psycholist, 39 (10), 1984;
Siegel, J. et al.: Group processes in computer-mediated communication. (S. 157-187) In: Organizational behavior and human
decision processes, 37, 1986;
Sproull, L.; Kiesler, S., 1986;
Hiltz, S. R.; Johnson, K.; Agle, G.: Replicating Bales' problem solving experiments on a computerized conference: A pilot study
(Research Rep. No. 8). Newark: New Jersey X Institute of Technology, Computerized Conferencing and Communications Center,
1978;
Dubrovsky, V. J.; Kiesler, S.; Sethna, B. N.: The equalization phenomenon: status effects in computer-mediated and face-to-face
decision-making groups. (S. 119-146) In: Human-Computer Interaction, 6 (2), 1991.
170
Vgl. Wehner, J.: Medien als Kommunikationspartner - Zur Entstehung elektronischer Schriftlichkeit. (S. 125-150) In: Gräf, L.;
Krajewski, M. (Hrsg.): Soziologie des Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997, S. 146.
171
Vgl. Lenke, N.; Schmitz, P., 1995a, S. 123;
Perrolle, J.: Computer-Mediated Conversation. (S. 21-23) In: National Forum, 71 (3), 1991, S. 21;
Kiesler, S.; Siegel, J.; McGuire, T., 1984.
172
Wetzstein, T., 1995b, S. 295.
173
Vgl. Döring, N.: Romantische Beziehungen im Netz. (S. 39-70). In: Thimm, C. (Hrsg.): Soziales im Netz. Sprache, Beziehungen und
Kommunikationskulturen im Internet. Opladen; Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2000b, S. 55.
174
Siehe Kapitel 3.2.4.

40
Soziale Barrieren, die in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht wirksam sind,
können somit übergangen werden.
Durch die Abwesenheit dieser Vorurteile wagen es auch eher schüchterne, ängstliche, und
selbstunsichere Personen, ihre Meinung vorzubringen. Sie fühlen sich sicher und frei von
der Kontrolle durch andere. Auch brauchen sie keine Angst davor zu haben, rot zu werden,
zu stottern oder keine Worte zu finden. Auch behinderte Menschen haben hier einen
Vorteil. Sie müssen keine Angst haben, wegen ihrer Behinderung anders behandelt zu
werden, sondern können als gleichberechtigter Gesprächspartner auftreten. Dazu schreibt
Rheingold:
Menschen, deren Körperbehinderungen ihnen den Aufbau neuer Freundschaften erschweren,
entdecken, daß virtuelle Gemeinschaften sie so behandeln, wie sie immer behandelt werden
wollten - als Denker, Ideenvermittler und Menschen mit Gefühlen und nicht als körperliche
Gefäße mit einer bestimmten Geh- und Sprechweise (oder Behinderung).
175
Andrerseits vergisst man bei der Online-Kommunikation leicht, dass am anderen Ende
Menschen sitzen, die durch Worte verletzt werden können. "Die Anonymität des elektro-
nischen Mediums enthemmt die Menschen."
176
Studien belegen, dass User sich in der
CVK enthemmter benehmen als in der FTF-Kommunikation,
177
was "sowohl verstärkte
Offenheit, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Partizipation und Egalität als auch verstärkte
Feindlichkeit, Anomie, normverletzendes und antisoziales Verhalten"
178
begünstigt. Dieses
Verhalten tritt im Netz u. a. in Form von "Flaming"
179
auf. Der Ausdruck "Flames" bezieht
sich auf Beschimpfungen, feindselige Äußerungen, einen feindseligen Umgangston,
Beschuldigungen, Flüche oder allgemein auf eine "intensive", emotionale Sprache etc.
Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber wodurch dieses Verhalten hervorgerufen
wird.
175
Rheingold, H., 1994, S. 105.
176
Vgl. Weide, K.; Pascal, J.: CompuServe: Eine Erkundungsreise durch die größte Mailbox der Welt. München: te-wi-Verlag, 1993, S.
133.
177
Vgl. Kiesler, S.; Siegel, J.; McGuire, T., 1984;
Rice, R. E.; Love, G.: Electronic Emotion. Socioemotional Content in a Computer-Mediated Communication Network. (S. 85-108)
In: Communication Research, 14 (1), 1987;
Sproull, L.; Kiesler, S.: Connections. New Ways of Working in the Networked Organization. Cambridge et al.: MIT Press, 1991.
178
Döring, N., 2000a, S. 356.
179
Collins, M. P.: Flaming: The Relationship Between Social Context Cues and Uninhibited Verbal Behavior in Computer-mediated
Communication, 1992. Elektronische Publikation. URL: http://star.ucc.nau.edu/~mauri/papers/flames.html (letzter Zugriff:
05.06.02);
Kiesler, S.; Siegel, J.; McGuire, T., 1984;
Kiesler, S.; Zubrow, D.; Moses, A.: Affect in computer-mediated communication: an experiment in synchronous terminal-to-terminal
discussion. (S. 77-104) In: Human-Computer Interaction, 1, 1985;
Döring, N., 2000a, S. 356;
Höflich, J. R., 1996, S. 87.

41
Viele sind der Ansicht, dass die CVK ein freieres und intensiveres Ausdrucksverhalten
hervorlockt, da bei ihr die sozialen Informationen fehlen
180
. Strömer findet noch weitere
Gründe:
Nirgendwo sonst auf der Welt wird so viel geschimpft, beleidigt, verleumdet und gemobbt wie
in Online-Netzen. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß die Autoren solcher "Flames"
weitgehend anonym bleiben, sondern kommt auch daher, daß viele Diskussionsteilnehmer
ungeübt darin sind, sich schriftlich auszudrücken. Hinzu kommt eine gewisse
Unbekümmertheit im Umgang miteinander, die vor allem aus der Zeit herrührt, als das Netz
noch eine Privatveranstaltung einiger eingeweihter Enthusiasten war, die "unter sich" waren.
Auch das "Du" ist bekanntlich noch an der Tagesordnung. Bekanntlich sagt es sich viel
leichter: "Du Blödmann" als: "Sie Blödmann".
181
Generell deutet vieles darauf hin, dass in Situationen der Anonymität der Druck, sich
entsprechend den Normen zu verhalten, weniger wirksam ist: Es besteht kein Zwang zu
normenkonformem Verhalten mehr. Zimbardo
182
bezeichnet Menschen, die sich anonym
fühlen, als "deindividuated". Er fand in einer Untersuchung heraus, dass Menschen, wenn
sie anonym sind, eine größere Bereitschaft beziehungsweise eine geringere Hemmschwelle
haben, anderen einen Schmerz zuzufügen. Dies wird z. B. durch den Ku Klux Klan
bestätigt, dessen Mitglieder, in Kostümen verkleidet, andere Menschen (unter anderem aus
rassistischen Motiven) schikanieren und quälen. Auch geschehen mehr Verbrechen bei
Nacht, da man zu dieser Zeit den Gegenüber schlechter erkennen kann.
Während ein Großteil der Autoren davon ausgeht, dass die CVK generell durch eine rela-
tive Anonymität gekennzeichnet ist, vertreten andere die Ansicht, die CVK verlange nicht
mehr expressives Verhalten als die FTF-Kommunikation, da sie genügend soziale
Informationen enthalte.
183
Nach Döring
184
widerspricht das SIDE-Modell
185
(die Abkürzung SIDE steht für Social
Identity and Deindividuation) der Vorstellung, dass Anonymität aggressives Verhalten
hervorruft. Es zeigt, dass bei Anonymität durchaus personale oder soziale Identitäten
salient sind und dass diese sogar kognitiv besonders akzentuiert werden. Das SIDE-Modell
analysiert Macht und Einfluss in der Kommunikation. Spears und Lea
186
versuchen in
180
Vgl. Kiesler, S.; Siegel, J.; McGuire, T., 1984;
Kiesler, S.; Zubrow, D.; Moses, A., 1985;
Sproull, L.; Kiesler, S., 1991.
181
Strömer, T. H.: Online ­Recht. Rechtsfragen im Internet. 2. Aufl. Heidelberg: dpunkt-Verlag, 1999, S. 219ff.
182
Zimbardo, P. G.: The human choice: Individuation, reason, and order versus deindividuation, impulse, and chaos. (S. 237-307) In:
Arnold, W. J.; Levine, D. (Hrsg.): Nebraska Symposium on Motivation, 1969. Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 1970.
183
Vgl. Lea, M.; O'Shea, T.; Fung, P.; Spears, R.: ,Flaming` in computer-mediated communication. Obeservations, explanations,
implications. (S. 89-112) In: Lea, M. (Hrsg.): Contexts of Computer-mediated communication. New York et al.: Harvester
Wheatsheaf, 1992.
184
Döring, N., 1999, S. 272.
185
Vgl. Spears, R.; Lea, M.: Panacea or Panopticon? The Hidden Power in Computer-Mediated Communication. (S. 427-459) In:
Communication Research, 21 (4), 1994.
186
Ebd., 1994.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832469733
ISBN (Paperback)
9783838669731
Dateigröße
3.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität des Saarlandes – Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften
Note
1,3
Schlagworte
internet dimensionen mündlichkeit hall edward hofstede geert
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