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Zwischen Traum und Wirklichkeit - Professionalisierung von Rock- und Popbands

Unter besonderer Beleuchtung des "Musicoffice Hagen" und der Mittelstadt Schwerte

©2002 Diplomarbeit 263 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die repräsentative, vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegebene Studie von Niketta/Volke zu „Rock und Pop in Deutschland“ belegt, dass nur circa 6% aller Rock- und Popbands in Deutschland als „Professionals“ arbeiten. Die übrigen Bands bezeichnen sich selbst als „Amateure“ oder „Semi-Professionals“, können also ihren Lebensunterhalt nicht allein mit Hilfe der Musik bestreiten. Fällt der Traum, der Wunsch und/oder das Ziel, dies tun zu können, somit der Vorstellung, sich einer „brotlosen Kunst“ hinzugeben, zum Opfer? Den eigenen Traum zu realisieren, ist durchaus möglich, bedarf aber neben eines sehr hohen Maßes an Glück - schließlich werden sich nicht sämtliche Bands mit professionellen Zielen auf dem Markt platzieren können - vieler Kenntnisse zu den äußeren Rahmenbedingungen, also dem System, das einem diesen Traum einerseits erst ermöglicht, ihn andererseits aber auch zerstören kann. Bei aller Träumerei vom Rock- und Popstarsein bedarf es also realitätsnaher Auseinandersetzung mit den musikökonomischen Mechanismen und Strukturen sowie zielgerichteten Handelns, das sich sowohl auf die Theorie und Praxis der eigenen Kunst bezieht als auch wiederum auf ihre äußeren Rahmenbedingungen. Der Begriff „Professionalisierung“ ist in diese Strukturen eingebettet und meint, auf den einzelnen Musiker bezogen, die Aneignung von Kompetenzen und Fachwissen und, auf die Band bezogen, die Anwendung bestimmter Mechanismen, um die Chancen zur Erreichbarkeit größerer Zielgruppen zu erhöhen. Dabei gibt es keine Kriterien, durch deren Beachtung die Umsetzung individueller Ziele von Musikern oder Bands garantiert werden kann. Vielmehr lässt die große Konkurrenz an Bands die Chancen für eine erfolgreiche Positionierung auf dem Markt schwinden.
Der vorliegenden Arbeit liegen drei Hauptteile zugrunde, welche die Rock- und Popkultur aus unterschiedlicher Sicht beleuchten. Der erste Teil ist ein theoretischer und befasst sich mit der Bedeutung und Organisation von Rock- und Popkultur und stellt unter anderem im Rahmen eines Überblicks die verschiedenen Systemebenen der Rock- und Popkultur, und zwar die individuelle, kulturelle und ökonomische, dar. Die kulturelle und ökonomische Ebene werden im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Stellenwert von Rock- und Popmusik untersucht. Da erst das kulturindustrielle System eine Massenkultur und damit Popularität ermöglicht, werden ihre einzelnen Teilsysteme und Organe […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6953
Siebers, Marc: Zwischen Traum und Wirklichkeit - Professionalisierung von Rock- und
Popbands - Unter besonderer Beleuchtung des "Musicoffice Hagen" und der Mittelstadt
Schwerte
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Fachhochschule Südwestfalen, Universität, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

II
Inhaltsverzeichnis
1. VORWORT... 1
2. EINLEITUNG... 4
3. TEIL 1: BEDEUTUNG UND ORGANISATION
DER ROCK- UND POPKULTUR... 6
3.1. Geschichtliches zur Rock- und Popmusik ...7
3.1.1. Definition von Rock- und Popmusik ...13
3.2. Die individuelle Ebene: Die sinn- und identitätsstiftende Funktion
der Rock- und Popmusik...15
3.3. Die kulturelle Ebene: Überlegungen zum kulturellen Stellenwert
von Rock- und Popmusik in Deutschland...18
3.4. Die ökonomische Ebene: Ökonomischer Stellenwert
von Rock- und Popmusik in Deutschland...21
3.5. Die Organisation der Rock- und Popkultur und ihre Multiplikatoren...25
3.5.1. Die Produktionsfirmen ...27
3.5.1.1. Die
Charts ...29
3.5.2. Die Bedeutung der Medien für die Rock- und Popkultur...30
3.5.2.1. Printmedien...30
3.5.2.2. Hörfunk...32
3.5.2.3. Fernsehen...35
3.5.2.4. Internet...37
3.5.3. Die Aktionsräume...38
3.5.3.1. Das
Live-Konzert ...39
3.5.3.2. Die
Discotheken ...41
3.5.4. Das Urheberrecht und die Verwertungsgesellschaften...41
3.5.5. Bundesverbände (Deutscher Musikrat und ,,DRMV")...43
3.6. Rock- und Popförderprojekte in Deutschland: Beispiele ...44
3.7. Fazit Teil 1...46
4. TEIL 2: BELEUCHTUNG EINER LOKALEN ROCK- UND
POPMUSIKERSZENE UNTER BESONDERER
BERÜCKSICHTIGUNG IHRER PROFESSIONALITÄT UND
IHRES ENGAGEMENTS AM BEISPIEL DER STADT SCHWERTE ... 49
4.1. Problemstellung der Untersuchung ...49
4.1.1. Der Stand der Forschung ...49
4.1.2. Der Forschungsbedarf...50

III
4.2. Vorgehensweise und Methodik der Untersuchung...52
4.2.1. Die Stichprobe ...52
4.2.2. Die Fragebögen...53
4.2.3. Durchführung der Befragung...57
4.2.4. Der Fragebogenrücklauf ...57
4.2.5. Die Datenverarbeitung...58
4.3. Die Stadt Schwerte...59
4.3.1. Allgemeine Daten ...59
4.3.2. ,,Kunterbunt e.V."...60
4.3.3. ,,Band-Initiative" ...61
4.3.4. ,,Musicpool Schwerte"...63
4.3.5. Zusammenfassung ...64
4.4. Der Musikerfragebogen ...66
4.4.1. Soziodemographische Daten ...66
4.4.2. Finanzielle Investitionen...71
4.4.3. Musikalische Entwicklung ...74
4.4.4. Beziehung zur eigenen Band ...86
4.4.5. Gründe für musikalische Aktivitäten...89
4.4.6. Wünsche und Einschätzungen zur Professionalisierung ...92
4.4.7. Zeitliche Investitionen ...96
4.4.8. Einübpraxis...98
4.4.9. Kenntnisstand und Weiterbildungswünsche...99
4.4.10. Kritikoffenheit ...106
4.4.11. Regionale Förderung ...108
4.4.12. Beziehung zur Schwerter Musikszene...112
4.4.13. Zusammenfassung: Die Hauptergebnisse der Musikerfragebogenanalyse ...116
4.5. Der Bandfragebogen...119
4.5.1. Basisdaten zur Band ...119
4.5.2. Fluktuation und Entwicklung ...122
4.5.3. Komposition von Musikstücken...126
4.5.4. Repertoire und musikalischer Ausdruck...128
4.5.5. Probebedingungen ...131
4.5.6. Auftritte: Allgemeine und lokale Kriterien ...135
4.5.7. Publikum...142
4.5.8. Tonträger ...144
4.5.9. Mediennutzung und Promotion ...149
4.5.10. Probleme der Bands...154

IV
4.5.11. Motivation ...155
4.5.12. Ziele und Einschätzungen...156
4.5.13. Organisation...158
4.5.14. Vernetzungen mit anderen Bands...160
4.5.15. Allgemeine und regionale Bildungs- und Fördermaßnahmen...161
4.5.16. Zusammenfassung: Die Hauptergebnisse der Bandfragebogenanalyse ...165
4.6. Fazit Teil 2...170
5. TEIL 3: ROCK- UND POPFÖRDERUNG AM BEISPIEL DES
,,MUSICOFFICE HAGEN" (,,MOH") ... 171
5.1. Entstehung des ,,MOH" ...172
5.2. Finanzierung und Personalschlüssel...173
5.3. Ziele und Aufgaben des Projekts ,,MOH" ...174
5.4. Die Aktivitäten des ,,MOH"...175
5.4.1. Förderprojekte und Bildungsangebote auf kommunaler bis
internationaler Ebene ...178
5.4.1.1. ,,Bandwatch"
2002...178
5.4.1.2. ,,Bandwatch
Krakau"
2002...184
5.4.1.3. ,,Talentandrang"
2002...186
5.4.1.4. ,,Triebwerk"
2001 ...187
5.4.1.5. ,,Beatz aus der Region"...190
5.4.1.6. Rock- und Popförderkonzept für NRW...191
5.5. Fazit Teil 3...193
6. RESÜMEE ... 194
7. QUELLENVERZEICHNIS... 198
7.1. Literaturliste ...198
7.2. Verzeichnis der Internetquellen ...203
8. ANHANG ... 208
Anhang I
Darstellung des Musikerfragebogens...209
Anhang II
Darstellung des Bandfragebogens...226
Anhang III
Interview mit dem Jugendpfleger des Jugendamts
der Stadt Schwerte Thomas Schwengers...247

V
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die Förderung der freien Musikszene und der
Rock- und Popmusik durch die Länder 1996 und 1997 ...20
Abbildung 2: Umsatzentwicklung der fünf wichtigsten Tonträgermärkte ...22
Abbildung 3: Tonträgerabsatz in der Bundesrepublik Deutschland...23
Abbildung 4: Das geschäftliche Umfeld einer Band ...27
Abbildung 5: Geschlecht der Musiker ...66
Abbildung 6: Alter der Musiker...68
Abbildung 7: Beruflicher Status ...69
Abbildung 8: Bezug der Geldmittel bei den Musikern...70
Abbildung 10: Ausgaben und Einkünfte für die Musik...73
Abbildung 11: Hauptinstrumente der Musiker ...75
Abbildung 12: Erlernen der Instrumente in chronologischer Reihenfolge...76
Abbildung 13: Durchschnittliches Lebensalter der Musiker beim Erlernen
ihrer Instrumente...77
Abbildung 14: Unterstützung durch die Eltern beim Erlernen der Instrumente...78
Abbildung 15: Orte und Methoden des Erlernens von Instrumenten bei den Musikern ...80
Abbildung 16: Musikalische Einflüsse der Musiker...82
Abbildung 17: Gründe für den Ausstieg aus vorherigen Bands ...84
Abbildung 18: Dauer der Mitgliedschaft in der aktuellen Band...87
Abbildung 19: Eigenschaften der Bandmitglieder...89
Abbildung 20: Wunsch nach Bekanntheitsgrad...92
Abbildung 21: Plattenvertragswünsche ...93
Abbildung 22: Wahl zwischen Form von Plattenlabels...94
Abbildung 23: Wunsch und Einschätzung, von der Musik leben zu können ...95
Abbildung 24: Kenntnisstand der Musiker...100
Abbildung 25: Weiterbildungswünsche...104
Abbildung 26: Kenntnis über musikbezogene Beratungs- und Informationsanlaufstelle ...108
Abbildung 28: Vorschläge für Unterstützung/Förderung der Musiker/Bands ...110
Abbildung 29: Gründungsjahr der Band...120
Abbildung 30: Besetzungswechsel in der Band ...123
Abbildung 31: Gründe für Personalwechsel in der Band ...125
Abbildung 32: Entstehung der Musikstücke...126
Abbildung 33: Hauptmusikstil der Band ...129
Abbildung 34: Zufriedenheit mit den Probebedingungen ...133
Abbildung 35: Anzahl im Jahr 2001 absolvierter Auftritte ...136
Abbildung 36: Anzahl gewünschter Auftritte pro Jahr...136
Abbildung 37: Auftrittsregionen...138
Abbildung 38: Erfolgte Durchführung von Musikaufnahmen ...145
Abbildung 39: Anzahl von veröffentlichten Produktionen...145
Abbildung 40: Verkaufsformen bei den Tonträgern...148

VI
Abbildung 41: Medienaktivitäten ...150
Abbildung 42: Eigene Homepage im Internet ...153
Abbildung 43: Motivationen der Bands...155
Abbildung 44: Wunsch, von der Band leben zu können ...157
Abbildung 45: Einschätzung, von der Band leben werden zu können ...157
Abbildung 46: Festes Bandmanagement?...159
Abbildung 47: Organisationsstruktur und Auftrittsfrequenz im Jahr 2001 ...159
Abbildung 48: Teilnahme an Bandwettbewerben ...163
Abbildung 49: Meinung der Band zu Bandwettbewerben...163
Abbildung 50: Gründe für die Teilnahme an Bandwettbewerben...164

1
1. Vorwort
Ah, ich steh auf sie, ich find sie cool
Hör mir das Tape noch mal an, weil ich´s zurück spul
Denn das ist meine Mucke, Alter, die geht ab, sag ich dir
Komm mit zum Vorverkaufsschalter, Mann, und schnapp sie dir
Die Karten, die auf dich warten, gekauft von dem gesparten Geld
Durch die ganze Welt führ´n meine Fahrten, weil es mir gefällt
Die Band zu erleben, die Ideen, die sie mir geben zu leben
Mich den Liedern hinzugeben, mit Postern zu umkleben
Die T-Shirts gut zu pflegen, die Platten aufzulegen
Meine Eltern überreden, bis sie sagen: ,,Meinetwegen!"
Wenn sie mich fragen: ,,Weswegen?", dann fällt mir das Überlegen nicht schwer
Denn sie sind gut und deshalb populär
Pop Pop populär Pop
Sie steh´n an jeder Ecke, aber nicht bei mir
Denn das Gedudel dieser Säcke steht mir echt bis hier
Denn jede Sau kennt sie aus dem TV und aus dem Radio und so
Dringt ihr Gelall, ihre Show, kurz: Überall
Umgeben sie dich, umzingeln dich, berieseln und umringen dich
Die alten Sachen fand ich ja ganz gut, die neuen nicht
Mit ihren miesen Tricks können die mich nicht locken
Weil ich weiß, die können nix, nur Kohle abzocken
Im Moment haben sie wohl genug in ihrer Band davon
Trend ist auch ein Argument, weil meine Schwester kennt sie schon
Doch irgendwann sind sie dran und dann kennt sie keiner mehr
Gestern niemand, morgen tot und dazwischen was? Populär
Pop Pop populär Pop
Ja ja, komm ruhig her, Mann und hau mich an
Hau mich an, ob ich dir auch ein Autogramm geben kann
Hau mich an, was ich mir plötzlich alles leisten kann
Mach mich an, sag zu mir: ,,Fang was anderes an! Lass die anderen ran!"
Hau mich an und dann nimm mein Bild von deiner Wand
Und dann schau mich an und dann nimm mein Wort aus deinem Verstand
Und hör mich an und dann gib mir deine Hand und mach dich locker
Und sei kein Oberstübchenhocker

2
Denn wenn du glaubst, mit dem Geld, das ich hab, kann ich mir alles kaufen
Dann hast du vergessen, dass die Dinge hier ganz anders laufen
Spielt keine Rolle, wie du deinen Hunger stillst
Das Geld, das du nicht hast, kauft dir das, was du nicht willst
Hoffnungen, Gehässigkeiten, ungewollte Lässigkeiten
Vorurteile, Vorurteile, andere große Kleinigkeiten
Feinde oder Freunde, es gibt viele Stars
Sterben kannst du nicht, wenn du in aller Leute Köpfe warst
Doch jetzt ist das Leben und ich muss es tun
Mit meinem Willen zu leben und einer Buddel voll Ruhm
Denn hier oben wär´ kein anderer, wenn ich nicht bekannter wär´
Doch ich hass es, ich brauch es, ich hol es und ich rauch es. Populär
Text des Songs ,,Populär" von ,,Die Fantastischen Vier", erschienen
am 15.01.1996 als zweite Singleauskopplung des 1995er Albums ,,Lauschgift".
Text: Michael DJ Beck, Thomas Dürr, Andreas Rieke, Michael B. Schmidt.
EMI Music Publishing Edition Vierte Dimension
Hinsichtlich der Fragen, welche Musik gut ist, ob Musik populär ist, weil sie gut ist, ob Musik
erst durch die Popularität gut wird oder ob gute Musik gerade nicht populär ist, scheiden sich
die Geister. Hierfür wäre es sicherlich angebracht, das Wort ,,gut" zu definieren.
Für die Musikindustrie ist das Wort ,,gut" ein Synonym für hohe Verkaufszahlen, die
Konsumenten erachten oftmals das als ,,gut", was durch die Medien offiziell angepriesen
wird, ein studierter Musiker setzt eher einen musikalischen Mindestanspruch voraus, um von
,,guter" Musik zu sprechen.
Fakt ist, dass musikalische Geschmäcker individuell und somit sehr unterschiedlich ausfallen.
Gleichzeitig haben die großen Plattenfirmen und Medienkonzerne eine Monopolstellung inne.
Sie diktieren gemeinsam, was populär wird und beeinflussen Geschmack und Trend
besonders der jüngeren Zielgruppen, die in ihrer Identität noch nicht gefestigt sind.
Der Titel dieser Arbeit ,,Zwischen Traum und Wirklichkeit" in Verbindung mit Rock- und
Popmusik macht deutlich: Der Traum einzelner, besonders junger Musiker, ein Star zu
werden und von der eigenen Musik leben zu können, ist weit verbreitet. Es gibt zahlreiche
Beispiele von Einzelschicksalen, die eben diesen Traum realisiert haben.
Die Wirklichkeit sieht in der Regel allerdings anders aus. Selbst Rock- und Popgruppen, die
obere Ränge der Charts belegt haben, sind später im Untergrund verschwunden und werden

3
oftmals mit dem Etikett ,,Eintagsfliege" versehen. Der Sprung in die Charts bleibt jedoch den
meisten Bands versagt, auch wenn sie dieses Ziel eifrig verfolgen.
Viele Rock- und Popbands sehen für sich in dem Ziel, ein Popstar zu werden, eher eine
Utopie. Für sie ist die Musik nicht das Mittel zum Zweck, berühmt zu werden, für sie stellt
Musik Sinngebung, Identifikation, Spaß und Kultur dar.
Da sich die meisten (Amateur-)Bands in der Regel hinsichtlich ihrer musikalischen
Kompetenz stetig verbessern, erreichen sie oftmals semiprofessionellen Status. Der Sprung
zur Professionalität erscheint ihnen hierbei nicht utopisch.
Rock- und Popbands ­ auch die erfolgreichen ­ entspringen zumeist einer lokalen/regionalen
Szene, es sei denn, sie werden von der Musikindustrie künstlich produziert.
1
Um einen Eindruck über Organisation, Aktivität und Einstellung von Musikern und Bands zu
bekommen, ist die Untersuchung einer lokalen/regionalen Musikszene sinnvoll.
Da ich selbst seit 1993 in insgesamt neun Bands tätig gewesen bin, die zum größten Teil aus
der Stadt Schwerte stammen beziehungsweise stammten, und ich selbst seit 23 Jahren in
Schwerte wohnhaft bin, habe ich mich entschlossen, der Schwerter Rock- und Popmusikszene
in Form einer empirischen Arbeit meine Anerkennung zu erweisen.
Ich möchte mich ganz herzlich bei den Menschen bedanken, die meine Arbeit unterstützt
haben.
Besonderer Dank geht an all die Schwerter Bands und Musiker, die gewissenhaft und
engagiert die umfangreichen Fragebögen ausgefüllt haben. Die meisten Musiker haben starkes
Interesse an dieser Diplomarbeit bekundet, woraufhin ich mich entschlossen habe, mindestens
ein Exemplar der städtischen Leihbücherei, dem Jugendamt und dem Kulturamt der Stadt
Schwerte zu stiften.
42 Schwerter Bands konnte ich durch mir vor dem Zeitpunkt der Befragung bereits bekannte
Bands und Musiker, weitere Vermittlung mit Hilfe bereits ermittelter Bands
(Schneeballsystem), einen umfangreichen Presseaufruf an alle Schwerter Bands, die
Radiosendung ,,Krass" des Bürgerfunks auf ,,Radio Antenne Unna" und die Jugendzentren
rekrutieren. Sicherlich konnten einige weitere Schwerter Bands nicht ermittelt werden, jedoch
ist davon auszugehen, dass der Großteil der Schwerter Bandszene Teil dieser Studie geworden
ist.
1
Solche Gruppen werden auch als ,,Retortenbands" bezeichnet.

4
Folgende Schwerter Bands haben an der empirischen Studie teil genommen:
24 Sitzplätze, Autsch, Basement Blues Band, Black Milk, Black Sun, Bloodflowers,
Blumenbeat, Carefull Eye, Champagne & Reefer Blues Band, Darkrider, Dezibil,
Dot De Project, Full Flavor, Genickbruch, Joschija, Kaya, K.R.A.S.S., Lunastrip, Meltdown,
Missing One, More Than Supervision, Mr. Stringer, Nightlife, Numbnation,
Orange But Green, Outer Remedy, Penetrate Grey, Pigs Can Fly, Plus 10, S&M,
Seven Of Nine, Spellbinders, Stepping Stone, Stonefish, Soulfingers, Sudden Birth,
Taste Of Nowhere, Themroc, Uncle Paul`s Truck, Unpaybar und Vitamin D.
2. Einleitung
Die repräsentative vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag
gegebenen Studie von Niketta/Volke zu ,,Rock und Pop in Deutschland" belegt, dass nur circa
6% aller Rock- und Popbands in Deutschland als ,,Professionals" arbeiten. Die übrigen Bands
bezeichnen sich selbst als ,,Amateure" oder ,,Semi-Professionals",
2
können also ihren
Lebensunterhalt nicht allein mit Hilfe der Musik bestreiten. Fällt der Traum, der Wunsch
und/oder das Ziel, dies tun zu können, somit der Vorstellung, sich einer ,,brotlosen Kunst"
hinzugeben, zum Opfer?
Den eigenen Traum zu realisieren, ist durchaus möglich, bedarf aber neben eines sehr hohen
Maßes an Glück - schließlich werden sich nicht sämtliche Bands mit professionellen Zielen
auf dem Markt platzieren können - vieler Kenntnisse zu den äußeren Rahmenbedingungen,
also dem System, das einem diesen Traum einerseits erst ermöglicht, ihn andererseits aber
auch zerstören kann. Bei aller Träumerei vom Rock- und Popstarsein bedarf es also
realitätsnaher Auseinandersetzung mit den musikökonomischen Mechanismen und Strukturen
sowie zielgerichteten Handelns, das sich sowohl auf die Theorie und Praxis der eigenen Kunst
bezieht als auch wiederum auf ihre äußeren Rahmenbedingungen.
Der Begriff ,,Professionalisierung" ist in diese Strukturen eingebettet und meint, auf den
einzelnen Musiker bezogen, die Aneignung von Kompetenzen und Fachwissen und, auf die
Band bezogen, die Anwendung bestimmter Mechanismen, um die Chancen zur Erreichbarkeit
größerer Zielgruppen zu erhöhen. Dabei gibt es keine Kriterien, durch deren Beachtung die
2
Niketta, R./Volke, E., Rock und Pop in Deutschland. Ein Handbuch für öffentliche Einrichtungen und andere
Interessierte, Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit in NRW 1994, S.66

5
Umsetzung individueller Ziele von Musikern oder Bands garantiert werden kann. Vielmehr
lässt die große Konkurrenz an Bands die Chancen für eine erfolgreiche Positionierung auf
dem Markt schwinden.
Der vorliegenden Arbeit liegen drei Hauptteile zugrunde, welche die Rock- und Popkultur aus
unterschiedlicher Sicht beleuchten.
Der erste Teil ist ein theoretischer und befasst sich mit der Bedeutung und Organisation von
Rock- und Popkultur und stellt unter anderem im Rahmen eines Überblicks die verschiedenen
Systemebenen der Rock- und Popkultur, und zwar die individuelle, kulturelle und
ökonomische, dar. Die kulturelle und ökonomische Ebene werden im Zusammenhang mit
dem gesellschaftlichen Stellenwert von Rock- und Popmusik untersucht.
Da erst das kulturindustrielle System eine Massenkultur und damit Popularität ermöglicht,
werden ihre einzelnen Teilsysteme und Organe vorgestellt. Dabei wird versucht, nicht nur
ihre Wirkungsweise speziell für die Rock- und Popkultur herauszuarbeiten, sondern ebenso
ihre Bedeutung und ihren Zugang für nicht unter Vertrag stehende Bands. Inwiefern solche
Bands und ihre Musiker durch eine gezielte Förderung an die Professionalität herangeführt
werden können, wird anhand einzelner Kurzbeispiele aufgezeigt.
Der zweite Teil ist ein empirischer, der die Funktionsweise und äußeren Bedingungen einer
lokalen Rock- und Popmusikszene und die inneren Einstellungen ihrer Akteure reflektiert.
Sowohl Einzelmusiker als auch Bands aus der Stadt Schwerte wurden per Fragebogen
interviewt. Anhand der Ergebnisse wird aufgezeigt, welchen Stellenwert Rock- und Popmusik
in einer Mittelstadt hat, inwiefern Professionalitätswünsche und -ziele existieren, in welcher
Weise sie umgesetzt werden und welchen infrastrukturellen Bedingungen die Musiker
gegenüber stehen. Gerade der empirische Teil ist als Spiegel einer großen Kulturszene zu
verstehen und möchte sowohl die Musiker selbst als auch die Musikbranche und Kulturträger
animieren, die Arbeitssituation der Musiker zu verbessern.
Dass dies möglich ist und es an guten Ideen nicht mangelt, verdeutlicht der dritte Teil, in
welchem die Projektarbeit des ,,Musicoffice Hagen" vorgestellt wird, das sowohl im Bereich
Rock- und Popmusik als lokale/regionale Anlauf- und Interessenvertretungsstelle fungiert, als
auch Förderprojekte auf Landesebene umsetzt und für internationalen Austausch steht.
Der Einfachheit halber werde ich auf den weiblichen Terminus wie zum Beispiel ,,Musikerin"
verzichten, das heißt, der Begriff ,,Musiker" bezieht sich sowohl auf das männliche als auch
das weibliche Geschlecht.

6
3.
Teil 1: Bedeutung und Organisation der Rock- und Popkultur
Vor der detaillierten Auseinandersetzung mit einer lokalen Rock- und Popmusikszene am
Beispiel der Stadt Schwerte sowie der Darstellung des ,,Musicoffice Hagen" erachte ich eine
ausführliche Erläuterung der Bedeutung und der Organisation der Rock- und Popkultur als
notwendige Voraussetzung, um die Zusammenhänge von Industrie, Kultur, Konsumenten und
den aktiven Musikern zu verstehen.
Popularmusik ist kein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bereits im
ausgehenden 18. Jahrhundert beginnt der Prozess der Umwandlung von Volksmusikpraktiken
in eine Massenware, die damals noch an den Notendruck gebunden war. Den ersten
Höhepunkt stellt der Wiener Walzer Mitte des 19. Jahrhunderts dar.
3
Die aufkommende Schallplattenindustrie leitet die Nationalisierung und Internationalisierung
der populären Musikformen ein, Rock'n Roll und Rockmusik bringen die Globalisierung und
ein sehr mannigfaltiges musikalisches Spektrum, das vom Blues bis zum Techno reicht.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Popkultur nicht gleichermaßen global verteilt ist,
sondern ihre Präsenz von geographischen, politischen, sozialen, kulturellen und
ökonomischen Rahmenbedingungen abhängt. Wie stark sich bestimmte Stile weltweit
ausbreiten und vermarkten, ist von den Einflussmöglichkeiten der großen Tonträgerfirmen
und Medienkonzerne abhängig, welche die Popkultur weitgehend steuern.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Auswahl und das Angebot verschiedener Rock- und
Popmusikstile so groß, dass innerhalb ihrer Regionen und Städte in der Regel mehrere
unterschiedliche Rock- und Popteilkulturen nebeneinander existieren.
4
Neben der freien
Auswahl bereits vorhandener Stile ist aber immer auch die eigene Kreativität Ausgang für
neue musikalische Entwicklungen, mit denen häufig Ideale und Werte verbunden werden.
Die kommunalen und regionalen (kultur-)politisch bedingten Rahmenbedingungen bilden
oftmals die Voraussetzung dafür, wie sich eine Rock- und Popkultur vor Ort entwickeln kann.
Ohne eigenes aktives Musizieren bei gleichzeitigem Partizipieren der Öffentlichkeit kann
wohl eher von einer passiven, konsumorientierten Rock- und Popkultur gesprochen werden,
deren Basis die Konserven der Musikindustrie und der Medien bilden. Ohne aktive Gestaltung
kann Kultur nicht glaubhaft beeinflusst und verändert werden, vor allem aber nicht aktiv
gelebt, sondern im Wesentlichen nur konsumiert werden.
3
Vgl. Wicke, P, ,,Populäre Musik" als theoretisches Konzept, in PopScriptum 1/92, S.6 ff, http://www2.rz.hu-
berlin.de/fpm/texte/popkonz.htm (20.06.2002)
4
Zum Beispiel Raver, Rocker, Punks und Gothics innerhalb einer Metropole

7
Eigenständige, wenn auch durch bereits existierende Musikarten und -stile beeinflusste Rock-
und Popkultur entsteht in den Kommunen und verbreitet sich gegebenenfalls von dort mit
Hilfe der Medien und durch marktwirtschaftliche Mechanismen, die im weiteren Verlauf
dieser Arbeit vorgestellt werden, nach außen, wodurch der kommunale Charakter wiederum
(inter)nationalisiert wird. Ansonsten wäre es durchaus vorstellbar, dass Rock- und Popkultur
in Zukunft lediglich ein künstlich erzeugtes Produkt darstellt, das von einer monopolistischen
Musikindustrie entwickelt,
5
gesteuert und zu Grabe getragen wird. Auch wenn die
Kulturindustrie versucht, Kultur selbst zu gestalten und zu vermarkten, darf nicht vergessen
werden, dass sie in der Regel auf die Trendsetter, die Künstler aus der ,,Szene", angewiesen
ist, um das zu verbreiten, was bereits existiert.
6
3.1.
Geschichtliches zur Rock- und Popmusik
Die Entwicklung der Rock- und Popmusik lückenlos zu beschreiben, ist innerhalb dieses
bewusst gering gehaltenen Umfangs verständlicherweise nicht möglich. Dennoch sollen die
wichtigsten Stationen der Musik auf dem Weg zur Rock- und Popmusik und ihre
Weiterentwicklung beleuchtet werden, um ein differenziertes Bild der Rock- und
Popkultur(en) zu erlangen.
7
Rock- und Popmusik hat sich aus verschiedenen Kulturen heraus entwickelt und wurde als
Werkzeug für immer neue Teil-, Sub- und Gegenkulturen, aber ebenso für eine
kulturindustriell produzierte Popkultur genutzt.
Der Ursprung der Rock- und Popmusik liegt im kulturellen, religiösen und musikalischen
Erbe der geschätzt 100 Millionen Sklaven, die zwischen 1550 und 1870 aus Afrika nach
Amerika deportiert wurden und von denen nur circa 10-15 Prozent den amerikanischen
Kontinent lebend erreichten.
8
In Südamerika vermischten sich afrikanische mit
südamerikanischen Kulten und Kulturen und bildeten neue weltliche Kulturvarianten.
9
5
Vgl. die Fernsehserie ,,Popstars" auf RTL 2
6
Vgl. Hermansen, K., Zum Einfluss der Kulturindustrie auf das Bewusstsein Jugendlicher, Pfaffenweiler 1990,
S.146
7
Der Jazz erhält in diesem Zusammenhang keine genaue Betrachtung, auch wenn dieser im weitesten Sinne als
populäre Musik bezeichnet werden kann (besonders zwischen 1920 und 1960). Der Umfang dieser Arbeit
wäre hiermit zu groß. Der Fokus richtet sich nur auf einige entscheidende Entwicklungsstile, welche die
Entwicklung der Rock- und Popmusik überwiegend im Sinne ihrer in Kapitel 3.1.1. erfolgten Definition
beschreiben.
8
Siedler, R., Feel it in your body. Sinnlichkeit, Lebensgefühl und Moral in der Rockmusik, Mainz 1995, S.164 ff
9
Zu diesen Stilen zählen u.a. ,,Rumba" in Kuba, ,,Reggae" auf Jamaika und ,,Tango" in Argentinien und
Uruguay, ebd.

8
Ein großer Teil afrikanischer Musik, der sich behaupten konnte, wurde im Takt der meist
harten körperlichen Arbeit gesungen.
10
Die Gesänge erhöhten nicht nur die Arbeitsmotivation
und somit die Produktivität, ebenso waren Protest, Spott, reale und imaginäre Geschichten,
verbreitet auch codierte Informationen zur Verständigung Inhalt der Musik. Bereits hier zeigt
sich eine kulturelle Eigendynamik, die subkulturellen Charakter aufweist: Musik als
Gegenkultur innerhalb einer aufoktroyierten Kultur, als eigenes soziales Erleben, als
Verarbeitung und Ventil für traumatische Erlebnisse und damit verbundener negativer
Emotionen und als religiös anmutender gemeinsamer Geist in einer gemeinsamen Sprache.
Der hieraus entstandene Blues wird im Gegensatz zu den Arbeitsgesängen eher als Lied der
Freizeit verstanden, auch wenn es nach Schätzungen von Jahn und Dauer
11
circa 180
unterschiedliche Blues-Formen gibt.
12
Gleichzeitig geht mit dem Blues aber auch eine
poetische Aussage zur sozialen Situation eines Individuums oder einer Gruppe einher,
verbunden mit der Intention, die Situation zu verändern.
13
Nach Dauer ist Blues nicht mit der
Klage verbunden, sondern mit Anklage, Anprangerung, Spott und Hohn und der Bewältigung
all dessen, wovon gesungen wird. Laut Siedler ist Blues der Maßstab sowohl für Rock als
auch für Jazz. Er führt einen Blues-Mythos auf, der besagt, dass sowohl Blues- als auch
Rockmusiker den Blues spielen und fühlen können müssten und nicht die Qualität der
technischen Ausführung zähle, sondern vielmehr des Ausdrucks, des ,,innige(n) Gesang(s)",
der den Blues und auch die Rockmusik ausmache.
14
Ein weiterer Mythos besagt, ,,dass nur
derjenige den Blues spüren kann, der unter einem Mangel an Befriedigung leidet."
15
Der
Blues, der seinen Ursprung in den ländlichen Gebieten hat, zog zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in die Industriezentren, wo sich der Stil weiter veränderte. Er wurde rauer und
härter als Ausdruck für das raue Leben in den Großstädten und Industriegürteln.
Um 1920 begann die Kommerzialisierung des Blues. Er sollte nun unterhaltend sein, und
damit verknüpft traten erstmals Gesangsstars in den Vordergrund.
16
Es formierten sich
10
Der Blues wurzelt in diesen Gesängen und Balladen und entstand etwa in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts
11
Vgl. Dauer, A., Blues aus 100 Jahren. Texte und Noten mit Begleit-Akkorden, o. O. 1983, S.172 ff
12
Die afrikanischen Spirituals gelten ebenfalls als Einfluss für die Rock- und Popmusik. Spirituals wurden nicht
nur gesungen, sondern auch getanzt: Ursprünglich ekstatisch, später nur noch in Form eines rhythmischen
Schwingens und Wiegens, wovon manche den Rock`n Roll ableiteten. Als Gegenbewegung zum Spiritual, der
als Überbleibsel der Sklavenzeit betrachtet wurde, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Gospel,
der neben dem Blues als wichtigster Einfluss der Rockmusik und des Souls gilt. Neben einem Chor wurde die
Musik durch einen Vorsänger erweitert. Zu den berühmtesten Vertretern zählen James Brown, Louis
Armstrong und Mahalia Jackson.
13
Dauer, A., Blues aus 100 Jahren, a.a.O., S.174
14
Siedler, R., Feel it in your body, a.a.O., S.171
15
Voullième, H., Die Faszination der Rockmusik. Überlegungen aus bildungstheoretischer Perspektive,
Leverkusen 1987, S.21
16
Ebd. S.23 f

9
Blues-Bands, die oftmals von weiblichem Gesang unterstützt wurden. Der Blues avancierte
von einer Nebenbeschäftigung zum Professionalismus, und in diesem Zuge wurden einzelne
Musiker populär und wohlhabend.
Aus dem Blues entstand der Rhythm&Blues (R&B), der wesentlich wilder und rhythmischer
war und bereits elektrisch verstärkte Instrumente, vor allem Gitarren, nutzte.
Der R&B, der in erster Linie als Musik von Schwarzen für Schwarze galt, wurde nun, Anfang
der 1950er Jahre, einer neuen Namensgebung unterzogen: Vom R&B zum R&R, dem Rock´n
Roll, einer Übernahme schwarzer Musik in die weiße Jugendkultur.
17
Rock`n Roll, dessen berühmtester Vertreter Elvis ,,The King" Presley ist, übernahm die
Funktion einer Jugendmusik, durch die unter anderem eine Protesthaltung gegen die
Verhaltensnormen des weißen ,,American way of life" zum Ausdruck kam. Besonders die
Kritik am Establishment kurbelte neben der durch die wirtschaftliche Konjunktur erhöhten
Kaufkraft bei den Jugendlichen zusätzlich die Popularität des R&R an. R&R gab der
amerikanischen Jugend durch Abgrenzung von der Erwachsenenwelt eine eigene Identität.
18
Aus dem C&W (Country&Western) entwickelte sich in Verbindung mit eigenständig
interpretiertem R&B der Rockabilly, der schnell, hart und sexy und erstmals der weißen
Jugend vorbehalten war.
Seit Elvis Presley veränderte sich zudem die Qualität der Musik im Live-Konzert.
Temperament und sexuelle Aussagekraft durch ausgelassenen Gesang und frivol anmutendem
Tanz erzielten skandalöse Wirkung und steigerten zusätzlich die Popularität und den
Vorbildcharakter der Stars für eine ganze Generation.
Die großen Medienkonzerne verbreiteten den R&R erst, nachdem die unabhängigen
Independent-Labels
19
die großen längerfristigen Erfolgsaussichten des R&R, die sich in den
R&R-Charts manifestierten, bewiesen hatten. Durch die Einflussnahme der großen
Medienkonzerne veränderte sich gegen Ende der 1950er Jahre der R&R, er wurde melodiöser,
weniger rhythmisch und sentimentaler: Dieser sogenannte High-School-Rock war schon
wesentlich kommerzieller angelegt als seine Vorgänger und erreichte einen größeren
Rezipientenkreis.
20
Die amerikanische Popularmusik stellte eine wichtige musikalische Sozialisationsinstanz für
die Musiker dar, die zu Beginn der 1960er Jahre in Großbritannien den Musikstil Beat
erschufen. Der musikalische Stil der Instrumentalgruppen gegen Ende der 1950er Jahre setzte
17
Ebd. S.24. Eine weitere weniger starke Wurzel des R&R ist der C&W (Country&Western), dessen Inhalte
eher konservativ angelehnt sind und der eine Abwandlung des amerikanischen Folk darstellt.
18
Die spätere Rockmusik gilt als erste weltweite jugendliche Volksmusik. (Ebd., S.25)
19
Vgl. Kapitel 3.5.1.
20
Voullième, H., Die Faszination der Rockmusik, a.a.O., S. 27

10
sich dort zunächst durch. Der Sound war neu, im Zentrum stand die E-Gitarre. Da viele
Musiker aber das dafür notwendige technische Equipment nicht aufbringen konnten, spielten
sie mit einfachen, selbst zusammengebauten und geliehenen Mitteln, wodurch der Sound
wesentlich schroffer ausfiel. In Liverpool, der für die Entwicklung des Beat bedeutendsten
Stadt, wurden die jugendlichen Musiker sogar von den Jugendbehörden unterstützt, da die
Euphorie für diese Musik die Jugendkriminalitätsrate sinken ließ.
Die englische Interpretation der amerikanischen R&B- und R&R-Musik ließ einen neuen,
eigenen Stil entstehen, dessen Inhalt durch den Generationenkonflikt der weißen Jugend
bestimmt wurde, obwohl die Einflüsse aus der schwarzen Kultur kamen, deren Musik
inhaltlich die Rassenproblematik thematisierte. Die vermutlich bekannteste Beat-Band sind
,,The Beatles".
Weitere bereits wesentlich wilder und härter agierende Bands, welche die Rockmusik stark
prägten, waren ,,The Who" und ,,The Rolling Stones". Die stark gesellschaftlich
oppositionelle Haltung, die sich in der Musik wiederspiegelte, unterlag gleichzeitig einer
starken Kommerzialisierung, wodurch die Authentizität der Musik mehr und mehr in den
Hintergrund rückte.
Mit den ,,Beatles" entwickelten sich ausgefeilte musikindustrielle Mechanismen, durch
welche das Produkt Musik über den Weg audiovisueller Medien an eine große Öffentlichkeit
herangetragen wurde. Diesen kulturindustriellen Mechanismen ist auch der immense,
weltweite Erfolg der ,,Beatles" zuzuschreiben.
1967 fand die Beat-Ära in England ihr Ende. Aus dem Beat entwickelte sich der Hardrock,
der stärker R&B orientiert war (zum Beispiel ,,Led Zeppelin") und die schlagerorientierte
Popmusik a la ,,Bee Gees".
21
Aus dem Hardrock entwickelte sich später wiederum eine noch härtere und schnellere
Variante, der Heavy Metal (zum Beispiel ,,Black Sabbath", ,,Iron Maiden").
Mit dem Album ,,Sgt. Pepper`s Lonely Heart`s Club Band" der ,,Beatles" war Ende der
1960er Jahre das Rock-Konzeptalbum geboren, das weitaus höhere Ansprüche an die
Produktionstechnik setzte und die Rockmusik als Kunstwerk verstand.
22
Diese Musik, die
auch als Art-Rock bezeichnet wird, sympathisierte unter anderem mit der Klassik,
interpretierte sie (Zum Beispiel ,,Pictures at an exhibition" von ,,Emerson, Lake And Palmer")
oder verschmolz mit ihr (Zum Beispiel ,,Deep Purple").
21
Ein anderer Stil , der sich zu jener Zeit entwickelte, war der Latin-Rock, dessen vermutlich bekanntester
Vertreter ,,Santana" ist.
22
Voullième, H., Die Faszination der Rockmusik, a.a.O., S.31

11
Die großen und produktionstechnisch üppig ausgestatteten ,,Supergroups" wie ,,Pink Floyd"
und ,,Supertramp" prägten nun das Bild der Rockmusik, welche durch die großen
Medienkonzerne hervorragend gesteuert werden konnte. Durch diese Statussicherheit bedingt,
wurden neue innovative Musikstile von diesen Konzernen weniger stark gefördert. Erst die
Entstehung des Punk ab Mitte der 1970er Jahre, die Rückführung zur ursprünglichen
protestbezogenen Rockmusik, stellte eine Innovation dar.
Punk entwickelte sich etwa zeitgleich in New York und London, wobei Intention, Einfluss
und Ausdruck nicht selber Natur waren.
23
Gemeinsam herrschte der Versuch vor,
gesellschaftliche Tabus zu brechen und sich gegen den durch die Musikindustrie geschaffenen
Mainstream mit ihrem Starkult und somit die dominierende Popularkultur aufzulehnen. Die
Musik war hierbei nicht nur Mittel zum Zweck, sondern diente als druckvolles Werkzeug
antikommerziellen und provokanten künstlerischen Ausdrucks. Beachtenswert war die
Tatsache, dass es keiner großen musikalischen Schulung bedurfte, um Punkmusik zu spielen.
Die großen Medienkonzerne reagierten erst, als einige Independent-Labels bereits erfolgreich
damit beschäftigt waren, Punkmusik zu vertreiben. Durch die großen Konzerne wurde dann
aber auch die Punkmusik einem größeren Publikum zugänglich gemacht, indem die raue
Musik ,,geglättet" wurde. Namhafte Bands wie ,,The Clash" und ,,Siouxsie And The
Banshees" erlangten einen Major-Deal
24
, die kleinen Labels hatten wieder einmal als
Trendsetter und Talentscout fungiert und wurden vom Markt gedrängt. Nach Voullième zeigt
sich hier, dass die meisten Bands letztlich das Ziel verfolgen, einen Deal mit einer
internationalen Plattenfirma abzuschließen, um von der eigenen Musik gut leben zu können.
25
Markenzeichen für guten Punk war die Provokation, so erlangte der Song ,,God save the
queen" der ,,Sex Pistols" aufgrund öffentlicher Verurteilung durch die Medien den ersten
Platz der englischen Hitparade.
Aus den bereits existierenden Musikstilen setzten sich immer wieder neue zusammen.
Aus der Punkmusik entwickelte sich mit Elementen des Reggae und der Rockmusik die New-
Wave-Musik, die weniger hart und radikal war. In diesem Zusammenhang zu nennen sind
unter anderem Bands wie ,,The Police", ,,Siouxsie And The Banshees", die zuvor noch
Punkmusik gespielt hatten, und ,,The Cure". Aus dem New-Wave entstand wiederum Anfang
der 1980er Jahre der Gothic-Style, meist langsame, monotone, düstere und melancholische
23
Die genauen Unterschiede aufzuzeigen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Der amerikanische Punk
galt aber stärker als Kunstrichtung, wohingegen der englische Punk eher eine Jugendbewegung darstellte.
24
Plattenvertrag bei einem Major-Label (Vgl. Kapitel 3.5.1.)
25
Voullième, H., Die Faszination der Rockmusik, a.a.O., S.33

12
Musik, mit Texten versehen, die sich im weitesten Sinne mit Tod, Trauer, Einsamkeit, aber
auch mit Okkultismus und Satanismus befassen.
26
Die ersten populären und vermutlich innovativsten Bands der elektronischen Musik waren die
Berliner ,,Tangerine Dream" und die Düsseldorfer ,,Kraftwerk" zu Beginn der 1970er Jahre,
die mitunter Basis beziehungsweise Einflussfaktor für die späteren Musikstile EBM
(Electronic Body Music), Industrial und Techno waren. Während die Musik von ,,Tangerine
Dream" eher der Avantgarde-Musik zugerechnet werden kann, diese dennoch populär wurde,
hatte die ebenfalls sehr innovative und experimentelle Musik von ,,Kraftwerk" stärkeren
Songcharakter.
Beide Bands wurden Mitte der 1970er Jahre international bekannt und erfolgreich. Ralf Hütter
und Florian Schneider von ,,Kraftwerk" meldeten am 10.07.1975 das elektronische
Schlagzeug in den USA als Patent an.
27
Populäre Bands wie beispielsweise ,,Depeche Mode" bedienten sich des elektronischen
Musikstils und waren wiederum Vorreiter weiterer Stile wie dem Synthie-Pop.
Auch der Rock entdeckte die Möglichkeiten der Elektronik. Bereits ,,Pink Floyd" erweiterten
als eine der ersten Rockbands die klassische Rockbesetzung (Gesang, Gitarre, Bass,
Schlagzeug) um Keyboards und Synthesizer, wobei sich die technischen Möglichkeiten mit
Hilfe der Computertechnik bis heute verbessert und vor allem vereinfacht haben.
Weitere populäre Musikstile, die allein aufgrund ihres hohen kommerziellen Stellenwertes
nicht unerwähnt bleiben sollten, sind Reggae,
28
Soul,
29
Funk
30
und Rap, rhythmischer
Sprechgesang, der bereits in den 1950er Jahren von amerikanischen Discjockeys entwickelt
wurde.
In den 1970ern entstand in amerikanischen Ghettos der HipHop, bei dem die Musik nicht mit
herkömmlichen Instrumenten gespielt, sondern mit Hilfe von einer Aneinanderreihung von
zwei oder mehreren Turntables (Plattenspieler), die Breakbeats (stark rhythmische Passage
aus einem bereits existierenden Musikstück)produzierten, welche durch ergänzende(s)
Scratching (Kratzen) und Musikpassagen ergänzt wurden. Sehr schnell war der Rap
Bestandteil der Musik, und mit moderneren Methoden wie dem Sampling (digitales
Aufzeichnen von Klangschnipseln, die neu zusammengesetzt werden und somit etwas Neues
ergeben) konnte die Stilvielfalt erweitert werden. Dieser Musikstil beherrscht heute mitunter
den US-amerikanischen Musikmarkt.
26
Allein der Gothic-Style besteht heutzutage aus einer Vielzahl unterschiedlicher Subgenres.
27
http://kraftwerk.mdis.de/kraft1.htm (07.07.2002)
28
Die Ursprünge liegen im ,,Ska" und dem späteren ,,Rock Steady".
29
Aus dem ,,Gospel" und dem ,,R&B" hervorgegangen.
30
Vgl. James Brown

13
Ähnliche technische Mittel für das Erzeugen von Musik werden im Techno genutzt, der Mitte
der 1980er Jahre, von der House-Musik ausgehend seine Entwicklung nahm und in den
1990ern von deutschen Interpreten maßgeblich dominiert wurde.
31
Mit diesen technischen Möglichkeiten und der Digitalisierung der Produktionstechnik hat sich
auch die Qualität der populären Musik verändert. Zum einen sind die produktionstechnischen
Standards und damit die Ansprüche von Konsumenten stark gestiegen, zum anderen ist das
Reproduzieren von Musik gängiges Mittel geworden. Was sich bereits in den 1990er Jahren
in der Dancefloor-Musik etablierte, wird auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts fort gesetzt.
Ältere Stücke werden genutzt, um in ein neues musikalisches, zumeist vom künstlerisch-
technischen Anspruch her triviales Soundgewand gesteckt zu werden.
32
Simple Standardbeats untermalen technisch veränderte O-Töne, werden durch einen neuen
Gesang oder Rappassagen modifiziert und avancieren zu Hits. Die Popmusik muss sich
einerseits den Vorwurf gefallen lassen, dass es an eigenen, neuen Ideen mangelt, wobei die
Vermarktung dieser reproduzierten Musik andererseits sehr erfolgreich ist.
Diese Form der Popmusik ist zudem wesentlich schneller und billiger produzierbar als die
,,handgemachte" Rock- und Popmusik, die mit größeren Gruppenstrukturen verknüpft ist, hat
aber trotz hohen Hitpotentials in den Charts nur eine geringe Lebensdauer und dürfte
schwerlich dem Begriff ,,Evergreen"
33
zuzuordnen sein.
3.1.1. Definition von Rock- und Popmusik
Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ist eine eingrenzende Beschreibung der
Begrifflichkeiten Rock- und Popmusik erforderlich.
Nachdem in Kapitel 3.1. ansatzweise die Entstehung unterschiedlicher Musikarten, die der
Rock- und Popmusik zugeschrieben werden, vorgestellt wurde, bezieht sich diese Arbeit im
Folgenden auf die Definition von Dieter Baacke: Er beschreibt Popmusik nicht als ,,populäre"
Musik, zu welcher auch der Schlager und die volkstümliche Musik zählen, vielmehr umfasse
Popmusik all die unterschiedlichen, zahlreichen Varianten von Musik, die ,,in die
31
Vgl. http://www.chartslist.de/rockh.htm#house (07.07.2002)
32
Das Covern (Reproduzieren und zumeist Neuinterpretieren) bereits existierender Musikstücke wird und wurde
in annähernd allen Musiksparten vollzogen.
33
Über lange Zeit sehr populäre Melodie oder Musikstück

14
jugendkulturelle (Hör-)Praxis eingehen oder eingegangen sind.".
34
Hier gesondert zu nennen
sind die musikalischen Wurzeln des R&B, des R&R und des afrikanischen Rhythmus.
Rockmusik wird als anspruchsvollere und weniger ,,beliebige" Variante der Popmusik
verstanden. Ihre Stile heben sich unterschiedlich stark vom sogenannten Mainstream und von
gesamtgesellschaftlichen Denkweisen ab, während Pop allgemein eine von der Gesellschaft
akzeptierte Musik darstellt.
Als Indikatoren jugendkulturellen Bezugs steht hierbei ihre Akzeptanz bei Jugendlichen, ihre
Teilnahme an den Charts und ihrer Veröffentlichung über die Videoclip-Programme der
Musiksender.
35
Baacke weist aber auch darauf hin, dass Rock- und Popmusik nicht mehr nur der Jugend
vorbehalten, sondern zu einer generationenübergreifenden Form der Musik avanciert ist.
Zu ihrer Hörerschaft und ihren Akteuren zählen beispielsweise nicht nur die ,,Altrocker", die
ihre Jugendmusik verinnerlicht haben, sondern auch ältere Generationen, die zwar mit ihrer
spezifischen Rock-/Popmusik groß geworden sind, sich aber ebenso an modernen Spielarten
der Rock- und Popmusik erfreuen, ohne sich durch jugendkulturell typische Praktiken bei der
Jugend anbiedern zu wollen.
Da gerade die Popmusik vor allem bei der elektronischen Musik wie beispielsweise dem
Techno oft von Einzelpersonen ( meist Discjockeys) kreiert wird, möchte ich die Begriffe
Rock- und Popmusik für die Relevanz der vorliegenden Arbeit zusätzlich eingrenzen: Die hier
vorliegende Studie bezieht sich lediglich auf Musiker, die in Gruppenstrukturen Musik
produzieren, das heißt, es sind mindestens zwei Personen erforderlich, um von einer Rock-
oder Popband zu sprechen.
34
Baacke, D., Die Welt der Musik und die Jugend. Eine Einleitung, in: Baacke, D. (Hrsg.), Handbuch Jugend
und Musik, Opladen 1997, S.15. Diese Beschreibung deckt sich im Wesentlichen auch mit den
Entwicklungsstrukturen der Rock- und Popmusik, wie sie in Punkt 3.1. aufgezeigt werden.
35
Hinzuzuzählen sind in diesem Zusammenhang auch die Teilhabe an jugend(-szene)spezifischen Magazinen
und Fanzines, sowie an jugendkulturellen Praktiken und ihren Räumen (zum Beispiel Disco, Konzert).

15
3.2.
Die individuelle Ebene: Die sinn- und identitätsstiftende Funktion
der Rock- und Popmusik
Was bewegt Jugendliche und (junge) Erwachsene dazu, Rock- und Popmusik zu machen? Ist
es allein das Ziel, davon zu leben, bekannt oder gar ein Star zu werden, um sich so vor der
Öffentlichkeit zu profilieren und sich feiern zu lassen?
Unbestritten ist, dass viele Musiker und Bands gewissermaßen für sich selbst Musik machen, Musik
als Hobby betrachten und oben genanntes Ziel gerade nicht verfolgen.
36
Das bedeutet, dass nicht nur der Zweck, beispielsweise Geld mit der Musik zu verdienen,
Hauptrelevanz für das Musizieren ist, sondern ein tieferer Sinn damit verbunden sein muss, der dem
Musiker oberflächlich betrachtet keine objektiv messbaren Vorteile wie zum Beispiel hohe
Geldeinnahmen bringt.
Der Begriff ,,Sinn" bedarf hierbei einer genaueren Definition.
Max Fuchs, Direktor der Akademie Remscheid für musische Bildung und Medienerziehung, nennt
die nützlichen Eigenschaften, den Gebrauchswert der Dinge, Prozesse, Traditionen und Methoden,
die einen Beitrag zur Lebensbewältigung leisten, Bedeutung.
37
Bedeutung artikuliert sich im
praktischen Tun, das ohne Fremdzwang, das heißt, aus der eigenen Motivation heraus, erfolgt. Die
Begründung für den konkreten Handlungsimpuls einer Person liegt in seiner Biographie, der
Verarbeitung bereits gemachter Erfahrungen und dies vor dem Hintergrund seiner
Lebensperspektiven. Bedeutungsaneignung ist verknüpft mit einem subjektiven
Bewertungsvorgang, wobei rationale Handlungsplanung und emotionale Bewertung eine Einheit
bilden.
Fuchs fasst zusammen: ,,Als ,Sinn' wird daher die individuell bewertete, angeeignete und
verarbeitete Bedeutung verstanden. Sinn ist Bezug der objektiven Handlungsmöglichkeiten auf das
eigene Leben, ist aktiver Selbstbezug in zeitlicher Perspektive."
38
Kunst im Allgemeinen und damit auch die Musik stellt ein Symbolsystem für innere Werte,
Einstellungen und Emotionen dar, aber auch für den Ausdruck objektiver Gegebenheiten, die
wiederum subjektiv wahrgenommen und in verschiedenartiger, ästhetisierender Weise durch das
künstlerische Medium codiert werden. Entscheidendes Kriterium für die Herausbildung von Ich-
Identität ist dabei die Entwicklung von Außermittigkeit, das heißt ,,die Zurückspiegelung des Selbst
im anderen".
39
36
Vgl. hierzu auch die Ergebnisse zur Befragung der Schwerter Rock- und Popmusikszene in Kapitel 4.4.6.
37
Fuchs, M., Kulturpädagogik und gesellschaftlicher Anspruch, Akademie Remscheid, 1990, S.67 ff
38
Ebd., S.70

16
Auf die Rock- und Popmusik bezogen bedeutet dies: Rock- und Popmusiker nutzen das
künstlerisch-kreative Medium Rock- und Popmusik, da sie mit diesem eine individuell bewertete,
angeeignete und verarbeitete Bedeutung, also einen Sinn verbinden. Dieser Sinn kann viele
Gesichter haben: Gesellschaftlicher und politischer Protest, Ausdruck des persönlichen
Lebensgefühls, Identifikation mit Idolen, Verarbeitung von Emotionen, Eskapismus,
40
Darstellung
der eigenen Persönlichkeit beziehungsweise dessen, was man darstellen möchte (Image), Förderung
des Selbst durch Kreativität, Geborgenheit in einer Gruppe, Partizipation an einer Gemeinschaft
(Peer-Group, Szene, Jugendkultur). Zu den weiteren möglichen Bedeutungen für das Musizieren
zählt sicherlich auch der Aspekt, seinen Lebensunterhalt oder einen Teil davon durch die eigene
Musik bestreiten zu können. Voraussetzung ist aber, dass dies nicht unter äußerem Zwang
geschieht, sondern aus der eigenen Motivation heraus. Diese kann schnell verloren gehen, wenn
festzustellen ist, dass die Umsetzung dieses Ziels beziehungsweise Traums nicht gelingen will. Zu
viele Abhängigkeiten und Einflussfaktoren bestimmen das Bild des professionell arbeitenden
Musikers, wie in Kapitel 3.5. aufgezeigt wird. Nur Wenige sind imstande, unabhängig agieren und
dennoch davon leben zu können.
Da, wie bereits oben erwähnt, die Entwicklung der Ich-Identität abhängig von der Außermittigkeit,
also der Zurückspiegelung des Selbst im Anderen ist, ist es für die Identität einer Band (als
Kollektiv) wichtig, sich einem Publikum präsentieren zu können, um auf diese Weise den Spiegel
vorgehalten zu bekommen.
41
Dies sagt noch nichts über die Größe dieses Publikums aus.
Rock- und Popmusik ist ebenso wie für den aktiven Musiker auch für den Rezipienten eine
Möglichkeit der Identitätsfindung.
42
Als entscheidende Lebensphase für die Entwicklung von
Identität gilt die (Post-)Adoleszenz. Die Identitätssuche dauert nach Erikson so lange an, bis sich die
Suchenden ,,sicher sind, ob sie irgendeine von den Identitäten haben wollen, die ihnen in einer
konformistischen Welt angeboten werden, oder nicht!"
43
Die Zusammenhänge und Mechanismen der Identitätsfindung in der (Post-)Adoleszenz zu
beschreiben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb werde ich mich auf die
39
Ebd., S.74
40
Vgl. Zöller, C., Rockmusik als jugendliche Weltanschauung und Mythologie, Dortmund, Univ., Diss., 1999,
S.166 ff
41
Musiker unter sich erfahren bereits durch ihr Wechselspiel mit dem/den anderen Resonanz, die für die
Identität des einzelnen Musikers wichtig ist. Eine Band hingegen benötigt Resonanz von außen, um Identität
zu erlangen.
42
Vgl. Spengler, P., Rockmusik und Jugend. Bedeutung und Funktion einer Musikkultur für die Identitätssuche
im Jugendalter, Frankfurt 1985, S.190 ff
43
Erikson, E.H., Identität und Lebenszyklus, Frankfurt a.M. 1970, zitiert in: Spengler, P., Rockmusik und
Jugend. Bedeutung und Funktion einer Musikkultur für die Identitätssuche im Jugendalter, Frankfurt a.M.
1985, S.190

17
Hauptergebnisse stützen, die Spengler in Zusammenhang mit Rockmusik zusammengetragen und
herausgefunden hat.
Identitätsbildung kann beim Jugendlichen durch Abgrenzung von der traditionellen
Erwachsenenwelt stattfinden. Gerade in Peer-Groups artikulieren sich Gleichgesinnte über das
Medium Rock- und Popmusik. Besonders in der Rockmusik wird die Abgrenzung vom
Traditionellen deutlich (Zum Beispiel beim Blues, R&R und Punk). Die meist seichtere, weniger
gegengesellschaftlich gerichtete Popmusik ist ebenso Ausdruck für Identifikation, die wiederum mit
Identitätsfindung stark gekoppelt ist. Identifikation findet über die Musiker (Idole) statt, über deren
Image, deren Aussehen, über die an die Musik oder die Gruppe geknüpften Verhaltensweisen,
Symbole, Werte, Kleidungsstile und Accessoires.
Ein wichtige Voraussetzung für die Identitätsfindung ist bei aller Identifikation mit den Stars und
der Musik eine kritische Haltung des Rezipienten gegenüber den musikalischen Vorbildern.
44
Rock- und Popmusik stellt nicht für Jeden das Gleiche dar, sie macht für Jeden individuell seine
Träume sichtbar und verfügt über ein großes Spektrum an Möglichkeiten für Assoziation und
Phantasie.
45
Da Rock- und Popmusik nicht nur sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllt, sondern auch
durch Gruppenprozesse die Aneignung von Kompetenzen für die Zusammenarbeit in einer Gruppe
fördert, die in weiterer Entwicklung zu einem Team werden kann/sollte, befasst sich auch die
Jugendarbeit/-pflege mit Rock- und Popmusik als Medium jugendkulturellen Ausdrucks. Zu den
besonderen Formen rockmusikalischer sozialpädagogischer Arbeit mit Jugendlichen zählt das
Projekt ,,Rockmobil", das erstmalig in Hessen 1986/87 gestartet wurde und seitdem regelmäßig
Jugendtreffs und -heime per mit Musikequipment ausgestattetem Bus ansteuert. Auf diese Weise
können Jugendliche erste Gehversuche mit einem Instrument wagen, während sich andere bereits zu
einer festen Band formiert haben und erste Auftritte bestreiten.
46
Von geschlechtsspezifischen
Rockmusikangeboten für Mädchen über intensive Kooperationen von Musikinitiativen mit Jugend-
und Kulturämtern über selbst eingerichtete Tonstudios in Jugendheimen ist die Palette jugendkultur-
, sozial- und musikpädagogischer Tätigkeiten im Bereich aktiven Rock- und Popmusizierens noch
zusätzlich erweiterbar. Einzelne Projekte des ,,Musicoffice Hagen", auf die im dritten Teil dieser
Arbeit näher eingegangen wird, haben durchaus auch pädagogischen Anspruch, werden die zumeist
jungen Musiker doch gezielt an die Wirklichkeit des Musikbusiness herangeführt.
44
Vor allem hinsichtlich der Medienwirkung auf Jugendliche: Immer wieder werden Bands und Musiker durch
ihre Texte und ihre Message verantwortlich für Straftaten Jugendlicher gemacht. Hierbei darf nicht übersehen
werden, dass gerade die Message unterschiedlich interpretiert werden kann.
45
Spengler, P., Rockmusik und Jugend, a.a.O., S.190 ff
46
Hill, B./Pleiner, G.: Rockmobil ­ die rollende Musikschule im Jugendhilfebereich, in: Hering u.a. (Hrsg.):
Praxishandbuch Rockmusik in der Jugendarbeit, Opladen 1993, S.95

18
Der Unterschied zur sozialpädagogischen Arbeit besteht jedoch darin, dass sich die Musiker, die an
den Projekten des ,,Musicoffice Hagen" teilnehmen, bereits als feste Band zusammengefunden
haben und zu Professionalisierungszwecken an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, während
die Sozialpädagogik Jugendliche zumeist gezielt an das Medium Musik heranführt, um sie durch
Gruppenprozesse unter anderem in ihrer Identitätsentwicklung zu unterstützen.
47
3.3.
Die kulturelle Ebene: Überlegungen zum kulturellen Stellenwert
von Rock- und Popmusik in Deutschland
Rock- und Popmusik hat ihren Ursprung in den USA und Großbritannien. Ihre
Wechselwirkung mit anderen Kulturen hat immer wieder neue Stile hervorgebracht.
48
So ist Rock- und Popmusik zum Ausdruck und Medium multikulturellen Denkens
geworden
49
, das sich global ausweitet. Dieser Globalisierungsprozess, deren einflussstärkster
Faktor die Ökonomie darstellt, bezieht auch die Kultur mit ein. Er beeinflusst die Kultur, die
der globalen Entwicklung wiederum neue Möglichkeiten offenbart.
50
Müller und Mischke
(1999) betonen, dass bei der die Kultur einbeziehenden Globalisierung die lokale Kultur eine
besondere Rolle spielt: Lokalbezogene Kulturen bilden eine Eigenheit, auf die zum Teil
wiederum global zugegriffen werden kann (zum Beispiel die Wiener Weißwurst auf Hawaii et
cetera).
In diesen Prozess einbezogen ist auch die Rock- und Popmusik.
Die im anschließenden Kapitel 3.4. aufgeführten Ergebnisse zum ökonomischen Stellenwert
von Rock- und Popmusik dokumentieren meines Erachtens auch den gegenwärtigen
kulturellen Stellenwert in der Bevölkerung. Sicherlich sind Quantität und Qualität
grundsätzlich nicht gleich zu setzen, dennoch ist in einem Kulturstaat wie der Bundesrepublik
Deutschland die Rock- und Popmusik das Medium, welches in dominanter Weise das
47
Vgl. Hering u.a. (Hrsg.), Praxishandbuch Rockmusik in der Jugendarbeit, Opladen 1993, S.53 f
48
Vgl. Kapitel 3.1.
49
Paradoxerweise wird dieses multikulturelle Medium auch für die Verbreitung nationalistischer Denkweisen
verwandt, zum Beispiel im Rechtsrock.
50
Müller, L./Mischke, J., Rockmusik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland. Förderkonzepte und
Fördermöglichkeiten, in: ,,PopScriptum", Schriftenreihe herausgegeben vom Forschungszentrum Populäre
Musik der Humboldt-Universität zu Berlin. http://www2.hu-
berlin.de/fpm/popscrip/themen/pst06/pst06090.htm (27.07.2002)

19
soziokulturelle Klima mitbestimmt, begleitet und gestaltet.
51
Ihr Einflussbereich reicht von
Theater und Tanz über Literatur und Film bis hin zu Mode und Werbung.
Die große Anfrage der CDU-Fraktion und ihrer Abgeordneten Steffen Kampeter, Dr. Norbert
Lammert und anderen in 2001 nach einer ,,Bestandsaufnahme und Perspektive(n) der Rock-
und Popmusik in Deutschland" belegt das starke kulturpolitische Interesse, Rock- und
Popmusik einen stärkeren kulturellen Stellenwert einzuräumen,
52
dies vermutlich wegen des
hohen ökonomischen Stellenwertes für das Bruttosozialprodukt. In der Antwort der
Bundesregierung ein Jahr nach Anfrage wird unterstrichen, dass Kulturförderung Sache der
Länder und Kommunen sei, ,,von der Ausbildung der Musikerinnen und Musiker bis hin zu
Fragen der Bereitstellung von Proberäumen und der Schaffung von Auftrittsräumen."
53
Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, bedürfe es eines Förderungskonzeptes in
Kooperation mit Bund, Ländern, Kommunen und Wirtschaft.
Zu den vom Staat geförderten musikbezogenen Bereichen zählen die Einrichtungen und
Projekte, ,,die eine besondere bundespolitische Bedeutung besitzen."
54
Ein Großteil der Mittel, die der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der
Kultur und der Medien (BKM) bereitstellt, fließt in die Projekte des Deutschen Musikrates
(DMR),
55
den Dachverband der Fachverbände im Musikbereich der Bundesrepublik
Deutschland. Dieser ist für die Rock- und Popmusik eher von marginaler Bedeutung, ebenso
wie die weiteren musikbezogenen Fördermaßnahmen, die vom Bund ausgehen, die aus
Gründen des Umfangs an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
Dass Rock- und Popmusik bislang ein eher bescheidener Stellenwert in der Förderung durch
die Länder eingeräumt worden ist, belegt die Studie von Müller und Mischke. Die Daten zur
Förderung der freien Musikszene und speziell der Rock- und Popmusik beziehen sich auf die
Jahre 1996 und 1997, aktuellere Daten sind meines Erachtens in dieser Form nicht
veröffentlicht.
56
Zusammengefasst haben alle Bundesländer insgesamt im Jahre 1996 52.508.636 DM und im
Jahre 1997 53.146.759 DM für die Förderung der freien Musikszene aufgebracht.
51
Vgl. Baacke, D., (Hrsg.), Handbuch Jugend und Musik, a.a.O., S.9 f.
Baacke bezeichnet den kulturellen Stellenwert der Rock- und Popmusik zugleich als unterbewertet und als
Randgebiet im wissenschaftlichen Diskurs und in der öffentlichen Beachtung (ebd., S.25)
52
Vgl. Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/4290, Große Anfrage der CDU-Fraktion vom
10.10.2000: Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland, Berlin 2000
53
Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/6993, Antwort der Bundesregierung auf die große
Anfrage der CDU-Fraktion vom 10.10.2000: Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in
Deutschland, Berlin 2001, Vorbemerkungen I
54
Ebd., Antwort zu Frage 4
55
Vgl. Kapitel 3.5.5.
56
Auch in der Antwort der Bundesregierung (2001) zur großen Anfrage der CDU wird bezug genommen auf die
Studie von L. Müller und J. Mischke (1999).

20
Demgegenüber wurde die Rock- und Popmusik im Jahre 1996 mit 3.247.047 DM (6,18 %)
und 1997 mit 3.852.939 DM (7,25 %) gefördert. Der größte Anteil hiervon mit 56 % ging
1997 in die Projektförderung, mit 23 % Anteil wurde die Infrastruktur für Rock- und
Popmusik gefördert und 21 % der Mittel wurden für die institutionelle Förderung verwendet.
Die Förderung der Rock- und Popmusik im Ländervergleich zeigt gravierende Unterschiede:
Anteilig an der Förderung der freien Musikszene liegt die Förderung der Rock- und Popmusik
1997 im Stadtstaat Hamburg bei beachtlichen 45,38 %, trauriges Schlusslicht bildet der
Freistaat Thüringen (0,15 %), gefolgt von Nordrhein-Westfalen (0,72 %), dem Saarland (1,48
%), Schleswig-Holstein (2,59 %), Niedersachsen (4,07 %) und Bayern (4,9 %). Auf die
Anzahl der Einwohner des jeweiligen Bundeslandes bezogen, führt Berlin 1997 mit 0,36
DM/Einwohner, gefolgt von Hamburg mit 0,282 DM/Einwohner.
Abbildung 1: Die Förderung der freien Musikszene und der Rock- und Popmusik durch die
Länder 1996 und 1997
57
Die Förderung der freien
Musikszene durch die Länder 1996
und 1997
Die Förderung der Rock- und
Popmusik durch die Länder 1996
und 1997
1996
1997
1996
1997
DM
DM/
Ein-
wohner
DM
DM/
Ein-
wohner
DM
DM/
Ein-
wohner
DM
DM/
Ein-
wohner
Baden-
Württemberg
500.000 0,048 500.000 0,048 160.000 0,016
160.000 0,016
Bayern
4.564.145 0,381 4.370.200 0,364 204.000 0,017
214.000 0,018
Berlin
5.955.344 1,716 6.278.399 1,809 998.716 0,288 1.060.757 0,360
Brandenburg
1.972.000 0,776 2.008.630 0,790
73.250 0,029
109.930 0,043
Bremen
300.000 0,441 301.000 0,443
40.000 0,059
40.000 0,059
Hamburg
992.000 0,581 1.061.000 0,621 418.850 0,245
481.500 0,282
Hessen
1.035.000 0,172 1.082.500 0,180 185.865 0,031
98.300 0,016
Mecklenburg-
Vorpommern
743.830 0,408 422.300 0,232
9.060 0,005
27.880 0,015
Niedersachsen
5.120.047 0,658 4.640.900 0,596 313.777 0,040
189.000 0,024
Nordrhein-
Westfalen
17.849.886 0,998
18.833.304 1,053 109.000 0,006
136.000 0,008
Rheinland-Pfalz
1.557.200 0,391 1.872.500 0,471 218.320 0,055
435.000 0,109
Saarland
1.335.000 1,231 1.032.000 0,952
23.000 0,021
15.300 0,014
Sachsen
4.095.920 0,897 3.269.740 0,716 260.534 0,057
393.836 0,086
Sachsen-Anhalt
3.539.386 1,292 4.680.016 1,709 178.675 0,065
459.076 0,168
Schleswig-
Holstein
1.245.500 0,457 1.150.770 0,422
31.000 0,011
29.860 0,011
Thüringen
1.703.378 0,680 1.643.500 0,656
23.000 0,009
2.500 0,001
Deutschland
52.508.636 0,642
53.146.759 0,650 3.247.047 0,040 3.852.939 0,047
57
Quelle: Forschungszentrum Populäre Musik, 1998, http://www2.hu-
berlin.de/fpm/popscrip/themen/pst06/pst06051.htm (27.07.2002)

21
Man könnte aufgrund dieser Zahlen annehmen, dass Rock- und Popmusik in Deutschland
unter kulturpolitischen Gesichtspunkten eine Außenseiterrolle einnimmt, zumindest nicht
förderungsbedürftig beziehungsweise -würdig erscheint.
Bei einer so starken Abgrenzung der musikalischen Stile wie Klassik, Jazz, Rock und Pop
durch die Kulturförderung von Seiten des Bundes und der Länder sei erwähnt, dass sich auch
die Klassik der Popularmusik annimmt und umgekehrt
58
, ebenso wie der Jazz durch die
Involvierung in die Rock- und Popmusik zu neuem Leben und zu neuer Popularität gelangt
ist.
3.4.
Die ökonomische Ebene: Ökonomischer Stellenwert von Rock-
und Popmusik in Deutschland
Um einen Überblick über den wirtschaftlichen Stellenwert des Tonträgermarktes auf
internationaler und nationaler Ebene zu erhalten, bietet der Jahreswirtschaftsbericht des
,,Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft e.V." aus Hamburg, dessen
Mitgliedsfirmen etwa 85 % des Musikmarktes beherrschen, einen repräsentativen Überblick.
Einige der in diesem Bericht veröffentlichten Daten wiederum sind der Gesellschaft für
Konsumforschung (GfK) entnommen, die ihren Sitz in Nürnberg hat und im Auftrag des oben
genannten Bundesverbandes Verbraucher-Panels erhebt, die mit Hilfe einer repräsentativen
Gruppe von 10.000 Personen entstehen.
Bei den Umsatzanteilen der zehn wichtigsten Tonträgermärkte am Weltmarkt war
Deutschland noch 1998 mit 7,8 % an dritter Stelle hinter den USA mit 34,1 % und Japan mit
16,9 %, jedoch vor Großbritannien mit 7,4 % Umsatzanteil. Seit 1999 befindet sich
Deutschland hier auf dem vierten Platz hinter Großbritannien, wobei der weltweite
Umsatzanteil in Deutschland von 2000 auf 2001 um 0,3% auf 6,3 % geschrumpft ist.
58
Bereits in den späten 1960er Jahren wurden Rockgruppen von Klassikensembles begleitet, Klassik wurde mit
Rockmusikinstrumenten neu interpretiert (zum Beispiel ,,Emerson, Lake and Palmer": ,,Pictures at an
exhibition") und Rock- und Popstücke wurden von Orchestren neu interpretiert. Ein aktuelles Beispiel für die
Vermischung von Klassik und Rockmusik ist die finnische Cellisten-Formation ,,Apocalyptica", die unter
anderem Werke der Heavy Metal Band ,,Metallica" nachspielt. Dennoch wird nach wie vor zwischen E- und
U-Musik (ernste Musik und Unterhaltungsmusik) unterschieden, wobei bei dem Begriff ,,U-Musik" stets das
Triviale mitschwingt.

22
Abbildung 2: Umsatzentwicklung der fünf wichtigsten Tonträgermärkte
59
Umsatzentwicklung der fünf wichtigsten
Tonträgermärkte (Anteile am Weltmarkt
1/2
)
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Prozen
t
USA
Japan
Großbritanien
Deutschland
Frankreich
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
USA
32,2 33,3
30,5
30,9
31,3
34,1
37
38
39,8
Japan
16,7 16,7
19
17
16,4
16,9
16,7
17,7
15,6
Großbritanien
6,5 6,7
6,5
6,8
7,2
7,4
7,6
7,7
8,3
Deutschland
8,8 8,1
8,2
8
7,5
7,8
7,4
6,6
6,3
Frankreich
6,1 5,4
6
5,8
5,8
5,5
5,2
4,6
5,4
1
Basis: Umsatz in US-Dollar
²Endverbraucherpreis inkl. Mehrwertsteuer
Gleichzeitig ist der Umsatzanteil der USA auf 39,8 % gestiegen, in Japan leicht gesunken auf
15,6 % und in Großbritannien leicht auf 8,3 % angestiegen. Damit liegt der Umsatz in
Deutschland für das Jahr 2001 bei circa 2,1 Milliarden US-Dollar, wobei ein starker
Rückgang zu verzeichnen ist: Noch zwei Jahre zuvor lag der Umsatz in Deutschland bei über
2,8 Milliarden US-Doller.
60
Hier wurden im selben Jahr 272,6 Millionen Tonträger abgesetzt,
2001 waren es ,,nur noch" 244,1 Millionen.
59
Quelle: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 2001,
http://www.ifpi.de/jb/2002/48-55.pdf , S.52, (30.07.2002)
60
Endverbraucherpreise inkl. Mehrwertsteuer

23
Abbildung 3: Tonträgerabsatz in der Bundesrepublik Deutschland
61
(Handel, Clubs und Premiums 1992 bis 2001)
in Mio. Stück 1992
1993
1994
1995
1996 1997
1998
1999
2000
2001
CD 131,8 152,7 166,2 176,9 184,5 196,9 196,5 198 195,1 173,4
MC 58,2 47,2 38,2 31,4 30 26,9 25,3 20,3³ 19,4³ 21,0³
LP
5,1 1,6 0,7 0,4 0,4 0,4 0,6 0,6 0,8 1
DVD-Audio/
SACD
0 0 0 0 0 0 0 0 0 0,1
Summe Longplay
(CD/MC/LP)
195,1 201,5 205,1 208,7 214,9 224,2 222,4 218,9 215,3 195,4
Single² 26,6 36,8 40,3 44,1 48,5 52 54 53,7 51,1 48,6
Summe
Tonträger
221,7 238,3 245,4 252,8 263,4 276,2 276,4 272,6 266,4 244,1
²Vinyl-Singles, Vinyl-Maxi-Singels, CD-Maxi-Singles und Two-Track-Singles
³inkl. Mini-Disk (MD)
Für die Umsatzentwicklung in 2001 nominal von 10,2 %
62
unter das Vorjahresniveau macht
der ,,Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V." die sogenannte ,,Musikpiraterie"
verantwortlich, die starke Zunahme von Raubkopien und das freie Herunterladen von Musik
mit Hilfe von Musiktauschbörsen im Internet.
63
Im Jahre 2001 seien in Deutschland mehr
Musikkopien erstellt worden als Tonträger verkauft. Dies dokumentiere zwar das riesige
Interesse an Musik, gefährde aber die Rechteinhaber, die Existenz der Musiker und die
gesamte Funktionsfähigkeit der Musikwirtschaft.
64
Wenn man die einzelnen Repertoiresegmente hinsichtlich ihrer Umsatzanteile am
Gesamtumsatz in Deutschland miteinander vergleicht, so zeigt sich, dass Pop (42,7 %) und
Rock (15,6 %) weit mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes ausmachen, gefolgt von Dance
(7,9 %), Klassik (7,5 %) und Schlager (7,3 %). Der einst populäre Jazz liegt hier bei einem
Anteil von nur 1,4 %.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Altersstruktur der Tonträgerkäufer. Anders als
man wahrscheinlich vermuten würde, liegt bei der Popmusik in 2001 der höchste Anteil in der
Altersklasse der 30-39-Jährigen mit 31,6 %, gefolgt von den 20-29-Jährigen (25,2 %) und den
40-49-Jährigen (18,6 %). Rockmusik wird in erster Linie von den 20-29-Jährigen konsumiert
(34,7 %), gefolgt von den 30-39-Jährigen (26,7 %). Beim Dance steht die Gruppe der 10-19-
Jährigen (28,4 %) an zweiter Stelle hinter der Gruppe der 20-29-Jährigen (34,5 %).
61.
Quelle: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 2001,
http://www.ifpi.de/jb/2002/26-31.pdf , S26, (30.07.2002)
62
Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 2001,
http://www.ifpi.de/jb/2002/14-21.pdf , S.17 (30.07.2002)
63
Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, Jahreswirtschaftsbericht 2001,
http://www.ifpi.de/jb/2002/14-21.pdf , S.15 (30.07.2002)
64
Ebd. (30.07.2002)

24
Ganz andere Strukturen zeigen sich bei der Klassik und beim Schlager, die vorwiegend von
der Gruppe der mindestens 50-Jährigen konsumiert wird (Klassik: 54,9 %, Schlager: 40,8 %).
Diese Altersstrukturen beim Kauf von Tonträgern beweisen, dass Rock- und Popmusik längst
keine jugendspezifische Musikrichtung mehr ist, wie es ursprünglich der Fall gewesen ist.
Dass der Musikmarkt nicht stagniert, belegt die Anzahl der Neuerscheinungen im Jahre 2001.
Mehr als 3.700 nationale Pop-Neuerscheinungen sind 2001 als CD erschienen, 1.650 als
Single.
65
International waren es bei der Popmusik 7.350 CDs und 1.568 Singles.
66
Laut ,,Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V." wird aus den Einnahmen eines
erfolgreichen Produktes für neun weitere Produkte investiert, die in der Regel ökonomisch
betrachtet - nicht deshalb auch hinsichtlich ihrer Qualität - als Misserfolg bewertet werden.
So verringere sich bei sinkenden Umsätzen und Gewinnen auch die Möglichkeit, in neue
Künstler und neue Musik zu investieren, woraus eine Eindämmung musikalischer Vielfalt und
Entwicklung resultiere. In diesem Zusammenhang wird nochmals auf die drohende Gefahr für
die Musikwirtschaft in Verbindung mit dem Kopieren von Musik hingewiesen.
67
Direkt
davon betroffen seien die ,,kreativen Musikszenen, denn die Musikwirtschaft ..(sei) der
wichtigste Investor in musikalische Kreativität und die wichtigste Einnahmequelle für die
Künstler. Dem Staat ..(entgingen) durch Privatkopien und Musikpiraterie mehrere 100
Millionen Euro Steuereinnahmen. Die Branche ..(habe) im letzten Jahr Arbeitsplätze abbauen
müssen und ..(werde) voraussichtlich auch in diesem Jahr dazu gezwungen sein."
68
Der Kaufintensität liegt eine Typologie zugrunde, die zwischen den Intensivkäufern (mehr als
9 Tonträger pro Jahr), Durchschnittskäufern (4-9 Stück pro Jahr), den Extensivkäufern (1-3
Stück pro Jahr) und den Nichtkäufern unterscheidet. Laut Statistik steigt die Zahl der
Nichtkäufer seit 1997 stetig an und liegt 2001 bei 52,7 %. Die Zahl der Intensivkäufer (2001
bei 4,6 %) und der Durchschnittskäufer (2001 bei 12,4 %) nimmt besonders im Vergleich
zum Vorjahr ab. Auch für diese Entwicklung wird die Musikpiraterie verantwortlich gemacht.
Besonders viele ehemalige Intensivkäufer seien diejenigen, die als wahre Musikfans die
Möglichkeiten des Raubkopierens stark nutzten.
65
Dabei ist zu erwähnen, dass nationales Musikgut nicht mit nationalem Repertoire zu verwechseln ist. Viele
Künstler und Bands aus dem Ausland sind bei deutschen Plattenfirmen unter Vertrag. Laut ,,Bundesverband
der Phonographischen Wirtschaft e.V." lag der Anteil nationalen Repertoires 1998 bei circa 40%, in den
deutschen TOP-Single-Charts lag der nationale Repertoireanteil 1999 bei knapp 50% (Zombik, P., Siegt der
Mainstream über Musikvielfalt?, http://www.ifpi.de/index.htm?jumpUrl=/recht/re27.shtml (01.08.2002))
66
Diese Zahlen werden fast noch mal so hoch geschätzt, da einige deutsche Tonträgerfirmen nicht an der
Statistik teilnehmen und Importprodukte nicht erfasst werden.
http://www.ifpi.de/jb/2002/41-47.pdf ,S.41 (01.08.2002)
67
Ebd., S.42 f (01.08.2002)
68
http://www.ifpi.de/jb/2002/22-25.pdf , S.25 (01.08.2002)

25
Besonders im Tonträgervergleich kann festgestellt werden, dass die Nachfrage nach
Musikvideos stark ansteigt. Die DVD als noch recht junges Medium verdrängt zusehends die
VHS-Videokassette vom Markt. Sie erfährt bei den Musikvideos eine Steigerung von circa
1,2 Millionen Stück in 2000 auf fast 1,8 Millionen Stück in 2001.
69
Dies zeigt, dass Musik in
audiovisueller Form an Attraktivität gewinnt. Auch die konventionelle CD wird in den letzten
Jahren immer häufiger mit Multimediatracks ausgestattet, wozu Videoclips,
Konzertausschnitte und der interaktive Zugang zu Hintergrundinformationen in Verbindung
mit dem Internet zählen.
Die hier zusammengetragenen Statistiken sagen noch nicht alles über die Gesamtbandbreite
des Wirtschaftsstandortes ,,Rock- und Popmusik" in Deutschland aus. Zwar wird die Anzahl
der Beschäftigten in der Tonträgerbranche ermittelt ­ so liegt die Zahl der Tonträgerhersteller
im Jahre 2001 bei 12.200 (800 weniger als im Vorjahr) und die der im Groß- und
Einzelhandel Beschäftigten bei 22.000 (500 weniger als im Vorjahr) - dennoch sind viele
Bereiche statistisch nicht erfasst, wie zum Beispiel die Instrumentenindustrie, die Konzert-
und Veranstaltungsagenturen, die Promotionagenturen, die Discos und Clubs, die Tonstudios,
die Verlage, sämtliche Medien, die für den Bereich Rock und Pop stehen et cetera...
...und irgendwo dazwischen stehen (junge) Amateurbands und träumen davon, etwas vom
großen Kuchen abzubekommen, für den sie selbst die Zutaten bereitstellen.
3.5.
Die Organisation der Rock- und Popkultur und ihre
Multiplikatoren
Als Multiplikatoren verstehe ich in Zusammenhang mit Rock- und Popmusik Mechanismen,
die über Personen, Institutionen oder Organisationen für die Verbreitung von Rock- und
Popmusik verantwortlich sind. Ohne diese Multiplikatoren könnte Rock- und Popmusik nicht
massenwirksam und somit populär werden. Den bedeutendsten Teil bilden hierbei die großen
Tonträgerfirmen, die Medienkonzerne und Werbeagenturen, welche die Musik und den
Künstler direkt an den Verbraucher tragen und diesen durch stetige Präsenz bestimmter
Produkte in seiner Meinung beeinflussen.
Ebenso wichtig ist aber auch der Kontakt des Künstlers mit dem Publikum, der mit Hilfe des
Tonträgers indirekt und durch die Live-Präsenz bei Konzerten direkt erfolgt.
69
http://www.ifpi.de/jb/2002/26-31.pdf , S.30 (01.08.2002)

26
Der sicherlich unmittelbarste Kontakt mit dem Künstler findet durch das persönliche
Gespräch statt, dessen Voraussetzung zumeist die Autogrammstunde und zunehmend der
Internet-Chat bilden, bei kleinen Konzerten häufig auch der direkte Kontakt des/der
Künstler(s) mit dem Publikum vor und/oder nach dem Konzert.
Im Folgenden werden aus Gründen des Umfangs in gebündelter Form die Verbreitungs- und
Vervielfältigungsmechanismen der Rock- und Popmusik erläutert, die in erster Linie mit Hilfe
der Musikwirtschaft funktionieren.
Amateurbands haben zu diesen Mechanismen in der Regel weniger direkten Bezug, erst mit
der Erhöhung ihres Professionsgrades nehmen diese für die Bands an Bedeutung zu. Ebenso
lässt sich feststellen, dass eine gelungene Involvierung in die musikwirtschaftlichen
Mechanismen als Kriterium für Professionalität bewertet werden kann.
,,Erst ein Plattenvertrag verleiht dem Musiker das Image eines Profis."
70
, wobei Image und
Kompetenz zwei unterschiedliche Felder sind. Ein Plattenvertrag sagt noch nichts über die
Professionalität unter musikalischen Gesichtspunkten aus. Nicht jede Band, die einen
Plattenvertrag hat und erfolgreich beworben wird, ist deshalb musikalisch anspruchsvoller
oder hinsichtlich ihrer Kompetenzen professioneller als eine Band, die bislang nicht die
Chance erhielt, diese Möglichkeit zu nutzen. Zudem ist ein Plattenvertrag kein Garant für
Erfolg. Erfolgsindikatoren sind die Verkaufszahlen von Tonträgern und die Häufigkeit von
Live-Konzerten in Zusammenhang mit der Besucherzahl.
Das in sich sehr komplexe System der in das Musikbusiness eingebetteten Teilbereiche ist in
dem Ratgeberbuch für Musiker, Bands und am Live-Musikbusiness Interessierte von Elke
Fleing, selbst Agentin, Tourneeveranstalterin und Musikverlegerin, vereinfacht dargestellt.
71
Da die Musikwirtschaft permanenten Veränderungen ausgesetzt ist, ist eine stets aktualisierte
Adressenanlaufstelle sinnvoll. Das Musikbranchenbuch informiert über das Spektrum und die
Fülle der mit dem Musikbusiness verknüpften Bereiche. Anfang August 2002 waren dort für
Deutschland unter anderem fast 400 Agenturen (Künstleragenturen, Booking-Agenturen,
Casting, Management, Veranstaltungsservice, Partyservice, Promotionagenturen,
Konzertagenturen), 275 Medien-Magazine (Rundfunkstationen, Webradios,
Musikzeitschriften, Onlinemagazine, TV-Shows, Musikverzeichnisse), über 430 sich auf
Musikproduktion beziehende Anlaufstellen (Labels, Musikproduktion, Tonstudios, Texter,
Komponisten, Produzenten, Videoclip-Produktion) sowie über 1000 Künstler registriert.
72
70
Lyng, R., Die Praxis im Musikbusiness, 6. erw. Aufl., o. O. 1998, S.129
71
Vgl. Abbildung 4

27
Abbildung 4: Das geschäftliche Umfeld einer Band
73
3.5.1. Die Produktionsfirmen
Die Plattenfirmen - ob kleine Einmannbetriebe, unabhängige Labels (Independent-Labels
oder verkürtzt Indie-Labels) oder die großen multinationalen Plattenfirmen (Major-Labels mit
mindestens zehn Prozent weltweitem Marktanteil) - verfolgen das Ziel, Tonträger
herzustellen, zu vertreiben, zu promoten und zu verkaufen. Eine Plattenfirma besteht aus
vielen, miteinander verknüpften, teilweise selbständig agierenden Arbeitsbereichen.
Die A&R-Abteilungen (Artist and Repertoire) sind ständig auf der Suche nach neuen
Künstlern und Bands, die in das Gesamtkonzept des Labels passen, nehmen diese unter
Vertrag, vermitteln sie an Produzenten, sind die Ansprechpartner für die unter Vertrag
stehenden Bands und gleichzeitig Kontrollinstanz der Plattenfirma für das Gesamtprodukt
(unter künstlerischen, technischen und wirtschaftlichen Aspekten).
74
In einem Interview, dass Mitte der 1990er Jahre von Bernd Schweinar, Leiter des bayerischen
Rockbüros Süd in München, mit Andreas Weinek, zu diesem Zeitpunkt Leiter der A&R-
Abteilung der BMG-Ariola in München, geführt wurde, wird deutlich, wie groß die Anfrage
der Bands bei den Plattenfirmen ist. Weinek spricht von monatlich circa 100
72
http://www.musikbranchenbuch.de/ (03.08.2002)
73
Quelle: Fleing, E., Live is life. Booking und Promotion von Konzerten und Tourneen, Bergisch Gladbach
1995, S.10
74
Lyng, R., Musikbusiness, a.a.O., S.138 f

28
Blindbewerbungen aus Zusendungen und zusätzlich einer Vielzahl von Anfragen im Rahmen
von persönlichen Besuchen durch Produzenten, Verlegern et cetera
75
. Die Wahrscheinlichkeit,
auf diesem Wege zu einem Plattenvertrag zu gelangen, ist verschwindend gering.
In diesem Zusammenhang macht Lyng darauf aufmerksam, dass 70-80 % der unter Vertrag
stehenden Bands noch nicht einmal die Investitionskosten einspielten und nur circa 5 % in der
Gewinnzone lägen. Die Investition in neue Künstler berge ein hohes Risiko.
76
Investiert wird in die Produktion von Tonträgern (Tonstudios, Produzenten), deren
Herstellung (Plattenpressung, Covergestaltung et cetera), den Vertrieb (Auslieferung der
Tonträger an den Handel), Werbung und Promotion (inklusive Graphik-, Promotion- und
Pressematerial, intensive Zusammenarbeit mit den Medien) und in Merchandising-Artikel
(zum Beispiel T-Shirts, Poster et cetera), dies je nach Bekanntheitsgrad des Künstlers oder der
auf den Künstler bezogenen Erfolgseinschätzung in unterschiedlichem Maße. Diese Aufgaben
obliegen der Plattenfirma, ebenso wie der Verkauf von Lizenzen ins Ausland und die
allgemeine Verwaltung.
Eine in dieser Weise in viele einzelne Arbeitsbereiche gegliederte Plattenfirma lebt aufgrund
ihrer eher geringen Flexibilität oftmals von den Künstlern, die von den sogenannten kreativen
Zellen, den kleineren Independent-Labels
77
, entdeckt und aufgebaut worden sind, bei
entsprechend großem Erfolg dann aber von den großen Plattenfirmen abgeworben werden,
um in größerem Stil vermarktet werden zu können. Um aber nicht immer auf fahrende Züge
aufspringen zu müssen, unterhalten die Majors
78
meist unterschiedliche Sub-Labels, die
bestimmte, weniger stark mainstreamorientierte Musikgenres bedienen und die subsidiär
arbeiten können.
Die oben aufgeführten Arbeitsbereiche müssen bei kleineren Labels oftmals von
Einzelpersonen übernommen werden, was die Handlungsmöglichkeiten und Effektivität stark
einschränkt.
Die Tonträgerfirmen arbeiten mit dem Ziel möglichst großer Synergie-Effekte zusammen mit
Medien-Agenturen, Tourneeveranstaltern, Promotion-Firmen, Musikverlagen und natürlich
den Bands und deren Managements, soweit diese vorhanden sind.
75
Schweinar, B., ,,Charteintritte sind wichtiger als Verkaufszahlen", in: Rockbüro Süd (Hrsg.), Rockbuch
95/103, http://db.allmusic.de/knowhowframe.asp?knowhowcnt=8&oldorder=88990008 , S.2 (02.08.2002)
76
Lyng, R., Musikbusiness, a.a.O., S.139
77
Independent-Labels sind kleine, kreative Plattenlabels, die unabhängig von internationalen Verknüpfungen
und Verpflichtungen arbeiten können. Zugleich haben sie die Chance, musikalisch und kulturell eigene Wege
zu gehen. Vor allem kleine Labels sind stärker in den regionalen und/oder subkulturellen Szenen verwurzelt
und nehmen sich ihrer Künstler meistens in familiärer Weise an. Dagegen sind ihre finanziellen Mittel in der
Regel eher dürftig, was das erfolgreiche Bewerben von Künstlern erschwert.
78
Majors (Kurzform für ,,major companies") sind Töchter weltweit agierender Konzerne, die alle jeweils über
zehn Prozent Marktanteil haben.

29
3.5.1.1. Die
Charts
Die Charts sind Bestsellerlisten, die vom Meinungsforschungsinstitut ,,Media Control" in
Baden-Baden wöchentlich erstellt und jeweils dienstags veröffentlicht werden. Es gibt die
Top 100 Single- und Albumcharts sowie die Top 30 Compilationcharts.
79
Gemessen wird die
Zahl der im Handel verkauften Tonträger. Für die Plattenfirmen sind sie die maßgebliche
Kontrollinstanz für den kommerziellen Erfolg, zugleich richten sich die meisten Medien nach
ihnen und senden in Radio und TV zumeist Musik aus den Charts, da diese dem Mainstream
entspricht und von daher die größte Zielgruppe anspricht.
Ob eine bei einer Plattenfirma unter Vertrag stehende Newcomerband einen Flop oder einen
Glücksgriff darstellt, hängt zumeist von einer Platzierung in den Charts ab. Dabei ist es
belanglos, um was für einen Musikstil es sich handelt und wie hoch der musikalische
Anspruch ist. Für die Plattenfirmen als Industrieunternehmen zählt der Erfolg.
80
Sogenannte
,,Hamsterkäufe" von Plattenfirmen, die versuchen, sich selbst durch den Einkauf ihrer Platten
in die Charts zu befördern, werden durch eine auf die Zahl 400 begrenzte Anzahl von per
Zufallsauswahl ausgewählten Händlern, deren Abverkaufszahlen für die Charts zählen,
verhindert, zumal Extremwerte einzelner Händler bereinigt werden.
81
Die Charts als wichtigstes Erfolgsbarometer für Plattenfirmen und Medien stellen für Künstler
und Bands eine sehr hohe Messlatte dar, an der sie gemessen werden. Häufig gehen nach
wenigen Hits die Künstler im Fahrwasser der Belanglosigkeit unter, da nachfolgende
Produkte dem ersten Hit nicht entsprechen. Doch das langjährige und zugleich kurzsichtige
Denken der Majors, mit einer möglichst schnellen Produktion einen Eintagshit zu erzielen,
weicht allmählich der mit langfristigerer Planung verbundenen Vorstellung, eine Band Schritt
für Schritt aufzubauen und eben nicht eine direkte Chart-Platzierung zu erwarten. So sei es
laut Boris Löhe, Chef der ,,Universal"-Tochter ,,Mercury" wichtiger, auf Dauer
künstlerorientiert zu arbeiten und nicht, wie er es ausdrückt, ,,track-orientiert".
82
Ziel sei der
Aufbau eines Künstlers wie beispielsweise Robbie Williams mit seiner ,,käuferbindenden
Emotionalität".
83
Einen solchen Erfolgsgaranten stellt für Deutschland Herbert Grönemeyer
dar.
79
Jahnke, M., Der Weg zum Popstar. Vom Demoband bis in die Top 10, Mainz 1998, S.159
80
Ebd., S.143 f
81
Ebd., S.145
82
Nele Bode, K., Zurück in die Zukunft, in: Musiker Magazin 2/2002, S.54
83
Ebd., S.55

30
Neben den Multi-Media-Charts haben viele Musikzeitschriften, Radio- und
Fernsehsendungen sowie Internetforen ihre eigenen, durch den Konsumenten bestimmten
Charts, die sich stark voneinander abheben können. Je nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten
können auch diese für den Erfolg einer Band mitbestimmend sein, wobei diese Charts
vielmehr als ,,Trendsetting" betrachtet werden.
3.5.2. Die Bedeutung der Medien für die Rock- und Popkultur
Für die Verbreitung von Rock- und Popmusik sind Presse, Rundfunk, Fernsehen und seit
Mitte der 1990er Jahre zunehmend das Internet entscheidend verantwortlich. Durch sie
werden Rock- und Popbands erst einem großen Publikum vorgestellt und durch die stetige
Präsenz in den Medien können sie ihren Bekanntheitsgrad steigern. Die Medien sind für
Promotionszwecke unabdingbar, da Medienpräsenz zugleich auch Werbung bedeutet.
Wie stark und unter welcher Prämisse Rock- und Popmusik in den Medien vertreten ist, hängt
immer von der Philosophie und Zielsetzung der Medien und ihrer Vertreter ab. So haben es
Newcomerbands meistens schwer, entsprechende Nischen zu finden, in denen sie ihr
musikalisches Produkt präsentieren können, da sie noch nicht populär sind und somit keine
Sicherheit mitbringen, vom Mediennutzer angenommen zu werden.
Im Folgenden werden auch einige Möglichkeiten angesprochen, die nicht unter Vertrag
stehende Bands in Hinblick auf die Mediennutzung haben. Dabei werden aufgrund der großen
Medienvielfalt nur begrenzt Beispiele für Medien genannt werden können, die sich für
Innovation in der Musiklandschaft einsetzen und auch Newcomerbands eine Chance
einräumen.
84
Da die Stadt Schwerte und das ,,Musicoffice Hagen" zum Standort Nordrhein-Westfalen
(NRW) zählen, liegt hier der Schwerpunkt der aufgeführten Beispiele.
3.5.2.1. Printmedien
Für Rock- und Popmusik sind Tageszeitungen vor allem unter lokalem/regionalem Bezug
von Bedeutung. Besonders Konzertankündigungen lokaler und regionaler Bands finden
84
In diesem Zusammenhang wäre eine bundesweite Recherche zu möglichst allen Radio- und TV-Sendern,
Internetportalen und Printmedien in Deutschland, die Newcomerbands Präsentationsraum bieten,
wünschenswert. Hier böte das Internet die Möglichkeit, den Status Quo ständig zu aktualisieren.

31
entsprechend im Lokal- beziehungsweise Regionalteil ihren Platz. Vereinzelt werden auch
Rezensionen zu Tonträgern und/oder Interviews einzelner Bands veröffentlicht.
Dabei haben die Bands auf Rückgriffsmöglichkeiten auf pressetaugliche Fotos und
informative Bandinfos zu achten. Bernd Schweinar weist darauf hin, dass sehr viele Bands für
die Zeitungen untaugliche Fotos abgeben, die deshalb nicht verwertet werden.
85
Ebenso sind
Inhalt und Layout von Bandinfos ein Kriterium, sich einer Band anzunehmen oder diese
aufgrund zu geringer Professionalität, was oft mit Desinteresse, Lieblosigkeit, Unwissen oder
fehlendem Engagement gleichgesetzt wird, unbeachtet zu lassen. Diese Anforderungskriterien
gelten grundsätzlich für jede Präsentation und Bewerbung einer Band.
Für nur wenige Tageszeitungen ist Rock- und Popmusik ein erwähnenswerter Bestandteil
deutscher Kultur, der im Feuilleton zur Geltung kommt. Eine anspruchsvolle
Berichterstattung (zum Beispiel auf Qualität der Darbietung Wert legende Konzertkritiken)
wäre sicherlich für Rock- und Popmusik förderlich und könnte ihr Image als Kulturgut
stärken.
86
Regionale Kultur- und Veranstaltungsmagazine bieten eine weitere Plattform für Bands,
auf der sie anstehende Konzerte meist kostenlos ankündigen können. Einige Bands erhalten
hier die Möglichkeit, in einer Kurzdarstellung einem größeren Publikum vorgestellt zu
werden. Mit einer Auflage von monatlich über 130.000 Exemplaren stellt der ,,Coolibri" die
meistgelesene ,,Stadtillustrierte" für das Ruhrgebiet und das Rheinland dar. Hier werden auch
Newcomerbands vorgestellt, die jedoch in der Regel bereits einen Plattenvertrag haben.
Speziell auf Rock- und Popmusik bezogen bieten Musik- und Musikszenemagazine einen
aktuellen Überblick über das nationale und internationale Musikgeschehen. Zumeist erhält
auch hier der musikalische Nachwuchs die Chance, sich speziell einem musikinteressierten
Publikum zu präsentieren. Besonders Rezensionen zu aktuell veröffentlichten Tonträgern
informieren den Leser über ihm noch unbekannte Bands und wecken gegebenenfalls das
Interesse für diese. In einem Gespräch mit Mike Borrink, freier Mitarbeiter beim zur Zeit
größten deutschsprachigen Hardrock- und Heavy-Metal-Magazin ,,RockHard"
87
, das
erstmalig 1983 als kleines Fanzine erschien und seinen Redaktionssitz in Dortmund hat, war
zu erfahren, dass monatlich circa 80 Demos in der Redaktion eingehen, von denen sechs
85
Schweinar, B., Das Bandfoto, in: Rockbüro Süd (Hrsg.), Rockbuch 95/100,
http://db.allmusic.de/knowhowframe.asp?knowhowcnt=5&oldorder=88990005 , S.1 (04.08.2002)
86
Vgl. Kühling, R., Wer ist Schuld an schwachen Auflagen ­ die Medien oder das Volk?, in Gorny, D./Stark, J.
(Hrsg.), Popkultur 2002/2003, Reinbek bei Hamburg 2002, S.182 f
87
Borrink, M., Hard Union: Heavy Metal gegen Rassismus, in: Gorny, D./Stark, J., Popkultur, a.a.O., S.205

32
Tonträger im Rahmen einer Rezension vorgestellt werden.
88
Rezensionen sind zugleich
wichtige Referenzen für Bands, um sich für Konzerte zu qualifizieren und sich Plattenfirmen
zu präsentieren.
Musikmagazine wie ,,Musikexpress" ,,RockHard", ,,Visions", ,,Zillo" und ,,Sonic Seducer"
können zumeist auf eine feste Leserschaft zurückblicken. Das Magazin ,,RockHard" liegt laut
Borrink im Sommer 2002 bei einer monatlichen Auflage von circa 87.000 Exemplaren.
Besonders die von solchen Musikmagazinen veröffentlichten Musik-Sampler erreichen eine
große Hörerschaft. Auch hier werden teilweise Newcomerbands ohne Plattenvertrag
vorgestellt, die von einer großen Zielgruppe profitieren können und nicht selten auf diesem
Wege die Aufmerksamkeit von Produzenten, A&R-Managern oder Verlagen wecken.
3.5.2.2. Hörfunk
Über das Radio kam der R&R Ende der 1950er Jahre aus den USA nach Deutschland. Die
Soldatensender AFN und BFBS waren die ersten Radiosender, die jugendkulturelle Musik in
Deutschland verbreiteten. Später traten Radio Luxemburg und mehrere Piratensender hinzu.
Die öffentlich-rechtlichen Sender nahmen die jugendspezifische Musik erst in den 1960/70er
Jahren durch dem aufkommenden Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen wahr. Mit der
Verbreitung des Kofferradios wurde das Radio mobil und zum Ausdruck jugendkultureller
Handlung und Einstellung. Die Radiocharts galten und gelten immer noch als
Orientierungshilfe hinsichtlich Musik und Trend für Jugendliche. Besonders aber
musikgenrebezogene Spartenprogramme (zum Beispiel im Bereich ,,Heavy Metal", ,,Punk"
und ,,Wave") setzten die musikalische Kreativität vieler Jugendlicher frei, die sich in den
lokalen und regionalen Szenen manifestierte.
89
Das Radio gehört heute zu den selbstverständlichsten alltagsbegleitenden Medien.
Die Erreichbarkeit bestimmter Zielgruppen einzelner Radiosender differenziert zu betrachten
und so den Stellenwert von Rock- und Popmusik bei der Radiohörerschaft bundesweit zu
ermitteln, ist für diese Arbeit aufgrund fehlenden Datenmaterials nicht möglich. Dennoch gibt
die ,,MediaAnalyse" der ,,Arbeitsgemeinschaft MediaAnalyse e.V.", die mit Hilfe von mehr
als 50.000 bundesweit befragten Personen ab 14 Jahren jährlich repräsentative Daten zur
Medienreichweite erhebt, Auskunft über die Reichweite von Radiosendern. Die
MediaAnalyse für das erste Halbjahr 2002 (MA 02/1) besagt, dass der/das
88
Mündliche Auskunft durch M. Borrink, freier Mitarbeiter des Magazins ,,RockHard" am 11.07.2002 in
Dortmund
89
Münch, T., Jugend, Musik und Medien, in: Baacke, D., (Hrsg.), Handbuch Jugend und Musik, Opladen 1997,
S.389

33
Lokalfunk/-radio NRW mit täglich (montags bis freitags von 5 bis 24 Uhr) 4,56 Millionen
Hörern ab 14 Jahren bundesweit an erster Stelle steht, gefolgt von WDR 4 (2,98 Mio.),
SWR 3 (2,93 Mio.) und Eins Live (2,87 Mio.).
90
Während ,,Radio NRW" als
Rahmenprogrammanbieter für mehr als 40 Lokalsender zuständig ist, deren musikalisches
Programm in erster Linie aus mainstreamorientierter Rock- und Popmusik besteht, ist WDR 4
ein Sender für volksmusik- und schlagerinteressierte Hörer. SWR 3 und ,,Eins Live" senden
ein vorwiegend jugend- und jugendkulturorientiertes Programm, und betreiben neben dem
Senden von aktuellen Charts und Mainstream auch selbst als Veranstalter von Konzerten und
Events aktiv Rock- und Popkultur.
Im Medienindex Deutschland sind im August 2002 auf alle Bundesländer verteilt neben den
öffentlich-rechtlichen Sendern insgesamt 52 private landesweit, 124 private lokal und 86
nicht-kommerzielle lokal ausgestrahlte Radiosender aufgeführt.
91
Mit dieser
Angebotsvielfalt einhergehend, versucht man neben lokaler und regionaler
Informationsspeisung auch bestimmte Zielgruppen zu erreichen und an sich zu binden. Die
Folge ist, dass sich besonders auch durch die kulturindustriellen Vermarktungsstrategien
zunehmend das Formatradio durchsetzt, das jedoch durch das festgelegte Sendeformat (zum
Beispiel Format AC ­ Adult Contemporary ­ für melodiegeprägte Popstandards der letzten
Jahrzehnte) wenig Raum für Innovation und nicht ins Format passende Musik gewährt. Dieses
Dilemma beschreibt Johannes Ullmaier am Beispiel der Metamorphose des Senders WDR1
zu ,,Eins Live". Zwar bezeichnet er ,,Eins Live" nicht als reines Formatradio, dennoch seien
die Spartensendungen für ,,mainstreamentrückte Segmente" mit der Zeit immer mehr ins
Abseits gerückt worden.
92
Gerade für Bands, die interessiert sind, sich und ihre Musik im Radio zu präsentieren, gilt es,
sich im Dschungel des Radiosenderangebotes zurecht zu finden und Nischen aufzutun, die
Raum für neue, innovative und/oder bisher in den Charts (noch) nicht vertretene Künstler
zulassen.
Diesen Raum erhalten Newcomerbands - wenn überhaupt - zumeist erst in den späteren
Stunden des Tages. Der Sender ,,Eins Live" sendet vier mal pro Woche von 20 bis 23 Uhr die
Sendung ,,Kultkomplex", die sich mit alternativer, innovativer, auf den Massengeschmack
weniger stark Rücksicht nehmender Musik befasst. Hier wird nicht nur Wert auf neue Musik
gelegt, sondern auch auf Information zu den Hintergründen der Musik und ihrer Macher.
90
http://www.wdr.de/unternehmen/mediendaten/reichweiten.html (05.08.2002)
91
http://www.medienindex.de/index.html (05.08.2002)
92
Ullmeier, J., Swinging NRW. Zur Relation von Popkultur und Medienstandort, in: Flender, C. u.a. (Hrsg.),
,,Tief im Westen...". Rock und Pop in NRW, Köln 1999, S.57 ff

34
Regionalen Bezug nimmt die Sendung ,,Heimatkult" des selben Senders, die ein mal pro
Woche in der Zeit von 20 bis 22 Uhr ausgestrahlt wird. Regelmäßig werden Bands aus der
nationalen Musikszene eingeladen, und in jeder Sendung werden zwei noch nicht unter
Vertrag stehende Bands einer für sie großen Hörerschaft vorgestellt.
Aber auch private und nicht-kommerzielle Sender mit regionalem und lokalem Bezug geben
jungen Bands die Möglichkeit, sich vorzustellen.
93
Auch bei nur relativ geringer Hörerzahl
können solche Sendungen für noch unbekannte Bands förderlich sein, da ihr
lokaler/regionaler Bekanntheitsgrad durch die Radiopräsenz steigt und häufig in Verbindung
mit der Sendung auf anstehende Konzerte, zum Verkauf stehende Tonträger oder die
bandeigene Internethomepage hingewiesen wird.
Da die Anzahl der Bewerbungen von Bands in der Regel sehr hoch ist, steigen die Chancen
für eine Einladung mit der Qualität des Bewerbungsmaterials, wozu neben Bandfoto und -info
in erster Linie ein qualitativ hochwertiges Tonträgerprodukt zählt.
Nachweise für Airplays
94
zählen zu den wichtigen Referenzen, die man als Amateur- und
Newcomerband sammelt, um sich für Konzerte und Events zu qualifizieren und das
öffentliche Image aufzuwerten.
Um deutschen Nachwuchsbands mehr Platz in der Öffentlichkeit zu gewähren und Talente
aufzubauen, setzt sich der ,,Deutsche Rock- und Popmusikverband" (,,DRMV") in einer
offiziellen Deklaration an die MinisterpräsidentInnen der Länder, die
Landesrundfunkanstalten/Landesmedienanstalten (der Länder) sowie die öffentlich-
rechtlichen und privaten Rundfunk- und TV-Anstalten in Deutschland dafür ein, eine
gesetzliche Quotierung vorzunehmen, die unter anderem fordert, dass sich nach dem Vorbild
Frankreichs alle öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosender dazu ,,verpflichten sollten,
mindestens 40 Prozent ihrer Musikprogramme mit Produktionen einheimischer KünstlerInnen
und MusikurheberInnen (gleich welcher Nationalität!) zu bestreiten und (oder) qualifizierende
Förderprogramme für einheimische Künstler zu fördern bzw. zu entwickeln. Ebenso wie in
Frankreich sollte mindestens die Hälfte davon auf neue Talente und neue Produktionen
entfallen."
95
Das Beispiel Frankreich habe gezeigt, dass die Tonträgerindustrie aufgrund der
Quotierung intensiv den eigenen Nachwuchs fördere. So stieg trotz ,,Musikpiraterie" die Zahl
der verkauften Musik-CDs dort im Jahr 2001 um 7,4 Prozent gegenüber dem
93
Dies ist zumeist nur so lange möglich, wie sich die entsprechende Sendung wirtschaftlich tragen lässt.
94
Einsätze eines Titels im Radio
95
Vgl. ,,DRMV", Deklaration, in: Musiker Magazin, Jg. 2/2002, S.44

35
Vorjahresniveau, wobei 62 Prozent der gesamten Verkäufe aus nationaler Produktion
resultierten.
96
3.5.2.3. Fernsehen
Mit der Sendung ,,Beat Club" erhielt die Rock- und Popmusik 1965 Einzug in das deutsche
Fernsehen. Musiker und Bands traten vor ein Live-Publikum und Musikstücke wurden
visualisiert dargeboten, was bereits Parallelen zu den heutigen Videoclips aufzeigt. Später
folgte neben anderen auch die Sendung ,,Rockpalast", die mehrstündige Live-
Konzertaufnahmen übertrug und dies auch heute noch tut.
Mit der Entwicklung des Videoclips entstand 1981 in den USA der Musikspartensender
,,MTV", der 1987 in veränderter Form auch in Europa Einzug erhielt.
97
1993 wurde der erste deutsche Musikfernsehkanal ,,VIVA" ins Leben gerufen, 1995 wurde
das Angebot durch ,,VIVA2" und ,,VH1" ergänzt.
Musik als audiovisuelles Medium nimmt in Deutschland stark an Popularität zu. So hat
,,VIVA" in der Erreichbarkeit seiner Zuschauer ,,MTV" erstmals im Jahr 2001 überrundet.
Laut der Allensbacher Werbeanalyse (AWA) vom 10.07.2001 konnte ,,VIVA" seine
Zuschauerreichweite ab 14 Jahren um 9,4 Prozent auf 4,79 Millionen Zuschauer erhöhen,
während ,,MTV" bei einer Jahreserhöhung von 2,9 Prozent ,,nur" eine Zahl von 4,68
Millionen Zuschauer erreichen konnte. Damit ist die Reichweite sowohl von ,,VIVA" als auch
von ,,MTV" erheblich höher als die einzelner Radiosender.
Die Zielgruppe der 14-29-Jährigen ist dabei mit 3,37 Millionen Zuschauern pro Tag bei den
,,VIVA"-Zuschauern am stärksten vertreten.
98
In diesem Zusammenhang bestätigt sich, wie wichtig es besonders für noch unbekannte
Musiker und Bands ist, neben der Präsenz im Rundfunk einen Videoclip zu produzieren, um
an der täglichen Rotation auf den Musikkanälen teilnehmen zu können. Ein gut produzierter
Videoclip kostet aber um die 50.000 mit starker Aufwärtstendenz. Demnach ist es für nicht
unter Vertrag stehende Bands ohne entsprechendem Kapital gar nicht möglich, an dieser
Ausstrahlungsform zu partizipieren. Hinzu kommt, dass ähnlich wie beim Radio festgelegte,
zielgruppenorientierte Formate bestimmen, welche Interpreten und Stücke gespielt werden.
Hier hat es eigenwillige, noch unkommerzielle Musik besonders schwer, sich zu
positionieren.
99
96
Vgl. Seelenmeyer, O., Frankreich. Siegeszug der Quotierung!, in: Musiker Magazin, Jg. 2/2002, S.3
97
Münch, T., Jugend, Musik und Medien, a.a.O., S.390
98
http://www.vivamediaag.com/html/marktpositionierung.htm (06.08.2002)
99
Vgl. Liebherr, J., ,,rock-afin"?, in: Musiker Magazin 2/2002, S.38

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832469535
ISBN (Paperback)
9783838669533
DOI
10.3239/9783832469535
Dateigröße
2.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dortmund – Erziehungswissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (August)
Note
1,7
Schlagworte
rock- popförderung popmusik jugend freizeit- kulturpädagogik medien
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Titel: Zwischen Traum und Wirklichkeit - Professionalisierung von Rock- und Popbands
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