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Carlos Saura. Themen, Motive und Stilmittel im Werk des spanischen Filmregisseurs

Eine Analyse

©2002 Diplomarbeit 170 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Wer ist eigentlich Carlos Saura?
Dieser spanische Regisseur, der eine Handvoll Tanzfilme gedreht hat? Stimmt. Nicht ganz. Der Spanier Carlos Saura hat vier Kurz- und 34 Langspielfilme gedreht, Theaterstücke und Opern inszeniert, eine Kurzgeschichte und einen Roman geschrieben, gezeichnet, geschauspielert und leidenschaftlich fotografiert. Das weiß nur kaum jemand. Wie auch? In Deutschland waren Sauras Filme selten im Kino zu sehen; die wenigen Veröffentlichungen zu seinem Werk liegen Jahre zurück und integrieren folglich Sauras jüngere Arbeiten nicht. Die übrigen Rezensionen konzentrieren sich fast ausschließlich auf einen einzelnen Film und zwar fast immer auf Carmen, Sauras Welterfolg. Selten werden zwei bis drei Filme genauer untersucht, wie etwa 1994 bei Gompper. Niemand hat sich bisher an einer Analyse des Saura’schen Gesamtwerkes versucht. Einzelne Beobachtungen sind freilich an unterschiedlichen Stellen eingestreut, können so aber nicht auf einen Blick erfasst werden. Das ist bedauerlich und ein bisschen unbegreiflich - erweist sich doch Sauras Werk schon beim ersten Hinsehen als derart facettenreich, dass es ein Vergnügen ist, sich näher damit zu beschäftigen. Zu spät ist es allerdings nie, und so ist die vorliegende Arbeit die erste, welche Sauras Werk in seiner Gesamtheit vorstellen und sowohl inhaltlich als auch filmtechnisch analysieren wird.
Es ist mein Wunsch, hierdurch nicht nur den Regisseur und die spezifischen Merkmale seiner Arbeit herauszukristallisieren, sondern auch den Menschen dahinter erkennen oder wenigstens erahnen zu lassen. Jede Analyse benötigt ein theoretisches Fundament. Im vorliegenden Fall ist es der Ansatz der neoformalistischen Filmanalyse, auf welchen sich die Ausführungen stützen. Die methodischen Grundlagen des Neoformalismus, welche sich nicht nur auf Filme sondern auf Kunstwerke generell beziehen, nehmen daher den ersten Abschnitt dieser Arbeit ein. Der zweite Abschnitt stellt Leben und Werk des Spaniers vor. Ein kurzer biografischer Teil schildert Kindheit und Jugend des jungen Saura und endet, als dieser beginnt, Filme zu drehen. Die sich anschließende Filmübersicht enthält neben der inhaltlichen Beschreibung aller Filme auch deren filmtechnische Besonderheiten. Auf Kritik, Preise, Erfolg oder Misserfolg der Arbeiten wird ebenfalls eingegangen. Sauras weitere Tätigkeiten schließen die Werkvorstellung ab.
Der dritte Abschnitt bildet den Hauptteil der Arbeit, denn in ihm wird das […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6867
Häußer, Petra: Carlos Saura. Themen, Motive und Stilmittel im Werk des spanischen
Filmregisseurs - Eine Analyse
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Berlin, Kunsthochschule, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

Carlos Saura
Themen, Motive und Stilmittel im Werk des spanischen
Filmregisseurs - Eine Analyse

Titelbild, Quelle: http://www.cervantes-muenchen.de/10_special/saura, 15.1.2002

Carlos Saura
Themen, Motive und Stilmittel im Werk des spanischen
Filmregisseurs - Eine Analyse
Schriftliche Hausarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Diplom-Kommunikationswirt
Am Fachbereich 2 der Universität der Künste Berlin
vorgelegt von:
Petra Häußer
zum 30. September 2002
1. Gutachterin: Prof. Dr. Renate Berger
2. Gutachterin: Vera Dreyer

Für Henry, Meike und Zoe

Inhalt
1. Einleitung
1
2. Die neoformalistische Filmanalyse
3
2.1 Über die Natur des Kunstwerkes
4
2.2 Das Medium Film und die filmischen Verfahren
5
2.3 Die aktive Rolle des Zuschauers
6
2.4 Hypothesenbildung durch Denkmuster
7
2.5 Wichtige Begriffe für die Analyse narrativer Filme
8
2.6 Zusammenfassung
9
3. Leben und Werk Carlos Sauras
10
3.1 Die ersten Jahre
10
3.1.1 Kindheit
10
3.1.2 Jugend und Studium
11
3.1.3 Privatleben
13
3.2 Filmübersicht
14
3.2.1 Kurzfilme
14
Flamenco
14
El pequeño rio Manzanares (Der kleine Fluss Manzanares)
14
La tarde del domingo (Sonntagnachmittag)
15
Cuenca
15
3.2.2 Langspielfilme
16
Los golfos (Die Straßenjungen)
16
Llanto por un bandido (Córdoba)
17
La caza (Die Jagd)
18
Peppermint frappé
19
Stress es tres, tres (Stress zu dritt)
20
La madriguera (Höhle der Erinnerungen)
21
El jardin de las delicias (Der Garten der Lüste)
22
Ana y los lobos (Anna und die Wölfe)
23
La prima Angélica (Die Cousine Angelika)
24
Cría cuervos (Züchte Raben)
26
Elisa, vida mía (Elisa, mein Leben)
27
Los ojos vendados (Mit verbundenen Augen)
28
Mamá cumple cien años (Mama wird hundert)
29
Deprisa, deprisa (Los, Tempo!)
30
Bodas de sangre (Bluthochzeit)
31
Dulces horas (Zärtliche Stunden)
32
Antonieta
34
Carmen
35
Los zancos (Zeit der Illusionen)
37
El amor brujo (Liebeszauber)
38
El Dorado (El Dorado ­ Gier nach Gold)
39
La noche oscura (Die dunkle Nacht)
40
I 1

¡Ay, Carmela! (Ay, Carmela ­ Lied der Freiheit)
41
El sur (Der Süden)
42
Sevillanas
43
Maratón (Marathon: Die Flamme des Friedens)
44
¡Dispara! (Schieß!)
44
Flamenco
46
Taxi (Im Schutz der Nacht)
48
Pajarico (Kleiner Vogel)
50
Tango
50
Goya en Burdeos (Goya in Bordeaux)
52
Buñuel y la mesa del Rey Salomón
(Buñuel und der Tisch des König Salomon)
54
Salomé
55
3.3 Weitere Arbeitsfelder
56
4. Analyse des Saura`schen Gesamtwerkes
62
4.1 Die Generalthemen
62
4.1.1 Darstellung aktueller Phänomene der spanischen Gesellschaft
63
4.1.2 Darstellung historischer spanischer Persönlichkeiten
63
4.1.3 Darstellung spanischer Kunst und Kultur
64
4.1.4 Darstellung spanischer Geschichte
64
4.1.5 Sonstige Themengebiete
64
4.2 Häufig wiederkehrende Motive
65
4.2.1 Das Motiv der Extremsituation der Hauptfigur
65
4.2.2 Das Motiv des Todes
66
4.2.3 Das Motiv der Liebe
66
4.2.4 Das Motiv der Erinnerung
67
4.2.5 Das Motiv des spanischen Bürgerkrieges
67
4.2.6 Das Motiv der doppelbödigen Inszenierung
68
4.2.7 Das Motiv der selbstbezüglichen Narration
68
4.3 Stilmittel
69
4.3.1 Die Vermischung und Überlagerung der Bewusstseinsebenen
69
4.3.2 Die realistische Filmästhetik
71
4.3.3 Die verschlüsselte Filmsprache
72
4.3.4 Der geschlossene Erzählraum
74
4.3.5 Der Einsatz von Licht, Farben und Spiegeln
74
4.3.6 Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren
75
4.3.7 Sonstige Stilmittel
76
4.4 Besonderheiten
77
5. Sauras Arbeit im Spiegel der Öffentlichkeit
78
5.1 Behinderung und späte Anerkennung in Spanien
78
5.1.1 Schwierigkeiten mit der spanischen Zensur
78
5.1.2 Wenig Erfolg bei Kritik und Publikum
80
5.1.3 Späte spanische Preise
81
I 2
Inhalt

I 3
5.2 Bekanntheit und Ansehen in Deutschland
82
5.2.1 Carlos Saura? Ach, der mit der Carmen... 82
5.2.2 Anerkennung durch Berlinale und Kritiker
83
5.2.3 Carlos Saura ­ ein "überaus umgänglicher und freundlicher Mensch" 83
5.3 Zwei Linien und mehr
Über die unterschiedlichen Versuche die Saura-Filme zu klassifizieren
84
5.4 Saura über Saura
85
6. Schlussbemerkung
89
Quellen
Q 1-3
Anhang
A 1-5
Filmüberblick
A 1
Interview mit Carlos Saura
A 2
Inhalt

1. Einleitung

Bild umseitig: Selbstporträt Sauras mit seiner Schwester Pilar, 1949
Quelle: Galaxia Gutenberg, S. 60

Wer ist eigentlich Carlos Saura?
Dieser spanische Regisseur, der eine Handvoll Tanzfilme gedreht hat? Stimmt.
Nicht ganz.
Der Spanier Carlos Saura hat vier Kurz- und 34 Langspielfilme gedreht, Theaterstücke und
Opern inszeniert, eine Kurzgeschichte und einen Roman geschrieben, gezeichnet, geschau-
spielert und leidenschaftlich fotografiert. Das weiß nur kaum jemand. Wie auch?
In Deutschland waren Sauras Filme selten im Kino zu sehen; die wenigen Veröffentlichun-
gen zu seinem Werk liegen Jahre zurück und integrieren folglich Sauras jüngere Arbeiten
nicht.
1
Die übrigen Rezensionen konzentrieren sich fast ausschließlich auf einen einzelnen
Film und zwar fast immer auf Carmen, Sauras Welterfolg. Selten werden zwei bis drei Filme
genauer untersucht, wie etwa 1994 bei Gompper. Niemand hat sich bisher an einer Analyse
des Saura'schen Gesamtwerkes versucht. Einzelne Beobachtungen sind freilich an unter-
schiedlichen Stellen eingestreut, können so aber nicht auf einen Blick erfasst werden. Das
ist bedauerlich und ein bisschen unbegreiflich - erweist sich doch Sauras Werk schon beim
ersten Hinsehen als derart facettenreich, dass es ein Vergnügen ist, sich näher damit zu
beschäftigen. Zu spät ist es allerdings nie, und so ist die vorliegende Arbeit die erste, wel-
che Sauras Werk in seiner Gesamtheit vorstellen und sowohl inhaltlich als auch filmtechnisch
analysieren wird.
Es ist mein Wunsch, hierdurch nicht nur den Regisseur und die spezifischen Merkmale sei-
ner Arbeit herauszukristallisieren, sondern auch den Menschen dahinter erkennen oder
wenigstens erahnen zu lassen.
Jede Analyse benötigt ein theoretisches Fundament. Im vorliegenden Fall ist es der Ansatz
der neoformalistischen Filmanalyse, auf welchen sich die Ausführungen stützen. Die metho-
dischen Grundlagen des Neoformalismus, welche sich nicht nur auf Filme sondern auf
Kunstwerke generell beziehen, nehmen daher den ersten Abschnitt dieser Arbeit ein.
Der zweite Abschnitt stellt Leben und Werk des Spaniers vor. Ein kurzer biografischer Teil
schildert Kindheit und Jugend des jungen Saura und endet, als dieser beginnt, Filme zu dre-
hen. Die sich anschließende Filmübersicht enthält neben der inhaltlichen Beschreibung aller
Filme auch deren filmtechnische Besonderheiten. Auf Kritik, Preise, Erfolg oder Misserfolg
der Arbeiten wird ebenfalls eingegangen. Sauras weitere Tätigkeiten schließen die Werkvor-
stellung ab.
Der dritte Abschnitt bildet den Hauptteil der Arbeit, denn in ihm wird das abwechslungs-
reiche Gesamtwerk analysiert. Die Ergebnisse sind in vier Kategorien - Generalthemen,
Motive, Stilmittel und Besonderheiten - eingeteilt, welche die verschiedenen Aspekte der
Arbeiten aufzeigen.
1
Einen ­ mal mehr, mal weniger - ausführlichen Gesamtüberblick bieten:
1981 Carl Hanser Verlag mit seiner Reihe Film, Nr. 26 Carlos Saura mit diversen Beiträgen
1984 Hans Eichenlaub Carlos Saura
1987 Jorge Hönig Alle meine Träume, meine Ängste und meine Wünsche...
1994 Renate Gompper Carlos Saura und die totale Realität
1
Einleitung

Der letzte Abschnitt wirft einen Blick auf das vielschichtige Verhältnis zwischen Carlos Saura
und der Öffentlichkeit. Seine Schwierigkeiten mit der spanischen Zensur, die Resonanz sei-
ner Arbeiten bei Publikum und Presse und die verschiedenen Versuche der Fachwelt, sein
Werk zu klassifizieren, werden hier noch einmal zusammenfassend dargestellt. Der Regis-
seur selbst kommt gleichfalls zu Wort, führt Gedanken zu seinen Filmen und seiner Arbeits-
weise aus. Die Schlussbemerkung resümiert und bewertet die gewonnenen Erkenntnisse.
Mein persönliches Interesse an Sauras Werk ist erst durch die Beschäftigung mit diesem
geweckt worden. Als Flamenco-Liebhaberin war es meine ursprüngliche Absicht, mich ledig-
lich mit den Tanzfilmen Sauras zu befassen. Bei der Sichtung sämtlicher Filme (vielleicht ist
ja irgendwo noch ein bisschen Flamenco versteckt...) wurde ich indes von vielen Arbeiten
angesprochen und überrascht, die ganz andere Themen behandelten. Die Rezension
erschienener Bücher, Aufsätze und Presseartikel bestärkte mich in meinem Vorhaben, eine
Vorstellung und Analyse des Gesamtwerkes Sauras zu erarbeiten. Mich interessierte, ob sich
hier - trotz aller Vielfalt - einige übergreifende Merkmale erkennen lassen, die für Sauras
Werk charakteristisch sind. Gibt es einen typischen Saura-Stil? Die Antwort auf diese Frage
wird die vorliegende Arbeit geben.
Zunächst gilt es jedoch, die methodischen Grundlagen zu klären und so beginnt die Arbeit
mit der Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken aus dem von Kristin Thompson 1995
veröffentlichten Aufsatz zur neoformalistischen Filmanalyse.
2
Einleitung

2. Die neoformalistische Filmanalyse

Bild umseitig: Der junge Carlos Saura
Quelle: Oms, 1981, S. 4

Jede Analyse setzt eine Methode voraus und die Filmanalyse macht hier keine Ausnahme.
Natürlich gibt es in diesem Bereich (Wo wäre das heutzutage anders?) zahlreiche und unter-
schiedliche Methodenansätze. Die Namen großer Analytiker sind bekannt: Eisenstein,
Kracauer, Bazin und Grierson hatten bereits vor Jahrzehnten filmtheoretische Überlegungen
angestellt. Ungezählt sind die Ansätze der "Unbekannten", welche ihrerseits neue Sichtwei-
sen zum Thema ins Feld führten.
2
Welche Analysemethode ist für die vorliegende Arbeit jedoch die richtige? Die biografische,
welche sich auf Person und Biografie des Regisseurs stützt und dort Interpretationsmöglich-
keiten vermutet? (Das Leben Carlos Sauras bietet wahrlich eine Reihe von Anknüpfungs-
punkten...) Die soziologische, die auf ein Verständnis des Films im Licht seines gesellschaft-
lichen Umfeldes abzielt? (Noch besser. Man denke nur an Sauras verschlüsselte Filmsprache
während der Franco-Diktatur...) Oder die literaturhistorische, welche - explizit oder implizit
- auf eine literarische Vorlage verweist? (Einverstanden, eine angemessene Beachtung der
Saura`schen Literaturverfilmungen darf selbstverständlich nicht fehlen...) Gewiss wäre auch
die psychologische (setzt sich mit der Psyche des Zuschauers auseinander) oder die genre-
spezifische (ordnet den Film einem bestimmten Genre zu, z.B. Sciencefiction) Methode nicht
allzu verkehrt ­ zur Unterstützung ihrer Thesen würden sich schon einige Saura-Filme fin-
den lassen.
3
Der Nachteil aller genannten Methoden ist offensichtlich: Zwecks Selbstbestätigung werden
lediglich die Filme analysiert, die der Methode angemessen sind. In Kategorien eingeteilt,
verlieren die Filme ihre spezifischen Besonderheiten. Auf diese Weise reduzieren vorgefas-
ste Methoden die Komplexität von Filmen. Eine sinnvolle Filmanalyse lässt sich dagegen
nicht in ein Korsett drängen. In ihrem Mittelpunkt steht der Film ­ und nicht irgendeine
Methode, die es zu beweisen gilt. Aufgabe und Ziel der Analyse ist es, durch eingehende
Betrachtung sämtlicher Einstellungen die signifikanten Phänomene eines filmischen Werkes
herauszuarbeiten.
4
Die Ergebnisse können danach durchaus unter Heranziehung eines oder
gar mehrerer Ansätze interpretiert werden.
Die von der Analytikerin Kristin Thompson propagierte neoformalistische Filmanalyse
5
hat
sich eben diese Herangehensweise auf die Fahnen geschrieben: Konzentration auf den Film
selbst. Für die vorliegende Arbeit ist daher der neoformalistische der richtige Weg. Umso
mehr, als es sich nicht nur um die Analyse eines einzelnen Films sondern eines ­ äußerst
vielfältigen - Gesamtwerkes handelt. Welcher unbeugsame methodische Ansatz könnte da
im Vorfeld von sich behaupten, der richtige zu sein? Der Neoformalismus betrachtet ein
Werk unvoreingenommen. Erst im Anschluss werden Schlüsse gezogen, Aussagen formuliert
und Kategorien gebildet, anstatt solche einfach nur zu bestätigen. Das entspräche sicherlich
auch dem freien Geist des Regisseurs, welcher sich seit eh und je dagegen sträubt, in
Schubladen gesteckt zu werden.
6
2
vergl. Tudor, 1977
3
Einen Überblick der verschiedenen Analysemethoden bietet Faulstich, 1988
4
vergl. Kanzog, 1981, S. 11
5
Der Neoformalismus basiert weitgehend auf den Theorien der russischen Formalisten, vergl. Thompson, 1995
6
aktueller Beweis - Sauras Aussage während einer Podiumsdiskussion am 13.02.2002 in Berlin:
"Ich sträube mich dagegen, dass Kritiker jemanden in eine Kategorie drängen wollen."
3
Die neoformalistische Filmanalyse

Interessant ist eine Filmanalyse vor allem dann, wenn sie uns nicht nur etwas über den
jeweiligen Film verrät sondern auch über die künstlerischen Möglichkeiten des filmischen
Mediums im Allgemeinen. Die Analyse sollte erklären, wie Filme aufgebaut sind und wie sie
es schaffen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Filme funktionieren in
der Regel wie Kunstwerke und sind jenen zuzurechnen (womit noch nichts über ihre Qualität
gesagt ist). Der neoformalistische Ansatz liefert daher zunächst einmal einige allgemeine
Annahmen über Aufbau und Wirkung von Kunstwerken.
2.1 Über die Natur des Kunstwerkes
Eine, vor allem von den Kommunikationswissenschaftlern, verbreitete Position vertritt ein
dreiteiliges (Kommunikations-) Modell, welches zwischen Sender, Medium und Empfänger
unterscheidet. Das Medium hat hier eine praktische Funktion. Es ist umso effektiver, je prä-
ziser und klarer es seine Botschaft übermittelt. Der Neoformalismus lehnt ein solches Modell
für die Kunst ab; legt es doch nahe, ein Kunstwerk danach zu beurteilen, wie gut es eine
Bedeutung übermittelt. Rein unterhaltende Werke scheinen demnach weniger wertvoll, sen-
den sie doch keine "nützlichen" Ideen oder Informationen. Diese Beurteilung eines Kunst-
werkes nach seiner Nützlichkeit war ehemals der Ursprung für die Unterscheidung zwischen
hoher und niederer Kunst.
Die Position des "l'art pour l'art" sieht in der Kunst kein Medium zur Übermittlung von
Ideen und liegt dennoch nicht im Sinne der Neoformalisten. Denn auch hier wird zwischen
hoher und niederer Kunst differenziert: Die eine bleibt dem Ästheten mit verfeinertem
Geschmack vorenthalten; die andere ­ eher derb und populär ­ richtet sich an den Durch-
schnittsmenschen.
Für den Neoformalismus spielt sich die Kunst in einem vom Alltag getrennt erlebten Bereich
ab, da sie einzigartige Anforderungen an unsere Wahrnehmung stellt. Im Alltag nutzen wir
unsere Aufmerksamkeit fast ausschließlich für praktische Zwecke. Wir konzentrieren uns
z.B. an einer Kreuzung auf das Grünwerden der Ampel; alle anderen optischen Reize treten
in diesem Augenblick in den Hintergrund. Durch die gewohnheitsmäßige Wiederholung der
alltäglichen Handlungen stumpfen unsere Wahrnehmungsfähigkeiten allmählich ab. So
sehen wir viele Dinge gar nicht mehr wirklich an, wir erkennen sie lediglich an ihrer Ober-
fläche oder identifizieren sie anhand ihrer Lage im Raum. Diese Komplexitätsreduktion ist
einerseits notwendig, müssen wir uns doch in der heutigen, vom ständigen Informations-
überschuss berauschten und bedrängten, Gesellschaft zurechtfinden. Andererseits wird
unser Geist durch ständige Wiederholungstaten unterfordert. Er verlangt nach Abwechslung.
Und diese kann ihm die Kunst bieten.
7
Die Kunst dient uns als eine Art mentales Training. Sie fordert unsere Gedanken heraus, regt
unsere Wahrnehmungen an und hält so den Geist in Form ­ ähnlich wie der Sport den
Körper. Kunstwerke - und eben auch Filme - verwickeln ihr Publikum in eine nichtpraktische,
spielerische Form der Interaktion. Die Zuschauer erleben den Prozess des Filmsehens als
vom Alltagsleben völlig getrennt, was allerdings nicht heißen soll, dass Filme ohne Wirkung
auf sie bleiben.
7
Glücklich können sich jene schätzen, die im Beruf oder in ihren Hobbys geistig gefordert werden.
Das ist jedoch nicht der Regelfall.
4
Die neoformalistische Filmanalyse

Spielerisch unterhaltende Filme können die Wahrnehmung der Rezipienten in ähnlich kom-
plexer Weise herausfordern wie solche, die sich mit ernsthaften und schwierigen Themen
auseinandersetzen.
8
Der Neoformalismus unterscheidet daher nicht zwischen hoher und
niederer Kunst.
Im Unterschied zur alltäglichen Wahrnehmung, welche maximale Effizienz und Leichtigkeit
anstrebt, verfolgt die ästhetische Wahrnehmung das entgegengesetzte Ziel ­ eine erschwer-
te Form des Wahrnehmungsprozesses. Den unmittelbaren Zweck jeder Kunst sieht der Neo-
formalismus daher im Prinzip der Verfremdung. Ein Kunstwerk verfremdet unsere gewohn-
te Wahrnehmung der Alltagswelt, indem es Material aus dieser Quelle entnimmt und um-
wandelt. Die verfremdete Darstellung führt zu einem erschwerten Wahrnehmungsprozess
und damit zur Sichtbarmachung unserer Sehgewohnheiten. Auf diese Weise können Kunst-
werke unsere mentalen Prozesse erneuern ­ für die Neoformalisten das Ziel jeder Kunst.
9
2.2 Das Medium Film und die filmischen Verfahren
Auch der künstlerische Film arbeitet mit unterschiedlichen Mitteln der Verfremdung, die alle
das gleiche Ziel anstreben: das Verstehen der Handlung zu behindern und zu erschweren,
anstatt es zu vereinfachen. Die erschwerte Form kann unterschiedlichste Erscheinungsfor-
men annehmen. Eine ihrer häufigsten ist der Einsatz von Retardationen (Verlängerungen).
Hierbei wird die Erzählung nicht auf direktem Wege linear erzählt, sondern es wird Material
eingeschoben, welches den Fortgang der Erzählung behindert und verzögert und so das
Ende der Gesamthandlung zurückhält. Ein weitere Möglichkeit für die Erschwerung des Ver-
ständnisprozesses bietet dem Film die Rollenbesetzung seiner Figuren. So können ­ schein-
bar unmotiviert ­ zwei Schauspielerinnen für eine Rolle eingesetzt werden (z.B. in Buñuels
Dieses obskure Objekt der Begierde) oder im umgekehrten Fall eine Schauspielerin zwei
oder mehrere Figuren verkörpern (Lost Highway von David Lynch).
Für den Neoformalismus sind die Figuren die wichtigsten Träger der Ereignisse einer Erzäh-
lung. Sie sind keine realen Menschen, sondern eine Anhäufung von Charakterzügen. Im
Gesamtwerk erfüllen sie eine bestimmte Funktion. So können Figuren dem Publikum Infor-
mationen liefern aber auch zu deren Zurückhaltung eingesetzt werden; sie können Paral-
lelen entstehen lassen, Formen und Farben verkörpern, die für die Komposition einer
Einstellung von Bedeutung sind; sie können sich im Raum bewegen, um Kamerafahrten zu
motivieren, etc. Figuren können relativ neutral sein und hauptsächlich zu dem Zweck exi-
stieren, eine Reihe von eingebetteten Erzählungen zusammenzuhalten. Andere dagegen
stehen im Mittelpunkt der Haupthandlung. Die übrigen filmischen Verfahren sind auf sie
abgestimmt.
10
Unter filmischen Verfahren sind sämtliche Möglichkeiten und Techniken zu
verstehen, mit denen das Medium Film arbeitet. Neben den Figuren zählen hierzu Szenen-
bild, Kamerabewegungen, Sprache, Kostüm, Ton, Rahmenhandlung, Filmmusik, Text, etc.
Die einzelnen Verfahren erfüllen jeweils eine bestimmte Funktion. Diese muss jedoch nicht
in allen Filmen dieselbe sein, sie hängt vielmehr von ihrem jeweiligen Kontext ab. Ein git-
terähnlicher Schatten symbolisiert z.B. nicht grundsätzlich, dass ein Charakter gefangen ist.
8
Man denke nur an die Monty Python­Klassiker...
9
vergl. Thompson, 1995, S. 31
10
vergl. Thompson, 1995, S. 57
5
Die neoformalistische Filmanalyse

Wie Figuren können auch die übrigen Verfahren dem Verständnis der Erzählung dienen oder
aber bestimmte Hinweise bewusst zurückhalten; sie können den Anschein von Realität
erwecken oder die Strukturen des Films verfremden. Die Hauptaufgabe der neoformalisti-
schen Analyse liegt nun darin, die Funktion der Verfahren in ihrem jeweiligen Kontext zu
ermitteln.
Für die Wirkung eines Filmes sind die Verfahren jedoch nicht allein verantwortlich. Ein wei-
terer wesentlicher Faktor darf nicht vernachlässigt werden - der Zuschauer selbst.
2.3 Die aktive Rolle des Zuschauers
Die Neoformalisten betrachten den Zuschauer nicht als passives Subjekt, wie das bei eini-
gen filmanalytischen Ansätzen der Fall ist. Im Gegenteil, beim Betrachten eines Filmes und
auch jedes anderen Kunstwerkes vollzieht der Zuschauer eine Reihe verschiedener Aktivitä-
ten, die von Thompson
11
wie folgt aufgeschlüsselt werden:
physiologische Aktivitäten
Physiologische Aktivitäten sind automatische Reaktionen, die vom Zuschauer nicht kontrol-
liert werden können. Hierzu zählen die Unterscheidung von Farben, die Wahrnehmung einer
Folge statischer Bilder als Bewegung oder das Hören von Schallwellen als Ton.
vorbewusste Aktivitäten
Vorbewusste Aktivitäten sind einfache, fast automatische, Informationsverarbeitungspro-
zesse. Diese haben wir als Kinder beim ersten Sehen und durch Befragen der Eltern gelernt
und sind so gut mit ihnen vertraut, dass wir sie nicht mehr bemerken. So wundern wir uns
beispielsweise nicht, wenn bei einer Kranfahrt die Landschaft nach unten wegzusinken
scheint. Wir wissen und verstehen, dass sich in Wirklichkeit die Kamera nach oben bewegt
und brauchen darüber nicht weiter nachzudenken.
bewusste Aktivitäten
Bewusste Aktivitäten dagegen bemerkt der Zuschauer selbst. Wenn er z.B. darum bemüht
ist, eine Geschichte zu verstehen, verschiedene Bedeutungen zu interpretieren oder sich
darüber klar zu werden, warum ein bestimmter Kamerawinkel verwendet wird.
unbewusste Aktivitäten
Unbewusste Aktivitäten, welche der Zuschauer schnell und ohne viel Nachdenken durch-
führt, beziehen sich auf dessen erlernte Sehfähigkeiten.
12
So erkennen wir beispielsweise,
dass die Formen auf der flachen Kinoleinwand einen dreidimensionalen Raum repräsentie-
ren, weil wir die filmischen Hinweise auf Tiefenverhältnisse sehr schnell verarbeiten können.
Ähnlich tendieren wir dazu, den Ablauf der dargestellten Zeit automatisch zu registrieren.
Das tun wir aber nur solange der Film nicht mit einer komplexen Zeitfolge arbeitet, in der
Ereignisse übersprungen, wiederholt oder die Grenzen zwischen den Zeitstufen verwischt
werden (wie z.B. in Christopher Nolans Memento). In solchen Fällen beginnen wir, die zeit-
lichen Indizien bewusst zu sortieren und verlassen damit diese Kategorie.
11
vergl. 1995, S. 45-46
12
Thompsons Differenzierung zwischen vor- und unbewußter Aktivität finde ich nicht ausreichend nachvollzieh
bar. Mir erschiene eine Zusammenfassung beider Kategorien schlüssiger.
6
Die neoformalistische Filmanalyse

Auf der Ebene der bewussten Wahrnehmung kann ein Kunstwerk die gewohnten Seh- und
Denkweisen seiner Rezipienten am stärksten herausfordern. Für die Neoformalisten ist es
daher das Ziel jeder Kunst, die Denkprozesse des Zuschauers weitgehend auf die bewusste
Ebene zu verlagern.
Was geschieht dort konkret?
2.4 Hypothesenbildung durch Denkmuster
Filmische Verfahren verweisen die Zuschauer auf deren individuelle Denkmuster. Mit Denk-
mustern ist unsere Vorstellung von der Wirklichkeit gemeint, welche wir uns im Alltagsleben,
im Umgang mit Kunstwerken und anderen Filmen erworben haben. So "wissen" wir bei-
spielsweise aufgrund unserer Erfahrungen, wie der Besuch in einem Restaurant abläuft. Der
Film kann jetzt (wenn er will) mit diesem Wissen und den damit verbundenen Erwartungen
spielen, indem er diese verletzt und verfremdet. (Die Kellner bringen keine Karte, sondern
ein Gericht, was gar nicht bestellt wurde; sie setzen sich einfach mit an den Tisch und fan-
gen Streit an; sie sind taub, usw.) Während der Filmrezeption bildet der Zuschauer mithil-
fe seiner Denkmuster fortlaufend Hypothesen. Über die Handlungsweisen der Figur, den
Raum außerhalb des Bildes, den Ursprung eines Geräusches - letztlich über jedes noch so
begrenzt oder umfassend eingesetzte filmische Verfahren, das wahrgenommen wird. Im
Verlaufe eines Films werden diese Hypothesen bestätigt oder widerlegt, im letzteren Fall
werden neue Hypothesen gebildet.
Die erworbenen Denkmuster, welche für die Hypothesenbildung verantwortlich sind, verän-
dern sich im Laufe der Zeit. Zum einen durch unsere individuelle Entwicklung, zum anderen
durch die uns prägenden gesellschaftlichen Konventionen ­ welche ebenfalls der Verän-
derung unterworfen sind. Es verwundert daher nicht, dass Zuschauer unterschiedlicher
Epochen und Lebensläufe - also mit anderen Denkmustern - auch unterschiedliche Hypothe-
sen bilden und den Film anders verstehen.
13
So schockierte 1967 Arthur Penns Bonnie and
Clyde das damalige Publikum durch das Ausmaß der dargestellten Gewalt. Heutzutage, an
brutale Szenen in Film und Fernsehen fast gewöhnt, wären wir wohl kaum in der Lage, den
Film derart entsetzt aufzunehmen, wie das Publikum vor 35 Jahren.
Bestätigt ein Kunstwerk in erster Linie bereits bestehende Denkmuster, werden wir ihren
Gebrauch und die Hypothesenbildung kaum bemerken. Manche Filme (vor allem die, welche
sich eng an die Normen halten) kommen uns daher leicht vor und es ist, als verfügten wir
über eine natürliche Fähigkeit, sie zu verstehen. Wobei es sich hier jedoch um eine erwor-
bene Fähigkeit handelt, denn unsere Sehgewohnheiten sind durch jahrelangen Film- und
Fernsehkonsum gut geschult. Neben anderen Filmklassikern gab auch Altmeister Alfred
Hitchcock sein bis zur Perfektion ausgefeiltes Rezept an Generationen von Regisseuren wei-
ter: Man nehme ein bis zwei filmische Hinweise und lasse den Zuschauer die Schlussfolge-
rung selbst ziehen. So zeigt z.B. eine Einstellung seines Films Marnie einen leeren Safe. In
der nächsten Szene sieht man eine Handtasche unter dem Arm einer jungen Frau. Die von
Hitchcock damals genau kalkulierte Erkenntnis des Zuschauers - Das Geld befindet sich in
der Tasche - erscheint aus heutiger Sicht vertraut und nicht weiter aufregend.
13
vergl. Thompson, 1995, S. 49
7
Die neoformalistische Filmanalyse

Demgegenüber gibt es andere Filme, die unsere Erfahrung stärker herausfordern. Wenn wir
uns das Geschehen auf der Leinwand nicht mehr erklären können, wird uns unsere Verwir-
rung bewusst. Nun gilt es, sich zu orientieren und selbst Rückschlüsse zu ziehen, die uns
ein Verständnis der Vorgänge ermöglichen. Das ist spannend und bei positivem Ausgang
überaus zufriedenstellend. Nichts ist allerdings ärgerlicher als einen verzwickten Film nicht
zu verstehen. Das kann zum einen daran liegen, dass der Zuschauer die Hinweise des Films
nicht bemerkt oder aber die entsprechenden Sehfähigkeiten nicht erworben hat, die ihm
eine Reaktion in Form von Schussfolgerungen ermöglichen. Ein originelles Werk kann auf
Unverständnis stoßen, da dem Publikum die Vertrautheit mit den entsprechenden Sehkon-
ventionen fehlt.
14
Manchmal liegt es aber auch in der Absicht des Regisseurs, die Zuschauer
im Dunkel des Nichtverstehens tappen zu lassen ohne sie hieraus zu befreien, z.B. bei David
Lynchs Lost Highway.
Bei der Analyse narrativer Filme
15
arbeitet der Neoformalismus mit einigen zentralen Begrif-
fen, von denen ich die wichtigsten abschließend vorstellen möchte.
2.5 Wichtige Begriffe für die Analyse narrativer Filme
Die Fabel
Die Fabel ist die Beschreibung und Zusammenfassung eines Films durch den Zuschauer, wel-
cher im Geiste die Geschehnisse in eine chronologisch und kausal verbundene Reihenfolge
ordnet und damit das Gesehene mit eigenen Worten rekonstruiert. Mit der Fabel antworten
wir auf die Frage nach der Handlung eines Films.
Die Erzählweise
Unter Erzählweise ist die Reihenfolge zu verstehen, in der uns ein Film seine Fabel erzählt.
In der Regel werden viele Ereignisse direkt gezeigt, zum Teil auch außerhalb ihrer chrono-
logischen Abfolge (im Falle von Rückblenden). Andere Ereignisse dagegen werden nur
erwähnt, wenn etwa eine Figur von ihnen berichtet, wir Zuschauer sie jedoch nicht miter-
lebt haben. Das Verständnis der Erzählweise erfordert häufig ihre geistige Umordnung in
eine chronologische Reihenfolge - die Fabel. Ein derartiges Umordnen ist eine Fähigkeit, die
wir durch das Sehen narrativer Filme und durch den Umgang mit anderen narrativen Kunst-
werken gründlich erlernen. Bei den meisten Filmen können wir die Fabel relativ einfach kon-
struieren, andere erschweren uns dieses Umordnen der Erzählweise.
Die Narration
Die Narration ist die Absicht hinter der Erzählweise und verantwortlich für die Art und Weise,
mit der uns ein Film seine Informationen präsentiert. Sie leitet uns beim Sehen beständig
dazu an, hinsichtlich der Ereignisse der Fabel Hypothesen zu bilden. Die Narration kann sich
auf das Informationsverständnis einer oder weniger Figuren beschränken, umso andere
Informationen zurückzuhalten.
14
vergl. Thompson, 1995, S. 49 - 50
15
Filme, die eine Geschichte erzählen. Im Gegensatz zum narrativen Film steht z.B. die Dokumentation
oder die Reportage.
8
Die neoformalistische Filmanalyse

Ein solches Muster findet sich für gewöhnlich in Detektivfilmen, deren Narration sich auf das
konzentriert, was die Ermittler erfahren, aber offenbar nichts von dem weiß, was nur die
Verbrecher wissen können. Normalerweise bleibt die Narration eher unbemerkt, wenn z.B.
Figuren im Dialog Informationen austauschen. Die Narration kann aber auch mit ihrem Wis-
sensreichtum spielen. Sie kann z.B. signalisieren, dass sie über bestimmte Informationen
verfügt, uns diese jedoch vorenthält (wenn sich etwa eine geheimnisvolle Tür öffnet und die
Kamera abblendet, bevor wir sehen, was sich hinter ihr verbirgt). Im Gegensatz hierzu kann
der Film seine Informationen aber auch direkt an das Publikum richten. Am häufigsten
geschieht das durch den Einsatz eines Off-Erzählers, der die Geschehnisse kommentiert.
Aber auch die Kamera selbst kann den Zuschauer durch bestimmte Bewegungen auf etwas
hinweisen. So schwenkt z.B. in Hitchcocks Cocktail für eine Leiche die Kamera von der Hand-
lung weg auf die Truhe, in der sich die Leiche befindet. Wir bemerken gespannt, was keine
der anderen Figuren bemerkt: die Haushälterin wird in Kürze die Truhe öffnen und damit
den Mord entdecken. In solch einem Fall ist die Narration selbstbezüglich.
2.6 Zusammenfassung
Jede Filmanalyse sollte sich auf den Film selbst stützen und ihn nicht mit einer vorgefassten
Methode einengen wollen. Kunstwerke und Filme dienen der Verfremdung unserer routine-
mäßigen Alltagswahrnehmung und der damit verbundenen Sichtbarmachung unserer
Gewohnheiten. Durch erschwerte Form verlängern sie künstlich den Prozess der Wahrneh-
mung. Filmische Verfahren können in unterschiedlichen Filmen auch unterschiedliche Funk-
tionen haben. Die Hauptaufgabe der Analyse besteht darin, diese jeweiligen Funktionen auf-
zuzeigen. Der Neoformalismus geht davon aus, dass der Zuschauer aktiv verschiedene
Wahrnehmungstätigkeiten durchführt. Die von ihm erworbenen Denkmuster führen wäh-
rend der Filmrezeption zur bewussten Hypothesenbildung und oder -verwerfung. Der neo-
formalistische Ansatz will nicht etwa ein filmisches Werk erklären. Er will vielmehr die Auf-
merksamkeit auf die dem Film zugrunde liegenden Strategien lenken und dadurch jene
"Einstellung zur Form" wiederherstellen, die für ein Kunstwerk charakteristisch ist. Der Neo-
formalismus geht davon aus, dass der Zuschauer in der Lage ist, für sich selbst zu denken.
Die analytische Filmwissenschaft ist einfach ein Werkzeug, das ihm dabei hilft, indem sie
sein Wissen um filmische Strategien und Zusammenhänge schärft und so seine Sehfähig-
keiten erweitert.
9
Die neoformalistische Filmanalyse

3. Leben und Werk Carlos Sauras

Carlos (rechts) mit seinen Geschwistern Antonio und Pilar, 1938
Quelle: Eichenlaub, 1984, S. 24
Bild umseitig: Carlos Saura bei Dreharbeiten zu Llanto por un bandido, 1963
Quelle: Oms, 1981, S. 20

3.1 Die ersten Jahre
Dieser Abschnitt schildert die wichtigsten Ereignisse im Leben des jungen Carlos Saura, bis
er sich in die Welt des Films begibt. Sauras fotografische Tätigkeit wird ausführlich an spä-
terer Stelle betrachtet und entsprechend hier nur knapp angerissen. Biografische Angaben
über Kindheit, Jugend und Studium Carlos Sauras sind bei Gompper
16
und Eichenlaub
17
zu
finden. Detaillierter ist jedoch die Jahre zuvor erschienene Datensammlung von Frank
Arnold
18
. Diese drei Veröffentlichungen sowie die digitalen Angaben des Cervantes-Instituts,
welches Informationen über Regisseure sammelt und stichpunktartig ins Netz stellt
19
, bilden
die wesentlichen Quellen der folgenden Seiten. Alle übrigen sind entsprechend gekenn-
zeichnet.
3.1.1 Kindheit
Carlos Saura wird am 4. Januar 1932 in der Kleinstadt Huesca, in der spanischen Provinz
Aragón geboren. Sein Vater, Antonio Saura, aufgewachsen in Murcia, ist Spezialist für
Finanzfragen und arbeitet im Finanzministerium. Seine Mutter, Fermina Atarés, gleichfalls
aus Huesca stammend, hatte sich in jungen Jahren im Klavierspielen ausgebildet und nach
Erhalt eines bedeutenden Preises auch schon einige Konzerte gegeben.
20
Nach der Heirat
gibt sie ihre Karriere als Pianistin auf. Der kleine Carlos hat drei Geschwister: Antonio, der
ältere Bruder, ist im September 1930 geboren, seine Schwester Maria Pilar im August 1933.
Das Nesthäkchen der Familie, Maria Angeles, erblickt 1943 das Licht der Welt.
Über seine eher spröde Heimat Aragón sagt Saura später, die Leute seien dort "schweigsam,
wenig herzlich, zumindest zeigen sie ihre Herzlichkeit kaum."
21
Er fühlt sich mehr in die Ge-
gend der Levante hingezogen, aus der sein Vater stammt, denn dort pflegen die Menschen
untereinander ein wärmeres Verhältnis. "Mir gefällt dieser physische Kontakt zwischen
Eltern und Kindern, ich sehe es gern, wenn Mütter und Kinder sich anfassen. Diese viel sinn-
lichere Beziehung ist vielleicht viel natürlicher, viel vernünftiger. In Spanien gibt es das
glücklicherweise immer noch, diese Herzlichkeit innerhalb der Familien. Ich will nicht, dass
sie aufgegeben wird."
22
Mit drei Jahren kommt Saura in den Kindergarten San Viator in
Huesca. Ein Jahr später bricht der spanische Bürgerkrieg aus. Die liberal eingestellten Eltern
gehören keiner politischen Richtung an. Der Vater wird gleichwohl persönlicher Referent des
Finanzministers, arbeitet also für die Republik. Mehrfach wechselt die republikanische Regie-
rung ihren Sitz, Familie Saura zieht mit. Ihre Stationen sind Madrid (1936), Valencia (1937)
und schließlich Barcelona (1938).
16
1994, S. 23 - 25
17
1984, S. 22
18
1981, S. 121 - 125
19
Autor unbekannt, http://www.cervantes-muenchen.de/10_special/saura/subframe_bio.html, 23.7.2001
20
vergl. Arnold, 1981, S. 121 Nähere Angaben über die Art des Preises und über die Arbeit der Mutter sind in
keiner der von mir recherchierten Quelle thematisiert.
21
im Interview mit Zimmer, 1981, S. 42
22
ebenda
10
Leben und Werk Carlos Sauras

Carlos (links) mit seinem Bruder Antonio 1940
Quelle: Eichenlaub, 1984, S. 28

In der katalanischen Hauptstadt besucht Carlos die Schule und erlebt dort einen Bomben-
angriff
.23
1939 ist der Bürgerkrieg zu Ende und General Franco zieht mit seinen Truppen in
Madrid ein. Die diktatorische und düstere Staatsführung des Generalissimo wird die Ver-
hältnisse des Landes für die nächsten 30 Jahre bestimmen. Zunächst rechnen die Franquis-
ten indes mit ihren alten Gegnern ab und machen auch Sauras Vater Schwierigkeiten auf-
grund dessen früherer Arbeit für die Republik. In dieser ungewissen Zeit schicken die Eltern
den inzwischen siebenjährigen Carlos zurück nach Huesca. Bei seinen Verwandten mütter-
licherseits soll er einige Zeit verbringen, bis sich die Situation der Eltern normalisiert und er
ihnen nach Madrid folgen kann. Es werden vier lange Jahre.
An diese ersten Erinnerungen, die Zeit des Bürgerkrieges und die Trennung von seiner
Familie, denkt Saura sein ganzes Leben lang mit Trauer und Abneigung zurück:
"Der Bürgerkrieg stellt selbstverständlich eine traumatisierende Erfahrung für diejenigen
dar, die ihn auf die eine oder andere Art erfahren haben. Ich war ein Kind, als der Krieg aus-
brach. Ich war damals vier Jahre alt, und trotzdem haben die Erinnerungen an diese Jahre
viele frühere Erinnerungen ausgelöscht. Und ihnen wohnt eine solche Kraft inne, dass sie
noch heute periodisch wiederkehren. [...] Politisch sehe ich meine Eltern mehr als "Liberale"
denn als etwas anderes. Immer waren sie tolerant und verständnisvoll. [...] Meine arago-
nesischen Verwandten waren Rechte, sehr religiös, und als der Krieg endete, und sie mich
nach Huesca schickten, war ich wirklich ein Exilierter. Ich fühlte mich dort fremd. Meine
kindliche Welt, alle Dinge, die sie mir beigebracht hatten, die Flugzeuge, die ich malte, wie
sie Barcelona bombardierten, meine katalanische Ausbildung, die ich in einer staatlichen
Schule erhalten hatte, all das hatte überhaupt nichts mehr mit der Erziehung zu tun, die mir
jetzt aufgezwungen wurde. Von meinen Eltern und Geschwistern war ich getrennt. Und trotz
der Zuneigung, die meine Verwandten mir zu geben versuchten, erinnere ich mich an jene
Jahre nur als eine recht traurige Zeit. Und niemals habe ich verstehen können, warum über
Nacht die Guten die Bösen waren, und die Bösen die Guten."
24
3.1.2 Jugend und Studium
Endlich daheim bei seinen Eltern in Madrid besucht Carlos ab 1942 das Gymnasium Garmar.
Hier bleibt er bis zu seinem Abitur 1949; es fällt ihm leicht, gute Noten zu erreichen und
einer der fleißigsten Schüler zu sein. 1943 erkrankt sein geliebter Bruder Antonio schwer an
Knochentuberkulose, eine Folge der Entbehrungen während des Bürgerkrieges.
Nach Erhalt des Abiturs arbeitet der siebzehnjährige Carlos für kurze Zeit in einer Druckerei,
lernt hier Typographie und Setzerei. 1950 leistet er seinen Wehrdienst als Freiwilliger bei der
Luftwaffe. Im gleichen Jahr beginnt er aufgrund seiner mathematischen und zeichnerischen
Begabung Ingenería Industrial
25
zu studieren. In seiner Freizeit fährt der junge Mann gerne
Motorrad und nimmt sogar an Motorradrennen teil. Für die Motorradfabrik "OSCA" entwirft
und konstruiert Saura Prototypen.
23
Dieses traumatische Ereignis verarbeitet Saura später in seinem Film La prima Angélica.
24
Saura im Interview mit Angel S. Harguindey, Beckers & Lempp, 1981, S. 107
25
span. "Maschinenbau"
11
Leben und Werk Carlos Sauras

Sauras Schwester María Ángeles, 1949
Fotograf: Carlos Saura, Quelle: Glaxia Gutenberg, S. 59

Seine ganze Leidenschaft jedoch gehört der Fotografie, wie seine vielfältigen Ausstellungen
dieser Jahre ­ die erste 1951 in der "Real Sociedad Fotográfica de Madrid" - beweisen.
Zeitweise verdient er sich sogar seinen Lebensunterhalt als Fotograf. Antonio, der ältere
Bruder, ist ebenfalls der Magie der Bilder erlegen; bald wird er sich zu einem der bedeu-
tendsten Maler Spaniens entwickeln. Carlos bewundert seinen Bruder und lässt sich gerne
von dessen künstlerischen Ansichten beeinflussen ­ nicht gerade zur Begeisterung ihres
Vaters, der es gerne gesehen hätte, dass seine Söhne "etwas Solides"
27
erlernen würden.
Aus der Fotografie heraus beginnt sich eine weitere Leidenschaft Sauras zu entwickeln: Der
Film. 1952 bricht er das Ingenieurs-Studium ab und schreibt sich an der Madrider Filmhoch-
schule I.I.E.C. für Filmregie ein. Das 1947 gegründete Instituto de Investigaciones y
Experiencias Cinematográficas
28
bietet jungen Filmemachern die Möglichkeit einer unab-
hängigen und eigenständigen Filmarbeit. Keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit der
autoritären Zensur Francos.
29
Filmische Vorbilder der Lehre am Institut sind u.a. der italie-
nische Neorealismus, der expressionistische deutsche Film, Eisenstein und Pudowkin.
30
Für
Saura ist sein Studium am I.I.E.C. vor allem deswegen wichtig, weil es einen geistigen
Treffpunkt für Gleichgesinnte darstellt: "Zu jenem Zeitpunkt befanden wir uns am Anfang
dessen, was später die neue spanische Filmkunst (nuevo cine español) genannt werden soll-
te, mit anderen Worten, wir waren damals sehr jung, voller Begeisterung und Lust, etwas
Wichtiges auf dem Gebiet des Films zu machen. Wir waren junge Leute in einem Land, das
gerade einen fürchterlichen und verbrecherischen Krieg hinter sich gelassen hatte, in dem
die Sieger ein monströses System von Repression und Zensur errichtet hatten."
31
Saura fühlt, dass der Film seine Berufung ist und "dass ich Filmregisseur sein wollte, und
mehr als Regisseur wollte ich kinematografischer Autor werden."
32
Er beginnt seine ersten
kurzen Filme zu drehen.
33
Sie alle haben einen dokumentarischen, vom Neorealismus beein-
flussten Charakter, was Sauras Meinung nach der Weg ist, "um den spanischen Film aus der
Stagnation des Franquismus zu befreien."
34
1957 schließt Saura 25-jährig sein Studium ab,
verbleibt aber als Dozent für Drehbuch und Regie noch weitere sechs Jahre am I.I.E.C.. Als
das Institut 1963 in eine Universität umgewandelt wird, verlässt Saura diese nur mäßig
bezahlte Stelle und widmet sich von nun an tatkräftig dem Filmemachen.
Bevor ich mich mit diesem in der Filmübersicht detailliert befasse, möchte ich noch in aller
Kürze auf Sauras Privatleben eingehen.
26
Die Einzelheiten zu seiner Arbeit als Fotograf werden unter 3.3 Weitere Arbeitsfelder vorgestellt.
27
vergl. Schwarzkopf, Die Welt, 5.9.1986
28
span. "Institut für Kinematografische Forschungen"
29
vergl. Gompper, 1994, S. 24
30
vergl. Arnold, 1981, S. 122
31
Hönig, 1987, S. 160
32
Hönig, 1987, S. 159
33
Einzelheiten im Abschnitt 3.2.1 Kurzfilme
34
Hönig, 1987, S. 159
12
Leben und Werk Carlos Sauras

Selbstporträt mit seiner ersten Ehefrau Adela, 1958
Quelle: Galaxia Gutenberg, S. 61
Géraldine, Charlie, Oona Chaplin, Carlos Saura in Vevey, 1969
Quelle: Eichenlaub, 1984, S. 47

3.1.3 Privatleben
Carlos Saura ist kein Mensch, der sein Privatleben in die Öffentlichkeit trägt; weder Skandale
noch Krisen sind über ihn bekannt. In seinem Leben hat er vier langjährige Partnerschaften
gepflegt, u.a. mit der Schauspielerin Geraldine Chaplin. Die Verbindung zwischen seiner
Arbeit und seinem Privatleben sieht Saura in der Leidenschaft, die ihn kreativ und erfin-
dungsreich mache. Zwischen Zuneigung und Leidenschaft müsse man sich daher für die
Leidenschaft entscheiden, findet er. "Ich brauche diese Feuerstöße. Manchmal habe ich über
lange Zeit hin, Jahre vielleicht, in großer Ruhe gelebt, und plötzlich brach da eine wilde,
ungezügelte Kraft, eine Frau oder sonstwas, in mein Leben ein. Da habe ich mich nicht
gewehrt. Doch ich bin kein Mann, der seine Passion auf verschiedene Personen verteilen
kann; ich bin monogam. Ich habe wenige Frauen gehabt, die aber sehr fest und lange
Zeit."
35
Carlos Saura hat sechs Söhne, eine Tochter und mehrere Enkelkinder
36
und er ist
stolz darauf, dass seine drei ältesten Söhne in seine Fußstapfen getreten sind und sich in
verschiedenen Bereichen des Films engagieren.
37
Die wichtigsten privaten Ereignisse, wie Geburt der Kinder oder Heirat, werden in der Film-
übersicht erwähnt.
35
Haubrich, Frankfurter Allgemeine, 25.10.1985
36
Saura im Februar 2002 im Gespräch mit der Autorin auf die Frage nach der Anzahl seiner Enkelkinder:
"Ich weiß nicht wie viele. Wenigstens drei, aber ich glaube, es sind vier..." vergl. Interview im Anhang
37
vergl. Fuentes, Jennice, http://www.filmoteca.com/sec4/saura.htm, 15.12.2001
13
Leben und Werk Carlos Sauras


3.2 Filmübersicht
Dieses Kapitel gibt einen chronologischen Überblick des jahrzehntelangen Filmschaffens
Carlos Sauras. Jeder Film wird mit einer kurzen inhaltlichen Beschreibung ­ der Fabel - vor-
gestellt und anschließend mit wenigen Worten gewertet. Auffällige Filmtechniken und ande-
re Besonderheiten werde ich gleichfalls benennen, so es diese denn gibt. Informationen über
Erfolg oder Misserfolg der Filme, erhaltene Preise und beschränkende Zensurmaßnahmen
ergänzen die Ausführungen. Saura hat viele persönliche Erfahrungen in seinen Filmen ver-
arbeitet und sich so mit ihnen auseinandergesetzt. Um hinter dem Regisseur auch den Men-
schen erahnen zu lassen, werde ich die autobiografischen Elemente entsprechend kenn-
zeichnen. Aus demselben Grund kommt auch Saura selbst an einigen Stellen zu Wort. Die
38 Filmtitel erscheinen in Originalsprache (der deutsche Titel ist in Klammern gesetzt).
Einige Arbeiten, darunter die vier Kurzfilme, konnten von mir in Deutschland nicht eingese-
hen werden, weshalb ich mich bei ihrer Beschreibung auf Sekundärquellen berufe und von
einer persönlichen Wertung absehe.
38
3.2.1 Kurzfilme
1955
Flamenco*
Die einzige Beschreibung zu Sauras erstem Film, welche sich bei der Sichtung der im
Anhang genannten Quellen finden lässt, stammt von ihm selbst: "Ich machte in diesem Jahr
einen abgesehen von seinem Zeugniswert völlig unbedeutenden Dokumentarfilm, der zeigt,
wie mein Bruder Antonio im Garten des Hauses meiner Eltern in Cuenca ein Bild malte. Er
dauerte ungefähr 8 Minuten, war in 16mm und hieß Flamenco. Ich besorgte die Kamera, die
Auswahl der Musik und Regie."
39
Warum Saura seine erste Übung mit Flamenco betitelte, konnte indes keine Quelle erklä-
ren. Während unseres Interviews erinnerte sich der Regisseur: "Zu dieser Zeit war so eine
Art Aktionskunst modern in den USA; ich wollte auch so etwas wie Aktionskunst machen.
Ich drehte also auf 16mm, nur etwa 10 Minuten, mein Bruder Antonio malte ein Bild und
dazu machten wir Flamencomusik an; und so nannte ich den Film Flamenco..."
40
1955
El pequeño rio Manzanares* (Der kleine Fluss Manzanares)
Der neunminütige Film Sauras wird nur in wenigen Quellen erwähnt. Erstmals berichtet
Arnold über ihn: "Die Daten zu diesem Film, der in keiner der bisherigen Filmographien auf-
geführt ist, wurden von Ursula Beckers im Archiv der Filmoteca Nacional des España ent-
deckt. [...] Es soll ein Dokumentarfilm über den Fluß Manzanares sein, in dem die Brücken,
die den Fluß überqueren, vorgestellt werden."
41
38
Von mir nicht eingesehene Filme sind nach dem Titel mit einem * markiert.
39
zitiert bei Arnold, 1981, S. 122
40
Saura im Februar 2002 im Gespräch mit der Autorin, vergl. Interview im Anhang
41
1981, S. 126
14
Leben und Werk Carlos Sauras

La tarde del domingo, 1954
Fotograf: Carlos Saura, Quelle: Galaxia Gutenberg, S. 20

1956/57
La tarde del domingo* (Sonntagnachmittag)
Sauras Abschlussfilm am I.I.E.C. handelt vom Leben des Dienstmädchens Clara. Anein-
andergereihte Szenen zeigen ihre anstrengende und arbeitsreiche Woche, wobei nach Aran-
da (1961) "drastisch die an Sklaverei grenzenden Arbeitsverhältnisse der Madrider Dienst-
mädchen"
42
vorgeführt werden. Der einzige Lichtblick ist der Sonntag mit ein paar freien
Stunden. Doch auch diese bringen dem Mädchen und ihren Freundinnen nicht das erhoffte
Glück.
43
La tarde del domingo ist der erste Film des Instituts, welcher an
Originalschauplätzen und mit Originalton arbeitet. Darin liegt Sauras Meinung nach die
Hauptbedeutung seiner Abschlussarbeit: "Wir drehten dokumentarisch: zum Beispiel den
Tanz der Mädchen im Kino Salamanca. Möglicherweise war er sehr schlecht, aber was viel-
leicht von Interesse ist, ist die Tat, mit der Kamera auf die Straße zu gehen, was, wie ich
schon gesagt habe, im Institut noch nie geschehen war."
44
Nach Fertigstellung seines Abschlussfilms heiratet Carlos Saura in Barcelona seine Freundin
Adela Medrano.
45
1958
Cuenca*
Bei diesem Film handelt es sich um eine 45-minütige Dokumentation über die kleine Stadt
Cuenca, in der Carlos Saura "den vielleicht glücklichsten Teil seiner Kindheit"
46
verbrachte.
Auftraggeber sind die Stadtbehörden, die sich einen Werbefilm erhoffen, um diesen für tou-
ristische Zwecke einzusetzen. Aber erst nach über einem Jahr, in dem Saura immer wieder
in kurzen Etappen dreht, erhalten sie das fertige Werk, das ganz und gar nicht ihren Vorstel-
lungen entspricht. Da die Finanzierung des Films aus Steuergeldern erfolgt, einigt man sich
darauf, die Bewohner entscheiden zu lassen. Nach einer gutbesuchten Vorstellung spricht
sich das Publikum für den Film aus ­ der Streit wird beigelegt.
47
Der Film gliedert sich in drei Teile: "einen geographisch-beschreibenden, einen lyrischen
mit Blick auf die Vergangenheit Cuencas und einen folkloristischen, der die starke Verwur-
zelung in archaischen und religiösen Traditionen in der modernen Gegenwart aufzeigt."
48
Mit
Cuenca tritt Saura erstmals auf spanischen Festivals in Erscheinung und erhält 1959 in
Bilbao sogar den SILBERNEN Preis.
49
Saura sieht die Zeit für seinen ersten Langspielfilm gekommen, von Fingerübungen hat er
genug: "Diese waren meine ersten kinematografischen Versuche, bei denen ich mich übte,
bevor ich mich an das große Abenteuer des Spielfilms und der Regiearbeit mit Schauspielern
wagte."
50
Sauras erster Sohn Carlos wird geboren.
51
42
zitiert in Arnold, 1981, S. 122
43
vergl. Eichenlaub, 1984, S. 65
44
im Gespräch mit Enrique Brasó, 1974, S. 35, zitiert in Koch, 1981, S. 49
45
vergl. http://www.cervantes-muenchen.de/10_special/saura/subframe_bio.html, 23.7.2001
46
Eichenlaub, 1984, S.68
47
vergl. Koch, 1981, S. 50 und Eichenlaub, 1984, S. 67
48
Gompper, 1994, S. 31
49
vergl. Arnold, 1981, S. 126
50
im Interview mit Hönig, 1985, S. 160
51
vergl. Autor unbekannt, http://www.cervantes-muenchen.de/10_special/saura/subframe_bio.html, 23.7.2001
15
Leben und Werk Carlos Sauras

Los golfos, 1959
Quelle: Oms, 1981, S. 12

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832468675
ISBN (Paperback)
9783838668673
DOI
10.3239/9783832468675
Dateigröße
10.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität der Künste Berlin – 2 Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation
Erscheinungsdatum
2003 (Juni)
Note
1,0
Schlagworte
filmanalyse carmen fotograf kritik privatleben
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Titel: Carlos Saura. Themen, Motive und Stilmittel im Werk des spanischen Filmregisseurs
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