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Im Spannungsfeld zwischen Rassismus und Antisemitismus

Das Verhältnis der deutschen extremen Rechten zu islamistischen Gruppen

©2002 Diplomarbeit 139 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Islamisten? Diese Frage, der innerhalb der Rechtsextremismusforschung durchaus vereinzelt schon vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington nachgegangen wurde, erhielt jedoch durch diese eine neue Bedeutung. Angesichts des Rassismus der deutschen extremen Rechten erscheint eine politische Kooperation mit Muslimen erst einmal als Widerspruch. Dass eine solche Konstellation aber nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich ist, belegt neben aktuellen Beispielen auch die historische Allianz zwischen den Nationalsozialisten und dem islamistischen und palästinensischen Führer Haji Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem.
Ist eine Kooperation in diesem Ausmaß jedoch unter den heutigen Umständen überhaupt noch denkbar, oder ist sie auch aufgrund der vielen in Deutschland lebenden Muslime, die oftmals im rassistischen Diskurs der deutschen extremen Rechten als Sinnbild für die Einwanderung herhalten müssen, nicht ausgeschlossen? Ich gehe von der These aus, dass die Möglichkeit der Kooperation gegeben ist, solange der Antisemitismus bei der deutschen extremen Rechten einen höheren Stellenwert einnimmt als der Rassismus, der sich gegen Muslime als Menschen anderer Herkunft richtet.
Gerade unter dem Aspekt des wiedererstarkten Antisemitismus, insbesondere in Europa und den arabischen Ländern, ist die Rechtsextremismusforschung dazu verpflichtet eine mögliche Allianz zwischen der extremen Rechten und Islamisten zu untersuchen. Dass ein solches Bündnis eine ernsthafte Gefahr für Juden, aber auch für den Staat Israel darstellen würde, darauf hat bereits im Januar 2001 der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, unmissverständlich hingewiesen. Seine Aufforderung ein solches Bündnis genauer zu untersuchen, muss auch als Aufforderung an die Politikwissenschaft verstanden werden.
Gerade unter dem Aspekt der historischen Allianz zwischen den Nationalsozialisten und dem Mufti von Jerusalem, welcher auch der Onkel des heutigen palästinensischen Führers Jassir Arafat ist, und der fast vollständigen Ausrottung des europäischen Judentums durch die Nationalsozialisten, ist die Untersuchung einer solchen Allianz in Deutschland von besonderer Wichtigkeit.
Im Vordergrund dieser Arbeit steht deshalb die Frage, inwieweit und unter welchen Vorraussetzungen deutsche Rechtsextreme bereit sind, sich mittel- bis […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6858
Riebe, Jan: Im Spannungsfeld zwischen Rassimus und Antisemitismus - Das Verhältnis
der deutschenextremen Rechten zu islamistischen Gruppen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Göttingen, Universität, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

Inhalt
1. Einleitung ... 1
1.1 Einführung... 1
1.2 Theoretische Grundlagen ... 2
1.3. Forschungsstand ... 5
1.4 Aufbau, Methode und Quellen... 7
2. Begriffsdefinitionen ... 9
2.1. Rassismus ... 9
2.2. Antisemitismus... 11
2.2.1 Europäisch-christlicher Antisemitismus... 11
2.2.2 Arabisch-islamischer Antisemitismus ... 15
2.3 Extreme Rechte ­ Rechtsextremismus ... 20
2.4 Islamisten... 23
3. Der Nationalsozialismus und sein Verhältnis zum Islam ... 25
3.1 Die ersten Kontakte zwischen dem Mufti und den Nationalsozialisten ... 25
3.2 Zwischen Flucht und Kooperation mit den ,,Achsenmächten"... 27
3.3 Exkurs: Stohrers ,,Islam-Programm" ... 31
3.4 Unterredung des Mufti mit Ribbentrop und Hitler... 32
3.5. Zwischen Agitation und militärischer Unterstützung... 35
3.5.1 Das ,,Büro des Großmufti" in Berlin und die DAL... 35
3.5.2 Das islamische Zentral-Institut in Berlin ... 38
3.5.3 Die islamischen Ostlegionen und die Schulungen durch ,,Mulla-Lehrgänge" ... 39
3.5.4 Islamische Legionen auf dem Balkan... 41
3.5.5 Islamische Schulungszentren der SS ... 45
3.6 Der Mufti als Akteur in der "Endlösung der Judenfrage" ... 46
3.7 Nazis im Nahen Osten im Exil ... 50
4. Ideologische Gemeinsamkeiten ... 52
4.1. Der Islam und der Nationalsozialismus aus der Sicht des Mufti ... 52
4.2 Mohamed Sabry und der Kommunismus als ,,gemeinsamer Feind" ... 55
4.3 Himmler und der Islam... 57
5. Zwischenfazit ... 60
6. Aktuelle Projekte der Zusammenarbeit... 64
6.1 Revisionismus ... 64
6.2 Völkische Solidarität mit islamischen Staaten am Beispiel der Palästina- und
Iraksolidarität... 68
7. Schönhuber als Vordenker einer Allianz mit Islamisten... 76
i

8. Längerfristige Perspektive einer Zusammenarbeit ?
Untersuchung der ´Islam-Kontroverse` in ´Sleipnir` und die Islamdiskussion in den
rechtsextremen Theorieorganen ´Nation & Europa` und ´Criticón` ... 79
8.1 Die Kontroverse in der ´Sleipnir` um das richtige Verhältnis zu Islamisten ... 80
8.2 Nation & Europa ... 87
8.3 Criticón... 94
9. Rassismus der extremen Rechten gegen Muslime... 106
10. Reaktionen der extremen Rechten auf die Terroranschläge vom 11. September 2001
betrachtet unter der Perspektive ihrer möglichen Zusammenarbeit mit Islamisten ... 110
11. Abschlussdiskussion ... 117
Abkürzungsverzeichnis:... 123
Quellen- und Literaturverzeichnis... 124
ii

1. Einleitung
1.1 Einführung
Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Islamisten? Diese Frage, der
innerhalb der Rechtsextremismusforschung durchaus vereinzelt schon vor den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington nachgegangen
wurde
1
, erhielt jedoch durch diese eine neue Bedeutung.
2
Angesichts des Rassismus der
deutschen extremen Rechten erscheint eine politische Kooperation mit Muslimen erst einmal
als Widerspruch. Dass eine solche Konstellation aber nicht nur theoretisch, sondern auch
praktisch möglich ist, belegt neben aktuellen Beispielen
3
auch die historische Allianz zwischen
den Nationalsozialisten und dem islamistischen und palästinensischen Führer Haji Amin el-
Husseini, dem Mufti von Jerusalem.
Ist eine Kooperation in diesem Ausmaß jedoch unter den heutigen Umständen überhaupt noch
denkbar, oder ist sie auch aufgrund der vielen in Deutschland lebenden Muslime, die oftmals
im rassistischen Diskurs der deutschen extremen Rechten als Sinnbild für die Einwanderung
herhalten müssen, nicht ausgeschlossen? Ich gehe von der These aus, dass die Möglichkeit der
Kooperation gegeben ist, solange der Antisemitismus bei der deutschen extremen Rechten
einen höheren Stellenwert einnimmt als der Rassismus, der sich gegen Muslime als Menschen
anderer Herkunft richtet.
Gerade unter dem Aspekt des wiedererstarkten Antisemitismus
4
, insbesondere in Europa und
den arabischen Ländern, ist die Rechtsextremismusforschung dazu verpflichtet eine mögliche
1
Vgl. hierzu Kapitel 1.3.
2
Dass Islamisten und Rechtsextremisten zum Teil identische Wahnvorstellungen haben, haben die schrecklichen Ereignisse
des 11. September 2001 deutlich belegt. Das sich an jenem Tag abspielende Szenario war zumindest teilweise keine
´Erfindung` der islamistischen Attentäter, sondern war schon in den 80er Jahren Gegenstand rechtsextremer Fantasien -
welche in der ´Bibel` der amerikanischen extremen Rechten, den ´Turner Diaries`, dargestellt wurden. In diesem, von dem
wohl bekanntesten Rechtsextremisten Amerikas und erst kürzlich verstorbenen William Pierce geschriebenen antisemitischen
Hetzwerk, schildert der Autor den Untergang New Yorks ­ des ,,jüdisch dominierten und verseuchten Zentrums des
Weltkapitals" ­ und beschreibt, wie ,,100 Stockwerke der Wolkenkratzer" in sich zusammenbrechen. Zum Schluss begeht der
Held der Geschichte ein Selbstmordattentat. Er lässt sein Flugzeug, welches eine 60-Megatonnen-Bombe an Bord trägt, ins
Pentagon stürzen.( Eine deutsche Übersetzung der ´Turner Diaries` ist im Internet unter:
http://www.natvan.com/german-
turner/
[Stand 21. Juni 2002] abrufbar.) Aber auch schon die Nationalsozialisten wollten ,,Manhattan in einem Flammenmeer
verbrennen lassen [ um den Juden eine Lektion zu erteilen" (vgl. ´Jochen Thies`: Bomben auf Manhattan, in. DIE ZEIT Nr.
39/2001, S. 18).
Angesichts dieser Überschneidungen und dem zum Teil deutlichen Sympathiebekundungen mit den Flugzeug-Terroristen, da
der gemeinsame Feind getroffen worden sei [vgl. Kap. 10], förderte ein gesteigertes Interesse an Wissen über eine mögliche
Zusammenarbeit von Rechtsextremisten und Islamisten.
3
Vgl. Kap. 6.
4
Nach einer Ende Juni 2002 veröffentlichte Studie der Anti-Defamation League (ADL) ist in mehreren europäischen Staaten,
insbesondere in Deutschland, ein stark vorhandener Antisemitismus festgestellt worden. Welcher sich besonders im Zuge des
Nahostkonflikts verstärkt in antiisraelischen Ressentiments äußere. In den letzten Jahren ist in Deutschland auch eine
Zunahme antisemitisch motivierter Gewalttaten registriert worden. (vgl. Presseerklärung zur ADL-Studie, im Internet online
1

Allianz zwischen der extremen Rechten und Islamisten zu untersuchen. Dass ein solches
Bündnis eine ernsthafte Gefahr für Juden, aber auch für den Staat Israel darstellen würde,
darauf hat bereits im Januar 2001 der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul
Spiegel, unmissverständlich hingewiesen. Seine Aufforderung ein solches Bündnis genauer zu
untersuchen, muss auch als Aufforderung an die Politikwissenschaft verstanden werden.
5
Gerade unter dem Aspekt der historischen Allianz zwischen den Nationalsozialisten und dem
Mufti von Jerusalem, welcher auch der Onkel des heutigen palästinensischen Führers Jassir
Arafat ist
6
, und der fast vollständigen Ausrottung des europäischen Judentums durch die
Nationalsozialisten, ist die Untersuchung einer solchen Allianz in Deutschland von besonderer
Wichtigkeit.
Im Vordergrund dieser Arbeit steht deshalb die Frage, inwieweit und unter welchen
Vorraussetzungen deutsche Rechtsextreme bereit sind, sich mittel- bis langfristig an
islamistische Gruppierungen anzunähern und welche Gemeinsamkeiten sich auf ideologischer
Ebene zwischen den jeweiligen Gruppierungen aufzeigen lassen, oder ob eine Zusammenarbeit
rein strategischen Überlegungen geschuldet ist.
1.2 Theoretische Grundlagen
Da das Thema dieser wissenschaftlichen Arbeit die Untersuchung des Verhältnisses der
extremen Rechten in Deutschland zu islamistischen Gruppen im Spannungsfeld von Rassismus
und einer Sonderform des Rassismus, dem Antisemitismus, ist, verwende ich für diese
Untersuchung als theoretische Grundlage eine Rassismustheorie.
Aufgrund der dieser Fragestellung implizierten These, dass es bei der extremen Rechten in
Deutschland eine unterschiedliche Priorität bei der eigenen Bewertung ihrer rassistischen
Konstruktion auf der einen Seite, und der antisemitischen Konstruktion auf der anderen Seite
gibt, ist die daraus folgernde unterschiedliche Konstruktion des ,,Anderen" durch die extreme
Rechte in Deutschland ein zentraler Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Da der
untersuchte Gegenstand ein noch weitgehend unerforschter ist, erschien keine Theorie als
vollkommen für die Untersuchung geeignet. Im wesentlichen greife ich deshalb auf eine von
unter:
http://www.adl.org/PresRele/ASInt_13/4118_13.asp
[Stand 1.10.02] und ,,Zunahme antisemitischer Straftaten in
Deutschland", im Internet online unter:
http://www.hagalil.com/archiv/2000/08/antisemitismus.htm
[Stand 1.10.02].
5
Vgl. ,,Spiegel warnt vor Zusammengehen von Neonazis und Islamisten", dpa-Meldung ohne Datumsangabe, im Internet
online unter: http://www.jgdus.de/paul_spiegel.htm [Stand 12.07.02].
6
Vgl. ´Burkhard Schröder`: Führer unter sich, in: TIP vom 29.5.96, im Internet online unter:
http://www.burks.de/artikel/tip2296.html [Stand 2.7.02].
2

Michael Minkenberg kritisch dargelegte Theorie zurück, die um für die Untersuchung
anwendbar leicht modifiziert wurde. Im Folgenden soll diese nun vorgestellt werden:
Minkenberg beschreibt Rassismus als eine Konstruktion der dafür notwendigen Komponenten.
Diese konstruierten Komponenten bestehen aus dem ´Eigenen`, welcher sich in der extremen
Rechten aus dem Wir-Gefühl im Nationsgedanke (´Volksgemeinschaft`) speist, und in einem
untrennbaren Wechselverhältnis mit den konstruierten ´Anderen` ­ Freund, Feind und Fremder
­ stehe.
7
Die Kategorien des konstruierten ´Anderen` übernimmt Minkenberg vom polnischen
Soziologen Zygmunt Baumann.
8
Während der Feind in einem antagonistischen Verhältnis zum Freund stehe und dessen
´Umkehrung` darstelle, verweist Minkenberg darauf, dass es sich bei dem Kriterium des
´Fremden`, ,,um eine soziale Konstruktion, um eine Differenzierung im Imaginären handelt,
die darum aber nicht weniger real ist und sich immer auf real vorhandene Kriterien bezieht"
9
.
Bei diesen Kriterien kann nach Minkenberg
,,zwischen »primordalen« oder phänotypischen
Merkmalen (z.B. Hautfarbe), kulturellen Merkmalen (Religion) und Herkunftsmerkmalen
(Region) unterschieden werden, die jeglicher askriptiven Differenzierung und Zuschreibung
sozialer Identität zugrunde liegen".
10
Er verweist ferner darauf, dass die Basis für Fremd- und
Eigenidentität im klassischen Rassismus geschaffen wird, indem soziale und kulturelle mit
biologischen und/oder angeborenen Merkmalen verknüpft werden. Dies geschehe allerdings im
Kontext von gesellschaftlichen Macht- und Mehrheitsverhältnissen und sei daher kein
Ausdruck einer ,,natürlichen" oder anthropologischen konstanten Verhaltensweise, sondern
vielmehr einer ideologischen Praxis.
Als Unterscheidungsmerkmale der Dichotomien `Freund` und `Feind` führt Minkenberg das
,,Kriterium der Naturalisierung von Differenzen" an, welches auf Fremde, aber nicht auf
Feinde zutreffe.
Da ´Rassen` ein Konstrukt sind und so von einem ,,Rassismus ohne Rassen" gesprochen
werden muß, haben sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung die Konzepte von
Ethnizität und der Ethnien durchgesetzt, um Ausgrenzungsmechanismen besser begreifen zu
können.
11
Laut Minkenberg ergibt sich jedoch ein Definitionsproblem. Der ursprüngliche
griechische Begriff ethnos könne mit Stamm, Volk oder Nation übersetzt werden, während der
7
Vgl. ´Michael Minkenberg`: Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland, Wiesbaden 1998, S.
115.
8
Baumann legt diese Kategorien in seinem Aufsatz ,,Moderne und Ambivalenz" dar. Erstmals auf deutsch erschienen in:
´Ulrich Bielefeld` (Hrsg.); Das Eigene und das Fremde : neuer Rassismus in der alten Welt?, Hamburg 1991, S. 23-49.
9
Michael Minkenberg, a.a.O., S. 115. In diesem Punkt steht Minkenberg im Widerspruch zu der im Kapitel 2.1. dargestellten
Rassismusdefinition von Memmi, der im Gegensatz zu Minkenberg nicht die Auffassung vertritt, dass die Differenzierung sich
immer auf real vorhandene Kriterien beziehen muss.
10
Alle folgenden Zitate aus: Michael Minkenberg a.a.O., S. 115-116.
11
Vgl. ebenda, S. 116f.
3

französische Begriff ethnie, ,,eine historische Gemeinschaft mit kultureller Spezifik"
12
meine.
Eine Unterscheidung des ´Eigenen` und des ´Fremden` anhand kultureller Gemeinsamkeiten,
wie durch den Begriff ethnie in diesem Zusammenhang intendiert, lehnt Minkenberg ab, weil
damit ,,alles und nichts gesagt"
13
werde.
Ein drittes u.a. von Heitmeyer
14
favorisiertes Konzept schlägt vor, dass beide vorherigen
Konzepte (ethnos und ethnie) von Ethnizität ,,in den Dienst verschiedener
Herrschaftsfunktionen und Interessen genommen werden, [und] je nach ihrer »Nutzbarkeit als
Joker«"
15
eingesetzt werden können. Minkenberg kritisiert, dass das Konzept nur bedingt
helfe, da dadurch das Problem nur auf eine andere Ebene verlagert werde ­ nämlich auf die
Untersuchung der variablen Herrschaftsinteressen und Machtstrukturen. Auf diese Arbeit
angewendet handelt es sich dann jedoch für die Zeit nach dem Nationalsozialismus nicht um
eine Untersuchung der Herrschaftsinteressen im eigentlichen Sinn, sondern um Interessen der
Rechtsextremisten zur Erlangung der Herrschaft. Aber auch gerade unter diesem Aspekt, dass
die Zusammenarbeit von Islamisten mit deutschen Rechtsextremen, im ersten Teil unter der
Prämisse, dass die extreme Rechte die Herrschenden stellte und im zweiten Teil sie diese
Herrschaft ´nur` anstreben, untersucht wird, macht diesen theoretischen Ansatz für diese Arbeit
interessant. Daher soll trotz der von Minkenberg vorgetragenen Kritik diesem dritten Konzept
in dieser Arbeit gefolgt werden.
Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass es durch das vorgestellte Konzept zu einer
Differenzierung des ´Anderen` kommen kann. Durch diesen Prozess der im Folgenden als eine
´Ethnisierung des Politischen` bezeichnet werden soll, können Islamisten generell als Vertreter
gleicher Politikansätze wahrgenommen werden. Während ´die Juden` ebenfalls durch diese
´Ethnisierung des Politischen` als Vertreter absolut konträrer Politikansätze ethnisiert werden
können. Somit kann eine ´Ethnisierung des Politischen` einerseits zur einer Wandlung vom
´Fremden` zum ´Freund` (bei Islamisten) und anderseits vom ´Fremden` zum ´Feind` (bei
Juden) konstruiert werden. Aber auch eine genau umgekehrte Konstruktion ist demnach
denkbar, wenn dies den Machtstrukturen und Herrschaftsinteressen entspricht. Die Theorie
besagt demnach, dass durch eine Ethnisierung festlegt wird, wer zum ´Eigenen` gezählt und
wer als ´Anderer` konstruiert wird. Die Unterteilung des ´Anderen` in ´Freund`, ´Feind` und
´Fremder` wird durch diese erwähnten Herrschaftsinteressen und Machtstrukturen konstruiert.
12
Ebenda, S. 117.
13
Ebenda.
14
Vgl. ´Wilhelm Heitmeyer`: Ethnisch kulturelle Konfliktdynamiken in gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen, in:
´Wilhelm Heitmeyer` / ´Rainer Dollhase` [Hrsg.]: Die bedrängte Toleranz. Ethnisch-kulturelle Konflikte, religiöse Differenzen
und die Gefahren politisierter Gewalt. Frankfurt/Main 1996.
15
Ebenda.
4

Es muss jedoch konstatiert werden, dass aufgrund der sich zum Teil stark überlappenden
verschiedenen rechtsextremen Denkmuster ,,wie z.B. des Antisemitismus an der Schnittstelle
von biologistischem Rassismus, Ethnozentrismus und Religio-Zentrismus"
16
, eine durch die
deutsche extreme Rechte vorgenommene allgemeingültige Trennung, wer als ´Feind` und wer
als ´Fremder` betrachtet wird, nicht generell möglich ist.
Es ist zu untersuchen, ob die Ethnisierung des Politischen in Abhängigkeit von dem
empfundenen Bedrohungsszenarium
17
für das ´Eigene`, also der imaginären Nation (Benidict
Anderson), steht und demzufolge zu einer unterschiedlichen Einstufung des ´Anderen` - im
untersuchten Gegenstand der ´Juden` und der ´Islamisten` - führt. Von dieser unterschiedlichen
Bewertung, die laut der These auf die jeweilige Interessenslage und Machtstruktur
zurückzuführen ist, hängt eine mögliche Zusammenarbeit mit den Islamisten ab, die untersucht
werden soll.
Bei der Darstellung kann nicht immer eine klare Trennung zwischen ´Arabern` und
´Muslimen` vorgenommen werden, da diese klare Trennung auch nicht von der extremen
Rechten vollzogen wird. Die Rechtsextremen sind sich aber darüber im Klaren, dass eine
Zusammenarbeit mit Arabern immer auch gleichzeitig eine Zusammenarbeit mit Muslimen
bedeutet. Dies ist allein schon der Tatsache geschuldet, dass zwischen 90% und 99% der
Araber Muslime sind.
18
1.3. Forschungsstand
Die etablierte Rechtsextremismusforschung hat sich bis zu den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 vor allem auf Einzelaspekte der Kooperation von deutschen
Rechtsextremisten und Islamisten beschränkt und diese isoliert betrachtet. Einer dieser isoliert
betrachteten Aspekte dieser Zusammenarbeit stellen die Untersuchungen zum Verhältnis des
Mufti von Jerusalem, Haji Al-Husseini, und den Nationalsozialisten dar. Dass diese
Zusammenarbeit mittlerweile als gut erforscht anzusehen ist, liegt vor allem an der
Pionierarbeit jüdischer Wissenschaftler. Allen voran sind da Simon Wiesenthal und Joseph B.
16
Vgl. Minkenberg, a.a.O, S. 118.
17
Das empfundene Bedrohungsszenario ist möglicherweise durchaus von tagesaktuellen Ereignissen abhängig. So kann
beispielsweise bei der extremen Rechten der Anschlag auf die Synagoge in Djerba, bei dem 18 deutsche Touristen starben, so
ein Ereignis sein, welches zu einer ,,Ethnisierung des Politischen" führt, während der viel verheerendere Anschlag vom
11.9.01 aufs WTC als Anschlag aufs ,,verjudete" New York begrüßt wurde (Zu den antisemitischen Reaktionen der deutschen
Rechtsextremen vgl. Kap. 10).
18
Vgl. ´Dr. Mario von Baratta`: Der Fischer Weltalmanach 2002, Frankfurt/Main 2001.
5

Schechtmann zu nennen. Simon Wiesenthal legte bereits 1947 einen Bericht zu der
Zusammenarbeit des Mufti mit den Nationalsozialisten vor.
19
Dieser Bericht sollte vor allem
dem Ziel dienen, den Mufti wegen Kollaboration mit den Nationalsozialisten vor ein Gericht
zu bringen ­ es ist jedoch nie zu einer Anklage gekommen. Während Wiesenthals Bericht in
vielen Punkten keine Beweise vorlegte, schloss Joseph Schechtmann 1965 mit seinem Buch
,,The Mufti and the Fuehrer" weitgehend diese Lücke
20
. In der Folgezeit erschienen vor allem
Werke, in denen diese Zusammenarbeit zwar thematisiert, aber nicht als Hauptgegenstand
behandelten wurde. Dabei ist besonders das Buch von Tillmann
21
, welches die deutsche
Arabienpolitik während des ´Dritten Reiches` aus einer sozialistischen Perspektive betrachtete
und die autobiographischen Aufzeichnungen des deutschen Gesandten Grobba
22
im Irak
während des ´Dritten Reichs` zu erwähnen. Auch Autoren, die sich ausschließlich mit dem
Leben des Mufti beschäftigten, erwähnen die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten nur
als Randaspekt - dies trifft besonders auf die Dissertation von Mattar zu
23
. Erst wieder Klaus
Gensicke stellte mit seiner Dissertation die Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit den
Mufti in den Mittelpunkt seiner Arbeit.
24
Weitere dargestellte Einzelaspekte dieser Zusammenarbeit zwischen der deutschen extremen
Rechten und Islamisten finden sich gehäuft zur Zeit des Zweiten Golfkrieges wieder. Erwähnt
wurde diese Zusammenarbeit sowohl in Zeitungen und Zeitschriften
25
, als auch detaillierter in
antifaschistischen Publikationen
26
. In diesem Zusammenhang wurde auch sehr vereinzelt auf
die historische Allianz zwischen den Nationalsozialisten und dem Mufti hingewiesen.
27
Ein
weiterer Aspekt, der in den letzten Jahren verstärkt thematisiert wurde, war die
Zusammenarbeit deutscher Rechtsextremisten mit Islamisten auf dem Gebiet des
Revisionismus.
28
Erst durch den Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, der durch zwei Islamisten
verübt wurde, bei denen die Polizei u.a. Hitler-Bilder fand, und die Terroranschläge vom 11.
September 2001 rückte die Gesamtbetrachtung diese Komplexes verstärkt in das Blickfeld der
19
Vgl. ´Simon Wiesenthal`: Großmufti ­ Großagent der Achse, Salzburg-Wien 1947.
20
Vgl. ´Joseph B Schechtmann`: The Mufti and the Fuehrer, New York 1965.
21
Vgl. ´Heinz Tillmann`: Deutschlands Araberpolitik im Zweiten Weltkrieg, Berlin 1965
22
Vgl. ´Fritz Grobba`: Männer und Mächte im Orient, Göttingen 1967.
23
Vgl. ´Phillip Mattar`: The Mufti of Jerusalem, New York 1988.
24
Vgl. ´Klaus Gensicke`: Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt/Main 1988.
25
Vgl. beispielsweise: ,,Hey, Saddam", in: DER SPIEGEL Nr. 5 1991, S. 97.
26
Vgl. beispielsweise: ,,Die deutsche Rechte drückt Saddam Hussein die Daumen", in: Antifaschistische Nachrichten vom
15.02.1991, S. 8.
27
Vgl. beispielsweise ´Peter Kratz`: Antisemitismus als Basis treudeutscher Palästina-Solidarität, in: Der Rechte Rand, Nr.12,
Mai 91, im Internet online unter:
http://home.snafu.de/bifff/ANTISEM.htm
[Stand 17.07.02].
28
Vgl. beispielsweise
´
Deborah E Lipstadt`: Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode, Hamburg 1996, S.
52f. und ´Götz Nordbruch`: Holocaustleugnung und Kampf gegen »Normalisierung«, in: Der Rechte Rand September/Oktober
2001, S. 19 - 20.
6

Politikwissenschaft. Als erste ausführlichere wissenschaftliche Darstellung dieser
Zusammenarbeit ist die Arbeit von Heribert Schiedel und Anton Maegerle zu nennen
29
.
Darüber hinaus erschienen in verschiedenen Tageszeitungen Beiträge, die eine solche
Zusammenarbeit thematisierten
30
. Bis auf den Aufsatz von Maegerle/Schiedel, der sich aber
auch auf die, allerdings detaillierte Darstellung der Verbindungen zwischen Islamisten und
deutschen und österreichischen Rechtsextremisten beschränkt, und einem Aufsatz von Ursula
Birsl
31
, stellt die Erforschung der politischen Nähe von Islamisten und deutschen
Rechtsextremisten ein Defizit in der Politikwissenschaft dar.
1.4 Aufbau, Methode und Quellen
Die Arbeit gliedert sich in zwei große Themenblöcke, die den Definitionen der verwendeten
Begriffe angeschlossen sind. Da die Bezeichnungen ,,Rassismus", ,,Antisemitismus",
,,Rechtsextremismus" und ,,Islamist" bzw. ,,Islamismus" in der Forschung als umstritten gelten
können und vielfältig verwendet werden, wird zu Beginn der Arbeit festgelegt, wie die
Begriffe in diesem Kontext zu verstehen sind.
Der erste Teil beschäftigt sich daran anschließend mit der Geschichte der Zusammenarbeit
zwischen dem NS- Regime und den verschiedenen arabischen Organisationen und
Führungspersönlichkeiten wie insbesondere dem Mufti von Jerusalem als historischem
Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen islamischen Führern und der extremen Rechten
bzw. den Nationalsozialisten. Dabei werden einerseits die verschiedenen Facetten und
Probleme der Kooperation benannt, andererseits anhand ausgewählter Texte die ideologischen
Überschneidungen zwischen Islamismus und Nationalsozialismus dargestellt und analysiert.
Anhand der ausführlichen Darstellung der Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit dem
Mufti soll aufzeigt werden, ob die Gründe der Zusammenarbeit eher von strategisch-taktischen
Überlegungen oder von einer ideologischen Überschneidung geprägt waren und auf welchen
Ebenen die ideologischen Überschneidungen vorhanden waren. Aber es soll auch untersucht
werden, ob und welche Grenzen es für die Zusammenarbeit gab, inwieweit der Rassismus der
29
Vgl. ´Anton Maegerle`/´Heribert Schiedel`: Krude Allianz - Das arabisch-islamistische Bündnis mit deutschen und
österreichischen Rechtsextremisten, im Internet auf der Homepage der Dokumentationsstelle österreichischer Widerstand
erschienen unter:
http://www.doew.at/thema/rechts/allianz.html
[Stand 12.8.02]und Rainer Fromm`: Reichskriegsflagge und
Halbmond, in Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 21. Dezember 2000.
30
Vgl. beispielsweise: ´Eberhard Seidel`: Gesichter des Antisemitismus, in: die tageszeitung vom 9.12.2000, im Internet
online unter:
http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2000/12/antisemitismus.htm
[Stand 04.06.02].
31
´Ursula Birsl`/´Ersen Bucak`/´Can Zeyrek`: Religiöser Fundamentalismus oder politischer Rechtsextremismus? Islamische
Organisationen und Aktivitäten in der Bundesrepublik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni 2002, S. 720 ­
727.
7

Nationalsozialisten eine Zusammenarbeit erschwert oder in Teilen unmöglich gemacht hat. Der
Rückgriff auf die Historie scheint aber auch gerade vor dem Hintergrund einer erneuten
Kooperation zwischen deutschen Rechtsextremen und Islamisten von Bedeutung und könnte
diesen als positiver Anknüpfungspunkt dienen. Nach dem historischen und historisch-
ideologischen Abschnitt wird im zweiten Teil untersucht, ob unter dem Eindruck, dass
Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, in dem auch viele Muslime leben und in
dem für Ethnopluralisten das Bedrohungsszenario ´Islam` als Gegner des ´christlichen
Abendlandes` allgegenwärtig ist, eine Zusammenarbeit mit Islamisten nach wie vor vorstellbar
ist. Sollte dem so sein,
stellt sich wie im historischem Teil die Frage, ob die Basis dafür eine
überschneidende Ideologie ist, die manifeste Grundlagen für gemeinsame politische Arbeit
bietet oder ob es sich doch nur um rein strategische Überlegungen handelt, die keine
langfristige Perspektive der Vernetzung ergeben können. Die Überschneidungen und
Differenzen werden sowohl anhand tatsächlich stattfindender Zusammenarbeit, wie z.B.
Solidaritätskampagnen für Palästina und den Irak, als auch den theoretischen Debatten
innerhalb der extremen Rechten über den Islam untersucht. Als Quellengrundlage dienen
hierzu insbesondere die Theoriezeitschrift der ´Neuen Rechten`, die `Criticón`, und das
,,Strategie- und Theorieorgan der Rechtsextremisten"
32
, ´Nation & Europa`, aber auch andere
Zeitungen der extremen Rechten wie ´Sleipnir`, ´Signal`, ´wir selbst` und weitere.
Auch wenn gerade nach den Terroranschlägen vom 11. September zunehmend über eine
Allianz von Rechtsextremisten und Islamisten diskutiert wurde und wird, spielen die
Reaktionen auf den 11. September in dieser Arbeit nur eine untergeordnete Rolle. Eine
Fixierung auf die Rezeption des 11. Septembers durch Rechtsextreme, unter der Betrachtung
einer sich daraus wohlmöglich ergebenden Allianz mit Islamisten, könnte nur eine
Momentreaktion widerspiegeln und nicht aussagekräftig für eine mittel- bis langfristige
Zusammenarbeit von der extremen Rechtem mit Islamisten sein.
Während sich
die Untersuchungen im ersten Teil überwiegend auf Sekundärliteratur stützen,
liegt im zweiten Teil im wesentlichen eine Quellenstudie vor. Dies ist u.a. dem Umstand
geschuldet, dass der untersuchte Gegenstand, wie schon zuvor erwähnt, zwar zunehmend
Eingang in die Forschung über Rechtsextremismus findet, die Veröffentlichungen dazu
allerdings noch nicht sehr zahlreich sind.
32
Vgl. Bundesministerium des Inneren (Hrsg.): ,,Verfassungsschutzbericht 2001", Berlin 2002, S. 129.
8

2. Begriffsdefinitionen
2.1. Rassismus
,,Die Absurdität des Rassismus erhöht sich noch durch die Unmöglichkeit, sich irgendwie auf
eine allgemeingültige Definition für ´Rasse` festzulegen: Fast jeder der zahlreichen Autoren und
Theoretiker hat seinen eigenen ´Rassen`- Begriff"
33
Semantisch greift der Rassismus auf die Kategorie ´Rasse` zurück, so dass es erst einmal gilt,
diesen Begriff zu erklären. Im modernen Sinn taucht die Bezeichnung der Rasse zuerst im
Frankreich des späten 17. Jahrhunderts auf. Der Arzt und Forschungsreisende François Bernier
benutzte ,,race" als Synonym für ,,espèce" (Spezies, Art, Gattung). Vom französischen ,,race"
wurde das Wort dann eingedeutscht.
34
Es diente somit vor allem in der Biologie zur Einteilung
der Menschen in ´Großgruppen`, wurde dann aber von Rassisten zur pseudowissenschaftlichen
Legitimation ihres Rassismus benutzt. Die Anzahl der definierten menschlichen ´Rassen`
schwankt allerdings zwischen zwei und dreiundsechzig.
35
Dies zeigt deutlich, dass jedem
Rassismus erst einmal eine Rassenkonstruktion vorausgeht und er somit nicht auf empirischen
Wahrheiten beruht. Jost Müller schreibt dazu, ,,eine Konstruktion von ´Rassen` ist die
Voraussetzung für Rassismus, denn Rassismus realisiert die Rassenkonstruktion, indem er sie
konkretisiert."
36
Die Wiege des modernen Rassismus ist das Europa des 18. Jahrhunderts
37
und liegt somit in
der Ära der Aufklärung. ,,Der Rassismus wurzelte sowohl in der Aufklärung als auch in der
religiösen Wiedererweckungsbewegung des 18. Jhdts.", so Mosse.
38
Der Begriff "Rassismus" selbst taucht allerdings erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhundert
auf.
39
Der "klassische" Rassismus beruft sich vornehmlich auf biologische Unterschiede und
behauptet, dass die eigene konstruierte ´Rasse` anderen ´Rassen` biologisch überlegen sei.
Damit wird die Herabsetzung und Ausgrenzung von Menschen anderer Herkunft und
ethnischer Zugehörigkeit begründet und legitimiert. Dagegen betonen neuere
Ausgrenzungsideologien eher die kulturellen Unterschiede und begründen damit die
33
Vgl. ´Immanuel Geiss`: Geschichte des Rassismus, Frankfurt/Main 1988, S. 38.
34
Ebenda, S. 16f.
35
Ebenda, S. 39.
36
´Jost Müller`: ,,Rassismus und die Fallstricke des gewöhnlichen Antirassismus. Diskurs, Formation und Funktion des
Rassismus in Ökonomie und Politik", S. 63, in: Widerspruch, Jg. 21/ Heft 21, S. 59-75.
37
Vgl. ´George L Mosse`: Rassismus. Ein Krankheitssymptom in der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts,
Königstein/Ts. 1978, S. 9.
38
Ebenda, S. 10.
9

angebliche Überlegenheit der ´eigenen` Gruppe. Diese kulturellen Unterschiede werden wie im
´klassischen` Rassismus ,,als naturgegebene Fähigkeit einer Bevölkerung"
40
konstruiert.
Sowohl der biologische als auch der kulturelle Rassismus schafft erst die notwendigen
Voraussetzungen das ´Eigene` und somit automatisch auch das ´Andere` zu konstruieren. Auf
die Konstruktion des ´Eigenen` und der verschiedenen Konstrukte des ´Anderen` wurde bereits
unter der Heranziehung der Rassismustheorie bei Minkenberg im Abschnitt 1.3. eingegangen.
Eine wissenschaftliche Legitimation wurde mit der Einführung des Begriffs Rasse in
verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen als Kategorie zur Systematisierung menschlicher
Kollektivgruppen erreicht.
Es gibt viele im Detail unterschiedliche Rassismusdefinitionen. Eine der anerkanntesten
Definitionen in der Wissenschaft ist die des Tunesiers Albert Memmi, da sie sowohl den
kulturellen, als auch den biologistischen Rassismus umfasst. Seine Definition, die im
Folgenden dargelegt wird, setzt sich v.a. aus vier Elementen zusammen:
1) Der Betonung von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden zwischen dem Rassisten und
dem Opfer
2) Der Wertung dieser Unterschiede
3) Der Verallgemeinerung und Verabsolutierung der Unterschiede und damit
4) Der Legitimierung einer Aggression oder eines Privilegs.
41
Daraus ergibt sich folgende Rassismusdefinition bei Memmi:
"Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver
Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine
Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen"
42
.
."
Zur Verstärkung des Ausschlusses bzw. der Ausgrenzung des Opfers aus einer Gemeinschaft
dient die Betonung des Unterschieds zwischen dem Rassisten und dem Opfer: ,,Es ist nicht der
Unterschied, der stets den Rassismus nach sich zieht, es ist vielmehr der Rassismus, der sich
den Unterschied zunutze macht. [...] Wenn es keinen Unterschied gibt, wird er vom Rassisten
erfunden; gibt es ihn hingegen, dann wird er von ihm zu seinem Vorteil interpretiert"
43
.
Zur Benennung dieser Unterschiede kommt eine Wertung hinzu, die die Unterlegenheit des
Opfers und die Überlegenheit des Rassisten beweisen soll. Die Merkmale des ´Anderen` tragen
39
Vgl. ´Robert Miles`: ,,Geschichte des Rassismus", in Burgmer, Christoph: ,,Rassismus in der Diskussion", a.a.O., S. 18ff.
40
Vgl. ebenda, S. 10.
41
Vgl. ´Albert Memmi`: Rassismus, Hamburg 1992, S. 165.
42
Ebenda, S. 164.
43
Ebenda, S. 167.
10

stets ein negatives Gewicht, was zugleich heißt, dass die Merkmale des Rassisten positiv
besetzt sind.
Der Rassismus hat immer ein kollektives Element, das zur Verabsolutierung, zur
gesellschaftlichen und zeitlichen Verallgemeinerung führt. Die zugeschriebenen negativen
Eigenschaften gelten immer für alle Angehörigen einer Gruppe (ob konstruiert, typisiert oder
real) und zwar zeitlich unbeschränkt. Dieses kollektive Urteil führt somit zu einer
Entindividualisierung. Das Individuum wird als Mitglied einer sozialen Gruppe betrachtet,
deren Eigenschaften es zwangsläufig und endgültig besitzt. Die Charakterisierung des Opfers
dient zur Rechtfertigung und Legitimierung für die Unterdrückung und Aggression.
2.2. Antisemitismus
2.2.1 Europäisch-christlicher Antisemitismus
,,Der Antisemitismus heute gilt den einen als Schicksalsfrage der Menschheit, den anderen als
bloßer Vorwand".
44
Was ist Antisemitismus? Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses erscheint es schwierig,
Antisemitismus zu definieren. Allein schon bei der Eingrenzung des Begriffs tauchen
Probleme auf. So kritisiert Memmi, dass der Begriff des Antisemitismus zu weit sei.
45
In der Wissenschaft wird er gemeinhin als ,,Sonderfall von Rassismus"
46
angesehen. Der
israelische Historiker Moshe Zimmermann definiert Antisemitismus als ein Vorurteil, welches
,,«die» Juden ­ als vermeintliche Rasse, Nation, Religionsgemeinschaft oder soziale Gruppe ­
pauschal negativ bewertet und daraus im relevanten Fall auch soziale oder politische
Konsequenzen zieht"
47
.
Der Begriff ´Antisemitismus` wurde ursprünglich 1879 im Umkreis des Journalisten Wilhelm
Marr geprägt, ,,um die Form einer sich wissenschaftlich verstehenden und säkular begründeten
Ablehnung von Juden von der alten, nur emotionalen und religiösen Antipathie abzuheben"
48
.
Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff Antisemitismus "Semitenfeindschaft", diese
Feindschaft richtet sich aber ausschließlich gegen Juden, auch wenn die wörtliche Übersetzung
44
´Max Horkheimer`/ ´Theodor W. Adorno`: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947, S. 199.
45
´Memmi`, a.a.O., S. 165.
46
´Minkenberg`, a.a.O., S. 119, Tabelle 3.1.
47
´Moshe Zimmermann`,: Der neue Antisemitismuskatechismus, im Internet online unter
http://antisemitismus.juden-in-
europa.de/europa/antisemiten.htm
[Stand 3.10.02].
48
´Werner Bergmann`: Geschichte des Antisemitismus, München 2002, S. 6.
11

,,Semitenfeindschaft" immer wieder zum Anlass genommen wird, um zu behaupten, ´Semiten`
könnten gar keine Antisemiten sein.
49
Der Begriff ,,Semit" ist jedoch lediglich eine
linguistische Kategorie, die sich dementsprechend weder auf Abstammung noch Nation
bezieht, sondern ausschließlich auf die Familie der semitischen Sprache, zu denen Arabisch,
Hebräisch und Armenisch gehören.
50
Die Aneignung antisemitischer Ideologie durch
´Semiten` schließt sich somit keinesfalls aus.
Um Antisemitismus begrifflich von Antijudaismus abgrenzen zu können, erscheint es zunächst
sinnvoll, die vorrangig religiös motivierte Judenfeindschaft darzustellen.
Das Phänomen des Antijudaismus reicht Jahrtausende zurück: Seit der Zerstreuung der Juden
in alle Welt nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. durch römische Truppen und
der arabischen Eroberung im 7. Jahrhundert, sind antijüdische Vorfälle bekannt. Nach Schoeps
hat diese Form der Judenfeindschaft ,,ihre Wurzeln in religiösen Überzeugungen, und zwar in
der christlich-jüdischen Differenz, genauer in der Ablehnung des Judentums durch das
Christentum und die christliche Welt"
51
. Bis heute werfen einige Christen ´den Juden` vor,
´ihren Erlöser Jesus Christus` ermordet zu haben. Dieser Antijudaismus schlägt sich auch im
christlichen Schrifttum nieder und findet so seine Tradierung über die Jahrhunderte hinweg.
Besonders im fanatisierten Klima der Kreuzzüge (11. - 13. Jahrhundert) kam es zu schweren
Ausschreitungen gegen die ´Christusmörder`. Der Jude wurde zum Sinnbild des
,,Antichristen"
52
. So sind viele Fälle überliefert, bei denen es bei Kreuzzügen zu
Massenmorden an Juden kam und ganze Gemeinden ausgelöscht wurden (z.B. in Worms,
Metz, Speyer und Mainz). In vielen Städten u.a. Trier suchten einige
Juden in der Taufe ihre
Rettung, denn ihr Rabbiner Micheas meinte: ,,es sei besser Christ zu sein, als Tag und Nacht
für sein Leben zittern zu müssen"
53
. Die Kreuzzüge endeten in dem Moment, als sich die Juden
unterwarfen, ihrem Glauben abschwörten und Christen wurden.
54
Um sie gleich erkennen zu
können, wurde im Jahr 1215 auf dem Lateralkonzil verfügt, dass Juden durch eine besondere
Kleidung oder Abzeichen gekennzeichnet sein müssten.
49
Dieses Begründungsmuster taucht häufig bei den sogenannten Kurdistan-Solidaritätsgruppen auf, die die kurdische
Arbeiterpartei PKK gegen den oft gegen sie erhobenen Vorwurf des Antisemitismus in Schutz nehmen wollen. Aber auch in
der sogenannten Palästina-Solidarität wird so argumentiert: Araber seien Semiten und könnten daher keine Antisemiten sein.
(Vgl. beispielsweise http://www.muslim-markt.de/Palaestina-Spezial/diverse/verfaelschung/antisemitismus.htm [Stand
25.8.2002]). Eine ähnliche ´Argumentation` findet sich auf der Homepage der NPD-Göttingen: ,,Da wir uns zum Beispiel mit
dem Freiheitskampf des palästinensischen Volkes solidarisch erklären, können wir nicht antisemitisch sein, denn Araber sind
auch Semiten. (im Internet online unter
http://people.freenet.de/npd/artikel/vorurteil.htm
[Stand 2.10.02]).
50
Vgl. ´Robert Wistrich`: Muslim Anti-Semitism: A Clear and Present Danger, o.O. 2002, im Internet online unter:
http://www.ajc.org/upload/pdf/WistrichAntisemitism.pdf
[Stand 20.08.02].
51
Schoeps, Julius H.: Vom Antijudaismus zum Antisemitismus, S. 14 in: Wank, Ulrich (Hrsg.): Der neue alte
Rechtsradikalismus, München 1993, S. 11-32.
52
Ebenda, S. 17.
53
´Regesten Aronius`, Nr. 189; zit. nach: ´Leon Poliakov`: Geschichte des Antisemitismus. Teil 1: Von der Antike bis zu den
Kreuzzügen, Worms 1979, S. 39.
54
Vgl. ´Wolfgang Benz`: Antisemitismus, in: ´Burgmer`, a. a. O., S. 80.
12

Als Markierung wurde der gelbe Stern (,,Juden bzw. Davidsstern") eingeführt, er war aber
weder eine Erfindung der Christen, noch der Nazis, die diese Stigmatisierung im Dritten Reich
wieder aufnahmen
55
, sondern wurde erstmals in Bagdad eingeführt.
56
Die Juden wurden ,,im
christlichen Abendland zur Minderheit par exellence"
57
[Hervorhebung im Original, J.R.].
Trotz der antijüdischen Massaker während der Kreuzzüge sieht Schoeps erst durch den
Emanzipationsprozess Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts eine umfassende tödliche
Bedrohung für die Juden: ,,Je mehr Rechte sie erhielten, je mehr sie sich an die
Umgebungsgesellschaft in Kleidung, Sprache, Gestik und Verhalten anpaßten, desto bösartiger
wurde die Ablehnung, auf die sie stießen"
58
.
Die Verbreitung antisemitischer Hetzschriften, insbesondere der ,,Protokolle der Weisen von
Zion", und Berichte über angebliche jüdische Ritualmorde, sowie Übergriffe im 19.
Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ließen vielen Juden keinen anderen Ausweg
als den der Assimilation, welche in den meisten Fällen mit der Abkehr vom religiösen
Judentum und der Konversion durch die Taufe einherging. Bezeichnend für diese Zeit war die
Bemühung wissenschaftlicher Kreise, die dem Umfeld der ´Völkischen Bewegung`
angehörten, dem antisemitischen Ressentiment und Hass ein wissenschaftliches Gewand zu
verpassen. Ausgehend von Arthur Gobineau
59
wurden Juden nunmehr als eigene ´Rasse`
betrachtet. Einer der völkischen Vordenker, Houston Steward Chamberlain, entwickelte in
diesem Kontext einen Rassengedanken, bei dem zwei Gegensätze bestimmend sind: Zum einen
der zwischen Homogenität und «Rassenchaos» und zum anderen der zwischen Ariern und
Juden, ,,wobei letztere gerade aufgrund der sich aus ihrer Exklusivität ergebenden
»Rassenreinheit« den Germanen, als der schöpferischen Rasse, gefährlich werden konnten"
60
.
Dieser konstruierte Rassengegensatz wurde zum Motor der Geschichte. Der von Antisemiten
ideologisch konstruierte und real umgesetzte Kampf, der in diesem Weltbild seit dem Tod Jesu
zwischen ´arisch-christlicher` und der ´jüdisch-materialistischen` Weltanschauung besteht, die
mit Liberalismus, Bolschewismus und Demokratie in Zusammenhang gebracht wird,
kulminierte in der industriellen Massenvernichtung von Juden im ´Dritten Reich`, in dem das
dargestellte Gedankengebilde auf die nationalsozialistische Rassenideologie übertragen wurde.
Der wesentliche Unterschied zwischen dem religiös motivierten Antijudaismus und dem
55
´Schoeps`, a .a .O., S. 17f.
56
Vgl. dazu auch das Kapitel 2.2.2.
57
´Heribert A. Strauss`/ ´Norbert Kampe`: Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust, Frankfurt/Main 1988, S.
15.
58
´Schoeps`, a.a.O., S. 18.
59
Vgl. IDGR-Lexikon: Joseph Arthur Graf von Gobineau, im Internet online unter:
http://www.idgr.de/lexikon/bio/g/gobineau/gobineau.html
[Stand 30.09.02].
60
´Bergmann`, a.a.O., S. 49.
13

Phänomen des modernen Antisemitismus liegt darin, dass der Antijudaismus ´den Juden` durch
Taufe eine Abkehr von ihrem aus christlicher Sicht bestehenden ´Irrglauben` ermöglichte und
die Konversion sogar bezweckte, während der rassistisch unterlegte moderne Antisemitismus
den Juden diesen Ausweg nicht mehr ermöglicht. Es ist nicht ´nur` der Glaube der gemeint ist,
es ist der ganze Mensch. Damit wird der Antisemitismus zu einer Ideologie, die auf die
Vernichtung aller Juden angelegt ist.
Die heutige extreme Rechte beruft sich daran anknüpfend
in Bezug auf den Antisemitismus in weiten Teilen auf das Schriftgut der ´Völkischen
Bewegung` und des Nationalsozialismus.
Antisemitische Ressentiments sind jedoch keineswegs nur aus extrem rechten Kreisen zu
vernehmen. Der linke, in letzter Zeit aber auch der rechte antisemitische Antiimperialismus
61
benutzt dafür gerne die Vokabel ´Antizionismus`. Der Antizionismus, der in den 60er Jahren
nach dem 6-Tage-Krieg einen weitgehenden Konsens in der westeuropäischen Linken
darstellte, und die damit verbundene einseitige Solidarität mit dem ´palästinensischen Volk`,
war meist nichts anderes, als die Absprechung des Existenzrechts des Staates Israels, der als
Folge der antisemitischen Verfolgung entstanden war. ,,Der Antisemitismus ist im
Antizionismus enthalten wie das Gewitter in der Wolke", schrieb Jean Améry 1969 in seinem
Aufsatz über den ,,ehrbaren Antisemitismus" ­ der in Anlehnung an Sartre damit schließt, dass
es keinen ehrbaren Antisemitismus geben könne, denn was der Antisemit, wie immer er auch
auftrete, im Sinn habe, sei allein der Tod des Juden.
62
Antisemitismus äußert sich meist in aggressiver verbaler Form oder durch Schändungen
jüdischer Grabstätten, aber verschiedentlich auch durch Brandanschläge (z.B. in den letzten
Jahren auf Synagogen in Düsseldorf, Erfurt, Lübeck, Berlin-Kreuzberg) und Gewalt gegen
Personen.
Durch die fast vollständige Ausrottung des europäischen Judentums und durch die Ansiedlung
vieler Holocaustüberlebender in Israel, ist in westeuropäischen Ländern allerdings das
Phänomen ,,Antisemitismus ohne Juden" in allen gesellschaftlichen Schichten zu beobachten.
Dass der Antisemitismus in Deutschland auch fast ohne die Existenz hier lebender Juden stark
vorhanden ist, hat sich in den letzten Jahren auf erschreckende Weise gezeigt.
63
61
Damit soll nicht behauptet werden, dass Antiimperialismus immer antisemitisch sei, er kann es aber sein, genauso wie
Antirassismus antisemitisch sein kann, jedoch es nicht automatisch ist (vgl. dazu auch Kap. 2.2.2).
62
Vgl. ´Jean Améry`: Der ehrbare Antisemitismus, S. 7ff., in: Hermann L Gremliza [Hrsg.]: Hat Israel noch eine Chance?,
Hamburg 2001, S.7-12.
63
So behauptete die CDU während der sogenannten Spendenaffäre 1998, das gespendete Geld stamme aus dem Vermächtnis
verstorbener Juden. Damit bediente die CDU das klassische antisemitische Ressentiment des ´reichen Juden`. Aber auch im
Zuge der Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter kam es zu einer Fülle von antisemitischen Unterstellungen.
Die Rede des Schriftstellers Martin Walsers anlässlich der Überreichung des Aachener Friedenspreises und der anschließende
Streit mit Ignatz Bubis, dem damaligen Vorsitzenden des deutschen Zentralrats der Juden, haben die Möglichkeit, ohne großen
Widerspruch antisemitische Ressentiments offen zu verlautbaren, stark erleichtert. Dies hat sich nicht zuletzt im Sommer 2002
in der sogenannten Möllemann-Affäre gezeigt, als der FDP-Vizevorsitzende eines der bekanntesten antisemitischen Klischees
14

2.2.2 Arabisch-islamischer Antisemitismus
Das Phänomen der schriftlich fixierten und real praktizierten ,,Feindschaft gegen Juden" ist in
der islamischen Welt nicht so alt wie der christlich-europäische Antisemitismus bzw.
Antijudaismus. Im allgemeinen gilt der Islam als durchaus tolerante Religion gegenüber den
Juden, auch wenn schon im Koran antijüdische Passagen zu finden sind.
Gerade weil Muslime keine Christen sind, war ein mit dem Christentum vergleichbarer
Antisemitismus nicht bekannt. Denn während die Christen ihren Antisemitismus in dem
angeblichen jüdischen ´Gottesmord` (eine im Christentum häufig anzutreffende Bezeichnung
für die Kreuzigung Jesus) begründet sahen, wies der Islam die Vorstellung, dass Jesus Gottes
Sohn war, zurück. Für den Islam war Jesus lediglich ein Gesandter Gottes, der aber laut Koran
nicht von Juden getötet wurde: ,,Aber sie töteten ihn nicht, auch kreuzigten sie ihn nicht,
sondern nur ein Ebenbild, das ihnen als Erscheinung gesandt wurde ... gewisslich töteten sie
ihn nicht, sondern Gott erhob ihn zu sich in die Höhe (Koran, 4: 156-157)"
64
. Bemerkenswert
ist, dass in den 1960er Jahren dann die Kreuzigung, die laut dem Koran nie statt gefunden hat,
zu einem bedeutenden Thema der antisemitischen Propaganda wurde.
65
Neuerdings wird der
Antisemitismus sogar damit begründet, dass die Juden Mohammed ermordet hätten.
66
Diese anfängliche Toleranz des Islam gegenüber dem Judentum darf aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Juden stets Bürger zweiter Klasse waren (wie die Christen), und es auch
zu gewalttätigen Verfolgungen, erzwungenen Konversionen und Verbannungen kam.
Ein Wandel hin zum weit verbreiteten Antisemitismus in der islamischen Welt wird in der
Wissenschaft mit dem ´einsickern` des europäischen Antisemitismus in Verbindung gebracht.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Ritualmordanklagen gegen Juden auch in der
arabischen Welt beinahe zu alltäglichen Ereignissen und führten auch zu mehreren Pogromen.
Wie schon erwähnt, hatte die Kennzeichnungspflicht durch den ,,Judenstern" ihren Ursprung in
Bagdad.
67
bediente, indem er behauptete Juden, (in diesem Fall der israelische Ministerpräsident Sharon und der stellvertretende
Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Friedmann) seien mitverantwortlich für den wachsenden Antisemitismus
in Deutschland. Bemerkenswert hierbei ist, dass Walser wie Möllemann auf breite Unterstützung im rechtsextremen Lager
gestoßen sind. (vgl. Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung: Endlich ein normales Volk? Vom rechten
Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers ­ Eine Dokumentation-, Duisburg 1999). Auf einer in Leipzig
stattgefundenen Demonstration von Rechtsextremen mit über 2000 Teilnehmern gegen die Ausstellung ,,Verbrechen der
Wehrmacht" lautete die Parole eines der Fronttransparente ,,Solidarität mit Jürgen Möllemann!" (vgl. dazu einen Bericht auf
terz.org, im Internet online unter: http://www.terz.org/texte/texte_07_02/fdp.htm [Stand 6.10.02]).
64
´Bernhard Lewis`: »Treibt sie ins Meer« Die Geschichte des Antisemitismus, Frankfurt/M ­Berlin 1989, S. 140.
65
Ebenda, S. 207f.
66
Vgl. ´Rivka Yaldin`: Antisemitismus in der arabischen Welt: Der Fall Ägypten, S. 260, in: ´H. A Strauss`./´W. Bergmann`
/´Chr. Hoffmann` (Hrsg.): Der Antisemitismus der Gegenwart, Frankfurt/Main ­ New York 1990, S. 260-272.
67
Vgl. ´Robert Wistrich`: Muslim Anti-Semitism: A Clear and Present Danger, a.a.O.
15

Einen hohen Stellenwert nimmt seit den ersten größeren jüdischen Kolonien in Palästina der
Antizionismus ein. Der Antizionismus muss jedoch ganz klar auch als Antisemitismus
angesehen werden, da so gut wie keine Unterscheidungen zwischen Juden und Zionisten
gemacht werden: ,,Juden sind Zionisten und Zionisten sind Juden, und alle sind in einer
historischen religiösen-kulturellen Konfrontation gegen die Araber bzw. Muslime
aufgestellt"
68
, so
Yaldin.
Schon das Osmanische Reich erließ ein Einwanderungsverbot für
Juden nach Palästina und verbot bzw. schränkte die Landverkäufe an nicht osmanische Juden
ein. Auch in Zeitungen und Essays wurde zunehmend gegen den Zionismus Stellung bezogen.
Als Palästina unter britischer Verwaltung stand, wurde speziell in London Druck auf die
dortige Regierung ausgeübt, keinen jüdischen Staat zuzulassen. Ein Mittel der Propaganda
war, das weit verbreitete antisemitische Ressentiment zu bedienen, welches davon ausging,
dass die Juden eine kommunistische Gefahr darstellen würden.
69
Dieser Bestandteil
antisemitischer Ideologie war auch ein wesentlicher Aspekt der Zusammenarbeit zwischen den
Nationalsozialisten und dem Mufti von Jerusalem - er überdauerte aber auch die Zeit des
Nationalsozialismus.
So war König Faisal von Saudi-Arabien bis zu seinem Tode von der Richtigkeit dieses
Vorurteils überzeugt und auch der ägyptische Präsident Nasser bediente sich dieser These. Bis
heute ist dieses Ressentiment Bestandteil der konservativen Presse in den arabischen
Ländern.
70
Als eine der bedeutendsten Veränderungen im arabischen Antisemitismus wird dessen
Islamisierung angesehen. Lewis schreibt dazu:
,,Ein ins Auge fallendes Beispiel für diesen Prozeß ist die in der Literatur und Bildungswesen zu
beobachtende Verwandlung der jüdischen Widersacher des Propheten von einem belanglosen
Ärgernis in einen großen Feind, in eine Verkörperung des ewigen Prinzips des Bösen"
71
.
Es wurden zunehmend christliche und europäische antisemitische Schriften, wie Kanonikus
Rohlings »Talmudjude« und die »Protokolle der Weisen von Zion« ins Arabische übersetzt,
anfänglich überwiegend von Christen. In keiner anderen Sprache gibt es mehr Übersetzungen
der Protokolle als im Arabischen. Insgesamt kam es nach Ende des 2. Weltkrieg zu einer Flut
von antisemitischen Hetzschriften, die in ihrer Dämonisierung der Juden nur mit
Nazideutschland zu vergleichen sind.
72
Die Thematisierung der Judenverfolgung im Dritten
Reich zeugte und zeugt im Allgemeinen vom Fehlen jeglichen Mitgefühls bis hin zur offenen
68
´Yaldin`, a. a. O., S. 263.
69
´Lewis`, a. a. O., S. 219f.
70
Ebenda, S. 220f.
71
´Lewis`, a.a.O., S. 237.
72
Vgl. ebenda, S. 241ff.
16

Leugnung des Holocaust.
73
Es wurde und wird argumentiert, die Juden würden ihr Leiden
übertreiben, um es für eigene politische Zwecke (vor allem der Legitimierung israelischer
Politik) auszunutzen. An dieser Argumentationsweise hat sich kaum etwas geändert, selbst im
Jahr 2002 wird der Holocaust auch in regierungsnahen Tageszeitungen wie z.B. in Ägypten
bestritten und als Erfindung der Juden dargestellt. Hitler werden sogar ,,große Vorwürfe"
gemacht, dass er nicht alle Juden umgebracht habe.
74
In diesem Kontext erscheint es wichtig
zu erwähnen, dass die Verbindungen von arabischen und islamischen Führern mit
Nazideutschland zum Teil sehr eng waren und über die politische Taktik hinaus gingen, denn
sie beinhalteten eine nicht zu unterschätzende gemeinsame ideologische Komponente, wie an
anderer Stelle noch aufgezeigt wird. In den Nachkriegsjahren kam es zu Pogromen in der
islamischen und arabischen Welt gegenüber Juden. Diese Pogrome, verbunden mit staatlichen
Repressionen (Beschlagnahme jüdischen Eigentums, Zwangsabgaben, Arbeitsplatzverlust,
Einschränkung der Bewegungsfreiheit) hatten zur Folge, dass sich nach der Gründung des
Staates Israels eine Fluchtbewegung aus den arabischen und islamischen Staaten nach Israel in
Bewegung setzte. Bis auf wenige Ausnahmen verließen alle Juden diese Länder. Nicht zu
unterschätzen ist dabei auch die Mitwirkung von aus Deutschland in den Nahen Osten
geflohener Altnazis, die die ideologische Grundlage dieser antisemitischen Vertreibung mit
vorbereiteten.
75
Nach der Gründung des Staates Israel brachte der Kampf gegen Israel und dem
sich vermeintlich dahinter verbergenden ´Weltjudentum` sowohl alte und als auch neue
Verbündete. Anfänglich führte dies zu einer Zusammenarbeit mit der europäischen und
nordamerikanischen extremen Rechten und später zunehmend mit Vertretern des
wiederauflebenden Antisemitismus in der Linken. Während bei der Zusammenarbeit mit den
Rechtsextremen noch der Jude als verkappter Kommunist galt, lag bei der Zusammenarbeit mit
der antisemitischen Linken nun das Hauptaugenmerk darauf, dass der Jude ,,Rassist" sei, was
sich im Zionismus ausdrücke. Dass Zionismus immer noch als eine besonders schlimme Form
des Rassismus bezeichnet wird, hat sich nicht zuletzt auf der Konferenz der Vereinten
Nationen gegen Rassismus im September 2001 im südafrikanischen Durban gezeigt. Unter der
Führung arabischer und muslimischer Organisationen wurde Israel wiederholt des
Völkermordes an den Palästinensern und der ethnischen Säuberung beschuldigt. Außerdem
wurde behauptet, Israel sei ein ,,rassistischer Apartheidstaat", der den ,,dritten Holocaust"
begehe.
76
Nicht verwundern darf daher ein Flugblatt welches dort verteilt wurde, es zeigt ein
73
Vgl. auch Kap. 6.1 .
74
Vgl. ´Fatima Abdallah Mahmud`: Verflucht sind sie in Ewigkeit, in al-Akhbar vom 29. April 2002, im Internet online unter:
http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/themen/antisemitismus/as_verfluchung_16_05_02.pdf [Stand 31.08.02].
75
Vgl. dazu auch das Kap. 3.7.
76
Vgl. Wistrich, Robert: ,,Muslim Anti-Semitism: A Clear and Present Danger", a.a.O.
17

Bild Hitlers mit der Überschrift: ,,Wenn ich den Krieg gewonnen hätte, würde kein [...]
palästinensisches Blut mehr vergossen"
77
.
Ein entscheidender Wendepunkt stellte in der antisemitischen Betrachtungsweise der
arabischen Welt der 6-Tage-Krieg dar, der auch das gerade beschriebene Bündnis mit
westeuropäischen und US-amerikanischen Linken erst ermöglichte. Galt bis zum 6-Tage-Krieg
´der Jude` als ein Charakter, der nicht bereit sei für irgendetwas Opfer zu bringen, so stellte die
militärische Stärke ´der Juden`, ihre Kampfbereitschaft, der Wille sich zu verteidigen, einen
schweren Schock dar.
78
Für islamische Fundamentalisten war der 6-Tage-Krieg mit
gemischten Gefühlen verbunden. Einerseits gab es auf ihrer Seite Freude über die »Niederlage
des Tyrannen« Nassers, anderseits war die Freude vermischt ,,mit einem Gefühl der
Erniedrigung angesichts der Demütigung der »Heimstätte des Islam« und dem Verlust von
Ehre und islamischem Land"
79
.
So veröffentlichte 1979 die Kairoer Zeitung al-Dawa (der Ruf), das Organ der islamistischen
Moslembrüder, eine Serie unter der Überschrift »Kenne deinen Feind«, in der die vier
Hauptfeinde der Moslems dargestellt wurden: Kreuzfahrer, Jude, Marxist und Säkularist.
Während bei den Kreuzfahrern davor gewarnt wurde, sie mit allen Christen gleich zu setzen
(denn schließlich gäbe es ja auch gute Christen) wurde propagiert, dass dies auf die Juden nicht
zutreffe. Unterscheidungen zwischen Zionisten, Israelis und Menschen jüdischen Glaubens
wurden abgelehnt, da der Feind ganz einfach der Jude sei, ganz gleich in welcher
,,Verkleidung" er aufträte.
80
Die Darstellung der beiden anderen Feindbilder, Marxist bzw. Kommunist und Säkularist lasse
demnach erkennen, dass es sich bei ihnen entweder um Juden handeln müsse oder sie von
diesen ,,dirigiert" oder ,,manipuliert" würden. Der Säkularist wird als heimtückischster und
gefährlichster Feind des ,,wahren Islams" hingestellt - zu dieser Gruppe zählten die
Muslimbrüder 1979 u.a. Saddam Hussein und Gamal Abd el Nasser.
81
Auch in den heutigen
arabischen Gesellschaften werden arabische Führer als ,,Juden" oder als von ,,Juden gesteuert"
betrachtet. So wird auch der palästinensische Präsident Jassir Arafat des öfteren von seinen
innerarabischen Feinden als ,,Agent der Juden bzw. Zionisten" oder direkt als ,,Jude" betitelt.
82
77
Ebenda.
78
Lewis, a. a. O., S. 229f.
79
´Emmanuel Sivan`: Islamischer Fundamentalismus und Antisemitismus, S. 89f., in: : ´H. A Strauss`./´W. Bergmann` /´Chr.
Hoffmann` (Hrsg.), a.a.O., S. 84 ­ 98.
80
Vgl. Lewis a. a. O., S. 229f. .
81
Lewis, a. a. O., S. 232f. .
82
Vgl. beispielsweise: ,,Ein halbes Jahrhundert umsonst gekämpft", in Neuer Züricher Zeitung vom 27.03.99, im Internet
online unter:
http://www-x.nzz.ch/format/articles/187.html
[Stand 2.10.02].
18

Auch andere antisemitische Ressentiments bestehen weiterhin, so werden die Juden nach wie
vor des Ritualmordes beschuldigt. Der verstorbene König Faisal äußerte mehrfach in
Interviews, dass die Juden an christlichen und muslimischen Kindern den Ritualmord
vollziehen und ,,deren Blut unter ihr Brot mischen und es essen"
83
würden. Eines der
bekanntesten Beispiele für Ritualmordvorwürfe lieferte der saudiarabische Abgeordnete
Marouf al-Dawalibi, als er vor der Konferenz der UN-Menschenrechtskommission zu
religiöser Toleranz am 5.Dezember 1984 behauptete: ,,Im Talmud heißt es, dass ein Jude, wenn
er nicht jedes Jahr das Blut eines nicht-jüdischen Mannes trinkt, auf ewig verdammt sein
wird"
84
. In der regierungsnahen saudischen Zeitung Al-Riyadh veröffentlichte die Kolumnistin
Dr. Umayma Ahmad Al-Jalahma von der King Faysal University in Al-Damman einen Artikel
über das jüdische Purimfest. Darin behauptet die Autorin, dass das traditionelle Gebäck mit
Menschenblut gefüllt wird:
,,Das jüdische Volk ist verpflichtet, für dieses Fest Menschenblut aufzutreiben, damit ihre
Geistlichen dieses Gebäck für die Feiertage vorbereiten können. [...]Das Opfer muss ein reifer
Junge sein, natürlich kein Jude, sondern ein Muslim oder Christ. Sein Blut wird benutzt und zu
Granulat verarbeitet. Der Geistliche vermengt die Körner dann mit dem Teig für das Gebäck,
welches auch für das nächste Fest aufbewahrt werden kann. Für das Schlachten zum Pessachfest
hingegen braucht man das Blut von christlichen und muslimischen Kindern, die nicht älter als
zehn Jahre sein dürfen, wobei das Blut flüssig oder getrocknet in den Teig gemischt werden
kann."
85
Im folgenden Teil des Artikels werden grausame Details des angeblichen Ritualmordes
geschildert.
Nach der Veröffentlichung des Ritualmordartikels sah sich der Herausgeber der Zeitung nach
ausländischen Protesten dazu veranlasst, den Inhalt des Artikels zu dementieren. Er sprach sich
dafür aus, dass
,,eine idiotische und falsche Meldung, die über den Gebrauch von menschlichem Blut in den
Lebensmitteln anderer Menschen - wer immer sie auch seien - berichtet, nicht veröffentlicht
werden, weil es dies nirgendwo auf der Welt gibt."
86
Dieser Vorfall verdeutlicht, dass es heutzutage nach wie vor zu extremen antisemitischen
Ausfällen in islamischen- arabischen Ländern kommt und dies durchaus in regierungsnahen
Organen, oder, wie im Fall der UN-Konferenz, von den Regierenden
87
selbst, diesen aber auch
zum Teil öffentlich widersprochen wird. Dabei ist der Antisemitismus allerdings nicht nur
83
Lewis, a.a.O., S. 234.
84
Vgl. ´Gal Ben-Ari`: Die Saat des Hasses. Juden und Israel in den arabischen Medien, Holzgerlingen 2002, S. 24.
85
Al-Riyadh vom 10. März 2002, zit. nach ,,The Middle East Media Research Institute (MEMRI)" im Internet online unter:
http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/themen/antisemitismus/as_purim_15_03_02.html
[Stand 24.8.02].
86
Stellungnahme al-Sudairis vom 25. März 2002, zit. nach The Middle East Media Research Institute (MEMRI) im Internet
online unter:
http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/themen/antisemitismus/as_purim_25_03_02.html
[Stand
24.8.02].
87
Ein großes Problem in der arabischen Welt stellt der antizionistische Konsens der Regierenden dar. Diesen Konsens bekam
auch der ägyptische Präsident Sadat zu spüren, als er Frieden mit Israel schloss. Nach der Unterzeichnung des
Friedensvertrags wurde Ägypten aus der arabischen Liga und der Gemeinschaft der arabischen Nationen ausgeschlossen.
19

islamistischen Organisationen inhärent, sondern findet sich ebenso bei säkularen
Gruppierungen.
Ein Wandel des Gewandes, in dem der Antisemitismus auftritt, kann ebenfalls im Bezug auf
die Thematik des westlichen Imperialismus in den arabischen Staaten nachvollzogen werden.
Während kurz nach der Gründung Israels in den meisten arabischen Schriften zwischen
Zionismus und Imperialismus eine direkte Verbindung gesehen wurde, und die Zionisten als
Agenten oder Werkzeuge des Imperialismus betrachtet wurden, ist es jetzt genau umgekehrt.
Die imperialen Mächte und Supermächte gelten als Marionetten der jüdischen
Weltherrschaftspläne.
88
Schon 1989 konstatierte Bernhard Lewis, ,,um Parallelen des
Auswuchses der Angst, des Hasses und des Vorurteils zu finden, muß man auf die Literatur der
spanischen Inquisition, der Anti-Dreyfusards in Frankreich, der Schwarzen Hundert in
Russland oder der Nazis zurückgreifen. Einige arabische Länder, inzwischen auch der Iran,
sind zu den Hauptzentren des internationalen Antisemitismus geworden"
89
.
Der Antisemitismus in Teilen der arabischen und islamischen Länder ist kein Randphänomen,
sondern Bestandteil alltägliche Politik, was aber auf keinen Fall so gedeutet werden darf, dass
alle Muslime bzw. Araber Antisemiten seien.
2.3 Extreme Rechte ­ Rechtsextremismus
Seit dem der Verfassungsschutz im Jahre 1974 den Begriff Rechtsradikalismus durch
Rechtextremismus
90
ersetzt hat, ist die Bezeichnung Rechtsextremismus auch zum
dominierenden Begriff in der Politikwissenschaft geworden. In dieser Zeit hat die
Extremismusforschung starken Auftrieb bekommen. Dieser Forschungszweig geht im
wesentlichen von der Totalitarismustheorie aus, welche besagt, dass ,,Rechtsextremismus",
,,Linksextremismus" und andere Formen des ,,Extremismus", z.B. religiöser
Fundamentalismus, die selben Grundlagen haben. Minkenberg kritisiert zu Recht, dass die
Verwendung des Begriffs Rechtsextremismus gerade in Deutschland durch diese
88
Lewis, a. a. O., S. 235.
89
Ebenda, S. 235.
90
Der Verfassungsschutz definiert Extremismus folgendermaßen: ,,Als extremistisch werden solche Bestrebungen bezeichnet,
die den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte, seine Normen und Regeln ablehnen und darauf
abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen und sie durch eine nach den jeweiligen
Vorstellungen formierte Ordnung zu ersetzen. Gewalt wird dabei häufig als ein geeignetes Mittel zur Durchsetzung der
eigenen Ziele gutgeheißen, propagiert oder sogar praktiziert.[...] Terminologisch ist zwischen dem Begriff "Extremismus" und
dem Begriff "Radikalismus" zu unterscheiden, obwohl beide oft synonym gebraucht werden. Radikal ist eine Bestrebung, die
gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will, nicht jedoch den
demokratischen Verfassungsstaat ganz oder teilweise zu beseitigen beabsichtigt." Vgl Internetseite des Bundesministerium des
Inneren, im Internet online unter:
http://www.bmi.bund.de/services/lexikon/lexikon.jsp?key=E&hit=Extremismus&nodeID=null [Stand 31.8.02].
20

extremismustheoretische Betrachtung des Gegenstands oft ein bestimmtes
Verfassungsverständnis beinhaltet, weshalb er den Begriff Rechtsradikalismus bevorzugt.
91
Trotz dieser Begriffsablehnung bezeichnet Minkenberg diejenigen politischen Bestrebungen,
Parteien und Kräfte als rechtsextrem,
,,die gezielt auf die völlige oder weitgehende Abschaffung der in der Verfassung niedergelegten
demokratischen Spielregeln hinarbeiten und dabei auch bereit sind, verfassungswidrige Mittel
einzusetzen (Gewaltakzeptanz)"
92
Mit dieser Definition liegt Minkenberg jedoch wieder sehr nahe an der Definition des
Verfassungsschutzes und des Bundesinnenministeriums. Die Kritik an dem Begriff
´rechtsradikal`, dass dieser aufgrund seiner Wortherkunft ´an die Wurzel (lat. radix) gehen`
bedeuten würde, und deshalb nicht der passende wissenschaftliche Begriff für den behandelten
Gegenstand sei, teilt Minkenberg nicht. Er weist die Kritik jedoch lediglich mit dem Verweis
auf die englische Verwendung des Begriffes ,,rechtsradikal" zurück.
93
Ich folge in diesem Punkt der Auffassung von Hans-Gerd Jaschke, der sich
gerade aufgrund
der mit der Extremismusforschung eng verbundenen Totalitarismusforschung dafür ausspricht,
den Begriff Rechtsextremismus nicht dem Lager der Totalitarismustheoretiker zu überlassen.
,,Um die herrschende Politik der Inneren Sicherheit, die Praxis staatlicher Maßnahmen gegen
den Extremismus begründet untersuchen und kritisieren zu können, muß eine kritische
Sozialwissenschaft den Begriff aufnehmen, um im Spiel zu bleiben."
94
Aus Bedenken, dass der Begriff Rechtsextremismus sofort zur Assoziation mit der
Extremismusforschung führt, habe ich im Titel dieser Arbeit den Begriff in ´extreme Rechte`
umgedreht. In den nun folgenden Ausführungen wird aber der Begriff Rechtsextremismus und
extreme Rechte synonym verwandt. Eine kurze und präzise Definition von Rechtsextremismus
ist aufgrund der Komplexität dieses Gegenstands meiner Meinung nach nicht möglich. Bei der
weiteren Verwendung der Begriffe extreme Rechte und Rechtsextremismus lege ich die
ausführliche Definition von Holzer
95
zugrunde.
Rechtsextreme Ideologie wird von Holzer als Syndromphänomen beschrieben, welches aus
einem Bündel aus Einzelaussagen bestehe, die in erster Linie durch die Berufung auf das
Prinzip der Natur/Natürlichkeit verbunden sind. Alles Natürliche kann nicht in Frage gestellt
werden und entzieht sich so jeder Kritik. Demzufolge versteht der Rechtsextremismus sich als
´natürliche` bzw. ´biologische` Ideologie, alles Abgelehnte wird als ´widernatürlich`
91
Vgl. Minkenberg, a.a.O., S. 33.
92
Ebenda, S. 34.
93
Vgl. Ebenda..
94
´Hans-Gerd Jaschke`: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe., Positionen, Praxisfelder, 2. Aufl.,
Wiesbaden 2001, S. 29.
95
Vgl. ´Willibald I. Holzer`: Rechtsextremismus ­ Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze., in: Stiftung
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus, Wien
1994, S. 12 ­ 96.
21

diffamiert.
96
Zentrale Elemente rechtsextremer Ideologie bilden die Begriffe ´Volk` und
´Volksgemeinschaft`. Bezugsgröße ist primär das ´deutsche Volk`, die Volksgemeinschaft wird
in Form einer patriarchalisch-hierarchisch gegliederten Gesellschaft als Konzept der modernen
Industriegesellschaft gegenübergestellt. Für Interessensgegensätze gibt es in dieser ­ notfalls
mit Zwang ­ harmonisierten Gemeinschaft keinen Raum, sie bietet jedem Individuum
vermeintliche Geborgenheit an dem ihm zustehenden Platz. Durch die Verpflichtung auf die
Ganzheit des Volkes erhält jeder seinen Platz. Tendenzen und Bestrebungen, von der
parlamentarischen Demokratie bis zum Kommunismus, die das Konstrukt der
Volksgemeinschaft stören könnten, werden als angeblich ,,widernatürlich" diffamiert.
Notwendig ist ein starker Staat, der Stärke und Geschlossenheit nach innen und außen
vermittelt. Durch die Konstruktion der Volksgemeinschaft wird das ´Eigene` und im gleichen
Moment auch das ´Fremde`, welches außerhalb der Gemeinschaft zu stehen hat, mitkonstruiert.
Dieser Ethnozentrismus soll im Weltmaßstab zu einem Ethnopluralismus führen, also zu einem
weltweiten System der Apartheid (,,Deutschland den Deutschen", ,,Türkei den Türken",
,,Afrika den Afrikanern").
97
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zuschreibung der Sündenbockfunktion an bestimmte
Gruppen (Ausländer, religiöse Minderheit, aber auch gewisse Wissenschaftler, insbesondere
Soziologen, Politikwissenschaftler, Psychologen und Zeitgeschichtler sowie Politiker
etablierter Parteien), die nach wie vor in enger Verknüpfung mit biologistischen Konzepten
besteht. Diese ´Sündenbockgruppen` werden für ökonomische und gesellschaftliche
Missstände verantwortlich gemacht. Sie erfüllen damit gleichzeitig eine Entlastungs- und
Integrationsfunktion nach innen, indem von gesellschaftlich und ökonomisch begründeten
Ängsten auf die Feindgruppe abgelenkt wird. Rationale Analysen werden durch
Verschwörungstheorien zur Erklärung von negativen Folgen des sozialen Wandels oder
anderer Probleme ersetzt.
98
Ein ebenfalls sehr bedeutendes Element rechtsextremer Ideologie stellt die ­ wie Holzer sie
nennt ­ ,,nationalisierende Geschichtsschreibung" dar, welche sich aus dem
Deutschnationalismus ergibt. Unter der Annahme, das ´deutsche Volk` sei unter den ´Völkern`
ein besonderes, wenn nicht das Beste, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Konfrontation
mit der Tatsache, welche Verbrechen im Namen des deutschen Volkes begangen wurden.
Diesem Problem wird einerseits durch die Hervorhebung der vermeintlich guten Seiten des
Nationalsozialismus entgegnet, aber auch durch Verharmlosung, Leugnung oder gar
96
Vgl. ebenda, S. 34f..
97
Ebenda, S. 35ff.
98
Ebenda, S. 53ff.
22

Glorifizierung der Verbrechen und der Verbrecher (,,Ruhm und Ehre der Waffen-SS"). Diese
Politik kulminiert in der international agierenden Bewegung des ´Revisionismus`
(Selbstbezeichnung dieser Bewegung), die sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich, auf die
Leugnung des Holocaust konzentriert.
99
Holzer führt an, dass der politische Stil des Rechtsextremismus zwar durch Gewaltlatenz und
Gewaltakzeptanz geprägt sei, diese sich jedoch vorwiegend in verbalen Angriffen auf
politische Gegner und Andersdenkende äußere. Der Übergang zu physischer Gewalt werde in
erster Linie vom militanten Rechtsextremismus und Neonazismus vollzogen.
100
Somit liegt in
diesem Punkt eine deutliche Differenz zu den Rechtsextremismusdefinitionen des
Verfassungsschutzes und von Minkenberg vor.
2.4 Islamisten
So wie die Wissenschaft sich darüber einig ist, dass ´Islamisten` Anhänger des ´Islamismus`
sind, so uneinig ist sich die Wissenschaft wie ´Islamismus` zu definieren sei.
Sowohl in der veröffentlichten Meinung, als auch in der wissenschaftlichen Literatur wird
Islamismus oftmals als eine andere Bezeichnung für islamischen Fundamentalismus definiert.
Dies birgt die Gefahr einer unzulässigen vereinfachten Darstellung islamischer Strömungen in
sich, welche oftmals aus einem überheblichen westlichen Blickwinkel auf vermeintlich nur
zwei von einander unterscheidbare Strömungen reduziert werden: Säkular-islamisch und
fundamentalistisch-islamisch (wofür dann der Begriff ´islamistisch` als Pseudonym verwandt
wird).
Um der Gefahr der vereinfachten Darstellung islamischer Strömungen zu entgehen, folge ich
im weiteren der Definition von Heinz Halm
101
. Er betrachtet die islamistische Bewegung als
eine sehr heterogene. Für ihn umfasst der Begriff Islamismus politische Ideologien auf
islamischer Basis, welche allesamt Erscheinungen des 20. Jahrhunderts sind, die sich von
vielfältigen Formen des traditionellen Islam abgesetzt haben.
102
Alle früheren islamistischen
Bewegungen hatten eine antikolonialen Stoßrichtung und predigten den ´dritten Weg`, den
99
Ebenda , S. 55ff.
99
Ebenda, S. 64ff.
100
Ebenda, S. 64ff.
101
Vgl. ´Heinz Halm`: Der Islam: Geschichte und Gegenwart, München 2001, S.84 ­ 87. Heinz Halm ist Professor für
islamische Geschichte an der Universität Tübingen.
102
Vgl. ebenda, S.84.
23

`Weg des Islam` und lehnten und lehnen damit sowohl den Kapitalismus des Westens, als auch
den mittlerweile weitgehend untergegangenen atheistisch geprägten Sozialismus ab.
103
Die Wurzeln des Islamismus verortet Halm in den unterschiedlichsten Ursachen: durch die
Kolonialherrschaft bedingte Zersetzung der traditionellen gesellschaftlichen Strukturen,
Enttäuschung über das Versagen der nachkolonialen Regime, insbesondere in politischen und
ökonomischen Fragen, aber auch in antiwestliche und antimodernistische Ressentiments.
104
Trotz dieser teils antimodernistischen Ressentiments versteht sich die islamistische Bewegung
als ,,Avantgarde der Moderne"
105
. Laut Halm enthalten ihre Ideologien objektiv betrachtet
,,eine Reihe von modernistischen Zügen, die sich mit traditionellen, vor allem auf dem
gesellschaftlichen Sektor oft auch reaktionären Vorstellungen, in einer merkwürdigen Synthese
mischen"
106
. Dies hat zur Folge, dass islamistische Strömungen und Organisationen sich
oftmals nicht einig sind oder sich sogar feindlich gegenüber stehen: So standen sich z.B. das
afghanische Talibanregime und das iranische ´Revolutionsregime´ in Todfeindschaft
gegenüber. Laut Halm tragen islamistische Staats- und Gesellschaftsentwürfe durchweg
totalitäre Zuge und eignen sich als Herrschaftsinstrument, um über bestimmte Gruppen einer
Gesellschaft die Vorherrschaft zu legitimieren.
107
103
Vgl. ebenda, S. 85.
104
Vgl. ebenda.
105
Ebenda, S. 86.
106
Ebenda.
107
Vgl. ebenda.
24

3. Der Nationalsozialismus und sein Verhältnis zum Islam
Das wohl bekannteste Beispiel für die Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit islamischen
Führern ist untrennbar mit dem Name Amin al-Husseini
108
verbunden. Al-Husseini stammte
aus einer der führenden arabischen Familien Palästinas, welche seit Generationen über
politischen Einfluss verfügte und ihm somit den Weg an die Spitze der palästinensischen
Politik erheblich erleichterte
109
. Im Jahr 1920 gipfelte sein politischer Aufstieg mit der
Übernahme des Postens ´Mufti von Jerusalem`, er selbst titulierte sich fortan mit dem ihm
nicht offiziell zustehenden Titel ´Großmufti von Jerusalem` unter dem er auch dank der
Propaganda der Nationalsozialisten bis heute bekannt ist.
3.1 Die ersten Kontakte zwischen dem Mufti und den Nationalsozialisten
Aus seiner offenen Sympathie für die nationalsozialistische Politik machte al-Husseini keinen
Hehl. Schon zwei Monate nachdem Adolf Hitler zum deutschen Reichspräsidenten gewählt
wurde nahm der Mufti Kontakte zu Deutschland auf. Am 31. März 1933 sandte Generalkonsul
Wulf folgendes Telegramm nach Berlin:
,,Mufti machte mir heute eingehende Ausführungen, daß Mohammedaner innerhalb und
außerhalb Palästinas neues Regime Deutschlands begrüssen, und Ausbreitung faschistischer
anti-demokratischer Staatsführung auf andere Länder erhoffen. Jetziger jüdischer Einfluß auf
Wirtschaft und Politik sei überall schädlich und zu bekämpfen. Mohammedaner, um Juden in
ihrem Wohlstand zu treffen, auf Erklärung Boykotts in Deutschland hoffen, dem sie dann in der
ganzen mohammedanischen Welt mit Begeisterung beitreten würden."
110
Ein Hauptanliegen, welches der Mufti in seinen Kontakten mit den Nationalsozialisten zu
verwirklichen hoffte, war der Wunsch, eine weitere Einwanderung von Juden, die eine Folge
der Balfour-Erklärung
111
und ab August 1933 auch des Haavara-Abkommens
112
war, zu
108
In einigen Quellen wird anstatt al-Husseini, el-Husseini geschrieben. Im Folgenden wird die am häufigsten auftauchende
Schreibweise al-Husseini verwandt.
109
Vgl. ´Gensicke`: a.a.O., S. 25.
110
PA: Pol. Abt. III, Politik 2-Palästina, Bd. 1. DGK/Jerusalem an AA/Berlin, Telegramm Nr. 5, 31.3.1933, zit. n. ´Gensicke`,
a.a.O., S. 45f.
111
Am 2. November 1917 gab der britische Außenminister Balfour im Namen seiner Regierung eine Sympathieerklärung für
zionistische Bestrebungen in Palästina ab. Die britische Regierung versprach in der Erklärung ihr Bestes zu tun, um die
Errichtung einer ,,nationalen Heimstätte" für Juden zu erleichtern. (Vgl. Mejcher, Helmut / Schölch, Alexander [Hrsg.]: Die
Palästina-Frage 1917 ­ 1948, Paderborn 1981, S. 11.
112
Das Haavara-Abkommen war ein 1933 zwischen dem nationalsozialistischen Reichswirtschaftsministerium, der
Zionistischen Vereinigung für Deutschland (ZVfD) und der Anglo-Palastine Bank geschlossenes Transfer-Abkommen
(Haavara ist das hebräische Wort für Transfer). Es ermöglichte jüdischen Einwandern oder Investoren, Kapital aus
Deutschland in Form von Waren nach Palästina zu exportieren, und erleichterte die jüdische Auswanderung aus Deutschland.
Die Nationalsozialisten befürworteten vor allem aus zwei Gründen das Haavara-Abkommen: Einerseits beschleunigte es die
Auswanderung von Juden und anderseits war es als Maßnahme zu werten, den weltweiten Boykott Deutschlands durch Juden
zu überwinden. Nach der Machtübernahme Hitlers hatten jüdische Gruppen weltweit einen Wirtschaftsboykott gegenüber
25

verhindern. Al-Husseini intensivierte seine Kontakte zu Vertretern der Nationalsozialisten im
arabischen Raum. Als ihm wohlgesonnene Gesprächspartner dienten u.a. der Gesandte der
Nationalsozialisten in Bagdad, Grobba, und der deutsche Generalkonsul in Jerusalem, Döhle.
Noch zwei Tage bevor Döhle von den Briten verhaftet wurde, brachte al-Husseini in einem
Gespräch mit ihm die Hoffnung zum Ausdruck, dass Deutschland dem arabischen ,,Kampf
gegen Judentum sympathisch gegenüberstehe und bereit sei, diesen zu unterstützen"
113
. Die
Unterstützung, die der Mufti einforderte, war eine öffentliche Erklärung Deutschlands, in der
es sich gegen die Errichtung eines jüdischen Staates aussprechen sollte. Döhle gab jedoch zu
bedenken, dass es aus diplomatisch-taktischen Gründen klug sei, ,,wenn die deutsche
Sympathie für arabische Bestrebungen ... nicht zu stark in Erscheinung träte"
114
. Wohl
aufgrund seines mangelnden Erfolgs in Gesprächen mit NS-Vertretern vor Ort entsandte der
Mufti eine Vertrauensperson nach Berlin, um direkte Gespräche mit der NS-Führung in die
Wege zu leiten. Zu einem Treffen mit führenden Nationalsozialisten sollte es im Oktober 1937
kommen. Der Leiter des sogenannten Judenreferats Herbert Hagen und sein Berater Adolf
Eichmann reisten am 2. Oktober nach Haifa, um sich u.a. mit dem Mufti zu treffen. Aus Angst,
aufgrund seiner Kontakte zu den Nationalsozialisten durch die Briten festgenommen zu
werden, war der Mufti bereits nach haram esch-schrif im Libanon gereist, so dass es zu keinem
Treffen mit Hagen und Eichmann kam. Im libanesischen Exil verbesserten sich die
Beziehungen zwischen dem Mufti und den Nationalsozialisten. Sowohl die intensivierte
Palästinapolitik, die durch die Reise von Hagen und Eichmann ihren Ausdruck fand, als auch
die Tatsache, dass der Libanon für die Kontaktaufnahme zwischen dem Mufti und den
Nationalsozialisten besser geeignet war, waren Gründe dafür. Der Aufstand der Araber in
Palästina wurde fortan wesentlich durch Deutschland finanziert.
115
Gensicke sieht in diesen Zahlungen allerdings trotzdem keine Änderungen der deutschen
Palästinapolitik der Nichteinmischung. Die Unterstützung der Araber in Palästina war in
Regierungskreisen nicht unumstritten, manche betonten die ,,notorisch politische
Unzuverlässigkeit der Araber"
116
, andere warnten davor, dass die Araber trotz deutscher
deutschen Waren organisiert, um damit gegen die antisemitische Politik der Nationalsozialisten zu demonstrieren (vgl.
Haavara-Abkommen, in: Gutman, Israel: Enzyklopädie des Holocaust. Band II, München 1998, S. 589f.).
Das Haavara-Abkommen gilt in rechtsextremen Kreisen teilweise als Beleg für die abwegige These, dass Adolf Hitler der
wahre Begründer Israels sei. (vgl. Kardel, Hennecke: Adolf Hitler ­ Begründer Israels, Genf 1974). Kardel geht in seiner
Verschwörungstheorie sogar soweit zu behaupten, dass führende Nazis wie Hitler, Eichmann und Heydrich Juden waren bzw.
von Juden abstammten und deshalb die Gründung des Staates Israel in Bewegung gesetzt hätten. (vgl. ebenda).
113
´Gensicke`, a. a. O., S. 48.
114
Ebenda, S. 48.
115
Vgl. `Gensicke`, a.a.O., S. 56.
116
´Gensicke`, a. a. O. S. 47.
26

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832468583
ISBN (Paperback)
9783838668581
Dateigröße
916 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien (ZENS)
Note
1,0
Schlagworte
rechtsextremismus antizionismus nazis großmufti neonazis
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