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Eine ökonomische Analyse des Finanzsystems der Türkei unter besonderer Berücksichtung des geplanten EU-Beitritts

©2003 Masterarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Mit ihrem offiziellen Antrag am 31. Juli 1959 auf Assoziierung mit der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hat die Türkei bereits vor über 43 Jahren die Basis für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) gelegt. Mit der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens am 12. September 1963 ist die Türkei seit dem 1. Dezember 1964 assoziiertes Mitglied der EU. Nach 23 Jahren Assoziation mit der Gemeinschaft stellte die türkische Regierung am 14. April 1987 einen Antrag auf den EU-Beitritt. Der Ablehnung am 13. Dezember 1997 auf dem EU-Gipfel in Luxemburg folgte nach knapp zwei Jahren auf dem EU-Gipfel in Helsinki am 11. Dezember 1999 der offizielle Status des Beitrittskandidaten. Entscheidend für den Meinungsumschwung in der EU waren Reformsignale der Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit, die verbesserten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Griechenland sowie die Befürwortung eines EU-Beitritts durch die amerikanische Regierung. Mit der Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat ist dem Land nach langjähriger Zusammenarbeit mit der EU ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft gelungen. Auf dem Kopenhagener EU-Gipfel am 13. Dezember 2002 wurde der Türkei, im Gegensatz zu dessen Erwartungen, kein festes Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen genannt, welches insbesondere von EU-Ländern wie England, Italien, Spanien und Griechenland sowie vom NATO-Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika gefordert wurde. Nach dem EU-Kompromiss soll die Türkei hinsichtlich politischer und wirtschaftlicher Reformen Ende 2004 abermals bewertet werden. Wohingegen, je nach Ausgang dieser Prüfung, nach einem Beschluss, der dann voraussichtlich 25 Mitgliedsstaaten, die Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 beginnen sollen. Aus dieser Situation heraus ergeben sich zwei zentrale Problemstellungen, die das weitere Vorgehen der türkischen Regierung bis zum besagten Termin bestimmen werden:
- Die Erfüllung der politischen Kriterien
- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit;
- Menschenrechte und Minderheitenschutz;
- Zypern-Politik.
Die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien
- Funktionsfähige Marktwirtschaft;
- Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt in der Analyse der ökonomischen Kriterien eines türkischen EU-Beitritts. Die Bedeutung der politischen Kriterien finden aufgrund der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1 Einleitung

Mit ihrem offiziellen Antrag am 31. Juli 1959 auf Assoziierung mit der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hat die Türkei bereits vor über 43 Jahren die Basis für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) gelegt. Mit der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens am 12. September 1963 ist die Türkei seit dem 1. Dezember 1964 assoziiertes Mitglied der EU.[1] Nach 23 Jahren Assoziation mit der Gemeinschaft stellte die türkische Regierung am 14. April 1987 einen Antrag auf den EU-Beitritt.[2] Der Ablehnung am 13. Dezember 1997 auf dem EU-Gipfel in Luxemburg folgte nach knapp zwei Jahren auf dem EU-Gipfel in Helsinki am 11. Dezember 1999 der offizielle Status des Beitrittskandidaten. Entscheidend für den Meinungsumschwung in der EU waren Reformsignale der Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit, die verbesserten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Griechenland sowie die Befürwortung eines EU-Beitritts durch die amerikanische Regierung.[3] Mit der Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat ist dem Land nach langjähriger Zusammenarbeit mit der EU ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft gelungen. Auf dem Kopenhagener EU-Gipfel am 13. Dezember 2002 wurde der Türkei, im Gegensatz zu dessen Erwartungen, kein festes Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen genannt, welches insbesondere von EU-Ländern wie England, Italien, Spanien und Griechenland sowie vom NATO-Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika gefordert wurde. Nach dem EU-Kompromiss soll die Türkei hinsichtlich politischer und wirtschaftlicher Reformen Ende 2004 abermals bewertet werden. Wohingegen, je nach Ausgang dieser Prüfung, nach einem Beschluss, der dann voraussichtlich 25 Mitgliedsstaaten, die Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 beginnen sollen. Aus dieser Situation heraus ergeben sich zwei zentrale Problemstellungen, die das weitere Vorgehen der türkischen Regierung bis zum besagten Termin bestimmen werden:

Die Erfüllung der politischen Kriterien

- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit;
- Menschenrechte und Minderheitenschutz;
- Zypern-Politik.

Die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien

- Funktionsfähige Marktwirtschaft;
- Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten.

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt in der Analyse der ökonomischen Kriterien eines türkischen EU-Beitritts. Die Bedeutung der politischen Kriterien finden aufgrund der Themenstellung in dem Maße Beachtung, insoweit sie die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien beeinflussen. Im Gegensatz dazu besteht die zentrale Aufgabenstellung dieser Arbeit in der Untersuchung des türkischen Finanzsystems und dessen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Unter diesem Gesichtspunkt werden Ursachen und Konsequenzen der Wirtschafts- und Finanzkrise Ende 2000 und Anfang 2001 erläutert. Demzufolge besteht das Ziel dieser Arbeit in der Bewertung der aktuellen Situation der türkischen Finanzmärkte unter besonderer Berücksichtigung des geplanten EU-Beitritts sowie in der Erarbeitung wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Beseitigung ökonomischer Beschränkungen hinsichtlich der geplanten Beitrittsverhandlungen im Jahre 2005.

Zur Lösung der Themenstellung erfolgt einleitend in Kapitel 2 ein kurzer Rückblick in die bisherigen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei bevor anschließend in Kapitel 3 politische und ökonomische Beitrittsvoraussetzungen erörtert werden. Im Anschluss daran wird in Kapitel 4 mit der ökonomischen Analyse des Finanzsystems der Türkei unter besonderer Beachtung des geplanten EU-Beitritts die zentrale Fragestellung dieser Arbeit behandelt. Hierbei wird der staatliche Einfluss sowie die Bedeutung des türkischen Bankensektors auf die Finanzmärkte in den Vordergrund der Analyse gestellt. In Anlehnung an die erzielten Resultate erfolgt weitergehend eine Analyse hinsichtlich der Realisierung der Maastricht-Kriterien und dessen möglicher Beitrag zur Stabilisierung des Wirtschafts- und Finanzsystems der Türkei. In wie weit die Türkei die Fähigkeit besitzt bis Ende 2004 die Kriterien der Europäischen Währungsunion zu erfüllen, wodurch das Land ihrem EU-Beitrittswunsch aus ökonomischer Sicht erheblich näher kommen würde, ist eine weitere Fragestellung, die es zu beantworten gilt. Abschließend erfolgt in Kapitel 5 eine Zusammenfassung der Arbeit sowie ein Ausblick auf die weitere Entwicklung des türkischen Finanzsystems im Rahmen der europäisch-türkischen Beziehungen.

2 Die Türkei und ihre bisherige Beziehung zur EU

2.1 Die Türkei in einem Überblick

Um einen Überblick über die Türkei zu erhalten sowie Grundlagen für die Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzsysteme zu schaffen, werden in diesem Kapitel geographische und demographische Aspekte der Türkei erarbeitet. Zum besseren Verständnis des EU-Beitrittswunschs der Türkei und der Beantwortung der Fragestellung hinsichtlich dessen Zugehörigkeit zu Europa erfolgt anschließend ein historischer Abriss der Beitrittsbestrebungen des Landes.

Die politische, strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Türkei wird hauptsächlich durch ihre Lage an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien bestimmt. Nach dem Zerfall des kommunistischen Ostblocks und den jüngsten Angriffen der Al Kaida auf Amerika sowie auf die restliche zivilisierte Welt, ist ihre sicherheitspolitische Bedeutung noch gestiegen. Die Allianz der Türkei mit den USA und dessen Druck auf die EU, den türkischen Beitrittsprozess in die EU zu forcieren, basieren im wesentlichen auf diesen geostrategischen Interessen.

Das Staatsgebiet der Türkei mit einer Gesamtfläche von etwa 780.000 km2 ( Deutschland 357.000 km2 , Frankreich 552.000 km2) befindet sich auf zwei Kontinenten. Der kleinere europäische Teil umfasst eine Fläche von ca. 24.000 km2 (Niederlande 41.000 km2, Belgien 31.000 km2) und ist durch Bosporus, Marmarameer und Dardanellen vom erheblich größeren asiatischen Teil getrennt. Dieser entspricht etwa 97% der türkischen Staatsfläche. Somit liegt die Türkei aufgrund ihrer geographischen Lage nur mit 3% ihrer Staatsfläche in Europa.[4] Diese Größe ist Anlass für zahlreiche Diskussionen, denn einer der Grundvoraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft ist laut Art. O EUV/Maastricht, dass es sich bei einem beitrittswilligen Land um einen europäischen Staat handeln muss.[5] Dieser Gesichtspunkt und weitere Kriterien einer Mitgliedschaft in die EU werden in Kapitel 3 ausführlich behandelt.

Die Türkei wird im Norden durch das Schwarze Meer, im Westen vom Ägäischen Meer und im Süden vom Mittelmeer begrenzt. Außerdem bestehen Landesgrenzen zu Griechenland, Bulgarien, Georgien, Armenien, Iran, Irak, Syrien und durch die Grenze mit der Exklave Nachitschewan auch zu Aserbaidschan.[6] Somit würde die Erweiterung der EU um den türkischen Beitrittskandidaten die Grenzen Europas bis zu den Staaten des Nahen Ostens verschieben. Angesichts dieser Tatsache befürchten Gegner des türkischen EU-Beitritts, dass diese direkten Nachbarschaften stabilitätspolitische Auswirkungen auf die EU haben könnten.

Eingeteilt ist die Türkei in sieben Regionen: Marmara-Region, Ägäis-Region, Schwarzmeer-Region, Mittelmeer-Region, Mittelanatolien, Ostanatolien, Südostanatolien.[7] Aufgrund der geographischen und klimatischen Beschaffenheit der Türkei ist im Inneren sowie im Osten des Landes der Agrarsektor stark ausgeprägt. Das Industrie- und Dienstleistungssektor konzentriert sich auf den Westen der Türkei, wobei die Marmara-Region die höchste Industrialisierungsstruktur des Landes aufweist.[8]

Die Türkei ist ein Land, dessen Bevölkerung schnell wächst. Ihre Bevölkerung hat sich seit der Zeit ihrer Gründung im Jahre 1923 etwa verfünffacht. Während die Gesamtbevölkerung in der damaligen Zeit ca. 14 Mio.

Menschen betrug, stieg diese Zahl gemäß der letzten Volkszählung Ende 2000 auf etwa 68 Mio. an.[9] Dieser Wachstumstrend wird schätzungsweise bis 2025 anhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die türkische Gesamtbevölkerung, wie in Abbildung 1 dargestellt, auf etwa 86 Mio. Menschen anwachsen und somit vor Deutschland mit 81 Mio. Einwohnern die bevölkerungsreichste Nation Europas sein.[10]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und Türkei[11]

Auch im Vergleich zum EU-Durchschnitt wächst die türkische Bevölkerung deutlich schneller. Die Wachstumsraten sind allerdings abnehmend. Während diese Größe für Türkei zwischen den Jahren 1950 und 1990 stetig über 2% lag, ist sie seitdem fallend und entsprach im Jahr 2000 etwa 1,8%.[12] Die Wachstumsrate für die EU-15 Staaten hingegen sind deutlich niedriger und lagen für den gleichen Zeitraum bei ca. 0,4%.[13] Eine Analyse der Bevölkerungsstruktur des Landes führt zu dem Resultat, dass die türkische Bevölkerung im Vergleich zu den EU-15 Staaten erheblich jünger ist.[14]

2.2 Abriss der historischen Ursprünge der europäisch-türkischen Beziehungen

In diesem Kapitel erfolgt ein historischer Rückblick, wodurch belegt wird, dass die Bestrebungen der Türken, als ein Bestandteil Europas anerkannt zu werden, weiter zurück reichen als zur Gründungszeit der Republik durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahre 1923. Als Mitglied der NATO, der Zollunion und des Europarats sowie als Beitrittskandidat der EU betrachtet sich das Land im Gegensatz zu den jüngst entfachten Zugehörigkeitsdiskussionen in der EU als festen Bestandteil Europas.

Das Osmanische Reich hat in seiner Herrschaftszeit von 1300 bis 1922 die europäische Geschichte entscheidend mit beeinflusst. Während dieser Zeit kam es zu diversen Kooperationen mit den Europäern. Bereits um 1536 wurden Staatsverträge mit Frankreich über Rechts-, Handels- und Konsularfragen abgeschlossen.[15] Auch in Bereichen wie Wissenschaft, Militär sowie Kunst und Literatur wurde mit europäischen Völkern eng zusammengearbeitet. „Mit der Pflege von Architektur und Kunst, der Prachtentfaltung höfischen Lebens dokumentierte bereits Süleyman der Prächtige im 16. Jahrhundert gegenüber den europäischen Ländern, daß das Osmanische Reich ein zeitgemäßer und zivilisierter Staat und keineswegs eine Ansammlung barbarischer Bauern, religiöser Eiferer und fanatischer Krieger war“.[16] Dieses Zitat deutet darauf hin, dass die Bemühungen ein fester Bestandteil Europas zu werden, bereits zur Blütezeit des Osmanischen Reiches eingesetzt haben und nicht erst seit der Gründung der Republik 1923. Dabei galt die Diplomatie als nur eines der Instrumente, die Anerkennung der Europäer zu erlangen. Dem Militär kam bei der Realisierung dieses Zieles wesentlich mehr Bedeutung zu. Als gutes Beispiel dafür ist die zweimalige Belagerung Wiens aufzuführen.[17]

„Tanzimat“ („erneuern“, „verbessern“ oder „in Ordnung bringen“) ist das Stichwort, mit dem der Zerfall des Osmanischen Reiches, der zeitlich in das 18.- und 19. Jahrhundert einzuordnen ist, aufgehalten werden sollte.

Reformen wie Einführung des Versicherungs-, Handels- und Bankwesens, Einführung moderner Bürgerrechte, Trennung von Religion und Staat, Verstaatlichung des Bildungswesens und die Einführung einer Verfassung sollten dazu führen, dass eine europäisch freiheitlich-bürgerliche Gesellschaftsordnung im Reich der Osmanen entsteht.[18] Der Niedergang des Osmanischen Reiches konnte trotz dieser Reformen nicht verhindert werden. Ursachen dafür gibt es viele, die jedoch nicht Thema dieser Arbeit sind. Der türkische Wunsch zur Annäherung an Europa ist, wie dieser Abschnitt zeigt, keine neue politische Zielsetzung, sondern eine jahrhundertelange Bestrebung, die bereits im 16. Jahrhundert eingesetzt hat.

Der Weg zur modernen Türkei, der, wie bereits behandelt, im Osmanischen Reich begann, wurde von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründer der Republik, entscheidend vorangetrieben. Modernisierung hatte für ihn die Bedeutung, die Türkei sozial, politisch und geistig-kulturell nach Europa auszurichten.[19] Dies wird auch anhand eines Gesprächs, das Atatürk 1923 mit ausländischen Journalisten geführt hat, deutlich: „In Übereinstimmung mit unserer Politik, unserer Tradition und unseren Interessen beabsichtigen wir den Aufbau einer europäischen Türkei, oder um es genauer zu sagen, einer Türkei, die dem Westen zugeneigt ist“.[20] In einer weiteren Rede geht Mustafa Kemal auf die beabsichtigten Reformen ein, mit denen er einen türkischen Staat nach europäischem Vorbild schaffen will: „Das Sultanat muß zerstört werden. Die Struktur des Staates muß auf einer homogenen Grundlage beruhen. Religion und Staat müssen voneinander getrennt werden. Wir müssen uns der östlichen Zivilisation entziehen und der westlichen zuwenden. Wir müssen die Unterschiede zwischen Mann und Frau aufheben und so eine neue soziale Ordnung gründen. Wir müssen die Schrift, die uns hindert an der westlichen Zivilisation teilzunehmen, abschaffen, wir müssen ein Alphabet, das auf der lateinischen Schrift beruht, finden und wir müssen uns in jeder Beziehung, bis hin zu unserer Kleidung, auf den Westen hin ausrichten“.[21]

Diese Rede verdeutlicht, dass Atatürk eine völlige Umformung von Staat und Gesellschaft geplant hat und sein Augenmerk dem Westen galt. Die Realisierung seines Reformpakets und somit die Anpassung an Europa sollte das Fundament des neuen türkischen Staates bilden. Angetrieben von der Bedeutung dieses Reformpakets, ist es ihm trotz heftiger oppositioneller Gegenwehr gelungen, diese bis zum Ende der zwanziger Jahre durchzusetzen und dadurch den Weg nach Europa zu öffnen.[22]

2.3 Entstehungsgründe des Assoziationsabkommens zwischen der Türkei und der EU

Die Türkei hat am 31. Juli 1959 der EWG einen Antrag über den Abschluss eines Assoziationsabkommens gestellt.[23] Das Abkommen wurde nach knapp vierjährigen Verhandlungen am 12. September 1963 von beiden Seiten unterzeichnet.[24] Ursachen dieser langen Verhandlungszeit waren Meinungsverschiedenheiten in der konkreten Ausgestaltung der Verträge sowie die erste Intervention des türkischen Militärs am 27. Mai 1960. Sinn und Zweck des Abkommens lag in der Errichtung einer Zollunion zwischen der EWG und der Türkei, wobei dem Land eine zukünftige Mitgliedschaft in der Gemeinschaft in Aussicht gestellt wurde.

Bei den Entstehungsgründen der Assoziation ist zwischen der Interessenlage der Türkei und der EWG zu unterscheiden. Das Hauptmotiv für die Entstehung des Assoziationsabkommens, das häufig auch als „Ankara-Abkommen“ bezeichnet wird, war aus Sicht der türkischen Regierung die politische Zugehörigkeit zum Westen. Entsprechend einfach fiel die Entscheidung, in die EWG einzutreten und nicht in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), der durch die damaligen Ostblockländer gegründet wurde.[25] Darüber hinaus hatte die Türkei enge Handelsbeziehungen zu den

EWG Staaten. Etwa 35% ihres Außenhandels tätigte sie mit der „Sechser-Gemeinschaft“, in der Italien als Mitglied und Griechenland als Assoziationspartner zu den direkten Exportkonkurrenten zählten. Sicherung und Erweiterung von Exportmöglichkeiten bildeten somit ein weiteres Motiv für den Abschluss des Abkommens.[26] Zusätzlich spielte die Suche nach neuen Devisenquellen eine wesentliche Rolle bei der Bildung des Assoziationsabkommens. Damit waren Finanzhilfen gemeint, mit denen die Entwicklung der türkischen Wirtschaft gefördert werden sollte. Mit der Entsendung von Arbeitskräften in die EWG-Staaten sollten durch Migrantenüberweisungen einerseits neue Devisenquellen erschlossen und andererseits der eigene Arbeitsmarkt entlastet werden. Außerdem hatten einige türkische Wissenschaftler die Erwartung, dass durch das „Ankara-Abkommen“ ein allgemeiner wirtschaftlicher Modernisierungsprozess einsetzen würde. Mit der Ausrichtung der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik nach Europa sollte die internationale Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Wirtschaft gesteigert werden.[27] Im Gesamten betrachtet waren ökonomische Gründe sowie das ideologischen Bestreben, fester Bestandteil Europas zu werden, Hauptmotive der türkischen Regierung für die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens, das am 1. Dezember 1964 in Kraft trat.[28]

Bei Betrachtung der Interessenlage der Staaten der EWG sind einige wesentliche Unterschiede festzustellen. Aus deren Sicht ist die Realisierung des Assoziationsabkommens weniger aus ökonomischen und ideologischen Gründen vollzogen worden, sondern vielmehr aufgrund sicherheitspolitischer Interessen. Hierbei spielte die geopolitische Lage der Türkei als „Südostpfeiler der NATO“ gegenüber der Bedrohung durch die damalige Sowjetunion eine besondere Rolle.[29] Wenngleich dieser Aspekt bei der Realisierung des „Ankara-Abkommens“ keinen öffentlichen Diskussionsgegenstand darstellte, wird dies als entscheidender Faktor bei der Assoziierung der Türkei betrachtet.[30] Ein weiterer Beweggrund der EWG war die internationale Aufwertung der jungen Gemeinschaft, resultierend aus den Anträgen der Türkei und Griechenlands.[31] Im Sinne einer „open-door-policy“ sollte verdeutlicht werden, dass die EWG eine für europäische Staaten offene Gemeinschaft darstellt.[32]

Damit überwogen in den Beziehungen zur Türkei auf der Seite der „Sechser-Gemeinschaft“ bei weitem die sicherheitspolitisch-militärischen Interessen.[33] Denn die Handelsbilanz mit der Türkei war zwar positiv, das Handelsvolumen hingegen war jedoch gering. Folglich haben ökonomische Beweggründe bei der Assoziierung der Türkei, aus Sicht der EWG, eine unbedeutende Rolle gespielt.

2.4 Grundlegende Voraussetzungen und Folgen des Beitritts in die Zollunion

Der Zollunionsvertrag beinhaltet im Kern den freien Warenverkehr zwischen der EU und der Türkei, die Annahme des EU-Außenzolltarifs sowie die Anpassung der Handels- und Wettbewerbspolitik an die EU-Normen.[34] Mit Ausnahme einiger Übergangsregeln und Ausnahmeklauseln für bestimmte türkische Produkte ist die türkische Wirtschaft damit voll in den europäischen Wirtschaftsraum integriert.[35] Das Zwischenziel der Assoziation, die Vollendung der Zollunion, wurde am 13. Dezember 1995 vom Europäischen Parlament beschlossen und somit termingerecht realisiert. Infolgedessen ist die Türkei das einzige Land, das eine Zollunion mit der EU gebildet hat, ohne zuvor Vollmitglied in dieser gewesen zu sein.

Die ökonomischen Auswirkungen der Zollunion für die Türkei können unter 4 Gesichtspunkten zusammengefasst werden (Einnahmeeffekte, Außenwirtschaftseffekte, Investitionseffekte, Struktureffekte). Zum einen liegen

Einnahmeeffekte vor, welche durch das Wegfallen von Steuereinnahmen aus EU-Importen resultieren. Diese Einnahmeausfälle sorgen für eine zusätzliche Belastung des ohnehin schon defizitären Staatshaushalts.

Was die Außenwirtschaftseffekte betrifft, hat die Zollunion, wie auch aus der Abbildung 7 auf der Seite 27 zu entnehmen ist, in ihrem ersten Jahr zu einer Verschlechterung des Handelsbilanzdefizits um etwa 46% geführt. Die Ursache dieser Entwicklung liegt in der besseren Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte auf dem türkischen Markt.[36] Um diesen kurz- bis mittelfristigen negativen Folgen der Zollunion entgegenzuwirken, hat das Land sich möglichst schnell auf die neue Wettbewerbssituation eingestellt. Zur Anpassung der türkischen Industrie an das europäische Niveau hat ein Strukturwandel mit verstärkter Privatisierung staatlicher Unternehmen sowie der Modernisierung bestehender privater Unternehmen eingesetzt. Der durch die Zollunion ausgelöste Wettbewerbsdruck hat auch dabei zur Verbesserung der Produktivität der türkischen Produktion beigetragen und so gleichzeitig die Exportmöglichkeiten der türkischen Wirtschaft gesteigert, worauf in Kapitel 4.3.2 näher eingegangen wird.

Die Investitionseffekte sind, gemessen an den Entwicklungen ausländischer Investitionen, hinter den türkischen Erwartungen zurückgeblieben. Die jährlichen Zuflüsse an ausländischen Direktinvestitionen entsprachen in den vergangenen Jahren zwischen 0,8 Mrd. US$ und 1,0 Mrd. US$.[37] Das mangelnde Interesse ausländischer Investoren ist u. a. auf die ökonomischen und politische Instabilität sowie auf die komplexen und unübersichtlichen Verwaltungsverfahren in der Türkei zurückzuführen.[38] Darüber hinaus sind außerordentliche Belastungen angesichts der Erdbebengefahr im Wirtschaftszentrum des Landes wie auch der drohende Krieg im Irak, Faktoren, die ebenfalls hemmend auf ausländische Investoren wirken.

Abschließend sind noch die Struktureffekte der Zollunion zu betrachten. Geht man davon aus, dass die EU einen erheblichen Anteil am Weltmarkthandel besitzt, so setzt sich die Türkei einem erheblichen Wettbewerbsdruck aus. Nach Importsubstitution und Exportorientierung stellt dieser Schritt einen neuen Ordnungsrahmen für den weiteren Industrialisierungsprozess des Landes dar. Kurz- und mittelfristig werden ressourcenschwache, unproduktive kleine und mittlere Unternehmen nicht konkurrenzfähig sein. Das Ausscheiden dieser Betriebe aus dem Markt wird die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen, so dass weitere soziale Probleme als Folge dieser Entwicklung zu erwarten sind. Langfristig wird jedoch gehofft, dass die Zollunion, wie bereits teilweise geschehen, zu einem qualitativen und quantitativen Anstieg der türkischen Industrieproduktion führt. Bedingt durch den europäischen Wettbewerbsdruck modernisieren große kapitalstarke Unternehmensgruppen in der Türkei ihre Produktionen, wodurch der Entwicklungsrückstand zum europäischen Markt verringert wird.[39]

Als Fazit ist festzuhalten, dass den kurz- bis mittelfristig erwähnten negativen Folgen der Zollunion, langfristig positive Effekte auf die türkische Wirtschaft gegenüberstehen. Aus diesem Grund stellt die Zollunion trotz anfänglicher negativer Auswirkungen einen wichtigen Schritt für den zukünftigen Industrialisierungsprozess der Türkei dar.

2.5 Beziehungen zur Europäischen Union nach dem EU-Gipfel in Helsinki

Während der Türkei auf dem Luxemburger EU-Gipfel vom 12. bis 13. Dezember 1997 die Anerkennung als EU-Beitrittskandidat verwehrt wurde, hat der Europäische Rat mit den Beschlüssen vom 10./11. Dezember 1999 die Türkei in die laufende Erweiterungsrunde mit den 12 anderen Beitrittskandidaten Mittel- und Osteuropas (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn, Malta, Zypern) aufgenommen. Allerdings ist hervorzuheben, dass bis auf die Türkei mit allen 12 Staaten die Verhandlungen zur Aufnahme bereits begonnen haben.[40] Die aktuelle türkische Regierung gebildet durch die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), welche 363 der 550 Abgeordneten im türkischen Parlament stellt und somit alleine die Regierungsverantwortung trägt, deutete bereits kurz nach ihrem Wahlsieg am 3. November 2002 eine weitere Annäherung an Europa an.[41] Der Vorsitzende der AKP, Recep Tayyip Erdoğan, der wegen eines Zitates religiöser Verse 1998 zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war und derzeit das Amt des Ministerpräsidenten nicht ausüben kann, wird bei seiner Europa-Politik von der einzigen parlamentarischen Oppositionspartei der Republikanischen Volkspartei (CHP) maßgeblich unterstützt.[42] Mit einer Reise durch die europäischen Hauptstädte strebte der frühere Istanbuler Oberbürgermeister Erdoğan bis zum EU-Gipfel am 12. Dezember 2002 in Kopenhagen eine breite Unterstützung bei den politischen Verantwortlichen für den frühestmöglichen Beginn der Beitrittsverhandlungen an. Das Resultat des Gipfeltreffens, dass die Türkei im Dezember 2004 von den europäischen Staats- und Regierungschefs das Zeichen für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erhalten kann, wenn bis dahin die politischen und wirtschaftlichen Kriterien für eine Mitgliedschaft erfüllt sind, ist ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung einer EU-Mitgliedschaft. Auf diesem Wege, werden im jüngsten regelmäßigen Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, wie folgt beurteilt: „Die Türkei hat Fortschritte auf dem Weg zur Erfüllung der politischen Beitrittskriterien gemacht, insbesondere durch die unlängst vorgenommene Änderungen ihrer Verfassung. So ist die Aussicht auf die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei näher gerückt. Die Türkei wird bestärkt, auf dem Weg zur Erfüllung der Menschenrechte, weiter voranzuschreiten. Die Heranführungsstrategie für die Türkei soll eine neue Etappe bei der Analyse des Stands der Vorbereitung des Landes auf eine Anpassung an den Besitzstand der Union sein.“[43] Nach der Veröffentlichung dieser Bewertung des Europäischen Rates im Dezember 2001 in Laeken, welches auf der

Grundlage des am 3. Oktober 2001 verabschiedeten Verfassungsänderungen zum Ausbau der Garantien im Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie zur Eingrenzung der Todesstrafe basierte, folgten in den Monaten Februar, März sowie August 2002 weitere Reformpakete zur Beseitigung der politischen Hindernisse zur Aufnahme in die EU. Die Aufhebung der ökonomischen Barrieren einer türkischen EU-Mitgliedschaft werden mittels von der IWF und der Weltbank unterstützten Wirtschaftsreformen angestrebt. Diese Reformen zur Stabilisierung der türkischen Wirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Umstrukturierung des Bankensektors werden in Kapitel 4 ausführlich behandelt.

3 Grundlagen des EU-Beitrittsprozesses

3.1. Beurteilung der türkischen Beitrittsfähigkeit hinsichtlich der allgemeinen Beitrittskriterien der EU

Gemäß Artikel O EUV/Maastricht muss ein Beitrittskandidat der EU drei allgemeine Beitrittskriterien erfüllen. Erstens sollte es sich um einen „Staat“ handeln und zweitens hat dieser „europäisch“ zu sein.[44] Außerdem muss das Land, als drittes Kriterium der Übernahme des gemeinsamen Besitzstandes (Acquis Communautaire), welches aus 31 Kapiteln besteht und im Anhang auf der Seite X tabellarisch abgebildet ist, zustimmen. Das bedeutet, dass der antragstellende Staat vorbehaltlos die Verträge der Gemeinschaft und ihre politischen Zielsetzungen akzeptiert und in der Lage ist, die daraus resultierenden Pflichten zu erfüllen.[45] Das Merkmal „europäisch“ wird aus drei Komponenten zusammengesetzt. Bestehend aus der geographischen, welche in diesem Abschnitt bearbeitet wird, der politischen sowie ökonomischen Komponenten, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen wird.

Die erste Voraussetzung, dass es sich beim Beitrittskandidat um einen Staat handeln muss, wird seitens der Türkei erfüllt. Bei der Voraussetzung „europäisch“ zu sein, divergieren die Meinungen. Während die Türkei, wie bereits im historischen Rückblick in Kapitel 2.2 behandelt, sich als festen Bestandteil Europas betrachtet, gibt es auf seiten der Europäer viele Stimmen, die diese Meinung nicht teilen. Dies wird durch die jüngsten Äußerungen der größten Fraktion im Europäischen Parlament der Europäischen Volkspartei (EVP) verdeutlicht. Sie fordern, so schnell wie möglich die Fiktion einer EU-Mitgliedschaft Ankaras aufzugeben.[46] In einer politischen Grundsatzerklärung zum Verhältnis von Kirche und Staat in Italien und in Europa äußerte sich Papst Johannes Paul II ebenfalls zur Zukunft des gemeinsamen Bündnisses. Das Oberhaupt der katholische Kirche sprach zum ersten mal seit der Annexion des Kirchenstaates durch Italien vor 132 Jahren vor dem italienischen Parlament und forderte die Europäer auf, sich auf ihre traditionellen und geistigen Werte zu besinnen. Im Hinblick auf eine Verfassung der EU sagte der Papst, dass die Grundlagen des „gemeinsamen Hauses“ nicht ohne den „Zement“ des gemeinsamen religiösen, kulturellen und bürgerlichen Erbes festgelegt werden dürfte.[47]

Neben den religiösen und kulturellen Unterschieden wird oft die Frage nach der räumlichen Grenze Europas gestellt. Die Ansicht, die Türkei befinde sich zu 97% mit ihrer Gesamtfläche in Asien und erfülle aus diesem Grund nicht die geographischen Bedingungen einer Mitgliedschaft, wird häufig vertreten. Dazu ist anzumerken, dass es einerseits keine Regelung darüber gibt, ob ein Staat zur Gänze innerhalb Europas liegen muss, und andererseits diese Bestimmung nach der Entstehungsgeschichte zu urteilen, nicht als Beschränkung betrachtet wurde. Sie sollte vielmehr den offenen Charakter innerhalb Europas hervorheben. Bestätigt wird dies durch das Assoziations-abkommen der damaligen EG mit der Türkei, in welchem dem Land ein künftiger Beitritt zur EU in Aussicht gestellt wurde. Darüber hinaus scheint diese Frage mit dem geplanten EU-Beitritt Zyperns, welches geographisch gänzlich auf dem asiatischen Kontinent liegt, bereits beantwortet zu sein.

Aus den genannten Gründen ist die Meinung derer, die erst jetzt, nach fast vier Jahrzehnten offizieller politischer Beitrittsbemühungen der Türkei, geographische, kulturelle oder sogar religiöse Kriterien als Hindernis für eine EU-Mitgliedschaft anbringen, aus der Sicht der türkischen Regierung nur schwer nachzuvollziehen.

3.2 Beurteilung der türkischen Beitrittsfähigkeit hinsichtlich der Anforderungen an das politische System

Mit der Erklärung des Europäischen Rates zur Demokratie im April 1978 wurden Forderungen nach demokratischen Verhältnissen in den Mitgliedstaaten sowie für Beitrittskandidaten geregelt. Diese wurden durch Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages ab Januar 1993 konkretisiert. Darin haben sich die Unionsstaaten zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit bekannt.[48] Die Erfüllung dieser politischen Kriterien sowie Anforderungen an das parlamentarische Regierungssystem müssen im Gegensatz zu weiteren Bedingungen bereits bei Aufnahme der Beitrittsverhandlungen vorliegen.[49] In diesem Zusammenhang stellte die europäische Kommission in ihrem letztjährigen Bericht über die Fortschritte der Türkei fest, dass im Land Grundmerkmale eines demokratischen Systems vorhanden sind, allerdings mit Defiziten bei der Achtung der Menschenrechte und beim Aufbau eines Rechtsstaates.[50] Allerdings hebt sie auch die positiven Reformbestrebungen des Landes zur Beseitigung politischer Hindernisse hervor, welche seit Oktober 2000 begonnen haben.[51] Seither wurden grundlegende Reformen in Bereichen der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Stärkung der Demokratie und der Schutz der Menschenrechte durchgeführt. Mit Einschränkung der Verhängung der Todesstrafe auf Verbrechen in Kriegszeiten und somit der Aussetzung der Hinrichtung Abdullah Öcalans, dem Führer der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK), hat die Türkei einen wichtigen Schritt zur Beseitigung bestehender Hindernisse zur EU-Mitgliedschaft vollzogen.[52]

In der Außenpolitik der Türkei sind ebenfalls positive Entwicklungen festzustellen. Hierbei sind insbesondere die intensivierten Beziehungen zum griechischen Nachbarstaat sowie die Fortschritte bezüglich des Zypernproblems hervorzuheben. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Themengebiet ist für den EU-Beitritt der Türkei von zentraler Bedeutung, fällt jedoch außerhalb des Themenbereiches dieser Arbeit und kann aus diesem Grund nicht fortgeführt werden.

3.3 Die Anforderungen an die Wirtschaftsordnung

Die Verwirklichung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sind Mittel, mit denen die Gemeinschaft bestimmte ökonomische Ziele erreichen will. Dabei handelt es sich laut Art. 2 EGV um die harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedern.[53] Um diese Ziele zu erreichen, verlangt die Wirtschaftsordnung der Gemeinschaft in Art. 3a Abs. 1 EGV von den Mitgliedsstaaten die Verwirklichung einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“.[54]

Hinsichtlich der geplanten Erweiterung der Union wurde diese Regelung ergänzt. Im Sinne der Kopenhagener Kriterien setzt die Mitgliedschaft in der EU nunmehr „eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten“ voraus.[55] Anhand dieser beiden vage formulierten ökonomischen Kriterien wird entschieden, ob ein Beitrittskandidat die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen EU-Beitritt erfüllt. Da in diesem Fall keine bestimmten Konvergenzkriterien vorliegen, wie z.B. im Maastrichter Vertrag für den Beitritt in die Europäische Währungsunion (Defizitquote, Schuldenstandsquote, Inflationsrate, Zinssatz), ist es schwer, aufgrund einer wirtschaftspolitischen Analyse eine Entscheidung darüber zu treffen, inwiefern ein Land aus ökonomischen Gesichtspunkten für den EU-Beitritt bereit ist. Die Erfüllung der Maastrichter Konvergenzkriterien wären allerdings eine hilfreiche Stütze zur Beurteilung der ökonomischen Beitrittsfähigkeit eines Landes und werden aus diesem Grund in Kapitel 4.6 ausführlich behandelt.

[...]


[1] Vgl. Heinz Kramer, 1988, S. 30-36.

[2] Vgl. ebd., S. 142.

[3] Vgl. http://www.mfa.gov.tr/grupb/bg/2000/01.htm.

[4] Vgl. Faruk Sen, 1996, S. 10.

[5] Vgl. Matthias Pechstein / Christian Koenig, 1998, S. 225.

[6] Vgl. Faruk Sen, 1996, S. 10.

[7] Vgl. Volker Höhfeld, 1995, S. 22.

[8] Vgl. Faruk Sen, 1996, S. 11-23.

[9] Vgl. http://www.die.gov.tr/nufus_sayimi/2000tablo1xls.

[10] Vgl. http://www.auslaender-statistik.debevoelk/tuerkei.htm.

[11] Quelle: In Anlehnung an http://www.auslaender-statistik.debevoelk/tuerkei.htm, eigene Darstellung.

[12] Vgl. http://www.die.gov.tr/nufus_sayimi/2000tablo1xls.

[13] Vgl. http://www.eizniedersachsen.de/news/2002-08-08.htm.

[14] Vgl. S. Rıdvan Karluk, 1999, S. 16.

[15] Vgl. Ferenc Majoros / Bernd Rill, 1999, S. 55-59.

[16] Siehe Volker Höhefeld, 1995, S. 58.

[17] Vgl. Ferenc Majoros / Bernd Rill, 1999, S. 280-283.

[18] Vgl. Cahit Kurt, 1989, S. 57.

[19] Vgl. ebd., S. 189.

[20] Siehe Heinz Kramer, 1988, S. 17.

[21] Siehe Volker Höhefeld, 1995, S. 61.

[22] Vgl. Cahit Kurt, 1989, S. 208-209.

[23] Vgl. Heinz Kramer, 1988, S. 30.

[24] Vgl. Erol Esen, 1990, S. 9.

[25] Vgl. Mahmut Bozkurt, 1995, S. 8.

[26] Vgl. Erol Esen, 1990, S. 15.

[27] Vgl. Mahmut Bozkurt 1995, S. 9-10.

[28] Vgl. ebd., S. 8.

[29] Vgl. Erol Esen, 1990, S. 17.

[30] Vgl. Mahmut Bozkurt, 1995, S. 10.

[31] Vgl. Heinz Kramer, 1988, S. 25.

[32] Vgl. Erol Esen, 1990, S. 19.

[33] Vgl. Heinz Kramer, 1988, S. 26.

[34] Vgl. Sefik Alp Bahadır, 1997, S. 35.

[35] Vgl. S. Rıdvan Karluk, 1998, S. 518-523.

[36] Vgl. Çiğdem Akkaya / Yasemin Özbek / Faruk Sen, 1998, S. 93-95.

[37] Vgl. http://ekutup.dpt.gov.tr/teg/2002/12/tv.21.xls.

[38] Vgl. http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report2002/tu_de.pdf, S. 66.

[39] Vgl. http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report2002/tu_de.pdf, S. 96.

[40] Vgl. Brigitte Moser / Michael W. Weithmann, 2002, S. 324-325.

[41] Vgl. o. V., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 2002, Nr.: 257, S, 1; Rainer Hermann, 2002, S. 3.

[42] Vgl. o. V., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. November 2002, Nr.: 260, S. 6.

[43] Siehe http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report2002/tu_de.pdf, 2002, S. 9.

[44] Vgl. Matthias Pechstein / Christian Koenig, 1998, S. 225.

[45] Vgl. ebd., S. 229.

[46] Vgl. o. V., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. November 2002, Nr.: 266, S. 6.

[47] Vgl. ebd., S. 6.

[48] Vgl. Matthias Pechstein / Christian Koenig, S. 226-228.

[49] Vgl. ebd., S. 228.

[50] Vgl. http://www.europa.eu.int/comm/enlargement/report2001/tu_de.pdf, S. 13-14.

[51] Vgl. ebd., S. 15-16.

[52] Vgl. ebd., S. 23.

[53] Vgl. Pascal Richter, 1997, S. 102.

[54] Vgl. Matthias Pechstein / Christian Koenig, 1998, S. 228.

[55] Vgl. Matthias Pechstein / Christian Koenig, 1998, S. 229.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832468132
ISBN (Paperback)
9783838668130
DOI
10.3239/9783832468132
Dateigröße
909 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Bankwirtschaft – Economic Research
Erscheinungsdatum
2003 (Mai)
Note
1,7
Schlagworte
eu-erweiterung osterweiterung türkische banken finanzkrise
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Titel: Eine ökonomische Analyse des Finanzsystems der Türkei unter besonderer Berücksichtung des geplanten EU-Beitritts
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