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Sport, Körper und Mormonen

©2001 Examensarbeit 123 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Sport, Körper und Mormonen als Thema einer studentischen Abschlussarbeit – lediglich ein weiterer Beweiß für die spezialisierte Absurditätenproduktion deutscher Universitäten? Dies mag auf den ersten Blick so erscheinen. Allerdings hat das Thema seine Berechtigung, und zwar durch den Aktualitätsbonus der Olympischen Winterspiele, die im Februar 2002 in Salt Lake City, der heutigen Heimatstadt der Mormonen im US-Bundesstaat Utah, stattfinden werden. Zwangsläufig wird dann, sozusagen als kurioser medialer Kollateralschaden, die Religion der Mormonen in den Fokus der Zuschaueraufmerksamkeit gezogen werden. Die Mormonen – was assoziiert der wenig informierte Normalbürger mit dieser religiösen Gruppe? Wenn er sie nicht gleich mit den Amish People an der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents verwechselt, sind die meisten Antworten „Polygamie“ und „kein Alkohol“. Etwas kundigere Menschen erwähnen eventuell den Großen Salzsee bei Salt Lake City und dass man schon von einem Paar netter mormonischer Missionare – sie treten beinahe ausschließlich als duale Einheit auf - an seiner Haustüre oder auf dem Marktplatz der Innenstadt angesprochen wurde. Sportbegeisterte Informanten werden vielleicht noch die bevorstehende Winterolympiade in Salt Lake City ansprechen oder das unglückliche Händchen der NBA Basketballmannschaft Utah Jazz bei den Finalspielen der letzten Jahre, wobei dieses Beispiel sich schon gar nicht mehr auf die Mormonen selbst, sondern lediglich auf ihr Umfeld beziehen. Und damit endet das wenig produktive Brainstorming.
Eine Darstellung des Körperbildes der Mormonen ist aus zwei Gründen für eine wissenschaftliche Untersuchung interessant: zum einen ist die These von der allmählichen Austrocknung des religiösen Elements in der Gesellschaft, wie sie besonders in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vertreten wurde, angesichts der hohen Wachstumsraten von religiösen Gemeinschaften wie etwa der Mormonen nicht länger haltbar. Die Religion ist ein Bereich der Gesellschaft, der den Menschen als zentrales Objekt seines Interesses hat, und der Körper kann dabei nicht abgetrennt werden. Wie inkludiert nun eine außergewöhnliche Glaubensgemeinschaft wie die der Mormonen den Körper in die Logik ihres Systems? Zum anderen kann am Beispiel der Mormonen exemplarisch dargestellt werden, wie sich Versuche einer Neudefinition des Menschseins nach dem Zeitalter der Aufklärung und zu Beginn der jüngeren Neuzeit (ab etwa 1800) […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6786
Baumann, Jochen: Sport, Körper und Mormonen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Heidelberg, Universität, Staatsexamensarbeit, 2001
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
EINLEITUNG... 1
1
GESCHICHTE ... 7
1.1
Die Anfänge in Neu England ... 9
1.2
Wachstum in Missouri und Illinois ... 14
1.3
Exodus und Pionierjahre in Utah... 19
1.4
Zeit des Wandels nach der Jahrhundertwende ... 24
1.5
Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg... 25
2
AUFBAU DER KIRCHENSTRUKTUR...27
2.1
Personale Struktur ... 27
2.2
Organisatorische Einteilung und Mitgliederzahl ... 29
3
ALLGEMEINE DOGMATIK ...31
3.1
Der Restaurationsgedanke... 32
3.2
Die kanonischen Schriften... 34
3.3
Die Gottheit und die Folgen der ,,literal- mindedness" ... 37
3.4
Der Mensch und die drei Stadien seiner Entwicklung... 39
3.5
Die Zeit des Menschen auf der Erde ... 44
3.6
Priestertum, Tempelrituale und Missionierung... 46
3.7
Absolute Wahrheiten... 52

4
DER KÖRPER IN DER THEOLOGIE DER MORMONEN...53
4.1
Das Körperbild der Mormonen: der Tempel Gottes auf Erden ... 53
4.1.1
Weiblichkeit ... 60
4.1.2
Black Americans ... 63
4.2
Das Gesundheitspostulat des ,,Word of Wisdom" ... 65
5
REKREATION UND SPORT ...71
5.1
Einstellung zu Rekreation und Vergnügen ... 71
5.1.1
Theologische Hintergründe... 71
5.1.2
Geschichtliche Entwicklung ... 75
5.2
Einstellung zum Sport ... 80
5.2.1
Geschichtliche Entwicklung ... 80
5.2.2
Theologische Hintergründe... 82
6
ZUSAMMENFASSUNG, EINORDNUNG UND AUSBLICK...85
6.1
Die Mormonen und das Körperbild der Neuzeit... 86
6.1.1
Hellenismus und Christentum... 86
6.1.2
Puritaner, Awakening und Romantik... 87
6.1.3
Das ideologische Umfeld in Amerika zur Gründungszeit der
Mormonenkirche ... 89
6.1.4
Die Selektionsleistung Joseph Smiths ... 91
6.2
Die Mormonen und die moderne Körperlichkeit ... 93
ANHANG ...99
Word of Wisdom... 99
The Articles of Faith ... 101
LITERATUR...102

2
Abkürzungen
BoM
- Book of Mormon
D&C
- Doctrine and Covenants
KJV
- King James Version der Bibel
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Nordosten der USA mit dem Staat New York... 9
Abbildung 2: Palmyra im Staat New York ... 11
Abbildung 3: Siedlungen in Missouri, Illinois und Iowa... 14
Abbildung 4: Exodus nach Utah... 19
Abbildung 5: Salt Lake Temple ... 22

Einleitung
Einleitung
Sport, Körper und Mormonen als Thema einer studentischen Abschlussarbeit ­
lediglich ein weiterer Beweiß für die spezialisierte Absurditätenproduktion deutscher
Universitäten? Dies mag auf den ersten Blick so erscheinen. Allerdings hat das
Thema seine Berechtigung, und zwar durch den Aktualitätsbonus der Olympischen
Winterspiele, die im Februar 2002 in Salt Lake City, der heutigen Heimatstadt der
Mormonen im US-Bundesstaat Utah, stattfinden werden. Zwangsläufig wird dann,
sozusagen als kurioser medialer Kollateralschaden, die Religion der Mormonen in
den Fokus der Zuschaueraufmerksamkeit gezogen werden.
Die Mormonen ­ was assoziiert der wenig informierte Normalbürger mit dieser
religiösen Gruppe? Wenn er sie nicht gleich mit den Amish People an der Ostküste
des nordamerikanischen Kontinents verwechselt, sind die meisten Antworten
,,Polygamie" und ,,kein Alkohol". Etwas kundigere Menschen erwähnen eventuell
den Großen Salzsee bei Salt Lake City und dass man schon von einem Paar netter
mormonischer Missionare ­ sie treten beinahe ausschließlich als duale Einheit auf -
an seiner Haustüre oder auf dem Marktplatz der Innenstadt angesprochen wurde.
Sportbegeisterte Informanten werden vielleicht noch die bevorstehende
Winterolympiade in Salt Lake City ansprechen oder das unglückliche Händchen der
NBA Basketballmannschaft Utah Jazz bei den Finalspielen der letzten Jahre, wobei
dieses Beispiel sich schon gar nicht mehr auf die Mormonen selbst, sondern lediglich
auf ihr Umfeld beziehen. Und damit endet das wenig produktive Brainstorming.
Eine Darstellung des Körperbildes der Mormonen ist aus zwei Gründen für eine
wissenschaftliche Untersuchung interessant: zum einen ist die These von der
allmählichen Austrocknung des religiösen Elements in der Gesellschaft, wie sie
besonders in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vertreten wurde,
angesichts der hohen Wachstumsraten von religiösen Gemeinschaften wie etwa der
Mormonen nicht länger haltbar. Die Religion ist ein Bereich der Gesellschaft, der
den Menschen als zentrales Objekt seines Interesses hat, und der Körper kann dabei
Faust: ,,Bedenke wohl die erste Zeile, daß deine Feder sich nicht übereile!"
(Goethe 1986: 37, Vers 1230)

Einleitung
2
nicht abgetrennt werden. Wie inkludiert nun eine außergewöhnliche
Glaubensgemeinschaft wie die der Mormonen den Körper in die Logik ihres
Systems?
Zum anderen kann am Beispiel der Mormonen exemplarisch dargestellt werden,
wie sich Versuche einer Neudefinition des Menschseins nach dem Zeitalter der
Aufklärung und zu Beginn der jüngeren Neuzeit (ab etwa 1800) auf das Körperbild
neuartiger metaphysischer Welterklärungsversuche auswirkten.
1
In dieser Arbeit wird aus sportwissenschaftlicher Sicht dargestellt, wie die
Vorstellung von Körperlichkeit im religiösen System der Mormonen konstruiert,
beurteilt und behandelt wird, und welche Folgen sich daraus für die Einstellung der
Mormonen zu Sport und Vergnügen ergeben. Fragen, die sich dabei stellen, sind:
Was ist der menschliche Körper im Glaubenssystem der Mormonen? Ist der Körper
etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Darf man seine Bedürfnisse ausleben oder muß
man sie unterdrücken? Darf oder muß er sogar sportlich bewegt werden? Gibt es
Vorschriften zu seiner Behandlung? Aufgabe der Arbeit ist es dagegen nicht, die
sportlichen Aktivitäten der Mormonen ausführlich zu beschreiben oder die
praktischen Auswirkungen der Religion auf die Art und Weise des Sporttreibens
genauer zu untersuchen. Sowohl der zeitliche wie auch der inhaltliche Rahmen einer
Examensarbeit bedingt diese Entscheidung; das auszuwertende Material war
umfangreich genug, und das Werk soll ja auch ein schlüssiges Ende finden.
Obwohl die Mormonen für den Forscher aufgrund des außergewöhnlichen
Charakters ihres Glaubenssystems und Lebensstils bei einer gleichzeitigen
Homogenität als soziale Gruppe ein lohnenswertes Objekt für Untersuchungen
darstellen, wurden sie bis heute in der deutschen Wissenschaftslandschaft
weitgehend vernachlässigt. Dies geschah sicher auch deswegen, weil die Mormonen
hierzulande nur eine kleine Gruppe bilden, die wenig Einfluß auf das soziale Leben
in Deutschland hat und daher auch wenig Aufmerksamkeitszuwendung genießt. In
den Vereinigten Staaten von Amerika stellt sich die Situation jedoch völlig anders
dar. Dort hat die Mitgliederzahl im Jahr 2001 die fünf Millionen Grenze bereits
1
In Anlehnung an Nietzsche: Die Geburt des neuen Menschenbildes aus dem Geist der Moderne.

Einleitung
3
überschritten,
2
und zahlreiche wissenschaftliche Bearbeitungen zum Thema
Mormonentum wurden unternommen. Entsprechend sieht die geographische
Distribution der Informationsquellen aus: in Deutschland ist nur sporadisch und
zumeist wenig aktuelle wissenschaftliche Literatur über diese Kirche zu finden. Für
das Studium von Quellen aus erster Hand ist daher eine Recherche vor Ort, d. h. im
US-Bundesstaat Utah selbst, unerlässlich.
In der Zeit von September 1997 bis August 1998 studierte ich an der staatlichen
University of Utah in Salt Lake City; allerdings hatte ich damals nur spärlichen
Kontakt zu den Mormonen. Im Sommer diesen Jahres (2001) verbrachte ich dann
einen vierwöchigen Forschungsaufenthalt in Utah, um an der University of Utah in
Salt Lake City und an der Brigham Young University in Provo, einer mormonischen
Privatuniversität, die nötigen Quellenstudien zu betreiben. Dass der überwiegende
Teil der für diese Arbeit ausgewerteten Literatur daher englischsprachig ist, ist leicht
einsehbar. Aus diesem Grund und weil die Mormonen in ihrer Religion großen Wert
auf sprachliche Exaktheit legen,
3
habe ich mich dazu entschlossen, auch die heiligen,
kanonischen Schriften (Bibel, ,,The Book of Mormon," ,,Doctrine and Covenants,"
,,Pearl of Great Price") im englisch Original zu zitieren. So bleibt die linguistische
Kontiuität gewahrt. Bei der zitierten Sekundärliteratur handelt es sich zum größten
Teil um Kirchenpublikationen und Aussagen von Personen, die in der
2
Nach Angaben der Kirche gab es im Dezember 2000 weltweit über elf Millionen Mormonen
(Watson 2001: 22), in den Vereinigten Staaten etwa 5 Millionen. Sie gehört damit in der bunten
Glaubenslandschaft der USA zu den sechs größten unter den organisierten Kirchen (Lindner
2001: 11). In Deutschland hatte die Kirche gegen Ende des Jahres 1999 mehr als 36000
Mitglieder (Deseret News 2001-2001 Church Almanac 2001: 331). Der Soziologe Rodney Stark
(1984: 23ff) errechnete 1984 auf der Basis der damaligen jährlichen Wachstumsraten der Kirche
von etwa 50%, dass bei gleichbleibendem Wachstum im Jahr 2080 etwa 265 Millionen
Mormonen, bei einer Wachstumsrate von 30% jährlich etwa 63 Millionen die Erde bevölkern
würden. Stark (1994: 13ff) weißt dabei ausdrücklich auf die Gefahren solcher ,,straight-line
projections" hin: ,,I am, in fact, very sensitive to the dangers involved in making projections that
rest on the assumption that tomorrow will be like yesterday" (Stark 1994: 13). Die errechnete
Zahl für das Jahr 2000 bei der Berechnung mit 50% Wachstum betrug 10,5 Millionen; mit der
aktuellen Mitgliederzahl von über 11 Millionen wurde diese Schätzung somit sogar übertroffen.
3
Vgl. dazu Kapitel 3.2 ,,Die kanonischen Schriften".

Einleitung
4
Kirchenhierarchie eine hochstehende Position einnehmen und somit zumindest bis zu
einem gewissen Grad die offizielle Kirchendoktrin vertreten.
4
Ein Problem, das sich bei jeder Einführung in ein unbekanntes Themengebiet
ergibt, ist die ,,Sequenzierung des Theorieaufbaus" (Luhmann 1993: 173), also die
Frage, an welchem Punkt eines komplex strukturierten Theoriegebäudes man mit
Erklärungen einsteigen soll: A erklärt B, B erklärt C, A ist ohne C nicht verständlich
und so läuft man Gefahr, im Zirkelschluss des Unerklärbaren zu enden. Meine Bitte
an den Leser lautet daher, besonders am Anfang seine Toleranzgrenze für
Unverständnis möglichst hoch anzusetzen.
Um diese Verständnishürde jedoch nicht zu groß werden zu lassen, muß einige
definitorische Vorarbeit geleistet werden. Die Ausführungen in dieser Arbeit
beziehen sich ausschließlich auf die Religionsgemeinschaft der Church of Jesus
Christ of Latter-day Saints mit Hauptsitz in Salt Lake City. Das ist insofern wichtig
zu vermerken als es zahlreiche mormonische Splittergruppen gibt, die teilweise
gravierende Unterschiede in ihrer Theologie aufweisen.
5
Wenn in dieser Arbeit von Sport ohne weitere Spezifizierung die Rede ist, ist
immer die gesamte Familie sportlicher Betätigungen mit eingeschlossen
(Breitensport, Leistungssport, Freizeitsport u.ä.). Für das weite Feld der
Freizeitbeschäftigung, der Zerstreuungen und des Vergnügens werde ich als
Oberbegriff in Anlehnung an den englischen Begriff ,,recreation" das deutsche
Fremdwort ,,Rekreation" verwenden; die deutsche Sprache bietet für diesen Bereich
meines Wissens keinen vergleichbaren Ausdruck. Hinzu kommt, dass die
Amerikaner auf dem Gebiet ,,recreation and leisure studies" schon seit längerem
wissenschaftlich tätig sind.
Bei der Definition des Begriffes ,,Körper" wäre es zwar ,theologisch' treffender,
von der Leiblichkeit als Aspekt menschlicher Existenz zu sprechen und dabei die
ganze Spannbreite dessen im Auge zu behalten, was im Neuen Testament mit den
4
Zur Problematik der Gültigkeit solcher Aussagen siehe Kapitel 3 ,,Allgemeine Dogmatik".
Um Missverständnissen über abweichende Zitationsweise in dieser Arbeit vorzubeugen, verweise
ich auf die Erläuterungen, die dem Literaturverzeichnis vorangestellt sind.
5
Vgl. dazu Kapitel. 2 ,,Wachstum in Missouri und Illinois", Fußnote 29.

Einleitung
5
Worten
»
Leib
«
(soma) und
»
Fleisch
«
(sarx) angesprochen wird" (Kurz 2000: 152,
Hervorh. von mir). Da wir uns hier allerdings im Bereich der Sportwissenschaft
befinden, wird die Bedeutung des Wortes ,,Körper" als die rein physische Einheit des
Menschen definiert. Dass die Mormonen dies etwas anders sehen, ist eben das
Kernproblem dieser Arbeit
Und noch ein schwieriges Definitionsproblem möchte ich hier gleich am Anfang
noch erwähnen, das sich aber im Laufe dieser Arbeit häufig stellen wird: Sind die
Mormonen Christen, bzw. können sie dem Christentum zugerechnet werden? Die
traditionellen christlichen Kirchen verneinen dies vehement (vgl. Lutherisches
Kirchenamt 2000: 413). Die Mormonen selbst bestehen allerdings auf der
Klassifizierung als Christen, da für sie als Aufnahmekriterium der Glaube an Jesus
Christus gilt, und dieser spielt in der Tat in ihrer Religion eine zentrale Rolle (vgl.
Hinckley 1982). In einer vieldiskutierten Studie über das Wachstum der Mormonen
meint der Soziologe Rodney Stark (1984: 23) dazu: ,,the Mormons are a new
religion" (Hervorh. von Stark), trotz aller Ähnlichkeiten mit dem Christentum. Stark
und Bainbridge (1985: 245ff) klassifizieren die Church of Jesus Christ of Latter-day
Saints aufgrund wichtiger Elemente in ihrer Geschichte und Theologie, die in
zentralen Fragen stark von grundlegenden Lehren des Christentums abweicht, zwar
als Kult, sind aber selbst nicht ganz zufrieden mit diesem Urteil: die Größe,
Verbreitung und Organisation der Kirche und die anvisierte Zielgruppe für die
Missionsanstrengungen sprächen dagegen.
6
Im folgenden werde ich um der Klarheit
wegen die Mormonen als nicht-christliche Religion bezeichnen; eine Wertung soll
damit nicht erfolgen.
Auch der Generalwissenschaftler Harold Bloom (1992: 81) zählt die Mormonen
nicht zu ,,what historically has been considered Christianity", hält sie dafür aber für
eine genuin amerikanische Religion, da sie einzig und allein auf amerikanischem
Boden entstanden sei (Bloom 1992: 116). Wenn auch diese Reduktion der
Charakterisierung auf eine geographische Verortung das Problem stark vereinfacht ­
schließlich beruht die dominante Religion des Abendlands, das Christentum, in ihren
6
Für eine Diskussion und Definition der Begriffe Religion, Sekte und Kult siehe Stark und Bainbridge
(1985: 19-37).

Einleitung
6
Ursprüngen auf einer Ideologie aus dem hebräischen Morgenland und wird dennoch
als westliche, europäische Religion bezeichnet - so kann man die Klassifizierung als
amerikanische Religion dennoch stehen lassen insofern man in den Oberbegriff
,,Amerika" nicht nur die geographische, sondern auch die ideologische Verortung mit
einbezieht. Es sind nämlich meiner Meinung nach zutiefst amerikanischen Werte, die
die Grundzüge dieser Religion ausmachen.
7
Den Anfang (Kap. 1) soll nun eine kompakte Darstellung der geschichtlichen
Entwicklung der Mormonen und ihrer Kirche machen. Dies halte ich für nötig, da
man eine entsprechende Kenntnis beim Leser nicht voraussetzen kann und die
geschichtlichen Entwicklungen eine wichtige Rolle für das Verständnis des
mormonischen Glaubens spielen. Einige Worte zu Struktur und Organisation der
Kirche (Kap. 2) haben die gleiche Funktion. Daran anschließen wird sich eine
ausführlichere Beschreibung der grundlegenden Glaubensinhalte der mormonischen
Theologie (Kap. 3), die eine Verständnisbasis für die folgenden Kapitel aufbauen
soll. Auf diese Basis wird dann das nächste Kapitel (Kap. 4) mit dem Menschen als
zentrales Thema zurückgreifen, bevor dann auf den Bereich Rekreation und Sport
(Kap. 5) eingegangen wird. Schließlich soll nach einer kurzen Zusammenfassung
eine Einordnung des Menschenbildes in die theologische und gesellschaftliche
Geschichte und Gegenwart sowie ein Ausblick gegeben werden (Kap. 6). Den
Abschluß bildet ein Anhang mit Abschriften des ,,Word of Wisdom" und den
,,Articles of Faith." Inhaltlich bauen die einzelnen Kapitel aufeinander auf und sind
untereinander stark verflochten. Gelegentliche Inhaltsredundanzen sollten daher als
Rückbezüge auf vorher Gesagtes und außerdem als Verständnishilfen angesehen
werden.
Und schließlich: ich bin weder Mormone, noch habe ich die Intention, jemals
Mormone zu werden; im Grund bin ich Atheist.
7
Vgl. Kapitel 6 ,,Zusammenfassung, Einordnung und Ausblick."

Kapitel 1: Geschichte
1 Geschichte
Obwohl die historische Entwicklung der Mormonenkirche nicht das eigentliche
Thema dieser Arbeit ist, bietet sich ein Umweg über eine konzise Darstellung der
geschichtlichen Genese dieser Glaubensgemeinschaft dennoch aus zwei Gründen an:
zum einen soll sie als kognitive und emotionale Aufwärmphase vor der abstrakteren
Behandlung der theologischen Zusammenhänge dienen. Zum anderen wäre eine
Darstellung der Theologie ohne den geschichtlichen Hintergrund nur schwer zu
verstehen und auch nicht vollständig, denn bestimmte Ereignisse in der Geschichte
der Mormonen sind von zentraler Bedeutung für ihr Glaubenssystem.
Allerdings stößt man hier schon auf eine Besonderheit, die bei allen historischen
Abhandlungen über Glaubensgemeinschaften beachtet werden muß. Aufgrund des
konstitutiven Elements des Glaubens
8
erfährt Geschichte in glaubensbasierten
sozialen Systemen eine andere Behandlung als etwa im Wissenschaftssystem: in der
Logik der Religion ist geschichtliches Faktum das, was als solches definiert wird.
Dieser Definitionsakt wird vom Glauben kontrolliert, und dessen
Grundcharakteristikum ist die vorbedinungslose, axiomatische Setzung von
göttlichen Wahrheiten. Es sind auch meist solche grundlegende, den theologischen
Überbau tragende Glaubenselemente, die geschichtswissenschaftlicher Überprüfung
oftmals nicht standhalten und dennoch von Gläubigen als wahr akzeptiert werden.
Dieses Charakteristikum jeder Glaubensgemeinschaft trifft auch für die
mormonische zu. Auch hier basieren zentrale Elemente des Glaubens auf historisch
schwer zu verifizierenden Ereignissen und der Existenz von religiösen Artefakten,
die als Grundwahrheiten bzw. als historische Tatsachen wegen ihres Charakters als
8
Also das ,,Nicht-Wissen" um den Wahrheitsgehalt eines Sachverhalts und das gleichzeitige
Akzeptieren desselben als Faktum.
Faust: ,,Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln"
(Goethe 1986: 19, Verse 575 und 576)

Geschichte
8
Glaubenselemente jedoch nicht infrage gestellt werden. Man kann Parallelen zum
Christentum ziehen: die Existenz und das Wirken Jesu Christi werden in einer
Mischung aus theologischem und historischem ,Wissen' als Tatsachen angesehen,
deren Kernelemente auch durch die Aufdeckung historischer Ungereimtheiten, wie
etwa der Unsicherheit über das genaue Geburtsjahr Jesu Christi, auf dem die
Zeitrechnung der westlichen Welt basiert, ihren ,Wahrheitswert' für gläubige
Christen nicht verlieren.
Für die Entwicklung des religiösen Systems der Mormonenkirche ist die Frage
nach der historischen Beweisbarkeit ihrer Anfänge daher zwar keineswegs irrelevant;
In der Tat unternimmt die Kirche große Anstrengungen, durch archeologische
Grabungen und Quellenstudien ihren Glauben abzusichern. Solange diese Ereignisse
aber ohnehin als wahre, als axiomatische Tatsachen akzeptiert werden, kann man auf
dieser Grundlage ein stabiles theologisches Konstrukt aufbauen.
Im Übrigen sollte und kann eine grundsätzliche Diskussion über mormonische
und nicht-mormonische Konstruktion von historischer und theologischer Wahrheit in
einer sportwissenschaftlichen Abschlußarbeit nicht geführt werden. Ich werde mich
daher an Darstellungen und Fakten halten, die als relativ gesichert gelten.
9
Historische wie metaphysische Ereignisse werden dabei als Tatsachen, in der
sprachlichen Form des Indikativ, wiedergegeben, sofern sie von der Church of Jesus
Christ of Latter-day Saints offiziell als Tatsachen anerkannt werden und somit für die
Entwicklung der Theologie bedeutsam sind.
9
Umfassendere neutrale Darstellungen der Geschichte der Mormonenkirche sind nicht einfach zu
finden, da das Thema die Autoren solcher Werke scheinbar immer polarisiert: mormonische bzw.
mormonen-freundliche Autoren betonen bei aller Wissenschaftstreue die Apologetik zu stark
(vgl. Alexander 1996; Arrington/Bitton 1979); mormonen-feindliche Autoren lassen die nötige
Neutralität und Objektivität ebenfalls oft vermissen, da sie meist aus dem gläubigen christlichen
Lager stammen und nur allzu leicht in eine selbstgerechte Polemik gegen das Mormonentum
verfallen (vgl. Lutherisches Kirchenamt 2000; Tanner/Tanner 1981); ohne wertende
Kommentare geht es fast nie. Eine deutschsprachige Ausnahme scheint mir Mössmer (1995) zu
sein.

Geschichte
9
1.1 Die Anfänge in Neu England
Die Kirchengeschichte der Mormonen läuft mit der Geschichte der Mormonen als
sozialer Gruppe, zumindest im gesamten neunzehnten und in der ersten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts, weitgehend parallel.
Abbildung 1: Nordosten der USA mit dem Staat New York
10
Lässt man den Bereich der Mythologie hier außer acht,
11
kann man den Beginn
dafür wohl mit dem Ereignis festsetzen, das gemeinhin als die ,,first vision" des
10
Quelle: Homepage der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints:
http://scriptures.lds.org/chmaps/1

Geschichte
10
Kirchengründers und -führers Joseph Smith Jr.
12
bezeichnet wird. Smith, geboren am
23. Dezember 1805 in Sharon im US-Bundesstaat Vermont, war im Alter von 10
Jahren mit seiner Familie infolge wirtschaftlicher Zwänge nach Palmyra und später
Manchester im westlichen Teil des Bundesstaates New York (vgl. Abb. 1) gezogen
(Arrington/Bitton 1979: 5). Im Alter von etwa 15 Jahren erfuhr der junge Joseph eine
spirituelle Krise
13
über die Frage, welche der vielen Religionen und Konfessionen
die richtige und die daher zu wählende sei:
"During this time of great excitement my mind was called up to serious reflection and great
uneasiness; ... but so great were the confusion and strife among the different denominations, that it
was impossible for a person young as I was, and so unacquainted with men and things, to come to any
certain conclusion who was right and who was wrong. ... I often said to myself: What is to be done?
Who of all these parties are right; or, are they all wrong together? If any one of them be right, which is
it, and how shall I know it" (Pearl of Great Price 1974: 47).
14
Die Antwort auf seine Fragen fand er im Neuen Testament im Brief des Jakobus:
,,If any of you lack wisdom, let him ask of God, that giveth to all men liberally, and
upbraideth not; and it shall be given him" (KJV: James 1:5). Joseph zog aus dieser
Bibelstelle den Schluß, dass er Gott selbst um Rat fragen müsse. Und tatsächlich
erschienen ihm während eines innigen Gebetes in einem kleinen Waldstück in der
Nähe von Palmyra zwei himmlische Gestalten, die er später als Vater und Sohn, als
Gott und Jesus Christus identifizierte (Arrington/Bitton 1979: 5). Ihm wurde
mitgeteilt, dass alle bisherigen Religionen und Konfessionen nicht das wahre
Christentum nach Jesus Christus repräsentierten, sondern vielmehr ,,an abomination
in his eyes" (Pearl of Great Price 1974: 48) seien und er, Joseph Smith, daher zu
diesem Zeitpunkt keiner beitreten solle.
11
Die mythologischen Ursprünge, beschrieben im Buch Mormon, einem Werk aus dem
mormonischen Kanon, werden im Abschnitt 3.2 ,,Die kanonischen Schriften" behandelt.
12
In der Literatur ist es allgemein üblich, das ,,Jr." wegfallen zu lassen; dem schließe ich mich an.
13
Über das genaue Datum der Vision besteht Unsicherheit; die Kirche gibt auf ihrer offiziellen Seite
den Zeitraum Frühjahr 1820 an (Chronology of Church History 2001).
14
Die hier wiedergegebenen Stellen beziehen sich auf die von Joseph Smith selbst im Jahr 1842
veröffentlichte und heute von der Kirche als offiziell angesehene Version der Ereignisse der
,,First Vision", wie sie in der Ausgabe der Doctrine and Covenants/Pearl of Great Price von 1974
nachzulesen sind. Es sei hier nur am Rande erwähnt, daß Smith es offensichtlich als notwendig
erachtete, seine Erinnerungen an die Geschehnisse einer genauen Überprüfung zu unterziehen
und den Text in einer späteren Veröffentlichung zu verändern; in diesem wie auch in anderen
Schriftstücken finden sich leichte bis gravierende Änderungen in Sprache und inhaltlicher
Aussage (vgl. Lutherisches Kirchenamt 2000: 411).

Geschichte
11
Abbildung 2: Palmyra im Staat New York
15
Während den nächsten drei Jahren hielt sich Joseph an diese göttliche Weisung
der konfessionellen Abstinenz, bis dann in der Nacht des 21. September 1823 das
Ereignis stattfand, das die eigentliche Entstehung der Kirche der Mormonen in Gang
setzte: wiederum versunken in tiefem Gebet, erschien ihm mehrmals der Engel
Moroni, letzter Überlebender eines israelischen Stammes auf amerikanischem
Boden, der ihm von goldenen Platten erzählte, auf denen die Geschichte und
Glaubensgrundsätze der früheren Einwohner dieses Kontinents und zudem das
vollständige Evangelium des Erlösers Jesus Christus eingeschrieben war, so wie er es
15
Quelle: Homepage der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints:
http://scriptures.lds.org/
chmaps/2

Geschichte
12
eben diesen Ureinwohnern verkündet hatte. Weiterhin gebe es zwei magische Steine,
Urim und Thummim, mit denen er, Joseph Smith, diese Platten, die in einem
reformierten Ägyptisch geschrieben seien, wie die Priester und Seher zu Moses Zeit
übersetzen könne, sobald die Zeit dazu gekommen sei (vgl. KJV: Exodus 28:30).
Zum Schluss kündigte der Engel eine Zeit der Apokalypse sowie bestimmte, dieser
Zeit vorausgehende Zeichen an, welche noch in dieser Generation, also noch
während des neunzehnten Jahrhunderts, über die Erde kommen würden.
Am nächsten Morgen erschien dieser Engel Moroni nochmals und führte Joseph
zu dem nahegelegenen Hill Cumorah, wo die Artefakte vergraben sein sollten (vgl.
Abb. 2). Er fand sie dort auch, durfte sie aber noch nicht an sich nehmen, da die Zeit
dafür noch nicht reif war. Er wurde jedoch angewiesen, jedes Jahr wieder an diese
Stelle zu kommen, um neue Anweisungen zu empfangen. Drei Jahre später, am 22.
September 1827, erhielt er schließlich den Auftrag, die Platten endgültig
auszugraben und diese mit Hilfe der Sehersteine zu übersetzen.
16
Nachdem er sich von New Yorker Wissenschaftlern die archäologische Echtheit
der Platten, d.h. ihrer neu-ägyptischen Inschriften hatte bestätigen lassen, machte er
sich mit Hilfe des Schreibers Martin Harris und später Oliver Cowdery an die
Übersetzung dieser Platten. Das Ergebnis war das Buch Mormon, eine Chronik der
Geschichte mehrere Völker Amerikas vor der Ankunft Columbus.
17
Etwa 100 Seiten,
die durch eine Unachtsamkeit Martin Harris' verloren gingen, wurden nach einer
Weisung Gottes nicht neu übersetzt, sondern lediglich basierend auf anderen
16
Smith war zu dieser Zeit als ,moneydigger', als professioneller Schatzsucher tätig und auch
öffentlich als solcher bekannt, was sogar zu einer Anklage wegen Landstreicherei und
ungebührlichen Benehmens führte (Arrington/Bitton 1979: 10ff). Diese Art der Schatzsuche ­
häufig mit Hilfe magischer Hilfsmittel ­ war zu dieser Zeit in Neu England weit verbreitet, und
so wurden auch Smiths Berichte über seinen Fund von seinem sozialen Umfeld zuerst als reine
Goldgräbergeschichten abgetan (Mössmer 1995: 20f). Smith begegnet Vorwürfen der eigenen
Unglaubwürdigkeit aufgrund seines Berufes mit der Begründung, er sei durch die finanzielle
Notlage seiner Familie dazu gezwungen, sich bei dem professionellen Goldgräber Josiah Stoal zu
verdingen; seine wahren spirituellen Erfahrungen seien von übelwollenden Zeitgenossen in
Verbindung mit seiner Arbeitswelt gebracht worden (Pearl of Great Price 1974: 54). Allerdings
gab er in einer Verhandlung zu, mit Hilfe eines magischen Steines erfolgreich bei der
Schatzsuche gewesen zu sein (Mössmer 1995: 21), also selbst nicht eindeutig zwischen göttlicher
Intervention und eigenem irdischen Handeln unterschieden zu haben.
17
Siehe Abschnitt 3.2 ,,Die kanonischen Schriften".

Geschichte
13
Textstellen zusammengefasst. Dieses Buch Mormon wurde 1830 veröffentlicht und
mit einer Auflage von 5000 Exemplaren gedruckt. Es enthält auch heute noch auf
den ersten Seiten die Aussagen von insgesamt elf Männern, die bezeugen, diese
Platten selbst gesehen zu haben. Nach diesen Zeugnissen gab Smith die Platten und
die Steine an den Engel Moroni zurück (Arrington/Bitton 1979: 14).
18
Am 15. Mai
1929 erhielten Joseph Smith und Oliver Cowdery durch eine Erscheinung Johannes
des Täufers das Aaronische Priestertum, das unter anderem die Taufe konvertierter
Mitglieder ermöglicht; etwas später im selben Jahr zudem das Melchisedekische
Priestertum ebenfalls durch ein himmlische Erscheinung, diesmal von Petrus,
Jakobus und Johannes, das mit seinen weitreichenden geistlichen Funktionen als
Voraussetzung für den Aufbau der Kirche galt (Chronology of church history
2001).
19
Joseph nutzte die Möglichkeit zur Konvertierung und Taufe in der
darauffolgenden Zeit ausgiebig, um neue Mitglieder für seine am 6. April 1930
offiziell gegründete ,,Church of Christ"
20
zu bekommen, die er zu Beginn
vorwiegend im engeren Familien- und Freundeskreis fand. Aber schon zu diesem
Zeitpunkt wurden erste Missionare ausgesandt, um die Indianer, die als
Nachkommen eines der ausgewanderten Stämme Israels angesehen wurden, wieder
zum wahren Glauben zu bekehren (Arrington/Bitton 1979: 21). In Kirtland, Ohio,
stießen diese Missionare allerdings auch bei einer christlichen Sekte um Gordon
Rigdon auf großes Interesse und konnten über 100 neuen Mitglieder gewinnen. Von
solchem Erfolg positiv überrascht, verlegte Joseph Smith seinen Wohnsitz in diese
Stadt (Alexander 1996: 82).
18
Einige der Zeugen gaben allerdings später in einer Gerichtsverhandlung zu, diese Artefakte nicht
wirklich physisch gesehen, sondern die hinter einem Tuch verborgenen goldenen Platten
lediglich ,spirituell' gesehen zu haben (vgl. Mössmer 1995: 27).
19
Über die Bedeutung dieser beiden Priesterämter siehe Abschnitt 3.6 ,,Priestertum, Tempelrituale
und Missionierung".
20
1838 wurde die Kirche offiziell in ,,The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints" umbenannt,
um zu betonen, daß es sich dabei um die wahre restaurierte Kirche Jesu Christi in baldiger
Erwartung der Apokalypse handelte (vgl. Arrington/Bitton 1979: 21).

Geschichte
14
1.2 Wachstum in Missouri und Illinois
Hatte sich bis 1930 der Mittelpunkt der Handlung überwiegend im neuenglischen
Nordosten der USA befunden, wurden mit dem Jahr 1931 erste Schritte einer
Orientierung Richtung Westen unternommen,
21
die in mehreren Etappen bis 1846
erst mit dem Erreichen des Großen Salzsees ein Ende finden sollte.
22
Abbildung 3: Siedlungen in Missouri, Illinois und Iowa
23
Am 20. Juli 1831 verkündete Smith eine Offenbarung Gottes, die verhieß, dass
die Stadt Independence im Staat Missouri (vgl. Abb. 3) der auserwählte Ort für die
Errichtung des Neuen Jerusalem im Land Zion sei, von wo aus Jesus über sein
tausendjähriges Reich herrschen sollte (vgl. Chronology of Church History 2001). Es
21
Die Mormonen stehen damit in der abendländischen Tradition der translatio imperii mit dem
Grundgedanken, dass sich im Laufe der Jahrhunderte das wirtschaftliche, kulturelle und
besonders spirituelle Zentrum der Erde von seinen Ursprüngen im babylonischen Zweistromland,
dem heutigen Irak, über Palästina, Griechenland, Rom, Westeuropa, England und schließlich
über den Atlantik nach Amerika verlagert habe. Das spezifisch amerikanische Gefühl der
Auserwähltheit, das Sendungsbewusstsein und die damit einhergehende Verantwortung für das
Schicksal der gesamten Menschheit lässt sich bis zu den puritanischen Einwanderern
zurückverfolgen. Einer der ersten Führer der Puritaner in Amerika, John Winthrop, spricht in
seiner Rede ,,A Model of Christian Charity" auf dem Emigrationsschiff Arabella davon, dass ,,we
shall be as a city upon a hill. The eyes of all people are upon us, so that if we shall deal falsely
with our God in this work we have undertaken, and so cause Him to withdraw His present help
from us, we shall be made a story and a by-word through the world" (Winthrop 1994: 180).
22
Die folgenden Aussführungen beziehen sich, sofern nicht anders kenntlich gemacht, auf das Kapitel
4 ,,Building an new kingdom" aus Alexander (1996: 78-99).
23
Quelle: Homepage der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints:
http://scriptures.lds.org/chmaps/5

Geschichte
15
war sogar der genaue Bauplatz für den neuen Tempel bekannt, und so forderte eine
Sektion der ,,Doctrine and Covenants" (D&C 57:1-4)
24
auch wörtlich dazu auf, das
Land rund um den zukünftigen Tempelplatz aufzukaufen. Joseph Smith schickte
daher einige Mitglieder nach Independence, um den bevorstehenden Bau der Stadt
im künftigen Land Zion spirituell und auch materiell durch Landkauf vorzubereiten.
Um dieses große Ziel erreichen zu können, führte Smith unter seiner Anhängerschaft
einen wirtschaftlichen Kommunitarismus ein, der sich teilweise in krasser
Opposition zu dem sich in der Zeit um 1830 in der Ära des Jacksonianismus
ausbreitenden Individualismus und Kapitalismus befand. Allmählich sahen auch die
,,gentiles", wie die Mormonen alle Nicht-Mormonen nennen, in Mississippi die
Mormonen nicht mehr nur als kuriose aber weitgehend harmlose ideologische
Randgruppe an. Vielmehr fühlten sie sich zunehmend regelrecht bedroht und setzten
den Mormonen heftigen ideologischen und später auch physischen Widerstand
entgegen. Hatte Joseph Smith schon von Beginn seiner spirituellen Erfahrungen an
aufgrund seiner mitteilungsfreudigen Art gegen Spott, Widerstand und sogar
Verfolgung kämpfen müssen, wurde der Widerstand ab 1832 bedrohlich. Mitglieder
der Kirchenführung, darunter auch Joseph Smith selbst, wurden auf öffentliche
Plätze gezerrt und dort geteert und gefedert, mormonische Familien von ihren Höfen
verjagt und zum Teil auch ganz aus Missouri vertrieben. Sie fanden kurzzeitig einen
Zufluchtsort in zwei ,,counties" (Bezirke) im Norden Missouris, die ihnen extra von
diesem Staat zugewiesen worden waren. Der kontinuierliche Zustrom neuer
Mitglieder ließ aber bald klar werden, dass dies keine endgültige Lösung sein konnte.
Nach kriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit einer mormonischen Miliz, die sich
als Reaktion auf die ersten gewalttätigen Übergriffe gebildet hatte, erließ der
Gouverneur von Missouri, Lilburn W. Boggs, am 27 Oktober 1838 ein Dekret, nach
dem alle Mormonen aus Missouri zu vertreiben seien, wenn nötig mit Gewalt
(Alexander 1996: 84). Im Zuge dieser Anordnung verbrachten Joseph Smith und
andere Führer der Kirche einige Monate im Gefängnis, 18 Mormonen verloren bei
24
Die ,,Doctrine and Covenants" sind eine Art Katechismus, eine Sammlung göttlicher
Offenbarungen. Siehe Abschnitt 3.2 ,,Die kanonischen Schriften".

Geschichte
16
einem Massaker ihr Leben und der größte Teil der Kirchenmitglieder floh in den
Nachbarstaat Illinois.
Sowohl dieser externe Druck als auch kircheninterne Spannungen über
ideologische Grundsätze und über die Führung der Kirche hatten über die Jahre dazu
geführt, dass zahlreiche prominente Kirchenmitglieder wie Oliver Cowdery und
andere Mitglieder der ersten Stunde die Kirche entweder aus eigenem Antrieb
verlassen hatten oder exkommuniziert worden waren.
25
Illinois sollte nun nach der
Vorstellung Smiths einen Neubeginn markieren. Das Zentrum wurde die
neugegründete Stadt Nauvoo.
26
Von Beginn an mit dem klaren Ziel entworfen und
strukturiert, später als Regierungssitz Jesu Christi auf der Erde zu dienen, wuchs die
Siedlung schnell auf Stadtgröße an und war um 1844 schließlich die zweitgrößte
Stadt in Illinois (Arrington/Bitton 1979: 69). Die Mormonen übernahmen die
Verwaltung der Stadt, formten eine Stadtpolizei und mit der Nauvoo Legion eine
halb-offizielle eigene Miliz als Teil der Illinois-Staatsmiliz und entwarfen Pläne zur
Errichtung eines Tempels und einer Universität. Sie fügten sich zu Beginn
überraschend gut in das demokratische Umfeld Illinois' ein. Die Praxis des
Blockwählens, bei der alle Kirchenmitglieder geschlossen den von der
Kirchenführung favorisierten Kandidaten wählten,zusammen mit dem arbeitsamen
Wesen der Mormonen förderte die Entwicklung sowohl der Stadt als auch der
Kirche. In dieser Zeit der relativen Ruhe machte Smith mehrere persönliche, aber
wie immer göttlich inspirierte Offenbarungen zur Kirchenlehre, zu Tempelritualen
und zu Anweisungen für das tägliche Leben publik - unter anderem auch die göttlich
sanktionierte Aufforderung zur Polygamie -, welche im Laufe der Zeit zusammen
mit der dominierenden politischen Stellung der Mormonen in der Stadt den
Widerstand des nicht-mormonischen Teils der Bevölkerung erregte. Allerdings
waren in dieser Situation zum ersten Mal die Mormonen in der Mehrzahl, und Joseph
Smith nutzte diese Situation auch aus, indem er anti-mormonische Stimmungen
durch die Präsenz der Nauvoo-Legion unterdrücken ließ; ein missgünstiger
25
Am Ende war keiner der ursprünglichen 11 Zeugen der goldenen Platten mehr Mitglied der Kirche;
ihr ursprüngliches Zeugnis über die Existenz der Goldplatten widerriefen sie jedoch nicht.
26
Smith wählte diesen Namen, da dies seiner Aussage nach das hebräische Wort für ,schöner Ort' sei
(Mössmer 1995: 78).

Geschichte
17
Zeitungsvelag wurde auf seinen Befehl hin geschlossen und zerstört, und er
verhängte später sogar das Kriegsrecht über die Stadt. Das überschritt nun allerdings
das Maß an Autonomie, das die Regierung der Vereinigten Staaten in Washington
den Mormonen zu geben bereit war: am 27. Juni 1844 wurde Joseph Smith
zusammen mit seinem Bruder Hyrum und zwei weiteren Kirchenmitgliedern unter
der Anklage des Hochverrats verhaftet und im Gefängnis von Carthage, Illinois
inhaftiert. Die Bevölkerung dieser Stadt war allerdings gegen Smith und seine
Anhänger so aufgebracht, dass trotz der Zusicherung besonderen Schutzes seitens
des Gouverneurs von Illinois ein aufgebrachter Mob das Gefängnis stürmen konnte
und Joseph Smith und seinen Bruder nach kurzer Gegenwehr ­ Freunde hatten ihnen
im Gefängnis Pistolen zuschanzen können ­ ermordeten (vgl. Alexander 1996: 86).
Der Tod ihres Führers und Propheten Joseph Smith - später zum Märtyrer erklärt,
dessen Blut die Wahrhaftigkeit seiner Botschaft bestätigte (vgl. D&C 136: 37-39) -
stürzte die Kirche in eine folgenschwere Krise. Smith hatte zu seinen Lebzeiten keine
konkreten Aussagen zur Regelung der Nachfolge im Präsidentenamt gemacht; zudem
wurden einige der erst in den letzten Jahren veröffentlichten Offenbarungen von den
Kirchenmitgliedern unterschiedlich aufgenommen und zum Teil äußerst kontrovers
diskutiert. Besonders das Gebot der Polygamie (D&C 132) stieß bei vielen
Gläubigen, die zum größten Teil dem konservativen puritanischen Umfeld Neu
Englands und Großbritanniens entstammten, auf heftigen Widerstand. Machtkämpfe
unter den Mitgliedern der Kirchenführung, Kirchenausschlüsse und -austritte von
Mitgliedern und Gründungen von Splittergruppen waren die Folgen.
27
Der größte
Teil der ,,Heiligen"
28
jedoch erkannte Brigham Young, ein Mitglied der
Kirchenleitung, nach einer Konferenz der Kirchenobrigkeit am 8. August 1844 als
neuen Führer und Propheten der Kirche an (Alexander 1996: 88). Währenddessen
27
Von den vielen einzelnen Gruppierungen ist heute nur noch die Reorganized Church of Jesus Christ
of Latter-day Saints zahlenmäßig bedeutend. Daneben gibt es noch u. a. die Church of Christ
(Temple Lot), die heute im Besitz des ursprünglichen Tempelgeländes in Independence ist und
sich gegen entsprechende Landkaufversuche aus Salt Lake City wehrt, die Church of Jesus Christ
(Bickertonites) und schließlich die Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (Strangites)
(Mead 1985: 137ff).
28
Diese Titulierung entspricht dem "Saints" aus dem offiziellen Kirchennamen Church of Jesus Christ
of Latter-day Saints.

Geschichte
18
verstärkten sich die anti-mormonischen Ressentiments in der Bevölkerung, und die
Zahl der gewalttätigen Übergriffe gegen Mormonen, aber als Gegenreaktion auch
von Mormonen gegen Nicht-Mormonen, stieg weiter an, sodass sich die Heiligen in
Nauvoo nicht mehr länger sicher ­ oder zumindest glücklich ­ fühlen konnten. Da
ihnen für die nähere Zukunft auch die Rückkehr in das versprochene Land Zion in
Independence in Missouri versagt war, griffen sie auf eine Aussage Smiths aus
demselben Jahr zurück, in der er den geographisch ursprünglich auf Jackson County
in Missouri begrenzten Begriff Zion als dem gelobten Land auf ganz Süd- und
Nordamerika ausdehnte (Alexander 1996: 89). Nach den schlechten Erfahrungen, die
die Heiligen mit der wenig toleranten amerikanischen Gesellschaft gemacht hatten,
erschien ihnen ein Rückzug aus derselben als attraktivster Ausweg, der ihnen auch
von Seiten der Staatsregierung nahegelegt wurde.
Etwa um die gleiche Zeit erreichten Berichte von Pionieren des Westen den Osten
Amerikas, in denen von weiten, lediglich von Indianern besiedelten und somit nach
damaligem Verständnis prinzipiell als unbewohnt anzusehenden Gebieten jenseits
der Rocky Mountains gesprochen wurde. Der Kirchenführung erschien ein
Ausweichen in ein Gebiet, in dem sie unbehelligt von der Regierung der Vereinigten
Staaten bzw. deren Bürgern leben konnten, als eine gute Lösung. Die Tatsache, dass
das anvisierte Gebiet zwischen Oregon und Arizona zu dieser Zeit noch einer
anderen Nation, nämlich Mexiko, gehörte, schien kein Hindernis zu sein. Der Plan
war, sich am westlichen Ufer des Mississippi zu sammeln und anschließend in das
sogenannte ,,Utah Territory" zu ziehen. Brigham Young rief in der Folge daher alle
Mormonen auf, sich in Nauvoo zu sammeln und sich für den großen Exodus
Richtung Westen vorzubereiten. Im Februar 1846 begannen die ersten Gruppen unter
seiner Führung mit der Überquerung des Mississippi; im Sommer und Herbst des
selben Jahres folgte, durch gewalttätige Übergriffe der Bevölkerung Illinois'
unterstützt, das Gros der Auswanderer. Durch die überstürzte Auswanderung, die
eher einer Flucht nahekam, waren die Mormonen allerdings denkbar schlecht auf den
langen Marsch durch die Steppen des mittleren Westens und die Täler der Rocky
Mountains vorbereitet.
Am 13. Mai 1846 erklärten die Vereinigten Staaten ihrem Nachbar Mexiko den
Krieg, in dessen Folge das gesamte Gebiet der heutigen Staaten New Mexico,

Geschichte
19
Arizona, Colorado, Utah, Nevada und Teile Kaliforniens an die USA fiel. Obwohl
für die Mormonen diese Entwicklung im Frühjahr 1846 noch nicht vorauszusehen
war, änderte sich ihre Situation dadurch dennoch grundlegend. Hatten sie den
Auszug noch unter der Prämisse geplant, den feindlich gesinnten Vereinigten Staaten
und seinen Bürgern den Rücken zu kehren, bot sich ihnen unerwartet sogar die
Möglichkeit staatlicher Unterstützung ihres Vorhabens. Die Regierung hatte den
Mormonenführern angeboten, gegen Überlassung von 500 mormonischen Rekruten
für den Mexican War den Auszug finanziell zu unterstützen (Alexander 1996: 92f).
Dieses Angebot kam den Mormonen auch insofern gelegen, als sie darauf
spekulierten, dass diese ausgebildeten Soldaten nach ihrer Militärzeit als Pioniere
den Aufbau des neuen Zion in den Bergen vorbereiten und unterstützen könnten.
1.3 Exodus und Pionierjahre in Utah
Die zurückgebliebenen Mormonen bereiteten sich unterdessen in ihrer Lagerstätte
Winter Quarters auf den Auszug im nächsten Frühjahr vor. Am 14. April 1847
machte sich dann die erste Gruppe von 148 Menschen auf den langen Weg. Brigham
Young führte, in bewusster Analogie zu Moses und dem biblischen Auszug der
Israeliten aus Ägypten, den Treck an (Alexander 1996: 94).
Abbildung 4: Exodus nach Utah
29
29
Quelle: Homepage der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints:
http://scriptures.lds.org/
chmaps/6

Geschichte
20
Er folgte dabei zum großen Teil dem Oregon Trail nach Kalifornien (vgl. Abb. 4),
noch unsicher, wo genau die Reise enden sollte. Auf Anraten einiger Trapper und
Rückkehrer aus Kalifornien, auf die die Gruppe unterwegs traf, entschieden sich die
Führer der Mormonen für das östliche Gebiet des Great Basin, das sich direkt an die
Westfront der Rocky Mountains anschließt. Am 24. Juli 1847 erreichte Brigham
Young mit seiner Gruppe das Tal des Großen Salzsees. Beim Anblick des
fruchtbaren Salt Lake Valley vom Ausgang des später Emigration Canyon genannten
Tals soll er die Worte ausgesprochen haben: ,,This is the right place, drive on"
(Alexander 1996: 96).
30
Die Entscheidung für einen Siedlungsplatz war getroffen.
Die Siedler gingen sogleich daran, das Land urbar zu machen. Sie entwarfen den
Grundriss von Salt Lake City, der auch heute noch gültig ist: ausgehend vom
,,Temple Square" mit dem noch zu bauenden Tempel wurde das Land in ,,10-acres"
große Quadrate eingeteilt mit ungewöhnlich breiten Straßen (44 yards): Youngs
Wunsch war es ,,to be able to turn a span of oxen around without backing them up"
(Alexander 1996: 98).
31
Sie legten Bewässerungsanlagen an, verlegten große Farmen
an den Rand der Stadt und planten auch gleich Siedlungen für die nachfolgenden
Auswanderer.
Im selben Jahr noch wurde die Organisation der Kirche überarbeitet: Brigham
Young wurde als Präsident und Prophet der Kirche bestätigt, und zusammen mit
Heber C. Kimball und Willard Richards formte er die First Presidency (Erste
Präsidentschaft).
32
In den folgenden Jahren waren die Mormonen damit beschäftigt, das Land zu
kultivieren, Neuankömmlinge zu integrieren und die Kirche auf- und auszubauen.
Anfangs waren die meisten der Heiligen noch unsicher, ob denn ihr neuer Prophet
Salt Lake Valley auch die richtige Wahl mit dem getroffen hatte: Indianerüberfälle
30
An dieser Stelle befindet sich heute ein staatlicher Park und ein Denkmal in Erinnerung an diesen
Augenblick.
31
Ein Umstand, der der heutigen Stadtplanung sehr zugute kommt. Er macht es sogar möglich, dass in
den letzten Jahren im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele 2002 zwei Strassenbahnlinien
gebaut werden konnten, ohne die autoverliebten Einwohner zu sehr zu verärgern.
32
`First' ist nicht im zeitlichen Sinn zu verstehen, sondern als Zeichen der Rangordnung; vgl. auch
Kapitel 2 ,,Aufbau der Kirchenstruktur".

Geschichte
21
und widrige klimatische Bedingungen ließen so manchen zweifeln. Ein Ereignis im
Sommer 1848 überzeugte jedoch die Gläubigen und bestärkte sie darüber hinaus
noch in dem Glauben an ihre Auserwähltheit durch Gott: als nach einem
entbehrungsreichen Winter die ausgesähte Saat auf eine reiche Ernte im Herbst
hoffen ließ, fielen im Mai und Juni Horden von Heuschrecken über die Felder her
und zerstörten einen großen Teil des Getreides. Dann jedoch tauchten Scharen von
Seemöwen vom nahe gelegenen Großen Salzsee auf, die ihrerseits über die
Heuschrecken herfielen und so die Ernte retteten (vgl. Chronology of Church History
sowie Arrington/Bitton 1979: 104).
Nachdem alle Zweifel durch diesen als göttliche Intervention zugunsten des
auserwählten Volkes gedeuteten Vorfalls beseitigt waren, konnte man daran gehen,
Salt Lake City zu dem zu machen, was der Literaturwissenschaftler Bloom als das
,,pragmatic Jerusalem" (Bloom 1992: 87) bezeichnet, eine Art temporäres Paradies
bis zur Wiederkunft Jesu. Bereits 1849 wurde die Deseret Musical and Dramatic
Society gegründet, 1850 die University of Deseret (die heute staatliche University of
Utah), allerdings mit noch äußerst rudimentärem Lehrbetrieb, und im selben Jahr die
heute noch existierende, in Kirchenbesitz befindliche Tageszeitung ,,Deseret News"
(Alexander 1996: 104ff). Im April 1853 wurde mit dem Bau des Tempels begonnen
(vgl. Abb. 5, Fertigstellung 1893).

Geschichte
22
Abbildung 5: Salt Lake Temple
33
Nachdem Mexiko als Verlierer des Krieges im Vertrag von Hidalgo seine
Besitzungen südlich des 42. Breitengrades, das auch das Siedlungsgebiet der
Mormonen einschloss, an die Vereinigten Staaten abgetreten hatte, war abzusehen,
dass die Regierung in Washington dieses Gebiet nicht lange ohne eine legitimierte
Verwaltung lassen würden. Aus nicht unbedingt uneigennützigen Gründen boten die
Mormonen daher an, diese Aufgabe zu übernehmen, und bewarben sich im Sommer
1849 für die Verwaltung des Gebietes mit dem Status eines Territoriums und bald
darauf für die Aufnahme des Bundesstaates Deseret
34
in den amerikanischen
Staatenbund. Die beginnenden Spannungen zwischen den Nord- und den Südstaaten
der USA über die Frage der Sklaverei, ungelöste Grenzprobleme, Unsicherheiten
über den seltsamen Namen und Gerüchte über ,unchristliche Praktiken' führten
allerdings dazu, dass das beanspruchte Gebiet schließlich auf etwa das des heutigen
Utahs zusammengeschnitten wurde und auch lediglich den Status eines Territoriums
zugesprochen bekam.
33
Quelle: Homepage der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints:
http://www.scriptures.lds.org/chphotos/18
34
Deseret ist ein Wort aus dem Buch Mormon mit der Bedeutung ,Honigbiene' (BoM Ether 2:3 und
Alexander 1996: 117). Der Bienenstock (beehive) ist heute das Symbol des Staates Utah.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832467869
ISBN (Paperback)
9783838667867
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg – unbekannt
Note
1,0
Schlagworte
religion körperbild
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Titel: Sport, Körper und Mormonen
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