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Bürgerschaftliches Engagement

Ein Überblick und Möglichkeiten für Staat und Gesellschaft

©2002 Diplomarbeit 102 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bürgerbeteiligung hat Hochkonjunktur. Schlagworte wie Bürgerliches Engagement, Freiwilligenarbeit, Bürgerbüro oder Bürgerservice finden sich gehäuft in den Medien, der 5. Dezember 2001 wurde zum Tag des Ehrenamtes bestimmt.
Selbst die Politik, sonst um Ausreden und Ausflüchte nicht verlegen, schreit vor dem Hintergrund sozialer Probleme in den Gemeinden nach Hilfe von Außen, Ehrenamt und Bürgerliches Engagement finden zunehmend Bedeutung in sozialpolitischen Planungen.
Auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Stadtentwicklung und gar in der Wirtschaftsförderung wird verstärkt auf die Mitarbeit engagierter Bürger gesetzt.
Etwa 34 % der Bürgerinnen und Bürger engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich in Verbänden, Vereine, Initiativen und Projekten.
Bürgeraktivierung und –Beteiligung geschieht heute jedoch im Vergleich zu früher unter anderen Vorzeichen. Das Bild der „Ehrenamtlichen“ hat sich verändert, über Sinn und Zweck wird nachgefragt, das Ziel der Helfer ist oftmals eigene Befriedigung und persönliches Selbstverständnis, die Hilfe an sich mehr oder weniger nur „Nebenprodukt“.
Gang der Untersuchung:
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, über die Begrifflichkeiten und Systematik der Thematik „Bürgerschaftliches Engagement“ einen Überblick zu verschaffen. Gestreift wird der geschichtliche Aspekt, rechtliche Grundlagen sowie mögliche Betätigungsfelder. Schwerpunkte der Arbeit sind eine Beschreibung und Darstellung der freiwilligen Helfer sowie deren Motivation und Motive
Im abschließenden Kapitel werden die Chancen, aber auch mögliche Risiken, die das bürgerliche Engagement für Staat und Gesellschaft bedeuten können, kurz dargestellt.
Die Arbeit endet mit Forderungen an die Adresse von Kommunen und staatlichen Organisation, welche im wesentlichen die Verantwortung für förderliche Rahmenbedingungen eines funktionierenden bürgerschaftlichen Engagements tragen.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
1.Bürgerliches Engagement
1.1Geschichtlicher Hintergrund8
1.2Begrifflichkeiten/Definition12
1.3Abgrenzung zur Professionalität17
1.4Wer engagiert sich?20
1.4.1Vorrausetzungen18
1.4.2Tätigkeitsbereiche25
1.4.3Personenkreis53
1.4.4Motivation und Motive57
1.4.5Organisationsformen61
1.4.6Zugangswege64
1.4.7Zeitlicher Aufwand65
1.5Rechtliche Situation69
2.Chancen und Risiken
2.1Risiken des bürgerschaftlichen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Bürgerliches Engagement
Geschichtlicher Hintergrund
Begrifflichkeiten/Definition
Abgrenzung zur Professionalität
Wer engagiert sich?
Vorrausetzungen
Tätigkeitsbereiche
Personenkreis
Motivation und Motive
Organisationsformen
Zugangswege
Zeitlicher Aufwand
Rechtliche Situation

2. Chancen und Risiken
2.1. Risiken des bürgerschaftlichen Engagements
2.2. Chancen
2.3. Forderungen
2.4. Beispiele
2.4.1. Lokale Agenda
2.4.2. Aktivierender Staat
2.4.3. Bürgerhaushalt
2.4.4. Bürgerbüro

3. Fazit

4. Literatur

Vorwort

Bürgerbeteiligung hat Hochkonjunktur. Schlagworte wie Bürgerliches Engagement, Bürgerbüro oder Bürgerservice finden sich gehäuft in den Medien, der 5. Dezember 2001 wurde zum Tag des Ehrenamtes bestimmt.

Das Sozialministerium in Baden-Württemberg hat eine Geschäftsstelle „Bürgerliches Engagement“ eingerichtet, in den Kommunen und Städten bestehen inzwischen Bürgerbüros, die sich um die Belange der „Ehrenamtlichen“ kümmern.

Selbst die Politik, sonst um Ausreden und Ausflüchte nicht verlegen, schreit vor dem Hintergrund sozialer Probleme in den Gemeinden nach Hilfe von Außen, Ehrenamt und Bürgerliches Engagement finden zunehmend Bedeutung in sozialpolitischen Planungen.

Auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Stadtentwicklung, Jugend- und Altenhilfe und gar in der Wirtschaftsförderung wird verstärkt auf die Mitarbeit engagierter Bürger gesetzt.

„Nichts Neues“, sollte der Ruf der Sozialpädagogik lauten, hinter diesen Stichworten verbergen sich doch nur altbekannte Methoden der Gemeinwesenarbeit.

In den 70er Jahren entwickelte sich in der Bundesrepublik unter dem Etikett "Gemeinwesensarbeit" (GWA) eine damals insbesondere von fortschrittlichen Sozialarbeiter/innen getragene, von der staatlichen, konventionellen Planung geradezu gefürchtete und von wenigen Wissenschaftler/innen konstruktiv begleitete Praxis, durch die Menschen in zahlreichen Stadtteilen über aktivierende Arbeit angeregt wurden, sich für ihre Belange einzusetzen, Widerstand zu entwickeln und selbst zur Gestaltung ihrer Lebenswelt beizutragen.

Auf den ersten Blick scheint sich hier die Geschichte zu Wiederholen, altbewährtes wird in Zeiten der Krisen und Probleme hervorgeholt, neu und modern verpackt und so „wiederverkauft“.

Bürgeraktivierung und –beteiligung geschieht heute jedoch unter anderen Vorzeichen. Sie ist vielerorts ausdrücklich von der Bürokratie erwünscht und wird gefördert, man ruft regelrecht nach aktiven Bürgern/innen, entsprechende, zur Verfügung gestellte Rahmenbedingungen seitens der Kommunen gelten als Ausweis und Beleg für ein qualitativ hochwertiges Verfahren und politisches Interesse. Parallel zu Entwicklungen in der Sozialen Arbeit, in der Firmen soziale Zwecke zunehmend unter dem Gesichtspunkt unternehmerischer Methoden verfolgen, hat sich das Bild der „Ehrenamtlichen“ verändert, über Sinn und Zweck wird nachgefragt, das Ziel der Helfer ist oftmals eigene Befriedigung und persönliches Selbstverständnis, die Hilfe an sich mehr oder weniger nur „Nebenprodukt“. Mit dem Internet als Plattform bieten sich zudem Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten, die weit über das bisher gebotene und praktizierte Verständnis des Ehrenamtes gehen.

Doch die Signale sind auch widersprüchlich, denn gleichzeitig werden die Ressourcen knapper (kurz nach den Feierlichkeiten zum Tag des Ehrenamtes hat die Baden-Württembergische Landesregierung entgegen aller Versicherungen die Gelder für Maßnahmen der Geschäftsstelle Bürgerliches Engagement nahezu halbiert!) und Kritiker dieser Entwicklung lauter. Das Credo der sozialpolitischen Bedenkensträgern mündet in der Ansicht, dass der Staat das soziale Risiko seinen Bürgern nicht zurückgeben darf. Aber auch Vertreter der großen Wohlfahrtsverbände und Kirchen, die sich mit ihren Einrichtungen und Institutionen ein großes Stück vom Kuchen der Wohlfahrtspflege bisher ohne große Konkurrenz abschneiden konnten, wittern Gefahr für ein bisher gut einträgliches Betätigungsfeld. Wer zahlt, wenn andere mehr oder weniger umsonst helfen?

Auch in den Sozialwissenschaften wird seit einiger Zeit mit wachsendem Engagement die Frage diskutiert, wie eine Gesellschaft, die sich immer stärker an Werten wie Selbstverwirklichung oder Emanzipation des Individuums orientiere, überhaupt noch einen Zusammenhalt als solidarische Gemeinschaft realisieren könne.

Ist Bürgerschaftliches Engagement das Resultat dieser gesellschaftlichen Entwicklung, Mittel zum Selbstzweck? Die Motivation der Helfer ist vielschichtig, offensichtlich ist aber in der Tat, dass im Ehrenamt nicht nur die Bedürftigen, sondern auch die Helfer selbst „empfangen“. Bürgerschaftliches Engagement ist auch immer ein Ausdruck von Unzufriedenheit und „Rebellion“ gegen bestehende, von vermeintlichen Experten und Professionellen geschaffenen Tatsachen und Zustände des gesellschaftlichen Miteinanders.

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, einen Überblick über die Vielfalt des Bürgerlichen Engagements zu bieten und darzustellen, was die Helfer/innen für ihr Amt motiviert. Schwerpunktmäßig geht es dabei um soziale Projekte.

Es stellt sich die Frage, welche Chancen oder auch Gefahren sich für Staat und Gesellschaft durch ein aktives bürgerschaftliches Engagement ergeben und welche Forderungen und Bedingungen damit verbunden sind.

1. Bürgerliches Engagement

1.1. Geschichtlicher Hintergrund

Die Wurzeln des Sozialen Ehrenamtes liegen zum einen in der religiös motivierten privaten Hilfstätigkeit gegenüber Armen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert und zum anderen in Formen politisch- bzw. sozialadministrativer Ehrenämter, die den Bürgern die Chance zur symbolischen Partizipation an Macht und Entscheidungen boten.

Während diese letzte Variante eine eindeutige Domäne der Männer war gestaltete sich die christliche Hilfstätigkeit als stark weibliches Betätigungsfeld.

Neben diesen Formen der Hilfsbereitschaft entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts unabhängig von der stattlichen Armenpflege Formen privater Wohltätigkeit in Vereinigungen und Assoziationen, so beispielsweise im Bereich der evangelischen Kirche freie christliche Assoziationen, die mittels innerer Mission und sozialer Hilfsaktionen(Rettungs- und Armenkinderanstalten, Jünglingsvereine etc.) in erster Linie einen Beitrag zur Erneuerung des geistig - sittlichen Lebens leisten wollten (Wessels, S.16 ff).

Für derartiges Engagement im Bereich der privaten Wohltätigkeit und Fürsorge wurde jedoch noch nicht der Begriff „Ehrenamt“ benutzt, das soziale Ehrenamt differenzierte sich – in stark weiblicher Form – erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts heraus.

Als uneffektiv erwies sich relativ schnell die mehr oder weniger rein symbolische Repräsentation des Ehrenamtes der Männer. In der Tat konnten diese Ämter nur von Bürgern mit entsprechendem Einkommen und Besitz übernommen werden. Kein Bürger konnte die Annahme des Amtes verweigern, was sich entsprechend auf die Motivation auswirkte (Streng, S.15 ff).

Die Betreuung der Armen zu Beginn des 19. Jahrhunderts blieb somit zunächst eine hoheitliche Aufgabe der Polizei und wies zahlreiche repressive Elemente wie Zwangsarbeit, die Möglichkeit des Freiheitsentzugs sowie den möglichen Entzug des Wahlrechts auf. Ein Rechtsanspruch auf staatliche Versorgung bestand nicht und das primäre Ziel der staatlichen Maßnahmen war die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Interessant ist nach Wessels, dass Frauen zu dieser Zeit nur äußerst begrenzten Zutritt zur Öffentlichkeit hatten, sie besaßen beispielsweise weder aktives noch passives Wahlrecht und hatten auch nicht die Möglichkeit zur Übernahme öffentlicher Ämter. Dass ehrenamtliches Engagement dennoch auch für einige Frauen aus der bürgerlichen Mittelschicht und dem Großbürgertum möglich wurde, ist als Folge sozialer, ökonomischer und ideologischer Entwicklungen zu sehen. Soziales Ehrenamt stellte sowohl aus Sicht der Gesellschaft als auch aus Sicht der Frauen eine Art Kompromiss dar. In einer Zeit steigender sozialer Probleme wurde hier bisher brach liegendes Helferpotential genutzt. Die ehrenamtlich Tätigen bürgerlichen Frauen sollten dazu beitragen, eine drohende soziale Revolution abzuwenden und sozialen Frieden herzustellen. Gleichzeitig übten sie natürlich auch immer eine Kontrollfunktion über die Frauen der ärmeren sozialen Schichten aus. Ihre Arbeit diente sowohl der gesellschaftlichen Integration der Problemgruppen als auch der eigenen gesellschaftlichen Einbindung. Soziales Ehrenamt stellte auch eine Kompromissform im Umgang mit nicht eingelösten Forderungen – insbesondere der bürgerlichen Frauen – nach gleichberechtigter Integration in als relevant anerkannte Bereiche wie Erwerbsarbeit oder Politik dar. Ehrenamtliche soziale Arbeit bot ihnen die Möglichkeit der nützlichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben trotz eines Netzes von Konventionen, das Bildung und Erwerbstätigkeit für Frauen erschwerte (Wessels, 1994).

Die Ausführungen Wessels verdeutlichen, dass das soziale Ehrenamt schon von Anfang an für eigene Zwecke instrumentalisiert wurde und dieses offensichtlich wieder aktuell bestand hat (vgl. Kapitel 1.4.3. Personenkreis und 1.4.4. Motive).

Für die geschichtliche Entwicklung des Sozialen Ehrenamtes ist die Einführung des Elberfelder System[1] in der Armenhilfe von Bedeutung. Die Stadt wurde in mehrere Bezirke aufgeteilt, jeweils ein Ehrenamtlicher war dann für 4-5 Familien verantwortlich. Entscheidendes Kennzeichen dieses Systems war die konsequente Ausrichtung der öffentlichen Fürsorge auf ehrenamtlicher Basis und das die Zuständigkeit des Armenpflegers nach lokalen Kriterien bestimmt wurde. Dieses System erinnert zumindest weitläufig an die noch heute gültige Bezirkssozialarbeit.

Schon gegen Ende des 19.Jahrhunderts war das Elberfelder System jedoch bereits gesellschaftlich überholt (Wessels, S.18). Die sozialen Rahmenbedingungen hatten sich entscheidend gewandelt. Zunehmend traten bürokratische und juristische Probleme in der Armenfürsorge auf die Fachkenntnisse erforderten, beispielsweise in Zusammenhang mit der Sozialversicherung. Unvorteilhaft für das Elberfelder Modell wirkte sich auch die zunehmende Mobilität der Armenbevölkerung aus. Eine explizite und systematische Neuordnung des Verhältnisses von ehrenamtlicher und beruflicher Tätigkeit in der Armenfürsorge wurde notwendig und dann auch schließlich mit der Übernahme des sogenannten Straßburger Systems[2] vollzogen.

Eine Wende erfuhr das Ehrenamt in den 90er Jahren des 18.Jahrhunderts. Bürgerliche Frauenbewegungen bestimmten weitläufig das Bild in der Armenfürsorge und damit zusammenhängend im sozialen Ehrenamt. Mit Alice Salomon, deren Engagement stark von der Settlementbewegung in England geprägt wurde, gab es erste Überschneidungen zwischen einem Sozialen Ehrenamt und einer sozialen, beruflichen Professionalisierung.

In den Kriegsjahren des 1. Weltkrieges wurde das Ehrenamt aus der Armenpflege zugunsten bestimmter Hilfstätigkeiten im Zusammenhang mit den Folgen des Krieges verdrängt. Parallel dazu hatte sich Mitte der zwanziger Jahre die berufliche Sozialarbeit etabliert.

Eine Instrumentalisierung des Ehrenamtes fand während der Zeit des Nationalsozialismus durch den Freiwilligen Arbeitsdienst statt. Der kontrollierende und disziplinierende Charakter der Wohlfahrtspflege trat in den Vordergrund. Bereits entlohnte Tätigkeiten wurden entprofessionalisiert. Einem übersteigerten staatlichen Fürsorgegedanken wurde die Selbstverantwortung der Bürger geopfert (Streng, S. 17 ff).

In den 50er Jahren gaben viele Frauen ihr Ehrenamt zugunsten einer bezahlten Tätigkeit auf. Die Professionalisierung der Sozialarbeit wurde weiter vorangetrieben, es kam zunehmend zu Konkurrenz- und Hierarchiestreitigkeiten zwischen sozialem Ehrenamt und bezahlter Sozialarbeit.

In den 70er Jahren war der Anteil an Ehrenamtlichen so stark gesunken, dass die Kirchen und Wohlfahrtsverbände um Ehrenamtliche werben mussten.

Die in den 80er Jahren aufkommende ökonomische Krise war nach Olaf Streng auch eine Krise der professionellen Sozialarbeit. Begriffe wie Selbsthilfe, Eigenverantwortung und Bürgerengagement begannen wieder die Debatten zu beherrschen.

Wurde aus Sicht des Staates diese Entwicklung damals als Gefahr für Staat und Gesellschaft gesehen, so wird aktuell eine Förderung in diese Richtung staatlich forciert.

Die aktuellen, neuen Formen des Sozialen Ehrenamtes weisen gänzlich andere Merkmale auf als im geschichtlichen Kontext so beschrieben: zeitliche Flexibilität, Selbstbetroffenheit und ein hohes Maß an Selbstbestimmung, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, Spontaneität und Kreativität. Sie sind dezentralisiert, pluralisiert und individualisiert (Müller/Rauschenbach, S. 55).

Es handelt sich um eine moderne Form des Ehrenamtes, welche nur noch wenig mit ursprünglich familiärer oder nachbarschaftlicher sozialer Hilfe zu tun hat.

1.2. Begrifflichkeiten/Definition

Im Bereich des Themenkomplexes dieser Arbeit finden sich für wohl immer das gleiche Meinende verschiedene Begrifflichkeiten und Definitionen.

Dominierend in den Medien sind die Begriffe der Ehrenamtlichen und des Bürgerlichen Engagements. Das Sozialministerium in Baden – Württemberg hat eine Geschäftsstelle Bürgerliches Engagement, unter dem Namen Lokale Agenda 21 wird derzeit in vielen Kommunen die Selbstbeteiligung und das persönliche Engagement der Bürger in inhaltlich verschiedensten Themenbereichen forciert und gefördert.

Wendt (1996, S.19ff) weist darauf hin, dass im Bereich der Sozialpolitik bürgerschaftliches Engagement oft missverstanden wird als lediglich ein neuer Name für das, was bisher „Ehrenamt“ und „freiwillige Mitarbeit“ hieß. Dieser Punkt wird in der Tat auch oftmals von den Kritikern dieser (neuen) Bewegung angebracht. Tatsächlich bedeutet nach Wendt sich bürgerschaftlich engagieren einen selbstbestimmten Einsatz im Gemeinwesen. Dieser Einsatz sowie dessen Form (vgl. Kapitel 1.4.2.) kann sehr verschieden sein. Das Prädikat „bürgerschaftlich“ verdient er dann, wenn sich der oder die Engagierte ziviler, den Zustand des Gemeinwesens und seiner Angehörigen betreffender Belange widmet. Zu ihnen zählen der Zustand von Kinderspielplätzen ebenso wie die Lage Asylsuchender, das Verhältnis der Generationen in der Bevölkerung oder die Integration psychisch Kranker im sozialen Umfeld. Wer in einem Verein Sport treibt ist allein nicht schon deshalb bürgerschaftlich engagiert. Auch nicht, wer seinen Freizeitinteressen in einem Jugendclub nachgeht. Wohl aber derjenige, der sich in einer Initiative von Bürgern darum kümmert, dass für Jugendliche mehr Freizeitstätten vorhanden sind oder dafür, dass mehr Sport in Gemeinschaft betrieben wird.

Kritisch möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass dieser Definition folgend am Beispiel des Jugendclub konsequenterweise auch der umgekehrte Fall, eine Initiative von Bürgern gegen das Vorhandensein von mehr Freizeitstätten bürgerschaftliches Engagement wäre. Theoretisch hätte nach meiner Meinung dieser Umkehrschluss bestand, in der Praxis wäre dieses aber schwer zu vermitteln. Zu dieser Problematik mehr gegen Ende dieses Kapitels.

Diese Arbeit befasst sich mit dem Begriff des Bürgerlichen Engagements. Ich habe diesen Titel gewählt, da sich darunter die Vielfalt des Engagements fassen lässt Bürgerliches Engagement muss somit nicht zwangsläufig sozial sein, Bürgerschaftliches Engagement findet dann statt, wenn sich eine unbestimmte Anzahl von Bürgern zusammentut, um in einer Initiative oder sonstigen offenen Gruppen aktiv (mehrheitliche) Interessen der Mitbürger vertritt und gestaltet.

Synonym zum Begriff des Bürgerlichen Engagements wird die Begrifflichkeit des Ehrenamtlichen Engagements benutzt. In Tat sollten diese Begriffe nicht synonym sondern ergänzend Gebrauch finden. Bürgerschaftliches Engagement bedingt das „Ehrenamt“ nicht und findet unentgeltlich oder nur gegen eine geringfügige Entschädigung statt. Das Ehrenamt ist verstärkt Ausdruck einer gesellschaftlich legitimierten Rollenzuordnung, eines „Amtes“. Dieses bedingt mangelnde Flexibilität und fehlender Individualismus. Neben einer möglichen (hohen) Aufwandsentschädigung sind diese Charakteristika stark einengende Kriterien einer lebendigen Kultur des Engagements.

Im Fachlexikon der Sozialen Arbeit wird die ehrenamtliche Tätigkeit im sozialen Bereich wie folgt definiert:

„Ehrenamtlich Tätige sind Bürger, die sich, ohne durch verwandtschaftliche Beziehungen oder ein Amt dazu verpflichtet zu sein, unentgeltlich oder gegen eine geringfügige Entschädigung, die weit unterhalb der tariflichen Entschädigung liegt, sporadisch oder regelmäßig für Aufgaben in der Sozialen Arbeit zur Verfügung stellen“.

Nach Streng (1997) lässt sich diese Definition auch auf alle anderen Bereiche ehrenamtlichen Engagements übertragen:

Freizeit und Sport

Justiz

Not- und Katastrophenschutz

Natur und Umweltschutz

Entwicklungs- und Friedensdienst. Aufbauhilfe

Expertendienst

Politische Arbeit

Beruf und gesetzlich vorgegebene Selbstvertretungen

Internationale soziale Dienste

Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen

Im weiteren Verlauf befasst sich Streng mit dem Begriff des Bürgerlichen Engagements im Vergleich zum Ehrenamt. Nach seinen Ausführungen wird – ganz im von mir zuvor beschriebenem Sinne – der Begriff des Bürgerengagements weitläufiger verstanden als der des Ehrenamtes, auch nach Streng (1996, S.37) deckt er alle Bereiche des freiwilligen Engagements von Bürgern ab: „Sich engagieren bedeutet im Bürgerschaftlichen Kontext, Verantwortung zu übernehmen für die Freiheit der anderen, sowohl für ihre Befähigung, dass sie ihre Freiheit nutzen können, als auch für die entsprechenden Vorraussetzungen, für den Rahmen. Bürgerschaftliches Engagement unterscheidet sich vom Ehrenamt mit der Unterscheidung von „neu“ und „alt“ zum einen darin, dass Ehrenamt vor allem karitativ definiert wird und zum anderen in seiner Ausrichtung auf das Gemeinwohl“.

Als auch für diese Arbeit interessante Darstellung differenziert Streng in Anlehnung an Brosch zwischen folgenden, schematisch dargestellten Varianten eines freiwilligen Engagements:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein weiterer Vorschlag für eine Definition erfolgt durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAG):

„Ehrenamtliche Mitarbeit ist freiwillige, nicht auf Entgelt ausgerichtete Tätigkeit im sozialen Bereich. Um ehrenamtliche, d.h. unentgeltliche Mitarbeit handelt es sich auch dann, wenn nur Aufwandsentschädigungen oder Auslagenersatz gewährt werden“ (BAG 1985).

Statt weiterer Definitionen greift Wessels (1994) wesentliche Charakteristika ehrenamtlicher Arbeit heraus und stellt sie wie folgt dar:+

Ehrenamtliche Arbeit erfolgt auf freiwilliger Basis

Das bedeutet, der/die ehrenamtlich Tätige wurde nicht von Seiten des Staates oder dessen Behörden zur Leistung ehrenamtlicher Arbeit aufgefordert. Außerdem gilt: es besteht kein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Hilfeleistendem und Hilfeempfänger. Das Engagement erfolgt also nicht, wie es bei der familialen Hilfeleistung der Fall ist, aufgrund wechselseitiger Rollenverpflichtungen, die ein Netz von gegenseitigen Hilfeerwartungen und –verpflichtungen begründen. Die Freiwilligkeit ehrenamtlichen Engagements kann somit als entscheidendes Unterscheidungskriterium gegenüber familialen Hilfeleistungen bewertet werden.

- Ehrenamtliche Arbeit erfolgt unentgeltlich

Zwar wird durchaus anerkannt, dass Aufwandsentschädigungen und Auslagenersatz gezahlt werden, es dominiert jedoch eindeutig die Vorstellung, dass ehrenamtliches Engagement zunächst auf einer ideellen und nicht auf einer materiellen Motivation begründet ist. Immer häufiger ist jedoch zu beobachten, dass für bestimmte Hilfeleistungen geringe Entgelte gezahlt werden. Ehrenamtliche Arbeit droht damit in eine Grauzone der Beschäftigung zu rutschen (vgl. Kapitel 2.1.).

- Ehrenamtliche Arbeit erfolgt innerhalb eines institutionellen Rahmens

Solche Einrichtungen oder Institutionen können beispielsweise die Träger der freien Wohlfahrtsorganisationen, eine Kirchengemeinde oder ein öffentlicher Sozialdienst sein. Der höhere Organisierungs- und Verpflichtungscharakter ehrenamtlicher sozialer Arbeit wird oft als Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Formen des Helfens wie der Nachbarschaftshilfe aufgeführt. Allerdings finden auch hier zunehmend Organisationsstrukturen Bedeutung.

- Ehrenamtliche Arbeit verlangt keine spezielle fachliche Qualifikation

Dennoch ist Ehrenamtlichkeit nicht mit Laienhaftigkeit gleichzusetzen. Zum einen sind für die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit oftmals Einarbeitungs- und Fortbildungsmaßnahmen unbedingt notwendig. Zum anderen werden Qualifikationen zwar nicht grundsätzlich gefordert, soweit sie jedoch vorhanden sind, werden sie für die ehrenamtliche Arbeit genutzt. Dies gilt sowohl für die Nutzung sogenannter alltagsweltlicher Kompetenzen, die die ehrenamtlich Tätigen aus ihrer Arbeit in Haushalt und Familie mitbringen, als auch für Kenntnisse und Erfahrungen aus beruflicher Ausbildung und Berufstätigkeit.

Deutlich wird bei diesen Ausführung einerseits die Schwierigkeit einer abschließenden Definition und andererseits – gerade durch das neue Selbstverständnis des freiwilligen bürgerlichen Engagements – eine klare Abgrenzung zu beruflichprofessioneller Tätigkeit.

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich den Begriff des Bürgerlichen Engagements als Oberbegriff für alle Tätigkeiten von Bürgern verwenden, die wie definiert freiwillig, zeitlich nicht festgesetzt und bestenfalls geringfügig entlohnt werden und im Kern dem Gemeinwesen dienen.

Ehrenämter aller Art können unter diesen Vorrausetzungen Formen des Bürgerlichen Engagements sein, bedingen dieses – im Hinblick auf sehr hohe Aufwandsentschädigungen zum Beispiel im Sportbereich – aber nicht.

Bürgerliches Engagement darf sich durchaus eines institutionellen oder professionellen Rahmens bedienen, umgekehrt kann somit Bürgerliches Engagement auch forciert werden (Beispiel Lokale Agenda, Bürgerbüro).

Bürgerliches Engagement kann ebenfalls sowohl in der Zielerreichung wie auch durch die reine Mitarbeit dem Selbstzwecke dienen.

Ausschließen möchte ich an dieser Stelle Hilfsformen, die sich aus familiärer Konstellation ( Beispiel Pflege naher Verwandter) ergeben sowie die Form von Selbsthilfe, welche sich ausschließlich an den Kreis der Betroffenen richtet und Dritten keinen Zugang gewährt.

1.3. Abgrenzung zur Professionalität

Bei dem bisher beschriebenen wird deutlich, das eine Abgrenzung des Ehrenamtes im Rahmen eines Bürgerlichen Engagements zur professionellen Tätigkeit durchaus schwierig sein kann. Dieses begründet sich nicht nur im historischen Kontext des Ehrenamtes sondern bedingt sich auch in den „neuen“ Formen eines freiwilligen Engagements.

Wenngleich Christoph Sachße (in Müller/Rauschenbach1992, S.51 ff.) betont, dass es eine lineare Entwicklung von ursprünglich familiärer Selbsthilfe über die ehrenamtliche Wahrnehmung sozialer Dienste bis hin zu ihrer professionellen Organisation historisch nicht gegeben hat so lassen sich dennoch Zusammenhänge in der Entwicklung nicht leugnen.

Nach Sachße haben sich soziales Ehrenamt und sozialer Beruf eher parallel entwickelt. Diese Betrachtungsweise ist zu einseitig, in der Tat haben sie sich gegenseitig bedingt und ergänzt. Dieser Punkt macht eine Abgrenzung des freiwilligen, ehrenamtlichen Engagements zur (sozialen) beruflichen Professionalität durchaus schwierig. Dieser Ansicht ist auch Wessels (1994, S.15), die in den verschiedenen Hilfeformen fließende Übergänge erkennt. Zur Einordnung ehrenamtlicher Arbeit in ein Gesamtsystem sozialer Hilfeleistungen schlägt sich nach Olk folgendes System vor:

Hilfe durch:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Streng, 1997, S.37)

Streng betont, dass soweit ehrenamtliche Tätigkeiten mit geringfügigen Entgelten verbunden sind, formale Qualifizierungsprozesse voraussetzen und dem subjektiven Zweck dienen, in berufliche Tätigkeiten im engeren Sinne zu münden, so handelt es sich zumindest um Vorformen beruflich-professioneller Tätigkeiten.

Auch der Blick auf neuere Formen des bürgerschaftlichen Engagements ist je nach Situation wenig hilfreich. Wo liegt die Grenze zwischen der beruflichen Tätigkeit des Architekten und seines freiwilligen, aber beruflich fundiertem Engagements im Rahmen einer Projektgruppe der Lokalen Agenda bei der Stadtteilgestaltung?

Der Einfachheit halber könnte man sich an dieser Stelle auf die Definition berufen und Abgrenzungskriterien anhand beispielsweise der Aufwandsentschädigung oder einer zeitlichen Limitierung berufen. Nach meiner Meinung spielt ein ganz anderes Kriterium aber eine entscheidende Rolle:

Je mehr eine Organisation oder ein Projekt von freiwilligen, ehrenamtlichen Mitarbeitern getragen wird, umso weniger lässt sich diese/s Organisation/Projekt von anderen, auch professionell gestalteten Formen abgrenzen. Unerheblich dabei ist der berufliche Hintergrund bzw. die Höhe einer möglichen Aufwandsentschädigung der ehrenamtlichen Helfer sowie deren zeitlicher Einsatz. Das bedeutet, dass die Ehrenamtlichen in der Regel zwar nicht in ihrem originärem Berufsfeld als Freiwillige arbeiten, aber diesen als Hintergrund für ihr Engagement mit einbringen. Je höher der Anteil an Ehrenamtlichen ist, umso breitgestreuter sind vorhandene berufliche Kompetenzen. Dieses in Verbindung mit entsprechender Fortbildung bzw. Qualifizierung stellt ein großes Maß an fachlichem Wissen und – je größer diese Einheit ist – an organisatorischer Struktur.

Deutlich wird dieses am Beispiel des Deutschen Roten Kreuzes. Der Grossteil der Mitglieder sind freiwillige Helfer, die ehrenamtlich, aus verschiedensten Berufgruppen kommend und ohne Bezahlung ihren Hilfsdienst leisten. Niemand würde jedoch die Notwendigkeit bzw. die Kompetenzen der Helfer in Frage stellen.

Als Ergebnis kann man an dieser Stelle festhalten, dass eine Abgrenzung von professioneller und ehrenamtlicher Hilfe bezogen auf den Inhalt der Arbeit in bestimmten Fällen durchaus schwierig ist und die Definitionskriterien für eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht immer als Maßstab dienen. Vielmehr stellt sich die Frage nach Sinn und Unsinn einer inhaltlichen Abgrenzung. Ziel einer proaktiven Förderung des Bürgerlichen Engagements sollte eine „Gesunde Mischung“ ehrenamtlicher Tätiger und professioneller Mitarbeiter sein, wobei sich die Mitarbeit der Professionellen schwerpunktmäßig auf die Organisation und deren Struktur beziehen sollte.

In Kapitel 1.4.2. finden sich aufgrund der schematischen Darstellung der einzelnen Tätigkeitsbereiche weiterführende Kriterien für die Abgrenzung zwischen professioneller und ehrenamtlicher Tätigkeit.

1.4. Wer engagiert sich?

1.4.1. Vorraussetzungen

Die Zeiten, in denen die Ehrenamtlichen per Dekret bestimmt wurden, sind vorbei. Vielfach wird von einem „neuen“ Ehrenamt gesprochen, entsprechend sind auch die Motive und Beweggründe der Helfer „neu“.

Obwohl in Befragungen ein Großteil der Befragten als „klassisches“ Motiv für Bürgerschaftliches Engagement angibt, „um Menschen in Not zu Helfen“ (Wendt, 1996,S.131), werden auch strukturelle und inhaltliche Veränderungen in den Beweggründen deutlich. Die neuen Formen zeigen andere Merkmale auf als das herkömmliche soziale Ehrenamt: zeitliche Flexibilität, Selbstbetroffenheit und ein hohes Maß an Selbstbestimmung, Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, Spontaneität und Kreativität. Sie sind dezentralisiert, pluralisiert und individualisiert. Es handelt sich um die postmoderne Form des Ehrenamtes, um expressive Tätigkeiten, die über „punktuelle Zeitverträge“ koordiniert werden, und nicht mehr über zentralwertgesteuertes, formstabiles Dauerengagement (Müller/Rauschenbach1992, S.55).

Müller und Rauschenbach verweisen weiter darauf, das diese Formen von Selbsthilfe und Selbstorganisation nichts mit ursprünglich familiärer oder nachbarschaftlicher sozialer Selbstorganisation und Selbsthilfe zu tun habe. Sie setzen staatlich organisierte soziale Sicherheit und kommunale soziale Dienste voraus.

Dieses wird im weiteren Verlauf auch durch die Repräsentativerhebung des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend belegt. Diese neue Form arbeitet sich an den staatlichen Diensten ab, distanziert sich kritisch von ihnen ist aber ohne ihre Existenz nicht denkbar. Sie benötigt und fordert staatliche Förderung und Unterstützung.

Grundsätzlich kommt es bei der Ausübung eines Ehrenamtes zunächst darauf an, ob man überzeugt ist, überhaupt etwas zur Gestaltung des Gemeinwesens, des sozialen Miteinanders beitragen zu können, sich also nicht von vorneherein selbst aus der Möglichkeit zu bürgerschaftlichem Engagement ausschließt[3]. Inwieweit Zeiten von Politikverdrossenheit und Korruptionsskandale in Politik und Wirtschaft zu einem vermehrten Engagement oder gerade zum Gegenteil führen bleibt für diese Arbeit unbeantwortet, ist aber sicherlich eine interessante Fragestellung.

Hörrmann beschreibt in Wendt (S.116 ff.) die „neue“ Situation des Ehrenamtes und Engagements ähnlich wie Müller und Rauschenbach:

Freiwilliges, unentgeltliches Engagement aus Pflichtbewusstsein und aus dem Willen zu helfen, wie wir es besonders in der älteren Generation noch vertreten finden, stellte in früheren Jahren das Hauptkontingent der ehrenamtlichen Mitarbeiter in Kirche und Diakonie. Die mittlere und jüngere Generation ist anders motiviert. Bei der mittleren Generation steht im Vordergrund der Wille, das Gemeinwesen mitzugestalten, und die Erwartung, dass bei Entscheidungen Möglichkeiten der Mitverantwortung gegeben sind. Außerdem besteht ein Interesse, eigene Fähigkeiten und wünsche einbringen und entfalten zu können. Freiwilliges Engagement braucht einen eigenen Gestaltungsraum.

Zur Aktivierung dieses freiwilligem und nach ihm damit bürgerschaftlichem Engagement nennt Hörrmann (in Wendt, 1996) zwei wesentliche Grundbedingungen:

1. Den gegenseitigen Nutzen betrachten: das Ehrenamt muss sich lohnen – für beide Seiten. Es ist notwendig, darüber offen zu reden. Ehrenamtlichkeit ist eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Nur wo dies deutlich ist, entstehen keine unguten Abhängigkeiten. Ehrenamtliche arbeiten mit, weil sie eine Erweiterung ihres persönlichen Lebenshorizonts erreichen wollen: „Ich tue etwas für mich. Ich kann Lebenserfahrungen als Kompetenz einbringen. Ich kann meine Kompetenzen erweitern. Ich finde soziale Anerkennung und freie Gestaltungsräume“: Nur wo diese Bedürfnisse offen benannt werden dürfen, und nicht hinter Helferphantasien und Hingabeansprüchen verborgen werden müssen, können sie konstruktiv sein. Wo sie nicht auf direktem Weg in der Tätigkeit erfüllt werden, entwickeln sie destruktive Kraft. Wem sein Lohn vorenthalten wird, der holt ihn sich verdeckt. Wird der persönliche Nutzen offen gelegt, können im Gegenzug auch die entsprechenden Erwartungen der Institution[4] benannt werden:

- die Bereitschaft, einen begrenzten Teil von Lebenszeit einzubringen und darüber klare Vereinbarungen zu treffen,
- die vorliegenden persönlichen Kompetenzen eigenverantwortlich einzubringen, zu klären und zu erweitern,
- in ein soziales Feld einzutreten und dabei auch über die unmittelbare Tätigkeit hinaus Mitverantwortung zu übernehmen,
- den personalen Anteil in der eigenen Tätigkeit zu bearbeiten und persönliche Bedürfnisse in ihrer Rückwirkung auf die Klienten zu reflektieren.

2. Das Mitspracherecht fördern: Es ist dringend notwendig, dass ehrenamtliche Mitarbeit den Charakter eines Hilfsdienstes zur Unterstützung der haupt- und nebenamtlichen Kräfte verliert und den ihr zustehenden Eigenwert zuerkannt bekommt. Es muss darüber nachgedacht werden, wie Ehrenamtliche mehr als bisher an der Verantwortung für ihre Tätigkeit beteiligt werden können. Außerdem ist zuklären, wo und wie ihnen über die bis jetzt gegebenen rechtlichen Möglichkeiten hinaus in den jeweiligen Gremien ein Stimmrecht eingeräumt werden kann. Die Begleitung und Förderung der Ehrenamtlichen muss eine wesentliche Aufgabe der Hauptamtlichen bleiben.

Hörrmanns Forderungen werden in wesentlichen Punkten durch die zuvor schon erwähnte „Geislingen-Studie[5] “ belegt. Im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg wurden die gesellschaftlichen Bedingungen für bürgerschaftliches Engagement in einer Gemeinde am Beispiel der baden-württembergischen Stadt Geislingen untersucht. Die wichtigsten Ergebnisse hat Jörg Ueltzhöffer (in Wendt, S.121 ff.) zusammengefasst:

[...]


[1] Elberfelder System, benannt nach der Stadt Elberfeld, am 1.1.1853 eingeführt. Begründet auf einer Idee von Daniel von der Heydt wurde die Stadt in mehrere Bezirke aufgeteilt und diese wiederum in mehrere Quartiere. Für jedes Quartier gab es einen ortsansässigen ehrenamtlichen Pfleger, der einige Familien betreute. Die Pfleger bildeten die Bezirksversammlung mit dem Bezirksvorsteher, ihr übergeordnet die Armenverwaltung, die sich aus ehrenamtlichen Mitgliedern der Stadtverwaltung zusammensetzte.

[2] Straßburger System, Reform des Straßburger Armensystems nach Rudolf Schwanders 1906. Modifikation des Elberfelder Systems, es findet eine stärkere Betonung fachlicher Kriterien, eine Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen und ein verstärkter Einsatz beruflicher Kräfte in der Armenpflege statt.

[3] Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung in Baden-Württemberg, in „Engagement in der Bürgergesellschaft, Die Geislingen – Studie,“ 1995

[4] 4Anmerkung: auch der Kommune

[5] siehe Fußnote Seite 19

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832466534
ISBN (Paperback)
9783838666532
DOI
10.3239/9783832466534
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Heidelberg – unbekannt
Erscheinungsdatum
2003 (April)
Note
2,3
Schlagworte
ehrenamt bürgerbüro lokale agenda ehrenamtliches engagement
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Titel: Bürgerschaftliches Engagement
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