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Theater in der Zirkuskuppel

Wie theatrale Gestaltungsmittel in traditionellen und modernen Zirkusprogrammen eingesetzt werden

©2002 Magisterarbeit 145 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
November 1998, Frankfurt am Main: Meine erste Begegnung mit dem kanadischen Cirque du Soleil. Damals ahnte ich noch nicht, dass die Eintrittskarte zu dieser Vorstellung einmal in der Einleitung meiner Magisterarbeit dokumentieren würde, wie ich auf das Thema „Theater in der Zirkuskuppel“ gekommen bin.
Ich stieß auf eine Diskrepanz zwischen der Cirque du Soleil-Produktion „Alegría“ und dem, was ich mir unter Zirkus vorstellte. Wo waren die Tierdressuren, wo war das Sägemehl in der Manege? Ich vermisste die Sensation unter der Zirkuskuppel und den Conférencier, der sie ankündigte. Anstelle der losen Aneinanderreihung von Nummern erkannte ich einige Merkmale, die auf eine theatrale Inszenierung deuteten: eine Handlung; Darsteller, deren Aufgabe nicht nur die artistische Leistung, sondern die Mitwirkung in einer Szene ist, und Statisten, welche die Szene vervollständigen. Sehr viel stärker als in „Alegría“ wird der Einsatz theatraler Mittel in den Programmen „Quidam“ und „Saltimbanco“ deutlich. Die Vermischung von Circensischem und Theatralem ist keine Erfindung des Cirque du Soleil. Überschnitten haben sich die Darstellungsformen schon im Circus Roncalli, der im Mai 1976 Weltpremiere feierte: „Mit Roncalli wurde das Theater wieder in den Circus zurückgeholt, was als durchaus wertfreie Feststellung verstanden werden darf.“ Wenn „(...) das Theater wieder in den Circus zurückgeholt (...)“ wurde, dann muss es schon lange vor Roncalli seinen Platz im Zirkus gehabt haben. Hinweise darauf finden sich bereits im 18. Jahrhundert. Die Erfindung des Zirkus’, wie wir ihn heute kennen, wird dem englischen Offizier Philip Astley (1742-1814) zugeschrieben. 1768 gründete er eine Reitschule, in der er nicht nur Reitunterricht gab, sondern auch Kunstreiterei vorführte. „Schon bald kamen Auftritte von Seiltänzern, Akrobaten und einem Clown hinzu. Dies war die Geburtsstunde des heutigen Circus.“ Nur hieß diese Darstellungsform zunächst noch nicht Zirkus. Die „Riding School“, in der die Aufführungen unter freiem Himmel stattfanden, war der Vorläufer von Astleys „Amphitheatre“, das er 1803 baute. Ein Theater, in dem laut Marja Keyser Massenszenen aufgeführt wurden und in dem es neben einer Manege auch eine Bühne gab. Der Begriff „Circus“ entstand erst später.
Große Traditionsunternehmen wie der Circus Krone berufen sich auf die Reitschule Philip Astleys als Keimzelle des heutigen Zirkus’, haben aber mit der theatralen Inszenierung von einst […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG
1. Die These
2. Lücken und Schwierigkeiten
3. Stand der Forschung
4. Grundlagen der Untersuchung
5. Exkurs: Ein Blick hinter die Kulissen

II. ZIRKUS: DEFINITION - URSPRUNG - ABGRENZUNG
1. Was ist Zirkus?
1.1. Der klassische oder traditionelle Zirkus
1.1.1. Klassisch: Der Circus Monte Carlo
1.2. Der moderne oder alternative Zirkus
1.3. Der Cirque Alexis Gruss – klassisch oder modern?
1.3.1. Programmfolge Alexis Gruss
2. Zusammenfassung
3. Zirkus und Theater – Ein Vergleich
3.1. Programmaufbau und Dramaturgie
3.2. Aufführungsraum
3.3. Akteure
4. Der Clown
4.1. Die Clownstypen
4.2. Die Clownslogik
5. Zusammenfassung
6. Zirkusgeschichte
6.1. Astleys theatrales Zirkuskonzept
6.2. Noch mehr Theater: Astleys Nachfolger
6.3. Heute mit dem Gestern glänzen: Der Zauberwald
6.3.1. Analyse
6.3.2. Programmfolge “Zauberwald”
6.4. Vom Circus Maximus zur Todesnummer
6.4.1. Brot und Spiele
6.4.2. Römische Rudimente
7. Zusammenfassung
8. Verwandte Gattungen: Varieté - Revue - Show
8.1. Varieté: das Reich von „Tand und Flitter“
8.2. Revue: das Stationen-Prinzip
8.3. Show: ein weiter Begriff
9. Zusammenfassung

III. THEATRALITÄT IM ZIRKUS – ANALYSE DREIER PROGRAMME
1. Cirque du Soleil - Quidam
1.1. Analyse
1.2. Programmfolge „Quidam“
2. Flic Flac - Virus
2.1. Analyse
2.2. Programmfolge „Virus“
3. Circus Krone - Krone-Festival
3.1. Analyse
3.2. Programmfolge „Krone-Festival“

IV. SCHLUSSBEMERKUNG

V. ANHANG
1. Interviews
1.1. Bernhard Paul, Circus Roncalli
1.2. Harald Ortleb, Circus Busch-Roland .….118
1.3. Catherine Salmon, Cirque du Soleil …. …..123
1.4. Bruno Stutz / Eugen Altenburger, Zirkus-Clowns ... ..125
1.5. Dr. Susanne Matzenau, Circus Krone

VI. NACHWEISE
1. Zirkusprogramme
2. Programmhefte
3. Interviews
4. Literaturangaben
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur
4.3. Lexika und Nachschlagewerke
4.4. Zeitschriften- und Zeitungsartikel
5. Videos und Filme
6. Internet
7. Abbildungen

I. EINLEITUNG

November 1998, Frankfurt am Main: Meine erste Begegnung mit dem kanadischen Cirque du Soleil. Damals ahnte ich noch nicht, dass die Eintrittskarte zu dieser Vorstellung einmal in der Einleitung meiner Magisterarbeit dokumentieren würde, wie ich auf das Thema „Theater in der Zirkuskuppel“ gekommen bin.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Eintrittskarte Cirque du Soleil

Ich stieß auf eine Diskrepanz zwischen der Cirque du Soleil-Produktion „Alegría“[1] und dem, was ich mir unter Zirkus vorstellte. Wo waren die Tierdressuren, wo war das Sägemehl in der Manege? Ich vermisste die Sensation unter der Zirkuskuppel und den Conférencier, der sie ankündigte. Anstelle der losen Aneinanderreihung von Nummern[2] erkannte ich einige Merkmale, die auf eine theatrale Inszenierung deuteten: eine Handlung; Darsteller, deren Aufgabe nicht nur die artistische Leistung, sondern die Mitwirkung in einer Szene ist, und Statisten, welche die Szene vervollständigen. Sehr viel stärker als in „Alegría“ wird der Einsatz theatraler Mittel in den Programmen „Quidam“[3] und „Saltimbanco“[4] deutlich. Die Vermischung von Circensischem und Theatralem ist keine Erfindung des Cirque du Soleil. Überschnitten haben sich die Darstellungsformen schon im Circus Roncalli, der im Mai 1976 Weltpremiere feierte[5]: „Mit Roncalli wurde das Theater wieder in den Circus zurückgeholt, was als durchaus wertfreie Feststellung verstanden werden darf.“[6] Wenn „(...) das Theater wieder in den Circus zurückgeholt (...)“ wurde, dann muss es schon lange vor Roncalli seinen Platz im Zirkus gehabt haben. Hinweise darauf finden sich bereits im 18. Jahrhundert. Die Erfindung des Zirkus’, wie wir ihn heute kennen, wird dem englischen Offizier Philip Astley (1742-1814) zugeschrieben. 1768 gründete er eine Reitschule, in der er nicht nur Reitunterricht gab, sondern auch Kunstreiterei vorführte.[7] „Schon bald kamen Auftritte von Seiltänzern, Akrobaten und einem Clown hinzu. Dies war die Geburtsstunde des heutigen Circus.“[8] Nur hieß diese Darstellungsform zunächst noch nicht Zirkus. Die „Riding School“, in der die Aufführungen unter freiem Himmel stattfanden, war der Vorläufer von Astleys „Amphitheatre“, das er 1803 baute.[9] Ein Theater, in dem laut Marja Keyser Massenszenen aufgeführt wurden und in dem es neben einer Manege auch eine Bühne gab. Der Begriff „Circus“ entstand erst später.

1. Die These

Große Traditionsunternehmen wie der Circus Krone berufen sich auf die Reitschule Philip Astleys als Keimzelle des heutigen Zirkus’[10], haben aber mit der theatralen Inszenierung von einst wenig gemein und präsentieren in der Manege eine Abfolge von Darbietungen, die in sich geschlossen sind und untereinander keinerlei Verbindung besitzen. Moderne Zirkusse wie der Cirque du Soleil, das Unternehmen Flic Flac[11] und insbesondere das Pferdemusical „Der Zauberwald“ zeigen dagegen auf den ersten Blick etwas ganz Neues: Manegenschauspiele, deren Nummern szenisch gestaltet sind und dramaturgisch miteinander verknüpft werden. Programme, die wir vom klassischen Zirkus nicht erwarten. Bei genauer Analyse greifen sie aber auf Gestaltungsmittel zurück, mit denen Astley in seinem „Amphitheatre“ den Zirkus einst begründete. Das ist der Kern meiner These. Bemerkenswert ist, dass sich alle Formen Zirkus, Circus oder Cirque nennen, obwohl sie in Dramaturgie und Präsentation stark differieren. Mein ursprünglicher Ansatz, moderne Zirkusvorstellungen als getarnte Theateraufführungen zu entlarven, ließ sich im Lauf der Untersuchung nicht untermauern. Nach meiner Auffassung sind diese Vorstellungen eine Mischung aus Theater, Show, Varieté und Revue. Der deutliche Ursprung im Theater manifestiert sich in szenischer Auflösung und vermeintlich geschlossener Handlung; vermeintlich, da sie oftmals nicht stringent angelegt ist. Ein Beispiel: In der Flic Flac-Produktion „Virus“ wird die Handlung nur suggeriert. Eine Rahmenhandlung wird zwar eingeführt, ist aber faktisch nur in der Anfangssequenz als kurze Spielszene präsent. Eine detaillierte Analyse des Programms ist im dritten Abschnitt dieser Arbeit zu finden.

2. Lücken und Schwierigkeiten

Theaterdramaturgische Mittel in den untersuchten Zirkusprogrammen werde ich zu deren Analyse zu benennen haben. Hier wird eine Schwierigkeit offenkundig: die Problematik, eine theatersemiotisch brauchbare Begrifflichkeit zu finden. In der Zirkusliteratur gibt es allenfalls unzureichende Ansätze. Jörn Merkert, Herausgeber des Ausstellungsheftes „Zirkus Circus Cirque“, bemerkt dazu: „Der weitaus größte Teil ist eine Literatur, die beschreibend festzuhalten sucht, was aus der Natur der Sache eigentlich nicht festzuhalten ist.“[12] Neben dem Nachweis von theatralen Mustern in Zirkusaufführungen halte ich eine Definition der anderen Unterhaltungsformen, die ich oben mit modernem Zirkus in einen Kontext bringe, für erforderlich. Die Begriffe Show, Varieté und Revue werden im alltäglichen Sprachgebrauch oft verwendet, ohne dass sie genauer definiert werden. Mein Ziel ist es, hier eine exakte Begriffsbestimmung vorzunehmen und nachzuweisen, an welchen Stellen es de facto Parallelen zum Zirkus gibt. Aufgabe dieser Arbeit ist es auch, klassische und moderne Zirkusformen gegeneinander abzugrenzen.

Gleiches gilt für einen Vergleich von klassischem Zirkus und dramatischem Theater. Was unterscheidet beide voneinander? Wo gibt es Überschneidungen? Und wie heben sich moderne Zirkus-Produktionen vom traditionellen Zirkus ab? Warum hat der moderne Zirkus, der im Folgenden auch als Alternativ-Zirkus bezeichnet wird, eine moderne Anmutung und inwieweit tragen theatrale Mittel zu dieser Wirkung bei? Was genau sind theatrale Mittel? Ich meine damit den gesamten Apparat, der zum Zweck einer Inszenierung eingesetzt wird: Eine Regiearbeit, die über die bloße Aneinanderreihung von Nummern hinausgeht. Akteure, die nicht als Artisten in die Manege treten, sondern eine fiktive Figur verkörpern. Ein grober Handlungsrahmen oder gar eine schriftlich fixierte Textvorlage, denen sich alle Mittel unterzuordnen haben. Eine Ausstattung, die nicht nur funktional ist und dazu dient, die Requisiten für einen Trick[13] zu beherbergen, sondern die Existenz eines Bühnenbilds, mit dem ein theatraler Raum in der Manege installiert wird. Die Verwendung einer Dramaturgie im Sinne einer bewussten Gestaltung und Formung des Gezeigten. Auch ein Beispiel für den Einsatz von Licht sei an dieser Stelle angeführt: Im klassischen Zirkus dient Licht an vielen Stellen lediglich dazu, eine Nummer auszuleuchten, ergo die artistische Leistung für den Betrachter sichtbar zu machen und hervorzuheben. Zum theatralen Mittel wird Licht, wenn es im Dienste der Gesamtinszenierung steht. Es kann die Stimmung einer Szene verstärken oder gar erzeugen; gezielt eingesetzt, kann Licht den Lauf der Handlung unterstützen oder den Konflikt einer Figur verdeutlichen. Zeigen werde ich dies am Beispiel des Cirque du Soleil-Programms „Quidam“.

In der vorliegenden Arbeit soll die Zirkusgeschichte, die in ihrem Umfang eine eigene Abhandlung rechtfertigen würde, nur dargestellt werden, sofern sie Aufschluss über Dramaturgie und Aufbau klassischer sowie moderner Programme gibt oder Analogien zum Theater aufzeigt. Gesondert zu erörtern sein wird die Frage, inwieweit der klassische oder moderne Zirkus Gemeinsamkeiten mit dem römischen Circus Maximus aufweist. In der Literatur gibt es darüber einen kontroversen Diskurs, wobei ein Großteil der Autoren Ähnlichkeiten strikt ablehnt. Im Kapitel „Römische Rudimente“ werde ich unterschiedliche Ansichten gegenüberstellen und nachzuweisen versuchen, dass im heutigen Zirkus durchaus Rudimente der römischen „Spiele auf Leben und Tod“[14] zu lokalisieren sind. Zumindest eine Affinität lässt sich daher aus meiner Sicht nicht in Abrede stellen. Zirkusgeschichtlich halte ich es des weiteren für wichtig, Reitschule und Amphitheater Philip Astleys, dem „Vater des Zirkus’“[15], näher zu untersuchen. In diesem Kontext möchte ich nicht verschweigen, dass ich die Argumentation meiner These, der zufolge Astleys Amphitheater in modernen Zirkusprogrammen eine Renaissance erlebt, selber an manchen Stellen als lückenhaft bezeichnen muss. Die Parallelen sind nur an wenigen Merkmalen festzumachen, in der Ähnlichkeit allerdings frappant. Zudem lässt die Literatur nur oberflächliche Schlüsse darauf zu, wie Astleys Aufführungen tatsächlich ausgesehen haben. Genau genommen wäre ein Vergleich nur dann einwandfrei, wenn die Darstellungsformen unter gleichen Bedingungen betrachtet würden - will heißen: wenn ich Astleys Darbietungen, wie die Zirkusprogramme auch, mit eigenen Augen gesehen hätte. Obwohl dies nicht möglich ist und ich mich nur auf verfügbare Literatur berufen kann, wage ich den Vergleich dennoch. Die Verwandtschaft von Astleys „Riding school“ und dem Pferdemusical „Der Zauberwald“ – um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen – ist in Gestaltung des Aufführungsraumes und Inszenierung derartig augenfällig, dass sich ein Vergleich anbietet.

3. Stand der Forschung

Das Aufschlüsseln von Zirkusprogrammen nach Theatereigenschaften hat für mich einen besonderen Reiz, zumal der Stand der theaterwissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet einen nahezu negativen Befund ergibt. Während meiner Recherche bin ich nur auf ein Buch gestoßen, dass sich im Kapitel „Betrachtung der heutigen Circuskunst“ mit der Dramaturgie von Alternativ-Zirkussen auseinandersetzt.[16] Das Werk ist von 1988 und untersucht zwei Beispiele moderner Unternehmen (das Traumtheater Salomé und den Französischen Nationalcircus Gruss), wobei die Analyse meiner Meinung nach veraltet ist. Salomé fällt nach meiner Einschätzung nicht in die Gattung Zirkus[17], was bereits am Namen „Traumtheater“ deutlich wird. Der Cirque Gruss wird als moderner Zirkus mit neuer inhaltlicher Konzeption gewürdigt, dessen Aufführungen sich in Szenen gliedern lassen, die mit den Akten einer Theaterdarbietung vergleichbar sind.[18] Ich habe den Cirque Gruss bei einem Gastspiel im Münchner Krone-Bau am 28. März 2002 erlebt und kann diese Einschätzung nicht teilen. Im Gegenteil: Der Französische Nationalcircus bot neben dem Circus Monte Carlo das klassischste aller gesehenen Programme. Eine kritische Gegenüberstellung der literarischen Beschreibung mit meinen Eindrücken findet sich im Kapitel „Der Cirque Alexis Gruss – klassisch oder modern?“.

Ausreichend ist das literarische Angebot nur im Bereich Zirkusgeschichte. Theaterwissenschaftlich ist das Thema Zirkus bisher vernachlässigt worden. Als Ergänzung zur spärlich vorhandenen Sekundärliteratur mit theaterwissenschaftlichem Aspekt des Themas Zirkus fließen eigene Beobachtungen in die Analyse ein. Ohne diese Eigenleistung und einen gewissen Pioniergeist wäre eine solche Arbeit, mit der thematisch auch Neuland betreten wird, nicht möglich. Wichtig ist mir darüber hinaus, eine „sinnliche“ Auseinandersetzung mit der Materie. Schließlich ist Zirkus eine Unterhaltungsform, die viele Sinne anspricht. Deshalb halte ich es für legitim, auch das olfaktorische Erlebnis im Chapiteau[19] zu beschreiben.

4. Grundlagen der Untersuchung

Im Folgenden möchte ich darstellen, auf welche Quellen ich aufgrund der schlechten Informationslage zum Thema zurückgegriffen habe. Meine Informationen stammen aus

1. meiner Auswertung von zwölf Zirkusprogrammen, die ich mir in der Phase der Materialsammlung angesehen habe; darunter sowohl klassische als auch alternative Zirkusse von unterschiedlicher Qualität. Ich beschränke mich dabei auf Unternehmen, die in Deutschland gastieren oder gastiert haben. Auch die beiden Zirkusse in Wien und Straßburg (Cirque du Soleil, Cirque Arlette Gruss) waren in der Vergangenheit auf Deutschland-Tournee. Wenn möglich, habe ich zur Analyse zusätzlich Videos herangezogen. Das Filmen der Vorstellungen mit einer eigenen Kamera war in allen Fällen nicht erlaubt.

2. den Programmheften zu den Produktionen

3. Fachliteratur

4. Interviews, die ich mit Zirkusleuten aus der Praxis geführt habe; mit Direktoren, Pressesprechern und Artisten

5. Exkurs: Ein Blick hinter die Kulissen

Ich räume ein, dass ich mir insbesondere die Recherche in Punkt 4 einfacher vorgestellt habe, als sie sich in der Praxis dargestellt hat. Einen Interviewtermin für eine theaterwissenschaftliche Arbeit zu bekommen, war in allen Fällen diffizil. Alle Interviewpartner hatten kein Interesse, mich zu unterstützen. Harald Ortleb, Pressesprecher des Circus Busch-Roland, sagte mir am Telefon wörtlich: „Sie schreiben eine wissenschaftliche Arbeit? Schön für Sie. Und was hat der Zirkus davon?“ Es ist mir nur durch eine Mischung aus Hartnäckigkeit und naivem Optimismus gelungen, ihn und die anderen im Anhang aufgeführten Beteiligten zum Interview zu überreden. Oft erst beim zweiten oder dritten Versuch. Zurückgerufen, wie es mir oft am Telefon versprochen wurde, hat keiner der Zirkusmitarbeiter. Diese Erfahrung war aber auch wertvoll und hat mich zu meiner ersten Erkenntnis gebracht: Zirkus ist ein Wirtschaftsunternehmen. Werbung für die jeweiligen Programme kann ich nicht anbieten. An einer Veröffentlichung in einem relativ kleinen akademischen Kreis hat aus kommerzieller Sicht kein Zirkus-Verantwortlicher ein Interesse. Auch zur Befriedigung von Eitelkeit ist ein solcher Rahmen nicht geeignet.

Meine hoch gesteckten Ziele musste ich nach unten korrigieren. Ich wollte meine Arbeit mit großen Namen wie Christel Sembach-Krone versehen – letztlich bin ich froh, dass sich Krone-Pressechefin Susanne Matzenau Zeit für ein Gespräch genommen hat. Ein kleiner Trost: Christel Sembach-Krone gibt laut Matzenau auch Pressevertretern kein Interview. Nach Informationen Matzenaus war sie verärgert über eine Reportage im Magazin der Süddeutschen Zeitung[20], die nur wenige Tage vor meiner Anfrage erschienen ist. Als Entschädigung hatte das Interview mit Susanne Matzenau in einer Loge des leeren Krone-Chapiteaus vor der Vorstellung ebenso viel Atmosphäre wie das Gespräch mit Harald Ortleb im Restaurantwagen des Circus Busch-Roland. Eine Situation, in der sich Ortleb sichtlich wohl dabei fühlte, unter den Blicken von Zirkus-Kollegen und Restaurantbesuchern in mein Mikrofon zu dozieren. Überraschend heiter war die Begegnung mit „Monsieur Dominique“[21], der mir, nachdem er von meinem Projekt erfahren hatte, wie im Flugzeug ein „Upgrade“ zukommen ließ: Mit meiner Sperrsitzkarte der billigsten Kategorie durfte ich ganz vorne in der Loge sitzen. Das könnte allerdings auch an meiner weiblichen Begleitung gelegen haben, die als Dolmetscherin mitgekommen war. Anfangs sehr kooperativ zeigte sich Catherine Salmon aus dem PR-Department des Cirque du Soleil Europe in Amsterdam, die ich nach einer telefonischen Odyssee durch die Soleil-Depandancen in Montreal/Kanada und Belgien aufgespürt hatte. Sie schickte mir zwei Tage nach dem Telefonat Pressematerial und ein „Quidam“-Produktionsvideo. Die Beantwortung meiner Fragen per Email hätte ich mir allerdings wesentlich ausführlicher und mit weniger PR-Phrasen gewünscht. Ein Beispiel: Auf die Frage, wieso der Cirque du Soleil weltweit so erfolgreich sei, schrieb Catherine Salmon:

„This has to do with the fact, that the Cirque du Soleil is dedicated through it’s creation, production and performance of artistic works to invoke, provoke and evoke the imagination, senses and emotion of people around the world”[22]

Die ersten drei Fragen blieben zudem unbeantwortet. Für die Auswertung spielen Salmons Angaben folglich nur eine untergeordnete Rolle. Angefragt hatte ich für das Interview den Regisseur der meisten Cirque du Soleil-Produktionen, Franco Dragone. Dieser arbeitet jedoch nicht mehr für das Unternehmen. Er ist als Regisseur mittlerweile verantwortlich für die Show der kanadischen Sängerin Celine Dion in Las Vegas; die Produktion ist dort seit Juni 2002 im „Colosseum“ zu sehen. Über Dragones Produktionsfirma in Belgien war auch nach mehreren Telefonaten und Emails kein Gespräch zu bekommen. Mit all diesen Unwägbarkeiten musste ich mich während der Recherche arrangieren.

Schließlich gelang es mir doch noch, einen „Namen“ zu gewinnen. Kurz nach meiner Anmeldung für diese Arbeit im März 2002 habe ich eine Interviewanfrage an das Büro von Bernhard Paul, den Chef des Circus Roncalli, gerichtet. Grundsätzlich war man dort nicht abgeneigt, vertröstete mich aber auf einen späteren Zeitpunkt. Es folgten unzählige Telefonate: Premieren, Tournee-Vorbereitungen, Presse-Sonderzüge und PR-Termine – Gründe, die genannt wurden, um meinen Termin immer wieder zu verschieben. Erst im Juli, Monate später, wurde mir ein konkreter Tag für das Interview genannt: Montag, der 15. Juli. Zur genauen Abstimmung müsse ich aber noch einmal anrufen. Also, Anruf am Freitag vor dem anberaumten Treffen im Roncalli-Pressebüro. Es täte ihm sehr Leid, so Pressesprecher Wolfgang Fuhrmann: „Am Montag geht’s nicht.“ Ich möge mich doch am Samstag noch einmal melden, „vielleicht klappt’s am Sonntag“. Vielleicht. Der nächste Anruf am Samstag. Wieder wurde ich vertröstet. Er habe noch keinen Termin abstimmen können, sagte Fuhrmann und bat mich, am späten Nachmittag noch einmal anzurufen. Samstagnachmittag dann endlich die positive Nachricht: Ich bekomme meine Chance. Am Sonntag, 14 Uhr in Hamburg. Am Fernsehturm. Bürowagen 42. Frühzug von Augsburg nach Hamburg. Zur verabredeten Zeit war ich auf dem Roncalli-Gelände. Aber wieder hieß es: warten. „Herr Paul hat sich hingelegt.“ Nach einer Stunde und einem Cappuccino auf Kosten des Hauses im „Café des artistes“ empfing mich Bernhard Paul in seinem großen Wohnwagen („Der Zirkus ist wie ein Schiff: Alles spielt sich auf engem Raum ab und der Kapitän hat die größte Kajüte“, Zitat Paul). Rote Plüsch-Couch mit golden dekorierten Kissen im Versace-Stil. Antiker Tisch, passende Holzstühle. Bernhard Paul in Jogginghose, gut gelaunt und freundlich. Keine Spur von der schwierigen Zirkus-Diva, vor der mich Menschen gewarnt haben, die schon mal mit Paul zu tun hatten. Die Mühe hat sich gelohnt.

Gerungen habe ich auch mit einem passenden Titel für die Arbeit. Nach ersten Überlegungen wie „Cirque du Théâtre“ oder „Manege frei – für die Bretter, die das Geld bedeuten“, in Anspielung auf die Millionen-Umsätze des Cirque du Soleil[23], habe ich mich schließlich für „Theater in der Zirkuskuppel“ entschieden. Es handelt sich um die Abwandlung eines Filmtitels von Alexander Kluge: „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ (1968).

Zum Schluss dieser Einleitung sei noch erwähnt, dass ich mich entschlossen habe, sämtliche Fotos in den Text einzublocken, damit sie jeweils an den Stellen zu finden sind, an denen auch Bezug auf sie genommen wird. In Farbe sind die Fotos abgedruckt, um Charme und Aussagekraft der Bilder zu bewahren. Schließlich ist Zirkus in jeder Hinsicht eine bunte Veranstaltung.

II. ZIRKUS: DEFINITION - URSPRUNG - ABGRENZUNG

Im Folgenden soll es um eine Definition des Begriffes Zirkus, sowie um die distinktiven Merkmale zwischen traditionellen und modernen Formen gehen. Zudem möchte ich mich in einem kurzen geschichtlichen Teil mit den Zirkus-Wurzeln befassen. Ich beschränke mich dabei auf die Reitschule Philip Astleys im 18. Jahrhundert zum einen und die römischen Circusspiele zum anderen. Zur Ähnlichkeit beider Zirkus-Formen bemerken Rupert Croft-Cooke und Peter Cotes:

„Philip Astley war kein besonders gebildeter Mensch, und es ist fraglich, ob er um die faszinierenden Vorstufen der von ihm gegründeten Zirkuskunst wusste. Und doch ist es eine interessante Parallele, denn in all den Jahrhunderten zwischen dem Ende des Römischen Zirkus im 4. Jahrhundert und der Gründung von Astleys Amphitheater am Ende des 18. Jahrhunderts gab es nichts, was mit Fug und Recht den Namen Zirkus verdient hätte – Zirkus im Sinne einer festgelegten Folge von Vorführungen im Kreise von Zuschauern.“[24]

Der Ausdruck „faszinierende Vorstufen“ schließt für mich auch die „Spiele auf Leben und Tod“ im römischen Circus Maximus ein. Interessanter als die Parallele zwischen Astleys Amphitheater und seinen Vorläufern ist aus meiner Sicht das Forschen nach Gemeinsamkeiten von römischen Circusspielen und heutigem Zirkus. Hat der römische Circus Maximus mit dem heutigen Circus nur den Namen gemein oder lassen sich in aktuellen Zirkusprogrammen weitere Parallelen entdecken?

In diesem Kapitel werde ich mich außerdem auseinandersetzen mit der besonderen Funktion des Clowns, der im klassischen Zirkus als einziger Rollenspieler in die Manege tritt und mit einer Abgrenzung des klassischen Zirkus’ vom dramatischen Theater. Da es darüber ebenfalls kaum Veröffentlichungen gibt, wird mir neben der Literatur eine eigene Ideensammlung als Grundlage dienen.

1. Was ist Zirkus?

1.1. Der klassische oder traditionelle Zirkus

Die Begriffe klassischer oder traditioneller Zirkus werden von meinen Interviewpartnern gebraucht und sind auch in Veröffentlichungen zum Thema zu finden. Von mir werden sie in dieser Arbeit als Synonyme für die gleiche Zirkusform verwendet. Unternehmen wie Krone und Busch-Roland präsentieren sich selbst als Traditionsunternehmen, auch, um sich von modernen Formen abzugrenzen. Für meine Untersuchung übernehme ich diese Begrifflichkeit. Sie bezeichnet die Verwandtschaft heutiger Zirkusse mit den reisenden Pferdezirkussen des 19. Jahrhunderts.

„Circus ist die Veranstaltungsform eines künstlerisch gestalteten Programms mit musikalischer Begleitung, das getragen wird von equestrischen[25] Darbietungen, akrobatischen Nummern, Clownerien und Dressuren gezähmter und domestizierter Tiere innerhalb einer runden oder ovalen Vorführungsfläche, die zumeist von einer Piste[26] umschlossen wird.“[27]

Die „internationale Gesellschaft der Circushistoriker“ versucht mit dieser Definition etwas zu umschreiben, das in weiten Teilen auch auf das Varieté oder die Revue zutrifft. Auf eine Unterscheidung zwischen diesen Unterhaltungsformen werde ich in einem gesonderten Kapitel näher eingehen. Zugleich grenzt die Definition die meisten modernen Zirkus-Unternehmen aus, die keine Tiere (Cirque du Soleil) oder Clowns (Chinesischer Staatscircus) im Programm haben, deren Manege ohne Piste auskommt (Flic Flac) oder die eine Vorführungsfläche bespielen, welche weder rund noch oval ist (Der Zauberwald). De facto wird mit dieser Definition aber explizit der klassische Zirkus beschrieben. Unstrittig ist die Herkunft des Wortes Zirkus (lat. „circus“, griech. „kírkos“, der Kreis)[28]. Gemeint ist das Rund der Manege[29], die bereits Astleys „Amphitheater“ auszeichnete und bis heute unverzichtbarer Bestandteil jedes Zirkus’ ist.[30] Die Schreibweise „Zirkus“ oder „Circus“ ist übrigens bei der Namensgebung deutscher Zirkusse Geschmackssache. Franz Althoff begründet seine Vorliebe fürs „C“ so: „Wir schreiben Circus immer mit C. Vorn und in der Mitte. Für unser Auge ist das schöner. Es ist internationaler. Es hat was. (...) Carl mit C ist eben was anderes als Karl mit K.“[31]

Nähern wir uns den spezifischen Kennzeichen des klassischen Zirkus’: Harald Ortleb, Vertreter des traditionellen Circus Busch-Roland, verweist auf die Besetzung dreier Sparten: „(...) Der klassische Zirkus besteht aus drei Grund-Säulen: Clownerie, Artistik und Tier-Dressur. (...)[32] Gesprochen wird auch vom klassischen Drei-Säulen-Zirkus. Ein guter Zirkus ist für Ortleb ein Unternehmen, in dem diese drei Grundsäulen gleichermaßen gut bedacht sind.[33] Darin stimmt er mit Susanne Matzenau vom Circus Krone überein. Diese präzisiert Ortlebs Definition:

„Das Publikum verbindet mit Zirkus Tiere in der Manege, Artisten und Clowns.

Aber in erster Linie sind es die Tiere. Das erste, was Leute wissen wollen, wenn sie Karten

bei uns bestellen, ist: ‚Habt ihr Raubtiere?’ Natürlich haben wir Raubtiere. Denn ein Zirkus

ohne Tiere ist wie Fußball ohne Tore.“[34]

Das Pferd spielt dabei immer noch eine entscheidende Rolle, was wiederum auf den Ursprung in Astleys „Riding School“ verweist.

„Urelement des Circus aber ist das Pferd geblieben, dessen Darbietungen auch im motorisierten Jahrhundert immer wieder mit lang anhaltendem und frenetischem Beifall begrüßt werden.“[35]

Das kommt auch auf Zirkusplakaten zum Ausdruck, mit denen die Unternehmen für ihre Programme werben wie das Beispiel des Circus Krone zeigt (Abbildung 2).

Im Mittelpunkt des gezeichneten Plakates: Christel Sembach-Krone mit einer klassischen Pferdedressur im angedeuteten Rund der Manege. Außerdem bildbestimmend: drei Elefanten bei der Präsentation eines Dressuraktes, ein Tiger und eine Giraffe als Vertreter von „Exoten“ sowie drei Luftakrobaten am Trapez. Zwei der drei Grundsäulen – Tierdressur (Pferde und Exoten) und Akrobatik - sind hier bildlich vertreten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Plakat Circus Krone 1980

Nach Vergleich verschiedener literarischer Quellen und Ergänzung durch eigene Beobachtungen lassen sich folgende kennzeichnenden Merkmale des klassischen oder traditionellen Zirkus’ feststellen:

1. Drei Grundsäulen

Im Programm werden laut Matzenau/Ortleb alle drei Grundsäulen - Tier-Dressur, Clownerie und Akrobatik - gezeigt. Die Tier-, insbesondere die Pferde-Dressuren haben dabei einen hohen Stellenwert.

2. Olfaktorische Besonderheit

Bereits beim Betreten des Zirkuszeltes wird offenkundig, ob es sich um einen klassischen oder modernen Zirkus handelt. Charakteristisch für den klassischen Zirkus ist nach meinem Empfinden ein spezifischer Geruch: Im Zelt riecht es nach Pferdemist, Tieren im Allgemeinen und Sägemehl im Besonderen.

3. Runde Manege

Kennzeichnend für den klassischen Zirkus ist nach der „internationalen Gesellschaft der Circushistoriker“ eine runde (fast immer, d. Verf.) oder ovale (sehr selten, d. Verf.) Manege. Sie ist mit Sand oder Sägemehl ausgelegt und von einer niedrigen Barriere, der „Piste“, umgeben[36]. Diese ist 50 Zentimeter hoch und etwa 40 Zentimeter breit, was auf die Erfordernisse der Pferdedressur zurückzuführen ist. Die Höhe ist so bemessen, dass ein vierjähriges Pferd mit den Vorderläufen auf der Piste und mit den Hinterbeinen noch in der Manege stehen kann. Die Piste muss zudem breit genug sein, damit das Pferd in der Lage ist, auf ihr zu laufen, ohne dass es abrutscht.[37] Vor allem bei großen Unternehmen kann die Piste nach meiner Beobachtung zur Manege hin beleuchtet werden, wovon besonders bei Tierdressuren Gebrauch gemacht wird. Das Rund der Manege belegt die herausragende Stellung des Pferdes im klassischen Zirkus: Im Kreis sind akrobatische Übungen zu Pferd möglich, die nur im gleichbleibenden Galopp, im so genannten Schwebegalopp, denkbar sind[38]. Die Zirkusmanege hat einen Durchmesser von 13 Metern. Diese Größe ergibt sich aus der Paul’schen Formel: Dresseur mit Peitsche plus Pferd. Bei 13 Metern kann der Dresseur das Pferd mit der Peitsche noch erreichen (touchieren).[39]

4. „Nummernhaftigkeit“[40] des Programms

Das traditionelle Zirkusprogramm zeichnet sich nach meiner Analyse dadurch aus, dass es im theaterwissenschaftlichen Sinn keiner Dramaturgie folgt. Es gibt keine Handlung, meist

auch keinen „roten Faden“. Vielmehr sind die einzelnen Nummern in sich geschlossen, stehen für sich und haben keinen Bezug zu anderen Darbietungen im Programm. Nur im klassischen Zirkus gibt es aus diesem Grunde den Sprechstallmeister[41], der als Bindeglied zwischen den Nummern auftritt. Die Funktion des Regisseurs kennt man auch im Zirkus, wenngleich diese Funktion nicht mit der eines Theater-Regisseurs vergleichbar ist. Im klassischen Zirkus ist der Regisseur ausschließlich für den reibungslosen Programmablauf verantwortlich[42], äquivalent dem Abenddienst am Theater.

5. Charakteristische Besucherschicht

Der traditionelle Zirkus spricht eine besondere Besucherschicht an, die Weißclown Bruno Stutz im Interview beschreibt: „(...) Zirkus ist eine schöne populäre Vorstellung. Gut für Papa, Mama, Kinder, Schwiegermütter, Liebhaber – alle können kommen. Liebhaberinnen auch (...)“[43]

Franz Althoff bemerkt noch treffender: „Solange es Kinder gibt, gibt’s Zirkus“[44]

Das deckt sich mit meiner Erfahrung. In allen klassischen Programmen, die ich gesehen habe, waren Kinder die vorherrschende Zuschauergruppe, die quasi von

ihren Eltern begleitet wurden. Das trifft sowohl auf Nachmittags- als auch auf Abendvorstellungen zu.

6. Erfüllung einer Erwartungshaltung

Für den klassischen Zirkus trifft nach meiner Auffassung ein Kriterium zu, dass Barbara Busch als Kennzeichen der Darstellungsform Show anführt. Danach müssen in der Show

„bestimmte zum Genre gehörige Auftritte erfolgen, damit die Erwartung des Publikums erfüllt wird.“[45] Auch das Zirkuspublikum geht mit der dezidierten Erwartungshaltung ins Zelt, wie eine Vorstellung abzulaufen habe. Der moderne Zirkus – wie eine Cirque du Soleil-Aufführung beweist - arbeitet bewusst mit einem Bruch dieser Vorstellung. Nicht das Wiedererkennen von Bewährtem ist das Thema der modernen Form, sondern das Platzieren von Elementen, die man im Zirkus nicht vermutet.

7. Schlager & Co – Die Zirkusmusik

„Als ich vor mehr als 25 Jahren begann, gab es im Zirkus vor allem gängige Schlager, die man mit Blasmusik gespielt hat.“[46] Diese Aussage Bernhard Pauls über die Zirkusmusik trifft auch heute noch auf die meisten klassischen Zirkusse zu. Vereinzelt werden auch Stücke aus der Popularmusik aufgegriffen, wie das Beispiel des Circus Busch-Roland zeigt: In der Eröffnungsnummer des Programms „Sinfonie der Sinne“ interpretiert das Zirkusorchester „Golden Eye“ von Tina Turner, ein Filmthema, das aus dem gleichnamigen James-Bond-Film stammt. Grund: Der Akrobat tritt - mit einem Smoking bekleidet – quasi auch in der Rolle des James Bond in die Manege - eine Rolle, die er jedoch mit dem ersten Trick seiner Nummer ablegt. Derartige Experimente sind indes die Ausnahme. Das musikalische Repertoire besteht im Zirkus auch heute meist aus gängigen Schlagern. Bernhard Paul hat nach eigenem Bekunden mit dieser Tradition gebrochen, indem er Musik aller Stilrichtungen in den Zirkus geholt und mit musikalischen Brüchen gearbeitet hat. Im Cirque du Soleil oder bei Flic Flac ist dieses Prinzip ebenfalls erkennbar; hier wird die Musik eigens für die Produktionen komponiert.

Die Merkmale 8 und 9 gelten sowohl für traditionelle als auch für moderne Zirkusse, dienen folglich der allgemeinen Kennzeichnung der Gattung Zirkus:

8. Reisende Unternehmen im Chapiteau

Alle Zirkus-Unternehmen, die ich analysiert habe, reisen mit ihren Programmen. Diese werden ausnahmslos im Chapiteau aufgeführt, fallen also in die Kategorie Chapiteaucircus[47]. Ausnahme: Feste Zirkusgebäude wie der Krone-Bau in München. Allerdings bestreitet auch Krone als reisender Zirkus große Tourneen[48]

9. Amphitheatralisch angeordnete Sitzreihen

Der Zuschauerraum ist in allen Fällen amphitheatralisch angeordnet mit nach hinten aufsteigenden Sitzreihen, die von allen Plätzen eine freie Sicht auf die Manege ermöglichen. Die Bestuhlung ist – im Gegensatz zu den meisten Theatern – einfach und beschränkt sich auf Holzbänke oder Plastikschalen.

1.1.1. Klassisch: Der Circus Monte Carlo

Nachfolgend möchte ich Merkmale, die den traditionellen Zirkus kennzeichnen, anhand eines Programms des „Internationalen Circus Monte Carlo“ nachweisen. Der Name täuscht. Es handelt sich um ein kleines Unternehmen, das ich auf seiner Tournee in Offenbach entdeckt habe. Entdecker-Qualitäten sind schon gefordert, um den Zirkus in der Nähe eines stillgelegten Freibades aufzuspüren. Die Abendvorstellung ist schlecht besucht: Im Zelt sind etwa 30 Zuschauer. Ein Programmheft gibt es nicht. Die Karten werden von Tierpflegern entwertet, die in Personalunion auch als Requisiteure[49], Platzanweiser und Eisverkäufer fungieren. Der Circus Monte Carlo ist aus meiner Sicht beispielhaft für den klassischen/traditionellen Zirkus.

Vor Beginn der Vorstellung lassen sich bereits der spezifische Geruch und weitere äußere Merkmale festmachen: Der Circus Monte Carlo ist ein Chapiteaucircus mit einer runden Manege. Diese hat einen Durchmesser von etwa 9 Metern, entspricht also nicht der Standardgröße von 13 Metern. Sie ist mit Sägemehl ausgelegt, unter der noch die Grasnarbe hervorlugt; wie die Manegengröße ein Indiz für die Begrenztheit der Möglichkeiten dieses kleinen Familienunternehmens. Eine Piste begrenzt die Manege. Beleuchtet ist sie mit Glühlampen, die einzeln unter der Abdeckung zu erkennen sind. (In großen Zirkussen ist der Ring gleichmäßig ausgeleuchtet). Die Zuschauerreihen sind amphitheatralisch angeordnet und bestehen aus schlichten Holzbrettern in den hinteren Reihen respektive aus Plastikstühlen in der Loge.

Zum Programmaufbau: Eine besondere Rolle nimmt im Circus Monte Carlo der Sprechstallmeister ein, der in keinem anderen der von mir untersuchten Zirkusse derartig eingebunden ist. Im paillettenbesetzten Frack sagt er mit Handmikrofon jede Nummer an und ab. Eine Absage der Nummern ist ungewöhnlich und bei Großunternehmen wie Krone oder Busch-Roland nicht zu finden. Hier kommt der Sprechstallmeister nur noch rudimentär vor und ist zugunsten einer schnellen Inszenierung im Laufe der Jahre verdrängt worden. Bruno Stutz: „(...) Im Circus Krone wurde früher jede Nummer angesagt. Das gibt es jetzt nicht mehr, es muss jetzt schnell, schnell gehen (...)“[50]

Bei Busch-Roland, Krone und dem Cirque Gruss habe ich beobachtet, dass anstelle des Sprechstallmeisters häufig mit dem Prinzip des „Blackouts“ gearbeitet wird, um die Nummern voneinander zu trennen: Nach jeder Darbietung werden die Scheinwerfer ausgeschaltet und zur nächsten Nummer wieder hochgefahren. Im Schutz der Dunkelheit können Requisiteure die Manege für den nächsten Auftritt vorbereiten. Dieses Stilmittel ist aus Comedy- oder Kabarettprogrammen bekannt. Dort wird am Ende eines Sketches oder eines Stand-ups[51] die Bühnenbeleuchtung ausgeschaltet, um die Pointe zu markieren und den Zuschauern zu signalisieren: Es kommt nichts mehr. Bitte lachen Sie jetzt.

Durch die exponierte Stellung des Sprechstallmeisters im Circus Monte Carlo wird die Nummernhaftigkeit des Programms, in der jede Darbietung in sich geschlossen ist und keinen Bezug zur nächsten hat, besonders deutlich und steht aus meiner Sicht exemplarisch für den traditionellen Zirkus. Die Nummern folgen keiner Dramaturgie im Sinne meiner Erläuterung in der Einleitung, als es um theatrale Gestaltungsmittel ging: Dramaturgie als bewusste Anordnung und Formung zur Schaffung eines Gesamtbildes oder gar eines Handlungsrahmens. Von Dramaturgie kann für mich bei Monte Carlo nur gesprochen werden, sofern sich die Bedeutung auf eine Gliederung bezieht in Gestalt einer bloßen Nummernfolge und den Verzicht auf Handlung und inhaltliche Inszenierung. Erkennbar ist in der Nummernfolge eine Gestaltung nach den Gesetzen des klassischen Zirkusprogramms. Diese Gesetze lassen sich auch in den Ausführungen Bernhard Pauls festmachen, auf die noch gesondert einzugehen sein wird. Vorweg sei auf das Prinzip des Alternierens von Spannung und Entspannung verwiesen, sowie auf den Verzicht, gleichgestaltete Nummern in unmittelbarer Folge zu bringen. Einzig verbindendes Element im Monte-Carlo-Programm: der Sprechstallmeister, dessen Funktion wir nun näher betrachten wollen. Direktor Karl Althoff Köllner besetzt diese Position. Gleich in der Begrüßung stellt er klar: „Wir möchten richtigen klassischen Zirkus zeigen.“ Danach leitet Althoff Köllner mit „einer Reise in den Orient“ die erste Nummer ein: eine Kameldressur. Drei Kamele laufen hintereinander in der Manege, wechseln die Laufrichtung, formieren sich neu und kommen nebeneinander zum Stehen, um sich dann um die eigene Achse zu drehen. Eine Dressur, wie man sie auch mit Pferden oder Elefanten vom traditionellen Zirkus kennt. Den Auftakt des Programms bildet ergo eine Darbietung aus dem Genre Tierdressur – ein deutliches Signal für eine Positionierung des Zirkus’ als Traditionsunternehmen. Auf Raubtiere wird verzichtet. Anstelle der Exoten sind im Programm „Miss Joana und ihre vierbeinigen Hunde“ (Zitat Althoff Köllner) zu sehen. Der Pleonasmus steht für die Inhaltsleere der Ansagen. Dass Hunde in der Regel vierbeinig sind, steht außer Frage – vom Namen der Dompteurin abgesehen, enthält die Conférence keine Informationen. Der Sprechstallmeister bleibt während des gesamten Programms sichtbar vor der Gardine[52] stehen. Er kann so jederzeit kommentierend eingreifen, schließt aber auch eine mögliche Illusion aus, die durch die Konzeption des Raumes, in dem Zirkus stattfindet, ohnehin erschwert wird. Auf die Besonderheiten der Arena werde ich im Kapitel über den Aufführungsraum näher eingehen. Durch die permanente Präsenz des Ansagers, der nicht zur Welt der artistischen Höchstleistung gehört, sondern Kommentator des Manegengeschehens ist, kommt es meiner Meinung nach zu einer Entzauberung: Der Zuschauer wird daran erinnert, dass er einer Zirkusaufführung beiwohnt; einer Kollage von Einzelnummern, die jederzeit vom Sprechstallmeister unterbrochen oder beendet werden können.

Das Genre Tierdressur habe ich bereits am Beispiel der Eröffnungsnummer beschrieben. Die Säulen Akrobatik und Clownerie werden im Sinne des Drei-Säulen-Zirkus ebenfalls in der ersten Viertelstunde eingeführt. Das Duo Cremona zeigt einen Luftakrobatik-Akt am Vertikalseil, einen so genannten „Absteher“, bei dem der Körper des Artisten waagerecht abgestreckt wird[53]. Ein Fuß hängt dabei in einer Schlinge, der andere stützt sich am Vertikalseil ab. Auf weitere akrobatische Einzelleistungen soll hier nicht en detail eingegangen werden. Von Interesse ist vielmehr die Komposition des gesamten Programms. Ungewöhnlich für die Sparte Clownerie ist die Besetzung zweier Dummer Auguste und eines Kleinwüchsigen in einem inszenierten Boxkampf. Ein Dummer August fungiert als Kommentator, der zweite August und der Kleinwüchsige kämpfen mit überdimensionalen Handschuhen gegeneinander, wobei jeder Treffer mit einem Schlagzeug-Akzent akustisch unterstützt wird. Während der Kleinwüchsige, körperlich unterlegen, zu Beginn noch viele Schläge platzieren kann, steht er am Ende als Verlierer da. Eine Clownsnummer, die als Relikt der Side- oder Freakshows[54] angesehen werden kann, die das amerikanische Zirkusunternehmen Barnum & Bailey auf seiner Tournee 1898-1902 erstmals nach Europa brachte[55]. Nach meiner Beobachtung der einzige Fall im heutigen klassischen Zirkusbetrieb, obschon sich in der Literatur ein weiteres Beispiel findet, das ebenfalls als Exzeption markiert wird:

„Dass auch heute noch Bedarf an Prügelknaben besteht, zeigt der Fall eines zwergwüchsigen Franzosen. Der Liliputaner schlägt aus seinem Handicap Kapital, indem er seinen Körper gegen Entgeld Normalwüchsigen als Wurfobjekt zur Verfügung stellt. (...) Der Fall des Liliputaners bildet zweifelsohne eine Ausnahme, denn behinderte und verwachsene Menschen sind rar geworden im Zirkus und Schaustellergewerbe unseres Kulturkreises.“[56]

Als weiteres Kennzeichen des traditionellen Zirkus’ sei die Zusammensetzung des Publikums im Circus Monte Carlo angeführt. Unter den wenigen Besuchern der Abendvorstellung befinden sich hauptsächlich Familien mit Kindern. Das trifft nicht nur auf dieses Beispiel zu, sondern auf alle von mir untersuchten klassischen Unternehmen, die als Familienzirkusse ein großes Altersspektrum abdecken.

1.2. Der moderne oder alternative Zirkus

Nach den Kennzeichen des klassischen Nummernzirkus’ soll es nun um eine Abgrenzung zu neuen Zirkus-Formen wie dem Unternehmen Flic Flac oder dem Cirque du Soleil gehen. Zunächst auch hier der Blick auf ein Zirkus-Plakat (Abbildung 3):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Cirque du Soleil-Plakat „Quidam“

Für das Programm „Quidam“ wirbt der Cirque du Soleil nicht mit der Präsentation einzelner Sparten des klassischen Zirkus’, sondern mit einer Momentaufnahme, einer Szene: Ein kopfloser Mann mit Schirm passiert eine Mauer, auf der sein eigenes Bild zu sehen ist. Das Cirque-Plakat stellt nicht die artistische Höchstleistung in den Mittelpunkt, sondern eine fiktive Figur, der im Programm „Quidam“ eine dramaturgische Funktion zukommt. Der kopflose Passant ist essentiell für die Entwicklung der Geschichte, die im Rahmen des Programms erzählt wird. Die Werbung mit einer kopflosen Gestalt, einem Rollenspieler, anstelle von klassischen Zirkusinhalten ist ein deutliches Signal ans Publikum, das mit dem Plakat in die Vorstellung gelockt werden soll. Die Aussage: Hier erwartet den Zuschauer nicht traditioneller Zirkus, sondern Theater in der Zirkuskuppel. Der Sponsorenaufdruck Peugeot deutet an, dass es sich beim Cirque du Soleil nicht um ein kleines reisendes Familienunternehmen handelt, sondern um einen international agierenden Unterhaltungskonzern.

Zur Begrifflichkeit moderner Zirkusformen: Das erste Problem ergibt sich bereits bei der Begriffsfindung für diese Unternehmen. Für Franz Althoff ist es eine „neue Circus-Idee“ oder der „andere Circus“[57]. Harald Ortleb und Susanne Matzenau definieren die neuen Formen als „reisende Varietés oder reisende Theater“[58]. Nach der Varieté-Definition auf Seite 78 dieser Arbeit ist diese Gattungsbezeichnung jedoch unzutreffend: Bei den modernen Formen spielt weder die Bewirtung der Gäste noch der Faktor Erotik eine Rolle. Der Varieté–Begriff kann aber für Mischformen wie „Pomp, Duck and Circumstance“ herangezogen werden; ein Varieté-Zirkus, der mit einem Spiegelzelt im Stil der zwanziger Jahre reist (Abbildung 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Spiegelzelt „Pomp, Duck and Circumstance“

Die Tische sind dort um eine kleine - etwa drei Meter große - Manege in der Mitte des Zeltes angeordnet. Kennzeichen dieser Unterhaltungsform ist der Restaurant-Charakter. So wirbt ein anderes Unternehmen, das nach dem gleichen Prinzip arbeitet, im Titel mit Starkoch Eckart Witzigmann („Eckart Witzigmanns Palazzo“). Das Unterhaltungsprogramm aus den Genres Akrobatik und Clownerie - Tierpräsentationen fehlen gänzlich - ist um das Servieren eines teuren Vier-Gänge-Menüs (etwa 100 Euro, inklusive Eintritt) angeordnet und beinhaltet diverse erotische Avancen.

Wie diffizil die Abgrenzung traditioneller von modernen Zirkus-Unternehmen ist, belegt eine Aussage Harald Ortlebs, der insbesondere dem Cirque du Soleil den Zirkus-Status abspricht: „(...) wobei der Cirque du Soleil sich vom Zirkus schon so weit weg bewegt hat, dass der Name ‚Cirque’ eigentlich irreführend ist“[59] Diese Aussage beinhaltet auch die Kritik, dass Unternehmen wie der Cirque du Soleil sich nur als Zirkus tarnen, also mit der Verpackung etwas versprechen, was der Inhalt nicht halten kann. Aus meiner Sicht zu Unrecht: Die neuen Formen tragen nicht nur den Namen Zirkus, sondern erfüllen auch wichtige Voraussetzungen, um sie dieser Gattung zuzuordnen: Bei allen Unternehmen handelt es sich um Chapiteaucircusse, die eine kreisförmige Manege bespielen, auch wenn diese nicht in allen Fällen dem Standardmaß von 13 Metern entspricht oder mit Sägemehl ausgelegt und von einer Piste begrenzt ist. In allen modernen Zirkussen, die ich für diese Arbeit gesehen habe, entspricht der Zuschauerraum dem Konzept eines Amphitheaters mit nach oben ansteigenden Sitzreihen. Im Programm sind zudem fast immer mindestens zwei der drei Sparten des klassischen Drei-Säulen-Zirkus’ vertreten (Ausnahme: Chinesischer Staatscircus). Auf das Genre Tierdressur wird zugunsten von Akrobatik und Clownerie oft verzichtet, wodurch in der Konsequenz auch der typische Zirkusgeruch nicht entstehen kann. Der Begriff Zwei-Säulen-Zirkus träfe auf die meisten Alternativ-Unternehmen zu. Ich halte es für unzulässig, den Verzicht auf Tiernummern als Indiz heranzuziehen, um die Anwendbarkeit des Zirkusbegriffs auf moderne Konzepte auszuschließen. Roncalli und das Pferdemusical „Der Zauberwald“ stützen ihre Aufführungen gar auf alle drei Säulen und entsprechen gleichwohl nicht dem Bild des klassischen, sondern dem eines modernen Zirkus’.

Für diese Arbeit habe ich mich für die Begriffe moderner Zirkus (im Gegensatz zum klassischen oder traditionellen Zirkus) und Alternativ-Zirkus (da diese Formen eine Alternative zu herkömmlichen Unternehmen sind) entschieden. Es handelt sich dabei um zwei Bezeichnungen für die gleiche Zirkusform; diese verwende ich in der Arbeit alternierend, da ich beide Begriffe für geeignet halte, diesen „anderen“, sich von klassischen Unternehmen unterscheidenden, Zirkus zu umschreiben.

Was sind die spezifischen Kennzeichen des alternativen oder modernen Zirkus’?

Auch im alternativen/modernen Zirkus kann man eine charakteristische Besucherschicht eingrenzen, die sich von der im klassischen Zirkus unterscheidet. Susanne Matzenau: „(…) Der Cirque du Soleil bedient die Kundenschicht der 30, 40, 50-jährigen, Gut-Situierte, Intellektuelle, Pseudo-Intellektuelle. (...)“[60] Wieder ein polemischer Seitenhieb auf die Konkurrenz. Ihre Einschätzung der Altersstruktur deckt sich allerdings mit eigenen Beobachtungen. Constantin Gillies kommt im Wirtschafts-Branchendienst „Trendletter“ zu einem ähnlichen Schluss, auch im Hinblick auf die gehobenen Eintrittspreise:

„(...) Preise sind im oberen Segment angesiedelt – anders als Zirkus sonst, der viele Karten zum Nullpreis verteilt, um Zuschauer anzulocken. Eine Karte beim Cirque kostet 50 bis 100 Euro, spricht gehobenes Publikum an. In der Pause keine Würstchenbuden und Limo aus Pappbechern, sondern ein gediegenes Büffet.“[61]

Im Gegensatz zum familienorientierten klassischen Betrieb, findet man im Alternativ-Zirkus sowohl am Nachmittag als auch in der Abendvorstellung kaum Kinder. Die aggressive Flic Flac-Produktion „Virus“ ist nach meinem Empfinden für Kinder sogar gänzlich ungeeignet und richtet sich stattdessen an junge Erwachsene und Teenager. Die augenfälligsten Differenzen zwischen klassischen und modernen Unternehmen sind in der Dramaturgie der Programme auszumachen. In Abgrenzung zur Präsentation in sich geschlossener Nummern hat das Programm alternativer Zirkusse zumeist eine Handlung: Es wird eine Geschichte erzählt, die nicht sonderlich komplex ist, aber als Spielhandlung definiert werden kann. Manchmal ist sie nur als grobe Struktur, als roter Faden, erkennbar. Gebräuchlich ist die Darstellung des existenziellen Kampfes Gut gegen Böse wie er bei Flic Flac oder im „Zauberwald“ inszeniert wird. Im „Zauberwald“ wird die Handlung durch Dialoge der Darsteller vorangetrieben, erklärt sich ergo aus dem Manegen- und Bühnengeschehen[62]. Insofern kann im Falle des „Zauberwaldes“ von einem Drama gesprochen werden. Erkennbar ist dieser Ansatz, insbesondere die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, auch im klassischen Circus Krone, wie eine Analyse im dritten Teil dieser Arbeit zeigen wird. Aus diesem Grunde habe ich der Annäherung traditioneller Zirkusse an moderne Formen ein separates Kapitel gewidmet. Die Handlung hat meist märchenhaften Charakter. An den Angriff des Fürsten der Finsternis ist im „Zauberwald“ beispielsweise auch der mögliche Verlust der Fantasie und menschlicher Träume geknüpft. Ein Konflikt, der als literarisches Zitat aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ zu verstehen ist. Ein weiteres Beispiel für die Existenz einer Handlung ist die Cirque-du-Soleil-Produktion „Quidam“: Die Eröffnungsnummer besteht ausschließlich aus der Einführung in die Spielhandlung und kann mit dem ersten Akt eines Theaterstücks verglichen werden. Eine ausführliche Analyse dieser Produktion ist im Teil III dieser Arbeit zu finden. Während im klassischen Zirkus nur Artisten und Dompteure arbeiten, deren Thema eine perfekte Darbietung ist (Ausnahme: der Clown), treten in modernen Programmen neben Artisten auch Darsteller in einer Rolle in die Manege. Ihre Aufgabe: die Gestaltung einer Szene. Das Sujet des modernen Zirkus ist also nicht nur die artistische Perfektion oder das clowneske Intermezzo, sondern auch das theatrale Spiel.

Dafür spricht ebenfalls, dass Artisten im Alternativ-Zirkus nicht nur mit ihrer eigenen Nummer auftreten, sondern auch als Statisten in anderen Darbietungen präsent sind. Nicht in ihrer Eigenschaft als Artist, sondern wiederum in einer kleinen Rolle, in der sie ein Bild vervollständigen. Vergleichbar einem Theaterschauspieler, der in einer Szene einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung der Geschichte hat und in einer anderen nur eine Nebenrolle spielt. Der moderne Zirkus setzt – ähnlich wie das Theater – auf den Ensemblegedanken. Diese Intention wird im Programm „Yin Yang“ des Chinesischen Staatscircus deutlich. Nicht der Einzelne, DER artistische Star, steht im Mittelpunkt, sondern die Leistung des Ensembles. Requisiteure in Uniform, die den Artisten in den Umbaupausen Gegenstände für Ihren Auftritt reichen, gibt es im Chinesischen Staatscircus nicht. Jedes Reichen eines Requisits ist in die Gesamtinszenierung eingebunden und wird von Artisten übernommen, die gerade nicht auftreten. Ein deutlicher Unterschied zum klassischen Zirkus. Die pure artistische Leistung ist das Sujet des klassischen Zirkus, die Einbettung der gleichen Leistung in einen dramaturgischen Rahmen das Kennzeichen moderner Formen.

Als außergewöhnlich muss im Chinesischen Staatscircus der Verzicht auf Clowns bezeichnet werden. Zur Erläuterung ziehe ich ein weiteres Programm heran: „Zensation“. Komische Momente gibt es darin nicht; dadurch unterscheidet es sich von anderen Produktionen - daraus resultieren meiner Meinung nach aber auch Konsequenzen für die Lebendigkeit der Darbietung. Für mich entsteht der Eindruck einer Über-Perfektion, die zu einer klinischen Anmutung in der Manege führt. Die komische Figur, deren Aufgabe laut Helmuth Matiasek das Versagen ist[63], steht für Menschlichkeit und lässt Raum für Identifikation. Der Reiz von „Zensation“ besteht dagegen ausschließlich aus dem Staunen der Zuschauer über die außerordentliche Körperbeherrschung der Artisten.

Das letzte Unterscheidungsmerkmal zur Abgrenzung traditioneller von modernen Formen trifft nicht auf alle Unternehmen zu, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Es wurde in dieser Arbeit schon angedeutet, aber noch nicht expliziert verhandelt. Dieses Kennzeichen bezieht sich nicht auf Dramaturgie oder Form des Programms, sondern auf die Wirtschaftskraft des Unternehmens. Während traditionelle Zirkusse zumeist kleine Familienbetriebe sind, bei denen schlecht besuchte Gastspiele zur Existenzbedrohung werden können, handelt es sich zum Beispiel beim Cirque du Soleil um einen Unterhaltungskonzern. Zur Verdeutlichung: Der Cirque du Soleil ist mit fünf verschiedenen Programmen parallel auf Tournee: „Saltimbanco“ ist im Sommer 2002 in Europa zu sehen, „Quidam“ und „Dralion“ in den USA, „Varekai“ in Kanada und „Alegría“ in Mexiko. Hinzu kommen drei so genannte Resident-Shows, die fest an einem Ort installiert sind: „O“ und „Mystère“ in Las Vegas und „La Nouba“ im Walt Disney-Resort in Orlando.[64] Wie schon beschrieben, macht der Cirque du Soleil laut Wirtschafts-Branchendienst „Trendletter“ einen Jahresumsatz von 108 Mio. Euro, ein Drittel davon mit Merchandising-Produkten wie T-Shirts, CDs und Postern. Der Circus Busch-Roland, der zu den großen traditionellen Zirkussen in Deutschland gehört, setzt im Jahr dagegen „nur“ 4,5 Mio. Mark(!) um[65]. Bei Flic Flac handelt es sich ebenfalls um ein großes Unternehmen. Hier liegen mir keine Daten zum Umsatz vor. Die Show „Virus“ hatte aber neben den Cirque du Soleil-Produktionen die aufwendigste Ausstattung, das professionellste Lichtdesign, eine Dolby-surround-Beschallung und den größten Personalstab, was auf ein hohes Investitionsvolumen schließen lässt.

1.3. Der Cirque Alexis Gruss – klassisch oder modern?

Anhand des Französischen Nationalcircus Gruss stellen Karin Schulz und Holger Ehlert in ihrem „Circuslexikon“ die Grundsätze einer neuen Zirkuskonzeption dar. Das Buch ist von 1988 und nach meiner Recherche das einzige Werk, das sich mit dem Wandel traditioneller Zirkusformen befasst. Die darin enthaltene Analyse bezieht sich auf ein Gastspiel im Kronebau München vom März 1986 und ist aus heutiger Sicht als veraltet zu betrachten. Exemplarisch möchte ich dies an einer aktuellen Programmgestaltung des Cirque Gruss aufzeigen.[66] Während Schulz und Ehlert im Französischen Nationalcircus damals eine wegweisende Form moderner Prägung gesehen haben, fällt das Unternehmen nach der hier erbrachten Definition[67] eindeutig in die Kategorie „klassischer Zirkus“. Zunächst vermutete ich, es handele sich um ein Missverständnis, zumal die Familie Gruss in Frankreich – ähnlich wie die Familie Althoff in Deutschland – viele Zirkusunternehmen hervorgebracht hat. Auf den Cirque Arlette Gruss[68] trifft die literarische Interpretation ansatzweise durchaus zu – nicht aber auf den Cirque Alexis Gruss. Aber nur letzterer trägt den Titel Französischer Nationalcircus und wird von Schulz und Ehlert explizit genannt. Eine Verwechslung kann also nicht vorliegen. Zur neuen inhaltlichen Konzeption, welche die Autoren beim Cirque Alexis Gruss erkannt haben wollen: Im Kapitel „Betrachtung der heutigen Zirkuskunst“ heißt es: „Jegliches Programm des Französischen Nationalcircus’ besteht nicht aus einzelnen Nummern, sondern lässt sich in Szenen gliedern.“[69] Meine Analyse des aktuellen Gastspiels im Kronebau ergibt einen anderen Befund. Dazu zunächst ein Blick auf den Nummern-Ablauf des Gastspiels bei Krone:

1.3.1. Programmfolge Alexis Gruss

Opening - Artistenparade[70]

Ballerina zu Pferde - Solo-Artistin auf dem Pferd

Tanz auf dem Seil - Klassische Seiltanz-Nummer eines Solo-Artisten

Hohe Schule im Spiegel - Pferde-Dressur als Abwandlung des Spiegel-Entrées[71]

Talentierte Exoten - Elefanten-Dressur

Luftträumereien auf Monsieur Cheval - Pferde-Dressur

Turbulente Jockey-Reiterei - Kunstreiterei mit 4 Pferden

Feminine Antipoden-Spiele - Fuß-Jonglage mit einer Röhre, auf dem Rücken liegend

Die Große Ungarische Post - Pferde-Dressur

PAUSE

Sympathische Löwen-Impressionen - Raubtier-Dressur

Musik macht Lustig - Pferde-Dressur mit clownesken Einlagen

Soweit die Hände tragen - Artisten-Duo mit „Kopf-auf–Kopf-Akrobatik“

Drahtseil-Liaisonen - Klassische Artistik auf dem Drahtseil

Jongleur zu Pferd (die folgenden 4 Nummern erklären sich von selbst)

Flugtrapez ohne Netz

Die große Pferde-Revue

Finale

Beim Studium des Programms wird deutlich, dass es sich bei Alexis Gruss um einen klassischen Zirkus handelt, der den Schwerpunkt der Darbietungen auf Pferde-Dressuren legt. Die wenigen anderen Nummern des Programms sind klassische Nummern, die schon seit Generationen im traditionellen Zirkus gezeigt werden. Die Sparte Clownerie ist unterrepräsentiert und klingt ausschließlich in der Nummer „Musik macht Lustig“ an – und hier auch nur in Verbindung mit einer Pferde-Dressur. Jede Darbietung ist in sich geschlossen und hat keinen Bezug zu anderen Auftritten innerhalb des Programms. Die Nummernhaftigkeit tritt für mich nur im Circus Monte Carlo deutlicher zutage. Getrennt werden die Nummern durch die bereits beschriebene Technik des Blackouts, also das Verdunkeln des Manegenraumes. Umbaupausen werden nicht überbrückt, sondern von Requisiteuren in Zirkusuniform zur Vorbereitung der nächsten Nummer genutzt. Dagegen beschreiben Schulz/Ehlert die Umbaupausen als Bestandteil der Handlung. Jede Zureichung oder Entgegennahme von Requisiten werde dramaturgisch in diese eingebaut:

„Deshalb ist der traditionelle Requisiteur in seiner Fantasieuniform nicht mehr Teil des Erscheinungsbildes.“[72] Welcher Art die Handlung ist, bleibt in der Beschreibung unerwähnt. Stattdessen wird auf die Vielfalt der Aufgaben aller Artisten verwiesen. Die Leistung des einzelnen Akteurs habe sich der Idee des Gesamtkunstwerks Zirkus unterzuordnen:

„Stéphane Gruss zeigt seine zwei Spezialauftritte (...) Darüber hinaus ist er (...) mit dem Zigeunerwagen und während der Parade, sowie (...) als Jongleur und als Mittelmann in einer Pyramide, überdies als Untermann am russischen Barren (...) und mit seinem Vater Alexis (dem Direktor) und Großvater Dedé als Musikalclown, in der Szene ‚Karneval in Venedig’ als Tänzer und in der Schlussszene ‚Das Schiff und die ganze Truppe’ als Trampolinspringer zu sehen.“[73]

Dieser wiederholte Einsatz bewirkt nach Ansicht der Autoren, dass die Präsentation geschlossen wirkt, und das Verhältnis der Artisten zum Publikum an Intimität gewinnt. Grund: Der Zuschauer kennt bereits nach einer Viertelstunde alle Akteure und erkennt sie im Laufe der Vorstellung wieder. Tatsächlich entspricht diese Häufigkeit des Einsatzes und die Aufgabenvielfalt dem von mir beschriebenen Ensemblegedanken, und ist damit ein Charakteristikum der modernen Zirkusform. Leider sind die Szenen „Karneval in Venedig“ sowie „Das Schiff und die ganze Truppe“ nicht en detail erläutert. Aus der Beschreibung ist aus meiner Sicht keinesfalls die Einführung einer Handlung oder der Einsatz dramaturgischer Mittel abzuleiten.

Im aktuellen Programm vom März 2002 ist auch die Einbindung des Ensembles nicht zu erkennen gewesen. Vielmehr hat jeder Artist ausschließlich seine Spezialdisziplin präsentiert. Auf ein klassisches Zirkuskonzept deutet auch die fehlende Varianz beim Lichteinsatz. Zu einer durchdachten Lichtregie gehört eine Beleuchtung, die nicht nur artistische Leistungen sichtbar macht, sondern die Stimmung einer Szene unterstützt oder gar kreiert. Im jüngsten Programm des Cirque Alexis Gruss konnte ich nur vier verschiedene Lichtstimmungen erkennen: Alle Scheinwerfer an, Licht aus, ein leichtes Farbenspiel in rot und blau sowie den Klassiker: Licht aus – Spot an. Im Klartext: Ein Akteur wird mit einem Verfolger[74] angestrahlt und damit als Individuum hervorgehoben. Ein modernes Zirkuskonzept ist für mich nicht erkennbar. Im Gegensatz zur Verwandtschaft des Cirque Arlette Gruss. Betrachten wir die Anfangssequenz des Programms „Effervescence“[75]. In der Manege ist ein großer Raubtierkäfig aufgebaut, der einen Dressurakt erahnen lässt. Im klassischen Zirkus würde man erwarten, dass sogleich der Dompteur mit einer Gruppe Exoten den Käfig betritt und mit seiner Nummer beginnt. Im Cirque Arlette Gruss steht vor der Nummer die Aufführung einer Kannibalen-Szene: Das Beleuchtung wird herunter gefahren. Der Käfig erscheint nun in bedrohlichem roten Licht. Per Tonzuspielung ertönen Buschtrommeln, die rhythmisch geschlagen werden und akustisch langsam näher kommen. Plötzlich erscheint ein Clown im Publikum: ein moderner Dummer August. Nur seine rote Nase weist ihn optisch als komische Figur aus. Anstelle eines karierten Mantels und eines Schlapphutes trägt er Baseball-Kappe und Fußball-Trikot. Die gefährlich anmutende Szene wird durch seine Präsenz kurz durchbrochen. In die Manege ziehen derweil sechs Stammesmitglieder mit leuchtender Kriegsbemalung im Gesicht, Baströcken und Speeren in den Manegen-Käfig ein. Sie tragen einen Kochtopf, um den herum sie tanzen. Der Dumme August betritt in seiner gespielten Naivität und Unbekümmertheit die Manege und landet im nächsten Augenblick im Kochtopf. Unter Grimassen und einem Winken ins Publikum tragen ihn die Kannibalen im Kochtopf aus dem Käfig, in den wenige Sekunden später sechs Löwen und ihr Dompteur in Safari-Kleidung (Tropenhelm, hellbraune Hose und braunes Kurzarmhemd) einziehen.

Lichtwechsel: helle Scheinwerfer. Das Zirkusorchester spielt ein Thema aus dem „König der Löwen“: „Can you feel the love tonight“ von Elton John. Bedrohlich wirkende Masken bleiben als Verweis auf die vorangegangene Szene im Käfig. Es folgt eine klassische Raubtierdressur, auf die ich nicht näher eingehe. Charakteristisch für die Struktur des Programms ist der Wechsel zwischen beängstigend wirkenden Spielszenen (wobei mit der Kannibalen-Sequenz nicht die Intention verfolgt wird, das Publikum erschaudern zu lassen; durch schwarzen Humor wird eher ein Schmunzeln ausgelöst. Die Szene karikiert sich selbst.) und Zirkus-Nummern von fröhlich-märchenhafter Anmutung, die durch bunte Fantasiekostüme verstärkt wird (Abbildung 5).

[...]


[1] Alegría heißt aus dem Spanischen übersetzt Begeisterung und Lebensfreude.

[2] Der Begriff Nummer entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und beschreibt die gesamte Gestaltung, d.h. den Aufbau und die Abfolge des Auftritts eines Zirkusartisten. (Vgl. Schulz/Ehlert: Das Circus Lexikon. Nördlingen 1988. S.129)

[3] Quidam: a nameless passer-by, a solitary figure lingering on a street corner, a person rushing past. (Vgl. www.cirquedusoleil.com/CirqueDuSoleil/en/shows/touring/quidam)

[4] Saltimbanco ist ein altes italienisches Wort für Gaukler. (Vgl. Presse-Info Cirque du Soleil Productions Amsterdam: Cirque du Soleil wieder in Wien! 2002. Keine Seitenangabe). Die französische Entsprechung Saltimbanque wird heute noch im Zirkusjargon verwendet.

[5] Vgl. Eberstaller, Gerhard: Von Roncalli zu Flic Flac (1983). In: Heller, André: Die Trilogie der möglichen Wunder. Wien 1983. S.30

[6] Eberstaller (1983) S.38

[7] Vgl. Keyser, Marja: Hochverehrtes Publikum. Ein Streifzug durch die Circusgeschichte. In: Merkert, Jörn (Hrsg.): Zirkus Circus Cirque. Ausstellungskatalog der 28. Berliner Festwochen 1978. Obertshausen 1978. S.13

[8] Keyser (1978) S.13

[9] Vgl. Keyser (1978) S.14

[10] Interview mit Matzenau, Susanne; Krone-Pressechefin. März 2002. Anhang. S.131

[11] Flic Flac tourte jahrelang als CIRCUS Flic Flac: Das Wort Circus hat man allerdings jüngst aus dem Namen gestrichen, obwohl sich Aufbau und Anmutung der Programme nicht verändert haben.

[12] Merkert, Jörn: Über die Circus-Kunst. In: Merkert (1978) S.6

[13] Einzelne akrobatische Kunststücke werden in der Zirkussprache „Trick“ genannt. (Vgl. Schmitt, Christine: Artistenkostüme. Zur Entwicklung der Zirkus- und Varietégarderobe im 19. Jahrhundert. Tübingen 1993. S.12)

[14] Untertitel: Ende, Rolf von: Circenses. Spiele auf Leben und Tod. Berlin 1984

[15] Vgl. Mathys, F.K.: Circus. Faszination gestern und heute. Stuttgart 1986. S.15

[16] Das Circus Lexikon von Karin Schulz und Holger Ehlert ist eigentlich ein Nachschlagewerk für Begriffe aus der Zirkussprache, beinhaltet aber einen zirkusgeschichtlichen Teil sowie das erwähnte Kapitel.

[17] Eine Definition der Gattung Zirkus wird im Kapitel „Was ist Zirkus?“ gegeben.

[18] Vgl. Schulz/Ehlert (1988) S.26

[19] Frz. Das Zirkuszelt, das sich mit einfachen Mitteln auf- und abbauen lässt.

(Vgl. Mathys: Kleines Circus ABC. In : Mathys, F.K. : Circus. Faszination gestern und heute. Stuttgart 1986. S.79)

[20] Bäurle, Roland: Die letzte Krone. Wieder geht eine erfolgreiche Winterspielzeit bei Europas größtem Zirkus zu Ende. Doch ein Wermutstropfen bleibt: Mit Christel Sembach-Krone wird die Geschichte der Zirkusfamilie enden. In: SZ-Magazin. München. 15. März 2002. S.19 ff

[21] Dominique Texier, Pressesprecher des Cirque Arlette Gruss, wurde von allen Zirkus-Mitarbeitern nur „Monsieur Dominique“ genannt.

[22] Interview mit Salmon, Catherine; Cirque du Soleil PR-Department. April 2002. Anhang S.124

[23] Nach Angaben des Wirtschafts-Branchendienstes „Trendletter“ macht der Cirque du Soleil einen Jahres-Umsatz von 108 Mio. Euro. (Vgl. Gillies, Constantin: Fallstudie: Cirque du Soleil erobert Markt in totgeglaubter Branche. In: Trendletter. VNR-Verlag der deutschen Wirtschaft. Bonn. März 2002 www.trendletter.de). Ohne Seitenangabe.

[24] Croft-Cooke, Rupert/ Cotes, Peter: Die Welt des Circus. Zürich 1977. S.7

[25] Equestrisch: von lateinisch equus = Pferd. Die Equestrik beschreibt die Reitkunst. (Vgl. Mathys (1986) S.79)

[26] Erhöhte, etwa 25 Zentimeter breite Umrandung der Manege (Vgl. Lehmann, Rolf: Circus. Magie der Manege. Fotografiert und beschrieben von Rolf Lehmann. Hamburg 1979. S.299)

[27] Definition des Begriffes „Circus“ von der „internationalen Gesellschaft der Circushistoriker“, zitiert nach Schulz/Ehlert (1988) S.10

[28] Vgl. Beck, Wolfgang: Zirkus. In: Brauneck/ Schneilin/ Gérard (Hrsg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek 1992. S.1121

[29] Vgl. Philipp, Werner: Die dressierte Gesellschaft. Verhalten bei Mensch und Tier. Frankfurt/Main 1982. S.60

[30] Vgl. Beck, Wolfgang. In: Brauneck/ Schneilin/ Gérard (Hrsg.) (1992) S.1122

[31] Althoff, Franz: So’n Circus. Franz Althoff erzählt. Freiburg 1982. S.7

[32] Interview mit Ortleb, Harald; Pressesprecher Circus Busch-Roland. März 2002. Anhang. S.118

[33] Interview Ortleb (2002) Anhang. S.118

[34] Interview Matzenau (2002) Anhang S.131

[35] Mathys (1986) S.16

[36] Vgl. Kusnezow, Jewgeni: Der Zirkus der Welt. Mit einem ergänzenden Teil von Ernst Günther und Gerhard Krause. Berlin 1970. S.7

[37] Vgl. Kusnezow (1970) S.9

[38] Vgl. Philipp (1982) S.61

[39] Interview mit Paul, Bernhard; Direktor des Circus Roncalli. Juli 2002. Anhang S.115

[40] Vgl. Holbein, Magda: Der Circus und das Theater des 20. Jahrhunderts. In: Merkert (1978) S.224

[41] Ein Conférencier, der die Nummern ansagt und einleitet. (Vgl. Mathys (1986) S.80)

[42] Vgl. Lehmann (1979) S.300

[43] Interview mit Stutz, Bruno und Altenburger, Eugen; Zirkusclowns. Mai 2002. Anhang. S.126

[44] Althoff (1982) S.182

[45] Busch, Barbara: Dionysische Tendenzen in den zeitgenössischen Rock’n Roll-Shows. Magisterarbeit. Ludwig-Maximilians-Universität München. München 1971. S.5

[46] Interview Paul (2002) S.109

[47] Heute ist in Europa der Chapiteaucircus, also der reisende Circus, die Regel. (Vgl. Schulz/ Ehlert (1988) S.64 f)

[48] Krone reist nach eigenen Angaben mit dem größten Zirkuszelt der Welt, das 5.000 Besuchern Platz bietet. (Vgl. Circus Krone Magazin. München. Ohne Jahres- und Seitenangabe)

[49] Requisiteure sind Circusarbeiter (oft in bunten Fantasieuniformen), die für den Auf- und Abbau der Arbeitsgeräte für die Artisten zuständig sind. Diese Tradition geht zurück auf das Manegenpersonal und die Kunstreiter, die sich im 19. Jahrhundert in Uniformen kleideten, die denen des Militärs nachgebildet waren. (Vgl. Mathys (1986) S.26)

[50] Interview Stutz/Altenburger (2002). S.127

[51] Stand-up-Comedy bezeichnet den Auftritt eines Komikers ohne Partner und Requisiten. Stand-up gilt als anspruchsvolle Form und wird beispielsweise im „Quatsch-Comedy-Club“ in Hamburg, der auf diesem Gebiet auch als Talentschmiede gilt, gepflegt. D. Verf.

[52] Vorhang, der den Sattelgang, durch den die Artisten ins Zelt gelangen, von der Manege trennt. (Vgl. Schulz/Ehlert (1988) S.95)

[53] Vgl. Mathys (1986) S.79

[54] Eine Abnormitätenschau, in der Zwerge, Riesen oder siamesische Zwillinge gegen ein separates Eintrittsgeld gezeigt wurden. (Vgl. Lehmann (1979) S.300)

[55] Vgl. Schulz/Ehlert (1988) S.165

[56] Fried, Annette/ Keller, Joachim: Faszination Clown. Düsseldorf 1996. S.31

[57] Vgl. Althoff (1982) S.175

[58] Interviews Matzenau (2002) S.131 und Ortleb (2002) S.119

[59] Interview Ortleb (2002) S.119

[60] Interview Matzenau (2002) S.131

[61] Gillies (2002). Ohne Seitenangabe

[62] Auf das Bühnengeschehen wird im Kapitel „Heute mit dem Gestern glänzen“ gesondert eingegangen.

[63] Vgl. Matiasek, Helmuth: Die Komik der Clowns. Dissertation. Universität Wien. Wien 1957. S.28

[64] Quelle: www.cirquedusoleil.com/CirqueDuSoleil/en/touring.html

[65] Quelle: Interview Ortleb (2002) S.122

[66] Ich habe den Cirque Alexis Gruss ebenfalls während eines Gastspiels im Kronebau München gesehen, am 14. März 2002.

[67] Siehe Kapitel „Was ist Zirkus?“

[68] Gesehen am 07. Mai 2002 in Strasbourg.

[69] Schulz/Ehlert (1988) S.26

[70] Aus: Cirque Alexis Gruss. Programmheft zum Gastspiel im Krone-Bau München. München 2002. Ohne Seitenangabe. Dazu eigene Programmerläuterungen.

[71] Erklärung des Spiegel-Entrées im Clown-Kapitel.

[72] Schulz/Ehlert (1988) S.26

[73] Schulz/Ehlert (1988) S.27

[74] Einzelner Spot, der Akteure mit einem Lichtkegel „verfolgen“ kann.

[75] Zu deutsch: sprudelnd.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832466473
ISBN (Paperback)
9783838666471
DOI
10.3239/9783832466473
Dateigröße
2.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Geschichts- und Kunstwissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (April)
Note
1,6
Schlagworte
zirkusgeschichte clown circus maximus cirque soliel varieté
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Titel: Theater in der Zirkuskuppel
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