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Buchsprachlichkeit und Endungsbetonung

Zur Betonung der Verben auf -it im Russischen

©1999 Magisterarbeit 140 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Arbeit befasst sich mit einem Teilaspekt der russischen Betonung, der von einem anhaltenden Wandel gekennzeichnet ist und sich daher der Beschreibung mit eindeutigen Regeln entzieht. Die in Bezug auf das gesamte russische Verbalsystem nicht produktive Wechselbetonung breitet sich in der Gruppe der Verben, die im Infinitiv die Endung –it’ haben, auf Kosten der Endungsbetonung aus. Diese Entwicklung ist aber nicht so weit fortgeschritten, dass sie eine zuverlässige Aussage ermöglicht. Nach wie vor bewahren viele Verben die Endungsbetonung. Auffällig ist, dass unter diesen Verben insbesondere solche sind, die bestimmte Merkmale aufweisen, die im Allgemeinen mit dem Kirchenslawischen in Verbindung gebracht werden.
In einer quantitativen Auszählung wird überprüft, wie groß die Übereinstimmung zwischen solchen Merkmalen und Endungsbetonung tatsächlich ist. Die Merkmale werden gemäß der Arbeit von Šachmatov und Shevelov festgelegt. Die zu untersuchenden Verbkorpora werden nach den Wörterbüchern von Zaliznjak, Daum/Schenk und Zasorina zusammengestellt und ihr Betonungsverhalten an Hand verschiedener Wörterbücher in synchroner und diachroner Perspektive analysiert.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Tabellenverzeichnis3
Abkürzungen4
1.Einleitung5
1.1Die russische Betonung und die Verben auf -it'5
1.2Die Worthäufigkeit9
1.3Stand der Forschung12
1.3.1Die historische Entwicklung12
1.3.2Die morphologische Nutzung15
1.3.3Die pragmatische Nutzung20
1.4Die untersuchten Verbmengen25
1.4.1Die buchsprachlichen Verben25
1.4.2Die 701 häufigsten Verben28
1.4.3Das Partizip Präteritum Passiv30
2.Die Betonung der buchsprachlichen Verben32
2.1Die Lautverbindungen -ra-, -re- und -le-32
2.2Buchsprachlicher Stamm32
2.3Komposita33
2.4Konsonantenwechsel d - D33
2.5Konsonantenwechsel T – ŠtŠ33
2.6Präfix so-34
2.7Präfix vo-34
2.8Präfix voz-/vos-34
2.9Präfix pre-34
2.10Präfix pred-35
2.11Präfix iz-/is-35
2.12Buchsprachliches Imperfektivierungssuffix -a-35
2.13Ergebnisse36
2.13.1Präsens/Futur36
2.13.2Das Partizip Präteritum Passiv39
3.Die Betonung der 701 häufigsten Verben auf -it'41
3.1Die heutigen Akzentverhältnisse der 701 häufigsten Verben41
3.1.1Präsens/Futur41
3.1.2Das Partizip Präteritum Passiv42
3.2Bisheriger Übergang von Endungsbetonung zu Wechselbetonung43
3.3Die buchsprachlichen Verben unter den 701 häufigsten43
3.4Ergebnisse44
3.4.1Präsens/Futur44
3.4.2Das Partizip Präteritum […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6605
Müller, Ulrich: Buchsprachlichkeit und Endungsbetonung - Zur Betonung der Verben auf -it im
Russischen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Berlin, Universität, Magisterarbeit, 1999
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
TABELLENVERZEICHNIS... 3
ABKÜRZUNGEN ... 4
1. EINLEITUNG ... 5
1.1. D
IE RUSSISCHE
B
ETONUNG UND DIE
V
ERBEN AUF
-
... 5
1.2. D
IE
W
ORTHÄUFIGKEIT
... 9
1.3. S
TAND DER
F
ORSCHUNG
... 12
1.3.1. Die historische Entwicklung ... 12
1.3.2. Die morphologische Nutzung... 15
1.3.3. Die pragmatische Nutzung... 20
1.4. D
IE UNTERSUCHTEN
V
ERBMENGEN
... 25
1.4.1. Die buchsprachlichen Verben... 25
1.4.2. Die 701 häufigsten Verben... 28
1.4.3. Das Partizip Präteritum Passiv ... 30
2. DIE BETONUNG DER BUCHSPRACHLICHEN VERBEN ... 32
2.1. D
IE
L
AUTVERBINDUNGEN
-
-, -
-
UND
-
- ... 32
2.2. B
UCHSPRACHLICHER
S
TAMM
... 32
2.3. K
OMPOSITA
... 33
2.4. K
ONSONANTENWECHSEL
-
... 33
2.5. K
ONSONANTENWECHSEL
-
... 33
2.6. P
RÄFIX
- ... 34
2.7. P
RÄFIX
- ... 34
2.8. P
RÄFIX
-/
-... 34
2.9. P
RÄFIX
-... 34
2.10. P
RÄFIX
- ... 35
2.11. P
RÄFIX
-/
-... 35
2.12. B
UCHSPRACHLICHES
I
MPERFEKTIVIERUNGSSUFFIX
-
A
- ... 35

2
2.13. E
RGEBNISSE
... 36
2.13.1. Präsens/Futur... 36
2.13.2. Das Partizip Präteritum Passiv ... 39
3. DIE BETONUNG DER 701 HÄUFIGSTEN VERBEN AUF -... 41
3.1. D
IE HEUTIGEN
A
KZENTVERHÄLTNISSE DER
701
HÄUFIGSTEN
V
ERBEN
... 41
3.1.1. Präsens/Futur... 41
3.1.2. Das Partizip Präteritum Passiv ... 42
3.2. B
ISHERIGER
Ü
BERGANG VON
E
NDUNGSBETONUNG ZU
W
ECHSELBETONUNG
43
3.3. D
IE BUCHSPRACHLICHEN
V
ERBEN UNTER DEN
701
HÄUFIGSTEN
... 43
3.4. E
RGEBNISSE
... 44
3.4.1. Präsens/Futur... 44
3.4.2. Das Partizip Präteritum Passiv ... 46
4. ZUSAMMENFASSUNG... 47
5. ANHANG:
VERBLISTEN ... 52
V
ORBEMERKUNGEN
... 52
5.1. V
ERBLISTEN ZU
2. D
IE
B
ETONUNG DER BUCHSPRACHLICHEN
V
ERBEN
... 53
5.1.1. Die Verben mit nicht buchsprachl. Lautverbindung --, -- und -- 53
5.1.2. Die Verben mit buchsprachlichem Stamm ... 54
5.1.3. Die komponierten Verben ... 56
5.1.4. Die Verben mit buchsprachlichem Konsonantenwechsel - ... 57
5.1.5. Die Verben mit buchsprachlichem Konsonantenwechsel - ... 59
5.1.6. Die Verben mit buchsprachlichem Präfix... 60
Präfix -... 60
Präfix -... 60
Präfix -/- ... 60
Präfix -... 61
Präfix -... 61
Präfix -/-... 62
5.1.7. Die Verben mit buchsprachlichem Imperfektivierungssuffix ... 64
5.1.8. Buchsprachliche und volkssprachliche Verbpaare... 77

3
5.2. V
ERBLISTEN ZU
3. D
IE
B
ETONUNG DER
701
HÄUFIGSTEN
V
ERBEN AUF
-
81
5.2.1. Die heutigen Akzentverhältnisse ... 81
5.2.2. Bisheriger Übergang von Endungsbetonung zu Wechselbetonung ... 95
5.2.3. Die buchsprachlichen Verben unter den 701 häufigsten ... 103
5.3. D
IE BUCHSPRACHLICHEN
V
ERBEN BEI
T
ORNOW
... 110
LITERATUR... 113
ALPHABETISCHES VERZEICHNIS ... 120
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Verteilung von Endungs- und Wechselbetonung bei Verben mit
buchsprachlichen Merkmalen. ... 37
Tabelle 2: Verteilung von Endungs- und Wechselbetonung unter den 701 häufigsten
Verben. ... 45
Tabelle 3: Verteilung von Endungs- und Wechselbetonung unter den Verben mit
buchsprachlichen Merkmalen der 701 häufigsten Verben.... 45
Tabelle 4: Die drei untersuchten Verbmengen im Vergleich.... 50

4
Abkürzungen
Cha Chazagerov
eb endungsbetont
Ki Kiparsky
P/F Präsens/Futur
PPP Partizp Präteritum Passiv
schw schwankend
sb stammbetont
Vo Voroncova
wb wechselbetont

5
1. Einleitung
1.1. Die russische Betonung und die Verben auf -
Eine der Besonderheiten der russischen Sprache ist ihre Betonung, die sowohl frei,
beweglich als auch schwankend ist. Frei ist sie insofern, als der Akzent prinzipiell
auf jede Silbe eines Wortes fallen kann. Dadurch unterscheidet die russische
Betonung Lexeme (z. B. vs. ) und hängt mit der Wortbildung zusammen.
Die russische Betonung ist beweglich, als der Akzent in verschiedenen Formen des
Paradigmas auf verschiedene Silben fallen und somit grammatische Formen unter-
scheiden kann (z. B. vs. ). Durch die historische Entwicklung der
Sprache verändert sich die Betonung, so daß Betonungsvarianten auftreten (z. B.
und ). Das daraus resultierende Schwanken der russischen Betonung
kann pragmatisch genutzt werden, indem durch die Betonungsvarianten verschieden
gekennzeichnete Formen voneinander unterschieden werden (z. B. dialektale von
hochsprachlichen: vs. , fachsprachliche und umgangssprachliche
von neutralen: vs. , vs. , oder auch "richtige" von "fal-
schen": vs. ).
1
Hinzu kommt, daß die Betonung eines russischen
Wortes durch bestimmte Determinanten, z. B. Suffix und Silbenzahl, beeinflußt
wird.
2
Arbeiten, die sich mit der Betonung des Russischen beschäftigen, bemühen
sich, ihre Gesetzmäßigkeiten zu erforschen, darzustellen und in ein möglichst einfa-
ches System zu bringen.
3
Zu klären ist hier im einzelnen, wie die Momente der russi-
schen Betonung genutzt werden, etwa die grammatische Nutzung ihrer Beweglich-
keit oder die pragmatische Nutzung von Betonungsvarianten.
1
vgl. Tornow, Siegfried, Russische Betonungsregeln. Eine Akzentgrammatik, Köln 1991, S. 1ff. Vgl.
a. Fedjanina, N. A., Udarenie v sovremennom russkom jazyke, Moskva 1976, S. 7ff. Zur Frage nach
der Freiheit des russischen Wortakzentes vgl. Lehfeldt, Werner, Ist das Russische eine Sprache mit
"freiem Akzent"? In: H. R. Mahlig (Hg.), Slavistische Linguistik 1982, München 1982, S. 20-26; und
ders., Zur Entwicklung und zum gegenwärtigen Stand der morphologischen Akzentologiekonzeption,
in: Die Welt der Slaven XXVIII, 1, N.F. VII, 1, München 1983, S. 88-109.
2
vgl. Kempgen, Sebastian, Grammatik der russischen Verben, Wiesbaden 1989, S. 59f.
3
vgl. A. A.O., 1989, S. 6.

6
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Magisterarbeit sind die Verben auf -,
die der zweiten, der i-Konjugation mit den Personalendungen des Präsens/Futur (P/F)
-/-, -, -, -, -, -/- angehören.
4
Ein solches Verb kann im P/F
entweder stamm- (sb, , , ), endungs- (eb, ,
, ) oder wechselbetont (wb, , , ) sein.
5
Während bei Stammbetonung der Akzent auf einer beliebigen Silbe des Stamms in-
klusive Präfix liegt und immer der Betonung des Infinitivs entspricht, fällt er bei
Endungsbetonung auf die erste Silbe der Endung. Bei Wechselbetonung liegt er in
der 1. Person Singular auf der Endung und in den übrigen Personalformen auf der
letzten Stammsilbe. Demzufolge unterscheiden sich Endungs- und Wechselbetonung
von der lexikalisch bedingten Stammbetonung dadurch, daß sie grammatisch bedingt
sind. Für die Wechselbetonung reicht die morphologische Beschreibung nicht aus
und muß durch eine grammatisch geregelte phonologische Angabe ergänzt werden.
Endungs- und Wechselbetonung sind eine absolute Festlegung der Akzentstelle
unabhängig von dem einzelnen Lexem.
6
Sind Endungs- und Wechselbetonung somit
von der Stammbetonung klar zu unterscheiden, ist die Abgrenzung zwischen ihnen
weniger eindeutig. Beide stehen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, da aus
dem Infinitiv nicht ersichtlich ist, zu welchem Betonungstyp ein Verb gehört.
7
Darüber hinaus stellt das akzentuelle Verhalten der Verben auf - im P/F die
synchrone Beschreibung vor besondere Schwierigkeiten. Wegen des durch die
4
Nach Kempgen, der alle in das " " von Zaliznjak
(Zaliznjak, A. A., Grammaticeskij slovar' russkogo jazyka. Slovoizmenenie, Moskva 1977a)
aufgenommenen Verben berücksichtigt, gehören von den Verben, die im Infinitiv auf - enden, zur
i-Konjugation alle mehrsilbigen außer , und -, sowie acht von neun
einsilbigen mit Doppelkonsonanten vor -. Kempgen, 1989, S. 157. Verben auf -, die nicht zur
i-Konjugation gehören, berücksichtige ich hier nicht, stammbetonte Verben auf - der
i-Konjugation nur, wenn es aus dem Zusammenhang heraus notwendig ist. Im folgenden werde ich
der Kürze halber stets von Verben auf - sprechen.
5
vgl. Isacenko, A. V., Die russische Sprache der Gegenwart, Teil I: Formenlehre, Halle (Saale) 1968,
S. 232.
6
vgl. Kempgen, 1989, S. 172ff.
7
a.a.O., S. 480f. und Zaliznjak, A. A., Ot praslavjanskoj akcentuacii k russkoj, Moskva 1985, S. 27ff.
Jochen Raecke weist darauf hin, daß an sich alle drei Betonungstypen (Stamm-, Endungs- und
Wechselbetonung) miteinander konkurrieren würden, da es Beispiele für alle sechs rechnerisch
möglichen Übergänge gäbe. Die Übergänge Stammbetonung zu Wechselbetonung, Wechselbetonung
zu Endungsbetonung und Wechselbetonung zu Stammbetonung wären aber außerordentlich selten.
Die These Pirogovas, der Übergang Endungsbetonung zu Wechselbetonung wäre eine Zwischenstufe
des Übergangs Endungsbetonung zu Stammbetonung und ihm würde der Übergang Wechselbetonung
zu Stammbetonung folgen, sei praktisch nicht belegt. Raecke, Jochen, Zur Morphologisierung des
russischen Verbalakzents, in: Slavistische Linguistik 1977. Referate des III. Konstanzer Slavistischen
Arbeitstreffens, Bochum 27.9.77-29.9.77, hg. v. Wolfgang Girke und Helmut Jachnow (=Slavistische
Beiträge Bd. 120), München 1978, S. 145.

7
zeitliche Entwicklung bedingten Wandlungsprozesses lassen sich nur schwer
verläßliche Regeln aufstellen, die es ermöglichen, die Betonung des P/F der Verben
auf - aus dem Infinitiv abzuleiten.
Ilse Kunert hat in ihrer Arbeit über die Veränderungen in der russischen Sprache den
Wandel in der Betonung der Verben auf - als eine Erscheinung auf dem Höhe-
punkt ihrer Entwicklung eingestuft.
8
Zusammen mit ihrem Hinweis auf den Um-
stand, daß ein sprachliches System kein starres Schema ist, erscheint die Suche nach
Regeln für die Betonung dieser Verben fast zwangsläufig aussichtslos.
9
Die
Verteilung von Endungs- und Wechselbetonung im P/F der Verben auf - befindet
sich nach wie vor in einem bereits einige Jahrhunderte andauernden
Wandlungsprozeß und muß sich so synchron festzustellenden Regeln entziehen.
Nichtsdestoweniger läßt sich das Phänomen beobachten und beschreiben. Und aus
dieser Analyse können Erkenntnisse gewonnen werden, die Rückschlüsse auf
Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung zulassen.
Das Konkurrenzverhältnis von Endungsbetonung und Wechselbetonung ist ein Phä-
nomen, das mit der Beweglichkeit der russischen Betonung zusammenhängt.
Bestimmte strukturelle Voraussetzungen, z. B. bei Substantiven einsilbige oder
anfangsbetonte zweisilbige Stämme, lassen bewegliche Betonung möglich
erscheinen, ihr Nichtvorhandensein verhindert diese. Sind solche Voraussetzungen
gegeben, kann die bewegliche Betonung aber auch auf Grund von Affixen
ausbleiben. Solche Affixe sind z. B. bei Substantiven das Suffix -, das immobile
Betonung festlegt, oder für Verben das Präfix -, das bei Verben des vollendeten
Aspekts den Akzent auf sich zieht.
10
Darüber hinaus gibt es weitere Momente, die
die Beweglichkeit der Betonung beeinflussen. Als ein solches Moment nennt
Sebastian Kempgen den Einfluß einer anderen Sprache und erwähnt in diesem
Zusammenhang das Kirchenslavische.
11
Bei den Verben auf - ist auffällig, daß
gerade solche Verben gegen die Wechselbetonung resistent erscheinen, die buch-
8
Kunert, Ilse, Veränderungstendenzen und Entwicklungsprozesse im heutigen Russisch, Wiesbaden
1968, S. 86.
9
a.a.O., S. 11.
10
Tornow, Siegfried, Die häufigsten Akzenttypen in der russischen Flexion. Berlin-Wiesbaden 1984,
S. 439ff.
11
Kempgen, 1989, S. 60.

8
sprachliche, "kirchenslavische" Merkmale tragen, denen sich meist volkssprachliche
Merkmale gegenüberstellen lassen. Tornow zählt zu diesen Merkmalen Komposition
( vs. ), Präfigierung ( vs. ), Liquida-
metathese gegenüber Polnoglasie ( vs. ), Konsonantenwechsel
zu anstatt zu und zu anstatt zu ( vs. ; vs.
) sowie Ableitungen aus dem Kirchenslavischen ( zu
vs. ).
12
Exemplarisch hierfür können die Paradigmen der Verben
(verwandeln, umgestalten) und (umdrehen, umwerfen)
betrachtet werden, bei denen sich buchsprachliche Merkmale und Endungsbetonung
einerseits und volkssprachliche Merkmale und Wechselbetonung andererseits einan-
der zuordnen lassen:
-
-
-
-
-
Tornow hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß "die Endungsbetonung eines der
Charakteristika 'buchsprachlicher' Lexeme ist und die Wechselbetonung eines der
'volkssprachlicher'."
13
Die Gleichsetzung "buchsprachlicher" Lexeme mit
Endungsbetonung im P/F und "volkssprachlicher" mit Wechselbetonung ist, wie
Tornow festhält, zwar nicht richtig. Das zeigt die Existenz endungsbetonter, ganz
offensichtlich "volkssprachlicher" Verben wie .
14
Seine These, daß
lexikalisch eindeutig als "buchsprachlich" gekennzeichnete Verben gegen die
Wechselbetonung resistent sind, ist aber sehr naheliegend, "da es andererseits kein
Verb gibt, das buchsprachliche Merkmale hätte und dabei im P/F wb wäre (...)."
15
Dies ist ein auffälliges Charakteristikum der Verben auf -. In der vorliegenden
Arbeit will ich daran anknüpfend der Frage nachgehen, inwieweit die
12
Tornow, 1984, S. 444f.
13
a.a.O., 1984, S. 411f. Ich übernehme in dieser Arbeit die von Tornow verwendeten Bezeichnungen
"buchsprachlich" und "volkssprachlich", da "kirchenslavisch" und "russisch" irreführend wären. Es
handelt sich in jedem Fall um Momente der russischen Sprache.
14
a.a.O., S. 445f.
15
a.a.O., S. 412 u. 445.

9
Übereinstimmung zwischen den Verben mit buchsprachlichen Merkmalen und
Endungsbetonung auch über die von Tornow untersuchten Verben hinaus zutrifft und
wie sich die entsprechenden Ergebnisse in das Betonungsverhalten der Verben auf
- insgesamt einordnen lassen.
1.2. Die Worthäufigkeit
Grundlage statistischer Untersuchungen der Sprache ist oft der Lexembestand eines
Wörterbuches. Auf diese Weise soll, wie es von Kempgen bezeichnet wird, das Ma-
ximalsystem der Sprache und ihrer Teilbereiche erfaßt werden.
16
Obwohl es sich
dabei zwar jeweils um das Maximalsystem eines bestimmten Wörterbuches, im Falle
Kempgens des " " A. A. Zaliznjaks,
handelt, können durch solche Untersuchungen durchaus Erkenntnisse erbracht
werden, die eine für den Lexembestand einer Sprache eine nahezu absolute
Gültigkeit haben.
17
Es ist aber zu beachten, daß bei Hunderttausenden lexikalischer
Einheiten einer Sprache nur einige Zehntausend verstanden und einige Tausend aktiv
verwendet werden.
18
Die absolute Erfassung einer Sprache oder ihres Wortbestandes
ist daher kaum möglich. Rolf-Dietrich Keil hat in einem Aufsatz über die Erstellung
von Wortschatzminima für den Russischunterricht auf die Ergebnisse aller in
verschiedenen Kultursprachen vorgenommenen Worthäufigkeitsuntersuchungen
hingewiesen.
19
Danach bewegt sich der allgemeine, jeder Art von Texten
gemeinsame Grundwortschatz in der Größenordnung von 1500 bis 2500 Wörtern.
Darüber hinaus macht sich sowohl eine starke Spezialisierung je nach dem themati-
schen und stilistischen Charakter der ausgewerteten Texte als auch ein starkes Ab-
sinken der Einzelwortfrequenz bemerkbar. Wenn Keil die statistische Häufigkeit
16
Kempgen, 1989, S. 3f.
17
Zaliznjak, 1977a. Kempgen selber sieht die Unmöglichkeit, das Maximalsystem der Sprache
tatsächlich zu erfassen. Kempgen, 1989, S. 3f.
18
vgl. Fisenne, Bärbel von, Werther, Horst, Probleme der Auswahl und Verwendung von
Wortschatzminima im Framdsprachenunterricht (unter besonderer Berücksichtigung des
Russischunterrichts), in: Notizen und Materialien zur russischen Linguistik, Unterlagen für die
Seminararbeit Nr. 3 (=Specimina Philologiae Slavicae Bd. 9), Frankfurt am Main 1975, S. 6.
19
Keil, Rolf-Dietrich, Zur Häufigkeit russischer Verben und Verbformen, in: Zeitschrift für den
Russischunterricht 2, 1965-66/1, S.35-50.

10
auch nicht als einziges Kriterium bei der Wortschatzerstellung ansieht, so ist sie doch
für ihn von zentraler Bedeutung. Gerade für die Verben sieht er Zählungen nach der
Häufigkeit als repräsentativ an, da sie weniger als Substantive von der Spezifik der
Texte abhängen.
20
Demgegenüber kann die Verwendung eines möglichst maximalen
Lexembestandes den Verdacht erwecken, die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich
in der gesprochenen Sprache realisieren, zu verschieben.
Diese für die Sprache allgemein gültigen statistischen Feststellungen sind auch bei
der Betrachtung der Mobilität der russischen Betonung relevant. Arto Mustajoki
untersucht in einem Aufsatz von 1981 den Zusammenhang von Häufigkeit und
Wechselbetonung von Substantiven.
21
Dazu zählt er die wb der 40, 400 und 4000
häufigsten russischen Substantive sowie aller in Zaliznjaks grammatischem
Wörterbuch
22
vorkommenden Substantive (über 40 000) aus. Als Grundlage für die
Feststellung der Häufigkeit eines Wortes dient ihm das Häufigkeitswörterbuch von
Zasorina.
23
Er sieht in seinem Vorgehen zwar keine Garantie absolut korrekter Er-
gebnisse, aber doch die Gewährleistung, daß diese von den subjektiven Intuitionen
des Forschers unabhängig sind. Mustajoki stellt in dieser Untersuchung fest, daß
Wechselbetonung unter den Substantiven allgemein zwar selten ist, daß sie aber un-
ter den am häufigsten gebrauchten eher die Regel als die Ausnahme ist.
24
Er macht
also die Bedeutung der Häufigkeit deutlich.
25
So stellt z. B. N. A. Fedjanina fest, daß allgemein nur wenige Wörter Wechselbeto-
nung haben, daß aber diese gerade zu den am häufigsten gebrauchten und zur von ihr
sogenannten "Basislexik" der russischen Sprache gehören.
26
Nach V. L. Voroncova
ändert sich die Betonung eines Wortes um so leichter, je häufiger es gebraucht
wird.
27
T. G. Chazagerov gibt eine sehr konkrete Charakterisierung der
Worthäufigkeit. Demnach ist die Tendenz zur akzentuellen Gegenüberstellung von
20
Keil, 1965-66, S. 37f.
21
Mustajoki, Arto, Russian Stress: Wordfrequency as an Indicator of Mobile Stress, in: Scando-
Slavica, Bd. 27, 1981, S. 199-211.
22
Zaliznjak, 1977a.
23
Zasorina, L. N. (Hg.), Castotnyj slovar' russkogo jazyka, Moskva 1977.
24
Mustajoki, 1981, S. 201f.
25
vgl. Tornow, 1984, S. 4ff.
26
Fedjanina, 1976, S. 15.
27
Voroncova, V. L., Russkoe literaturnoe udarenie XVIII - XX vv., Moskva 1979, S. 27.

11
Wortformen, also der Übergang von immobiler zu mobiler Betonung, bei Wörtern
mit einer hohen Häufigkeit besonders stark, während für Wörter mit einer niedrigen
Häufigkeit Umbildungen typisch sind, die zur Beseitigung oder Abschwächung
akzentueller Unterscheidungen führen. Chazagerov beobachtet bei abnehmender
Häufigkeit eine Verringerung des Anteils wb Wörter. Die Neigung zum akzentuellen
Ausgleich bei seltenerern Wörtern erklärt Chazagerov damit, daß für solche Wörter
der Einfluß der häufigeren Wortformen auf die weniger häufigen stärker ist als bei
oft gebrauchten Wörtern. Die seltenen Wortformen von seltenen Wörtern geraten in
Vergessenheit und können nur auf Grund der häufigeren Wortformen wie-
derhergestellt werden.
28
Diese allgemeinen Aussagen bezieht Chazagerov auch auf
die Verben auf - und verweist dabei darauf, daß auch unter den häufigen Verben
einige die Endungsbetonung bewahren.
29
In diesem Zusammenhang ist eine
Untersuchung interessant, die Jochen Raecke an Materialien für den
Russischunterricht der ersten Schulklassen in der Sowjetunion durchgeführt hat. Der
darin vermittelte Wortbestand endhält wesentlich mehr wb Verben als eb Verben und
spiegelt so in bezug auf die Betonung der Verben auf - vollkommen umgekehrte
Verhältnisse wider, als sie eine an der allgemeinen Norm orientierte Untersuchung
ergeben würde.
30
Aus der Forschungsliteratur zur Betonung im Russischen ergibt
sich demnach, daß die akzentuellen Verhältnisse in einem engen Zusammenhang mit
der Vorkommenshäufigkeit der Lexeme stehen und folglich Untersuchungen, die
sich mit der Betonung befassen, dieses Kriterium nicht außer Acht lassen können.
28
Chazagerov, T. G., Udarenie v russkom slovoizmenenii, Rostov 1985, S. 19ff.
29
a.a.O., S. 72f.
30
Raecke, 1978, S. 147ff.

12
1.3. Stand der Forschung
1.3.1. Die historische Entwicklung
Für die Beschreibung der historischen Entwicklung des russischen Akzentsystems
sind insbesondere die Arbeiten V. A. Dybos zur Rekonstruktion des urslavischen Ak-
zentsystems grundlegend.
31
Ihnen gingen die Arbeiten Chr. Stangs und V. M. Illic-
Svitics voraus.
32
A. A. Zaliznjak beschäftigte sich 1985
33
ebenso wie bereits R.
Nachtigall 1922
34
und V. Kiparsky 1962
35
sowohl mit der synchronen Beschreibung
des russischen Akzentsystems als auch mit der historischen Entwicklung dieses
Systems. Diese Arbeiten bemühen sich, die Beziehungen zwischen dem heutigen
Akzentsystem und früheren Sprachzuständen
zu erklären.
36
Zaliznjak stellt die akzentuelle Entwicklung folgendermaßen dar: Spätestens vom 14.
bis zum 16. Jahrhundert gleicht sich das Paradigma der alten Wechselbetonung mit
der Betonung in der 1. Person Singular auf der initiierenden Silbe (, )
dem eb Paradigma (, ) an. Diese Angleichung bezog sich auch auf die
marginale Endungsbetonung der 2. Person Plural ( zu ). Die
31
Dybo, V. A., O rekonstrukcii udarenija v praslavjanskom glagole, in: Voprosy slavjanskogo
jazykonznanija, vyp. 6. Moskva 1962; ders., Akcentologija i slovoobrazovanie v slavjanskom, in:
Slavjanskoe jazykoznanie. VI Mezdunarodnyj s''ezd slavistov (Praga, avgust 1968). Dokl. sov.
delegacii. Moskva 1968; ders., Drevnerusskie teksty kak istocnik dlja rekonstrukcii praslavjanskogo
udarenija (Praesens), in: Voprosy jazykoznanija, 1969, 6; ders., Fragment praslavjanskoj akcentnoj
sistemy (Udarenie prilagatel'nych s suffiksom -k-), in: Sovetskoe slavjanovedenie, 1970, 5; ders.,
Rekonstrukcija udarenija l-pricastija ot glagolov na -no- i -i- v praslavjanskom, in: Issledovanija po
serbochorvatskomu jazyku, Moskva 1972; ders.; Akcentnye tipy prezensa glagolov s , v korne v
praslavjanskom, in: Voprosy jazykoznanija, 1972, 4; ders., Baltoslavjanskaja akcentnaja sistema s
tipologiceskoj tocki zrenija i problema rekonstrukcii indoevropejskogo akcenta, in: Kuznecovskie
ctenija 1973. Istorija slavjanskich jazykov i pis'mennosti, Moskva 1973; ders., Slavjanskaja
akcentologija. Opyt rekonstrukcii sistemy akcentnych paradigm v praslavjanskom, Moskva 1981;
ders., Praslavjanskoe raspredelenie akcentnych tipov v prezense tematiceskich glagolov s kornjami na
nesumnye (materijaly k rekonstrukcii), in: Baltoslavjanskie issledovanija 1981, Moskva 1982.
32
Illic-Svitic, V. M., Imennaja akcentuacija v baltiskom i slavjanskom, Moskva 1963; Stang, Chr.,
Slavonic accentuation, Oslo 1957.
33
Zaliznjak, A. A., Ot praslavjanskoj akcentuacii k russkoj, Moskva 1985.
34
Nachtigall, R., Akzentbewegung in der russischen Formen- und Wortbildung, I. Substantive auf
Konsonanten, Heidelberg 1922.
35
Kiparsky, V., Der Wortakzent der russischen Schriftsprache, Heidelberg 1962.
36
vgl. Lehfeldt, Werner, Zur Entwicklung und zum gegenwärtigen Stand der morphologischen
Akzentologiekonzeption, in: Die Welt der Slaven XXVIII, 1, N.F. VII, 1, München 1983, S. 94 und
Berger, Tilman, Wortbildung und Akzent im Russischen (=Slavistische Beiträge, Bd. 201), München
1986, S. 12.

13
Wechselbetonung mit der Betonung auf der Endung in der 1. Person Singular und
auf der letzen Stammsilbe in den übrigen Präsensformen (, ) sei im
Gegensatz dazu jedoch bewahrt worden.
37
Zaliznjak konstatiert eine Umverteilung
der Verben auf die Akzentparadigmen im Laufe der Sprachgeschichte, die
insbesondere die Verben auf - erfaßt hat.
38
V. Kiparsky (1962) äußert die Vermutung, daß bei den Verben auf - ursprünglich
nur Stamm- oder Endungsbetonung vorkamen, deren Verteilung von der langen
Stammsilbe abhing. Wechselbetonung ist demnach erst im Laufe der historischen
Zeit entstanden, am wahrscheinlichsten nach der Reduzierung der unbetonten Vokale
im 14.-15. Jahrhundert. Diese neu gebildete Wechselbetonung entstand nach Kipars-
ky entsprechend dem Vorbild der Wechselbetonung bei den Verben der 3. Leskien-
schen Verbklasse (, , ), die altererbt und lautgesetzlich ist.
39
In
diesem Zusammenhang weist er darauf hin, daß sich die Endungsbetonung völlig
erwartungsgemäß entwic??kelt hat, in dem das akutierte thematische -i- den Akzent
von kurzem oder zirkumflektiertem Stamm auf sich zog. Wechselbetonung hätte par-
allel dazu nur entstehen können, wenn das -i- des Präsens bei manchen ursprünglich
anders intoniert gewesen wäre als das -i- des Infinitivs. Einer solchen Vermutung
will sich Kiparsky unter Verweis auf die Arbeiten Kurilowiczs und Stangs nicht an-
schließen.
40
Um seine Thesen zu stützen, führt er Untersuchungen an den wb Verben
auf - bezüglich deren Akzentverhaltens im Laufe der historischen Entwicklung
durch.
41
In einem 1971 veröffentlichten Artikel zur Betonung der Verben auf -, in
dem er auf die Ergebnisse einer Arbeit V. V. Kolesovs
42
zurückgreift, vervollständigt
er die gewonnenen Ergebnisse.
43
Demzufolge hat er 155 Verben mit heutiger Wech-
selbetonung untersucht. Bei 126 bzw. 81 Prozent dieser Verben konnte er eine alte
37
Zaliznjak, 1985, S. 378f. Der Ausgleich zu oder ist nur in einem nicht großen Teil der
Dialekte bekannt. A.a.O., S. 379.
38
a.a.O., 1985, S. 380.
39
Kiparsky, 1962, S. 316f.
40
Kurilowicz J., L'accentuation des langues indoeuropéennes, Kraków 1952; Stang, Chr., La langue
du livre "Ucenije i chitrost ratnago strojenija pchotnych ljudej 1647" (Skrifter utgitt av Det norske
Videnskaps-Akademi i Oslo II. Hist.-FiloS. Klasse 1952, No. 1), Oslo 1952; Kiparsky, 1962, S. 299.
41
a.a.O., S. 300ff.
42
Kolesov, V. V., Ob odnoj drevnerusskoj dialektnoj sisteme udarenija, Vestnik Leningradskogo
universiteta, 8, 1965, S. 116-128.
43
Kiparsky, Valentin, Zur Betonung der russischen Verben auf -it', in: Symbolae in honorem Georgii
Y. Shevelov, München 1971, S. 224-230.

14
Endungsbetonung und somit den Übergang dieser Verben von der Endungsbetonung
zur Wechselbetonung in historischer Zeit nachweisen.
Für die Zeit seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart beschreiben diesen Über-
gang V. L. Voroncova und T. G. Chazagerov.
44
Er vollzieht sich in einer eindeutigen
Richtung: In der Mehrheit der Fälle wechseln die Verben von der Endungsbetonung
zur Wechselbetonung. Der Übergang zur Stammbetonung sowie in gegengesetzter
Richtung, d.h. zur Endungsbetonung, ist nach Voroncova nur selten anzutreffen.
45
Vom 19. Jahrhundert, in dem es nach Kiparsky eine starke Tendenz, Endungsbeto-
nung durch Wechselbetonung zu ersetzen, gegeben hat,
46
bis ins 20. Jahrhundert
weitet sich der Anteil der wb Verben immer mehr aus. Auch heute noch schwanken
zahlreiche Verben zwischen beiden Betonungsmöglichkeiten. Darüber hinaus er-
reicht die Wechselbetonung Verben, die früher in der literarischen Tradition nur mit
Endungsbetonung bekannt waren.
47
Diesen Prozeß des Übergangs von der Endungs-
betonung zur Wechselbetonung bezeichnet Voroncova als einen lebendigen und in-
tensiven Prozeß, der auch zukünftig eine Vergrößerung der Gruppe von wb Verben
zur Folge haben wird.
48
Es ist festzuhalten, daß in der Literatur ein Umbau der alten urslavischen und frühen
altrussischen Akzentverhältnisse beschrieben wird, der zur Ausbildung der uns heute
bekannten drei Betonungstypen der Verben und deren Konkurrenz zueinander führte.
44
Chazagerov, 1985; Voroncova, 1979.
45
Voroncova, 1979, S. 204ff.
46
Kiparsky, 1962, S. 316.
47
Voroncova, 1979, S. 209ff.
48
a.a.O., S. 232f. Einen Überblick über die Entwicklung der Betonung der Verben auf - geben
auch Lehfeldt, 1983, S. 88-109 und Pirogova, Akcentologiceskie processy v sisteme glagolov s
tematiceskim -i-, in: Slavjanskaja filologija, vyp. 5., pod red. prof. S. B. Bernstejna, doc. N. M.
Sanskogo i doc. E. Z. Cybenko, Moskva 1963, S. 95 u. 99ff. Neben den genannten Arbeiten ist
außerdem Gorbacevic zu erwähnen, der diese Entwicklung ebenfalls kurz zusammenfaßt. Gorbacevic,
K. S., Variantnost' slova i jazykovaja norma. Na materiale sovremennogo russkogo jazyka, Leningrad
1978, S. 99f. und ders., Normy sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 18981, S. 107ff. Ein gleiches
tut Jochen Raecke. Dieser hebt außerdem hervor, daß es sich nicht um einen geradlinig verlaufenden
Prozeß handelt, sondern um eine Veränderung, "die sich in bestimmten Verben nur gegen den zum
Teil geradezu erbitterten Widerstand der Verfasser normsetzender Wörterbücher durchsetzen kann."
Raecke, 1978, S. 153ff. Auf die Arbeit Schweier, Ulrich, Zum Flexionsakzent in der Großrussischen
Literatursprache des 16. und des 17. Jahrhunderts. Beschreibung und vergleichende Einordnung der
Akzentsysteme der Ostroger Bibel (Neues Testament) von 1580-1581 und der Moskauer Bibel von
1663, München 1987, sei hier nur am Rande verwiesen. Auch dieser beobachtet vorwiegend einen
Wandel von Endungs- zu Wechselbetonung. a.a.O., S. 93ff. vgl. auch Kunert, Ilse,
Veränderungstendenzen und Entwicklungsprozesse im heutigen Russisch, Wiesbaden 1968, S. 86.

15
Dabei wird allgemein die von Dybo gegebene Rekonstruktion anerkannt.
49
Demnach
ist die alte marginalbetonte Wechselbetonung (nach Dybo Akzentparadigma c) mit
der Betonung auf der ersten Endungssilbe (Akzentparadigma b) zusammengefallen.
Während jedoch Zaliznjak davon ausgeht, daß es auch vorher schon einen wb Typ
mit eb 1. Person Singular und sb übrigen Personen gab, beschreibt Lehfeldt in Über-
einstimmung mit der These Kiparskys die Entwicklung der heutigen Wechselbeto-
nung aus der Endungsbetonung.
50
Auch bei Dybo selber findet sich dieser Typ der
Wechselbetonung nicht.
51
Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, daß sich die drei
für die Verben auf - heute charakteristischen Akzentparadigmen herausbildeten
und miteinander konkurrierten, vor allem Endungs- und Wechselbetonung. Anfangs
war diese Konkurrenz von der Endungsbetonung dominiert, verschob sich im Laufe
der Zeit jedoch zu Gunsten der Wechselbetonung, die sich heute in vielen Fällen
durchgesetzt hat.
1.3.2. Die morphologische Nutzung
Bei der Suche nach den Gründe für den Übergang der Verben auf - wird in der
Literatur oft auf den Einfluß der russischen Dialekte auf die Literatursprache verwie-
sen, der ausführlich vor allem von Voroncova beschrieben wurde. Ihr zufolge bewah-
ren die nördlichen Dialekte, die sich im allgemeinen als archaisch erweisen, die En-
dungsbetonung auch in den Fällen, in denen die Literatursprache schwankt. Die süd-
lichen Dialekte hingegen neigen weit mehr als die Literatursprache zur Wechselbe-
tonung. Es läßt sich demnach ein zunehmender Einfluß der südrussischen Dialekte
einerseits und ein abnehmender Einfluß der nordrussischen Dialekte andererseits
beobachten.
52
Pirogova sieht in der Tendenz zur Wechselbetonung sogar eine allge-
49
insbesondere Dybo, V. A., Slavjanskaja akcentologija. Opyt rekonstrukcii sistemy akcentnych
paradigm v praslavjanskom, Moskva 1981, S. 197ff. Vgl. Raecke, 1978, S. 153ff.
50
Lehfeldt, 1983, S. 104.
51
Auffällig ist dabei, daß Zaliznjak und Lehfeldt das gleiche Verb als Beispiel verwenden. Gerade
dieses () wurde, wie Kiparskiy, 1971 hervorhebt, als Beweis für die Ursprünglichkeit der
heutigen Wechselbetonung angesehen, die er aber gerade auch hier durch Kolesov widerlegt sieht.
Vgl. Kiparsky, 1971, S. 229f.
52
Voroncova, 1979, 8 u. 226f. vgl. auch Gorbacevic, 1978, S. 101.

16
meine ostslavische Entwicklung und verweist auf parallele Erscheinungen im Weiß-
russischen und im Ukrainischen.
53
Die Entwicklung in der Betonung der Verben auf - in der Literatursprache wird
von den Dialekten im Norden also nur zögernd vollzogen, während die südrussischen
Dialekte ihr vorauseilen. Dieses Verhältnis wird allgemein als ein abnehmender Ein-
fluß der nordrussischen und als ein zunehmender Einfluß der südrussischen Dialekte
interpretiert.
54
Die meisten Autoren verweisen jedoch auf den Umstand, daß dieser
äußere Einfluß nicht als Erklärung für die benannte Entwicklung ausreichen kann.
Vielmehr muß es auch innere Motive der Literatursprache geben, die diese Verände-
rungen unterstützen. Veränderungen sind immer durch grundlegende Anforderungen
des konkreten Systems bedingt.
55
Chazagerov gibt außerdem zu bedenken, daß der
Wandel auch in den Dialekten selber motiviert sein muß.
56
Es stellt sich also die Frage nach den inneren Motiven für den zu beobachtenden ak-
zentuellen Wandel. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang allgemein eine
Morphologisierung der russischen Betonung festgestellt. Kunert charakterisiert diese
als für das morphologisch-syntaktische System kennzeichnend:
"Durch die Herausbildung bestimmter beweglicher Akzenttypen besonders bei
den Nomina, aber auch beim Verbum, ist der Akzentwechsel zu einer korrelativen
Alternation geworden, die für Morphemalternationen noch wirksamer ist, als z. B.
die Alternation palataler - nichtpalataler Konsonanten, da der Akzent nicht an ein
53
Pirogova, 1963, S. 103. Nach Chazagerov kommt die Wechselbetonung vor allem in den
nordwestrussischen Dialekten selten vor, in den südrussischen, besonders in der Gegend von Kaluga,
sehr viel häufiger als in der Literatursprache. Für das Gebiet um Rjazan gibt Chazagerov eine weitere
Verbreitung der Stammbetonung auf Kosten der Wechselbetonung an. Chazagerov, 1985, S. 71f.
54
Kunert verweist auf die von Bulachovskij gemachte Feststellung, daß sich im Vergleich zum 19. Jh.
der Einfluß des Südrussischen auf die Standardsprache unserer Zeit verstärkt hat. Kunert, 1968, S. 86.
55
vgl. Voroncova, 1979, S. 9 u. 229. Sie erwähnt an dieser Stelle auch das Ukrainische, in dem der
Wandel von der Endungs- zur Wechselbetonung zwar weit stärker sei als im Russischen, für das aber
in bezug auf seinen Einfluß auf die russische Literatursprache das gleiche gilt wie für die Dialekte.
56
Chazagerov, 1985, S. 17 und 71f. Auch Raecke sieht zwar den Einfluß des Südrussischen als
"keinesfalls von der Hand zu weisen" an. Er wirft aber zugleich die Frage auf, warum "der Einfluß
ausgerechnet in der einen, nicht aber in der theoretisch genauso gut möglichen anderen Richtung"
verläuft und warum "die eher nordgroßrussische Endungsbetonung nicht die eher südgroßrussische
Wechselbetonung" zurückdrängt. Außerdem fragt er: "Warum ist es gerade diese Dialekteigenschaft,
die von den Sprechern der Standardsprache so bereitwillig übernommen wird, nicht aber eine der
vielen anderen, die sich ja dann gleichermaßen zur Nachahmung anbieten." Der Einfluß südrussischer
Elemente ist für Raecke somit eine Beschreibung des "Wie" aber nicht des "Warum" des zu
beobachtenden Prozesses. Raecke, 1978, S. 161f.

17
Phonem gebunden und damit von bedeutungsunterscheidender Kraft ist, sondern
ausschließlich der Bezeichnung morphologischer Oppositionen dienen kann."
57
Bezüglich der Betonung der Verben auf - sieht Jochen Raecke die folgenden
Momente als grundlegend an: den Hinweis Kiparskys auf die 3. Leskiensche Verb-
klasse, die wahrscheinlich das Vorbild für die Einführung der Wechselbetonung in
die Klasse der Verben auf - abgegeben hat,
58
den methodischen Ansatz, den
grammatischen Funktionswert der Wechselbetonung zu klären, und die Frage nach
der Beziehung, in der die Durchsetzung der Wechselbetonung in einem bestimmten
Teil des Verbalbereichs zu den Akzentveränderungen im Nominalbereich steht.
59
Raecke beobachtet entsprechend der vorbildhaften 3. Leskienschen Verbklasse, bei
der neben der Wechselbetonung in den Formen des P/F eine reguläre Stammbeto-
nung des Partizips Präsens Aktiv besteht (, , , ), auch
für die Verben auf - Stammbetonung in diesem Partizip nur bei gleichzeitiger
Wechselbetonung in den Formen des P/F (, , , ).
Außerdem stellt er eine regelhafte Koppelung von Wechselbetonung des P/F und
Stammbetonung des Partizips Präteritum Passiv (PPP) einerseits (,
, , ) und von Endungsbetonung des P/F und
Suffixbetonung des PPP fest (,
,
,
).
60
So sieht Raecke die fortschreitende Ausbreitung der
Wechselbetonung in unmittelbarem Zusammenhang mit der genauso fort-
schreitenden Ausbreitung der Stammbetonung der Partizipien, die in seiner Interpre-
tation der Ausgangs- bzw. Zielpunkt des gesamten Akzentwandels ist. Deren eigent-
licher Grund liegt nach Raecke in einer Tendenz, die morphologischen Kategorien
Verb und Nomen durchgehend akzentuell voneinander zu differenzieren. Denn wäh-
rend die Kurz- und Langformen der Adjektive mehr und mehr dazu neigen, die En-
dungen zu betonen, beobachtet Raecke bei den Verben eine Entwicklung, die darauf
hinausläuft, den Akzent von historisch gesehen nominalen Endungen abzuziehen.
61
57
Kunert, 1968, S. 114.
58
Wobei Raecke auch diese Analogieerklärung nur als eine Erklärung des "Wie" ansieht. Zu fragen
wäre wiederum, warum die Analogie gerade in dieser Richtung verlief und warum sie überhaupt
eintrat. Raecke, 1978, S. 162.
59
a.a.O., S. 164f.
60
Wobei er auf eine Reihe von Abweichungen in der literatursprachlichen Norm in der einen wie der
anderen Richtung verweist. A.a.O., S. 168ff.
61
a.a.O., S. 175ff.

18
In diesem Zusammenhang sieht er auch die Wechselbetonung in den Formen des
P/F. Er bezeichnet sie als "einesteils die dafür regelmäßige Vorbedingung, an-
dernteils die regelmäßige Folge" und als das "Vehikel für die Durchsetzung der
Stammbetonung bei den Partizipien".
62
Es ist interessant, daß Lehfeldt für das Ursla-
vische diesen Zusammenhang der Betonung der Partizipien mit der Betonung des P/F
ebenfalls beschreibt.
63
Auch Pirogova weist auf den Zusammenhang von En-
dungsbetonung im P/F und der Bewahrung von Suffixbetonung im PPP einerseits
und dem Übergang zur Wechselbetonung im P/F und zur Stammbetonung im PPP
andererseits hin.
64
So erscheinen Endungs- und Suffixbetonung sowie Wechsel- und
Stammbetonung in den jeweiligen Formen schon von alters her miteinander verbun-
den. Daher kann in der von Raecke benannten Parallele durchaus eine Erklärung ge-
sehen werden. Darüber hinaus betont Raecke, daß gerade die Wechselbetonung der
Formen des P/F eine Möglichkeit bietet, die für den verbalen Formenbereich typi-
schen morphologischen Kategorien Tempus, Diathese und Modus akzentuell zu dif-
ferenzieren. Die zu beobachtenden akzentuellen Prozesse sind für Raecke demzu-
folge ein Ausdruck des Bestrebens, den nominalen Bereich vom verbalen akzentuell
zu unterscheiden.
65
Chazagerov sieht durch die Wechselbetonung die Gegenüberstellung von Singular
und Plural, wie er sie für das Substantiv beobachtet, auch für das Verbum realisiert,
und zwar dergestalt, daß die 1. Person Singular von der 1. Person Plural akzentuell
geschieden wird.
66
Raecke verweist aber darauf, daß eine solche Differenzierung für
das russische Verb in keiner Weise charakteristisch ist, und gibt sehr einleuchtend zu
bedenken, daß diese sich auch nur auf die 1., nicht aber auf die 2. und 3. Person be-
zieht.
67
Diese Tatsache nimmt auch Chazagerov durchaus wahr. Er sieht darin eine
Hervorhebung der Individualität in der 1. Person Singular und weist auf die häufige
verallgemeinernde Bedeutung der 2. Person Singular hin.
68
Zaliznjak merkt zu den
Thesen Chazagerovs an, daß sie nicht erklären können, warum die Numerusunter-
62
a.a.O., S. 177 u. 181.
63
Lehfeldt, 1983, S. 100.
64
Pirogova, 1963, S. 92 u. 99.
65
Raecke, 1978, S. 177 u. 181f.
66
Chazagerov, 1985, S. 72ff.
67
Raecke, 1978, S. 164f.
68
Chazagerov, 1985, S. 74.

19
scheidung in der 1. Person nur in der II., der i-Konjugation auftritt, aber nicht in der
I., der e-Konjugation.
69
Voroncova gibt eine andere Möglichkeit, den Übergang zur Wechselbetonung von
einem funktional-morphologischen Standpunkt aus zu erklären. In ihrer Tendenz zur
Wechselbetonung und deren grammatischer Funktionalisierung heben sich nach
Voroncova die Verben auf - von dem gesamten verbalen Akzentsystem ab.
70
Denn wenn das "Prinzip der grammatischen Zweckmäßigkeit", wie Voroncova es
nennt, für das Verb allgemein keine große Bedeutung hat, so ist es doch für die Ver-
ben auf - existent: Die Wechselbetonung ermöglicht es, den Indikativ vom Impe-
rativ akzentuell zu unterscheiden ( - ). Die sb Verben verfügen hier-
für über morphologische Mittel ( - ). Den eb Verben steht
keinerlei Differenzierungsmöglichkeit zur Verfügung ( - ).
71
Bezüglich der von Voroncova angeführten Differenzierung zwischen dem Indikativ
und dem Imperativ gibt Zaliznjak zu bedenken, daß die Neuerung der Wechselbeto-
nung bei den Verben auf - im ganzen früher auftritt als die Betonung des Impera-
tivs auf der ersten Endungssilbe anstatt auf der letzten (-e für -e). Außerdem
kommt im Weißrussischen und Ukrainischen, wo die Wechselbetonung solcher
Verben besonders stark entwickelt ist, dieser Wandel in der Betonung des Imperativs
überhaupt nicht vor.
72
Er selber gibt folgendes Bild: In der Entwicklung der russi-
schen Betonung sieht er vorwiegend analoge Umbildungen. Dies sind zum einen der
Ausgleich der Betonung innerhalb einer bestimmten Gruppe von Wortformen und
die Polarisierung der Betonung in zwei durch ein bestimmtes Merkmal als oppositio-
nell gekennzeichneten Wortformen. Für diese akzentuellen Entwicklungen ist eine
Funktionalisierung der Betonung charakteristisch: Die Betonung wird im Innern des
69
Zaliznjak, 1985, S. 380.
70
a.a.O., S. 15 u. 22f. Auch Tornow weist darauf hin, daß die Wechselbetonung im P/F der
e-Konjugation verschwindet, wohingegen sie sich in dem der i-Konjugation ausbreitet. Tornow, 1984,
S. 458. Diesen Umstand hat wohl auch Kempgen bei seiner Einschätzung der Endungsbetonung als
"normal" im Blick. Kempgen, 1989, S. 172ff. Aber eben wegen der von Voroncova benannten
Unterschiede hält Tornow eine unterschiedliche Betrachtung der Konjugationen für notwendig.
Tornow, 1984, S. 413.
71
vgl. Voroncova, 1979, S. 235f. Auch Tornow benennt das Bestreben, das P/F vom Imperativ zu
unterscheiden als Antrieb für die Tendenz zur Wechselbetonung. Tornow, 1984, S. 411.
72
Zaliznjak, 1985, S. 380.

20
Paradigmas grammatikalisiert, d.h. die akzentuelle Opposition wird übereinstimmend
mit der Opposition von Wortformen gemäß einer grammatischen Kategorie formiert.
Die Betonung wird semantisiert, d.h. die Wörter werden in Abhängigkeit von ihrer
Bedeutung in den akzentuellen Gruppen umverteilt. Und die Betonung wird prag-
matisiert, d.h. es werden akzentuelle Unterschiede ausgebildet, die die Verwendbar-
keit eines Wortes reflektieren.
73
Kunert sieht in der Morphologisierung der Wechselbetonung allerdings keine ausrei-
chende Erklärung für deren Ausbreitung, da sie mit festem Akzent ebenfalls und weit
besser zu erreichen wäre. Vielmehr liegt ihr zufolge in der Wechselbetonung die
Möglichkeit, ein als typisch "russisch" empfundenes Phänomen, die Vokalreduktion,
hervorzuheben. Denn, wie sie meint, nur wenn infolge des beweglichen Akzents re-
duzierte und nicht reduzierte Vokale wechseln (Beispiel: - ), können
die Variantenverhältnisse der Vokale stabil sein. Kunert betont die parallele Herkunft
von Vokalreduktion und Wechselbetonung der Verben auf - aus dem Südrussi-
schen. Die Wechselbetonung breite sich nicht nur wegen ihrer morphologischen
Verwendbarkeit aus, sondern als Stütze des charakteristischen Vokalsystems. Bei
dieser Ausbreitung wurden auch die morphologischen Möglichkeiten der Wechsel-
betonung nutzbar gemacht.
74
1.3.3. Die pragmatische Nutzung
Die russische Betonung wird also allgemein in Verbindung mit der Morphologie und
der Morphophonemik angesehen. Sie ist nicht grundsätzlich phonologisch moti-
viert.
75
Diese Feststellung beantwortet die Frage, warum akzentuelle Mobilität
existiert und sich ausweitet, aber nicht endgültig. In einem Artikel über die russische
Betonung verweist Michael Shapiro
76
in bezug auf die akzentuelle Mobilität auf zwei
Aspekte: Einerseits liegt ihre Quelle im gemeinslavischen Erbteil mit seinen phono-
73
a.a.O., S. 371.
74
Kunert, Ilse, Das "Russische" am russischen Wortakzent, in: Serta slavica in memoriam A.
Schmaus, hg. v. W. Gensenmann, J. Holthusen, München 1971, S. 410-413.
75
Shapiro, Michael, The Russian System of Stress, in: Russian Linguistics, 10, 2, 1986, S. 183.
76
a.a.O., S. 183-204.

21
logisch begründeten Mustern akzentueller Alternation. Andererseits gibt es einen
"pragmatischen Faktor" bei der Plazierung der Betonung.
77
Nach Zaliznjak gibt es durch Alter, Erziehung, Erfahrung und stilistische Vorlieben
verursachte Unterschiede in der Erfüllung grammatischer Anforderungen. Diese
pragmatische Diskontinuität hat systematische Konsequenzen. Zaliznjak unterteilt
die Wörter in "" ("vertraute") und "" ("distanzierte"). Wörter
sind also unterschiedlich im pragmatischen Wert der "Familiarität". "Vertraut" sind
Wörter des allgemeinen Alltagsgebrauchs ebenso wie Wörter, die für den
Arbeitsplatz und den sozialen Kreis des Sprechers charakteristisch sind. Als
"distanziert" hingegen werden solche Wörter angesehen, die mit fremden Ländern
oder vergangenen Epochen sowie mit sozialen Milieus und Tätigkeitsbereichen, die
den Erfahrungen des Sprechers fremd sind, assoziiert werden. Ebenso gehören
hierher alle Wörter, die einer "hochtrabenden", gelehrten und archaischen Ebene
zugeordnet werden, sowie neu gelernte Wörter. Dabei bestehen Unterschiede in der
Ausdehnung von "Vertrautem" und "Distanziertem" zwischen den Sprechern.
Außerdem verändert sich diese Ausdehnung im Laufe der Lebenszeit.
78
Diese Beobachtungen erlauben es zwar nicht, ein Betonungsparadigma an sich als
"vertraut" oder "distanziert" zu bewerten. Es besteht aber eine Korrelation zwischen
"Vertrautem" und mobilem Betonungsmuster sowie zwischen "Distanziertem" und
immobilem Betonungsmuster, insofern Akzentdoubletten, also die Möglichkeit, ein
Wort sowohl mobil als auch immobil zu betonen, entsprechend charakterisiert sind.
Der Umstand, daß Varianten in der Betonung einen bestimmten pragmatischen Wert
haben können, hat Einfluß auf das Betonungsverhalten der Wörter: Zum einen wer-
den immobile Wörter in weniger reguliertem soziolinguistischen Kontext, insbeson-
dere umgangssprachlich oder in der Sprache eines bestimmten Tätigkeitsbereiches,
mobil betont. Andererseits können Wörter "distanziert" werden und dadurch ihre
mobile Betonung gegen immobile austauschen. Shapiro betont, daß zusammen mit
77
vgl. a.a.O., S. 183f.
78
vgl. a.a.O., S. 184.

22
dem Wechsel in der Betonung immer auch der Wechsel gemäß diesem pragmati-
schen Faktor stattfindet.
79
Shapiro rückt die Frage nach der genuinen Erklärung des Phänomens der mobilen
Betonung in den Blickpunkt seiner Überlegungen. Für die Beantwortung dieser
Frage reichen ihm die herkömmlichen Arbeiten nicht aus, da sie nicht erklären kön-
nen, warum die akzentuellen Verhältnisse im Russischen so sind, wie sie sind.
80
Das
traditionelle Ziel, sichere Vorhersagen zu treffen, ermöglicht es nicht, solche Erklä-
rungen zu liefern. Shapiro faßt zusammen, daß die Geschichte der russischen Ak-
zentuation eine Bewegung weg vom Erbe des Gemeinslavischen mit seiner offen-
sichtlich phonologischen Motivierung der akzentuellen Phänomene zu einem proso-
dischen System ist, das in erster Linie durch die Grammatik (Morphologie und Mor-
phophonemik) motiviert ist. Diese Bewegung ist eine Übertragung eines Systems in
ein anderes. In einigen Fällen setzt sich eine modifizierte Version des älteren
Systems in der zeitgenössischen Sprache fort. So haben ältere akzentuelle Regel-
mäßigkeiten als traditionelle Betonungsmuster bis in moderne Zeiten überlebt. Der
Wettstreit zwischen älteren und neueren Regelmäßigkeiten im akzentuellen Wandel
erstreckt sich über einige Jahrhunderte. Demzufolge ist der Versuch, alle akzentuel-
len Phänomene des Russischen ohne Rücksicht auf die Koexistenz von historischen
Rückständen älterer Systeme mit neueren Erscheinungen erklären zu wollen, sinnlos
und sogar eine vorsätzliche Verzerrung der Struktur des russischen Betonungs-
systems, wie es heute existiert. Die grammatischen Elemente wie Stamm oder En-
dung stehen in Bezug zu diesen spezifischen Charakteristika der russischen Beto-
nung.
81
Das Besondere an der russischen Akzentuation ist die Möglichkeit zur
79
a.a.O., S. 187. Shapiro drückt demgemäß seine Vermutung aus, daß die von Zaliznjak
(Zakonomernosti akcentuacii russkich odnosloznych suscestvitel'nych muzskogo roda, in: Publikacii
otdelenija strukturnoj i prikladnoj lingvistiki MGU 8, 1977b, S. 73ff) gebrauchte Terminologie
"triviale" und "nicht-triviale Betonung" für immobile bzw. mobile Betonung eine in der Absicht nach
ökonomischer Beschreibung gemachte rein deskriptive Unterscheidung ist, die aber die Ergebnisse der
Analyse vom genuinen Verständnis des russischen Betonungssystems verschiebt. a.a.O., S. 201.
80
So sieht Shapiro z. B. in der Arbeit P. Gardes zwar den Vorzug, daß dieser bisher gemachte
Erkenntnisse expliziter darstellt als seine Vorgänger und daß er die akzentuellen Phänomene des
Russischen so umfassend und ökonomisch wie möglich beschreibt, er aber andererseits auch nicht
imstande ist, zu erklären, warum ein bestimmtes Morphem "stark" ist oder warum bestimmte
Morpheme Dominanz über andere haben. A.a.O., S. 198ff.
81
a.a.O., S. 198ff. "If Russian accentuation makes sense, it is because prosodic values cohere with the
values of the grammatical units in which the accentual units are embedded suprasegmentally." a.a.O.,
S. 200.

23
Markierung, wie sie zwischen den akzentuellen Alternationen einerseits und den
grammatischen Beziehungen andererseits besteht.
82
Für das Verständnis der
russischen Betonung muß nach Shapiro die Funktion, Silben zu markieren, die durch
akzentuelle Alternationen erfüllt wird, anerkannt werden. Die historische
Entwicklung der russischen Akzentuierung macht dabei den methodischen Rückblick
unentbehrlich.
83
Shapiro verweist somit auf drei wichtige Aspekte: das Unvermögen rein synchroner
Beschreibung, akzentuelle Phänomene zu erklären, geschweige denn vorhersagbar zu
machen, die Korrelation zwischen akzentuellen Mustern und grammatischen Katego-
rien sowie die Möglichkeit, eine Silbe mit Hilfe der Betonung in einer bestimmten
Weise zu markieren. Shapiros Überlegungen entsprechen den zu beobachtenden Ak-
zenteigenschaften der Verben auf -. Denn die Konkurrenz der beiden Akzentmu-
ster Endungsbetonung und Wechselbetonung ist ohne Berücksichtigung ihrer histori-
schen Entwicklung, ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß sie in der Ausprägung
beider Akzentmuster entstanden ist, schwer verständlich. Darüber hinaus bedarf na-
türlich das Überleben beider ebenso einer Erklärung. Hier nun ist Shapiros Verweis
auf den familiären Charakter der Wechselbetonung und den unfamiliären der En-
dungsbetonung außerordentlich interessant. Als typisch für die eb Verben wird sehr
häufig auf deren buchsprachlichen Charakter verwiesen, wohingegen die Wechsel-
betonung der Verben auf - der Ebene der Umgangs- bzw. der Volkssprache zuge-
ordnet wird. Wenn mit der Tendenz zur Morphologisierung lediglich die Ausbreitung
der Wechselbetonung erklärt wird, so eröffnet sich mit diesem Ansatz eine Möglich-
keit, die Konkurrenz beider Akzentmuster zu deuten.
Durchaus ähnliche Ansätze verfolgt auch Ilse Kunert, indem sie einerseits auf den
Wandel der Sprache verweist und andererseits für die Ausbreitung der
Wechselbetonung nicht so sehr deren Morphologisierbarkeit geltend macht, sondern
vielmehr den Umstand, daß sie die als typisch russisch empfundene Alternation
reduzierter und nicht-reduzierter Vokale lebendig macht, also die Wechselbetonung
82
a.a.O., S. 190.
83
a.a.O., S. 200.

24
"russischer" ist als die Endungsbetonung.
84
Auf Grund der bereits angesprochenen
Unterschiede zwischen den Sprechern, den Altersstufen und den jeweiligen
Kontexten, in denen ein Wort verwendet wird, läßt es sich im einzelnen kaum ent-
scheiden, ob ein Wort "vertraut" oder "distanziert" ist. Die von Kunert verwendete
Einschätzung der Wechselbetonung als "russischer" ist aber von sehr allgemeinem
Charakter. Auch die Bewertung eines Wortes als umgangs- und volkssprachlich oder
als buchsprachlich kann unter Umständen generell vorgenommen werden. Dafür sind
aus der historischen Sprachwissenschaft konkrete, buch- oder volkssprachliche
Kennzeichen bekannt. Der Bezug solcher aus der wissenschaftlichen Analyse ge-
wonnener Merkmale zu der individuellen Realität eines Sprechers muß nicht unbe-
dingt gegeben sein. Kunert zweifelt sogar an, daß diese Kriterien dem russischen
"Durchschnittssprecher" bekannt sind, daß Unterschiede wie die zwischen
und oder und auf Grund der Lexikalisierung
dieser Unterschiede (für unseren Bereich möchte ich das Beispiel -
anfügen) erkannt werden. Die in der Literatur angesprochene Parallele
zwischen diesen in der Analyse aufgestellten Merkmalen und der Verteilung der
lebendigen Betonungsmuster läßt aber die Feststellung zu, daß die Unterscheidung
von Wörtern nach der Sprachebene, in der sie vorzugsweise verwendet werden, von
vielen individuellen Sprechern immer wieder realisiert wird.
84
Kunert, 1971, S. 410-413.

25
1.4. Die untersuchten Verbmengen
1.4.1. Die buchsprachlichen Verben
In der Literatur wird bezüglich der eb Verben auf - häufig deren buchsprachlicher
Charakter genannt. Die moderne russische Literatursprache ist aus der
kirchenslavischen Sprache hervorgegangen, so daß zahlreiche Wörter im Bestand der
ersteren Merkmale kirchenslavischen Ursprungs aufweisen. Diese Merkmale ordnen
die betreffenden Wörter einer bestimmten Sprachebene, der Ebene der Buchsprache
zu. Für Isacenko sind alle Verben kirchenslavischen Ursprungs mit abstrakter
Bedeutung eb. Er erwähnt in diesem Zusammenhang buchsprachliche Präfigierung,
Lehnübersetzung ( von griech. '[an der Hand] führen') und
die Bewahrung der altbulgarischen Konsonantenwechsel - und - .
85
Auch Fedjanina weist Verben mit Konsonantenwechsel - dem eb Typ zu. Sie
nennt als Ausnahme nur .
86
Bei Raecke ist ein Hinweis auf die allerdings
nicht vollständige Korrelation zwischen der Verwendung des buchsprachlichen Im-
perfektivierungssuffixes -- und Endungsbetonung sowie der des volkssprachlichen
Suffixes -- und Wechselbetonung zu finden. Raecke interpretiert diese Parallele
dahin, daß das Imperfektivierungssuffix -- Wechselbetonung festigt oder
durchzusetzen hilft, während das Imperfektivierungssuffix -a- die Beibehaltung der
älteren Endungsbetonung unterstützt. Er verweist dabei auch auf die zeitliche
Parallele im Aufkommen der Wechselbetonung und der Bildung von Imperfektiva
durch das Suffix --.
87
Nach Zaliznjak sind äußere Anzeichen, die fast
ausnahmslos auf Endungsbetonung eines Verbes hinweisen, Liquidametathese in der
Wurzel ( u.a.) und Konsonantenwechsel - oder - im Paradigma
( u.a.). Ferner sieht er Paare wie z. B. - als typisch
an.
88
Kempgen fügt diesen Angaben Zaliznjaks die Verwendung des Imperfektivie-
85
Isacenko, 1968, S. 234f.
86
Fedjanina, 1976, S. 216f.
87
Raecke, 1978, S. 151, 160.
88
Zaliznjak, 1985, S. 28.

26
rungssuffix -a- an Stelle von -- zu.
89
Zahlreiche Beispiele für die Verbindung von
Endungsbetonung und buchsprachlichem Charakter finden sich auch bei
Voroncova.
90
Die kirchenslavischen Elemente im Russischen hat A. Sachmatov beschrieben. Diese
Arbeit wurde von G. Y. Shevelov 1960 ergänzt und neu herausgegeben.
91
Von den
dort aufgeführten Punkten sind nicht alle für den hier untersuchten Bereich von
Bedeutung.
92
Festzuhalten sind aber Liquidametathese anstatt Polnoglasie, aus
an Stelle von und aus an Stelle von , und an Stelle von schwachem und
(Dies betrifft insbesondere die Präfixe -, - und -), das Präfix - anstatt des
Präfixes - sowie die Imperfektivbildung mit - an Stelle von -.
93
Liquidametathese tritt nur in den Stämmen der Verben und den Präfixen - und
- auf. Zwar unterscheiden Sachmatov und Shevelov auch südslavisch anlauten-
des -, - von ostslavischem -, o-. Dieser Unterschied erscheint aber nur unter
der Betonung, die bei den hier untersuchten Verben nur bei zweisilbigen
wechselbetonten Verben auf die anlautende Silbe fallen kann. Er ist somit hier kaum
feststellbar und soll daher auch nicht berücksichtigt werden. Der
Konsonantenwechsel - tritt bei der Bildung des PPP und dem Imperfektivum
auf. In der 1. Person Singular kommt er nicht vor. Auch sonst kann sich zu
angeglichen haben, so daß Verben mit dem "volkssprachlichen"
Konsonantenwechsel - ebenfalls kirchenslavischen Ursprungs sein können. Dies
läßt sich praktisch jedoch kaum nachvollziehen.
94
Der Konsonantenwechsel -
findet sich in den Formen der 1. Person Singular, dem PPP und bei den
89
Kempgen, Sebastian, Zur Klassifizierung der russischen Verben, in: Slavistische Linguistik 1984,
Referate des X. Konstanzer Slavistischen Arbeitstreffens, Konstanz, 11. mit 14.9. 1984, hg. von
Werner Lehfeldt (=Slavistische Beiträge, Bd. 184), München 1985, S. 118 und Kempgen, 1989,
S. 151f. u. 179. Die entsprechenden Beobachtungen Tornows sind bereits genannt worden. Siehe S.
8f.
90
Voroncova, 1979, S. 216ff.
91
Sachmatov, A., Shevelov, G. Y.: Die kirchenslavischen Elemente in der modernen russischen
Literatursprache, Wiesbaden 1960.
92
Z. B. die Endung des Nominativ Singular der Adjektive, die durch die kirchenslavische
Schreibweise zu - und - geworden ist, oder die Formen des Genitiv Singular und des
Nominativ/Akkusativ Plural der Adjektive. Sachmatov, Shevelov, 1960, S. 28ff.
93
a.a.O.
94
So geht Sachmatov davon aus, daß auf Grund der Verwendung des von ihm als
kirchenslavisch eingeschätzten Suffix -a- kirchenslavische Bildung ist und vergleicht .
Sachmatov, Shevelov, S. 37.

27
Imperfektiva.
95
Dies sind im Wesentlichen die Momente buchsprachlicher
Charakterisierung, die sich auch der Literatur entnehmen lassen. Sie stehen
offensichtlich in einem engen Zusammenhang mit der Endungsbetonung.
Um festzustellen, ob buchsprachliche Verben tatsächlich meistens oder sogar immer
eb sind, werde ich im ersten Kapitel von allen 4096 Verben auf betontes - aus
Zaliznjaks grammatischem Wörterbuch
96
diejenigen Verben hinsichtlich ihrer
Betonung auszählen, die die folgenden Merkmale aufweisen:
- Liquidametathese oder andere buchsprachliche Kennzeichen im Stamm
97
- Konsonantenwechsel
- im PPP und im Imperfektivum
- Konsonantenwechsel
- in der 1. Person Singular, dem PPP und dem
Imperfektivum
- die
Präfixe
-, -, -/- vor einfachem Konsonanten und Vokal und die
Präfixe -, - und -/-
- Bildung des Imperfektivums mit dem Suffix -a-.
Das sind 1536 Lexeme.
Eine Gruppen von Verben werde ich zuvor gesondert behandeln. Dabei handelt es
sich um Verben, deren Lautstruktur der von Verben mit Liquidametathese entspricht.
Diese Verben haben aber historisch gesehen keine Liquidametathese, weshalb sie
auch nicht mit diesen Verben zusammen untersucht werden können. Da sie aber
nicht auf den ersten Blick zu identifizieren sind, dürfen sie an dieser Stelle auch nicht
übergangen werden. Um sie von der Liquidametathese zu unterscheiden, werde ich
95
Zu den Konsonantenalternationen vgl. auch Tolstaja, S. M., Morfonologiceskie korrelacii
soglasnych v russkom jazyke, in: Voprosy jazykoznanija 6, 1975, S. 99-108, sowie Ustjugova, L. M.,
O statuse kniznoslavjanizmov s al'ternantami sc i zd v istorii russkogo jazyka, in: Akademija nauk
SSSR, Institut russkogo jazyka, Issledovanija po istoriceskoj grammatike i leksikologii, Moskva 1990,
S. 69-82. Tolstaja hält fest, daß die Möglichkeiten des Wechsels von mit oder der ansonsten
weitgehend gültigen Regel widerspricht, daß ein Konsonant unter den gleichen morphonologischen
Bedingungen nur ein mögliches Alternationsergebnis haben kann. Tolstaja 1975, S. 105. Ustjugova
untersucht die Verteilung der "Russismen" und und der "Südslavismen" und in der
historischen Entwicklung und im Verhältnis zu anderen buchsprachlichen und volkssprachlichen
Merkmalen wie z. B. Polnoglasie/Liquidametathese, die Imperfektivierungssuffixe -- und -- und
einige Präfixe.
96
Zaliznjak, A. A., Grammaticeskij slovar' russkogo jazyka. Slovoizmenenie, izdanie 3-e,
stereotipnoe, Moskva 1987.
97
Angaben über kirchenslavische Entlehung entnehme ich im einzelnen: Vasmer, M., Russisches
etymologisches Wörterbuch. Bd. 1-3, Heidelberg 1953-58.

28
diese ursprünglichen Lautverbindungen im folgenden als "nicht buchsprachlich"
bezeichnen.
1.4.2. Die 701 häufigsten Verben
Der erste Teil der Arbeit ist also eine Untersuchung an einem weitestgehend absolu-
ten Lexembestand ohne Berücksichtigung der Häufigkeit eines Verbs. Um den in
Kapitel 1.2. (Die Worthäufigkeit) gegebenen allgemeinen Überlegungen zur
Worthäufigkeit Rechnung zu tragen, werde ich im zweiten Teil auch die Häufigkeit
der Lexeme berücksichtigen und einen nach diesem Kriterium ausgewählten Bestand
an Verben untersuchen.
Keil setzt ein Wortschatzvolumen von 2500 Wörtern an und rechnet darin mit ca.
670 Verben. Davon ermittelt er für die i-Konjugation 36 Prozent, das sind ca. 240
Verben.
98
Tornow legt ebenfalls die Worthäufigkeit als Prinzipien seiner Arbeit zu-
grunde. Er untersucht einen Wortbestand, den er aus den Häufigkeitswörterbüchern
von Zasorina, Josselson und Steinfeldt, sowie der von I. Nowikowa herausgegebenen
Arbeit zu den häufigsten russischen Wörtern gewinnt.
99
In dem von ihm untersuchten
Grundwortschatz von 3223 Lexemen sind 1019 Verben und darunter 279 Verben der
fünften produktiven Klasse (das sind Verben auf -) enthalten. 83 von ihnen
betonen im Infinitiv wie auch in allen Präsensformen eine nicht-letzte Stammsilbe
oder das Präfix. Sie sind also uneingeschränkt stamm- bzw. präfixbetont. 185 Verben
betonen im Infinitiv die letzte Stammsilbe. Davon sind im P/F 56 eb, 108 wb und 21
schwanken zwischen Endungs- und Wechselbetonung.
100
Da in diesem Grundwort-
schatz die Wechselbetonung bei den Verben auf - doppelt so häufig ist wie die
Endungsbetonung, ergibt sich für ihn die Schlußfolgerung, daß die letztere eher Aus-
98
Keil, 1965-66, S. 39ff.
99
Zasorina, L. N., Castotnyj slovar' russkogo jazyka. Moskva 1977. Daraus bis zur Frequenz 50 in
mehr als einem Text; Josselson, H. H., The Russian Word Count. Detroit 1953. Daraus die Listen 1
bis 5; Steinfeldt, E., Häufigkeitswörterbuch der russischen Sprache, Moskau 1971; Nowikowa, I.
(Hg.), 2380 slov. Die gebräuchlichsten Wörter der russischen Umgangssprache, Hamburg 1972. Die
beiden letzten verwendet Tornow ganz. Tornow, 1984, S. 14.
100
a.a.O., S. 389ff.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783832466053
ISBN (Paperback)
9783838666051
DOI
10.3239/9783832466053
Dateigröße
863 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Philosophie und Geisteswissenschaften, Philosophie und Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (April)
Note
1,0
Schlagworte
sprachwissenschaft russistik sprachwandel slavistik
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