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Biomechanische Analyse von Trainingsübungen an einer Funktionsstemme in der Rehabilitation nach Knieverletzungen

©2002 Doktorarbeit / Dissertation 148 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Ziel der Arbeit war es, die diagnostischen Möglichkeiten bei mehrgelenkigen Trainingsübungen der unteren Extremität durch eine biomechanische Bewegungsanalyse aufzuzeigen, diese für einen Einsatz in der Rehabilitation optimal anzupassen und schließlich anzuwenden. Der Schwerpunkt wurde dabei auf die muskuläre Belastungssituation des Kniegelenks gelegt. Die praktische Umsetzung der Untersuchungen erfolgte an einer isokinetischen Funktionsstemme, an der in horizontaler Bewegungsausrichtung unterschiedliche Beinstreck- und Beinbeugebewegungen ausgeführt werden können.
Zur Erreichung der Zielsetzung wurden in einem ersten Schritt die Gelenkmomente in der Sagittalebene mit üblichen kinemetrischen und dynamometrischen Messverfahren nach dem Prinzip der inversen Dynamik bestimmt. Im zweiten Schritt wurden die Möglichkeiten einer Methodenvereinfachung zur Bestimmung der Gelenkmomente erarbeitet, da für einen praktischen Einsatz in einem sportlichen oder rehabilitativen Training ein Verfahren mit geringem Aufwand von entscheidender Bedeutung ist. Dieses Verfahren sollte schließlich in einem dritten Schritt durch die Anwendung bei Patienten in der Rehabilitation nach Knieverletzungen evaluiert werden.
Die Ergebnisse der biomechanischen Analyse verdeutlichen den geringen diagnostischen Wert der äußeren Kraft und stellen die Notwendigkeit der Bestimmung von Gelenkmomenten zur Analyse der muskulären Belastungssituation bei Übungen an der Funktionsstemme deutlich heraus.
Im Rahmen der angestrebten Methodenvereinfachungen erwies sich die Einführung eines mechanischen Ersatzmodells der kinematischen Kette der unteren Extremität als akzeptabler Kompromiss zwischen der Reduzierung des Aufwands und dem zu tolerierenden Fehler. In dem verwendeten mechanischen Ersatzmodell wird die Position des Kniegelenks unter der Annahme einer konstanten Hüftgelenkposition auf dem Sitz und einer konstanten Sprunggelenkposition auf dem Stemmbrett über den veränderlichen Schlittenweg bestimmt.
Die Möglichkeiten und Chancen des Verfahrens konnten in der Anwendung bei Patienten in der Rehabilitation nach Knieverletzungen herausgestellt werden. Im Rahmen einer kombinierten Quer- und Längsschnittstudie mit 22 Patienten konnte der diagnostische Nutzwert des Verfahrens sowohl anhand von Einzelfallanalysen als auch anhand der Ansätze für mögliche Eckdaten im Heilungsverlauf gezeigt werden.
Die aufgezeigten Möglichkeiten einer anwendbaren biomechanischen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6593
Monfeld, Christoph: Biomechanische Analyse von Trainingsübungen an einer
Funktionsstemme in der Rehabilitation nach Knieverletzungen
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Köln, Sporthochschule, Dissertation / Doktorarbeit, 2002
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http://www.diplom.de, Hamburg 2003
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Vorwort
Für die Erstellung dieser Dissertation war es von entscheidender Bedeutung, die
Möglichkeit zu haben, sich durch die Mitarbeit am Institut für Biomechanik der Deutschen
Sporthochschule die dort eingesetzten und entwickelten Kenntnisse und Methoden
anzueignen. Allen Mitarbeitern des Instituts für Biomechanik und allen, die mich bei der
Erstellung der Dissertation unterstützt haben, gilt daher mein Dank, insbesondere:
- Herrn PD Dr. U. Glitsch für die Überlassung des Themas und die während der
Bearbeitung gewährte Unterstützung und Aufmunterung,
- Herrn Univ.-Prof. Dr. W. Baumann für die Übernahme der Aufgabe des
Zweitgutachters und die Möglichkeiten, in der Biomechanik ,,das Laufen" zu lernen,
- Herrn Dr. R. Farkas für den entscheidenden Anschub der Arbeiten zu dieser
Dissertation, besonders am Beginn und am Ende,
- Frau K. Albracht, Herrn J. Klauck und Herrn P. Galbierz für die Anregungen und
Diskussionsbereitschaft, sowie Herrn R. Pozzo für seine unvergleichliche
Unterstützung,
- Frau D. Röhring, Frau K. Moers und Herrn G. Hasler für die Minimierung der kleinen
und großen Fehler in dieser Arbeit,
- allen Probanden für die ,,kraftvolle" Mitarbeit.
Der größte Dank gilt schließlich meiner Frau, ohne deren Zuspruch, Ansporn, Trost, Rat
und Tat ich nicht am Ziel angekommen wäre.

Inhaltsverzeichnis
V
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung... 1
2 Literaturbesprechung... 4
2.1 Kraft und Krafttraining ... 4
2.2 Bestimmung von Muskelkraft und Muskelkraftmomenten ... 9
2.3 Ausgewählte biomechanische Bewegungsanalysen der unteren Extremität ... 13
2.4 Gerätegestützte Rehabilitationsmaßnahmen nach Knieverletzungen... 18
2.4.1 Medizinisch-orthopädische Aspekte von Knieverletzungen ... 18
2.4.2 Bewegungskonzepte von Krafttrainingsgeräten für die untere Extremität... 21
2.4.2.1 Zum Begriff der offenen und geschlossenen kinematischen Kette ... 21
2.4.2.2 Vor- und Nachteile der verschiedenen Bewegungskonzepte des
gerätegestützten Krafttrainings ... 25
2.4.3 Zur
Isokinetik... 29
2.4.3 Untersuchungsparameter an Krafttrainingsgeräten der unteren Extremität ... 30
3 Methodik... 33
3.1 Biomechanische Belastungsparameter zur Analyse von Bewegungen an der
Funktionsstemme ... 34
3.1.1 Anthropometrisches
Modell ... 34
3.1.2 Berechnung der Gelenkmomente... 36
3.2 Messmethoden zur Ermittlung der biomechanischen Eingangsparameter ... 38
3.2.1 Kinemetrie ... 38
3.2.2 Dynamometrie ... 41
3.2.3 Elektromyografie ... 42
3.3 Untersuchung
möglicher
Methodenvereinfachung... 44
3.3.1 Dynamometrische
Messverfahren ... 44
3.3.2 Kinematisches
Ersatzmodell... 47
3.4 Studie mit Patienten im Aufbautraining nach Knieverletzungen ... 48
4 Untersuchungsdurchführung ... 51
4.1 Probanden ... 51
4.2 Versuchsaufbau... 52
4.3 Einstellungen an der Funktionsstemme ... 53
4.4 Versuchsprotokolle ... 54
4.5 Versuchsablauf... 56
4.6 Auswertungsmethoden... 57

VI
Inhaltsverzeichnis
5 Ergebnisse ...59
5.1 Analyse von Bewegungen gesunder Versuchspersonen an der Funktionsstemme...59
5.1.1 Die äußeren Kräfte ...59
5.1.2 Die
Gelenkmomente ...64
5.1.3 Daten
der
Elektromyografie...71
5.1.4 Ausgewählte Parameter zur Bewegungsanalyse im interindividuellen
Vergleich...74
5.1.5 Bewegungen mit höherer Geschwindigkeit ...80
5.1.6 Diskussion der Bewegungsanalyse bei gesunden Versuchspersonen...83
5.2 Aspekte zur Methodenvereinfachung ...88
5.3 Bewegungsanalyse an der Funktionsstemme mit Patienten in der Rehabilitation
nach Knieverletzungen...98
5.3.1 Einzelfallanalysen ...98
5.3.1.1 Beispiel
1...99
5.3.1.2 Beispiel
2...105
5.3.1.3 Schlussfolgerungen aus den Einzelfallanalysen ...110
5.3.2 Bewegungsanalysen an der Funktionsstemme im kombinierten Quer-
und Längsschnitt ...112
5.3.2.1 Statistische
Auswertung...112
5.3.2.2 Deskriptive
Auswertung ...118
6 Resümee der Ergebnisse...122
7 Zusammenfassung...127
8 Literaturverzeichnis...130
9 Anhang ...136

1 Einleitung
1
1. Einleitung
Maschinelle Trainingsgeräte bilden einen der wesentlichen Stützpfeiler beim Training der
Kraftfähigkeiten durch Verbesserung der neuro-muskulären und der morphologischen
Situation des Bewegungsapparats. Dies gilt sowohl für den leistungssportlichen und
fitnessorientierten Bereich als auch im Rahmen rehabilitativer Maßnahmen. Die Vorteile
von maschinellen Trainingsgeräten gegenüber freien Bewegungsübungen ohne und mit
Zusatzlast liegen in der kontrollierteren und stabileren Bewegungsausführung, der gezielter
einschränkbaren kinematischen Kette und der ökonomisch und methodisch effizienteren
Diagnostik der Kraftfähigkeiten. Aus biomechanischer Sicht sind zwei grundsätzlich
unterschiedliche Bewegungskonzepte zu unterscheiden.
Die monoartikularen (eingelenkigen) Bewegungen garantieren ein Höchstmaß an
Stabilisierung und Spezifität der muskulären Belastung. Bei solchen Geräten wird eine
Diagnostik der Muskelkraftfähigkeiten relativ leicht ermöglicht. Indem versucht wird, die
Drehachse des Geräts mit einer Gelenkachse des Bewegungsapparats zur Deckung zu
bringen, kann das von dem Gerät erfasste Drehmoment mit dem Gelenkmoment
gleichgesetzt werden, welches als Vertreter der Muskelkraft zu sehen ist.
Die multiartikularen (mehrgelenkigen) Bewegungen tragen hingegen eher den
physiologischen Bewegungsmustern Rechnung und erlauben eine größere Flexibilität in
der muskulären Ansteuerung, was in der Folge auch die Gefahr von unphysiologischen
Belastungen für den Bewegungsapparat stark reduziert. Allerdings ist der diagnostische
Wert der von dieser Art Geräten erfassbaren äußeren Reaktionskraft nur sehr beschränkt,
da diese quantitativ im Grunde in keine unmittelbare Relation mit irgendeiner muskulären
Tätigkeit zu bringen ist.
In der Literatur zum Training in der Therapie werden die Vor- und Nachteile der beiden
Bewegungskonzepte vielfach diskutiert, wobei der Mangel einer aussagekräftigen
Diagnostik bei den Geräten zur Ausführung mehrgelenkiger Bewegungen wenig
berücksichtigt wird. In der biomechanischen Grundlagenliteratur hingegen wird das
diagnostische Problem bei mehrgelenkigen Bewegungen ausreichend erörtert und die
Notwendigkeit einer komplexen biomechanischen Bewegungsanalyse zur Bestimmung der
Gelenkmomente erläutert (B
AUMANN
, 1989). Die prinzipielle Durchführbarkeit solcher
komplexen biomechanischen Analysen wurde bei vielen Bewegungsformen und
sportlichen Situationen gezeigt. Aber die Anwendung auf mehrgelenkige Bewegungen an

2
1 Einleitung
den verwendeten Trainingsgeräten bleibt bislang weitgehend aus und die Möglichkeiten
einer routinemäßigen Diagnostik im sportlichen und rehabilitativen Training sind nicht
gegeben. Dabei sollten diagnostische Informationen bei solchen Bewegungen auch im
Rahmen einer Qualitätssicherung für die Kostenträger der medizinischen Trainingstherapie
von großer Bedeutung sein. Es ist davon auszugehen, dass die Komplexität und der
Aufwand einer solchen Analyse die wesentlichen Hinderungsgründe für den Einsatz in der
Therapie darstellen.
An dieser Stelle soll die vorliegende Arbeit ansetzen und exemplarisch für eine
mehrgelenkige Trainingsübung eine komplexe biomechanische Analyse liefern sowie die
Möglichkeiten aufzeigen, diese Analyse mit einem kostengünstigen Verfahren zu
realisieren. Damit soll es möglich werden, die diagnostischen Defizite bei mehrgelenkigen
Trainingsübungen weitgehend auszuräumen und somit den Einsatzbereich und den
Nutzwert dieser Geräte zu erhöhen.
Die Realisierung dieser Arbeit erfolgte an einer isokinetischen Funktionsstemme (Fa.
M
ECHATRONIC
) zur Ausführung unterschiedlicher Beinbeuge- und Beinstreckbewegungen
in horizontaler Bewegungsausrichtung. An dieser Funktionsstemme wurden isometrische
Belastungsformen bei 90, 60 und 40 Grad Kniebeugung und konzentrisch-exzentrische
Streck-Beuge-Bewegungen mit einer Geschwindigkeit von 0,2 m/s durchgeführt. Aufgrund
der Häufigkeit und des Schweregrads von Knieverletzungen wird der Schwerpunkt der
Arbeit auf die quantitative Bestimmung der Kniegelenkkinetik in der Sagittalebene gelegt.
Zur Evaluation des zukünftigen Verfahrens wurde zunächst mittels dreidimensionaler
kinemetrischer und dynamometrischer Verfahren die Gelenkkinetik im Sinne der inversen
Dynamik bei gesunden Versuchspersonen bestimmt. Die anschließende schrittweise
Reduktion des messtechnischen Aufwandes bei gleichzeitiger Einführung eines
mechanischen Ersatzmodells der kinematischen Kette der unteren Extremität soll einen
optimalen Kompromiss zwischen messtechnischem Aufwand und tolerierbarem Fehler
bezüglich der Kniegelenkkinetik liefern.
Um den diagnostischen Nutzwert des Verfahrens an der Funktionsstemme unter Beweis
stellen zu können, wurden Patienten vorwiegend mit vorderen Kreuzbandverletzungen an
jeweils 3 Untersuchungsterminen im Abstand von 4 Wochen analysiert. Damit sollen die
prinzipiellen Möglichkeiten des Verfahrens aufgezeigt werden und sowohl im Quer- als
auch im Längsschnitt Eckdaten der biomechanischen Parameter für den

1 Einleitung
3
Rehabilitationsverlauf bei Patienten zwischen 0-12 Monaten post OP bzw. post Trauma
erhoben werden.
Zusammenfassend lassen sich für die vorliegende Arbeit folgende konkrete Zielstellungen
formulieren:
1. Es soll eine biomechanische Analyse bei mehrgelenkigen Trainingsübungen an der
Funktionsstemme durchgeführt werden, wobei der Fokus auf den Kniegelenk-
momenten in der Sagittalebene liegt.
2. Die Möglichkeiten und Grenzen eines Verfahrens zur Bestimmung der
Gelenkmomente mit möglichst geringem Aufwand sollen erarbeitet werden.
3. Die Anwendung eines solchen Verfahrens bei Patienten in der Rehabilitation nach
Kniegelenkverletzungen soll die diagnostischen Möglichkeiten aufzeigen und
Eckdaten zur Charakterisierung des Rehabilitationsverlaufs liefern.

4
2 Literaturbesprechung
2. Literaturbesprechung
Im Folgenden wird vor allem die Problematik von Krafttrainingsgeräten, ihrer Anwendung
in der Rehabilitation und die Möglichkeiten biomechanischer Analysen solcher
Bewegungen erörtert. Vorab sollen aber auch die Begriffe der Kraft und des Krafttrainings
aufgrund ihrer engen Verknüpfung zu dem untersuchten Trainingsgerät und der nicht
unproblematischen Definitionsvielfalt in der Sportwissenschaft erwähnt werden.
Danach erfolgt zunächst eine Erläuterung der Bestimmung von Muskelkraft und
Muskelkraftmomenten im Allgemeinen und eine Beschreibung ausgewählter Bewegungs-
analysen für die untere Extremität. Auf dieser Grundlage werden dann die
unterschiedlichen Bewegungskonzepte von Krafttrainingsgeräten analysiert und diskutiert.
Die Diskussion solcher Geräte erfolgt mit engem Bezug zu ihrer rehabilitativen und
therapeutischen Anwendung, so dass hier die biomechanische Literatur entsprechend
anwenderbezogen ergänzt wird. Dazu sind einige medizinisch-orthopädische Grundlagen
zum Kniegelenk und seinen typischen Verletzungscharakteristiken hilfreich.
2.1. Kraft und Krafttraining
In der Biomechanik hält man sich an die physikalische Definition von Kraft, bei der Kraft
über ihre Wirkung definiert wird. Die Kraft kann eine Bewegungsänderung
(Beschleunigung) und/oder eine Verformung der Körper, auf die Kraft ausgeübt wurde,
verursachen. In Form der Newtonschen Axiome findet der Kraftbegriff seine quantitative
und eindeutige Formulierung.
Demgegenüber steht in anderen sportwissenschaftlichen Teilgebieten der Begriff der
motorischen Kraft, der nicht einer eindeutigen Definition zuzuordnen ist. Wird von
motorischer Kraft gesprochen, meint man eine der motorischen Grundeigenschaften oder ­
fähigkeiten, die neben der Kraft die Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination und Flexibilität
umfassen. Hier wird der Kraftbegriff für eine Fähigkeit oder Fertigkeit des ,,Nerv-Muskel-
Systems" verwendet (E
HLENZ
et al., 1998), d. h. es geht um einen komplexen Vorgang im
menschlichen Körper, der nicht auf seine Wirkung beschränkt werden soll. Aus
methodischer und didaktischer Sicht ist es sicherlich notwendig, die motorischen
Kraftfähigkeiten in verschiedene Erscheinungs- oder Ausprägungsformen abzugrenzen,
gerade auch um entsprechende Trainingsmethoden zu erarbeiten und zu systematisieren
(vgl. S
TEINHÖFER
, 1993; M
ARTIN
et al., 1993; E
HLENZ
et al., 1998).

2 Literaturbesprechung
5
Diese Vielzahl von Kraftbegriffen kann allerdings dann problematisch werden, wenn es
um die Bestimmung oder Überprüfung von Kraftfähigkeiten geht. Wenn es um die
Messung von Muskelkraft oder selbst der Kraftfähigkeit geht, ist deren Wirkung gefragt
und es ist letztlich nur der physikalische Kraftbegriff sinnvoll. Viele Ausprägungsformen
der motorischen Kraft werden hingegen als Ergebnis einer komplexen Bewegung in
einfacher Form von Weg- oder Zeitparametern (Sprungweite, Laufzeiten etc.) angegeben,
so dass hier die Gefahr einer Vermischung von Kraftbegriffen besteht. Darüber hinaus ist
in der sportwissenschaftlichen Literatur immer wieder eine undifferenzierte Verwendung
der physikalischen Größen Kraft, Drehmoment, Masse und Spannung zu finden, die zu
Unrecht oft als austauschbare Messgrößen für die Muskelkraft verwendet werden.
Ansätze zu einer strukturierten Definition der motorischen Kraftbegriffe finden sich bei
B
ÜHRLE
(1985), der folgende Parameter aus Kraft-Zeit-Verläufen ableitet. Dabei be-
zeichnet man
- die Maximalkraft als größten Kraftwert im Kurvenverlauf
- die Explosivkraft als die größte Steigung im Kurvenverlauf
- den Schnellkraftindex als Quotient der Maximalkraft und der Zeit bis zu ihrem
Erreichen
- die Startkraft als den erreichten Kraftwert nach 30 Millisekunden
K
Kraf
t [N]
Explosivkraft-
Index =
K/t
Maximalkraft
t
max
30 msec
K
max
t
t [ms]
K
30
Schnellkraft-
index = K
max
/t
max
Startkraft = K
30
Abbildung 2.1: Parameter aus der Kraft-Zeit-Kurve (Schnellkraftparameter, nach B
ÜHRLE
1985)
Ungeachtet der Probleme von Definition und Verwendung des Kraftbegriffs, besteht kein
Zweifel daran, dass die Muskelkraft und vor allem das messbare Ergebnis der
aufgebrachten Muskelkraft von mehreren Faktoren abhängig ist. Unter Vernachlässigung
von psychischen Einflüssen auf die Muskelkraft soll hier nach Z
ATSIORSKY
(1996)

6
2 Literaturbesprechung
zwischen aufgabenspezifischen Faktoren und sportlerspezifischen Faktoren der Kraft
unterschieden werden. Zu den aufgabenspezifischen Faktoren zählen:
- Die Widerstandscharakteristik: Die Kraft, die ein Sportler aufbringt, hängt nicht nur
vom Sportler selbst, sondern auch von den äußeren Faktoren ab. Bringt der Sportler
Kraft gegen die Gewichtskraft oder gegen feste Widerlager auf, bleibt die
Widerstandscharakteristik konstant, arbeitet man gegen eine Feder oder Ähnliches
ist sie wegabhängig, arbeitet man gegen Wasser oder Vergleichbares ist sie
geschwindigkeitsabhängig.
- Die zeitliche Dauer: Die zeitliche Dauer, in der die Kraft aufgebracht werden muss,
kann deren Größe entscheidend beeinflussen. Bei schnellen Bewegungsaufgaben
steht meist nicht so viel Zeit zur Verfügung, wie sie zum Erreichen der maximalen
Kraft notwendig wäre. Der Kraftanstieg (B
ÜHRLE
, 1985) ist hier ein entscheidender
Faktor für die sportliche Leistung. Zwar besteht oft ein enger Zusammenhang zur
Maximalkraft, aber dies ist nicht zwangsläufig der Fall. Umgekehrt kann natürlich
eine sehr große zeitliche Dauer die Größe der aufzubringenden Kraft beeinflussen,
obwohl dies dann vor allem energetisch bedingt und damit eher zu den
sportlerspezifischen Faktoren der Kraft zu zählen ist.
- Die Bewegungsgeschwindigkeit: Wenn große Geschwindigkeiten erforderlich sind,
können nur kleine Kräfte aufgebracht werden, und umgekehrt kann eine maximale
Kraft nur bei geringen Geschwindigkeiten bzw. statisch aufgebracht werden. Diese
alltägliche Erfahrung wurde insbesondere für den einzelnen, isolierten Muskel
quantitativ untersucht: H
ILL
stellte bereits 1938 eine Formel für den
Zusammenhang von Kraft und Geschwindigkeit bei der Muskelkontraktion auf:
(F+a)·(v+b)
=(F
0
+a)·b = konst.
(Gleichung 2.1)
Hierbei ist F die Kraft, F
0
die isometrischen Kraft, v die Geschwindigkeit und a, b
Konstanten. Obwohl diese Gleichung eigentlich nur für den einzelnen Muskel gilt,
wird der Zusammenhang auch zur Beschreibung natürlicher menschlicher und
damit mehrgelenkiger Bewegungen herangezogen. Auch bei solchen Bewegungen
ergibt sich für die Kraft-Geschwindigkeits-Kurve ein hyperbolischer Verlauf,
wenngleich das Übertragen der Ergebnisse nicht völlig korrekt ist.
- Die Bewegungsrichtung bzw. Kontraktionsform (isometrisch, konzentrisch,
exzentrisch): Während die Kraft bei konzentrischer Arbeitsweise der Muskulatur

2 Literaturbesprechung
7
mit abnehmender Geschwindigkeit ansteigt und sich dem Wert isometrischer
Kontraktion annähert, werden bei nachgebender (exzentrischer) Muskelkontraktion
noch größere Kräfte erreicht. Der isometrisch gemessene Wert kann um bis zu
100% überschritten werden. Da viele sportliche Bewegungen eine flüssige
Aneinanderreihung von exzentrischer und konzentrischer Muskelarbeit darstellen,
wird dem sog. Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus eine große Bedeutung beigemessen
(vgl. u. a. K
OMI
, 1985; B
ÜHRLE
, 1989; A
LEXANDER
, 2000). Dabei können die
elastischen Eigenschaften der beteiligten Muskeln und Sehnen positiv genutzt
werden und auch die neuronale Kontrolle der Muskelaktivität beeinflusst in
besonderem Maße die Größe der Kraft.
- Die Körperhaltung bzw. Gelenkwinkelstellung: Schließlich beeinflusst noch die
Körperhaltung die Möglichkeiten Kraft zu erzeugen. Die entscheidenden Faktoren
hierbei sind die Muskellänge und der Hebelarm der Muskulatur zu dem zu
bewegenden Gelenk. Für eingelenkige Bewegungen lässt sich die Kraft in
Abhängigkeit vom Gelenkwinkel darstellen, aber auch bei mehrgelenkigen
Bewegungen verändert sich die Kraft, die aufgebracht werden kann, in
Abhängigkeit von der Bewegungsamplitude. K
ULIG
et al. (1984) stellten für
zahlreiche Gelenke solche Kraftkurven aus verschiedenen Untersuchungen in der
Literatur zusammen.
Die sportlerspezifischen Faktoren sind zum einen periphere Faktoren, die durch die
Muskelmaße, d. h. im wesentlichen den Muskelquerschnitt, bestimmt werden, und zum
anderen zentrale Faktoren, zu denen die inter- und intramuskuläre Koordination zu zählen
ist. Die neuronale Steuerung bei der intramuskulären Koordination ermöglicht die
Abstufung der Kraft durch die drei Prozesse der Rekrutierung, der Frequenzierung und der
Synchronisation von motorischen Einheiten. Die Bedeutung der intermuskulären
Koordination ergibt sich unmittelbar aus der Tatsache, dass im Grunde alle Alltags- und
Sportbewegungen mehrgelenkig ablaufen und somit die Kraft eines einzelnen Muskels
zwar die Gesamtbewegung begrenzen, aber nicht alleine verbessern kann. Z
ATSIORSKY
(1996) formuliert in diesem Zusammenhang: ,,Die wichtigste Einschränkung vieler
Krafttrainingsmaschinen besteht darin, dass sie entwickelt wurden, um Muskeln zu
trainieren und nicht Bewegungen."

8
2 Literaturbesprechung
Diesen sportlerspezifischen Faktoren entsprechend lassen sich auch die Ziele eines
Muskelkrafttrainings zusammenfassen. Unter dem Hauptziel einer Verbesserung,
Erhaltung oder Wiederherstellung der Muskelkraft sind die Verbesserung der
intramuskulären und intermuskulären Koordination sowie die Veränderung der
Muskelmaße durch Hypertrophie und evtl. durch Hyperplasie der Muskelfasern
aufzuführen (H
OLLMANN
& H
ETTINGER
, 2000).
Ein Muskelkrafttraining in der Rehabilitation wird nicht das Ziel einer maximal möglichen
Kraft haben, sondern zunächst das Erreichen einer ausreichenden Kraftfähigkeit für die
Alltagsanforderungen anstreben (F
ROBÖSE
& F
IEHN
1998). Trotzdem lassen sich alle oben
genannten Ziele auch für ein Krafttraining in der Therapie finden. Dabei ist ein
Muskelaufbau häufig zum Ausgleich einer verletzungsbedingten Muskelatrophie
notwendig. Das intramuskuläre Koordinationstraining kann in verschiedenen Phasen der
Rehabilitation sinnvoll und notwendig sein, um bestehende ,,zentrale und periphere nervale
Beeinträchtigungen" zu kompensieren, obwohl es maximale oder submaximale
Belastungen erfordert, die sich allerdings auf die momentane individuelle Kraftleistungs-
fähigkeit beziehen (vgl. R
ADLINGER
et al., 1998). Schließlich ist auch die intermuskuläre
Koordination gerade in fortgeschrittenen Phasen der Rehabilitation ein wichtiges Ziel, um
tatsächlich die angestrebten Alltagsanforderungen bewältigen zu können.
Selbstverständlich sind unterschiedliche Schwerpunkte in der Zielsetzung zu finden, die
abhängig sind von der jeweiligen Schädigung oder Beeinträchtigung, dem Verlauf der
Rehabilitation und dem Ziel der Rehabilitation, d. h. ob die Wiederherstellung der
Leistungsfähigkeit auf den Alltag oder den (Leistungs)Sport ausgerichtet ist. (vgl. hierzu
ausführliche Literatur von R
ADLINGER
et al., 1998; F
ROBÖSE
& N
ELLESSEN
, 1998).
Fester Bestandteil eines Muskelkrafttrainings ist dabei sowohl im freizeit- und
leistungssportlichen Training als auch in der Rehabilitation das gerätegestützte oder
apparative Training. Moderne stationäre Trainingsgeräte bieten heutzutage oft eine
computergestützte Durchführung und Auswertung des Trainings. Dies kann den Vorteil
einer umfangreichen Dokumentation des Trainings beinhalten und erleichtert das Erstellen
von Vergleichs- oder Normwerten. Der Vorteil eines gerätegestützten Krafttrainings
gegenüber der freien Bewegungsausführung ist dabei in folgenden Punkten zu sehen (vgl.
T
RUNZ
& S
CHRÖDER
, 1998):

2 Literaturbesprechung
9
Durch die vorgegebenen Bewegungsbahnen beim apparativen Training kann die
Bewegungsausführung kontrollierter und stabiler erfolgen, was die Verletzungsgefahr
reduziert. Es können geführte Bewegungen erfolgen, die auch bei funktionellen
Einschränkungen des Nerv-Muskel-Systems noch ausgeführt werden können und der
Bewegungsumfang kann vorgegeben werden. Es ist ein ,isoliertes' Training von
Muskelgruppen durch die gezielte Einschränkung der kinematischen Kette möglich. Eng
hiermit zusammen hängt die Ökonomisierung des Trainings, was vor allem für die
Diagnostik der Kraftfähigkeiten gilt.
2.2. Bestimmung von Muskelkraft und Muskelkraftmomenten
Wenn die Kraftfähigkeiten eines Sportlers oder Patienten quantitativ bestimmt werden,
kann man im wesentlichen zwei Formen unterscheiden.
Zum einen wird das Resultat muskulärer Tätigkeit untersucht, das durch ein mehr oder
weniger komplexes Zusammenspiel von einzelnen Muskeln oder sogar mehreren
Muskelgruppen entstehen kann. In diesem Fall ist die resultierende Kraft in der Regel
leicht messbar. Man kann eine Bewegungsaufgabe mit hoher Sportartspezifik oder
Alltagsspezifik realisieren, wodurch das Ergebnis anschaulich und leicht interpretierbar ist.
Im einfachsten Fall kann dies durch das Arbeiten mit Gewichten quasi-statisch realisiert
werden, eine genauere Bestimmung erfolgt über die Registrierung von Kraft-Zeit-Kurven.
Die Bestimmung solcher Kraft-Zeit-Kurven und deren Auswertung wurde von B
ÜHRLE
(1985) diskutiert (siehe oben).
Zum anderen kann man sich für die Ursache einer solchen Bewegung interessieren. Die
Kraft, die der Mensch ,nach außen abzugeben' vermag, ist das Ergebnis der Kraft
einzelner Muskeln, die um die jeweiligen Gelenke Drehmomente erzeugen. Diese sog.
inneren Belastungsgrößen lassen sich im einfachsten Fall einer eingelenkigen Bewegung
über das in Abbildung 2.2 dargestellte Modell bestimmen. In einer statischen Situation
steht das Moment (M
L
) der äußeren Kraft (F
L
) und deren Hebelarm (r
L
) zur Gelenkachse
im Gleichgewicht mit dem Moment (M
M
) der Muskelkraft (F
M
) und dem Hebelarm (r
M
)
der Muskulatur zur Gelenkachse.

10
2 Literaturbesprechung
F
L
r
L
r
M
F
M
M
M
= ­ M
L
Abbildung 2.2: Einfaches Modell zur Bestimmung der Muskelkraft bei einer eingelenkigen
Bewegung der unteren Extremität.
Im Grunde stellen aber alle Alltags- oder Sportsituationen der unteren Extremität
mehrgelenkige Bewegungsabläufe dar, d. h. es sind mehrere Muskelgruppen und mehrere
Gelenke an der Bewegung beteiligt. B
AUMANN
(1989) verdeutlicht dies mit Hilfe eines
Modells, bei dem die untere Extremität bestehend aus dem Fußgelenk, dem Kniegelenk
und dem Hüftgelenk mit einem Kurbelantrieb verglichen wird.
v
M
1
M
2
M
3
P
1
Abbildung 2.3: Modell der unteren Extremität als kinematische Gelenkkette (B
AUMANN
, 1989).
Die ,Motoren' (M
1
­ M
3
) an den einzelnen Gelenken als Stellvertreter für die das Gelenk
umspannenden Muskeln erzeugen im Zusammenspiel den (einfach messbaren) Output (P
1
).
Es wird deutlich, dass verschiedene Drehmomentkombinationen den gleichen Output
erzeugen können. Auch für dieses Modell kann in der Mechanik eine Bewegungsgleichung
aufgestellt werden, um aus den messbaren Größen die nicht messbaren, inneren Kräfte zu
berechnen. Entsprechend der Vorgehensweise, bei der von den äußeren Kräften und der
Bewegung der Teilkörper auf die inneren, verursachenden Kräfte geschlossen wird,
handelt es sich um ein Problem der inversen Dynamik. Dabei wird aus dynamischen und
kinematischen Messungen des Bewegungsablaufes und den anthropometrischen Daten der

2 Literaturbesprechung
11
Versuchsperson das resultierende Drehmoment bestimmt (vgl. hierzu S
TUCKE
, 1984).
Dieses sog. Gelenkmoment muss von der Summe aller Drehmomente der Muskel-, Band-
und Gelenkflächenkräfte kompensiert werden. Für viele Gelenkbewegungen und
-stellungen vernachlässigt man die Band- und Gelenkflächenkräfte und geht davon aus,
dass dem berechneten Gelenkmoment ein Nettomuskelkraftmoment entgegen steht.
Dabei bedeutet ,Netto'muskelkraftmoment, dass das Drehmoment um das betrachtete
Gelenk sich aus der Summe aller Agonisten und Antagonisten des Gelenks ergibt. Die
Kraft eines Muskels kann also mit Hilfe der Bewegungsgleichung nicht unmittelbar
bestimmt werden, da eine Gleichung mit mehreren unbekannten Variablen (hier den
Muskelkräften) nicht eindeutig lösbar ist.
Ein solches indeterminiertes mechanisches System kann dann nur durch eine
Vereinfachung (Reduktionsmethode) oder durch mathematische Optimierungsverfahren
gelöst werden.
Einfacher und häufiger vorzufinden ist zunächst die Reduktionsmethode. Man schließt
einen Beitrag von unbekannten Größen aus oder setzt diese auf einen konstanten Wert, so
dass das Gleichungssystem eindeutig lösbar wird. Inwieweit z. B. die Annahme einer
Inaktivität der Antagonisten bei einer Bewegung zutreffend ist, kann mit Hilfe der
Elektromyographie (EMG) festgestellt werden. Wenn dies nicht möglich ist oder das EMG
die vereinfachende Annahme widerlegt, stellt das Nettomuskelkraftmoment somit die
Minimalbelastung für das Gelenk dar, da eine gleichzeitige Aktivität des Antagonisten
einen entsprechend höheren Krafteinsatz der Agonisten bedeuten würde (B
AUMANN
,
1988). Da auch die Gelenkkraft entscheidend von den Muskelkräften abhängt, wird mit
solchen Vereinfachungen ebenfalls ein unterer Grenzwert für die tatsächlich auftretenden
Gelenkbelastungen festgelegt.
Die andere Möglichkeit zur Lösung eines solchen unterbestimmten Gleichungssystems
liegt in der Anwendung numerischer Optimierungsmethoden. Dabei werden durch sog.
Zielfunktionen zusätzliche Bedingungen eingeführt, mit denen eine optimale Lösung des
Problems gesucht wird. Die Zielfunktionen orientieren sich sinnvollerweise an
physiologischen Prinzipien, sind allerdings nicht eindeutig bekannt und können letztlich
nur durch Kontrollverfahren oder den Vergleich mit anderen Ergebnissen auf ihre
Plausibilität hin überprüft werden.

12
2 Literaturbesprechung
Neben der hier erörterten biomechanischen Modellrechnung könnte eine Bestimmung der
Muskelkraft auch prinzipiell durch eine Quantifizierung des Elektromyogramms oder eine
in-vivo-Kraftmessung erfolgen.
Das Elektromyogramm gibt zwar die elektrischen Impulse wieder, die als Steuersignale die
Kontraktion des Muskels auslösen, aber eine Quantifizierung des Signals in Bezug auf die
resultierende Muskelkraft ist nicht möglich. Das gemessene EMG-Signal hängt zu sehr von
den elektrischen Signalen der benachbarten Muskeln, möglichen Störgrößen aus der
Umwelt, Bewegungsartefakten und den Ableitungsbedingungen am Probanden ab.
Weiterhin ist eine ,Eichung' problematisch, da die hierfür notwendige Kraftkurve des
Muskels, die den EMG-Signalen zuzuordnen wäre, nicht bestimmbar ist. Und schließlich
berücksichtigen die Signale zwar, inwieweit die kontraktilen Elemente des Muskels
angesteuert werden, seine passiven Eigenschaften bleiben hingegen unberücksichtigt. Die
Notwendigkeit der Elektromyographie besteht hingegen in der Kontrollfunktion, ob ein
Muskel aktiv ist oder nicht, was durch kein anderes Verfahren eindeutig zu klären ist.
Die in-vivo-Kraftmessung wäre natürlich die naheliegendste Methode und die Fortschritte
in der Messtechnik verbessern die Möglichkeiten hierfür. Dennoch bleiben auch hier noch
Probleme z. B. in Form der Eichung der Kraftaufnehmer im implantierten Zustand.
Letztlich ist aber vor allem die Zumutbarkeit der Implantation für den Probanden und die
Frage einer ausreichenden Rückwirkungsfreiheit der Hauptgrund gegen die Anwendung
der in-vivo-Kraftmessung. Sie wird daher Einzelfällen vorbehalten bleiben, wenngleich im
Bereich der Grundlagenforschung hieraus wichtige Erkenntnisse im Sinne einer Kontrolle
und Weiterentwicklung anderer Verfahren gewonnen werden können. Beispiele für solche
direkten Messungen innerhalb des Körpers finden sich unter anderem bei K
OMI
et al.
(1987), K
OMI
et al. (1996) und H
ERZOG
et al. (1996).
Letztlich muss man konstatieren, dass sowohl das Quantifizieren des Elektromyogramms
als auch die in-vivo-Kraftmessung mit einigen Problemen behaftet sind. Daher sind beide
Verfahren insbesondere für die vorliegende Fragestellung zur Muskelkraftbestimmung
nicht geeignet.

2 Literaturbesprechung
13
2.3. Ausgewählte biomechanische Bewegungsanalysen der
unteren Extremität
Mit Hilfe der oben dargestellten Modellrechnung nach dem Prinzip der inversen Dynamik
sind in der Biomechanik zahlreiche Bewegungsanalysen durchgeführt worden. An dieser
Stelle sollen nur einige wenige Untersuchungen exemplarisch vorgestellt werden, die in
Bezug auf die Fragestellung einer Bewegungsanalyse der unteren Extremität von
Bedeutung sind. Der Schwerpunkt liegt dabei zunächst auf Gang- und Laufanalysen, nicht
nur weil sie den wichtigsten Untersuchungsgegenstand der Vergangenheit und Gegenwart
darstellen, sondern auch weil die Kenntnis der auftretenden Belastungen für das Training
in der Therapie wichtig sein kann. So kann ein Vergleich der Belastungen beim Gang und
Lauf mit den Belastungen bei den untersuchten Bewegungen in der Funktionsstemme
Anhaltspunkte für die Alltags- und Sporttauglichkeit liefern.
Aus historischer Sicht sind die Untersuchungen der Gebrüder W
EBER
, die bereits 1836 ihre
Theorie der ,,Mechanik der Gehwerkzeuge" veröffentlichten, und die aufwendigen
Ganguntersuchungen von B
RAUNE
und F
ISCHER
(1872) zu nennen. Während die
Auswertung eines Versuches in diesen Anfängen noch Hunderte von Arbeitsstunden in
Anspruch nehmen konnte, sind heutzutage vollautomatische Auswertungen in wenigen
Sekunden oder sogar in Echtzeit verfügbar.
In den 60er Jahren wurden mit den oben beschriebenen vereinfachenden Modellen erste
Belastungsanalysen beim Gang durchgeführt, bei denen sich P
AUL
(1965) auf das
Hüftgelenk und M
ORRISON
(1968) auf das Kniegelenk konzentrierte.
Sportliche Bewegungsformen in Form des Laufens standen ab den 70er Jahren im
Blickpunkt zahlreicher Veröffentlichungen, was wohl auch eng mit der steigenden
Beliebtheit des ,Joggings' als Freizeitsport und den auftretenden belastungsinduzierten
Beschwerden vieler Sportler zusammenhing. Exemplarisch seien hier die Forschergruppen
um N
IGG
(N
IGG
& K
ERR
, 1983), C
AVANAGH
(1990), B
ATES
(B
ATES
et al., 1978) und
F
REDERICK
(1984) genannt, die zunächst vor allem Kinematik und die einfach zu
messenden Bodenreaktionskräfte analysierten. Neben dem Einfluss von Bewegungs-
technik, die im Wesentlichen durch den Fußaufsatz gekennzeichnet ist, und dem Einfluss
der Laufgeschwindigkeit, wurden von den Autoren die Auswirkungen des Schuhs und des
Bodens untersucht. Im Fokus der Untersuchungen standen häufig Parameter wie das
initiale Maximum der Bodenreaktionskraft oder die Pronationsbewegung im unteren
Sprunggelenk, da Zusammenhänge mit überlastungsbedingten Beschwerden vermutet
wurden. Die Ergebnisse waren selten einheitlich und ließen manche Fragen offen. Nicht

14
2 Literaturbesprechung
zuletzt hieraus ergab sich die ohnehin naheliegende Notwendigkeit, bei Beschäftigung mit
Themen wie dem orthopädisch gesunden bzw. belastungsverträglichen Laufen auch die
inneren Belastungsgrößen zu berücksichtigen.
Wichtige Grenzwerte bzw. Maximalwerte für die auftretenden Belastungen auch bei
hochdynamischen Bewegungen wie dem Sprint lieferten erstmals B
AUMANN
und S
TUCKE
(1980). Aus den dreidimensional bestimmten Gelenkmomenten wurden die Belastungen
von Sprung- und Kniegelenk über ein zweidimensionales Modell berechnet, mit den
Vereinfachungen, dass die zweigelenkigen Muskeln unberücksichtigt blieben und eine
antagonistische Muskeltätigkeit ausgeschlossen wurde. Es ergaben sich Größenordnungen
der Belastungen von 9000 N für die maximalen Gelenkkräfte im oberen Sprunggelenk und
maximale Achillessehnenkräfte von 8000 N.
In der Folge wurden für Gang- und Laufanalysen auch mathematische Optimierungs-
methoden anstelle der Reduktionsmethode angewendet, um mit diesen komplexeren
Ansätzen realistischere Lösungen für das indeterminierte System der Muskelkräfte zu
erhalten. Einen wichtigen Beitrag hierzu lieferte G
LITSCH
(1992), der den Einfluss
verschiedener Optimierungsverfahren auf die Belastungsparameter der unteren Extremität
beim Gehen und Laufen untersuchte. Für das verwendete anthropometrische Modell der
unteren Extremität, das aus vier Segmenten und 47 Muskeln bestand, waren die
nichtlinearen Zielfunktionen als Optimierungskriterium den linearen Ansätzen überlegen.
Die Minimierung der Muskelspannungsquadrate ergab sich als günstigster Lösungsansatz,
um gute Übereinstimmung mit den elektromyografischen Daten zu zeigen und relativ
niedrige Maximalspannungen aufzuweisen. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse von
G
LITSCH
aber auch, dass die aus der Optimierung hergehenden Kräfte sehr sensibel auf den
dreidimensionalen Charakter der Belastung reagieren und in hohem Maße von der
Modellierung der Gelenke abhängen. Diese Tatsache ist für die vorliegende Arbeit insofern
bedeutsam, als dass aufgrund der anzustrebenden praktikablen Anwendbarkeit eine
Reduzierung des messtechnischen Aufwandes notwendig ist und damit aber auch
Ungenauigkeiten in den Eingangsdaten der Berechnungen in Kauf genommen werden
müssen. Die Berechung einzelner Muskelkräfte oder Gelenkkräfte mit Hilfe der
Optimierungsmethoden erscheint daher hier nicht angezeigt.
Vielmehr ist es sinnvoll, sich auf die Berechnung der Gelenkmomente in der Sagittalebene
zu konzentrieren, da hiermit über die Betrachtung der äußeren Kraft hinaus eine
differenzierte Belastungsanalyse der beteiligten Gelenke möglich ist. Im Sinne der
Reduktionsmethode können diese Gelenkmomente zumindest als Minimalbelastungen der

2 Literaturbesprechung
15
beteiligten Muskeln interpretiert werden. Die Gelenkmomente des Kniegelenks in der
Sagittalebene und die vertikalen Bodenreaktionskräfte sind in der folgenden Abbildung für
den Gang und das Laufen dargestellt.
Abbildung 2.4: Vertikale Bodenreaktionskräfte und sagittale Gelenkmomente im Knie beim
Gang (links) und Lauf (rechts), (Messdaten aus dem Institut für Biomechanik, unver-
öffentlicht).
Die Bodenreaktionskräfte weisen beim Gang den typischen Doppelgipfel auf und erreichen
Werte in der Größenordnung des 1 - 1,5fachen Körpergewichtes (BW = body weight).
Beim Laufen hängt der Verlauf der Kraftkurve zu Beginn von der Art des Fußaufsatzes ab,
denn wenn mit der Ferse zuerst aufgesetzt wird, tritt gleich zu Beginn eine Kraftspitze auf.
Beim Ballenlauf hingegen steigt die Kraftkurve relativ kontinuierlich an. In beiden Fällen
wird jedoch etwa in der Mitte der Stützphase das Kraftmaximum erreicht. Dieses hängt
von der Laufgeschwindigkeit ab, ist jedoch beim Ballenlauf etwas größer als beim
Fersenlauf.
Um das Kniegelenk wirken beim Gang Drehmomentmaxima von 50 ­ 80 Nm, die nach
etwa einem Drittel der Stützphase erreicht werden und im Sinne einer Flexion wirken, also
von den Streckern kompensiert werden müssen. Zu Beginn und im zweiten Teil der
Stützphase kann das Gelenkmoment zum Teil sogar das Vorzeichen wechseln. Dies ist
beim Laufen nur ganz am Anfang und Ende der Stützphase bei entsprechend kleinen
0
40
80
120
160
200
240
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
Vertikale Bodenreaktionskraft
Ballenläufer
Fersenläufer
K
ra
ft [
N
]
Zeit [ms]
0
40
80
120
160
200
240
-300
-250
-200
-150
-100
-50
0
50
Gelenkmoment im Knie
Ballenläufer
Fersenläufer
M
omen
t [
N
m]
Zeit [ms]
Vertikale Bodenreaktionskraft
0
200
400
600
800
Zeit [ms]
0
500
1000
K
ra
ft [
N
]
0
200
400
600
800
-60
-40
-20
0
20
40
M
omen
t [
N
m]
Zeit [ms]
Gelenkmoment im Knie

16
2 Literaturbesprechung
Kräften zu beobachten, während ansonsten deutlich Muskelkraftmomente der Kniestrecker
dominieren. Maximale Momente liegen zwischen 200 und 300 Nm bzw. 2,5 und 4 Nm/kg
und hängen auch von der Laufgeschwindigkeit ab.
Da die Belastungsmerkmale beim Gehen und Laufen, wie bereits angesprochen, von der
Laufgeschwindigkeit und darüber hinaus aber auch von individuellen Merkmalen der
Versuchspersonen, dem Schuh, dem Boden sowie dem zur Berechnung verwendeten
Modell abhängen, sind in der folgenden Tabelle ausgewählte Kennwerte von
verschiedenen Autoren dargestellt.
Tabelle 2.1: Größenordnungen der Bodenreaktionskräfte und Kniegelenkmomente (sagittal) bei
verschiedenen Bewegungsformen und nach verschiedenen Autoren.
Autor Bewegungs
form
Geschwindigkeit
[m/s]
Max. Boden-
reaktionskraft [N]
Kniegelenk-
moment
B
AUMANN
u.
S
TUCKE
(1980)
Sprint
3000
150 ­ 200 Nm
G
LITSCH
(1992)
Gang
1,5
1000
70 ­ 80 Nm
(1 Nm/kg)
K
RABBE
(1994)
Fersenlauf
5
2000
3,3 Nm/kg
(250 Nm)
,,
Ballenlauf
5
3000
2,6 Nm/kg
(200 Nm)
A
RAMPATZIS
et
al.(1999)
Lauf 2,6
bis
6,6
2 Nm/kg bis
3 Nm/kg
(160-240 Nm)
Neben den Analysen des Gehens und Laufens sollen hier noch weitere Bewegungsformen
der unteren Extremität vorgestellt werden, die zum einen gewisse Ähnlichkeit mit der
Bewegung in der Funktionsstemme haben und zum anderen die Problematik der
mehrgelenkigen Bewegung weiter erläutern.
T
OUSSAINT
et al. (1992) untersuchten die Koordination der Beinmuskulatur bei
verschiedenen Hebetechniken. In der untersuchten Situation konnten die berechneten
Gelenkmomente in sehr guter Näherung ausschließlich aus dem Vektor der
Bodenreaktionskraft und dessen Hebelarm zum jeweiligen Gelenkmittelpunkt berechnet
werden. Dieses Vorgehen, die Bewegungsgleichung nicht vollständig zu lösen, ist auch für
die hier gewählte Methodik von Bedeutung und wird im folgenden Kapitel erörtert.
Die Ergebnisse von T
OUSSAINT
et al. zeigen, dass bei den untersuchten Hebetechniken die
mehrgelenkige Beinstreckbewegung durch eine unterschiedliche Verteilung der
Nettomuskelkraftmomente realisiert wird und auch die Aktivierungsmuster der Agonisten
und Antagonisten verschieden sind. Obwohl sich die Nettomuskelkraftmomente des

2 Literaturbesprechung
17
Kniegelenks zwischen der untersuchten Hebetechnik mit gebeugten Kniegelenken und der
Hebetechnik mit vorgebeugtem Oberkörper deutlich unterscheiden, muss das Ergebnis des
mehrgelenkigen Muskelkrafteinsatzes das gleiche Ziel erfüllen. Bei beiden Hebetechniken
muss der Vektor der Bodenreaktionskraft so beeinflusst werden, dass das Gleichgewicht
bei der Bewegungsausführung gehalten werden kann. Für diese Aufgabe kommt der
zweigelenkigen Muskulatur, insbesondere der ischiocruralen Muskulatur, aber auch dem
m. gastrocnemius, eine wichtige Aufgabe zu.
Die Funktion und Wirkungsweise dieser Muskelgruppen ist Gegenstand zahlreicher
Untersuchungen gewesen, deren Anfänge praktisch Jahrhunderte zurück gehen (vgl. I
NGEN
S
CHENAU
et al., 1990). Die unterschiedlichen Wirkungsweisen dieser Muskeln als Beuger
des einen und Strecker des anderen Gelenks wurden zum Teil auch als Paradoxon
bezeichnet (L
OMBARD
, 1903) und lieferten immer wieder Anlass zur Diskussion. Neben
mehrgelenkigen Bewegungen, wie dem Laufen und Springen, wurde häufig die
Antriebsbewegung beim Radfahren untersucht. Bei dieser Bewegung muss in besonderem
Maße eine bestimmte Kraftrichtung auf das Pedal erzeugt werden, damit diese
vortriebswirksam ist. Diesen Anforderungen an die mehrgelenkige Bewegung kann nach
Meinung von I
NGEN
S
CHENAU
et al. (1990, 1992) durch die gleichzeitige Aktivität z. B. der
eingelenkigen Kniestrecker und der zweigelenkigen Kniebeuger in geeigneter Weise
entsprochen werden. Die zweigelenkigen Muskeln beeinflussen die Nettomuskel-
kraftmomente der beiden Gelenke dabei in der Form, dass die Richtung der
aufzubringenden äußeren Kraft der Bewegungsaufgabe genügt.
Der zweigelenkigen Muskulatur und der mit ihr verbundenen Möglichkeit, die
Gelenkbewegungen zu koppeln, werden u.a. Vorteile zugesprochen, die in der leichteren
Kontrolle der mehrgelenkigen Bewegung, der geringen Längenänderung und
Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskelfaser und der Möglichkeit, Energie zu übertragen,
gesehen werden (vgl. I
NGEN
S
CHENAU
et al., 1990).
Die genannten Untersuchungsergebnisse und Erklärungshypothesen legen den Schluss
nahe, dass - im Sinne der Koordination mehrgelenkiger Bewegungen - der gleichzeitige
Einsatz eingelenkiger und mehrgelenkiger Muskeln von großer Bedeutung ist und daher
über eine gelenkstabilisierende Funktion hinaus geht. Eine endgültige Klärung dieses
Zusammenhangs steht aber letztlich zu großen Teilen noch aus, da eine zufriedenstellende
Bestätigung der obigen Thesen noch nicht gelungen ist.

18
2 Literaturbesprechung
2.4. Gerätegestützte Rehabilitationsmaßnahmen nach
Knieverletzungen
2.4.1. Medizinisch-orthopädische Aspekte von Knieverletzungen
Das Kniegelenk (articulatio genus) als Verbindung von Ober- und Unterschenkel stellt das
größte menschliche Gelenk dar. Es ist ein Dreh-Winkelgelenk mit zwei Freiheitsgraden.
Die möglichen Bewegungen sind Beugung und Streckung in der Sagittalebene und
Rotation um eine Längsachse bei gebeugter Stellung.
An der Gelenkbildung sind nur Femur und Tibia beteiligt, nicht aber die Fibula. Das Femur
weist am distalen Ende zwei rundliche, walzenförmige Kondylen mit Gelenkknorpel-
überzug auf. Auf der proximalen Tibiaseite finden sich ebenfalls zwei Kondylen, die
allerdings eine annähernd flache Gelenkfläche stellen. Da diese beiden Gelenkflächen
somit nicht kongruent sind und sich nur punkt- oder linienförmig berühren würden, dienen
die Menisken dazu, kongruente Gelenkflächen herzustellen und die Auflagefläche für die
Femurkondylen zu vergrößern. Die medialen und lateralen Menisci sind zwei nach innen
offene halbringförmige Faserknorpelscheiben mit einem keilförmigen Profil, das außen
dicker als innen ist. Sie sind zwar durch Bänder verbunden, an ihren Enden an der Tibia
befestigt und an ihren Rändern mit der Gelenkkapsel verwachsen, aber ansonsten
beweglich. Diese Beweglichkeit dient bei der Flexion und Extension des Kniegelenks
dazu, sich den unterschiedlichen Krümmungsradien der Femurkondylen bei der
kombinierten Gleit- und Rollbewegung des Femur auf der Tibia anzupassen. Letztlich
kann in dieser Konstruktion aber auch eine Verletzungsanfälligkeit der Menisci liegen,
wenn diese z. B. bei einer schnellen Gleitbewegung den Kondylen nicht folgen können und
eingeklemmt werden.
Als weiteres wichtiges funktionelles Merkmal besitzt das Kniegelenk eine Führung durch
zwei Seitenbänder und zwei Kreuzbänder. Die Seitenbänder werden bei Außenrotation
gespannt, begrenzen somit vor allem die Außenrotation und sichern das Knie in gestreckter
Stellung, in der die Überstreckung, aber auch die Rotation verhindert wird. Die
Kreuzbänder hingegen spannen sich bei Innenrotation, begrenzen somit die Innenrotation
und übernehmen die Sicherung des Knies mit zunehmender Beugung. Das vordere
Kreuzband (LCA ­ ligamentum cruciatum anterior) sichert eine Verschiebung der Tibia
gegenüber dem Femur nach vorn, während das hintere Kreuzband (LCP ­ ligamentum
cruciatum posterior) eine Verschiebung nach hinten sichert.

2 Literaturbesprechung
19
Abbildung 2.5: Kreuzbänder (LCA und LCP) und Seitenbänder (LCM und LCL, ligamentum
collaterale mediale und laterale) des Kniegelenks; links bei Außenrotation, in der Mitte
in Nullstellung und rechts bei Innenrotation (M
ÜLLER
, 1982).
Bei einem Riss eines der Bänder kann der Unterschenkel leicht gegen den Oberschenkel
verschoben werden, was als vordere oder hintere ,Schublade' bezeichnet wird. Dies wird
auch zur Diagnose einer vorderen Kreuzbandruptur durch den ,Lachmann-Test' in einer
10 - 20 Grad gebeugten Kniegelenkstellung abgeprüft. Die Verletzung der Kreuzbänder
gehört zu den häufigsten Knieverletzungen, wobei das vordere Kreuzband 12 - 15 mal
häufiger betroffen ist (F
RIEDRICH
& B
IEDERT
, 1997). Neben einer isolierten Ruptur des
vorderen Kreuzbandes, treten häufig gleichzeitig Zusatzverletzungen des medialen
Seitenbandes und / oder des Innenmeniskus auf. Letzterer Schaden kann neben der akuten
Verletzung auch als sekundäre Schädigung durch eine veraltete Kreuzbandruptur auftreten,
da sich die Belastungssituation eines instabilen Kniegelenkes zu ungunsten der Menisken
ändern kann (R
OMERO
& M
ARTI
, 1997).
Zwar ist eine konservative Behandlung einer Kreuzbandruptur möglich, aber je nach Alter,
sportlicher Zielsetzung und Sportart wird meistens eine operative Behandlung
durchgeführt. Dabei wird heutzutage arthroskopisch das gerissene Kreuzband durch eine
Bandplastik aus der Patellarsehne oder der Semitendinosus- und Gracilis-Sehne ersetzt
(R
OMERO
& M
ARTI
, 1997; F
RIEDRICH
& B
IEDERT
, 1997; F
REIWALD
& E
NGELHARD
,
1996a).
Durch die arthroskopischen Operationstechniken ist der Eingriff schonender als bei
früheren, offenen Operationsmaßnahmen. Eine Ruhigstellung des Kniegelenks entfällt in
der Regel und es wird direkt nach der Operation mit ersten (meist passiven)

20
2 Literaturbesprechung
Bewegungsmaßnahmen begonnen. Trotzdem ist als Folge der Verletzung und Operation
eine deutliche Muskelatrophie zu verzeichnen, die besonders die Kniestrecker betrifft.
Darüber hinaus wird aber auch die Koordination der Bewegungsabläufe gestört. Das
Kreuzband hat neben der mechanischen Stabilisierung auch sensible Funktionen, die über
Rezeptoren die Stellungs- und Spannungsänderung des Bandes rückmelden. Diese
afferenten Informationen sind mit der Muskulatur des Kniegelenks verschaltet, so dass der
bei einer Kreuzbandruptur auftretende Informationsausfall die Ansteuerung der Muskulatur
mitbetrifft und verändert (F
REIWALD
& E
NGELHARD
, 1996a).
Die wesentlichen Ziele der Rehabilitationsmaßnahmen nach einer Kreuzbandruptur liegen
somit in der Wiederherstellung der vollen Kniegelenkbeweglichkeit, der muskulären
Stabilisierung des Kniegelenks und der gesamten unteren Extremität sowie der Beseitigung
von koordinativen Störungen.
Im Idealfall beginnt die Rehabilitation eines operativ versorgten Patienten mit
Kreuzbandruptur bereits vor der Operation. Mit solchen präoperativen Maßnahmen sollen
mögliche Blutergüsse beseitigt, die uneingeschränkte Gelenkbeweglichkeit erreicht und
auch bereits die später verwendeten, physiotherapeutischen Bewegungen erlernt werden.
Direkt nach der Operation sollen zunächst die postoperativen Schwellungen und mögliche
Schmerzen minimiert werden, aber auch die Mobilisation des Kniegelenks im
angemessenen Bewegungsausmaß wird angestrebt. Betonung liegt vor allem auf dem
Erreichen der vollen Kniestreckung. Im Rahmen des Muskelkrafttrainings soll in der ersten
Phase zunächst die Innervationsfähigkeit verbessert werden, es kann aber auch früh mit
dem apparativen Krafttraining begonnen werden. Die hierbei verwendeten Konzepte und
Geräte sollen mit ihren möglichen Vor- und Nachteilen im Folgenden diskutiert werden.

2 Literaturbesprechung
21
2.4.2. Bewegungskonzepte von Krafttrainingsgeräten für die untere
Extremität
Im Bereich der Rehabilitation von Kniegelenksverletzungen spielt der Einsatz von
maschinellen Trainingsgeräten eine wichtige Rolle. Die allgemeinen Vorteile eines
apparativen Krafttrainings sind bereits in Kapitel 2.1 aufgeführt worden. In der konkreten
Anwendung von Rehabilitationsmaßnahmen nach Kniegelenksverletzungen werden zwei
unterschiedliche Bewegungskonzepte maschineller Trainingsgeräte vielfach diskutiert.
Dies sind zum einen monoartikulare (eingelenkige) Bewegungen, in Geräten wie dem
Beinstrecker (Beincurl), der in Abbildung 2.2 dargestellt ist. Auf der anderen Seite sind
dies multiartikulare (mehrgelenkige) Bewegungen, die in Geräten wie der Beinpresse
(Legpress) oder der Funktionsstemme realisiert werden. Diese mehrgelenkigen Beinbeuge-
und Beinstreckbewegungen erfolgen meist in horizontaler Lage, wobei bei einer
Beinpresse von einem fixierten Sitz aus gegen ein bewegliches Fußteil gearbeitet wird,
während bei der Funktionsstemme umgekehrt die Unterstützungsfläche der Füße fixiert
und der Sitz bzw. Schlitten beweglich ist.
2.4.2.1. Zum Begriff der offenen und geschlossenen kinematischen
Kette
Neben der Anzahl der beteiligten Gelenke wird zur Beschreibung der beiden
Bewegungskonzepte häufig das Modell einer kinematischen Kette für die untere Extremität
verwendet. Dabei wird unterschieden, ob es sich um eine offene oder geschlossene
kinematische Kette handelt. Die eingelenkige Bewegung bei dem Beincurl wird allgemein
einer offenen kinematischen Kette zugeordnet und als offene Bewegungskette oder offenes
System bezeichnet. Demgegenüber wird die Legpress mit einer geschlossenen
kinematischen Kette verglichen und man spricht vom geschlossenen System.
Gerade in der Literatur, die sich aus medizinischer oder therapeutischer Sicht mit der
Rehabilitation und dem Training nach (Knie)Verletzungen beschäftigt, werden ausschließ-
lich die Begriffe der kinematischen Kette oder des offenen oder geschlossenen Systems zur
Charakterisierung der Bewegungen beim Gerätetraining verwendet. In der Regel erfolgt
dann eine Gleichsetzung dieser Begriffe mit den ein- oder mehrgelenkigen Bewegungs-
konzepten, in dem die offene Bewegungskette gleichgesetzt wird mit einer eingelenkigen
Bewegung und die geschlossene Bewegungskette immer die mehrgelenkige Bewegung
darstellt (siehe u.a. F
ROBÖSE
& F
IEHN
, 1998).

22
2 Literaturbesprechung
Die Verwendung dieser Begriffe ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Die Definition der
kinematischen Kette stammt ursprünglich aus der Mechanik. Dabei ist eine kinematische
Kette eine Verbindung von starren Körpern mit gelenkiger Verbindung. Je nach Art und
Anzahl der Verbindungen kann man die Kette in eine einfache Kette, bei der jedes
Segment maximal zwei Gelenke und somit auch nur zwei benachbarte Segmente hat, oder
in eine komplexe Kette unterscheiden, die entsprechend auch mehr als zwei Gelenke pro
Segment haben kann.
Das Hauptmerkmal der kinematischen Kette ist die Anzahl der Freiheitsgrade, die das
System von Segmenten besitzt. Die Freiheitsgrade ergeben sich aus der Anzahl der
unabhängigen generalisierten Koordinaten, die zur Beschreibung der Lage und
Orientierung der Segmente im Raum notwendig sind. Ein einzelnes Segment kann eine
Translation und eine Rotation um drei unabhängige Achsen ausführen und besitzt damit
sechs Freiheitsgrade. Ein System von N Segmenten besitzt entsprechend 6 · N Freiheits-
grade. Durch die Gelenkverbindung der Segmente werden Zwangsbedingungen eingeführt,
welche die Anzahl der Freiheitsgrade reduzieren.
Der menschliche Körper kann für viele Fragestellungen gut als kinematische Kette
beschrieben werden, da er sich ebenfalls als mehrgliedriges System aus gelenkig
miteinander verbundenen Segmenten modellieren lässt. Über die Anzahl der Freiheitsgrade
erfolgt dann die Charakterisierung der Gelenke. In Abhängigkeit von den anatomischen
Gegebenheiten, aber auch dem Modellzweck, haben die menschlichen Gelenke in der
Regel bis zu drei Freiheitsgrade, die der jeweiligen Rotation um die Gelenkachsen
entsprechen. Manche Gelenke haben auch noch die Möglichkeit der Translation (z. B.
Schultergelenk), so dass sich die Zahl der Freiheitsgrade auf vier oder fünf erhöhen kann.
Die maximale Anzahl an Freiheitsgraden von sechs würde für ein Körperglied bedeuten,
dass keine gelenkige Verbindung besteht und es frei beweglich ist.
Eine geschlossene kinematische Kette liegt für den menschlichen Körper vor, wenn die
Segmente ,,endlos miteinander verbunden sind" (H
OCHMUTH
, 1982), was auch über ein
festes Bezugssystem, wie z. B. den Boden, erfolgen kann. Entsprechend stellt die untere
Extremität im Stand eine geschlossene kinematische Kette dar. Etwas allgemeiner kann
man die geschlossene Kette auch dadurch charakterisieren, dass die Endpunkte der Kette
ortsfest sind bzw. Zwangsbedingungen unterliegen. Hingegen liegt eine offene
kinematische Kette dann vor, wenn das distale Endglied keinen zusätzlichen

2 Literaturbesprechung
23
Zwangsbedingungen unterliegt. Ein typisches Beispiel hierfür stellen die meisten
Bewegungen der oberen Extremität dar.
Abbildung 2.6: Einfache Beispiele von geschlossenen (links) und offenen (rechts) kinematischen
Ketten (H
OCHMUTH
, 1982 nach D
ONSKOI
, 1975).
Neben diesen einfachen Beispielen gibt es bei dem Versuch, menschliche Bewegungen der
offenen oder geschlossenen Kette zuzuordnen, immer wieder Verwirrungen und
verschiedene Definitionsansätze. Oft dient als Unterscheidungskriterium, ob das distale
Segment (der Fuß) frei beweglich ist oder nicht (F
REIWALD
& E
NGELHARD
, 1996b) bzw.
auf einen nennenswerten Widerstand stößt (,,considerable external resistance", S
TEINDLER
,
1955). Darüber hinaus werden zum Teil auch weitere Kategorien hinzugezogen und neben
offenen und geschlossenen Ketten halboffene Ketten definiert (S
MIDT
, 1994; W
ILK
et al.,
1997), um z. B. Stützphasen beim Gang oder Lauf zuzuordnen. In vielen Fällen wird auch
von kinetischen Ketten gesprochen, wobei die aus der Wortbedeutung abzuleitende
Berücksichtigung der wirkenden Kräfte in der Definition genauso unpräzise oder gar nicht
erfolgt wie bei der kinematischen Kette, so dass hier kein Unterschied auszumachen ist.
Mit Berücksichtigung der ursprünglichen mechanischen Definition der kinematischen
Kette sind eigentlich alle Bewegungen in Krafttrainingsgeräten einer geschlossenen Kette
zuzuordnen, da die Endglieder immer den Zwangsbedingungen des Gerätes unterliegen.
Das bedeutet, dass auch der Beincurl keine offene kinematische Kette darstellt, da der
Unterschenkel als distales Segment während der gesamten Bewegung dem Widerstand des
Gerätehebels ausgesetzt ist und über diesen eine geschlossene Kette gebildet wird. Die
Anzahl der Freiheitsgrade in einem solchen geschlossenen System hängt dann von der

24
2 Literaturbesprechung
Anzahl der Glieder und der Art der Gelenkverbindung ab. Für die Bewegungen in der
Legpress und dem Beincurl betrachtet man nur ein ebenes Problem, d. h. man nimmt
Drehgelenke mit einem Freiheitsgrad an. Während beim Beincurl eindeutig nur ein
Freiheitsgrad vorhanden ist, hängt es bei der Bewegung in der Legpress davon ab, ob der
Fuß fest mit dem Fundament bzw. dem Gerät verbunden ist oder z. B. die Ferse angehoben
werden kann (siehe auch Kapitel 3.3.2). Im letzteren Fall ergeben sich zwei Freiheitsgrade,
bei einem ortsfesten Fußsegment entsprechend nur ein Freiheitsgrad.
Krafttraining in der offenen kinematischen Kette kann hingegen nur beim Training mit
freien Gewichten, z. B. mit einer Hantel, erfolgen. Die Beweglichkeit dieser offenen
kinematischen Kette ist in der Regel deutlich größer, da die Anzahl der Freiheitsgrade des
Endglieds gleich der Summe der Freiheitsgrade aller vorherigen Glieder ist. Darüber
hinaus kennzeichnet eine solche offene kinematische Kette, dass die Kraft vor allem gegen
die Trägheit und Schwere der Eigen- und/oder Zusatzlast erzeugt werden kann. Das
bedeutet, dass die Widerstandscharakteristik, die viele ­ insbesondere isokinetische ­
Krafttrainingsgeräte kennzeichnet, in einer offenen Kette nicht zu realisieren sind.
Letztlich ist es daher unverständlich, warum der Beschreibung als offene oder
geschlossene kinematische Kette gerade in Bezug auf Trainingsgeräte in der Rehabilitation
so viel Bedeutung beigemessen wird. Neben möglichen Schwierigkeiten bei der
Zuordnung einer menschlichen Bewegung zu einer geschlossenen oder offenen
kinematischen Kette, stellt sich vor allem die Frage nach dem Nutzen einer solchen
Einteilung. In Bezug auf die beiden konkreten Gerätetypen, der Legpress und dem
Beincurl, besteht kein Zweifel daran, dass sich die beiden Bewegungen unterscheiden und
unterschiedliche Bewegungskonzepte darstellen. Allerdings kommen diese Unterschiede
nicht durch die Beschreibung als offene oder geschlossene Kette zum Ausdruck.
Um tatsächlich die wichtigen Unterschiede der beiden Gerätetypen zu charakterisieren, ist
es vielmehr notwendig, die Funktionalität der Bewegung und die Belastungssituation der
beteiligten Gelenkstrukturen zu betrachten. Diesen beiden Aspekten wird man durch die
Beschreibung der Bewegungskonzepte als mehrgelenkige oder eingelenkige Bewegung
deutlich eher gerecht, als durch die Beschreibung als offene oder geschlossene
kinematische Kette. Wenn im Folgenden die Vor- und Nachteile der beiden konkreten
Gerätetypen und der ihr zugrunde liegenden Bewegungskonzepte diskutiert werden, erfolgt
dies daher unter der Verwendung der Begriffe einer mehrgelenkigen und eingelenkigen
Bewegung.

2 Literaturbesprechung
25
Dabei ist anzumerken, dass bestehende Vor- und Nachteile selbstverständlich in
Abhängigkeit von der Verletzung, dem Stand der Rehabilitation und Ziel der Therapie-
maßnahme gesehen werden müssen.
2.4.2.2. Vor- und Nachteile der verschiedenen Bewegungskonzepte
des gerätegestützten Krafttrainings
Die mehrgelenkigen Bewegungen weisen eine größere Funktionalität im Vergleich zu den
eingelenkigen auf. Diese ergibt sich durch die Einbeziehung mehrerer Muskelgruppen in
den Bewegungsablauf, so dass eine intermuskuläre Koordination notwendig ist bzw.
gefördert wird. Die Bewegungen, wie sie in der Legpress oder vergleichbaren Geräten
durchgeführt werden, haben daher größere Ähnlichkeit zu Alltags- oder Sportbewegungen
wie dem Gehen, Laufen, Springen oder der Kniebeuge. Diese Parallelen beziehen sich
sowohl auf die bereits in Kapitel 2.3 dargestellte Aktivität der zweigelenkigen Muskeln,
z. B. der ischiocruralen Muskulatur als Hüftstrecker und Kniebeuger, als auch auf die
Charakteristik der einwirkenden äußeren Kraft, wobei die beiden Merkmale eigentlich
nicht zu trennen sind. Im Gegensatz zu den eingelenkigen Bewegungen, bei denen die
Kraft senkrecht auf die Tibia wirkt und damit ausschließlich ein Moment um die
Kniegelenkachse erzeugt, erfolgt bei den mehrgelenkigen Bewegungen die Krafteinleitung
über große Teile der Bewegung eher in Richtung der Längsachse der Tibia. Die Richtung
der einwirkenden Kraft und die Hebelarme der Kraft zu den einzelnen Gelenkpunkten
legen dabei fest, wie groß die Momente um das Hüft- und Kniegelenk sind. Ein großes
Moment im Hüftgelenk bedeutet dann entsprechend auch eine stärkere Koaktivität der
Kniegelenkbeuger. (vgl. P
ALMITIER
et al., 1991)
Weitere Vorteile der mehrgelenkigen Bewegungen ergeben sich in Bezug auf die
Belastung der Kniegelenkstrukturen. Sie stellen wohl einen der am häufigsten diskutierten
und untersuchten Aspekte der Rehabilitation des Kniegelenkes dar. Die Analysen beziehen
sich vor allem auf die Belastung des vorderen Kreuzbandes. Eine solche Belastung tritt in
Abhängigkeit von der einwirkenden äußeren Kraft und der Kniegelenkstellung vor allem
bei eingelenkigen Bewegungen wie dem Beincurl auf. Die Methoden, mit denen versucht
wurde, die Kraft auf das vordere Kreuzband zu bestimmen, reichen von einer Abschätzung
mit Hilfe der von außen beobachtbaren ventralen Verschiebung der Tibia (J
URIST
& O
TIS
,
1985), über Modellrechnungen der im Kniegelenk wirkenden Kräfte (W
ILK
et al., 1997),
bis hin zu in-vivo (B
EYNNON
et al., 1995) und in-vitro (G
ROOT
et al., 1984) Messungen.
Weitgehende Übereinstimmung zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchungen in der Form,

26
2 Literaturbesprechung
dass Belastungen des vorderen Kreuzbandes mit zunehmender Kniestreckung bei den
eingelenkigen Bewegungen auftreten. Umgekehrt treten bei Kniebeugewinkeln im Bereich
von 90 Grad posterior gerichtete Scherkräfte auf, die entsprechend das hintere Kreuzband
belasten. Bei mehrgelenkigen Bewegungen sind hingegen über den gesamten
Bewegungsbereich posterior gerichtete Scherkräfte zu beobachten. (W
ILK
et al., 1997,
L
UTZ
et al., 1993). Als Ursache für die unterschiedlichen Belastungen lassen sich, ähnlich
wie im Zusammenhang mit der Funktionalität der Bewegungen, die Charakteristik der
äußeren Kräfte und die Koaktivität der Kniebeuger angeben. P
ALMITIER
et al. (1991)
erläutern dies anhand von (theoretischen) Modellrechnungen zu den wirkenden Kräften.
Abbildung 2.7: Kräftediagramm zu unterschiedlichen Reaktionskräften im Kniegelenk (R) in
Abhängigkeit von der äußeren Kraft (A) und der Muskelkraft (M). Die Reaktionskraft im
Kniegelenk wird zerlegt in eine Kompressionskraft (C) und eine Scherkraft (S)
(P
ALMITIER
et al., 1991).
In allen Beispielen von Abbildung 2.7 wirkt auf die Tibia eine äußere Kraft A, die sich
allerdings in Bezug auf den Angriffspunkt und die Richtung der Kraft ändert. In
Abhängigkeit von dieser äußeren Kraft A ändert sich sowohl die Muskelkraft M, die das
Drehmoment um die Kniegelenkachse kompensieren muss, als auch die Gelenkkraft R, die
sich als Reaktionskraft aus den beiden anderen Kräften ergibt.
In dem ersten Kräftediagramm (Beispiel 1) ist zunächst die Situation des normalen
Beincurls erläutert. Über die distal und senkrecht auf die Tibia eingeleitete äußere Kraft A
und die Muskelkraft (M) des quadriceps wird für den statischen Fall mit der resultierenden
Gelenkreaktionskraft (R) ein Kräftegleichgewicht hergestellt. Die Gelenkreaktionskraft

2 Literaturbesprechung
27
wird aufgeteilt in eine Kompressionskraftkomponente (C) und eine Scherkraftkomponente
(S). Eine nach posterior gerichtete Scherkraft als Reaktionskraftkomponente bedeutet, dass
die Gelenkstrukturen einen ventralen Vorschub der proximalen Tibia verhindern, was im
wesentlichen durch das vordere Kreuzband erfolgt.
Auf der Basis von Beispiel 2 beruhen die Überlegungen, die Scherkräfte auf das vordere
Kreuzband durch eine weiter proximal angreifende Kraft bei dem Beincurl zu verkleinern.
Dieser Effekt konnte zumindest anhand der von außen beobachteten, geringeren
Verschiebung der Tibia von J
URIST
und
O
TIS
(1985) bestätigt werden, so dass diese
Veränderung des eingelenkigen Bewegungskonzeptes an vielen Stellen für ein Training in
der Therapie gefordert wird (F
ROBÖSE
et al.,
1998; H
AMACHER
, 1989; B
IEDERT
, 1987).
Bei dem Kräftediagramm in Beispiel 2 gilt es zu bedenken, dass die dargestellte äußere
Kraft A ein deutlich kleineres Drehmoment um die Kniegelenkachse erzeugt, so dass die
Muskelkraft M, die das eigentlich Ziel der Trainingsübung darstellt, ebenfalls deutlich
kleiner ist. Eine gleiche muskuläre Beanspruchung des quadriceps setzt also eine größere
äußere Kraft A voraus. Diese einfachen mechanischen Überlegungen werden in der
Literatur bei den Erklärungsversuchen für den Vorteil einer proximal angreifenden Kraft
meist nicht berücksichtigt, so dass die daraus abgeleitete Gelenkbelastung fraglich ist
(siehe oben genannte Literaturstellen).
Die Beispiele 3 und 4 in Abbildung 2.7 zeigen die Auswirkungen auf die Gelenkkraft
wenn die äußere Kraft nicht senkrecht auf die Tibia einwirkt (Beispiel 3) oder wenn neben
der Muskelkraft des quadriceps auch die ischiocrurale Muskulatur Kraft erzeugt. In beiden
Fällen kann die Scherkraft deutlich verkleinert werden. Beide Mechanismen sind typisch
für eine mehrgelenkige Bewegung, womit sich die geringeren Belastungen auf das vordere
Kreuzband erklären lassen. Wiederum gilt es jedoch, die ebenfalls veränderte Größe der
Muskelkraft zu beachten.
Die oben dargestellten Modellrechnungen erfolgen natürlich unter vereinfachenden
Bedingungen und berücksichtigen auch den dreidimensionalen Charakter der Kniegelenk-
strukturen nicht. Die Bestimmung der resultierenden Gelenkkräfte hängt zudem
entscheidend von der Genauigkeit der Eingangsgrößen bzw. Modellannahmen ab.
Während die äußeren Kräfte noch recht genau bestimmt werden können, ist dies für die
Hebelarme der Muskulatur und damit auch für die Muskelkräfte schwieriger. Vor allem
aber kann die nicht eindeutige Verteilung der Muskelkräfte die resultierenden Gelenkkräfte
entscheidend beeinflussen (vgl. G
LITSCH
, 1992). Aus diesem Grund müssen Angaben in

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832465933
ISBN (Paperback)
9783838665931
DOI
10.3239/9783832465933
Dateigröße
2.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – Sportwissenschaften, Biomechanik
Erscheinungsdatum
2003 (März)
Note
2,0
Schlagworte
gelenkmoment muskelkraft diagnostik modell
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Titel: Biomechanische Analyse von Trainingsübungen an einer Funktionsstemme in der Rehabilitation nach Knieverletzungen
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