Gibt es ein jugendspezifisches Wahlverhalten?
©2003
Diplomarbeit
99 Seiten
Zusammenfassung
Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Jungwähler sind eine begehrte Zielgruppe der Parteien - um so verwunderlicher ist die schwache Literaturlage zu diesem Thema. Die Arbeit versucht deshalb die Erkenntnisse aus 50 Jahren bundesrepublikanischer Wahlgeschichte zusammenzutragen und zu systematisieren. Dabei stellten sich folgende Fragen: Wie wählte die Jugend in der Vergangenheit? Gibt es eine spezifische Interessenlage von Jugendlichen? Bilden Jugendliche überhaupt eine einheitliche Wählergruppe? Weiterführend ist zu fragen, wie stabil das Wahlverhalten ist: Investiert eine Partei wirklich in die Zukunft, indem sie Jungwähler anspricht oder ändern sich die Parteipräferenzen im Lebensverlauf?
Wenn man das Alter als eigenständige Erklärungsvariable des Wahlverhaltens betrachtet, muss unterschieden werden zwischen dem Alter, das auf eine Phase im Lebensverlauf deutet und der Variable Alter als Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation. Deshalb spielen auch die geänderten sozialen Bedingungen verschiedener Generationen eine Rolle in den Überlegungen. Insgesamt gibt die Diplomarbeit einen guten Überblick über das Wahlverhalten der Jugendlichen und analysiert sowohl langfristige Trends, als auch plötzliche Umbrüche im Wahlverhalten der Jungwähler.
Am Beginn der Arbeit steht die Darstellung des Jugendwahlverhaltens seit 1953 anhand der Repräsentativen Wahlstatistik. Die Grafiken bieten einen gründlichen Überblick über Veränderungen und Trends in der Wahlbeteiligung und den Parteipräferenzen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Erklärungsmodellen des Wahlverhaltens. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob ein Erklärungsansatz des Jugendwahlverhaltens möglich ist. Dabei wird die Hypothese aufgestellt, dass ein junges Alter aufgrund der unsicheren ökonomischen Stellung positiv auf die Wahl linker Parteien wirkt.
Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen nimmt das vierte Kapitel die Merkmale jugendlichen Wahlverhaltens auf. Die Beschreibung des Jugendwahlverhaltens zeigte zum einen die generell niedrigere Wahlbeteiligung der Jungwähler, zum anderen ein besonders auffälliges Jugendwahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1972 und 1983. Anhand dieser herausragenden Merkmale lassen sich die Ursachen jugendspezifischen Wahlverhaltens besonders gut bestimmen. Dabei wird deutlich, dass veränderte Sozialfaktoren als ausschlaggebend für das abweichende Verhalten der Jungwähler angesehen werden können. Deshalb wird in Kapitel […]
Jungwähler sind eine begehrte Zielgruppe der Parteien - um so verwunderlicher ist die schwache Literaturlage zu diesem Thema. Die Arbeit versucht deshalb die Erkenntnisse aus 50 Jahren bundesrepublikanischer Wahlgeschichte zusammenzutragen und zu systematisieren. Dabei stellten sich folgende Fragen: Wie wählte die Jugend in der Vergangenheit? Gibt es eine spezifische Interessenlage von Jugendlichen? Bilden Jugendliche überhaupt eine einheitliche Wählergruppe? Weiterführend ist zu fragen, wie stabil das Wahlverhalten ist: Investiert eine Partei wirklich in die Zukunft, indem sie Jungwähler anspricht oder ändern sich die Parteipräferenzen im Lebensverlauf?
Wenn man das Alter als eigenständige Erklärungsvariable des Wahlverhaltens betrachtet, muss unterschieden werden zwischen dem Alter, das auf eine Phase im Lebensverlauf deutet und der Variable Alter als Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation. Deshalb spielen auch die geänderten sozialen Bedingungen verschiedener Generationen eine Rolle in den Überlegungen. Insgesamt gibt die Diplomarbeit einen guten Überblick über das Wahlverhalten der Jugendlichen und analysiert sowohl langfristige Trends, als auch plötzliche Umbrüche im Wahlverhalten der Jungwähler.
Am Beginn der Arbeit steht die Darstellung des Jugendwahlverhaltens seit 1953 anhand der Repräsentativen Wahlstatistik. Die Grafiken bieten einen gründlichen Überblick über Veränderungen und Trends in der Wahlbeteiligung und den Parteipräferenzen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Erklärungsmodellen des Wahlverhaltens. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob ein Erklärungsansatz des Jugendwahlverhaltens möglich ist. Dabei wird die Hypothese aufgestellt, dass ein junges Alter aufgrund der unsicheren ökonomischen Stellung positiv auf die Wahl linker Parteien wirkt.
Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen nimmt das vierte Kapitel die Merkmale jugendlichen Wahlverhaltens auf. Die Beschreibung des Jugendwahlverhaltens zeigte zum einen die generell niedrigere Wahlbeteiligung der Jungwähler, zum anderen ein besonders auffälliges Jugendwahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1972 und 1983. Anhand dieser herausragenden Merkmale lassen sich die Ursachen jugendspezifischen Wahlverhaltens besonders gut bestimmen. Dabei wird deutlich, dass veränderte Sozialfaktoren als ausschlaggebend für das abweichende Verhalten der Jungwähler angesehen werden können. Deshalb wird in Kapitel […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ID 6585
Hendrich, Cornelia: Gibt es ein jugendspezifisches Wahlverhalten?
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Potsdam, Universität, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
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Printed in Germany
1
-I-
I
NHALTSVERZEICHNIS
II. Abbildungsverzeichnis 3
1. Einleitung 4
2. Jugendwahlverhalten in der Bundesrepublik 8
2.1. Wahlbeteiligung 9
2.1.1. Altersstruktur der Wahlbeteiligung 9
2.1.2. Das Jungwählerdefizit 10
2.1.3. Der Jüngstwählersprung 12
2.1.4. Geschlechtsspezifische Wahlbeteiligung 13
2.1.5. Parlamentshierarchie 15
2.2. Parteipräferenzen 17
2.2.1. Wahlentscheidung der Jungwähler 17
2.2.2. Jungwähler als Trendverstärker 20
2.2.3. Geschlechtsspezifische Wahlentscheidung 22
2.2.4. Die Europawahlen 23
2.2.5. Die Bundestagswahl 2002 24
3. Theoretische Erklärungsmodelle des Wahlverhaltens 26
3.1. Die sozialstrukturellen Ansätze 27
3.2. Der sozialpsychologische Ansatz 30
3.3. Der rationale Ansatz 32
3.4. Die aktuelle Situation der Wahlforschung 35
3.5. Eine "Age-gap" des Wahlverhaltens ? 37
4. Die Merkmale jugendspezifischen Wahlverhaltens:
Hintergründe und Erklärungsansätze 39
4.1. Wahlbeteiligung 39
4.1.1. Jungwählerdefizit 39
4.1.2. Jüngstwählersprung 43
4.2. Parteipräferenzen 44
4.2.1. 1972: Sozial- liberale Präferenz 45
4.2.2. 1983: Jungwählererfolg der Grünen 49
2
5. Sozialer Wandel und Wertewandel 52
5.1. Zur Theorie des Wertewandels 52
5.2. Sozialer Wandel: Änderung der Sozialfaktoren von Jugendlichen 55
5.3. Einstellungswandel: Politische Beteiligung und politische Themen 61
6. Jugendwahlverhalten:
Lebenszyklus- oder Generationseffekte? 67
6.1. Theoretische Konzeptionen 69
6.2. Die politischen Generationen und ihr Wahlverhalten 71
6.3. Lebenszyklus und Wahlverhalten 78
6.4. Generations- und Lebenszykluseffekte im Jugendwahlverhalten 79
7. Resümee und Ausblick 83
III. Literaturverzeichnis 86
3
-II-
Abbildungsverzeichnis
Seite
Abbildung 1
Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1972 bis 1990 und 2002
nach Altersgruppen in Prozent
10
Abbildung 2
Abweichung der Wahlbeteiligung der Jungwähler zur
durchschnittlichen Wahlbeteiligung 1953 bis 1990 und 2002 in
Prozent
11
Abbildung 3
Abb.3 Zu- und Abnahme der Wahlbeteiligung zur vorherigen Wahl bei
Jungwählern und in der Wählerschaft in Prozent.
12
Abbildung 4
Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1961 nach
Altersgruppen in Prozent
13
Abbildung 5
Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1965 bis 1969 nach
Altersgruppen in Prozent
13
Abbildung 6
Wahlentscheidung der Jungwähler gegenüber dem Durchschnitt aller
Wähler bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
17
Abbildung 7
Abweichung der Wahlentscheidung der Jungwähler vom
Durchschnitt aller Wähler 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
18
Abbildung 8
Gewinne und Verluste der SPD zur jeweils vorherigen
Bundestagswahl bei Jungwählern und beim durchschnittlichen
Wähler in Prozent
21
Abbildung 9
Gewinne und Verluste der CDU/CSU zur jeweils vorherigen
Bundestagswahl bei Jungwählern und beim durchschnittlichen
Wähler in Prozent
21
4
1. Einleitung
Jungwähler sind eine begehrte Zielgruppe der Parteien. Zwar stellen die unter 30jährigen
weniger als 20% der Wählerschaft, jedoch glauben die Parteien ,,wem die Jugend gehört,
gehört die Zukunft" (vgl. Rattinger 1992: 73). Die SPD sieht sich als Partei der Jugend und
auch die Grünen. Es gibt aber auch richtige Jugendparteien, die auf kommunaler Ebene
bereits kleine Erfolge erzielen: 1999 konnte die Jugendpartei ,,PETO " in Monheim 6,1%
und ,,KIDitiative" in Bergisch-Gladbach 4,6% der Stimmen gewinnen.
Doch wie können Jungwähler gewonnen werden? Gibt es eine spezifische Interessenlage
von Jugendlichen? Sind Jugendliche überhaupt eine einheitliche Wählergruppe?
Weiterführend ist zu fragen, wie stabil das Wahlverhalten ist. Investiert eine Partei wirklich
in die Zukunft, indem sie Jungwähler anspricht oder ändern sich die Parteipräferenzen im
Lebensverlauf?
Bekannt ist, dass es ,,die Jugend" nicht gibt, genauso wenig wie ,,die Erwachsenen".
Gerade in den letzten drei Jahrzehnten hat sich die Lebenspha se Jugend sehr aufgefächert.
So kann ein 16jähriger bereits einen Beruf ausüben, während ein 30jähriger noch studiert
und finanziell von seinen Eltern abhängig ist. Warum sollten sich also Altersdifferenzen auf
das Wahlverhalten auswirken?
Generell geht man davon aus, dass das Verhalten der Jungwähler sich von dem der
Erwachsenen unterscheidet, weil ihr politisches Weltbild weniger gefestigt ist, und sie sich
noch in einem Prozess der Identitätsbildung befinden (vgl. Kuhn 2001: 9).
Wahlverhalten wird zudem ganz entscheidend von Sozialfaktoren beeinflusst und die
soziale Situation hängt auch vom Alter ab. Häufig deutet ein junges Lebensalter auf einen
allgemein geringeren ökonomischen Status. Junge Menschen sind in dieser Phase des
Lebensverlaufs vielfach noch in der Ausbildung und wirtschaftlich abhängig oder haben
ihren Beruf gerade erst begonnen. Ganz allgemein kennzeichnet sich diese Phase durch
weniger berufliche und familiäre Verantwortungsrollen. Das Alter kann aber auch ein
Hinweis auf andere Sozialfaktoren sein. Nicht jeder Generation in der Bundesrepublik
standen die gleichen Bildungs- und Berufschancen zur Verfügung. So drückt das Alter auch
die Zugehörigkeit zu einer Generation mit spezifischen sozialen Merkmalen und ähnlichen
historischen Erfahr ungen aus.
Wenn man das Alter als eigenständige Erklärungsvariable betrachtet, muss also
unterschieden werden zwischen dem Alter, das auf eine Phase im Lebensverlauf deutet und
der Variable Alter als Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation.
Diese Unterscheidung ist das Ziel dieser Arbeit. Darüber hinaus wird zu fragen sein, ob
sich im Wahlverhalten der Jugend auch die geänderten sozialen Bedingungen verschiedener
Generationen niederschlagen. Um diese Einflüsse bestimmen zu können, nimmt auch der
soziale Wandel eine zentrale Stellung in der Arbeit ein.
5
Jugendwahlverhalten gilt in der Wahlsoziologie nur als Randerscheinung. Größere
Bedeutung wird etwa dem Frauenwahlverhalten beigemessen, da Frauen eine viel größere
Wählergruppe stellen. Aufmerksamkeit erlangte die Jungwähler abrupt 1972, als sie
begünstigt durch die Senkung des Wahlalters - die SPD zum Wahlsieg führten. In den 80er
Jahren brach dann eine regelrechte Welle des Forschungsinteresses los, als junge Menschen
besonders auffällig durch Demonstrationen und Bürgerinitiativen ihre politischen
Forderungen in die Öffentlichkeit brachten und mit den Grünen sogar das Parteiensystem
nachhaltig veränderten. Dabei wurde vielfach eine ,,Kluft" zwischen den links eingestellten
jungen Menschen und den eher konservativen älteren Menschen festgestellt. Sogar von
einer neuen Konfliktlinie im Wahlverhalten, die Alt und Jung in ,,Materialisten" und
,,Postmaterialisten" trennt, wurde gesprochen (vgl. Inglehart 1977).
Im Vordergrund dieser Arbeit sollen jedoch nicht die Einzelaspekte des
Jugendwahlverhaltens stehen, sondern die Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte in der
Bundesrepublik. Es soll versucht werden, Merkmale jugendspezifischen Wahlverhaltens zu
finden und - soweit möglich - zu systematisieren.
Die Hauptfrage der Arbeit ist, ob es ein Wahlverhalten gibt, das hauptsächlich durch das
Alter einer Person bedingt ist, ob also ein jugendspezifisches Wahlverhalten existiert.
Explizit haben sich diesem Versuch bisher nur Berger u.a. (1985: 481ff) in einem kurzen
Aufsatz gestellt. Hofmann-Göttig (1984) ermittelte zwar das Wahlverhalten der Jungwähler
anhand der Repräsentativen Wahlstatistik bis 1984, ohne jedoch die Daten tiefer zu
interpretieren. Es fehlt also an grundlegender Forschung in diesem Bereich. Viele Studien
behandeln Teilgruppen innerhalb der Jugend, die besonders hervortreten (siehe Heitmeyer
1993, 1995; Sinus 1983). Wichtig sind diese Teilgruppen zumeist als Initiator für
Veränderungen, vor allem für den sozialen Wandel. In einer neueren Längsschnittstudie
brandenburgischer Erstwähler richteten Kuhn u.a. (2001) ihren Blick eher auf die
Sozialisationsinstanzen, die gerade für die erste Wahl eine große Rolle spielen. Es gibt
jedoch wenige Untersuchungen, die das politische Verhalten von Jugendlichen in ihrer
Gesamtheit und über einen längeren Zeitraum analysieren (siehe Kaase 1990: 154).
Da das Wahlverhalten untersucht werden soll und bei Bundestags- und Landtagswahlen
das Wahlrecht erst ab 18 Jahren besteht, werden Jugendliche in dieser Arbeit als über
18jährige definiert. Das Ende der Jugendphase ist hingegen schwieriger zu bestimmen.
Vielfach schiebt sich heute besonders bei Höhergebildeten im ,,Bildungsmoratorium"
zwischen Jugend und Erwachsenenphase eine Phase der sogenannten ,,Postadoleszenz"
(vgl. Zinnecker 1981: 100ff). Sie wird definiert als Zeitraum ökonomischer Abhängigkeit
und Unselbständigkeit bei gleichzeitiger intellektueller und politischer Reife (vgl. Shell
1981). Zusätzlich wird Jugendlichkeit immer mehr zum Idealbild der Gesellschaft, so dass
sich selbst über 25jährige noch als Jugendliche sehen. Dieser Ausdehnung der Jugendphase
wird Rechnung getragen, indem die Altersgruppe der Jugendlichen mit bis zu 30 Jahren
6
sehr weit gefasst wird. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Daten der
Repräsentativen Wahlstatistik in dieser Altersgruppe erhoben werden und sich eine
Vielzahl von Studien mit unterschiedlichen Alterskategorien in diese Altersgruppe der 18
bis 30jährigen unterordnen lassen.
Untersuchungsverlauf
Die Forschungsfrage soll aus politikwissenschaftliche r Sicht in einer exploratorischen
Untersuchung beantwortet werden. Die Wahlentscheidung ist zwar ein individueller Akt,
jedoch werden gesellschaftlich bedeutende Unterschiede sozialstruktureller Merkmale erst
in der Kumulation der Wahlentscheidungen sichtbar. Es liegt daher in der Natur des
Forschungsgegenstandes begründet, dass sich die Arbeit hauptsächlich auf quantitative
Daten stützt. Zum einen sind dies die Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik, die sich
durch hohe Genauigkeit auszeichnen, und zum anderen Umfragedaten, welche eine
wesentlich höhere Fehlerwahrscheinlichkeit aufweisen und auch den methodischen
Forschungsstand der Zeit reflektieren. So ist ein Problem, dass besonders für die 50er und
60er Jahre kaum methodisch zureichende Daten vorliegen.
Um einen genauen Überblick über das Jugendwahlverhalten zu vermitteln, steht am
Anfang der Arbeit die deskriptive Darstellung des Jugendwahlverhaltens seit 1953 anhand
der Repräsentativen Wahlstatistik. Hierbei wird nach Wahlbeteiligung und
Wahlentscheidung von Jugendlichen differenziert. Durch die Aussetzung der
Repräsentativen Wahlstatistik 1994 und 1998 stehen für das Wahlverhalten in
Ostdeutschland nur sehr wenige Daten zur Verfügung. Um festzustellen, ob es ein
jugendspezifisches Wahlverhalten gibt, muss das politische Verhalten aber über einen
längeren Zeitraum betrachtet werden, deshalb erfolgt eine notwendig Eingrenzung der
Analyse auf Westdeutschland.
Das Kapitel drei beschäftigt sich mit den theoretischen Erklärungsmodellen des
Wahlverhaltens. Neben den drei wichtigsten Forschungsanätzen werden die neueren
Erkenntnisse der Wahlforschung vorgestellt. Abschließend wird die Frage aufgeworfen, ob
ein Erklärungsansatz des Jugendwahlverhaltens möglich ist. Dabei wird die Hypothese
aufgestellt, dass ein junges Alter aufgrund der unsicheren ökonomischen Stellung positiv
auf die Wahl ,,linker" Parteien mit Sozialprogrammen wirkt.
Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen nimmt das vierte Kapitel die Merkmale
jugendlichen Wahlverhaltens auf. Die historisch-statistische Beschreibung des zweiten
Kapitels zeigte zum einen die generell niedrigere Wahlbeteiligung der Jungwähler, zum
anderen ein besonders auffälliges Jugendwahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1972
und 1983. Anhand dieser herausragenden Merkmale lassen sich die Ursachen
jugendspezifischen Wahlverhaltens besonders gut bestimmen. Dabei wird deutlich, dass
7
veränderte Sozialfaktoren als ausschlaggebend für das abweichende Verhalten der
Jungwähler angesehen werden.
Deshalb wird in Kapitel fünf der soziale Wandel und der damit im Zusammenhang
stehende Wertewandel genauer betrachtet. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialen
Faktoren, die sich gerade für Jugendliche seit den 70er Jahren stark verändert haben.
Die Frage, ob die Altersunterschiede im Wahlverhalten insgesamt auf Alters- oder
Generationseffekte zurückgeführt werden können, steht im Zentrum des sechsten Kapitels.
Aufgrund der starken Generationseffekte nimmt die Beschreibung der politischen
Generationen eine zentrale Stellung in diesem Kapitel ein. Abschließend kann die Frage
beantwortet werden, ob ein jugendspezifisches Wahlverhalten existiert. Zudem wird ein
kurzer Ausblick auf das zu erwartende Jungwählerverhalten gegeben.
8
2. Jugendwahlverhalten in der Bundesrepublik
Das Wahlverhalten kann in der Bundesrepublik seit 1953 anhand der Repräsentativen
Wahlstatistik genau ermittelt werden (siehe Statistisches Bundesamt 1990; 2002). Die
Stimmabgabe der Bundesbürger wird dazu in zufä llig ausgewählten Wahlbezirken nach
Alter und Geschlecht gesondert ausgezählt. Betroffen sind davon 3,4% bis 5% der
Wahlberechtigten. Obwohl die Wahlstatistik keine Personen mit Wahlschein erfasst, ist sie
das präziseste Analyseinstrument der Wahlforschung, da sie gegenüber Umfragedaten
tatsächliches Stimmverhalten abbildet.
1
Für die Bundestagswahlen der Jahre 1994 und 1998
wurde die Wahlstatistik aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken ausgesetzt
2
, deshalb
werden für die Analyse auch die Ergebnisse der Europawahlen 1979 bis 1999 und für die
Untersuchung der Wahlbeteiligung ausgewählte Landtagswahlen der Jahre 1998 bis 2002
herangezogen. Auf eine Einbeziehung von Umfragedaten soll an dieser Stelle aufgrund der
geringeren Genauigkeit verzichtet werden.
Junge Erwachsene konnten bis zur sechsten Bundestagswahl 1969 erst ab 21 Jahren das
aktive und ab 25 Jahren das passive Wahlrecht ausüben. Angeregt durch die
Studentenbewegung in den späten 60er Jahren wurde für die Bundestagswahl 1972 das
Wahlalter auf 18 Jahre und die Wählbarkeit auf 21 Jahre gesenkt. Seit 1975 können
Jugendliche für den Bundestag, für sieben Landtage und seit 1990 auch für die Landtage
der neuen Bundesländer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr gewählt werden.
3
Die Anzahl
der Altersgruppen der repräsentativen Wahlstatistik bei Bundestagswahlen wurde
schrittweise erhöht: Für die Wahlbeteiligung stehen bis 1961 sieben Gruppen, 1965 bis
1969 neun und ab 1972 zehn Altersgruppen zur Verfügung. Die Stimmabgabe wurde bis
1961 in drei, 1965 bis 1969 in vier und ab 1972 in fünf Altersklassen gesondert ausgezählt.
Diese häufige Neuaufteilung der Altersgruppen innerhalb der Wahlstatistik und zudem die
Unterschiede der Alterskategorien zwischen Wahlbeteiligung und Stimmabgabe
beeinträchtigen die Vergleichbarkeit leider erheblich (siehe Jesse 1972: 317). Die
Bezeichnung der jungen Wähler richtet sich nach den Altersgruppen der Wahlstatistik: Die
unter 30jährigen werden folgend als Jungwähler bezeichnet, die Gruppe der 18 bis
20jährigen als Jüngstwähler. Eine Ausnahme ist die Wahlentscheidung ab 1972, hier
1
Die größte Abweichung 1953 bis 1990 lag bei 2,7 Prozentpunkten, im Durchschnitt beträgt sie 0,4 Punkte
(vgl. Hofmann-Göttig 1991: 119). Zur genauen Fehleranalyse der repräsentativen Wahlstatistik siehe
Statistisches Bundesamt 1990 Seite 102ff.
2
Für die Bundestagswahl 2002 wurde die repräsentative Wahlstatistik wieder eingeführt.
3
Zunehmend wird über ein sogenanntes Familienwahlrecht oder über eine Herabsetzung des aktiven
Wahlalters auf 16 Jahre bei Bundestagswahlen diskutiert (siehe Knödler 1996; Hoffmann-Lange/de Rijke
1996). So besteht das aktive Wahlrecht ab 16 Jahren bei Kommunalwahlen seit seiner Einführung in
Niedersachsen 1996 bereits in fünf weiteren Bundesländern.
9
können nur die unter 25jährigen als Jungwähler gelten. Die Vergleichsgruppe stellt jeweils
den durchschnittlichen Wähler dar.
4
2.1. Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik geht bei Bundestagswahlen in der Tendenz
seit ihrem Höhepunkt 1972 von 91,1% zurück und erreichte bei der ersten Bundestagswahl
nach der Wiedervereinigung 1990 ihr bisher niedrigstes Ergebnis von 77,8%. Seit 1994
konnte wieder eine leichte Zunahme der Wahlteilnahme auf 74% und 1998 auf 82,2 %
verzeichnet werden. Bei der Bundestagswahl 2002 lag die Wahlbeteiligung mit 79,1%
etwas niedriger als 1998.
Altersstruktur der Wahlbeteiligung
Die Auswertung nach Altersgruppen zeigt jedoch erhebliche Abweichungen von der
durchschnittlichen Wahlbeteiligung. Bei der Bundestagswahl 1990 gingen die jüngsten
Wähler im Alter von 18 bis 20 Jahren nur zu 64,7% zur Wahl, das liegt 11,6% unter der
durchschnittlichen Wahlbeteiligung
5
. In der Gruppe der 21 bis 24jährigen sinkt die
Wahlbeteiligung nochmals um 2,9% auf ihren absoluten Tiefststand von 61,8 %, insgesamt
wählten 14,5% weniger Wahlberechtigte als der Durchschnitt in der zweitjüngsten
Altersgruppe. Die Wahlbeteiligung der nächsten Altersklassen steigt treppenförmig an: Die
Teilnahme der 25 bis 29jährigen wächst leicht auf 66,3%, bleibt aber immer noch um 10
Prozentpunkte unterdurchschnittlich. Die Wähler zwischen 30 und unter 35 Jahren mit
einer Wahlteilnahme von 71,3% sind noch 5 Prozentpunkte unterdurchschnittlich. Die
Gruppe der 35 bis 39jährigen liegt nur noch 0,6% unter dem Mittelwert, während sich die
Gruppe der 40 bis 44jährigen mit 79,5% schon 3,2 Prozentpunkte überdurchschnittlich an
der Wahl beteiligte. Die Wahlbeteiligung nimmt mit dem Alter weiter zu: 45 bis 49jährige
beteiligen sich um 5,8% häufiger an der Wahl, 50 bis 54jährige um 8,3 Prozentpunkte und
die höchste Wahlbeteiligung wird 1990 mit 86,5% bei den 60 bis unter 70jährigen
gemessen, immerhin 10,2% über dem Durchschnitt. Bei allen vorangehenden
Bundestagswahlen lag die höchste Beteiligung bereits in der Gruppe der 50 bis 59jährigen.
1990 ist erst bei den über 70jährigen die Wahlbeteiligung wieder abnehmend, bleibt mit
1,6% unter dem Durchschnitt aber noch deutlich über den drei jüngsten Altersgruppen der
18 bis 34jährigen.
4
Das Alter des durchschnittlichen Wählers lag 1953 bis 1990 zwischen 46,1 und 47,4 Jahren (vgl. Rattinger
1994a: 107).
5
Die durchschnittliche Wahlbeteiligung ist aufgrund der besseren Vergleichbarkeit folgend das Ergebnis der
Sonderauszählungen ohne Wähler mit Wahlschein.
10
Abb. 1 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1972 bis 1990 und 2002 nach Altersgruppen
in Prozent
60
65
70
75
80
85
90
95
1972
84,6
84,4
88,2
90,8
92,4
93,1
93,9
94,1
93,2
85,9
1976
84,1
82,9
86,5
89,2
91,5
92,7
93,6
93,8
93,7
88
1980
80,4
78,9
82,2
86,2
88,6
90,3
91,2
92,3
92,2
85,7
1983
84,3
81,5
83,8
87
89,3
91,1
92,2
92,7
92,3
84,9
1987
76,8
73,1
75,9
80,3
83,8
86
87,9
89,4
87,9
79,4
1990
64,7
61,8
66,3
71,3
75,7
79,5
82,1
84,6
86,5
74,5
2002
69,6
68
71,8
75,7
79
80,3
81,1
84
85,9
77,4
18-21
21-25
25-30
30-35
35-40
40-45
45-50
50-60
60-70
70 u.ä.
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11. Ohne Personen mit
Wahlschein.
Die Teilnahmebereitschaft an Bundestagswahlen zeigt sich somit lebenszyklisch bedingt.
Mit zunehmendem Alter steigt die Wahlbeteiligung bis auf ihren Höchststand zwischen 50
und 69 Jahren, erst bei den über 70jährigen geht die Wahlbereitschaft wieder leicht zurück.
Jungwählerdefizit
Dieser altersspezifische Verlauf stellt sich, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, bei
allen Bundestagswahlen seit der Absenkung des Wahlalters 1972 auf 18 Jahre dar (siehe
Abb. 1). Jungwähler unter 30 Jahren beteiligen sich seitdem um 7,5% unterdurchschnittlich.
Trotz nicht adäquat vergleichbarer Alterskategorien zeigt Abbildung 2, dass die
Wahlenthaltung der Jungwähler vor 1972 mit durchschnittlich 6,2% auf ähnlich niedrigem
Niveau lag. Dieses ,,Jungwählerdefizit" (Hofmann-Göttig 1984: 34) ist somit ein seit 1953
auftretendes Phänomen, zugleich unterliegt es jedoch auch Schwankungen: So stieg die
Wahlbeteiligung der 21 bis 24jährigen 1972 abrupt um 3,1 Prozentpunkte an, die der 25 bis
29jährigen um 2,1 Punkte. Damit wies die Wahl 1972 das geringste Jungwählerdefizit aller
Bundestagswahlen auf, sie war jedoch auch aufgrund der insgesamt höchsten
Wahlbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik eine Ausnahmewahl. Bei den
folgenden Bundestagswahlen nimmt die Wahlteilnahme der Jungwähler wieder monoton
ab. Erst 1983 ist ein erneuter Anstieg der Jungwählerbeteiligung zu sehen, sie erreicht
jedoch nicht das Niveau von 1972. Das Jungwählerdefizit verringert sich bei den jüngsten
11
Wählern um 3,1%, bei den 21 bis 24jährigen um 1,8% und bei den 25 bis 29jährigen nur
um 0,8%. Seitdem ist die Wahlteilnahme der jungen Wählerschaft wieder stark rückläufig
und erreichte 1990 ihren Tiefstand.
Abb. 2 Abweichung der Wahlbeteiligung der Jungwähler zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung
1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
-15
-13
-11
-9
-7
-5
-3
-1
18-20
-6,2
-6,3
-7,2
-4,1
-6,3
-11,6
-9,7
21-24
-7,9
-9,1
-9,5
-6,4
-7,5
-8,7
-6,9
-10,0
-14,5
-11,3
21-29
-6,0
-4,9
25-29
-3,3
-4,2
-4,7
-2,6
-3,9
-5,4
-4,6
-7,2
-10,0
-7,5
1953
1957
1961
1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
2002
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11;2002. Ohne Personen mit
Wahlschein.
Die Differenz der unter 30jährigen zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung stieg 1990 auf
12% und ist damit verglichen mit 1972 fast doppelt so hoch: Wählten 18 bis 20jährige 1972
nur 6,2% unterdurchschnittlich, so waren es 1990 11,6 Prozentpunkte. Bei 21 bis
24jährigen stieg das Defizit zur allgemeinen Wahlbeteiligung von 6,4% 1972 sogar auf
14,5 Prozentpunkte 1990.
Maßgeblich verantwortlich für dieses erhöhte Jungwählerdefizit 1990 war die
Wahlbeteiligung im neu hinzugekommenen Wahlgebiet Ost. Der altersspezifische Verlauf
der Wahlteilnahme war bei der ersten gesamtdeutschen Wahl in Ost und West sehr ähnlich,
jedoch war die Wahlbeteiligung der jungen Ostdeutschen auf deutlich niedrigerem Niveau.
Lagen die Jungwähler unter 30 Jahren im Westen 9,2% bei den Männern und 11,6% bei
den Frauen unter dem Durchschnitt, so waren es im Osten 17% bzw. 17,4%. Das Defizit
der jungen ostdeutschen Wähler zu ihren westdeutschen Altersgenossen nimmt mit
zunehmenden Alter ab: Es betrug bei den jüngsten Wählern 8% und sinkt bei den 21 bis
24jährigen auf 7% und bei den 25 bis 29jährigen auf 5,2%. Die 30 bis 34jährigen liegen
noch 3,2% unter ihren gleichaltrigen Westdeutschen, während ab 35 Jahren das Defizit
unter einem Prozentpunkt liegt. Bei den jüngeren Wählern unter 30 Jahren war somit 1990
ein starkes West-Ost-Gefälle (vgl. Rattinger 1992: 270) und zudem ein maßgeblicher
Abfall der Frauen- gegenüber der Männerwahlbeteiligung sichtbar.
12
Diese Zunahme des Jungwählerdefizits 1990 wurde vielfach schon als neue
Wahlmüdigkeit der jungen Menschen gewertet und mit der steigenden
Politikverdrossenheit in Zusammenhang gebracht (vgl. Feist 1991: 51, 40f). Abbildung 3
zeigt, dass im Vergleich zur allgemeinen Wahlbeteiligung zu erkennen ist, dass Jugendliche
auch ,,Trendverstärker" (vgl. Roth 1992: 64) sind. Sowohl eine Steigerung, als auch ein
Rückgang der Wahlbeteiligung ist bei Jungwählern jeweils deutlich ausgeprägter. So waren
die Wahlen 1972 mit einem Jungwählerdefizit der unter 30jährigen von nur 5% auch
diejenigen mit der insgesamt höchsten Wahlbeteiligung von 91,1%. Die ersten
gesamtdeutschen Wahlen 1990 hatten dagegen mit einem Jungwählerdefizit von 12%
zugleich die bisher niedrigste Wahlbeteiligung mit 77,8% in der Geschichte der
Bundesrepublik.
Abb.3 Zu- und Abnahme der Wahlbeteiligung zur vorherigen Wahl bei Jungwählern und in der
Wählerschaft in Prozent.
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 1990: 11;2002. Ohne Personen mit
Wahlschein.
Auch die jüngste Bundestagswahl 2002 bestätigte die Vermutung, die Jugendlichen seien
Trendverstärker der Teilnahmebereitschaft. Gegenüber 1990 steigt die Wahlbeteiligung
insgesamt um 1,3%, die Wahlbeteiligung der Jungwähler nimmt sogar um 2,5% zu. Dies
könnte darauf hindeuten, dass die Partizipationsbereitschaft der jungen Menschen stärker
als bei Erwachsenen abhängig ist vom jeweiligen Mobilisierungsgrad der Wahl und der
Umstrittenheit des Wahlausgangs.
Jüngstwählersprung
In der Altersstruktur der Wahlbeteiligung ist der konstante Einbruch der Wahlbeteiligung
in der zweitjüngsten Altersgruppe auffällig. Die 21 bis 24jährigen Wähler beteiligen sich
9% unterdurchschnittlich, während die jüngsten Wähler im Alter von 18 bis unter 21 Jahren
seit 1972 dazu mit 7% unter der durchschnittlichen Beteiligung leicht häufiger an Wahlen
-12
-7
-2
3
8
13
1957
1961
1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
2002
JW
Gesamt
13
teilnehmen (siehe Abb. 1). Diese charakteristisch höhere Wahlbeteiligung der jüngsten
gegenüber der zweitjüngsten Altersgruppe zeigt sich seit Senkung des Wahlalters 1972 und
wird folgend als ,,Jüngstwählersprung"
6
bezeichnet. Fiel der Unterschied zwischen jüngsten
und zweitjüngsten Wählern in den 70er Jahren mit 0,2% und 1,2% noch gering aus, steigert
er sich auf 3 Prozentpunkte 1987 und 2,9% 1990. Die allgemeine Abnahme der
Wahlbeteiligung von Jungwählern zeigte sich also verstärkt bei den 21 bis 24jährigen.
Die Vermutung liegt nahe, die erhöhte Wahlbeteiligung der jüngsten Wähler steht im
Zusammenhang mit dem Reiz des erstmaligen Wählens oder auch mit der Enttäuschung der
,,Zweitwähler" über ihre erste Wahlteilnahme (vgl. Hofmann-Göttig 1984: 57). Demzufolge
müsste bei den Bundestagswahlen von 1953 bis 1969 - vor der Senkung des Wahlalters auf
18 Jahre - ebenfalls ein Jüngstwählersprung bei den damaligen Erstwählern, den 21 bis
24jährigen zu erkennen sein. Die Wahlbeteiligung der 25 bis 29jährigen liegt jedoch
konstant zwischen 4 und 5 Prozentpunkten über der Wahlteilnahme der in diesen Jahren
jüngsten Wählergruppe (siehe
Abb. 4 und 5). Damit entspricht sie der
Teilnahmebereitschaft der 25 bis 29jährigen nach 1969, die durchschnittlich 3,8% über den
21 bis 24jährigen liegt. Die erhöhte Wahlbeteiligung der 18 bis 20jährigen ist somit nicht
von ihrer ersten Wahlteilnahme abhängig.
Abb. 4 und Abb. 5 Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1961 und 1965 bis 1969
nach Altersgruppen in Prozent
1965 und 1969
75
77
79
81
83
85
87
89
91
93
1965 76,8 81,7 86,2 88,2
89
88,8 89,4 88,5 79,3
1969 76,6 81,4 86,1 87,8 89,4 89,6 89,6 88,6 79,5
21-25 25-30 30-35 35-40 40-44 45-50 50-60 60-70 70 u.ä.
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Jesse 1975: 314. Ohne Personen mit Wahlschein
.
Geschlechtsspezifische Wahlbeteiligung
6
Hofmann-Göttig bezeichnet die erhöhte Wahlteilnahme der 18 bis 20jährigen gegenüber den 21 bis
25jährigen als ,,Erstwählersprung", da er aus praktischen Gründen die Gruppe der 18 bis 20jährigen
,,Erstwähler" und die 21 bis 24jährigen ,,Zweitwähler" nennt (siehe auch Hofmann-Göttig 1984: 34f; 63).
Folgend wird der ,,Erstwählersprung" als Jüngstwählersprung bezeichnet, da er nicht von der ersten
Wahlteilnahme abhängig ist.
1953 bis 1961
75
80
85
90
95
1953
77,6
82,2
86,5
89
90,2
88,6
79
1957
80,6
84,6
88,5
90,5
90,8
89,7
81,1
1961
79,5
84,1
89,2
90,4
90,5
89,3
80,5
21-25
25-30
30-40
40-50
50-60
60-70
70 u.ä.
14
Die beobachteten Altersunterschiede in der Wahlbeteiligung könnten auch auf einen
geschlechtsspezifischen Effekt zurückzuführen sein. Insgesamt liegt die Wahlbeteiligung
der Frauen bis 1969 deutlich hinter der Teilnahmebereitschaft der Männer zurück und
gleicht sich in den 70er Jahren schrittweise an die der Männer an. Betrug die Differenz
1957 noch 3,3%, sinkt sie bis 1969 auf 2,6% und erreicht 1972 1,2% Prozentpunkte. 1976
ist die Wahlbeteiligung der Frauen und Männer fast ausgeglichen, Frauen beteiligten sich
nur noch 0,8% weniger an Bundestagswahlen als Männer. Danach nimmt das Defizit der
Frauen jedoch wieder zu: 1980 betrug es 2,1% und 1990 1,3 Prozentpunkte.
Der altersspezifische Verlauf der Teilnahmebereitschaft ist ebenfalls in der
Frauenwahlbeteiligung zu erkennen, die einzige Ausnahme ist die Bundestagswahl 1972.
Bei dieser Ausnahmewahl zeigt sich bei den jungen Frauen kein Jüngstwählersprung.
Frauen unter 21 beteiligten sich in diesem Jahr zu 84,3%, die Wahlbeteiligung der
zweitjüngsten Frauen war 1972 erwartungsgemäß jedoch nicht noch
unterdurchschnittlicher, sondern liegt mit 85% leicht darüber. Auch die Wahlbeteiligung
der 25 bis 29jährigen Frauen liegt mit 88,8% nur 2% unter dem Durchschnitt.
Der Vergleich mit der Wahlbeteiligung der Männer in Tabelle 1 zeigt, dass in diesem
Jahr sowohl die 21 bis 24jährigen, als auch die 25 bis 29jährigen und 30 bis 35jährigen
Frauen deutlich über der Männerwahlbeteiligung liegen. Dies scheint mit der erhöhten
Wahlfreudigkeit der jungen Frauen in den 60er Jahren zusammenzuhängen: 1961
beteiligten sich die 21 bis 24jährigen und 1965 bis 1969 die 21 bis 29jährigen Frauen
häufiger als Männer an den Bundestagswahlen.
Tab. 1Differenz der Frauen- zur Männerwahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen 1953 bis 1990
in Prozent
Alter
BTW 1953
1957 1961 1965
1969 1972
1976 1980
1983 1987
1990
Gesamt
18-20
-0,7
-1,7
-2,4
-2,2
-4,3
-3,2
-2,42
21-24
-0,4
-0,6
1,1
1,4
0,7
1,1
-0,1
-1,8
-1,6
-2,7
-2,9
-0,53
25-29
-0,9
-1,3
-0,8
0,1
2,1
1,2
0,5
0,7
-0,2
-1,4
0,1
0,01
30-34
-1,2
-2
-1,6
-0,9
-0,2
0,9
0,9
0,8
0,8
0
1,5
-0,09
35-39
-1,9
-1,5
-0,1
1
1,1
0,7
0,2
1,1
0,08
40-44
-1,4
-2,4
-2,1
-2,3
-1,9
-0,6
-0,2
0,1
0,5
2,1
4,5
-1,40
45-49
-3,4
-2,8
-1
-0,6
-0,8
-0,3
-0,1
-0,3
-1,16
50-59
-2,7
-3
-2,8
-3,2
-3,4
-1,9
-1,8
-1,5
-1
-1,2
-0,8
-2,12
60-69
-6,3
-5,5
-4,5
-4,8
-4,4
-2,3
-1,8
-2,2
-2,1
-3,1
-2,9
-3,63
70 u.ä.
-14,6
-13 -11,3 -11,6
-10,2
-6,9
-5,2
-6
-5,6
-8,6
-10
-9,36
Gesamt
-3,1
-3,3
-2,7
-2,9
-2,6
-1,2
-0,8
-1,1
-1,3
-2,1
-1,3
-2,04
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 60
1972 dehnte sich die höhere Wahlbeteiligung auf Frauen im Alter zwischen 21 und 34
Jahren aus. 1976 und 1980 lag sie in der Gruppe der 25 bis 39jährigen und ab 1983 in der
Gruppe der 30 bis 44jährigen. Diese Erkenntnisse deuten auf eine Generation besonders
wahlfreudiger Frauen hin (vgl. Metje 1991: 367f). Auch die Ergebnisse der Europawahlen
zeigen die Verschiebung der wahleifrigen Jahrgänge bei Frauen. 1979 war die Gruppe der
25 bis 44jährigen Frauen besonders wahlfreudig, 1984 die 30 bis 50jährigen und 1989 die
35 bis 50jährigen Frauen. 1999 verschiebt sich der erhöhte Wahleifer bis in die
Altersgruppe der 50 bis 60jährigen.
15
Die nachfolgende Frauengeneration scheint wieder etwas wahlmüder zu sein. Die 18 bis
20jährigen Frauen beteiligten sich seit 1972 wieder deutlich weniger als gleichaltrige
Männer, dies setzt sich 1976 bis in die zweite Altersgruppe und ab 1983 bis in die dritte
Altersgruppe etwas schwächer fort. Zudem scheint die Wahlmüdigkeit der jüngsten Frauen
zuzunehmen: Lag sie 1976 noch bei 1,7%, steigerte sie sich bis 1980 auf 4,3%. Die leichte
Abnahme des Defizits 1990 auf 3,2% wurde dagegen nur durch die erhöhte
Wahlfreudigkeit ostdeutscher Frauen hervorgerufen.
Deutliche und langfristige Geschlechtsunterschiede finden sich nur in der
Wahlbeteiligung der über 60jährigen und noch stärker bei den über 70jährigen Frauen, seit
1972 jedoch auch bei den 18 bis 20jährigen Frauen. Diese Einflüsse des weiblichen
Geschlechts auf die Wahlbeteiligung sind jedoch im Gegensatz zu den Alterseffekten
marginal: So betrug der Effekt des Geschlechts bei den 18 bis 20jährigen nur -1,22%, der
Alterseffekt hingegen -9%. Bei den 21 bis 29jährigen verringerte sich der Effekt des
weiblichen Geschlechts auf unter -0,5%, während der Alterseffekt zwischen -5% und -7%
lag. Zudem ist der altersspezifische Verlauf der Wahlbeteiligung, mit Ausnahme der
Bundestagswahl 1972, ebenfalls bei den Frauen zu erkennen. Der Altersverlauf der
Teilnahmebereitschaft ist demnach nicht auf Geschlechtseffekte zurückzuführen.
Parlamentshierarchie
Die altersabhängige Wahlteilnahme zeigt sich ebenfalls bei den fünf vergangenen
Wahlen zum europäischen Parlament. Das Jungwählerdefizit war 1989 mit 7,8% am
geringsten und bei der ersten Europawahl 1979 mit 11,2% am stärksten ausgeprägt. Das
Defizit der Jungwähler unter 30 Jahren steigt damit von durchschnittlich 6,9% bei
Bundestagswahlen auf 9,6% bei Europawahlen, obwo hl auch die Gesamtwahlbeteiligung
bei Europawahlen mit 55% wesentlich niedriger ausfällt.
Insgesamt nahmen die jüngsten Wähler 1979 bis 1999 6,1 Prozentpunkte
unterdurchschnittlich teil, während die zweitjüngsten Wähler im Mittel 11,6 Prozentpunkte
unter der allgemeinen Wahlbeteiligung lagen. Bei den Europawahlen blieben jedoch auch
die 25 bis 29jährigen und mit Ausnahme der Wahl 1979 sogar die 30 bis 35jährigen unter
der Wahlbeteiligung der 18 bis 20jährigen. Der Jüngstwählersprung lag zwischen 4,9% und
6,5% und zeigte sich damit konstanter, aber auch deutlich höher als bei Bundestagswahlen.
Nicht nur bei den Europawahlen, auch bei Landtagswahlen ist der altersabhängige Verlauf
der Wahlbeteiligung und der Jüngstwählersprung zu erkennen. Dabei unterliegt die
Teilnahmebereitschaft in den Ländern sehr hohen Schwankungen: In Sachsen-Anhalt
beteiligten sich 1998 56% der 21 bis 24jährigen, in Brandenburg 1999 nur 30%.
Die Einschätzung der Wertigkeit der Wahl scheint sowohl bei den Jungwählern, als auch
bei Erwachsenen die Höhe der Wahlbeteiligung zu beeinflussen. Diese
,,Parlamentshierarchie" (Hofmann-Göttig 1984: 72ff) ergibt für den durchschnittlichen
Wähler ein klares Gefälle: Die Bundestagswahlen bis 1990 haben mit durchschnittlich 86%
16
die höchste Wahlbeteiligung, gefolgt von Landtagswahlen mit 76%. Die niedrigste
Wahlbeteiligung weisen die Wahlen zum Europäischen Parlament mit durchschnittlich
55% Beteiligung auf. Jungwähler partizipieren mit 79,4% ebenfalls am häufigsten an
Bundestagswahlen, aber mit 45,6% deutlich weniger als der durchschnittliche Wähler an
den Europawahlen. Insgesamt zeigt sich, dass die Höhe der Wahlbeteiligung aller Wähler
von der Wahlart abhängig ist, jedoch schätzen Jugendliche die Europawahlen und die
Landtagswahlen als wesentlich unwic htiger ein als Erwachsene.
Im Überblick lässt sich feststellen, dass die Wahlbeteiligung in der Bundesrepublik seit
einem halben Jahrhundert nahezu unabhängig von der Wahlart eine stabile Altersstruktur
aufweist. Junge Wähler unter 30 Jahren partizipierten seitdem durchschnittlich 7% weniger
an Bundestagswahlen als der durchschnittliche Wähler. Dabei differiert die
Wahlbeteiligung auch unter den Jungwählern erheblich: die Jüngsten beteiligen sich
annähernd 7% unterdurchschnittlich, danach fällt das Jungwählerdefizit bei den 21 bis
24jährigen auf 9% und steigt bei den 25 bis 29jährigen wieder auf durchschnittlich 5%.
Eine leichte Verringerung des Jungwählerdefizits war in den Jahren 1972 und 1983 zu
beobachten. Die Verschärfung des Defizits im Wahljahr 1990 war dagegen überwiegend
auf die Wahlmüdigkeit der jungen Ostdeutschen zurückzuführen und hat sich 2002 nicht
weiter fortgesetzt. Der Wahltypus hatte nur geringen Einfluss auf den Verlauf, jedoch
großen Effekt auf das Niveau der Wahlbeteiligung: Das Jungwählerdefizit vergrößert sich
bei Europa- und Landtagswahlen drastisch.
Die Differenzen zwischen jungen Frauen und jungen Männern sind vergleichsweise
gering. Das Frauendefizit betrug bei den 21 bis 29jährigen seit 1953 durchschnittlich unter
einem Prozentpunkt und in der jüngsten Altersgruppe seit 1972 2,4%. Einen etwas
stärkeren Einfluss übt das weibliche Geschlecht noch bei den älteren Wählern aus, über
70jährige Frauen beteiligten sich 9,36% weniger als Männer. Insgesamt hat das Merkmal
Alter jedoch einen wesentlich größeren Einfluss auf die Wahlbeteiligung als das Merkmal
Geschlecht.
Im Jahr 1990 waren 10,8 Millionen Wahlberechtigte unter 30 Jahre, dagegen doppelt so
viele über 50 Jahre alt. Die niedrige Wahlbeteiligung der jungen Wähler führt dazu, dass
nur 10% aller an Wahlen partizipierenden Bürger unter 25 Jahre alt und weniger als 20%
unter 30 Jahre alt sind. Hingegen stellen Wähler über 50 Jahre mit 46% fast die Hälfte der
Wählerschaft.
7
Da die Lebenserwartung künftig weiter ansteigt und die Geburtenrate sinkt,
nimmt der Anteil der Jugendlichen in der Gesamtbevölkerung weiter ab. Zusammen mit der
ungebrochenen Wahlmüdigkeit der Jungwähler führt dies zu einem schwindenden Einfluss
junger Menschen auf die Politik.
7
Ohne Wähler mit Wahlschein (vgl. Statistisches Bundesamt 1990: 8; 11).
17
2.2. Parteipräferenzen
Die Parteipräferenzen der Jungwähler
8
in der Bundesrepublik lassen sich in drei Phasen
unterteilen (siehe Hofmann-Göttig 1984: 117f): In der ersten Phase bis 1965 sind die
Unterschiede in der Stimmabgabe zwischen der jungen und der gesamten Wählerschaft nur
gering. Mit der Bundestagswahl 1969 beginnt eine Verschiebung der Parteipräferenzen der
Jungwähler nach links, die Sozialdemokraten können deutliche Gewinne verzeichnen,
während die Unionsparteien drastisch Stimmen unter den jungen Wählern verlieren. In der
dritten Phase ab 1980 büßt die SPD ihr überdurchschnittliches Ergebnis bei Jungwählern
wieder ein, während die Grünen nun überproportional junge Menschen ansprechen. Die
CDU/CSU weist weiterhin ein Jungwählerdefizit auf (Abb. 6).
Abb. 6 Wahlentscheidung der Jungwähler gegenüber dem Durchschnitt aller Wähler bei den
Bundestagswahlen 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
0
10
20
30
40
50
60
1953
1957
1961
1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
2002
SPD
CDU/CSU
FDP
GRÜNE
SPD JW
CDU/CSU JW
FDP JW
GRÜNE JW
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 61, Jungwähler sind bis 1969 21 bis
29jährige, ab 1972 18 bis 24jährige Wähler. Angaben ohne Briefwahl, 1953 ohne Saarland, Rheinland-Pfalz
und Bayern, 1957 ohne Saarland. Ab 1990: alte und neue Bundesländer.
In der ersten Phase von 1953 bis 1965 lag die Abweichung der 21 bis 29jährigen zur
gesamten Wählerschaft im Mittel bei nur 1,2 Prozentpunkten, wobei die Sozialdemokraten
1957 den höchsten Gewinn von 2,8% bei den Jungwählern verzeichnen konnten. Die
CDU/CSU wurde in dieser Zeit jedoch sowohl unter der gesamten Wählerschaft als auch
unter den Jungwählern mit großem Abstand stärkste Partei. Anteil daran hatten vor allem
8
Jungwähler sind aufgrund der Änderungen der Alterskategorien der repräsentativen Wahlstatistik folgend
bis 1969 die Altersgruppe der 21 bis 29jährigen, ab 1972 die der 18 bis 24jährigen.
18
die Frauen aller Alterskategorien, die überproportional häufig für die Unionsparteien
votierten. Die Stimmabgabe der Jugendlichen für die FDP war bis 1965 leicht
unterdurchschnittlich. Die sonstigen Parteien spielen nur bis 1969 eine nennenswerte Rolle
(vgl. Hofmann-Göttig 1984: 107), sie wiesen jedoch stets ein Jungwählerdefizit auf.
Insgesamt stellen sich in dieser Phase die Alterseffekte als sehr gering dar. Ab 1969 jedoch
öffnet sich die Schere zwischen Jungwählern und der gesamten Wählerschaft zuerst
zwischen den Volksparteien und ab 1983 zwischen den Grünen und den Unionsparteien
(Abb. 7).
Abb. 7 Abweichung der Wahlentscheidung der Jungwähler vom Durchschnitt aller
Wähler 1953 bis 1990 und 2002 in Prozent
-10
-8
-6
-4
-2
0
2
4
6
8
10
1953
1957
1961
1965
1969
1972
1976
1980
1983
1987
1990
2002
SPD
CDU/CSU
FDP
GRÜNE
Quelle: Repräsentative Wahlstatistik, Statistisches Bundesamt 2002: 61, Jungwähler sind bis 1969 21 bis
29jährige, ab 1972 18 bis 24jährige Wähler. Angaben ohne Briefwahl, 1953 ohne Saarland, Rheinland-Pfalz
und Bayern, 1957 ohne Saarland. 1990: alte und neue Bundesländer.
In der zweiten Phase verändern sich die Parteipräferenzen der Jungwähler erheblich, die
Sozialdemokraten können überproportional viele Jungwählerstimmen gewinnen. Die Wahl
1969 gewinnt wieder die CDU/CSU mit 46%, erreicht bei den Jungwählern jedoch nur
43,1%. Die SPD schnitt insgesamt mit 42,8% schlechter als die Unionsparteien ab, wurde
aber zur stärksten Kraft bei den 21 bis 29jährigen Wählern. Dieser Trend setzte sich von
1972 bis 1980 verstärkt fort, zum Teil bedingt durch die Herabsetzung des Wahlalters und
die Verkleinerung der Alterskategorien der Wahlstatistik. Am größten sind die
Unterschiede zwischen der Wählerschaft und den Jungwählern im Jahre 1972: Die SPD
erreichte ihr höchstes Ergebnis mit insgesamt 46,3%, bei den 18 bis 24jährigen konnte sie
sogar die absolute Mehrheit mit 54,7% erreichen. Für die Unionsparteien entschieden sich
in diesem Jahr 44,6% der Wähler, jedoch nur 35,3% der Jungwähler. Die SPD gewinnt
damit unt er den Jungwähler 8,4%, während die CDU/CSU 9,3% bei Jugendlichen
19
gegenüber dem durchschnittlichen Wahlergebnis verliert. Aufgrund des knappen
Endergebnisses der beiden Parteien 1972 kann man davon ausgehen, dass die CDU/CSU
ohne Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre stärkste Fraktion geblieben wäre (vgl. Jesse
1975: 319).
1976 und 1980 gewinnen die Unionsparteien insgesamt mit 48% und 44% vor der SPD
mit 43,3% und 43,5%. Bei den unter 25jährigen ist die SPD jedoch in beiden Jahren wieder
deutlich stärkste Kraft mit 49,8% und 48,9% und kann bei jungen Leuten damit 5,4% bis
6,5% Stimmen über Durchschnitt gewinnen. Die Union dagegen verliert abermals mit 7,8%
und 9,6% dramatisch unter den Jungwählern.
Ein erneut unterschiedliches Wahlverhalten der Jungwähler lässt sich ab 1980 feststellen:
Die Grünen verzeichnen erste Erfolge, sie erreichen zwar insgesamt lediglich 1,4%, unter
den jungen Wählern aber schon 4,8%. 1983 können sie sich auch insgesamt durchsetzen
und gewinnen 5,3% der Stimmen, bei den Jungwählern sogar 13,9%. Dagegen büßt die
SPD ihren Jungwählervorsprung vollständig ein, die Sozialdemokraten werden bis 1990
nur noch durchschnittlich von jungen Leuten gewählt. Der Verlust an jungen Stimmen der
SPD scheint den Grünen zugute gekommen zu sein (vgl. Jesse 1987: 236). Die
Unionsparteien weisen ab 1983 erneut ein konstantes Jungwählerdefizit zwischen 7,3% und
7,8% auf. Damit liegen die beiden großen Parteien in den Jahren 1983 bis 1990 in der
Präferenz der jungen Wähler auf gleicher Höhe. Die Grünen können sich 1987 erneut auf
8% steigern und erreichen unter den Jugendlichen 15,5%. 1990 jedoch brechen auch die
Grünen stark ein, sie erringen insgesamt nur 3,6%, bei den jungen Wählern 8,1%.
Insgesamt zeigt sich seit 1969 ein maßgeblich vom Endergebnis differierendes,
jugendspezifisches Stimmverhalten. Die Abweichung der Wahlentscheidung der
Jungwähler zur Wählerschaft erreichte 1972 ihr Maximum, als 8,4% mehr Jungwähler für
die SPD und 9,6% weniger Jugendliche als der Durchschnitt für die CDU/CSU votierten.
Die SPD ist bis zur Bundestagswahl 1980 klarer Favorit unter den Jungwählern, konnte
jedoch nur 1972 die Wahl für sich entscheiden.
Ab 1983 ändert sich das Wahlverhalten der jungen Menschen, die SPD wird nur noch
durchschnittlich von Jugendlichen gewählt. In den Präferenzen der Jungwähler liegen die
beiden Volksparteien jetzt annähernd gleich auf. Die Schere zwischen der
Wahlentscheidung der Jungwähler und der gesamten Wählerschaft wurde jedoch nicht
geringer, da nun die Grünen von jungen Leuten überdurchschnittlich häufig gewählt
werden. Sie werden sogar 1983 und 1987 so deutlich drittstärkste Partei, dass eine rot-
grüne Koalition unter Jugendlichen eine Mehrheit gehabt hätte.
Die Bundestagswahl 1990 lässt sich nur schwer mit den vorangegangenen Wahlen
vergleichen, da die Wahlentscheidung im Wahlgebiet Ost erheblich von der im Westen
abweicht. Im Westen sind die Veränderungen gegenüber 1987 nur gering, die
Sozialdemokraten gewinnen 0,7% bei Jungwählern hinzu, die Unionsparteien weisen
20
abermals ein Jungwählerdefizit von 7,9% auf. Im Wahlgebiet Ost brach die SPD jedoch
stark ein, sie wurde insgesamt von 11,7% weniger Ostdeutschen gewählt und sogar von
13,8% weniger Jungwählern. Damit wäre die SPD im Wahlgebiet West bei den 18 bis
24jährigen knapp stärkste Partei mit 37,3% geworden, bei den jungen Ostdeutschen lag sie
jedoch über 10 Prozentpunkte hinter der CDU/CSU zurück.
Die sonstigen Parteien erleben 1990 einen Aufschwung wie zuletzt 1961. Verantwortlich
waren die Stimmen für die PDS im Osten Deutschlands und für die Republikaner. Die
Republikaner waren im Osten und Westen mit 2,2% gleichermaßen stark, zeigten jedoch
ein Altersgefälle: die jüngste Altersgruppe wählte die rechte Partei mit 3,6%, die 25 bis
34jährigen mit 2,4% und die mittlere Altersgruppe der 35 bis 44jähigen mit 2%. Wähler ab
45 Jahren wählten die rechte Partei mit 1,8 bis 1,9%. Männer präferierten dabei in allen
Altersgruppen die Republikaner doppelt so häufig wie Frauen. Im Gegensatz dazu zeigt
sich die PDS im Osten 1990 in allen Altersgruppen und bei Männern und Frauen etwa
gleich stark. Sie kann bei den jüngsten Wählern insgesamt 2,5%
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erreichen, bei den 25 bis
34jährigen 2,8% und unter den 35 bis 44jährigen 2,9%. Bei Wählern über 45 Jahren
verringert sich das Ergebnis leicht auf 2,6% und 2,5%. Frauen wählten mit durchschnittlich
0,3% weniger die PDS als Männer. Während bei den Republikanern als ,,Männerpartei" die
Geschlechtseffekte die Alterseffekte überwiegen, stellt sich die PDS als eine Partei fast
ohne alters- oder geschlechtsspezifische Besonderheiten dar.
Jungwähler als Trendverstärker
Hofmann-Göttig geht davon aus, dass Jugendliche wie schon bei der Wahlbeteiligung,
auch bei der Wahlentscheidung ,,Trendsetter" sein könnten (1984: 132). Zur Überprüfung
dieser These werden die Gewinne und Verluste von CDU/CSU und SPD zur jeweils
vorherigen Wahl sowohl beim durchschnittlichen Wähler, als auch bei den Jungwählern
untersucht.
Bis 1965 zeigt sich, dass junge Wähler zwar dem allgemeinen Trend folgen, aber bei der
SPD 1961 und 1965 und bei der CDU 1957 sogar leicht unterdurchschnittlich (Abb. 7 und
8). Mit den Bundestagswahlen 1969 und 1972 ändert sich dieses Bild: Der allgemein
positive Trend für die Sozialdemokraten verstärkt sich bei den Jungwählern maßgeblich.
1969 gewann die SPD durchschnittlich 3% und 1972 3,5% Stimmen hinzu, bei den
Jungwählern waren es mit 6,7% und 8,3% mehr als doppelt so viele. Die Unionsparteien
verlieren dagegen in beiden Jahren jeweils durchschnittlich 1,3%, bei den Jungwählern
1969 6,3% und 1972 sogar 7,8%. Die jungen Wähler haben 1969 und 1972 den positiven
Trend für die Sozialdemokraten um 3,7% und 4,8% und den Negativtrend für die
Unionsparteien um 5% und 6,5% verstärkt.
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Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2003
- ISBN (eBook)
- 9783832465858
- ISBN (Paperback)
- 9783838665856
- Dateigröße
- 794 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Potsdam – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
- Note
- 1,5
- Schlagworte
- jugend wahl generation wahlbeteiligung wertewandel
- Produktsicherheit
- Diplom.de