Lade Inhalt...

Schulkleidung in Deutschland

Analyse und Wertung von Schülermeinungen zwischen dem 10. und 16. Lebenjahr

©2002 Diplomarbeit 151 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Schule als Lern- und Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche ist auch der soziale Platz, an dem sie ihre Wirkung auf andere testen und ihre eigene Identität beginnen zu entwickeln. Dabei spielt das äußere Erscheinungsbild, welches zu einem großen Teil über die Kleidung mitbestimmt wird, eine bedeutende Rolle. Der heute oft zu beobachtende Markenzwang hinsichtlich der Kleidung wird gerne von den Schülern mit Individualität erklärt. Längst geht es nicht mehr nur um das Markenzeichen, sondern das Label bestimmt den Wert des Menschen. Altersspezifische Normen, die durch die Medien, durch die Kleidungsindustrie, aber auch durch die Gleichaltrigengruppe propagiert und transportiert werden, bewirken u. a., dass die vestimentäre Kommunikation das Vorzeigen wirklicher Leistungen überlagert. Mit dem Tragen bestimmter Kleidung gehen dabei oft Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz in der Schulklasse einher. Dieses führt letztlich auch zu einer teilweise mit negativen Effekten einhergehenden Beeinflussung des Unterrichts- und Klassenklimas.
Die vorliegende Arbeit zum Thema „Schulkleidung“ geht Fragen nach, die sich mit der Situation und den Beziehungsgeflechten in Schulklassen befassen: „Ist die Schulkleidung ein geeignetes Instrument, den Markenzwang in der Schule abzubauen?“ und „Kann die Schulkleidung den Zusammenhalt in der Klasse stärken und das Klassen- und Unterrichtsklima fördern?“ sollen zentrale Fragestellungen dieser Arbeit sein.
Gang der Untersuchung:
Die Ausführungen untergliedern sich in fünf Kapitel. Das zweite Kapitel befasst sich mit Erklärungsmodellen der Modenutzung im Jugendalter. Darin werden zunächst historische Bezüge der Schulkleidung in Deutschland dargestellt. Fragen wie: „Welche pädagogischen Kleidungsstücke hat es in der Vergangenheit gegeben?“, „Welche pädagogische Absicht stand dahinter?“ und „Hat es in Deutschland überhaupt schon einmal eine einheitliche Schulkleidung gegeben?“ werden hier analysiert. Anschließend wird Mode im Sinne des Symbolischen Interaktionismus behandelt. Mode als Symbol bietet eine Handlungsgrundlage und ist demnach geeignet dem Gegenüber etwas mitzuteilen. Vertiefend werden Strukturen des Kaufverhaltens analysiert und das Phänomen der Konformität im Kleidungsverhalten unter kinder- und jugendsoziologischer Perspektive beleuchtet. Dabei spielen auch die Verhaltensweisen und Strukturen in den altersspezifischen Gruppen eine wichtige Rolle. Es werden Rollenverhalten, Normen und […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Erklärungsmodelle der Modenutzung
2.1 Historisch - pädagogische Bezüge der Schulkleidung
2.1.1 Kleider machen Leute
2.1.2 Die Kadettenuniform
2.1.3 Internatskleidung
2.1.4 Der blaue Mantel als Schülerkennzeichen höherer Schulen
2.1.5 Die Schulschürzen
2.1.6 Die Schülermützen
2.1.7 Der Matrosenanzug
2.1.8 Die Turnkleidung
2.1.9 Die Wandervogelkluft
2.1.10 Die Uniform der Hitlerjugend
2.1.11 Die Uniform der Pionierorganisation und der FDJ
2.1.12 Zusammenfassung
2.2 Mode im Sinne des Symbolischen Interaktionismus
2.2.1 Mode als Symbol
2.2.2 Sozialisations- und Entwicklungsprozesse im Verständnis des symbolischen Interaktionismus
2.2.3 Interaktionistischer Ansatz
2.3 Kinder- und Jugendsoziologie
2.3.1 Markenkonsum
2.3.1.1 Kaufverhalten
2.3.1.2 Uniformierung durch Konformität
2.3.2 Die Gleichaltrigengruppe
2.3.2.1 Soziale Normen und Rollenverhalten
2.3.2.2 Der Charakter der Gleichaltrigengruppe
2.3.2.3 Die Bedeutung der Gleichaltrigengruppe in der Schule
2.3.2.4 Meinungsführer in der Schulklasse
2.4 Kinder- und Jugendpsychologie
2.4.1 Identität
2.4.1.1 Identität als lebenslanger Prozess
2.4.1.2 Identitätsarbeit im Jugendalter nach Erikson
2.4.1.3 Soziale Identität in der Adoleszenz
2.4.1.4 Besonderheiten in der Jugendphase
2.4.1.5 Identitätsentwicklung in der Schule
2.4.1.6 Kleidung als Teil der Identität
2.4.2 Attraktivität der Schüler
2.4.2.1 Attraktivitätsforschung
2.4.2.2 Auswirkungen der äußeren Erscheinung auf die soziale Akzeptanz
2.4.3 Prosoziales Verhalten in der Schule
2.4.3.1 Motive und Standards prosozialen Verhaltens
2.4.3.2 Aspekte prosozialen Verhaltens
2.4.3.3 Soziale Beliebtheit und soziale Randständigkeit in der Schule
2.5 Schulpädagogik
2.6 Unterrichtsklima
2.6.1.1 Definition und Aspekte des Unterrichtsklimas
2.6.1.2 Schulklasse als soziales System
2.6.1.3 Geschlechtsspezifische Beziehungsmuster der Schüler - Schüler - Interaktion
2.6.1.4 Geschlechtsspezifische Tendenzen der Lehrer - Schüler - Interaktion
2.6.1.5 Gewalt an der Schule
2.6.1.6 Die Bedeutung sozialer Anerkennung in der Schulklasse
2.6.1.7 Wirkungen einzelner Klimamerkmale auf das Verhalten der Schüler
2.6.1.8 Forschungsmethoden
2.6.2 Corporate Identity in Schulen
2.6.2.1 Das Beziehungssystem in der Schulklasse
2.6.2.2 Ganzheitliche Identitätsbildung

3 Beispiele für schulbezogene Veränderung der Modenutzung: Einführung der Schulkleidung
3.1 Das Hamburger Projekt
3.2 Berliner Projekt
3.3 Medienrezeption und politisches Meinungsbild
3.3.1 Schulkleidung gegen Markenwahn, Gewaltprävention und Mobbing in der Schule
3.3.2 Meinungen der Schüler
3.3.2.1 Die Klasse 6b der Schule Sinstorf
3.3.2.2 Die Klasse 8a des Willi-Graf-Gymnasium Steglitz
3.3.2.3 Die Klasse 10c der Heinrich-Ferdinand-Eckert-Schule

4 Spezielle Einstellung der Schüler zur Schulkleidung
4.1 Aspekte der Einstellungsbildung
4.1.1 Operationalisierung der Merkmale im Schülerfragebogen und der Landauer Skala zum Sozialklima (LASSO)
4.1.1.1 Pilotstudie Berlin
4.1.1.2 Untersuchung Hamburg
4.2 Datenerhebung
4.2.1 Durchführung der Stichprobe (Pilotstudie Berlin)
4.2.2 Untersuchungszeitpunkte der Hamburger Schulklassen
4.2.3 Erläuterung des Forschungsdesigns
4.3 Zu den Ergebnissen der „Pilotstudie Berlin“
4.3.1 Darstellung und Interpretation der Pilotstudie Berlin
4.3.1.1 Sozio-ökonomische Daten
4.3.1.2 Einflüsse auf das Tragen von Markenkleidung
4.3.1.3 Wirkungserwartung der Markenkleidung
4.3.1.4 Bedeutungsstrukturen der Kleidung
4.3.1.5 Wirkungserwartung der Schulkleidung
4.3.1.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der Berliner Pilotstudie
4.3.1.7 Zur Einschätzung des Fragebogens
4.4 Zu den Ergebnissen der „Untersuchung Hamburg“
4.4.1 Darstellung und Interpretation der Untersuchung Hamburg
4.4.1.1 Sozio-ökonomische Daten
4.4.1.2 Bedingungsstruktur der Markenkleidung
4.4.1.3 Wirksamkeitserwartung der Markenkleidung
4.4.1.4 Zufriedenheit in der Klasse und Cliquenbildung in Bezug zur äußeren Erscheinung
4.4.1.5 Wirksamkeitserwartung der Schulkleidung
4.4.1.6 Skalen der Landauer Skala zum Sozialklima
4.4.1.7 Praxisumsetzung der Schulkleidung
4.4.1.8 Zusammenfassung

5 Zusammenfassung

6 Literaturverzeichnis

7 Verzeichnis: Abbildungen, Tabellen und Nebentabellen

8 Anhang
8.1 Fragebogen zur Schuluniform , Juli 2001, Pilotstudie Berlin
8.2 Fragebogen Hamburger Untersuchung
8.3 Auszug aus der Landauer Skala zum Sozialklima
8.4 Nebentabellen
8.4.1 Tabellen, Abbildungen und Grafiken der Pilotstudie Berlin
8.4.2 Tabellen Abbildungen und Grafiken der Untersuchung Hamburg
8.4.3 Ergebnisse der Landauer Skala zum Sozialklima
8.4.3.1 Skala zur Cliquenbildung in der Klasse
8.4.3.2 Skala zur Hilfsbereitschaft in der Klasse
8.4.3.3 Skala zur Aggression in der Klasse
8.4.3.4 Skala zur Zufriedenheit in der Klasse
8.5 Diskussionsthema ,,Schuluniform" - zwei Durchführungsvarianten für die Klassenstufen 7/8 und 9-11
8.6 Rohdaten

1 Einleitung

Die Schule als Lern- und Entwicklungsraum für Kinder und Jugendliche ist auch der soziale Platz, an dem sie ihre Wirkung auf andere testen und ihre eigene Identität beginnen zu entwickeln. Dabei spielt das äußere Erscheinungsbild, welches zu einem großen Teil über die Kleidung mitbestimmt wird, eine bedeutende Rolle. Der heute oft zu beobachtende Markenzwang hinsichtlich der Kleidung wird gerne von den Schülern mit Individualität erklärt. Längst geht es nicht mehr nur um das Markenzeichen, sondern das Label bestimmt den Wert des Menschen. Altersspezifische Normen, die durch die Medien, durch die Kleidungsindustrie, aber auch durch die Gleichaltrigengruppe propagiert und transportiert werden, bewirken u. a., dass die vestimentäre Kommunikation das Vorzeigen wirklicher Leistungen überlagert. Mit dem Tragen bestimmter Kleidung gehen dabei oft Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz in der Schulklasse einher. Dieses führt letztlich auch zu einer teilweise mit negativen Effekten einhergehenden Beeinflussung des Unterrichts- und Klassenklimas.

Die vorliegende Arbeit zum Thema „Schulkleidung“ geht Fragen nach, die sich mit der Situation und den Beziehungsgeflechten in Schulklassen befassen: „Ist die Schulkleidung ein geeignetes Instrument, den Markenzwang in der Schule abzubauen?“ und „Kann die Schulkleidung den Zusammenhalt in der Klasse stärken und das Klassen- und Unterrichtsklima fördern?“ sollen zentrale Fragestellungen dieser Arbeit sein.

Die Ausführungen untergliedern sich in fünf Kapitel. Das zweite Kapitel befasst sich mit Erklärungsmodellen der Modenutzung im Jugendalter. Darin werden zunächst historische Bezüge der Schulkleidung in Deutschland dargestellt. Fragen wie: „Welche pädagogischen Kleidungsstücke hat es in der Vergangenheit gegeben?“, „Welche pädagogische Absicht stand dahinter?“ und „Hat es in Deutschland überhaupt schon einmal eine einheitliche Schulkleidung gegeben?“ werden hier analysiert. Anschließend wird Mode im Sinne des Symbolischen Interaktionismus behandelt. Mode als Symbol bietet eine Handlungsgrundlage und ist demnach geeignet dem Gegenüber etwas mitzuteilen. Vertiefend werden Strukturen des Kaufverhaltens analysiert und das Phänomen der Konformität im Kleidungsverhalten unter kinder- und jugendsoziologischer Perspektive beleuchtet. Dabei spielen auch die Verhaltensweisen und Strukturen in den altersspezifischen Gruppen eine wichtige Rolle. Es werden Rollenverhalten, Normen und die Bedeutung der Gleichaltrigengruppe, insbesondere in der Schule, betrachtet. Der nachfolgende Abschnitt befasst sich dahingehend mit jugendpsychologischen Fragen zur Identitätsentwicklung, zur Attraktivität in der Schule und zum prosozialen Verhalten. Identität als lebenslanger Prozess soll u. a. einen Einblick geben in die Übernahme verschiedener Rollen und den damit verbundenen Konflikten. Fragen wie: „Welche Rolle spielt die Kleidung bei der Identitätsfindung?“ sollen hier u.a. beantwortet werden. Hinsichtlich der Attraktivitätsforschung werden dabei Ergebnisse aufgezeigt, die Zusammenhänge erklären zwischen dem Aussehen, dem Selbstbewusstsein, der sozialen Anerkennung bzw. Ablehnung etc.. Die Analyse prosozialen Verhaltens befasst sich primär mit Motiven helfenden Verhaltens und der sozialen Zugehörigkeit oder Randständigkeit in der Schulklasse. Im letzten Teil des Kapitels wird ein Überblick gegeben, über Aspekte des Unterrichtsklimas.

Im dritten Kapitel werden Beispiele für schulbezogene Veränderungen der Modenutzung genannt. Ein Hamburger Projekt, in dem eine Schulklasse seit fast zwei Jahren eine einheitliche Schulkleidung trägt und das Berliner Projekt, in dem zwei Schulklassen über einen begrenzten Zeitraum eine einheitliche Kleidung getestet haben, werden hier vorgestellt. In beiden Projekten wurden die empirischen Erhebungen durchgeführt. Im Anschluss erfolgt eine Medienrezeption, in der politische Meinungen, Meinungen der Schüler und der Lehrer zum Ausdruck kommen.

Das vierte Kapitel widmet sich den speziellen Einstellungen der Schüler zur Schulkleidung. Es sind sowohl in den beiden Berliner Klassen als auch in der Hamburger Schule drei Klassen zum Thema der Schulkleidung mit Hilfe von Fragebögen untersucht worden. Die Untersuchung in Berlin diente primär als Pilotstudie, wobei zentrale Ergebnisse sowie das Instrument diskutiert werden. In der als Hauptuntersuchung anzusehenden Studie in Hamburg werden die Ergebnisse detailliert aufgezeigt. Dabei wird die Beantwortung der im Mittelpunkt der Arbeit stehenden Fragestellungen angestrebt.

Im letzten Kapitel werden zusammenfassend die zuvor dargestellten Ergebnisse interpretativ zum Theoretischen Teil in Bezug gesetzt.

2 Erklärungsmodelle der Modenutzung

2.1 Historisch - pädagogische Bezüge der Schulkleidung

2.1.1 Kleider machen Leute

Kleider sind Zeichen, die etwas ausdrücken und eine Gruppenzugehörigkeit signalisieren, die vom Träger gewünscht oder auferlegt wird. Kinderkleidung in den verschiedenen Epochen betrachtet, unterliegt meist der Fremdbestimmung. Damit wird Kinderkleidung gleichzeitig zu einem Zeichen für gesellschaftliche Beziehungen, für die Einstellung den eigenen oder fremden Kindern gegenüber, für soziale Hierarchie und Standesbewusstsein. Je stärker eine Gesellschaft hierarchisch geschichtet ist, desto mehr Wert wird auf die äußeren Zeichen dieser Schichtung Wert gelegt – Kleidung nimmt ein Statussymbol ein und dient der Sichtbarmachung der Stände.

Das 17. Jahrhundert brachte schon für die Jüngsten der oberen Schicht kostümliche Zwänge mit sich. Während die Knaben behost wurden, fing man an, die Mädchen wie ihre Mütter anzuziehen, d. h. sie wurden frühzeitig in körperdeformierende Korsetts gezwängt. Mediziner und Pädagogen erhoben ihre Stimme dagegen, die Kinder wie kleine Erwachsene zu kleiden und prangerten die gesundheitsschädigende Wirkung der Kleidung an. 1780 machten sich neue Tendenzen bemerkbar. Die Kinderkleidung sollte kindgerechter sein und dem Spieldrang Freiheit gewähren. Die Engländer waren die ersten, die die Kinder von Schnürleib und Perücke befreiten. Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811), einer der erfolgreichsten Vertreter des Philanthropismus und einer der meist gelesenen Autoren der pädagogischen Reformbewegung der Aufklärung, verwies in seinen Schriften immer wieder auf eine kind- und erziehungsgerechte Bekleidung, die die motorische und sozialpsychologische Entwicklung der Kinder fördert (vgl. Weber–Kellermann, 1985, S. 15ff).

In Deutschland hat es nie eine übergreifende Schulkleidung gegeben, sie war immer auf bestimmte Regionen oder Schulen begrenzt. Von einer dem Schulbetrieb angepassten Schulkleidung mit zeitbestimmten Attributen wie dem Gesellschaftskleid, der Turnkleidung bis zur Reformkleidung waren bestimmte pädagogische Absichten maßgebend für die Gestaltung von Kleidungsstücken für Kinder. Die seit dem 16. Jahrhundert erlassenen Schulreglements enthielten in den jeweiligen Epochen immer wieder spezielle Vorschriften der Schülerkleidung unter dem vorrangigen Gesichtspunkt der Disziplinierung. Bis zum Ende des 19. Jahrhundert bezogen sich diese Kleidungsvorschriften ausschließlich auf die Jungen. Dabei waren die Bestimmungen der „höheren“ Schulen am differenziertesten. Sie waren auf Sauberkeit und Anstand, auf Abwehr zu luxuriöser und dem Schülerstatus nicht entsprechender Kleidung, sowie seit dem 17. Jahrhundert auf den Waffenbesitz (Degen) und der damit verbundenen Vorbereitung auf das Militär, ausgerichtet (vgl. Freyer, 1988, S. 107f).

Die Schuluniform hatte die Aufgabe, neben den pädagogischen und gesellschaftspolitischen Gründen, entweder soziale Unterschiede hervorzuheben oder sie auszugleichen sowie das außerschulische Verhalten der Schüler leichter kontrollierbar zu machen. Im folgenden Kapitel werden einige als Schulkleidung geltende Kleidungsstücke vorgestellt und versucht, die pädagogische Wirksamkeit dieser Kleidungsstücke hervorzuheben.

2.1.2 Die Kadettenuniform

Eine Art der kindlichen Uniform 1, äußeres Zeichen einer standesgemäßen Erziehung und Stellung auf der hierarchischen Leiter, war die militärische Kadettenuniform. Friedrich Wilhelm der 1. gründete 1716 das preußische Kadettencorps. Dazu existierten mehrere Anstalten mit den Klassen Sexta bis Obertertia in der Provinz, während die Oberklassen im Hauptkadettencorps ihren Abschluss absolvierten. Ähnliche Anstalten gab es auch in Sachsen, Bayern, Österreich und Ungarn. Die frühzeitige militärische Laufbahn männlicher Nachkommen aristokratischer Familien war oft eine Selbstverständlichkeit und ließ eine freie Berufswahl nicht zu. Es bestand eine absolute Anpassung an ein sehr eingeschränktes Denk- und Verhaltenssystem mit einem starken Ehrenkodex. Daraus formte sich ein aristokratisch elitäres Wir–Gefühl mit Solidaritäts- und Schutzfunktion, verstärkt durch den Glanz der Uniform (vgl. Weber–Kellermann, 1985, S. 21ff).

Neben bürokratisch eingestellten Bürgern gab es Teile des Bürgertums, die der Aristokratie nacheiferten. Obwohl es eine spezielle Schulkleidung in Deutschland nie gegeben hat, sind aus den gehobenen Kreisen Schilderungen von besonderen Anzügen für den öffentlichen Unterricht, die den Bürgerknaben von den unteren sozialen Schichten abheben sollte, bekannt. Obwohl die allgemeine Schulpflicht in Preußen bereits 1717 eingeführt wurde, begannen erst im 19. Jahrhundert moderne Gedanken von Medizinern und Pädagogen in der Bürgerschicht einen Platz zu finden (vgl. Weber–Kellermann, 1985, S. 173ff).

Kleidung, die für den Schulbesuch gedacht war, hatte zur damaligen Zeit noch keinen übergreifenden Charakter, sondern trat instituts- oder regionsbezogen auf. Eine Schulkleidung mit einem uniformierenden Charakter unterwarf die Schüler den Schulanstaltsgesetzen. In einem Bericht über das Musterinternat Schnepfenthal, geführt von dem fortschrittlichen Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann heißt es: „[...] einen gewinnenden Eindruck machten die sehr sauber gehaltenen Zöglinge in ihren scharlachroten Tuchjäckchen, der Institutstracht.“ (zitiert nach Weber–Kellermann, 1985, S. 173 ).

1 Uniform – die Wurzel liegt im lateinischen uniformis –gleichförmig, einförmig

Allen Uniformen gemein ist die gleichförmige Kleidung, die eine standesgemäß abgegrenzte Gruppe von Menschen darstellt. Die Uniform ist nicht wie die Tracht aus einem freiwilligen Übereinkommen einer Gemeinschaft entstanden, sondern wurde von oben diktiert. Das Individuum muss, will es der betreffenden Gruppe angehören die Uniform tragen und den damit verbundenen Verhaltensvorschriften nachkommen.

2.1.3 Internatskleidung

Mitte des 16. bis zum 18. Jahrhundert erfolgten die ersten Internatsgründungen, die primär an Klöster gebunden waren. Spätere Nachfolger waren Adelsinternate und Kadettenanstalten. Sowohl die Pagen als auch die Klosterschüler, sofern sie die scola interna besuchten, wurden einheitlich eingekleidet. Die Internatsuniform blieb über viele Jahrhunderte erhalten (besonders in Bayern). Sie hatte die Funktionen:

- die Zöglinge sozial anzugleichen,
- die Zöglinge an ein einfaches Leben zu gewöhnen,
- durch ihre soziale Konformität ein Zusammengehörigkeitsgefühl und nach außen den sozialen Status zu wahren,
- der leichteren Kontrolle der Internatszöglinge, wenn sie sich außerhalb der Schule und dem Heim aufhielten,
- der Integration in die Schülergruppe und Schülerrolle mit den jeweils gültigen Normen.

Während des Nationalsozialismus wurde den Internatsschülern verboten, öffentliche Schulen in ihrer Tracht zu besuchen (vgl. Freyer, 1988, S. 111ff).

2.1.4 Der blaue Mantel als Schülerkennzeichen höherer Schulen

Ende des 17. Jahrhundert bis zur offiziellen Aufhebung dieser Vorschrift, 1804, sollten in Bayern und anderen Ländern des deutschsprachigen Raumes Schüler an höheren Schulen wie Collegien, Lyceen und gymnasia illustria als „Ehrenzeichen“ und zur „Unterscheidung“ von anderen Schülern und Bevölkerungsgruppen blaue Mäntel tragen. Dem Schnitt nach waren die langen, faltenreichen und ärmellosen Mäntel mit ihren viereckigen Schulterkragen der Amts- und Standestracht der Geistlichen nachempfunden.

Mitte des 18. Jahrhundert trugen hauptsächlich nur noch die Schüler unterer Jahrgänge protestantischer Schulen diese Mäntel und mussten diese für die Schule, die Kirche und in den Stadtstraßen anlegen. Diese Verordnung galt als Mittel der Disziplinierung, d. h. dem leichteren Überwachen der außerschulischen Tätigkeiten. Im weiteren Verlauf setzten sich die Primaner gegen diese Art der Überwachung zur Wehr, was zur Folge hatte, dass der Mantel aus dem Straßenbild nach und nach verschwand.

Schon bald nach der offiziellen Abschaffung dieser Verordnung, wurde 1808 in Bayern ein Erlass unter dem Minister von Monteglas mit erneuten Bestimmungen über die Einführung einer Uniform für alle öffentlichen Erziehungs- und Bildungsinstitute der Jugend eingeführt.

(Vgl. Feyer, 1988, S. 109ff.)

2.1.5 Die Schulschürzen

Die Schulschürze wurde in einigen Regionen schon mit dem Beginn des 19. Jahrhundert ausschließlich von Mädchen getragen. Sie war deutliches Zeichen der Kindheit. Die Schürze bestand aus weißem Leinen, schwarzem Alpaka, oder aus gestreifter Baumwolle. Je vornehmer die Schule, desto geschickter war der Schnitt. Sie wurde entweder als Schürze über dem Kleid, oder als Kittelschürze anstelle des Kleides getragen. Die gutgemeinte pädagogische Absicht der Erwachsenen, die Kinder vor Eitelkeit und Überheblichkeit zu bewahren, zeigte nur eine Seite dieser Uniformierung. Alice Herdan-Zuckmayer schrieb um 1900 dazu: „[...] ich mußte das Schwarze vom Haken nehmen und über mein Kleid anziehen. Der Matrosenkragen verschwand unter dem engen runden Ausschnitt, die Handgelenke wurden eingezwängt in enge Manschetten, jemand, der hinter mir stand, knipste die Drücker am Rücken zu, und dann war man eingesperrt in die schwarze Lüsterschürze.“(zitiert nach Weber–Kellermann, 1985, S. 179). Drei Hauptaspekte für das Tragen der Schulschürze waren maßgeblich:

- Schutz der Kleidung vor Tintenflecken,
- Hygienische Aspekte; die Schulkleidung sollte nicht im Alltag getragen werden,
- Abwehr von Eitelkeit.

Eine bequeme Kleidung für Kinder wurde erst mit der Reformkleidung im ausgehenden 19. Jahrhundert durchgesetzt. Dennoch blieben die Schulschürzen zumindest in den unteren Jahrgängen noch bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten.

(Vgl. Weber–Kellermann, 1985, S. 179ff.)

2.1.6 Die Schülermützen

Um 1872 kam die bunte Schülermütze auf, die vorwiegend von männlichen Gymnasiasten getragen wurde. Sie entwickelte sich aus der Kopfbedeckung der Studenten. Die bunte Schülermütze unterschied nun die Gymnasiasten von den Volksschülern und wurde damit zu einem Rangzeichen besonderer Art. Die Mützen bestanden aus Tuch, für die Oberprimaner meist aus feinerem Material, und hatten einen lackledernen Schirm. Der Rand trug klassenbezeichnende Streifen. Dabei wechselten die Farben von Schule zu Schule und von Klassenstufe zu Klassenstufe durch ein Zusatzsignal. An den Mützen ließ sich dadurch eine Klassenhierarchie erkennen. Damit hatten die Mützen in der Öffentlichkeit einen Wiedererkennungseffekt, einen Gymnasiasten einer ganz bestimmten Schule vor sich zu haben und gleichzeitig war der Klassenstand für jedermann sichtbar – eine Blamage für Sitzenbleiber. Die Mützen unterstützten damit das Leistungsstreben sowie den ständischen Hochmut. Da eine gymnasiale Bildung zum damaligen Zeitpunkt nichts mit der Intelligenz, sondern vielmehr mit dem Geldbeutel des Vaters zu tun hatte, war das Tragen dieser Mützen ein Zeichen von unsozialem Verhalten. Die Schülermütze zielte primär auf

- die Kennzeichnung und Überwachung der Schüler außerhalb des Unterrichts (man glaubte damit ein Instrument der Verbesserung der Durchsetzung der Jugendschutzverordnung, besonders im Kampf gegen geheime Schülerverbindungen zuhaben).
- die Unterstützung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Schüler und Förderung der emotionalen Bindung an die Schule.

(Vgl. Weber –Kellermann, 1985, S.183ff; Freyer, 1988, S. 114ff.)

2.1.7

Der Matrosenanzug

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einen Umbruch für das Bürgertum, der neuen führenden Sozialgruppe, brachten die Ideen der französischen Revolution. Der Arbeitsanzug der Marseiller Hafenarbeiter und Matrosen wurde zum Symbol einer revolutionären Bewegung. Das Bürgertum suchte eine natürliche Kleidung für seine Kinder und nahm dafür die Arbeitertracht als Vorbild, in Zusammenhang mit einer bewussten Abgrenzung zur Aristokratie. In einer von Rousseau vorgeprägten und selbstbewussten Haltung erfüllte man die Wünsche der Kinder nach Ungezwungenheit und Bewegungsfreiheit, als Grundlage ihrer Persönlichkeitsentwicklung. In Deutschland wurde die Matrosenkleidung durch das Vorbild der englischen Königskinder modern. 1874 begann der Aufbau der kaiserlichen Flotte und erfüllte die Deutschen mit einer unheimlichen Begeisterung für die Marine. Immer wieder erschienen die kaiserlichen Kinder in der Marineuniform. Der echte „Kieler Matrosenanzug“ gedieh zur Wertmarke bürgerlichen Nationalstolzes und Tracht für die Kinder der Oberschicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Als nur den Kindern vorbehaltene Kleidungsform entwickelte er sich aus langer Hose, Bluse mit Umlegekragen und bequemer Jacke. Seit 1880 gab es auch für die Mädchen die entsprechende Matrosenkleidung. Unter dem Einfluss der Konfektionierung, eines intensivierten Erziehungswillens gutsituierter und nationalgesinnter Eltern, sowie der Förderung des Gruppencharakters in den Oberschulklassen, wurde die um 1900 eingeführte Matrosenkleidung für Mädchen und Jungen universell uniformiert. Man trug diese Kleidung zu jeder Gelegenheit. Auch für die Schule hatte man von Kiel bis Wien Matrosenkleidung. Je nach Saison wechselten Farbe und Stoffqualität.

Nach der Jahrhundertwende trugen kleine Mädchen sowohl den Matrosenanzug als auch die Schulschürze, beides Zeichen der Kindheit, aber auch der großen Popularität des Matrosenanzugs. Der Kieler Matrosenanzug war zur

Standeskleidung der Kinder des gehobenen Bürgertums geworden und signalisierte das elitäre nationale Bewusstsein. Natürlich gab es diese Uniform in allen Schichten, doch Qualität und Schnitt ließen merken, wo man hingehörte.

(Vgl. Weber –Kellermann, 1985, S. 105ff.)

Die Revolution 1918, bei der die Marine eine entscheidende Rolle spielte, brachte den Matrosenanzug in Misskredit. Dennoch wurde er in den verschiedenen Schichten noch viel getragen. Der Matrosenanzug als bürgerliche Kinderkleidung wurde von 1880 bis in die 30er Jahre in ganz Europa getragen. Erst mit dem Beginn des Nationalsozialismus, der diese Kleidung als bürgerlich – reaktionär verachtete, verschwand sie aus dem Schul- und Straßenbild (vgl. Hävernick, 1962, S. 21).

Die Beliebtheit dieser Kleidung entsprang nicht dem Resultat des Einflusses von Lehrern oder Eltern, sondern wurde von den Kindern selbst gewählt (Uniform der Kindheit). Als kulturelles Zeichen entsprach der Matrosenanzug der scharfen Grenzziehung zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus.

2.1.8 Die Turnkleidung

Zur Schulkleidung gehörte in zunehmenden Maße auch

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

die Turnkleidung. Wurden Leibes- und Turnübung in früherer Zeit verpönt und verboten, so nahm der Turnunterricht gegen Ende des 19 Jahrhundert allmählich zu. Zu der eigenen Kleidung gehörte oft eine spezielle Mütze, die der Schülermütze zumindest in der Form ähnelte. Geturnt wurde in einem weißen Drillichanzug mit weißer Mütze. Mit Trommeln, Pfeifen und mit Marschliedern ging es anschließend ins Schulhaus zurück. Hier wird wieder der militärische Charakter deutlich, der die Jugendlichen auf die spätere gesellschaftliche Rolle und den Militarismus vorbereiteten sollte (vgl. Weber –Kellermann 1985, S. 188ff).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Turnkleidung der Reformzeit für Mädchen, ein „Schul- und Turnkleid“ wurde um 1900 so entwickelt, dass keinerlei Bewegungseinschränkungen bestanden. Es bestand aus der Matrosenbluse, einem abknöpfbaren, nicht zu weiten Rock im Matrosenlook und dem darunter getragenen Reformbeinkleid. Außerdem waren Strümpfe vorgeschrieben. Zum Sport knöpfte man den Rock ab. Auch die Bluse war so geschnitten, dass sie jede Bewegung zuließ. So war das Schulkleid durch einfaches Abknöpfen des Rocks zu einem Turnkleid geworden (vgl. Luerssen, 1908, S. 604).

Später kam die Turnhose und das Turnhemd. Die Hosenkleidung der Mädchen kam in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhundert auf. 1935 gab das Staatsministerium bekannt: „Die Turnkleidung der Schüler besteht aus Hemd, Turnhose und Turnschuhen. Die Turnkleidung der Schülerinnen besteht aus einem einteiligen Turnanzug oder aus Turnbluse, Turnhose und Turnschuhen (zitiert nach Freyer, 1988, S. 121). 1928-30 hielt der Trainingsanzug seinen Einzug und wird vielfach bis heute in verschiedenen Formen als Freizeitkleidung getragen.

2.1.9 Die Wandervogelkluft

Die Wandervogelbewegung wurde 1896 aus einer Schülerwandergruppe am Steglitzer Gymnasium in Berlin gegründet und war eine Reformbewegung, ein Aufbegehren der männlichen Jugend gegen übermäßigen Schulzwang und langweilige Schulpartien (vgl. Pfeiffer, 2001, S. 1).

Bereits im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert besann man sich des Freiheitsgedankens J.J. Rousseau und näherte sich dem natürlichen Zustand des Menschen, der als Befreiung der Kinder interpretiert wurde. Das wesentlichste Kriterium des Wandervogels bestand in Wanderungen, die manchmal mehrere Tage dauerten. Auf diesen Wanderungen wollte man nichts verspüren vom Druck der Erziehung und Schule. Deutliches Zeichen des Protestes der Wandervogelbewegung war die Kleidung, die später auch in der Schule getragen wurde. Ihre Anhänger kleideten sich vor allen Dingen gesund (keine den Bewegungsdrang hemmende Kleidung), mit kurzen Hosen, bequemen Stiefeln, oder Sandalen, offenen Hemden, Hüten mit und ohne Feder (vgl. Weber –Kellermann, 1985, S. 129ff).

Ein Zitat aus einem Bericht an das Kulturministerium im November 1904 formuliert das eigentliche Wesen der Vereinigung:

„Zweck dieser Vereinigung ist, in der Jugend die Wanderlust zu pflegen, die Mußestunden durch gemeinsame Ausflüge nutzbringend und erfreulich auszufüllen, den Sinn für die Natur zu wecken, zur Kenntnis unserer deutschen Heimat anzuleiten, den Willen und die Selbständigkeit der Wanderer zu stählern, kameradschaftlichen Geist zu pflegen, allen Schädlingen des Leibes und der Seele entgegenzuwirken, die in und um unseren Großstädten die Jugend bedrohen, als da sind Stubenhockerei und Müßiggang, die Gefahren des Alkohols und Nikotins – um von Schlimmeren zu schweigen.“ (zitiert nach Pfeiffer, 2001, S. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Formulierung zeigt eine Fülle von Forderungen, die im Zusammenhang mit der Wandervogelbewegung auftraten. Hier wird eine Organisation deutlich (schriftliche Satzung), die eine Einordnung und Unterordnung innerhalb der Gruppe verlangt. Selbsterziehung und Selbstgestaltung war die Lebensmaxime. Ein wesentlicher Bestandteil war aber auch das Erfahren der Gemeinschaft. Es wanderte nicht der Einzelne, sondern alle durchlebten ein gemeinsames Grunderlebnis, und einen Ausbruch aus den bestehenden Konventionen und Gesellschaftsnormen der Elterngeneration. Ab 1904 bildeten sich verschiedene Bünde des Wandervogels, die sich 1912/13 im Wandervogel e. V. vereinigten. Aufgenommen wurden nun auch Mädchen und Volksschüler. Die Jugend aller Sozialschichten verbündete sich gegen die bürgerliche Gesellschaftsordnung, gegen den Materialismus und die veralteten Maximen ihrer Erziehung. Sie verstand ihr Verhalten als Revolte gegen die Eltern und deren Lebensart.

Nach dem Vorbild der englischen Boy–Scouts bildeten sich ab 1909 Jugendpflegevereinigungen unter dem Namen Pfadfinder mit militärisch ähnlicher Gliederung, die die Jugend körperlich und moralisch ertüchtigen sollte. Bei allen diesen Gruppierungen handelt es sich in den 20er Jahren um Angehörige verschiedenster Ideologien.

Der Wandervogel bestand in der deutschen Jugendbewegung bis 1933 fort. Der Umbruch zu diesem Zeitpunkt löste die alte Form ab und die Hitlerjugend trat als Staatsjugend in Deutschland hervor (vgl. Weber –Kellermann, 1985, S. 129ff).

In der Wandervogelbewegung wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Kinderkleidung, eine von den Jugendlichen selbst erdachte Tracht, die viele Elemente der Uniformierung aufwies, getragen.

2.1.10 Die Uniform der Hitlerjugend

Ab 1933 wurde die modische Freiheit der Gesellschaft mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zugunsten eines Uniformierungsdrangs und –zwangs der gesamten Bevölkerung verdrängt. Es gab kaum ein Lebensalter, das nicht davon betroffen war. Kinder in allen Altersgruppen konnten sich in einer altersspezifischen Gruppe wiederfinden, deren Kleidung genau festgelegt war (Kükenschar, Pimpfe, Deutsches Jungvolk, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel,). Die Gruppenzugehörigkeit wurde dadurch unterstützt, dass das Tragen der Uniform als Zeichen der Macht verbunden war mit gemeinsamen Aktivitäten. Bis 1934 sollten alle bündischen Jugendverbände in die Hitlerjugend überführt werden. Die Erziehung der Jugend wurde als Staatsrecht proklamiert. Alles, was sich an Verständnis für die Entwicklung der Kinder entwickelt hatte, ging in der Staatsideologie unter. Ziel war es, die Jugendlichen zu bewussten Staatsbürgern zu erziehen, als Träger der Staatsidee. Gleichzeitig fand eine strikte Rollen- und Geschlechterteilung statt. Die Mädchen sollten zur würdigen Rolle der deutschen Mutter und die Jungen in Schule und Staatsjugend zu einem starken, heroischem und kampfbereiten Jungen erzogen werden. Die Staatsideologie erforderte die gänzliche Aufgabe der eigenen Identität zugunsten der obersten Maxime: “Allein bist Du nichts, das Volk ist alles“. Die ständige Wiederholung solcher Parolen bewirkte einen erhöhten Identitätsverlust. An Stelle der Familie trat die anonyme Größe „Volk“.

Die gesamte Hitlerjugend gliederte sich nach 1934 in

Deutsches Jungvolk 10 – 14 Jahre

Hitlerjugend 14 – 18 Jahre

Jungmädelbund 10 – 14 Jahre

Bund Deutscher Mädel 14 – 18 Jahre

Bis 1936 versuchte man die gesamte deutsche Jugend (für Juden bestand ein Verbot der Mitgliedschaft) in der HJ zu erfassen. Zum selben Zeitpunkt erhob ein Gesetz die Jugend zur Staatsjugend und der damit verbundenen Erziehung.

„Gerade bei der Jugend muß auch die Kleidung in den Dienst der Erziehung gestellt werden.“ (zitiert nach Weber–Kellermann, 1985, S. 201). Sowohl die Tages- als auch die Sportkleidung war pedantisch genau vorgegeben. Alles Äußere unterlag einer radikalen Uniformierung. Es bedeutete eine Ehre, die Kleidung des Führers tragen zu dürfen. Jeglicher Fehler verstieß gegen den Ehrenkodex und wurde streng geahndet. Eigenartigerweise produzierten all diese Gebote und Sanktionen ein großes Eigenwertgefühl. Erstmalig trug die Jugend eine Uniform, die sich absetzte von der Uniform der Erwachsenen und den Uniformtypen vergangener Zeiten im Sinne einer verkleinerten Uniform (Kadettenuniform). Die Hitlerjugenduniform war etwas anderes, sie hatte viele Elemente der bündischen Wanderkleidung (Halstuch und Knoten, Kniestrümpfe, kurze Hosen) und auch die Opposition gegenüber den Eltern und der Erwachsenenwelt übernommen und wurde der Ideologie und den politischen Machtzielen durch gemeinsame Taten dienstbar gemacht.

(Vgl. Weber–Kellermann, 1985, S. 195ff.)

2.1.11 Die Uniform der Pionierorganisation und der FDJ

Am 7. März 1946 wurde die Freie Deutsche Jugend gegründet. Im Statut von 1955 heißt es, die FDJ verkörpere die in der DDR geschmiedete Einheit der Jugend und als dessen, ein Teil der patriotisch nationalen Front. Sie erkennt die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, als Wegweiser in eine vielversprechende Zukunft an. Aufgabe der FDJ war es, die Wachsamkeit der Mitglieder der FDJ und der übrigen Jugend zu stärken (vgl. Deutsches Pädagogisches Zentralinstitut, 1970, S. 25ff).

Die FDJ war eine offizielle Institution, die die Politisierung der Jugendlichen betrieb. Dabei bediente sie sich der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ für die Kinder und Jugend in der Schule. Die Gründung dieser Organisation wurde im Dezember 1948 beschlossen. Auf die Kinder und Jugendlichen wurde über die außerschulische Erziehung und die Erziehung innerhalb der Schule ein erheblicher politischer Druck ausgeübt, um den Kinderverband schnell zu einer Massenorganisation zu machen.

Dabei bedienten sich die Staatsträger einiger Symbole, die durchaus Parallelen zum Nationalsozialismus aufwiesen. Die Mitgliedschaft im Jungvolk und in der Hitlerjugend war gesetzlich vorgeschrieben. Die Mitgliedschaft in der FDJ und in der Pionierorganisation war zwar freiwillig, galt aber dennoch als Eintrittskarte für das gesellschaftliche und politische Leben. Ein Nichtbeitritt musste begründet werden. Das dreieckige Pioniertuch in blau für die Jungpioniere, in rot für die Thälmannpioniere, sollte die Einheit von Schule, Pionierverband und Elternhaus symbolisieren. Sowohl die Pionieruniform, weiße Bluse, schwarzer oder blauer Rock/Hose und Bundschuhe als auch das blaue FDJ-Hemd sollte auch in der Schule getragen werden. Deshalb wird diese Art der Uniformierung fälschlicherweise als eine Schuluniform bezeichnet, bringt aber lediglich die Mitgliedschaft zur FDJ- oder Pionierorganisation zum Ausdruck. Ab Mitte der 70er wurden meist nur zu besonderen Veranstaltungen noch Teile der Uniform getragen. Mitgliedsbücher, Pionier- und FDJ-Nachmittage, der tägliche Fahnenappell und die regelmäßige Ausübung des Pioniergrußes, die Übernahme von Lernpatenschaften, gemeinsame Lieder, Ferienlager und gemeinsame Organisation der Freizeit gehörten zu den festen Ritualen der FDJ und der Pionierorganisation.

2.1.12 Zusammenfassung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es in Deutschland zu keinem Zeitpunkt eine einheitliche Schulkleidung oder Uniform gegeben hat. In den Äußerungen über die Kleidung der Kinder kommt immer wieder der soziale Klassengeist und das kleiderstolze Prestigedenken zum Ausdruck. Das macht die fortwährenden Versuche der Uniformierung durch die Pädagogen zum Teil verständlich. Allerdings sollte dabei auch erwähnt werden, dass der Unterricht sowie der gesamte Schulbesuch in eine teilweise militärisch anmutenden und der Züchtigung dienenden Art und Weise abgehalten wurde. Die Kinder (vorwiegend die Jungen bis Ende des 19. Jahrhunderts) wurden durch Maßregelung und Züchtigung u. a. auch durch die Kleidung, frühzeitig in die Rolle des Erwachsenenlebens eingeführt. Erst mit der Reformbewegung Ende des 19. Jahrhundert wurde auf die Bedürfnisse der Kinder (sowohl der Mädchen, als auch der Jungen im Hinblick auf Kleidung, die dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder entsprach) Rücksicht genommen. Hierarchien zwischen den Klassenschichten, die sich sehr wohl auch in Kämpfen unter den Kindern äußerten, wurden mit den verschiedenen Kleidungszeichen (Qualität, Form, oder überhaupt den Besitz) gefördert. Erst die Wandervogelkluft als eine Ausdruck des Widerstandes gegen die Zwänge der Erziehung und der Abgrenzung gegenüber den Eltern schuf eine einheitliche jugendliche Tracht, die eine Identifikation mit Seinesgleichen bewirkte. Die Uniform der Hitlerjugend, wie auch die Uniform der Pioniere und FDJler, symbolisiert lediglich die Mitgliedschaft zu einer Organisation. Sie kann nicht als Schulkleidung oder –uniform bezeichnet werden.

2.2 Mode im Sinne des Symbolischen Interaktionismus

2.2.1 Mode als Symbol

Unter dem Begriff „Symbol“ versteht man einen „Vorgang oder Gegenstand, der als Sinnbild auf etwas anderes verweist oder für etwas anderes steht“ (zitiert nach Lexikon zur Soziologie, 1978, S. 762). Mode besitzt zwei sprachliche Wurzeln, modus = Art, Weise, Maß und modo = jetzt, eben, zeitgemäß und verweist auf die Vielgestaltigkeit der Mode. Mode umfasst dabei nicht nur die Kleidung, sondern auch Weltanschauungen, Verhalten, Ausdruck und Trends. Sie beeinflusst Verhaltensformen des Menschen-, wie Gestik, Sprache, Tanzformen, Freizeitverhalten u. a. Mode als soziales Regelsystem unterliegt besonders kurzfristigen Veränderungen, denen sich zumindest eine Gruppe unterwirft. Dieser gemeinsame Trend der Veränderung bewirkt eine Ähnlichkeit unter den Gruppenmitgliedern, nicht aber eine absolute Gleichheit (vgl. Ingeborg Petrascheck – Heim, 1966, S. 65ff).

Wenn Mode in der Theorie des sozialen Interaktionismus als Symbol aufgefasst wird, dann kann man Mode auch in bestimmten Situationen interpretieren. Damit bietet sie eine gewisse Handlungsgrundlage. Mode in dem hier gemeinten Sinne soll nicht als abstraktes System dargestellt werden, sondern als ein Teil handelnder und miteinander kommunizierender Menschen. Das bedeutet, es findet durch das Erscheinungsbild des Einzelnen eine Kommunikation mit der Umwelt statt. Gleichzeitig finden in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen individuellen und sozialen Bezugssystemen, deren Normen und Erwartungshaltungen, Prozesse der Identitätsfindung und –veränderung statt, die eine gewisse Gemeinsamkeit der Wertorientierung bedingen. Die verschiedenen Altersgruppen handeln als kollektive Subjekte, die sich in sozialen Symbolen äußern (vgl. Roderer 1986, S. 30ff).

2.2.2 Sozialisations- und Entwicklungsprozesse im Verständnis des symbolischen Interaktionismus

Persönlichkeit kann nicht ohne die Gesellschaft herausgebildet werden. Sozialisation (Lernleistung eines Menschen um den Anforderungen der Gesellschaft zu entsprechen – vgl. Reimann, 1975, S. 134) im Verständnis des symbolischen Interaktionismus ist gekennzeichnet durch Kommunikation und Interaktion und bestimmte Prozesse der Veränderung und Entwicklung. Als Ausgangspunkt wird der Mensch in einer symbolischen Umwelt betrachtet, mit der er im Laufe seiner Sozialisation kommuniziert. Die Individuen nehmen an einem fortlaufenden Prozess von Aktivitäten teil, der als situationsabhängiges und interpretatives Handeln bezeichnet werden kann. Identität wird nicht als abgeschlossen definiert, sondern bezeichnet einen durch Interaktion und Kommunikation gekennzeichneten und sich verändernden, fortlaufenden Prozess.

Mode als Symbol kann den Individuen Interpretationshilfe bieten, Situationen zu verstehen und unterstützend in sozialen Interaktionen einzugreifen. Besonders Jugendliche unterliegen dem Druck, auf dem neuesten und aktuellsten Stand zu sein, sich abzuheben, ihren Stil zu bewahren. Dabei zeigt sich gleichzeitig das Phänomen der Konformität. Unterwirft man sich nicht einer „individuellen Konformität“, einem Anpassen durch Auffallen, sind die Chancen einer Integration in eine Gruppe stark vermindert. Das bedeutet, dass das Zusammenleben in Gruppen, unter Einbezug der anderen Mitglieder und der jeweiligen Situation, als ein Prozess des Aufeinanderabstimmens der Aktivitäten gesehen werden muss.

Damit könnte man Altersabschnitte wie Kindheit und Jugend als kollektive Subjekte bezeichnen. Das würde bedeuten, dass sie sich auf ein gemeinsames Werte- und Normensystem gründen. Kleidermode steht immer auch als Symbol einer bestimmten Zeit, ihrer Ideale und Wirklichkeiten. Sie wird mit Werten besetzt und mit Maßstäben gemessen, die spezifisch für unsere Zeit sind.

(Vgl. Roderer, 1986, S. 85ff.)

2.2.3 Interaktionistischer Ansatz

Seit es nonverbale Kommunikationsforschung gibt, weiß man, dass die Kleidung, ebenso wie die Mimik, der Gesichtsausdruck und die Körpersprache dem Gegenüber etwas mitteilt. Dies lässt sich daran erkennen, dass das Gegenüber diese nonverbalen Zeichen für die Personenbeurteilung und für die Handlungsplanung heranzieht. Cardwell (1976, S. 99ff) fasst einige Grundgedanken des symbolischen Interaktionismus zusammen:

- Menschliches Verhalten ist in den meisten Aspekten kultureller Natur.
- Das als kulturell bezeichnete Verhalten erfolgt als Reaktion auf Symbole.
- Der Mensch ist fähig Symbole zu verwenden, wenn eine Einigung über Bedeutungen erreicht wurde.
- Die Bedeutung von Symbolen wird erlernt, d.h. der Mensch eignet sie sich im Laufe seiner Sozialisation an.

Bekleidungstücke sind solche Symbole, deren Bedeutung im Lauf der Sozialisation erlernt werden. Die vestimentäre Kommunikation ist ein sehr komplexer und dynamischer Vorgang. Nicht allein die Kleidung, Mimik etc. führt letztlich zur Beurteilung einer Person, sondern auch die Situation und das Umfeld. Man muss die vestimentäre Kommunikation als einen Kodierungs- und Entcodierungsvorgang auffassen. Dazu zwei Beispiele:

Einem Uniformierten folgt man eher, ohne nachzufragen.

Einem Telefonzellenbesucher mit einer qualitativ guten Kleidung wurde eher ein Geldstück zurückgegeben, das dieser liegen ließ (77%) als einem Menschen mit ärmlicher Kleidung (vgl. Bickmann 1971, S. 87ff).

Die Wirkung „guter Kleidung“, nachgewiesen in einer Vielzahl an Experimenten, in Bezug auf z.B. Hilfeleistung, Ehrlichkeit, Interviewbereitschaft unseres Gegenübers, beweist die kommunikativen Eigenschaften unserer Kleidung, allerdings nicht deren Wirkung. Untersuchungen von Berscheid und Walster (1975, S. 62ff), “Wer schön ist, ist auch gut“, ergaben eine positive Bewertung hinsichtlich gutaussehender Kleidung von Seiten der Erzieher in ihrer Einrichtung. Ordentliche, qualitative Kleidung und ein gutes Aussehen trugen dazu bei, Fehltritte milder zu beurteilen. Auch die Partnersuche geht fast ausschließlich nach äußeren Kriterien. Wer im Sinne der aktuellen Trends gut aussieht, ist unter Gleichaltrigen beliebter, d. h. Kleidungsverhalten steht auch bei Jugendlichen im Dienste des sich Schönmachens. Coole, den neuesten Trends entsprechende Kleidung, wird bewundert und der jeweiligen Person werden automatisch positive Eigenschaften zugeschrieben. Doch nicht allein dieses Erklärungsmuster genügt. Kleidung erfolgreicher Stars zu tragen oder Ähnlichkeit im Bekleidungsstil, nach der sog. „Similaritäts- Attraktions –Hypothese“, gleich zu gleich gesellt sich gern, kann genauso zum Erfolg führen. Mit der Symbolsprache der Konsumgesellschaft kauft man sich ein Selbstbewusstsein, d. h. indem Markenklamotten getragen werden, findet eine Identifikation mit dem damit verbundenen Lebensstil statt und das eigene Auftreten wird sicherer und cooler. Das hat wiederum zur Folge, dass der Jugendliche besser in der Clique ankommt (vgl. Dollase 1988, S. 99ff).

In Jugendgruppen werden vestimentäre Zeichen nicht nur symbolisch, sondern auch real überhöht – der Schein dominiert über das Sein, das Symbol wird zur Realität, Äußerlichkeiten werden zum wichtigsten Merkmal der Anerkennung. Kleidung wird zum entscheidenden Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit. Mögliche Gründe liegen in der Tatsache, dass Jugendliche ihre Selbstverwirklichung, zum Beispiel Anerkennung im Beruf, noch nicht realisieren können (ebenda).

Da die Bedeutung von Kleidungssignalen erlernt wird, kann sie je nach Subkultur auch unterschiedlich aufgefasst werden, d. h. ein und dasselbe Zeichen kann eine unterschiedliche Bedeutung haben. Sender und Empfänger assoziieren unterschiedliche Bedeutungen und verstehen sich folglich nicht. Was für den einen lässig wirkt, bezeichnet der andere als schlampig. Missverständnisse eines Gegenübers sind letztlich abhängig vom sozial determinierten Interpretationsrahmen des Decoders - Entschlüsselung, und des Encoders -Verschlüsselung (Alter, Subkultur, Kleidungserfahrung, etc.). In der Fachliteratur kommt der Decodierung eine größere Rolle zu, weil zumeist der Kleidungsstil vom Individuum selbst ausgeht. Ein Jugendlicher, der sich morgens anzieht, lernt die Bedeutung der vestimentären Details sowohl über die Rückmeldung der sozialen Umwelt als auch direkt über die Selbstbeobachtung im Spiegel kennen. Dabei können auch Fehler auftreten und die Umwelt hält den Jugendlichen auf Grund seiner Kleidung für etwas, was er nicht wirklich ist. Z. B. symbolisiert er durch seine Kleidung, ein ordentlicher Mensch zu sein, ist aber in der Realität völlig anders (vgl. Dollase, 1988, S. 107ff).

Warum trägt dieser Jugendliche diese Kleidung? Antworten auf diese Frage können mit den verschiedensten Erklärungsideen ermöglicht werden. Viele betonen die auf das Individuum einwirkenden Kräfte (Normen), andere mehr die Wünsche und Triebe (Innentheorie), und wieder andere den Kompromisscharakter von innen und außen (Kompromisstheorie), oder globale Fragen wie kleidet sich der Mensch überhaupt oder warum erhöht Kleidung das Selbstwertgefühl? Was der Mensch auch tut, tut er für sich selbst. Andersartigkeit demonstriert eine Abgrenzung und eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung und der damit verbundenen Identifikation (vgl. Dollase, 1988, S.113ff).

Äußere Erscheinung und die Kleidung sind ein wichtiger Faktor der Akzeptanz in Gleichaltrigengruppen. Konformität mit den Kleidungsnormen der peer – group und Akzeptanz korrelieren positiv miteinander. Z. B. ist nicht die Annäherung an die Kleidungsnorm einer Schulklasse, sondern die spezifische Untergruppe, in die man eintreten will, wichtig. Innerhalb einer Schulklasse gibt es innerhalb der verschiedenen Cliquen sehr verschiedene Normen, auch bezüglich des Kleidungsstils (vgl. Smucker & Creekmore, 1972. S.2 f).

2.3 Kinder- und Jugendsoziologie

2.3.1 Markenkonsum

2.3.1.1 Kaufverhalten

In sozialwissenschaftlicher Betrachtungsweise ist der Konsum von Waren und Gütern immer auch mit Prozessen verknüpft, die Bedeutungen transportieren und aushandeln und in denen kollektive Identitäten hergestellt werden. Warenobjekte sind nicht allein an ihrem materiellen Wert zu messen, sondern sie sind auch in ihrer sozialen Symbolik und im kontextgebundenen Gebrauchswert zu bewerten. Kinder und Jugendliche lernen Konsumverhalten durch Teilnahme und Beobachtung aber auch durch informelles Lernen (natürliches Lernen ohne Lehrer).

Kinder und Jugendliche als Konsumenten werden von der Wirtschaft sehr ernst genommen. Banken, Sportartikelhersteller und Textilketten bemühen sich enorm um diese Altersgruppe. Allein die Gruppe der 6 bis 17jährigen (fast 10 Millionen in Deutschland), gibt im Jahr ca. 18 Milliarden DM für Kleidung aus. Rechnet man noch einen Betrag für ihre Mitsprache bei Konsumentscheidungen der Familie hinzu, wird das Interesse der Wirtschaft verständlich. Sie sind „trendsetter“ in dem Sinne, dass sie ihre Eltern zum Kauf animieren. Wenn es um Handys, PCs oder Musik geht, wissen die Kinder und Jugendlichen heute häufig mehr als ihre Eltern (vgl. Künast, 2001, S. 1).

Das Kaufverhalten und Kleidungsgewohnheiten von 541 Kindern und Jugendlichen der Altersgruppe 9 bis 12, 13 bis 15, 16 bis 19 wurde von Koester und May (1985, S. 97ff) in den USA untersucht. Ergebnisse dieser Untersuchung ergaben:

- Die Selbstständigkeit der Jugendlichen bei Kleidungsauswahl, -pflege und –kauf, nimmt mit dem Alter zu.
- Der Einfluss der Eltern sinkt.
- Der Einfluss der Gleichaltrigen und Freunde ist bedeutender als der Einfluss der Medien.

Anzeigen und Werbung spielen für die Jugendlichen mit steigendem Alter eine zunehmende Rolle, haben aber letztlich nur eine richtungsweisende, den Rahmen absteckende Funktion. Gekauft wird nicht das exakte Nachbild der Werbung, sondern stilistisch ähnliches. Die tagtägliche Modeentscheidung wird stärker durch Freunde und Gleichaltrige bestimmt. Je älter ein Kind wird, um so intensiver macht es sich über die Kleidungsauswahl Gedanken.

In Deutschland werden ähnliche Kaufkriterien beobachtet. Als kaufauslösender Faktor wird der Markenname angesehen. Markennamen übermitteln deutliche Botschaften. Benetton, Boss, Nike, Adidas, Armani, Lacoste, Esprit und viele andere stehen für ein durch Werbung geprägtes Bild von Lebensstil. Bei Kaufentscheidungen dürfte neben den subjektiven Faktoren der Einfluss der jeweiligen Bezugsgruppe eine hervorragende Rolle einnehmen. Bei Kindern und Jugendlichen sind es besonders die Gleichaltrigengruppen und Jugendkulturen, deren Bewertung das Kaufverhalten beeinflusst. Die „richtigen“ oder „falschen Klamotten“ zu tragen stellt für die Mehrzahl der Jugendlichen ein wichtiges Merkmal der sozialen Befindlichkeit dar (vgl. Dollase, 1988, S. 94ff).

Stereotypenverhalten von Kleidung lässt sich bereits im Vor- und Grundschulalter feststellen. Die Geschlechterrollentypisierung, also die Zuordnung von Kleidung nach Geschlecht und Tätigkeit ist bereits im Kindergartenalter möglich. Der elterliche Einfluss ist bei den Kleinen, ebenso wie bei den Jugendlichen sehr gering (vgl. Wenige, 1979, S. 209f). Bereits Kinder nutzen die Kleidung als Kriterium für die Urteilsbildung über andere Personen. Sie soll aktuell sein, bequem und der Kleidung der Freunde ähneln. Jugendliche heben sich eher durch eine Kleidung, die hippiger und erwachsenähnlicher ist, ab. Gleichzeitig lässt sich in dieser Altersstufe ein weitaus höheres Interesse an Kleidung feststellen als in anderen Altersgruppen. Der Kauf von neuen „Klamotten“, weil die alten langweilig geworden sind, ist typisch für diese Altersstufe. Interessant dabei ist, dass Konformitäts-, Status-, Imitations- und Sexmotive nicht anders ausgeprägt sind als die der Erwachsenen. Der schnelle Wechsel der Trends und den damit verbundenen Kleidungswechsel gibt Annahme zur Theorie der Langeweile-Abwehr. Dies ist aber sicherlich komplexer zu betrachten (vgl. Horowitz, 1982, S. 627ff).

Wie schon erwähnt, setzen wir mit Kleidung und Körperdesign Zeichen, die nicht nur ästhetische Vorlieben zeigen, sondern auch Aspekte der Identität und des gewünschten Lebensstils ausdrücken. Da viele Produkte sich im Gebrauchswert kaum unterscheiden, wird die Marke zum entscheidenden Signal. Eine relative Konformität im Kleidungsverhalten ist das Ergebnis.

2.3.1.2 Uniformierung durch Konformität

Giffhorn (1974, S. 89) formuliert den Widerspruch von Identitätssuche und Uniformierung durch Kleidungsgewohnheiten so: „Jugendliche glauben überwiegend daran, einen “autonomen Geschmack“ zu besitzen und ihn zu realisieren. Dieser Ansicht widerspricht jedoch ihr konkretes Kleiderverhalten, das abhängt von dem Urteil der Autoritätspersonen und von Konventionen, vor allem aber – über das Vehikel des Urteils Gleichaltriger – von den jeweiligen durch Mode geprägten ästhetischen Normen“.

Ästhetische Normen, die sich ständig wandeln, werden von der Modeindustrie festgelegt und dem Konsumenten über die Werbung vermittelt. Das Ergebnis dessen ist eine relative Vereinheitlichung der Kleidung. Anstelle der angestrebten Autonomie und der Individualität wirkt das Kleidungsverhalten wie eine Art der Uniformierung. Dennoch ist der Konsummarkt für die Uniformierung nur zu einem Teil verantwortlich. Die Ablösung vom Elternhaus, mit dem Streben nach Autonomie und Selbständigkeit ist verbunden mit Rollenunsicherheit und Statusungewissheit. Der Jugendliche sucht Halt und findet ihn in der Gleichaltrigengruppe, die ihm die Sicherheit vermittelt, dafür aber auch Anpassung an die Norm abverlangt. Wie stark die Bindung innerhalb dieser Gruppe ist, äußert sich unter anderem in dem Tragen konformer Kleidung. Sie kleiden sich gruppenspezifisch, glauben aber an die Individualität ihres Kleidungsverhaltens und gestehen allenfalls, eine mehr oder weniger freiwillige Anpassung an ihre Clique im Sinne der freigewählten Zugehörigkeit. Es spielt hierbei keine Rolle, ob mit der Gruppe der Gleichaltrigen die Kleingruppe, in der sich alle kennen, oder die Großgruppe, in der man Jugendliche einer Altersgruppe innerhalb der Gesellschaft zusammenfassen kann, versteht. Gruppenkonformes Verhalten ist in beiden Gruppentypen ablesbar (vgl. Bleckwenn, 1981, S. 163ff).

In sozialpsychologischen Thesen gilt die Kleidung nicht nur als Rollenattribut, also als Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit und der Position in dieser, sondern auch als Ausdrucksmittel der Persönlichkeit, der Selbstentfaltung und Verwirklichung. Das Verhalten gegenüber den Normen der Gruppe kann sehr unterschiedlich geprägt sein. Eine starke Gruppenbildung drückt sich in einer selbstverständlichen Beachtung auch der individuellen Kleidervorschriften aus. Eine eigene Variation der Kleidung zeigt an, dass das betreffende Individuum den Mut hat, die Gruppennormen nicht exakt zu befolgen, mit der Gefahr der Unakzeptanz. Ausnahmen sind Menschen, die in der Gruppe eine hohe Anerkennung besitzen oder sich in der Führungsposition befinden.

Wie kommt es zu einem konformen Kleidungsverhalten? Dem heranwachsenden Kind und später dem Jugendlichen werden von zahlreichen Stellen Modelle geliefert, an denen es sich orientieren kann. Dabei spielen Sozialisationsagenten wie Familie, Kindergarten und Schule, die Gleichaltrigengruppe und Freunde sowie Massenmedien, Comics und Idole eine vorrangige Rolle. Erklärungsmodelle:

1. Die Austauschtheorie

Der Mensch hat ein Bedürfnis, seine eigenen Fähigkeiten und Meinungen zu beurteilen. Fehlen objektive Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, werden Meinungen und Fähigkeiten anderer Personen hinzugezogen. Gleichzeitig verringert sich die Tendenz eines solchen Vergleiches zwischen sich und anderen Personen, je größer die Ähnlichkeit ist.

Das Individuum wählt demnach Verhaltensweisen oder Rollen, die ihm einen hohen Austauschsgewinn einbringen. Als besonders lohnend empfunden werden Werte wie Zuneigung, Beistand oder Prestigegewinn. Dies führt teilweise zu einem kompletten Wechsel der Konsumgewohnheiten zugunsten der jeweiligen Bezugsgruppe (vgl. Kroeber – Riel, 1992, S. 484ff).

2. soziales Lernen am Modell

Eine besonders wichtige Form des sozialen Lernens ist das Lernen durch Beobachtung. Die bekannteste Theorie hierzu stammt von Bandura - Lernen am Modell. Danach wirken folgende Vorgänge:

- Aufmerksamkeit – Hinwendung zum Modell,
- gedankliche Übernahme und Erinnerung an das Modellverhalten,
- reale und körperliche Umsetzung dieses Verhaltens,
- motivationale Verstärkungsprozesse durch das Umfeld.

Von einer Vielzahl an Beobachtungen wird natürlich nur ein geringer Teil tatsächlich umgesetzt (vgl. Kroeber – Riel, 1992, S. 645ff)

Beide Theorien verkörpern eine Identifizierung mit dem gewählten Umfeld, wobei Banduras Theorie nicht unbedingt an eine Gruppe von Personen direkt gebunden ist.

Natürlich gibt es eine Vielzahl an theoretischen Modellen, die an dieser Stelle keine weitere Erwähnung finden.

2.3.2 Die Gleichaltrigengruppe

2.3.2.1 Soziale Normen und Rollenverhalten

Das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein des Menschen bedingt, dass er Vorschriften, Regeln und Gesetze einzuhalten lernt und akzeptiert, die von der Gesellschaft und der Kultur anerkannt werden. Ein wesentlicher Zug der menschlichen Entwicklung ist die Anpassung an gesellschaftlich anerkannte Normen. Sozialisationsinstanzen wie die Familie, die Schule, die Ausbildungsstätte etc., aber auch die Gleichaltrigengruppe spielen dabei eine entscheidende Rolle. Aus der individuellen Perspektive betrachtet handelt es sich beim Prozess der Normübernahme auch um wählendes, d. h. aktiv selektierendes und somit in beträchtlichem Maße selbstbestimmtes Verhalten: Welche Normen und Rollen übernommen werden, hängt vom Individuum selbst, aber auch von der sozialen Umwelt ab.

Die Gruppe der Gleichaltrigen in der Adoleszenz wirkt als eine Art der „Selbsterziehungsinstanz“ mit typisch jugendlichen Verhaltensformen. Jede Gleichaltrigengruppe besitzt verhaltenstypische Normen und Erwartungen an die Mitglieder, die gruppenspezifisch sind. Oftmals sind sie im weiteren Sinne die Fortsetzung elterlicher Wertvorstellung in einem anderen Bezugsrahmen. In dem Bedürfnis nach Statusbildung (in einer Phase der Statusunsicherheit und dem Bedürfnis der Darstellung nach außen) finden sich Jugendliche in informellen Gruppen zusammen. Gemeinsame Kommunikationskanäle und Perspektiven stellen eine Art Bezugssystem dar, an dem sich das Handeln der Jugendlichen ausrichtet (vgl. Oerter, S. 123ff).

Das Verhalten innerhalb der Gleichaltrigengruppe wird durch Vorschriften, den sozialen Normen, geregelt. Sie sind für alle Mitglieder innerhalb eines gewissen Spielrahmens verbindlich. Normen finden u.a. in den folgenden Punkten Ausdruck:

- Gestaltung der äußeren Erscheinung: Kleidung, Frisur, Betonung des Geschlechts
- emotionalen Ausdrucksverhalten: Welche Gefühle können gezeigt werden?
- Darstellen des Selbst: Wann darf man ehrlich sein, seine politische Meinungen äußern, etc.?
- Soziales Verhalten: Hänseleien, körperliche Auseinandersetzung, Sympathie
- Sprachverhalten: Dialekt, Kraftausdrücke, Tabuthemen
- Regelorientierung: Welche Regeln müssen befolgt werden?
- Vorweisen von Statussymbolen: Beruf der Eltern, Auto, Markenkleidung
- Präferenz von Musikrichtungen, -titeln oder Interpreten bzw. Stars

Es werden nicht nur Normen innerhalb einer Gruppe aufgestellt, sondern auch Positionen bestimmt, die von den Einzelnen eingenommen werden. Soziale Rollen werden als das Verhalten verstanden, das von einem Individuum in der jeweiligen Position erwartet wird. Dabei wird dieses erwartete Verhalten durch soziale Normen der Gruppe bestimmt. Z. B. ist die Rolle des Schülers und Lehrers durch eine Vielzahl von Verhaltensvorschriften geregelt. Nur durch Rollenverhalten erhält der andere Gewissheit, wie wir ihm gegenüber reagieren, ebenso wie wir selbst das Verhalten des Anderen dadurch abschätzen können (ebenda).

Ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung besteht darin, die Position des anderen einzunehmen und die eigene Person von außen zu sehen. Nur so kann der Mensch sich selbst begreifen, aber auch Verhaltensweisen der anderen verstehen und das eigene Verhalten darauf abstimmen. Die Rolle des anderen im Wechsel mit der eigenen Rolle zu übernehmen bezeichnet man als role-taking. In der Fähigkeit des Rollenverständnisses geht es um die lebenslange Aufgabe, soziale Rollen die man im Laufe seines Lebens übernehmen muss, individuell auszugestalten. Das bedeutet, eine Rollenübernahme ist keine totale Anpassung, sondern jede Rolle wird mit einer Individualität bekleidet. (vgl. Oerter, S. 30ff).

Auf der Suche nach Selbstfindung und der Distanzierung zur Kindes- und Erwachsenenrolle findet der Jugendliche Unterstützung in der Gleichaltrigengruppe. Dort zeigen sich typische Verhaltensmuster. Diese konformen Verhaltensweisen entstehen durch den Wechselwirkungsprozess des Einzelnen mit der Gruppe. Regeln und Normen bewirken eine Verstärkung oder Abschwächung dieser Verhaltensweisen. Mit Hilfe der Sanktionierung oder der positiven Anerkennung des Verhaltens erfolgt die direkte Bewertung des Handelns mit den entsprechenden positiven oder negativen Konsequenzen. Die Verhaltensregeln einer derartigen Gruppe unterscheiden sich häufig sehr von denen der Erwachsenen. Dies führt zu Missverständnissen und zu einem Rollenkonflikt (Selbständigkeit und Identitätsfindung gegenüber dem Leben im Elternhaus und materieller Abhängigkeit). Das Bedürfnis nach echten Gefühlen wie Bestätigung, Begeisterung, aber auch das Bedürfnis nach einem ständigen Wechsel der Rollen (sich ausprobieren) bringt eine Rollenunsicherheit mit sich. Diese Unsicherheit wird meist durch Überheblichkeit kompensiert (Muskelkraft, Aggressivität, übertriebene Verhaltensweisen, ständiges Tuscheln, Kichern). Dennoch ist die Interaktion in der Gruppe eine wichtige Vorrausetzung der Identitätsbildung (ebenda).

Der soziale Ort für die Bildung dieser Gruppen ist in erster Linie die Schule. Demnach haben die Kinder und Jugendlichen auch meist den gleichen Status hinsichtlich der Schulzugehörigkeit und der sozialen Herkunft. Die Beziehungen innerhalb der Gruppe führen zu einer sozialen Kooperation der Mitglieder, die u.a. in folgenden Merkmalen zum Ausdruck kommt: Die Gruppe hat:

- Eine eigene Identität, die von den Mitgliedern und häufig auch von Außenstehenden als eine soziale Einheit aufgefasst wird,
- Eine soziale Ordnung, die den Mitgliedern ihre Position in der Gruppe zuweist und ihre Tätigkeiten regelt,
- Verhaltensnormen, die das Verhalten der Mitglieder bestimmen und standardisieren,
- Werte und Ziele, die vom Einzelnen als verbindlich angesehen werden.

(Vgl. Kroeber–Riel, 1992, S. 443ff.)

2.3.2.2 Der Charakter der Gleichaltrigengruppe

Vergleichsstudien des Jugendwerks der Deutschen Shell von 1959 – 1991 haben empirisch belegen können, dass die Beziehungen zwischen Gleichaltrigen in der letzten Zeit eine immer größere Bedeutung erlangt haben. Freunde als Vertrauenspersonen, die Mitgliedschaft in Vereinen und die Aufenthaltsdauer in Cliquen hat kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Die Jugendlichen sind heute unter modernen Lebensverhältnissen verstärkt auf die Fähigkeit angewiesen, ihre sozialen Beziehungen zu organisieren als es früher in den traditionellen Familienzusammenhängen der Fall war (vgl. Jugendwerk des Deutschen Shell1992, S. 295ff).

In der Situation der generellen Entstrukturierung der Gesellschaft, bietet die Jugendgruppe Identifikationsmöglichkeiten und gibt damit eine Orientierung. Gemeinsam können die Jugendlichen einen eignen Lebensstil, Werte, Normen, Ausdrucksmöglichkeiten und soziale Beziehungen entwickeln. Dabei nutzen sie Elemente der Erwachsenenkultur und entwickeln daraus ihren eigenen Stil. Nicht selten werden Lebenseinstellungen gewählt, die sehr von den Vorstellung der Erwachsenen (Generationenkonflikt) abweichen (vgl. Fend, 2000, S. 304ff).

Gruppenbildungen unterscheiden sich nach dem Organisationsgrad. Dieser kann sehr lose sein und nur durch äußere Anlässe (Zusammensetzung einer Schulklasse) gebildet werden. Der Organisationsgrad kann steigen, wenn eine Gruppe sich als eine feste Clique mit einer Rollenverteilung begreift. Generell geht die amerikanische Forschung davon aus, dass in der frühen Adoleszenz im Alter von 10 bis 13 Jahren der Einfluss der Eltern noch relativ hoch ist und mit zunehmenden Alter nachlässt.

Die Jugendpsychologie insbesondere in der Ausarbeitung von Fend (2000, S. 304ff) hat die Thematik der Besonderheit der Lernumgebung von Gleichaltrigen sehr differenziert behandelt und kommt zu folgenden Ergebnissen:

- Das Eltern – Kind - Verhältnis ist asymmetrisch, das unter Gleichaltrigen symmetrisch, d. h. die Interessen sind hier fast gleich.
- Die Eltern – Kind – Beziehung ist biologisch geprägt und muss nicht hergestellt werden. Unter Gleichaltrigen muss die Beziehung erarbeitet und erhalten werden.

Trotz des labilen Charakters der Gleichaltrigenbeziehung besitzt diese Beziehung ein hohes Lernpotenzial. Kinder und Jugendliche können in der gleichgeschlechtlichen und später in der gegengeschlechtlichen Gruppe untereinander Themen besprechen, die mit den Erwachsenen Tabu sind. Bedürfnisse der Akzeptanz, der Zugehörigkeit, der Suche nach Bestätigung, Korrektur und Normen der Gegenseitigkeit können in solchen Beziehungen besonders gut erlernt werden. Freunde werden nicht nur nach räumlicher und sozialer Nähe und nach dem Alter gewählt, sondern auch nach vermuteten Ähnlichkeiten mit der eigenen Person. Erst ab dem 6. Schuljahr werden Freundschaften bewusst nach Ähnlichkeiten, Interesse und Einstellungen gebildet. Die Gleichaltrigen sind in der Adoleszenz unentbehrliche soziale Umwelten, die wichtig sind, um ein Selbstverständnis zu entwickeln, sich mit anderen zu vergleichen und Ereignisse zu hinterfragen. Dem Wandel der Bedürfnisse, dem Bezug zu Gleichaltrigen, zu Spielkameraden, zu Freunden, bis hin zum anderen Geschlecht können Eltern nicht gerecht werden. Daher ist der Bezug zur Gleichaltrigengruppe für die Persönlichkeitsentwicklung von großer Bedeutung.

Zu beachten ist allerdings auch, dass die Lernchancen in diesen Beziehungen nicht immer als positiv zu betrachten sind. Nicht jede Freundschaft birgt auch positive Werte (Gefahr der Kriminalität und Rauschkonsum in negativer Sicht). Beziehungen innerhalb der Gruppe können ebenso auch negativ genutzt werden (Unterwerfung, Ausnutzen von Personen). Die individuelle Verantwortung kann innerhalb der Gruppe sinken, nämlich dann, wenn der Einzelne sich auf die Stärke der Gruppe verlässt. Gleichzeitig können Vorurteile gegenüber Gruppenfremden aufgebaut werden. Eine soziale Ablehnung und sozialer Ausschluss könnten erhebliche Schäden der Identitätsfindung des Einzelnen bedeuten. Dennoch ist die Integration in der Gleichaltrigengruppe für den Identitätsbildungsprozess enorm wichtig.

Die Rolle der Gleichaltrigengruppe für die Sozialisations- und Persönlichkeitsentwicklung:

- Sie schafft einen durch Normen geschützten Raum, in dem verschiedene Identitäten (Konsumentenrolle, Geschlechtsrolle, Meinungsbildung) ausprobiert werden können.
- Sie hat eine wichtige Funktion im Ablösungsprozess von den Eltern.
- Sie ist unerlässlich, um „Beziehungsfähigkeit“ zu erlernen und soziale Bindungen eingehen zu können (Verantwortlichkeit, Fairness, Intimität).
- Sie ist ein Übungsfeld für Prinzipien der Gegenseitigkeit (Perspektivenübernahme, Konflikte aushandeln, Geben und Nehmen, Teilen von Meinungen).
- Sie bietet die Möglichkeit der moralischen Regulierung des Handelns, die Bereitschaft und Fähigkeit zum hilfreichen Handeln für andere (prosoziales Verhalten).

(Vgl. Fend, 2000, S. 308ff)

2.3.2.3 Die Bedeutung der Gleichaltrigengruppe in der Schule

Generell lässt sich sagen, dass mit dem Eintritt ins Schulleben ein Anstieg von Konflikten zwischen den Heranwachsenden zu beobachten ist. Diese Konflikte können als Begleiterscheinungen von Strukturierungsprozessen in der Gleichaltrigengruppe interpretiert werden. Im Verlauf der Schulzeit bilden sich zunehmend stabile Beziehungskonstellationen heraus. Dabei bleiben manche Kinder auf der Strecke. Befunde soziometrischer Wahlen ergeben, dass durchschnittlich 15 % der Schüler aktiv von den anderen Schülern abgelehnt werden, 10 % als wenig beachtete Außenseiter gelten und 5 % als kontrovers eingeschätzt werden. Hinweise zur Interaktion zwischen Gleichaltrigen ergeben u. a. Studien zum kooperativen Lernen (ebenda). Das Ergebnis zeigt, dass Gruppenarbeit zu einer höheren Leistungsmotivation, zu günstigeren sozialen Einstellungs- und Verhaltensmustern sowie zu einer größeren Toleranz gegenüber Außenseitern beiträgt. Dennoch werden in einigen Fällen unerwünschte Nebeneffekte, wie die Durchsetzung der Meinungsführer oder der Umstand, dass leistungsstärkere Schüler zum Nachteil der schwächeren Schülern den Unterricht bestimmen, nachgewiesen (vgl. Krapp / Weidenmann, 2001, S. 264ff).

Wann hat ein Schüler einen für sich befriedigenden sozialen Status innerhalb der Klasse erreicht? Dazu muss eine Vielfalt möglicher individueller Positionen, die der einzelne Schüler einnehmen kann, beachtet werden. Einem Schüler genügt die Freundschaft zu einem Mitschüler, ein anderer wechselt vielleicht zwischen verschiedenen Cliquen hin und her. Weiterhin gibt es viele Spezialisierungsmöglichkeiten wie Konzentration auf Schulleistungen, Sport, Helferrollen, oder Attraktivität des Körpers, auf die persönlicher Wert gelegt wird. Daran zeigt sich, dass der soziale Status zur Zufriedenheit eines Schülers sehr verschieden aussehen kann. Die Antwort lässt sich nicht verallgemeinern. Ergebnisse einer Longitudinalstudie in Deutschland und zwei Zusatzstudien in der Schweiz zeigen folgende Ergebnisse:

- Mädchen bewegen sich weniger in Cliquen und dafür mehr in Zweierbeziehungen als Jungen
- In Hauptschulen sind die Jungen häufiger in außerschulischen Cliquen eingebunden als in Gymnasien
- Jungen in Hauptschulen sind in etwa bis zu 60 % in Cliquen, Mädchen in Gymnasien etwa nur bis zu 30 %
- Mit einer höheren Schulform erhöht sich auch die Zunahme von Zweierbeziehungen der Mädchen

(Vgl. Fend, 1998, S. 328ff)

Dieser Unterschied zwischen den Schulformen lässt die Vermutung zu, dass die Kinder und Jugendlichen in unterschiedlichen sozialen Welten leben. Schüler in höheren Schulen, also mit einem höheren Bildungsniveau, können die Eigenständigkeit mehr betonen und verstärkt ihre Freundschaften nach Vertrauen und Intimität aussuchen. Hauptschüler dagegen gehen möglicherweise in der Gruppengemeinschaft auf, ohne große Ansprüche an die Gespräche und Gemeinsamkeiten des Denkens zu stellen.

2.3.2.4 Meinungsführer in der Schulklasse

Im Verlauf zunehmender sozialer Interaktionen unter den Schülern sowie im Unterrichtsgeschehen bilden sich allgemeine soziale Normen heraus. Sie beziehen sich vor allem darauf, welche Verhaltensweisen in bestimmten Schulsituationen als angemessen gelten und welche nicht. Wie oft sollte man sich z. B. im Physikunterricht melden, ohne als „unbegabt“, oder als „Streber“ zu gelten? Je enger die Grenzen innerhalb der Klasse für angemessenes Verhalten gezogen werden, desto „bedrohlicher“ wird die Interaktion innerhalb der Klasse. In der Schulklasse entstehen Hierarchien (Führer und Nachfolger). Damit können auch Unterdrückungs- und Ausbeutungsprozesse verbunden sein. Sogenannte Meinungsführer, die bei den Mitschülern besonders beliebt sind (meist ein bis zwei Schüler pro Klasse), bestimmen die in der Klasse geltenden Normen. Zu 65 % sind dies Jungen. Die unbeliebten, aber im Mittelpunkt stehenden Schüler, fallen durch ein problematisches Verhalten auf, schätzen die Klasse schlecht ein und glauben auch nicht, dass sie beliebt sind. Sie sind sozial eher uninteressiert und aggressiv und drängen sich durch störendes Verhalten in den Vordergrund. Dieses Verhalten wird an die Familie weitergeleitet und führt auch dort zu einer Belastung der familiären Situation (vgl. Fend, 2000, S. 318ff).

Beliebte Meinungsführer dagegen treten sympathisch, kompetent und sozial eingestellt auf. Dennoch signalisieren sie eine eindeutige Distanz zur Kultur der Erwachsenen. Sie sind eher weniger zu Anstrengung bereit, treten in Opposition zu den Lehrern und fallen schon in sehr frühen Jahren durch eine deviante Verhaltensweise (Rauchen, Alkoholkonsum) auf. Meinungsführer ragen häufig heraus durch eine gute schulische Leistung – geben allerdings an, sich weniger für die Schule anstrengen zu müssen; verbale Intelligenz, hohes Selbstbewusstsein, Zufriedenheit mit sich selbst, sie sind sportlicher als ihre Mitschüler und äußern selbstbewusst ihre Meinung. Sie vermitteln den Eindruck, intelligenter und weiter in der Entwicklung zu sein als ihre Mitschüler. Meinungsführer haben auf Grund ihres Geltungsstatus eine intensive soziale Einbettung in Cliquen. Sympathiestrukturen spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Diese Klassenstrukturen bringen einzelne Schüler in einen Konflikt. Der Schüler, der gute Leistungen erbringen und von den anderen dennoch anerkannt werden will, provoziert individuelle und kollektive Schutzmechanismen. Er muss sich für eine Norm entscheiden, entweder für die formelle oder die informelle Norm. Wenn z.B. Distanz zur Schule demonstriert wird, werden gleichzeitig Leistungsschwächere vor der Wirkung negativer Beurteilung geschützt. Damit werden außerdem die Mitschüler in Schach gehalten, die zur Übererfüllung der Leistung neigen und damit die Schwächeren so noch weiter zurücktreiben (vgl. Fend, 1998, S. 292ff).

In den letzten Jahren hat sich der Trend der Attraktivität als ein Symbol der sozialen Anerkennung (Tragen von Markenkleidung) besonders hervorgehoben. Kennzeichnend dafür ist, dass die Kleidung und das äußere Erscheinungsbild das Wir-Gefühl unter gleich gekleideten verstärkt. Damit wird eine deutliche Abgrenzung oder eine Zugehörigkeit zu den Anderen provoziert und Außenseiter werden ausgegrenzt. Gleichzeitig vermittelt die Kleidung mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe Stärke, Sicherheit und Selbstbewusstsein.

Diese Merkmale führen zu einer verstärkten Cliquenbildung. Dadurch können innerhalb einer Schulklasse mehrere Cliquen mit der jeweiligen Markenzugehörigkeit herausgebildet werden. Innerhalb dieser Cliquen zeigen sich wiederum Meinungsführer, die dann in der Klasse gemeinsam oder in der Diskussion mit den anderen Meinungsführern die Normen der Klasse weitgehend bestimmen. Diese Tendenz der verstärkten Cliquenbildung und der damit verbundenen Auseinandersetzung innerhalb der Schulklasse (soziales Klima in der Klasse) ist ein aktuelles und zentrales Problem. Untersuchungen zeigten das Kaufrauschkids egal, welchen Schultyp sie besuchten, im unteren Leistungsbereich zu finden sind. Die Schule als sozialer Raum, ist auch der Platz, an dem die Schüler ihre eigene Wirkung testen können und Regeln für das tägliche miteinander lernen sollen. Nicht alle Schüler können mit einer guten Leistung beeindrucken, da ist das Markenlogo mit dem damit verbundenen Prestigegewinn leichter zu bekommen. Betrachtet man die Schule als Arbeitsplatz der Kinder, stellt sich die Frage nach der Kleiderordnung ebenso wie in der Bank oder im Krankenhaus. Der Frage, in wie weit Schulkleidung zur Lösung beitragen könnte, wird anhand der empirischen Studie (Datenerhebung anhand von Fragebögen in drei Hamburger Schulklassen) nachgegangen.

2.4 Kinder- und Jugendpsychologie

2.4.1 Identität

2.4.1.1 Identität als lebenslanger Prozess

Ich-Identität. Fähigkeit und Bereitschaft, Fremderwartungen und eigene Bedürfnisse so zu verarbeiten, dass ein eigenes selbstbestimmtes Rollenverhalten entwickelt und praktiziert werden kann“ (Petillon, 2001, S. 655). Im Jugendalter steht die Aufgabe, eine selbstverantwortliche und eigenständige Persönlichkeit zu werden, im Mittelpunkt. Die Jugendzeit wird zur Lebensphase des Zweifelns, der bewussten Reflexion und der sich entwickelnden Autonomie. Es geht in dieser Altersphase darum, eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ zu finden und sich eine Position zu sich selbst und seiner Umwelt zu erarbeiten.

Die Entstehung von Identität ist nur im Zusammenhang sozialer Prozesse denkbar. Identität und Interaktion bedingen sich gegenseitig. Die Identitätsbildung und die Identitätsveränderung muss als ein lebenslanger Prozess verstanden werden, der in Abhängigkeit zur spezifischen Umwelt steht. Nach Krappmann (1982, S. 8) bedeutet Identität die Leistung eines Individuums, um an Kommunikation und gemeinsamen Handeln teilzunehmen zu können. Daher bedeutet Identität vor allem ein Prozess, vergangene Erfahrungen mit dem neuen Situationsbezug zu erweitern.

Die übernommene Struktur sozialer Haltungen (Rollenübernahme) ist nicht gleichzusetzen mit Identität. Die Erwartungen, Einstellungen der Gruppe und das eigene Hineinversetzen in diese Haltung beeinflussen und formen die Handlungen und das von sich selbst entworfene Bild. Identität bedeutet deshalb auch Anpassung und Konformität (Mead, 1934, S. 404).

Goffman (1974, S. 71ff) stellt aufgrund von Alltagsbeobachtungen einen neuen Zugang zur Identität her. Er stellt fest, dass die an der Interaktion Beteiligten häufig nicht in der Lage sind, den gestellten Erwartungen zu entsprechen. Dadurch sind sie gezwungen, eine „Identität“ aufzubauen, die scheinbar den sozialen Erwartungen entspricht. Gründe für die Unerfüllbarkeit dieser Erwartungen liegen einerseits in der Rolle und der Mehrdeutigkeit der Interaktionssituation selbst und andererseits in der Tatsache, dass das Individuum sich ganz verschiedenen und sogar sich gegenseitig ausschließenden Rolleninhalten und Gruppen verpflichtet fühlt. Das Individuum ist meist in ganz verschiedene Bezugssysteme integriert. Die häufig widersprüchlichen Forderungen dieser Beziehungssysteme erfordern eine Rollenübernahme, die Konflikte erzeugen kann.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, zeigt das Individuum eine “Scheinnormalität“, d. h. durch „als ob “- Übernahmen stellt das Individuum in jeder Interaktionssituation auch einen Bezug zu allen anderen Rollen her, um dadurch erkennen zu geben, dass es den Anforderungen nicht voll entsprechen kann und darf. Dieser Prozess begünstigt die Bildung der Individualität. Die gesellschaftliche Bedingtheit der Rollenübernahme schließt die individuelle Identität natürlich nicht aus. Jede einzelne Identität besitzt einzigartige Merkmale, da jeder ganz individuell seine Position und Haltung in diesem gesellschaftlichen Prozess formt. Die personale Identität nach Goffman betont die Einzigartigkeit des Individuums vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensbiographie. Diese Einzigartigkeit und die gleichzeitige Fähigkeit zur Kontinuität gilt als Vorraussetzung für deren Einzigartigkeit, denn nur durch Kontinuität ist es für Andere jederzeit möglich das Individuum als dasselbe zu erkennen.

Identität nach Goffman bedeutet die Balanceleistung zwischen sozialer und personaler Identität, wobei soziale Identität auch bedeutet, Erwartungen zu entsprechen und sie auszuhandeln, während personale Identität die Einzigartigkeit der Biographie beschreibt.

(Vgl. Roderer, 1982, S. 72ff.)

2.4.1.2 Identitätsarbeit im Jugendalter nach Erikson

Die beginnende Schulzeit bis zum Beginn der Pubertät wird von Erikson (1988, S. 123ff) als eine Zeit der intensiven Beschäftigung mit selbstgewählten Dingen und als Tätigsein in Verbund mit anderen beschrieben. Es ist die Zeit der Lernbereitschaft, der Außenorientierung und der Aufnahme der Umwelt. Das Kind schließt sich Gleichaltrigen an und sucht Identifikationsmöglichkeiten zu Erwachsenen. Es hat einen unbändigen Betätigungsdrang, entwickelt aus dem Gefühl, Dinge bewältigen zu können und nützlich zu sein durch ausdauernden Fleiß und Stetigkeit. Gerade hier in dieser Phase besteht die Gefahr des Gefühls der Minderwertigkeit. Bestärkendes Verhalten der Lehrer und der Eltern ist deshalb in dieser Lebensphase ein Kernaspekt der Pädagogik. Bekommt das Kind aber die Botschaft, immer ungenügend zu sein, kann es sich nicht von seinem Lehrer lösen (Musterschüler). Daraus entstehen Barrieren für die sich anschließende Identitätsfindung in der Jugendphase.

In der Jugendphase wird an der Frage „Wer bin ich?“ (Innenwendung) gearbeitet. Eine höhere Form des Vertrauens (Vertrauen in sich selbst, Treue zu sich selbst und zu dem, was man für das Eigene und Eigentliche an sich selbst hält) muss entstehen. Nur dadurch wird der Mensch für andere Vertrauenswürdig und bereit für die nächste Entwicklungsphase (Lösung der Intimitätsthematik). Entwicklungsgefahren hat Erikson als Identitätsdiffussion bezeichnet. Sie zeigt sich in:

- einer Auflösung der Zeitperspektive (es fällt schwer eine Kontinuität zu entwickeln und an das zukünftige Sein zu denken)
- einer Identitätsbefangenheit (Unfähigkeit sich als Person identisch zu fühlen und darzustellen – Blickvermeidung, Neigung zu Überkonformität)
- einer Flucht in die negative Identität – Pseudoidentität (das Eigene wird durch das Gegenteil, zu dem was andere erwarten, ersetzt)
- Arbeitslähmungen (auf Grund unrealistischer Forderungen und ein Ich-Ideal, das sich nur mit Allwissen zufrieden gibt, ist eine Konzentration auf die Arbeit nicht möglich.)

Viele Selbstdarstellungen Jugendlicher lassen sich als Versuch interpretieren, eine eigene Besonderheit, eine eigene Identität zu zeigen. Dies kommt in auffälligen Formen der Kleidung, der Körpergestaltung (Haarfarbe, Piercing, Tätowierungen) und in einem coolen Verhalten zum Ausdruck. Dennoch entwickelt sich hier weniger ein „Weg nach Innen“, sondern vielmehr der Versuch, über eine Gruppenidentität innerhalb von Cliquen eine Stabilität im Selbst zu gewinnen. Das ist wichtig, für den Ablösungsprozess aus dem Elternhaus. Identitätsarbeit kann aber auch durch diese Außenorientierung gefährdet sein, ebenso durch Formen der Überidentifikation mit Erwachsenen und Eltern, das Anklammern an Vorbilder, oder festgefügte Positionen, Vorurteile und Ideologien, wenn diese Orientierung eine zu starke Rolle einnimmt.

Im Mittelpunkt der Identitätsarbeit nach Erikson steht nicht die Auseinandersetzung mit dem Beruf, der Familie oder Weltanschauungen, sondern das Bewusstsein von sich selbst als Subjekt, sich als Einheit zu empfinden und das Gefühl, bei sich selbst zu sein. Der Jugendliche begnügt sich in dieser Phase nicht mehr mit dem Wissen, was er in den verschiedenen Lebensbereichen darstellt, sondern er sucht nach der Einheit des fühlenden, handelnden, denkenden Ich. Damit werden subjektive Erfahrungen und Inhalte neu geordnet, strukturiert und gewichtet. Durch eine solche Identitätsarbeit (filtern von für die eigene Person wichtigen und unwichtigen Erfahrungen) entsteht das kohärente Selbst, das den Kern der Persönlichkeit ausmacht. Wird diese Aufgabe nicht bewältigt, wirkt die jeweilige Person unzuverlässig oder unsicher. Der Prozess, der in der Adoleszenz eingeleitet wird, besteht in der bewussten Reflexion, die eigene Besonderheit zu entfalten, sich von anderen unterscheiden zu lernen und sich selbst als ein Objekt zu beobachten und beurteilen, um dann mit diesen Beurteilungen leben zu lernen und an den Veränderungen zu arbeiten.

(Vgl. Fend, 2000, S. 403ff.)

2.4.1.3 Soziale Identität in der Adoleszenz

Wie auch alle anderen Altersabschnitte unterliegt die Phase der Adoleszenz der Gesellschaftsform, den kulturellen Werten, der Zeit und den jeweiligen sozialen Kriterien. Es ist die Phase der Ich–Findung, des Identitätsaufbaus und der sozialen Integration. Der gemeinsame Status der Altersgruppe der Jugendlichen ist gekennzeichnet durch relativ große Freiräume und bietet eine hohe Flexibilität. Die Jugend als „Kollektives Subjekt“ wird mit einem spezifischen Werte- und Normensystem (siehe Gleichaltrigengruppe) konfrontiert, mit der sie sich auseinandersetzen muss.

Natürlicherweise erfolgt diese Auseinandersetzung individuell in Abhängigkeit zu den Familienstrukturen, den Bezugsgruppen und der kulturell gesellschaftlichen Einbettung. Allen gemeinsam ist das Suchen und Ausprobieren. In interaktiven Prozessen muss der Jugendliche sich seine eigene Identität schaffen.

Die Familie ist immer noch eine prägende Sozialisationsinstanz, die aber immer mehr von der Gleichaltrigengruppe ersetzt wird. Die mit zunehmenden Alter häufigeren Kontakte und die Auseinandersetzung in der Gleichaltrigengruppe formen die psychosoziale Einordnung in die außerfamiliären Beziehungen. Gruppen und Institutionen übernehmen jetzt zumindest partiell den „Erziehungsauftrag“ der Eltern. Familiäre und außerfamiliäre Wertstrukturen, die auf die Jugendlichen treffen, rufen Spannungsverhältnisse innerhalb der Familie hervor. Die Wertvorstellungen der Jugendlichen stimmen mit den meist wohlstandsorientierten und sicherheitsorientierten Werten der Eltern nicht mehr überein. Diese Situation erfordert vom Jugendlichen neue Handlungsmuster und Einstellungen. Damit wird ein Distanzierungs- und Ablösungsprozess der Jugendlichen vom Elternhaus ausgelöst. Dieser Prozess wird von familienstrukturellen Merkmalen und der Stellung der Jugendlichen als Persönlichkeit in der Familie beeinflusst. Der Jugendliche muss sich nun selbst behaupten, sich von den elterlichen Ideenstrukturen lösen und eigene finden. Erst dann erfährt er sich als unabhängiges Subjekt.

Die Integration in einer Gleichaltrigengruppe ermöglicht ein Ausprobieren von Rollen- und Deutungsmustern. Sie erleichtert die Ablösung von der Familie und verhilft zu eigenen Vorstellungen, die wesentlich sind für die Identitätsbildung.

(Vgl. Fend, 2000, S. 407ff.)

2.4.1.4 Besonderheiten in der Jugendphase

Der Jugendliche setzt sich zum ersten Mal bewusst in ein Verhältnis zur Welt und zu sich selbst. Das äußert sich in einer neuen Identität, einem anderen Verhältnis zu den Bezugspersonen, zur Sexualität, einer neuen Beziehung zu sich selbst, zu Leistung, Politik, Religion und Kultur. Am Ende der Kindheit und zu Beginn der Adoleszenz kann beobachtet werden, wie das handelnde Ich und das sich selbst beobachtende Ich auseinander treten. Die Spontaneität und unreflektierte Übernahme von Handlungen geht verloren. Es entsteht die Notwendigkeit, ein Idealbild von sich zu entwickeln, um ein Gefühl für das Eigentliche des eigenen Ich zu bekommen. Zum ersten Mal muss der Mensch seine eigene Entwicklung in die Hand nehmen (von der Fremdlenkung zur Selbstverantwortung). Der Jugendliche kann sich Ziele der Selbstveränderung setzen und Strategien entwickeln, wie diese Ziele umzusetzen sind (zunehmende Selbständigkeit). Er muss Vorstellungen darüber entwickeln, was er will, wozu er real fähig ist und was seine Möglichkeiten sind (vgl. Oerter, S. 96ff).

Jugendliche verändern sich in ihren Beziehungen zu den Eltern. Sie werden emotional unabhängiger und suchen neue Partner des gleichen oder anderen Geschlechts. Das emotionale Bindungsmuster wird neu gestaltet, das in Zwischenstufen häufig mit einer Abwehr der Elternbindungen und noch diffusen Bindungen an Gleichaltrige verläuft. Doch nicht immer gelingt die positive Identitätsfindung. Durch äußere Ablehnung, wie der unerwiderten Liebe, der schmerzlichen Nichtbeachtung oder häufige Misserfolge kann die Identitätsfindung in einem erheblichen Maße behindert werden (vgl. Fend, 2000, S. 412ff).

2.4.1.5 Identitätsentwicklung in der Schule

Zwischen dem Kindsein und Erwachsensein liegt die Phase, in der die Kinder die Schule besuchen. Grundkenntnisse werden in ihr vermittelt. Je weiter die Spezialisierung auf spätere berufliche Laufbahnen zielt, desto undeutlicher werden die Ziele hinsichtlich der Orientierung und der Initiative, desto komplizierter ist die soziale Realität und desto undeutlicher die Vater- und Mutterrolle in ihr. Daraus wird deutlich, dass es in der Schule nicht nur um Unterricht und Erziehung geht, sondern auch um die gesellschaftliche Reproduktion, um Anerkennung, Auslese und Verhaltensnormierung, in Vorbereitung auf unterschiedliche Aspekte des Erwachsenenlebens. Die gesellschaftlichen Anforderungen und die schulischen Kommunikationsprozesse haben einen erheblichen Einfluss auf den Identitätsbildungsprozess. Ausgehend vom symbolischen Interaktionismus, in dem es vorwiegend um die alltägliche Interaktion zwischen den Lehrern und Schülern geht, soll der Prozess der Identitätsbildung beschrieben werden.

In der Institution Schule wird eine Kommunikation in pädagogischer Absicht angestrebt. Dabei sind Inhalte und Formen dieser Kommunikation weitgehend durch die Institution vorbestimmt und dem Aushandlungsprozess der Beteiligten weitgehend entzogen. Diese unterrichtliche Kommunikation ist hauptsächlich von zwei institutionellen Vorgaben geprägt:

- der Hierarchie und dem Zwang (Schulpflicht und den damit verbundenen Sanktionsmöglichkeiten der Institution)
- und der Leistung und Konkurrenz (Leistungserbringung erfolgt fast immer individuell, so dass die Schüler in ein Konkurrenzverhältnis untereinander gesetzt werden).

Die Vorgaben der Institution definieren damit grundsätzlich die Kommunikation im Unterricht und begrenzen damit die Handlungsmöglichkeiten in den verschiedenen Rollen für die Lehrer und für die Schüler. Die Schüler haben unter diesen Bedingungen nur eine begrenzte Chance, eigene Rolleninterpretationen und Identitätsentwürfe einzubringen. Im Gegensatz zu den Lehrern, die ein breites Feld der Identitätsdarstellung genießen, befinden sich die Schüler in einer schwierigen Situation. Sie sollen nicht nur gute Schüler sein, sondern auch noch die spezifischen Anforderungen der einzelnen Lehrer erfüllen. Schüler bewegen sich daher in einem Netz von z. T. dauerhaften, aber auch z. T. wechselnden Verhaltensanforderungen, die bei der Nichteinhaltung als Regelverstoß gelten und mit Sanktionen belegt werden. Sie haben aber auch eigene Bedürfnisse und Motive, die nicht mit diesen Anforderungen konform gehen. Zu diesen Bedürfnissen gehört der eigene Identitätsentwurf, die Darstellung der eigenen Persönlichkeit in der unterrichtlichen Kommunikation. Die Darstellung der eigenen Identität trotz der Verhaltenskontrolle von Seiten des Lehrers, die Rollendistanz trotz Rollenerwartung stellt ein grundsätzliches Problem für die Schüler dar. Angesicht der Fülle von Regeln und der eigenen Bedürfnisse entwickeln die Schüler Taktiken (Stören des Unterrichts, Abschreiben, Kartenspielen, etc.) in denen sich ihre Normen- und Rollendistanz ausdrückt. Diese Taktiken spiegeln gleichzeitig Anpassung und Widerstand wider, um die eigenen Handlungsspielräume und Identitätsentwürfe zu verteidigen. In der interaktionistischen Analyse wird die schulische Sozialisation als ein Prozess der Normierung und der Individualisierung angesehen. Alle Schüler müssen gegenüber dem vorgegebenen institutionellen Rahmen durch ihren eigenen Identitätsentwurf Stellung beziehen. Dabei kommt es zu unterschiedlichen Lösungen.

Die Schüler lernen, wie sie Anerkennung durch den Lehrer und ihre Mitschüler erhalten in Form von Leistungserbringung und normkonformes Verhalten. Bestätigungsgefühle oder Minderwertigkeitsgefühle werden über die Lehrer und Schüler vermindert oder verstärkt. Erfolgs- und Misserfolgssituationen werden unterschiedlich im Identitätsentwurf verarbeitet. Während die einen die Schuld der Ablehnung bei sich sehen, oder den Lehrern die Schuld geben, hängt bei anderen die Verarbeitung der Leistungsanforderungen und -bewertungen stark vom Umfeld und den subkulturellen Werten der Jugendszene ab. Leistung und Erfolg werden nicht mehr schulspezifisch definiert, sondern richten sich nach den Werten (positiv, oder meist negativ im Hinblick auf die Schule besetzt) der Gleichaltrigen. So kann auch eine nicht bestandene Klassenarbeit mit Freunden identitätsstützend wirken.

Erfolg und Versagen wird für alle Schüler zu einem generellen Sachverhalt, der in der Selbstinterpretation zu diskutieren ist. Während er für die schwachen Schüler eher identitätsbedrohend ist, ist er für die leistungsstarken Schüler eine Quelle der Selbstsicherheit.

(Vgl. Tillmann, 1991, S. 108ff und Erikson, 1988, S. 117ff.)

2.4.1.6 Kleidung als Teil der Identität

Jedes Individuum bewegt sich in einer Vielzahl von Beziehungsgeflechten (Schule, Freizeit, Arbeit). Diese Teilzeitidentitäten, je nach Beziehungszusammenhang spiegeln sich auch in der Mode wieder. Der Kontakt zur Umwelt wird durch die Kleidung mitgestaltet. Erwartungen an die Person, die „drin steckt“, als auch Erwartungen an das Gegenüber sind daran gebunden. Die Beziehungsaufnahme läuft nicht nur über die physische Erscheinung, sondern auch über die Aufarbeitung der äußeren Erscheinung (Kleidung etc.) ab. Diese Kommunikation über das Äußere lässt sich auf Gruppenzusammenhänge übertragen. Dem Jugendlichen wird damit ermöglicht, sich frei in unterschiedlichen Erfahrungsspielräumen zu bewegen, indem er verschiedene Rollen übernimmt. Die Handlungen und die Rückmeldungen über die Bezugssysteme tragen in einem erheblichen Maße zur Identitätsbildung bei. Diese Phase ist von besonderer Bedeutung, um die Identität anzuzeigen, Werte und Einstellungen für andere sichtbar zu machen und um über Unsicherheiten hinwegzuhelfen (Baacke et al., 1988, S. 38ff).

Durch den Austausch von Rollen wird erst allmählich eine Wertvorstellung geprägt. Kleidung als Symbol ermöglicht eine Darstellung der individuellen Identität einerseits, andererseits stellt sie eine Möglichkeit der Abgrenzung oder der Zugehörigkeit zu den Bezugssystemen dar. Die Übernahme einer bestimmten Position wirkt stabilisierend auf den Identitätsbildungsprozess. Mit der Kleidung stellt sich eine Differenzierungsmöglichkeit dar, sich von den jüngeren und älteren Altersgruppen, aber auch von anderen Gruppen klar abzugrenzen, sich bewusst von den Bekleidungsvorstellungen der Eltern zu lösen und eigene Vorstellungen durchzusetzen. Der beschriebene Loslösungsprozess ist dadurch häufig charakteristisch gekennzeichnet. Jugendspezifische Haltungen wie Flexibilität und Offenheit, Suche und Unsicherheit, lassen sich durch die Akzeptanz extremer Mode interpretieren.

Wenn der Wert eines Menschen in Form von Markenkleidung (abhängig vom Geld) erlebt wird, ist die Kommunikation untereinander, sowie das Sozialverhalten, vom Statusdenken geprägt. Die gegenseitige soziale Wahrnehmung über die Kleidung führt in Kindergruppen und Schulen, zu einem sozialen Hierarchieerleben von Ausgrenzung auf der einen Seite und Macht auf der anderen Seite. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Identitätsbildungsprozess zur Folge. Erfolg- oder Misserfolgserlebnisse wirken dann identitätsstabilisierend oder identitätsgefährdend.

2.4.2 Attraktivität der Schüler

2.4.2.1 Attraktivitätsforschung

Wenn die äußere Erscheinung ohne psychologische Konsequenzen wäre, dann wäre die Selbsteinschätzung des Äußeren vollkommen unbedeutend. Die Sozialpsychologische Theorie , Schöne Menschen sind anerkannter, beliebter und haben größere Chancen der Partnerwahl, ist nur eine von vielen Theorien, nach denen Menschen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden. Inhalte des Sprichwortes, “Wer schön ist , ist auch gut.“ sind auch in unserer Kultur tief verwurzelt. Was als attraktiv gilt, welche Rolle die Ähnlichkeiten von Personenmerkmalen spielt und welche Auswirkungen die äußere Erscheinung auf die soziale Akzeptanz hat, soll im folgenden Kapitel dargestellt werden.

Die Zuwendung Gleichaltriger muss anders als im Eltern-Kind-Verhältnis errungen und stabilisiert werden. Man trägt sich zu Markte und optimiert gewissermaßen Angebot und Nachfrage. Was allerdings als attraktiv gilt, entzieht sich der objektiven Einschätzung und unterliegt der Subjektivität. Subjektive Urteile beziehen sich auf die Selbsteinschätzung des eigenen Erscheinungsbildes. Dennoch ist die Forschung auf eine objektive Messung angewiesen. Sie löst das Problem (subjektive Beurteilung ist schwer zu messen), indem sie durchschnittliche Beurteilungen verschiedener Menschen auf der Grundlage der Bildvorlage realer Personen auswertet. Obwohl es eine relativ große Übereinstimmung darüber zu geben scheint, was als attraktiv gilt, ist es bisher noch nicht gelungen, auf Grund körperlicher Merkmale ein Schönheitsideal zu beschreiben. Attraktivität kann auf zweierlei Weisen erfasst werden:

- objektive Attraktivität – unabhängige Beurteiler schätzen ihnen unbekannte Personen anhand von Attributen, wie „hübsch“, „schön“, „sympathisch“, etc. ein; der Beurteilungsmittelwert definiert die Attraktivität der jeweiligen Person
- subjektive Attraktivität – Personen bewerten sich selbst, hinsichtlich der eigenen Attraktivität Verschiedene Einflussgrößen wie die Fremd- oder Selbstbeurteilung, der Beurteiler, die zu beurteilende Person, die Situation und die Wechselwirkung zueinander, beeinflussen das Ergebnis (vgl. Rost, 2001, S. 29ff).

Viele Studien zur Attraktivität untersuchen lediglich einzelne Bedingungen. Die Arbeiten, die mehrere Bedingungen untersuchen, zeigen die Existenz solcher Wechselwirkungen. Daraus geht hervor, dass Mitglieder der eigenen Gruppe eher besser bewertet werden, als Mitglieder einer Fremdgruppe. Dies gilt besonders hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit (vgl. Rost, 2001, S. 29ff).

Andere Untersuchungen betonen wider, eine Bevorzugung des eigenen Geschlechts bei weiblichen Personen. Attraktiveren Personen werden positivere Eigenschaften zugeschrieben als durchschnittlichen oder unattraktiven Personen. Dieser Attraktivitätsstereotyp gilt aber nicht in jedem Fall. Z. B. wurden Frauen die als attraktiv gelten eher auch mit Eigenschaften versehen, wie eingebildet oder egoistisch (Hassebrauck, 1983, S. 152ff). Die größten Effektstärken zeigen sich in einer Metaanalyse von Eagly (1991, S. 109ff) zwischen Attraktivität und sozialer Kompetenz (d=0,68). Nach Jackson (1992, S. 32) gibt es stärkere Zusammenhänge zwischen der Attraktivität und der interpersonellen Kompetenz. Attraktivere Personen sind weniger sozial ängstlich, weniger einsam und durch die gehäuften Kontakte sozial kompetenter. Eine negative Selbsteinschätzung dagegen geht tendenziell mit einer emotionalen Instabilität und Problemen im sozialen Bereich einher (r=0,40 Geselligkeit; Vagt, 1979, S. 355ff).

2.4.2.2 Auswirkungen der äußeren Erscheinung auf die soziale Akzeptanz

Nach Vagt (1979, S. 355ff) werden attraktiveren Schülern von der Umwelt eher positive Eigenschaften zugeschrieben, als unattraktiven Schülern. Diese Erwartungshaltung über die Zuschreibung positiver Eigenschaften wirken sich auf das Verhalten der Schüler aus. Demzufolge haben Schüler, deren Attraktivität unterschiedlich wahrgenommen wird, jeweils einen anderen sozialen Erfahrungshintergrund. Dies kann zu Veränderungen im Selbstkonzept mit den jeweils positiv oder negativ belasteten Auswirkungen führen. Während bei attraktiven Schülern die positiven Effekte überwiegen, erleiden nicht wenige nicht so attraktive Schüler eine Ablehnung in Form von Verachtung, Spott und Hänseleien. Negatives Verhalten der Bezugsgruppe (hier die Schulklasse) kann zu psychosozialen Anpassungsproblemen führen. Das Gefühl der eigenen Attraktivität erleichtert das Auftreten vor der Klasse. Wer sich selbst nicht mag, könnte auch Schwierigkeiten haben, von den Mitschülern akzeptiert zu werden.

Einen positiven Zusammenhang scheint es zwischen der Beliebtheit und der Attraktivität in der Gleichaltrigengruppe zu geben. Schon Vorschulkinder verbinden attraktive Gleichaltrige eher mit prosozialen und unattraktive Kinder eher mit unsozialen Verhaltensweisen. Gleichzeitig wird erwartet, dass sich unattraktive Kinder eher aggressiv und unsozial gegenüber ihren Klassenkameraden verhalten. Für Mädchen ist die Attraktivität bedeutsamer als für Jungen. Mädchen sind mit ihrem Aussehen häufig sehr unzufrieden und sind deshalb vermutlich auch bei Essstörungen überproportional vertreten. Kinder mit einem höheren sozio-ökonomischen Status haben eine größere Variationsbreite, ihre Attraktivität zu unterstreichen (Kleidung, Accessoires, Frisur, etc.) und können sich damit eine Anerkennung innerhalb der Klasse verschaffen (vgl. Rost, 2001, S. 30f).

Attraktive Vorschul- und Schulkinder sind soziometrisch beliebter. Lehrer, die in keinem schulischen Zusammenhang zu den Schülern standen, erhielten Zeugnisse mit einem Schülerphoto. Sie bewerteten insgesamt die intellektuelle und soziale Kompetenz der attraktiveren Schüler als höher (vgl. Clifford & Walster, 1973, S. 248ff). Ergebnisse amerikanischer Analysen zur Attraktivität bei Kindern aus dem Jahr 2000 ergeben folgende Forschungsbefunde:

- attraktivere Kinder werden in allen erfassten Bereichen positiver beurteilt, z. B. interpersonelle Kompetenz (d=0,92).
- attraktivere Kinder erfahren eine positivere Behandlung von ihrer sozialen Umwelt, intellektuelle Kompetenz wird positiver beurteilt (d=0,81); weniger negative (d=0,64) und mehr positive Interaktionen werden erlebt (d=0,52)
- attraktivere Kinder sind populärer als unattraktivere Kinder

(Vgl. Rost et al., 2001, S. 29ff.)

Die häufig positiven Meinungen Jugendlicher, attraktive Jugendliche seien intelligenter und besser in der Schule, finden sich nicht in der Korrelation der objektiven Einschätzung. Intelligenz korreliert ebenfalls nicht mit der Attraktivität. Es stellte sich aber ein Zusammenhang zwischen objektiven Attraktivitätswerten des Aussehens und der sozialen Aktivität heraus. Positiv beurteilte Kinder haben weniger Probleme mit Gleichaltrigen (r=.32) und sind reger (r=.30) in der Klassengemeinschaft (vgl. Fend, 2000, S. 240f). Untersuchungen zweier Mädchenklassen zur Attraktivität von Knollmeyer (1969, S. 459ff) ergeben:

- Die äußere Erscheinung (Kleidung, Kosmetik, Körperpflege) wird sehr hoch bewertet, besonders jedoch die Kleidung
- Bei höherer Attraktivität vergrößern sich die Chancen der Anerkennung durch die Jungen
- Die subjektive Einschätzung stimmt mit dem soziometrischen Status der Klasse relativ gut überein; allerdings sind selbst gutaussehende Mädchen relativ unzufrieden mit dem eigenen Erscheinungsbild

Auf der Grundlage einer detaillierten Selbstbeobachtung und vielfältiger sozialer Rückmeldungen generalisiert der Mensch seine Wahrnehmung zu einem Urteil, ob man eher schlecht, oder eher gut aussieht (Selbstkonzept des Aussehens). In einer Studie von Roth (1998, S. 238), in der 352 Jugendliche im Alter von 12 bis 14 und 15 bis16 Jahren verglichen werden, zeigen sich geschlechtsspezifische Muster. Mädchen zeigen im Vergleich zu den Jungen:

- Eine größere Aufmerksamkeit gegenüber der körperlichen Selbstdarstellung über den gesamten Tag (z. B. Frisur)
- Eine größere Unzufriedenheit mit der Figur (aber nicht mit dem Gesicht)
- Weniger sportliche Betätigung
- Die Wahrnehmung, die eigene körperliche Veränderung im Griff zu haben nimmt bei Mädchen ab, bei Jungen eher zu
- Mädchen werden mit einer körperlichen Veränderung eher unsicherer, im Gegensatz zu den Jungen

Das äußere Erscheinungsbild ist ein wichtiges positives oder negatives Moment auf dem Markt sozialer Beziehungen. Dies gilt besonders für Mädchen. Wer sich nicht für besonders attraktiv hält, der glaubt auch nicht besonders beliebt zu sein. In den subjektiven Theorien Jugendlicher führt das attraktive Aussehen gleichzeitig zu einer sozialen Akzeptanz (r=.30 bis .35). Die subjektive Einschätzung des eigenen Aussehens scheint von großer Bedeutung zu sein. Wer mit sich selbst nicht einverstanden ist und sein Aussehen nicht akzeptiert, der akzeptiert sich selber insgesamt weniger (r=.38 bis .55) und hat ein niedriges Selbstwertgefühl. Auch das Selbstvertrauen, soziale Kontakte aufzunehmen, hängt mit dem eigenen Aussehen zusammen (r=.35 bis .40.). Diese Zusammenhänge sind sowohl für Mädchen, als auch Jungen gleich. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass Mädchen durchschnittlich ihr Aussehen als schlechter beurteilen, was wiederum erklären würde, warum sie sich eher in Zweierbeziehungen integrieren, als in Gruppenzusammenhängen (vgl. Fend, S. 240f).

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen Vagt & Majert (1977, S. 36ff). In der Gesamtstichprobe von 92 Mädchen und 115 Jungen in der 9. Klassenstufe zeigt sich in einem stärkeren Maße in der Untergruppe der Hauptschüler, dass, je positiver das eigene Aussehen beurteilt wird, desto weniger Persönlichkeitsprobleme weisen sie auf und desto sicherer sind sie in ihrem sozialen Verhalten. Je günstiger das eigene Aussehen eingeschätzt wird, desto weniger Angst in sozialen Situationen scheinen sie zu haben, desto weniger nervös, gehemmt oder emotional labil und desto geselliger und gelassener scheinen sie zu sein. Interessanterweise können im Gegensatz zu den Hauptschülern bei den Gymnasiasten keine relevanten Korrelationen zwischen den Aussehenseinschätzungen und den Persönlichkeitsmerkmalen festgestellt werden. Möglicherweise ist bei den Hauptschülern gerade das Aussehen ein wesentliches Wert- und Selbstwertkriterium, während es mit steigender Schulbildung vermutlich durch andere Kriterien (Leistung, Statuszugehörigkeit) ersetzt wird.

Roderer (1986, S. 35f) schreibt, das Gruppen, die sich in sozial schwachen Positionen befinden, anfällig für Modeerscheinungen sind. Mode bietet ein breites Feld an Profilierung in einem gesellschaftlich gebilligten Rahmen. Diese Annahme lässt sich auf jede Gruppe übertragen, die Statusunsicherheiten kompensieren möchten. Über die Kleidung wird das Bedürfnis der Eingliederung in eine Gruppe und das gleichzeitige Bedürfnis nach sozialer Differenzierung durch das Sich-Abheben von den außerhalb der Gruppe stehenden erfüllt.

Hassebrauck (1985, S. 265ff) stellt in einer Untersuchung zum Einfluss von Attitüdenähnlichkeit und physischer Attraktivität auf die Beurteilung von Personen fest, dass einer Stimulusperson, die der Versuchsperson ähnlich ist, unabhängig von ihrem physischen Aussehen ebenfalls positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Eine bestehende Attitüdenähnlichkeit zwischen den Interaktionspartnern kann den Einfluss der physischen Attraktivität kompensieren.

In vielen Situationen des täglichen Lebens erhält der Mensch Informationen über Ähnlichkeiten mit seinen Interaktionspartnern. Sie erschließen sich zum Teil aus äußeren Merkmalen wie dem Kleidungsstil oder aber der Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe. In einer Schulklasse werden sowohl über die Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe als auch über das äußere Erscheinungsbild Ähnlichkeiten vermittelt. Durch eine aktive Selbstgestaltung, vor allem durch Kleidung, die besonders wichtig in dieser Lebensphase wird, lässt sich das Erscheinungsbild zum eigenen Vorteil verändern und Ähnlichkeiten zu Mitschülern herstellen. Diese Ähnlichkeiten haben kleinere Gruppierungen innerhalb der Klasse zur Folge. Mit der Integration in eine dieser Gruppierungen wächst die Sicherheit und das Selbstvertrauen. Im folgenden Kapitel wird auf die Faktoren zur Beliebtheit und Randständigkeit sowie auf das prosoziale Verhalten von Schülern innerhalb einer Klasse eingegangen.

2.4.3 Prosoziales Verhalten in der Schule

2.4.3.1 Motive und Standards prosozialen Verhaltens

Soziale Positionen wie Zugehörigkeit, soziale Isolation, Beliebtheit oder Randständigkeit und Außenseitertum sind sehr folgenreich. Sie zeigen sich in den Selbstbildern der Kinder und Jugendlichen und sind von Gefühlen der Einsamkeit oder Zugehörigkeit begleitet. In den vielen Kontakten und Aushandlungsprozessen werden soziale Fähigkeiten der Kontaktaufnahme als auch der Beziehungspflege erlernt. Soziale Anerkennung stärkt das Selbstbewusstsein eigener Kompetenzen und trägt so über das soziale Selbstbewusstsein zur sozialen Initiative bei. Ebenso wichtig wie das Bewusstsein der eigenen Kompetenz sind die sozialen Fähigkeiten (Kontrolle von Gefühlen, soziales Verstehen und Problemlösen). Da das Handeln über Normen reguliert wird, werden in den Kontakten und Aushandlungsprozessen auch pro- oder antisoziale Motive erworben (Verantwortung, Trost, Gefälligkeiten und Hilfestellung zugunsten anderer Personen – eigennütziges und unsoziales Verhalten, aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen).

Untersuchungen zeigen, dass die Häufigkeit prosozialen Verhaltens keinen Bezug zum chronologischen Alter aufweist. Es zeigen sich alle möglichen Veränderungsmuster, wobei Zunahme, Abnahme oder Gleichbleiben vorherrschen können. Motive prosozialen Verhaltens sind:

- hedonistisch – selbstbezogene Orientierung (die Begründung für Hilfeleistung umfassen Überlegungen zum persönlichen Gewinn oder Besorgnis um Personen, auf welche die helfende Person angewiesen ist)
- Orientierung am anderen (Sorge um materielle, physische, psychische Unversehrtheit der hilfsbedürftigen Person steht im Vordergrund; es findet keine Rollenübernahme statt)
- stereotype Orientierung (Zustimmung und interpersonelle Übereinstimmung mit der hilfsbedürftigen Person)
- selbstreflexive, empathische Orientierung (umfasst empathische Reaktionen, selbst-reflexive Rollenübernahme und Schuldgefühle)
- internalisierte Wertorientierung (Begründung leitet sich vor allem aus Werten, Normen und Prinzipien ab – oberste Ebene der Motive)

Das folgende theoretisches Modell unterscheidet verschiedene Standards der Bewertung prosozialen Verhaltens. Gemeint sind damit überdauernde Personenmerkmale, die für die Bewertung verschiedener Handlungsziele im prosozialen Verhalten von Bedeutung sind. Standards lassen sich nach ihren unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen einteilen.

Sie

- beziehen sich auf affektive Zustände wie Freude, Schmerz - hedonistische Motive, wenn es sich auf das prosoziale Verhalten bezieht, Freude zu erlangen oder Schmerz zu vermeiden
- beziehen sich auf gesellschaftliche Maßstäbe, die sich auf die Erwartungen anderer wie der Eltern oder Gleichaltriger zurückführen lassen – Konformitätsorientierung; die Hilfe ist abhängig von den Erwartungen der Bezugsgruppe
- beziehen sich auf selbstbezogene Motive, wenn eine Abweichung der optimalen Gemütsverfassung der eigenen Person sowie deren Interessen droht, oder der fremdbezogenen Motive, wenn es um die Bedürfnisse des direkten Gegenübers geht

[...]


Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832464448
ISBN (Paperback)
9783838664446
DOI
10.3239/9783832464448
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Berlin – Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (Februar)
Schlagworte
schuluniform unterrichtsklima prosoziales verhalten gleichaltrigengruppen interaktionismus
Zurück

Titel: Schulkleidung in Deutschland
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
151 Seiten
Cookie-Einstellungen