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Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer

©2002 Diplomarbeit 185 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Nach einer kurzen Darstellung der heute verwendeten neurologischen und psycho-diagnostischen Verfahren zur Diagnostik und Differentialdiagnostik der Alzheimer'schen Erkrankung und den damit verbundenen Problemen, nicht zuletzt in Hinblick auf die Mitbeteiligung depressiver Symptome und nachdem gezeigt werden kann, dass sich die wesentlichen Persönlichkeitszüge bei gesunden Menschen ab einem Alter von 25 bis 30 Jahren nicht mehr wesentlich ändern, wird auf Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer eingegangen, die nicht ausschließlich durch physiologische Umstände erklärt werden können und zeigen, dass den persönlichkeitspsychologischen Aspekten neben den relativ gut erforschten gedächtnisspezifischen Problemen in Zukunft eine bedeutende Rolle im Bedingungsgefüge eingeräumt werden sollte. Abschließend werden in diesem Zusammenhang auch psychosomatische Schädigungsmodelle erwähnt.
Hinsichtlich der hier als postmorbid bezeichneten Veränderungen der Persönlichkeit, die nach der Diagnosestellung bzw. dem Offenbarwerden einer Alzheimer-Demenz bemerkt werden, muss wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass sich die Ausprägungen dieser Eigenschaften mit zunehmender Schwere der Demenz verschlechtern. Die Patienten zeigen im Verlauf der Erkrankung insbesondere eine Abnahme der Extraversion, zunehmende Passivität und gesteigerte Neurotizismuswerte.
Im Abschnitt über das prämorbide Stadium werden die nur an einer unzureichend großen Stichprobe gemessenen Ergebnisse der Studien von Bauer, die den eigentlichen Anstoß für die vorliegende Arbeit gaben und auf eine ganz spezifische Alzheimer-Persönlichkeit hinweisen, die durch besondere Inaktivität gekennzeichnet ist und schließlich in Verbindung mit psychosozialem Stress die Entstehung der Krankheit zur Folge hat, durch zahlreiche Studien anderer Forscher insofern bestätigt, als sie einen Einfluss der Persönlichkeit auf die Entwicklung bzw. auf den Verlauf einer Demenz vom Alzheimer-Typ bezüglich einiger Eigenschaften bestätigen. Bezüglich der angeführten Schädigungsmodelle darf tatsächlich vermutet werden, dass es sich bei der Erkrankung um eine Kombination aus physiologischen und psychologischen Veränderungen handelt und das Einsetzen der Erkrankung bereits Jahre vor den ersten Zeichen dementieller Entwicklungen stattfindet.
Hinsichtlich der Risikofaktoren, die zu einer Demenz beitragen könnten, wurden in den verschiedenen Untersuchungen unter anderem […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Entwurf der Problemstellung

2. Darstellung der theoretischen Grundlage
2.1 Einleitung
2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik
2.2.1 Probleme der Differentialdiagnostik
2.2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik
2.2.2.1 Neuropsychologische Begutachtungsverfahren
2.2.2.2 ADL- und IADL-Skalen
2.2.2.3 Der Testing-the-Limits-Ansatz
2.2.3 Die altersassoziierten Gedächtnisbeeinträchtigungen
2.2.4 Differentialdiagnostik der depressiven Symptome
2.3 Altersassoziierte Veränderungen der Persönlichkeit
2.3.1 Psychologische Veränderungen im Alter
2.3.2 Physiologische Veränderungen des Gehirns
2.3.3 Faktoren für “gutes“ Altern
2.4 Postmorbide Veränderungen der Persönlichkeit
2.4.1 Abnahme der Extraversion
2.4.2 Weitere häufig beobachtbare Persönlichkeitsveränderungen
2.4.3 Depressionen und depressive Verstimmungen
2.4.4 Weitere Veränderungen der Stimmungslage
2.5 Prämorbide, krankheitsfördernde Veränderungen der Persönlichkeit
2.5.1 Physiologische Unterschiede zum „normalen“ Altern
2.5.2 Schädigungsmodelle
2.5.3 Stress als krankheitsförderndes Ereignis
2.5.4 Depressive Störungen und andere psychische Krankheiten
2.5.5 Psychosoziale Einflüsse
2.5.6 Beschreibung der Studien von Bauer (1994, 1995)
2.6 Zusammenfassung der Literatur

3 Beschreibung der empirischen Methode
3.1 Versuchsplan – Die Methode des Fremdratings
3.1.1 Vorteile des Fremdratings
3.1.2 Versuchsdesign
3.1.3 Statistische Hypothesen
3.2 Die Stichprobe
3.2.1 Alter
3.2.2 Geschlecht
3.3 Untersuchungsmaterialien
3.4 Untersuchungsdurchführung

4. Ergebnisse der Untersuchung
4.1 Zusammenhänge der Fremd-Fremd- und Selbst-Fremd – Beurteilungen
4.2 Zusammenhänge der Doppelbeurteilungen
4.3 Faktorenanalyse der Fragebogenitems
4.4 Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
4.4.1 Unterschiede 10 – 15 Jahre vor der Untersuchung
4.4.2 Unterschiede zum Zeitpunkt der Untersuchung
4.4.3 Unterschiede zwischen den Lebenspartnern der Beurteilten
4.5 Veränderungen der Persönlichkeit zwischen den Einschätzungszeitpunkten
4.5.1 Veränderungen der Persönlichkeit bei Alzheimer – Patienten
4.5.2 Veränderungen der Persönlichkeit der Kontrollgruppe
4.6 Zusammenhänge der Persönlichkeitsmerkmale bei Alzheimer-Kranken und Gesunden
4.7 Unterschiede zwischen den Einschätzungszeitpunkten und den Versuchsgruppen
4.8 Sonstige Unterschiede
4.8.1 Unterschiede zwischen den erlebten Stressepisoden
4.8.2 Unterschiede zwischen den Hobbies der Beurteilten
4.8.3 Unterschiede zwischen den Hobbies der Lebenspartner

5. Diskussion
5.1 Zusammenfassung
5.2 Evaluation der Hypothesen
5.2.1 Zusammenhänge der Fremd-Fremd- und Selbst-Fremd- Beurteilungen
5.2.2 Zusammenhänge der Doppelbeurteilungen
5.2.3 Faktorenanalyse der Fragebogenitems
5.2.4 Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
5.2.5 Unterschiede zwischen den Zeitpunkten
5.2.6 Zusammenhänge der Persönlichkeitsmerkmale bei Alzheimer- Kranken und Gesunden
5.2.7 Unterschiede in den Veränderungen der Persönlichkeit zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
5.2.8 Sonstige Unterschiede zwischen Versuchs- Und Kontrollgruppe
5.3 Integration der Ergebnisse mit der Forschungsliteratur
5.3.1 Altersassoziierte Veränderungen der Persönlichkeit
5.3.2 Ergebnisse zum „guten“ Altern
5.3.3 Postmorbide Veränderungen der Persönlichkeit durch Morbus Alzheimer
5.3.4 Prämorbide, krankheitsfördernde Veränderungen der Persönlichkeit
5.3.5 Die Methode des Fremdratings
5.4 Grenzen der vorliegenden Studie
5.5 Empfehlungen für zukünftige Forschungen und Konklusion

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

Der Fragebogen mit den Deckblattversionen

1. Entwurf der Problemstellung

Im Zusammenhang mit der Suche nach Literatur über die Art der Veränderungen des Gedächtnisses – im Besonderen des semantischen Gedächtnisses – bei Patienten mit Morbus Alzheimer, stieß ich auf einen Beitrag von Joachim Bauer (1994), in dem die Vermutung geäußert wurde, dass die Persönlichkeit möglicherweise eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit spielen könnte. Einerseits wurde in diesem Beitrag darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich möglich sei, dass gewisse Persönlichkeitseigenschaften bzw. -veränderungen, die sich über einen langen Zeitraum entwickeln, an der Entstehung der Krankheit mit-verursachend wirken, oder andererseits diese Veränderungen der Persönlichkeit bereits erste frühe Zeichen einer beginnenden kognitiven Einschränkung sein könnten. Diese ersten kognitiven Einschränkungen würden der Ansicht von Bauer (1994) demnach in diesem Falle anfänglich nicht bemerkt oder mithilfe von Copingmechanismen gut vor der Umwelt versteckt werden und sich mit zunehmender Schwere der kognitiven Einbußen schließlich in einem späten Stadium krankheitswertig äußern.

Auf der Suche nach weiter vorhandener Literatur zu diesem Themengebiet konnte ich einige Artikel zusammentragen, die diesen Ansatz plausibel erscheinen lassen und so begann ich mich für die Rolle der Persönlichkeit bei dieser relativ häufigen Erkrankung zu interessieren, wobei es prinzipiell aber nicht von Bedeutung zu sein scheint, welches der oben genannten Erklärungsmodelle tatsächlich zutrifft, da es sich einerseits bei den beobachteten Veränderungen wahrscheinlich um einen schleichender Übergang in ein krankheitswertiges Stadium handelt, diese Frage andererseits mit den heute zur Verfügung stehenden neurologisch-diagnostischen Mitteln nicht geklärt werden kann.

Viel wesentlicher aber scheint die Frage zu sein, ob - wenn die Hypothese zutrifft, und wenn ja für welche Gruppen - diese Veränderungen der Persönlichkeit nicht für die Frühdiagnose oder frühestmögliche Differentialdiagnose zu anderen dementiellen Erkrankungen verwendet werden könnten beziehungsweise ob therapeutische oder auch generell präventive Interventionen im Bereich der Persönlichkeit und der sozialen Beziehungen nutzbringend wären.

2. Darstellung der theoretischen Grundlage

2.1 Einleitung

Dementielle Syndrome, und hier im Besonderen die senile Demenz vom Alzheimertyp (SDAT), stellen aufgrund mehrerer Faktoren einen immer bedeutenderen Themenbereich dar. Die WHO (in Zaudig M., 1994) bezeichnete die Alzheimer-Demenz übrigens bereits 1981 als eines der größten Probleme der heutigen Welt.

Zum Einen wird diese Problematik in der Zukunft aufgrund der steigenden Lebenserwartung – nach Angaben des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (1992, in Fischer, Danielczyk, Jellinger, Simanyi, Gatterer & Marterer, 1992) wird die mittlere Lebensdauer bis 2015 um 4 Jahre (bei Männern auf 75, bei Frauen auf 81 Jahre) ansteigen und die Zahl der über 80-jährigen wird sich um 30% erhöhen - noch häufiger auftreten. Bedenkt man, dass nach Angaben von Mortimer, Schumann und French (1981, nach Fischer et al., 1992) das Risiko eines Menschen der westlichen Welt je an einer Demenz zu erkranken bereits heute mit über 20% angegeben wird und sich dieser Anteil eben aufgrund der allgemein steigenden Lebenserwartung ständig leicht erhöht, so lässt sich die Bedeutung der dementiellen Krankheitsbilder für die Zukunft deutlich erkennen, wobei es sich nach Angaben von Fischer und Mitarbeitern (1992) bei über 60% der Demenzsyndrome bei Älteren aber ausschließlich um eine Alzheimer´sche Erkrankung und nur bei 16 bzw. 8% um Multi-Infarkt–Demenzen bzw. sogenannte Mischdemenzen, einer Kombination aus Alzheimer´scher – und Multi–Infarkt–Demenz, handelt.

Ein anderer wesentlicher Aspekt betrifft besonders die klinische Psychologie: Da, wie Hagnell, Franck, Gräsbeck, Öhman, Otterbeck und Rorsman (1992) anführen, das Wissen um die Wurzeln der Alzheimer-Demenz noch sehr gering ist, die Risikofaktoren, abgesehen von einigen möglicherweise genetisch verursachten Fällen, noch nicht klar herausgearbeitet worden sind und diese Faktoren darüber hinaus möglicherweise zahlreich sowie untereinander verbunden sein könnten, würde die psychologische Frühdiagnostik mittels gesicherter Verfahren eine zentrale Rolle in diesem Bereich einnehmen können.

Eine frühe Diagnosestellung wäre zudem nach Zaudig (1994) deswegen wünschenswert, da gerade in der Frühphase einer Demenz noch viele Chancen für die Erfassung reversibler bzw. behandelbarer Demenzen und der dafür notwendigen bzw. möglichen therapeutischen Intervention bestehen würden.

Im weitesten Sinn könnte man auch die Pseudodemenzen zu diesen reversiblen Formen der Demenz zählen und auch hier scheint eine frühzeitige Differentialdiagnostik gegenüber der Gruppe der Demenzen für eine adäquate Behandlung von großer Bedeutung zu sein, insbesondere deshalb, weil es möglich scheint, dass solche Pseudodemenzen den Grundstein für eine spätere Demenz mitbegründen können und eine geeignete Behandlung der durch Depressionen verursachten Pseudodemenz dieses Risiko minimieren könnte.

Ebenfalls häufig mit der Alzheimer´schen Erkrankung verwechselte Arten der Gedächtnisbeeinträchtigung, die nach Kessler und Kalbe (1997) bisher nur durch verhaltensorientierte Diagnostik von den leichten Formen der Alzheimer-Erkrankung unterschieden werden können, bilden die Formengruppe der leichten kognitiven Beeinträchtigungen, da bis heute „auch mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren, wie Kernspintomographie und PET, Personen mit Gedächtnisbeeinträchtigungen im Alter, sehr frühe Formen der Alzheimer-Erkrankung und kognitiv unbeeinträchtigte ältere Menschen nicht valide separiert werden konnten“ (S. 873).

Aber nicht nur im Bereich der Frühdiagnostik erscheint die Miteinbeziehung der Psychologie dienlich zu sein, auch bei der Behandlung fortgeschrittener Demenzen ist diese Disziplin zukünftig gefordert, bessere und wirksamere Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, um den malignen Verlauf dieser Krankheiten zu verlangsamen, zu stoppen oder vielleicht sogar teilweise rückgängig zu machen, da medizinische Vorhaben in dieser Richtung zumindest im Bereich der Alzheimer-Krankheit uns hier insbesondere in Bezug auf frühdiagnostische Methoden und früh greifende Therapiemöglichkeiten noch keine wesentlichen Fortschritte erbracht haben.

Die Bedeutung der Alzheimer´schen Krankheit liegt also einerseits in einem für die Zukunft zu erwartenden Anstieg der Erkrankungsfälle begründet, die eine Entwicklung adäquater psychologischer beziehungsweise therapeutischer Behandlungsverfahren not-wendig machen, andererseits wird gerade von der klinischen Psychologie erwartet, geeignete Methoden zur frühestmöglichen Diagnostik, sowie zur Differentialdiagnostik zu in ihrer Frühsymptomatik der Alzheimer-Krankheit sehr ähnlichen Krankheiten zu schaffen, um jeweils geeignete therapeutische Interventionen so bald als möglich einsetzen lassen zu können.

Ein im Rahmen der Alzheimer-Krankheit ebenfalls als krankheitsbedingt angesehenes Symptom, das zwar in den diagnostischen Kriterien für eine Demenz vom Alzheimertyp im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM III, revised, 1987; nach Chatterjee, Strauss, Smyth & Whitehouse, 1992) erwähnt wird, bis heute aber nicht sehr viel Bedeutung erlangt hat, betrifft die veränderte Persönlichkeit der Erkrankten.

Die vorliegende Arbeit soll daher mithelfen die Ursachen und die Ausprägungen dieser Persönlichkeitsveränderungen aufzeigen, um erste, frühdiagnostisch verwertbare An-zeichen der Erkrankung erkennen zu können, sowie eventuell frühzeitige therapeutische Interventionen setzen zu können.

Chatterjee, Strauss, Smyth und Whitehouse (1992) führen jedenfalls drei mögliche Erklärungen für die beobachtbaren Persönlichkeitsveränderungen an:

- Die weitverbreitetste Meinung besteht sicherlich darin, dass die individuellen Persönlichkeitszüge durch die fortschreitende Krankheit akzentuiert und im Sinne einer Übertreibung und Verschärfung der Charakterzüge verändert werden.
- Eine zweite mögliche Erklärung könnte in einer interindividuell sehr ähnlichen, systematischen Veränderung der Persönlichkeit durch Alzheimer begründet sein, das würde bedeuten, dass Patienten im Laufe dieser Erkrankung Veränderungen im gleichen Ausmaß erfahren und die jeweilige Ausprägung durch die prämorbiden Eigenschaften bestimmt werden.
- Eine andere Annahme geht davon aus, dass es lediglich spezielle Patientensubtypen gibt, die sich im Gegensatz zum “normalen“ Symptombild durch spezielle Persönlichkeitsveränderungen manifestieren.
Einen Überblick über mögliche funktionelle Erklärungsansätze für die festgestellten Unterschiede zum prämorbiden Niveau geben Siegler, Welsh, Dawson, Fillenbaum, Earl, Kaplan und Clark (1991): Die Persönlichkeitsveränderungen könnten
- Copingadaptionen darstellen, die infolge des zunehmenden Gedächtnisverlustes entwickelt werden, um mit der Umwelt zurechtzukommen, oder
- Folgen des Verlustes spezieller integrativer Funktionen durch die Krankheit sein, oder auch
- wie Mortimer (1988; nach Siegler et al., 1991) vermutet, ein frühes und prädiktives Zeichen der späteren morbiden Entwicklung sein.

Im Zusammenhang mit der letztgenannten Vermutung scheint zumindest der Versuch angebracht zu sein, eventuelle frühzeitige Veränderungen der Persönlichkeit zu erfassen, um eine neue Möglichkeit für die Frühdiagnostik, vielleicht aber auch für die frühe Therapie nutzen zu können, bzw. wie Costa und McCrae (1993) meinen, die Möglichkeit zu schaffen, aus gesicherten Erkenntnissen über die jeweiligen Veränderungen Vorhersagen für zukünftige kognitive Behinderungen zu ermöglichen, die wiederum durch frühzeitiges Training zumindest gemindert werden könnten.

In der vorliegenden Arbeit soll daher nach einem kurzen Überblick über die aktuellen Forschungsansätze in der Frühdiagnostik, ihre Bedeutung für Intervention und Differentialdiagnostik der Alzheimerkrankheit und einer Zusammenfassung der Forschungsergebnisse zur “normalen“ Veränderung der Persönlichkeit im Alter versucht werden, die Rolle der Persönlichkeitsveränderungen im Krankheitsprozess für Früh-erkennung, Diagnostik, Verlaufsbestimmung, Behandlung und mögliche Therapie dar-zustellen, um anschließend daran die Ergebnisse der empirischen Prüfung der sich aus dem theoretischen Teil ergebenden Fragen zu präsentieren.

2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik bei Morbus Alzheimer

Im nun folgenden Abschnitt soll vor allem auf aktuelle Forschungsansätze in der Frühdiagnostik und ihre Bedeutung für die Differentialdiagnostik beispielsweise zu den leichten kognitiven Störungen oder zu Depressionen bzw. Pseudodemenzen, sowie auf die Bedeutung dieser Methoden für die gezielte Frühintervention eingegangen werden.

2.2.1 Probleme der Differentialdiagnostik

Zaudig (1994) beschreibt die Schwierigkeiten der Früherkennung bezüglich der existierenden diagnostischen Methoden folgendermaßen:

Leider stellt die Früherkennung und damit auch die Diagnostik dementieller Syndrome, insbesondere der Alzheimer´schen Erkrankung, immer noch ein erhebliches Problem dar. Das hängt überwiegend damit zusammen, dass beginnende und damit leichte kognitive Defizite älterer Menschen meist nicht erkannt werden, zum größten Teil wegen des derzeit immer noch bestehenden Mangels an eindeutigen Kriterien zur Diagnose ‚leichte kognitive Störung’ bzw. dem Beginn einer Demenz. ... . Gerade die Früherkennung und verbesserte Diagnostik dementieller Syndrome ist ein sehr wichtiger Punkt für die weitere Therapieplanung, für die Prophylaxe, für die künftige Gesundheitsplanung auch der Bevölkerung. Die Früherkennung der Demenz wirft noch weitere große Probleme auf, z.B. die Abgrenzung zum gesunden Altern oder die Abgrenzung zur sogenannten gutartigen Altersvergeßlichkeit.... Tatsächlich sind bis heute die Meinungen sehr kontrovers, ob es z.B. nun eine gutartige Altersvergeßlichkeit gibt, ob Gedächtnisstörungen zum physiologischen Altern dazugehören usw. (S. 23-24).

Eine relativ häufige Verwechslung mit dem Krankheitsbild Alzheimer wird dabei in Zu-sammenhang mit der Multi-Infarkt-Demenz (MID) beobachtet. Nach Fischer und Mitarbeitern (1992) wird die MID nämlich in der klinischen Praxis aufgrund des Verdachtes oder auch des Nachweises eines erlittenen Schlaganfalls zu häufig diagnostiziert, obwohl nicht unbedingt ein ursächlicher Zusammenhang dieser beiden Erkrankungen bestehen muss.

Er verweist auf die Ergebnisse mehrerer Studien (vgl. Fisher, 1965; Wildi, Linder & Costoulas, 1964; nach Fischer et al., 1992 ), die zeigen, dass Lakunen, die als Zeichen eines erlittenen Infarktes gelten, bei 10% der über 65-jährigen und bei 80% der über 100-jährigen vorgefunden werden können, ohne dass besondere Auffälligkeiten der intellektuellen Fähigkeiten bemerkt werden, wobei es natürlich in Hinblick auf die Erkenntnisse hinsichtlich der Theorien zur kognitiven Plastizität nach Kruse und Lehr (1988, in Zaudig, 1995) auch möglich erscheint, dass durch Infarkte verursachte Schäden ausgeglichen werden können.

Die Ergebnisse einer Untersuchung von Tuszynski, Petito und Levy (1989) an mehr als 2.800 Autopsiefällen zeigen ebenso, dass Lakunen bei sehr verschiedenen Erkrankungen auftreten können, – in dieser Untersuchung wurden bei 64% der Gehirne früherer Bluthochdruck, bei 34% Diabetes und bei 46% Rauchen als Risikofaktoren bestimmt - die meisten dieser Lakunen (bei 81% der Untersuchten) zudem asymptomatisch auftreten und die Mehrheit der Patienten mit einer Multi-Infarkt-Demenz eben keine solchen Anzeichen einer kognitiven Einschränkung aufweisen.

Eine Studie von Wetterling, Vieregge und Borgis (1992) zur klinischen Früh-differenzierung von Demenzen mittels neurologischer bzw. neuropsychologischer und Laboruntersuchungen, sowie CT und EEG weist zwar darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen Multi-Infarkt-Demenz einerseits und einer Alzheimer-Demenz bzw. einer Mischdemenz andererseits sowohl durch den neurologischen Befund als auch mittels der Ischämie-Skalen von Hachinski möglich ist, wobei aber, wie bereits angemerkt, neurologische Auffälligkeiten durchaus auch bei gesunden älteren Menschen zu finden sein können.

Betreffend der Hachinski-Skalen muss zusätzlich nach einer Untersuchung von Fischer und seinen Mitarbeitern (1992) bemerkt werden, dass auch mit diesem Instrument bei einer unkritischen Anwendung die Diagnose MID häufig bei vorliegender Alzheimer-Krankheit gestellt wird. Nach Gatterer (1997) wird durch diese Skalen darüber hinaus nicht bestimmt, ob eine Alzheimer-Demenz vorliegt, „sondern aufgrund verschiedenster, teilweise auch uncharakteristischer Merkmale die Diagnose einer Multi-Infarkt-Demenz ausgeschlossen“ (S. 666).

Der Ansicht, mittels neurologischer Auffälligkeiten Demenzen diagnostizieren zu können, widersprechen auch die Ergebnisse einer älteren Studie von Jacoby und Levy (1980), die zwar erhöhte cerebrale Atrophien bei Demenzpatienten feststellten, die Übergänge zwischen Gesunden und Dementen hinsichtlich der Atrophieausprägung aber als fließend bezeichnen. Zusätzlich fanden Jacoby und Levy (1980) bei ihrer Studie trotz sorgfältigem Ausschluss von Personen, die Anzeichen für eine Multi-Infarkt-Demenz zeigten, häufiger cerebrale Infarkte bei der Versuchsgruppe der Dementen im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe, besonders häufig dann, wenn die Patienten einen erhöhten diastolischen Blutdruck aufwiesen. Die ebenfalls bereits angeführte Studie von Wetterling, Vieregge und Borgis (1992) konnte weiters auch keine signifikanten Unterschiede zwischen Personen mit einer reinen Demenz vom Alzheimertyp und Personen mit einer Mischdemenz feststellen, Labor-, EEG- und CT-Befunde konnten zu dieser Unterscheidung ebenfalls nur wenig beitragen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Abgrenzung der Demenzen von anderen mnestischen Störungen beziehungsweise die frühe Differentialdiagnostik der Demenzen mittels neurologischer Methoden jedenfalls bisher nicht ausreichend möglich zu sein scheint.

2.2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik

Im Bereich der psychodiagnostischen Verfahren existieren nur wenige zur Früherkennung geeignete Methoden. Der folgende Abschnitt soll einen kurzen Überblick über die bestehenden Testverfahren sowie über die Grenzen und Probleme der Einsetzbarkeit der jeweiligen Tests geben:

Der Demenz-Test von Kessler und Mitarbeitern (1988; nach Gatterer, 1997), ein multimodaler Untersuchungsansatz, ermöglicht nach Angaben der Verfasser unter anderem eine Diagnosefestigung für Hirnleistungsstörungen im Frühstadium, kann über die Art der Störung zu diesem Zeitpunkt alleine nichts aussagen.

Ähnliches gilt für das DCS – das Diagnostikum für Cerebralschädigung (Weidlich & Lamberti, 1993; nach Gatterer, 1997), welches das Ausmaß einer eventuell vorliegenden mnestischen Funktionsstörung messen und für den Bereich der Frühdemenzdiagnostik geeignet sein soll, allerdings über die Ursache der Störungen ebenfalls keinen Aufschluss geben kann.

Dieselben Probleme ergeben sich auch beim Berliner Amnesietest (Metzler et al., 1992; nach Gatterer, 1997), der ebenfalls nur mnestische Defizite diagnostizieren kann, es fehlen allerdings auch hier noch gesicherte Erfahrungen mit dementen Personen.

Ergebnisse des Rivermead Behavioral Memory Tests (RBMT, Wilson et al., 1989; nach Gatterer, 1997), eines weiteren Verfahrens zur Diagnostik von Gedächtnisstörungen, dürften nach Ansicht mehrerer Autoren (Beardsell et al., 1991; Goldstein et al., 1992; in Gatterer, 1997) auch für die Verwendung in der Frühdiagnostik einer Demenz sprechen, es existieren bis jetzt allerdings ebenfalls nur wenige klinische Erfahrungen zur Evaluierung.

Der Aachener Aphasie Test (AAT, Huber et al., 1983; nach Gatterer, 1997) dürfte insofern nur bedingt einsetzbar sein, da er lediglich sprachliche Beeinträchtigungen bei Probanden misst, die in einem für die Früherkennung doch schon recht späten Stadium der Alzheimer-Demenz auftreten.

Zaudig (1994) verweist auf eine weitere Testmöglichkeit, auf das SIDAM, “das Strukturierte Interview zur Diagnose der Demenz vom Alzheimer-Typ, der Multiinfarkt-Demenz und anderer Ätiologie nach DSM-III-R und ICD-10“ von Zaudig und Hiller (1995). Es soll nach Angaben der Autoren sowohl die Unterscheidung dementer von nicht-dementen Personen, sowie mit Hilfe des SIDAM-Scores (SISCO) eine genaue Ein-schätzung des Schweregrades auch leichtester kognitiver Beeinträchtigungen erlauben, eine differentialdiagnostische Abklärung der Demenzart ist aber auch hier nicht möglich.

Abgesehen von den jeweils spezifischen Mängeln der aufgeführten Testmethoden weist Jolles (1987) zusammenfassend darauf hin, dass eigentlich noch kein zuverlässiges und sensitives Verfahren zur Frühdiagnostik bezüglich des dementen Formenkreises besteht, da nie klar erkennbar sein kann, welche kognitiven Defizite als Ursache für schlechte Testwerte angesehen werden dürfen, psychometrische Tests also nur kognitive Leistung und nicht kognitive Funktion messen und daher weder für Früh- noch für Differentialdiagnostik geeignet sein können.

Zusätzlich muss noch angemerkt werden, dass eine Diagnose durch die Unspezifität der Symptome besonders in der Frühphase in der herkömmlichen Diagnostik immer mit großen Schwierigkeiten behaftet ist. Die hier bisher angeführten psychodiagnostischen Verfahren erlauben also zwar das Ausmaß der mnestischen Störungen festzustellen, über Art bzw. Ursache können aber keine gesicherten Aussagen getroffen werden.

2.2.2.1 Neuropsychologische Begutachtungsverfahren:

Eine relativ gut geeignete Methode zur Erfassung der individuellen kognitiven Funktions-einbußen in diesem Zusammenhang dürfte mithilfe der Tübinger Luria Christensen Neuropsychologischen Untersuchungsreihe (TÜLUC, Christensen 1975, in Gatter, 1997) bzw. der Halstead Reitan Neuropsychological Batterie (Reitan & Davidson, 1974 in Gatterer, 1997) geschaffen worden sein, die nach Jolles (1987) aus einer Zusammen-stellung von Tests zur systematischen Differenzierung der kognitiven Funktionen bestehen,

die kognitiven Defizite also genauer definieren helfen können. Fraglich ist allerdings, ob sich aus dem relativ genauen Wissen um die Art der individuellen Defizite eines Probanden auch Hinweise auf die geeignete Behandlung ergeben können, auch die differentialdiagnostische Abklärung dürfte zumindest in den frühen Erkrankungsphasen nur schwer möglich sein, wobei - wie aus den obigen Ausführungen bereits ersichtlich - die gerade erwähnten beiden Argumente im Übrigen natürlich für alle beschriebenen Testmethoden gelten dürften.

2.2.2.2 ADL- und IADL-Skalen:

Andere bereits lange verwendete und aufgrund der einfachen Durchführbarkeit beliebte Methoden der Quantifizierung von krankheitsbedingten Defiziten, bei denen der Nutzen der Durchführung von Übungen zu den festgestellten Defiziten ebenso fraglich ist, stellen ADL- (Activities of Daily Living-) und IADL- (Instrumental Activities of Daily Living-) Skalen, sowie der MMSE dar.

ADL-Funktionen werden durch Teunesse (1995) als Aktivitäten definiert, die mit einfachen selbstversorgenden Tätigkeiten in Zusammenhang wie Körperpflege oder Nahrungsaufnahme stehen, IADL-Funktionen als komplexere Funktionen, die eine höhere Stufe der notwendigen Bewältigung darstellen, beispielsweise die Verwendung eines Telefons oder die gesamte Durchführung eines Einkaufs inklusive der Erstellung einer Einkaufsliste, da die Demenz neben kognitiven Beeinträchtigungen auch Verhaltens-veränderungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens verursacht. Abgesehen von der Möglichkeit, dass bestimmte IADL-Funktionen auch im prämorbiden Niveau nur mangelhaft ausgeprägt gewesen sein können, ist eine Quantifizierung in frühen Demenz-stadien mit dieser Methode nicht denkbar.

Der MMSE (Minimental State Examination von Folstein et al., 1975), ein häufig in der klinischen Praxis verwendetes Verfahren, hat nach Henderson und Huppert (1984; in Zaudig, 1995) ebenfalls „zwar eine hohe Sensitivität und Spezifität bei mittelschweren und schweren kognitiven Beeinträchtigungen, bei der Erfassung leichter kognitiver Störungen ist es eher ungeeignet“ (S. 66).

2.2.2.3 Der Testing-the-Limits-Ansatz:

Eine völlig neuer Weg in der Frühdiagnose der dementiellen Symptomatik wurde mit dem Testing-the-Limits-Ansatz (in Anlehnung an Schmidt, 1971; nach Kühl & Baltes, 1992) beschritten, den Kühl und Baltes (1992) folgendermaßen charakterisieren:

Zentral bei diesem Ansatz ist die dynamische, auf mehrmaligen Testdarbietungen und unterschiedlichen experimentellen Strategien beruhende Erfassung des Leistungspotentials oder der Reservekapazität (Plastizität). ... Die mit dem «Testing-the-Limits»-Vorgehen verknüpfte zentrale Überlegung ist, dass dementiell erkrankte Personen bereits im Initialstadium des Leidens aufgrund reduzierter Reservekapazitäten weniger kognitive Plastizität zeigen als gesunde alte Menschen. Es wird mit anderen Worten erwartet, dass dementiell Erkrankte weniger von den leistungsfördernden oder leistungsoptimierenden Bedingungen z. B. im Rahmen von kognitiven Leistungstrainings profitieren als Gesunde, und dass sie damit schneller als diese an ihre Leistungsgrenzen stoßen (S. 290).

Kühl und Baltes konnten in diesem Zusammenhang in einer Studie 1992 tatsächlich nachweisen, dass bereits Personen in einem präklinischen Demenzstadium weniger von einem - in diesem Fall figuralem – kognitiven Training profitieren als gesunde Kontrollpersonen, was als Hinweis auf eine reduzierte kognitive Plastizität auf Seiten der leicht dementen Untersuchungsteilnehmer interpretiert wird.

Eine frühere Untersuchung von Baltes und Kliegl (1986; in Weinert, 1994) zur individuellen Leistungsfähigkeit bei gesunden jungen und alten Menschen nach einem längeren Trainingsprogramm zeigt allerdings, „dass sich die Leistungsverteilungen der in ihren IQ-Werten vergleichbaren jungen und älteren Untersuchungspersonen am Ende des Testing-the-limits-Verfahrens (also einer Analyse der individuellen Leistungsgrenzen) kaum mehr überlappten“ (Baltes, 1990; zitiert nach Weinert, 1994).

Das Ergebnis dieser Untersuchungen lässt also insgesamt vermuten, dass eine gewisse Abnahme der kognitiven Plastizität im Alter durchaus als normal gelten darf, Patienten mit beginnender dementieller Symptomatik darüber hinaus aber aufgrund einer krankheitsbedingten Voralterung oder erhöhter Vulnerabilität an einer noch stärker ausgeprägten Verschlechterung der kognitiven Leistungen leiden.

Zusätzlich muss angeführt werden, dass der mit diesem Verfahren verbundene Testaufwand für eine kurze differentialdiagnostische Klärung zwischen krankheitswertigen und normalen Veränderungen im Sinne eines Screeningverfahrens ungeeignet erscheint, was eine wünschenswerte routinemäßige Abklärung im Rahmen einer Allgemeinuntersuchung unmöglich macht.

Geht man nun von der Idee des Testing-the-Limits-Ansatzes, also von einer krankhaften Voralterung aus und nimmt man weiter an, dass sich diese Abnahme der kognitiven Leistungen nicht plötzlich sondern allmählich entwickelt, so stellt sich aber zusätzlich noch die Frage nach einer Abgrenzung der dementiellen Symptomatik zu den leichten kognitiven Störungen, insbesondere zu den altersassoziierten Gedächtnisbeein-trächtigungen, die nun kurz besprochen werden sollen.

2.2.3 Die altersassoziierten Gedächtnisbeeinträchtigungen

Eine Untersuchung von Koivisto und Mitarbeitern aus dem Jahr 1995 weist bezüglich der altersassoziierten Gedächtnisbeeinträchtigungen (AAMI) eine Prävalenzrate von 38,4% in der Altersgruppe zwischen 60 und 78 Jahren auf und veranlasst die Autoren zu der Ansicht, diese Gedächtnisbeeinträchtigungen im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz als normales Altersphänomen zu betrachten, was auch durch eine ältere Studie von Reisberg und Mitarbeitern (1986; nach Koivisto et al., 1995) bekräftigt wird, die bei 95% der als vergesslich eingestuften Patienten 3,6 Jahre nach der ersten Testung keine klinischen Veränderungen bzw. Verschlechterungen in Richtung einer Demenz feststellen können. Nebenbei bemerkt ist bei Männer mit AAMI eine etwas höhere Prävalenzrate festzustellen, diese Rate sinkt bei beiden Geschlechtern mit fortschreitendem Alter ab.

Im Gegensatz dazu sehen die Autoren die Entwicklung bei der Demenz vom Alzheimertyp, da hier die Prävalenzrate für Frauen höher eingeschätzt wird und sich mit steigendem Alter exponentiell erhöht.

Einer Untersuchung von Snowdon und Lane (1994) zufolge entwickelten von 32 Personen, welche zum ersten Testzeitpunkt die Kriterien für eine altersassoziierte Gedächtnisbeeinträchtigung erfüllten, acht Jahre später nur zwei Probanden eine Demenz, eine sehr ähnliche Erkrankungsrate wiesen auch später an einer Demenz erkrankte Personen ohne vorhergehende altersassoziierte Gedächtnisbeeinträchtigung auf.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 1995 (Hänninen et al.) an 176 Personen, die nach 3,6 Jahren erneut getestet werden konnten ergab, dass 59,1% dieser Personen noch immer die AAMI – Kriterien erfüllten, 9,1% eine Demenz entwickelten und 7,4% weder den AAMI- noch den Demenzkriterien entsprachen, die restlichen Versuchsteilnehmer verbesserten sich bzw. genügten nicht mehr den Kriterien für eine AAMI. Die Autoren folgern aus den Ergebnissen dieser Studie, dass AAMI im allgemeinen nicht progressiv ist, dass aber innerhalb der AAMI-Population Patienten existieren, die sich in der Phase der frühen Demenz befinden, sowie auch Personen ohne Gedächtnisprobleme, merken aber an, dass diese Personen, die später eine Demenz entwickelten bereits in der Erstuntersuchung anhand neuropsychologischer Verfahren – insbesondere Mithilfe von Gedächtnistests und Tests zur Wortflüssigkeit - von den anderen Untersuchungsteilnehmern mit reiner altersassoziierter Gedächtnisbeeinträchtigung unterschieden werden können.

Auch Ergebnisse einer neueren Studie aus dem Jahr 1999 (Petersen, Smith, Waring, Ivnik, Tangalos & Kokmen) deuten darauf hin, dass Personen mit leichten kognitiven Störungen von Gesunden durch Veränderungen im gedächtnisspezifischen Bereich differenziert werden können, wohingegen bei Personen mit sehr leichter Alzheimer-Demenz auch bereits in anderen kognitiven Bereichen Schwierigkeiten bemerkt werden können. Die Gedächtnisleistungen der Patienten mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen waren denen der Alzheimer-Patienten aber eher ähnlich und es muss daraus geschlossen werden, dass Gedächtnistests alleine zur Diagnostik ungeeignet sind. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich der Zustand von Patienten mit leichten kognitiven Störungen schneller verschlechtert als bei Gesunden, aber langsamer als bei Patienten im Frühstadium einer Demenz.

Kessler und Kalbe (1997) weisen in diesem Zusammenhang jedenfalls darauf hin, dass zumindest bei den Demenzen neurodegenerativer Ätiologie eine Grenzziehung zwischen normalem kognitiven Abbau und den ersten Zeichen einer dementiellen Erkrankung schwierig sei, da sich die interindividuelle Variabilität kognitiver Funktionen im Alter und die Variabilität und Verschiedenheit dementieller Syndrome überlappen können, so dass im Frühstadium keine eindeutige Diagnose anhand kognitiver Leistungen möglich sein kann.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Früherkennung stellt sich aufgrund der Ergebnisse mehrerer Untersuchungen (vgl. Sunderland et al., 1986, Bolla et al., 1991, O´Connor et al., 1991, sowie Roth et al., 1986; nach O´Brien Beats, Hill, Howard, Sahakian & Levy, 1992) bezüglich der teilweise sehr beträchtlichen Unterschiede zwischen subjektiv empfundenen und objektiv vorhandenen Gedächtnisbeschwerden, die zeigten, dass objektiv feststellbare Beschwerden zwar deutlich häufiger eine dementielle Entwicklung vorhersagen lassen, in der Diagnostik bisher häufig hingegen lediglich die subjektiven Beschwerden besondere Beachtung finden.

Neben den behandelten Schwierigkeiten bei der differentialdiagnostischen Abklärung stellt sich allerdings vor allem die Frage, ob es sich bei den verschiedenen Gedächtnisstörungen überhaupt um verschiedene Beeinträchtigungen handelt oder ob vielmehr nur quantitative Unterschiede bestehen, dass also „normale“ Altersvergesslichkeit, altersassoziierte Gedächtnisstörungen und die Demenz vom Alzheimer-Typ verschieden starke Ausprägungen auf einem Kontinuum darstellen, wie Brayne und Calloway (1988; nach O´Brien, Beats, Hill, Howard, Sahakian & Levy; 1992) vermuten. Crook (1989; in Kessler & Kalbe, 1997) bezeichnet die neurochemischen Änderungen bei beiden Syndromen in diesem Zusammenhang jedenfalls zumindest als ähnlich. Die Unterschiede in den Prävalenzraten zwischen altersassoziierten Gedächtnisbeschwerden und der Demenz vom Alzheimer-Typ sprechen allerdings gegen eine solche Vermutung.

Sollte es sich aber, wie die weiter oben angeführten Studien nahe legen, bei diesen beiden Beeinträchtigungen tatsächlich um qualitativ verschiedene Störungen handeln, so wäre es zumindest wichtig, diejenigen Personen mit einer beginnenden Demenz aus der Gruppe der AAMI herauszufiltern, um frühzeitig geeignete spezifische Interventionen setzen zu können.

Da im Gegensatz zu den Gedächtnisstörungen, die den Kriterien einer AAMI genügen, darüber hinaus noch eine Vielzahl von Störungen mit Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit existieren, die eine sehr heterogene Gruppe bilden (vgl. Nicoll, 1995; Zaudig, 1995; in Kurz, 1997) und nach Grundmann (1996; in Kurz, 1997) mit einer relativ hohen Rate von rund 15% pro Jahr zum Stadium der Demenz fortschreiten, scheint es zusätzlich notwendig zu sein, auch diejenigen Störungskreise einzugrenzen, bei denen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz vermutet werden kann.

2.2.4 Differentialdiagnostik der depressiven Symptome

Eine im Zusammenhang mit der Demenzdiagnostik ebenfalls häufig auftretende und differential-diagnostisch bedeutsame Erscheinung sind depressive Symptome infolge einer dementiellen Erkrankung. Im diesem Zusammenhang können nach Gutzmann (1992) drei verschiedene Ursachen für depressive Symptome angeführt werden, nämlich wenn „die Depressionen als Vorläufer einer dementiellen Erkrankung auftreten, bei depressiven Reaktionen auf das Erleben einer Demenz und beim Krankheitsbild der Demenz mit Depression“ (S. 20).

Zusätzlich abzuklären ist allerdings vor allem, ob es sich dabei wirklich um Begleit- bzw. Folgeerscheinungen einer Demenz handelt oder ob nicht vielmehr eine Pseudodemenz vorliegt, also eine als vermeintliche Demenz maskierte depressive Erkrankung bzw. ob depressive Erkrankungen nicht schon vor einer dementiellen Erkrankung vorhanden waren und die Demenzentwicklung eventuell sogar mitbedingen könnten.

Einerseits werden depressive Syndrome also aufgrund der ähnlichen Symptombilder häufig mit den Auswirkungen leichter kognitiver Störungen bzw. dementieller Erkrankungen verwechselt, andererseits werden darüber hinaus aber dementielle Störungen und kognitive Beeinträchtigungen häufig von depressiven Symptomen begleitet; Kral (1983; nach Zaudig, 1994) schätzt beispielsweise, dass 15 – 20% der Alzheimer-Patienten zusätzlich an depressiven Symptomen leiden und Cummings, Miller, Hill und Neshkes (1987) beschreiben depressive Symptome bei 10 –20% der Patienten mit Alzheimer-Demenz, sowie bei 20 – 30% der Multi-Infarkt-Demenz - Patienten. Die Autoren weisen in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass Symptome einer Depression zwar bei der Alzheimer-Demenz nicht ungewöhnlich sind, sogenannte “major depressive episodes“ allerdings nur äußerst selten vorkommen. Möglicherweise wird ein Großteil dieser depressiven Symptome ja gerade durch die Demenzentstehung ausgelöst, was das Fehlen eines ausgeprägten depressiven Syndroms erklären könnte.

Andererseits wird von Roth (1986, nach Zaudig, 1994) angenommen, dass bei ca. 15% der älteren Patienten mit schweren Depressionen sogenannte Pseudodemenzen beobachtet werden können.

Auch McAllister und Price (1982) berichten über eine relativ hohe Rate an Pseudodemenzen bei älteren Personen, merken allerdings auch an, dass Demenzen und Pseudodemenzen ebenso gut bei ein und demselben Patienten nebeneinander bestehen können, eine Meinung, die auch von Reding, Haycox und Blass (1985) vertreten wird.

Emery (1988; nach Zaudig, 1994) nennt als typische Störungen depressiver Syndrome, die neben den rein dementiellen Syndromen und den leichten kognitiven Beeinträchtigungen die größte Krankheitsgruppe im Alter darstellen, Störungen der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Gedächtnisses beim Problemlösen, des Lernens, der Konzeptbildung und der Geschwindigkeit der kognitiven Verarbeitung.

Für die Früherkennung und differentialdiagnostische Klärung ergeben sich für die oben angeführten hohen Koinzidenzen neben psychologischen Erklärungsansätzen speziell bei den depressiven Reaktionen aufgrund der Demenz weitere Hinweise:

Joles (1987) weist auf Ergebnisse von Van Praag und Rossor (beide 1982) hin, die zeigen, dass die chatecholinergen Pfade, die in Verbindung mit Depressionen gebracht werden auch in der Pathogenese der Alzheimer-Demenz eine ähnliche Rolle spielen und zumindest vermuten lassen, dass ein gemeinsames cerebrales Substrat bei beiden Erkrankungen vorhanden ist. Diese Annahme würde auch die verschiedenen sowohl bei Depressionen wie bei Demenzen auftretenden Symptome erklären, die nach Reding, Haycox und Blass (1985) Beschwerden über kognitive Beeinträchtigungen, Rückzug aus sozialen Beziehungen und Abkehr von ursprünglich gern gesetzten Aktivitäten, sowie Veränderungen der Schlaf- und Eßgewohnheiten, Erregung und psychomotorische Retardierung einschließen.

Diesbezüglich wäre es für die Diagnostik von entscheidender Bedeutung, wenn eindeutig zuzuordnende depressive Symptome gefunden werden könnten, die zwischen Demenz und Pseudodemenz bzw. Depressionen unterscheiden ließen, denn gerade einer solchen Möglichkeit der Unterscheidung bzw. auch dem gemeinsamen Vorkommen sollte aufgrund der zumindest bei depressiven Störungen im Vergleich zur Demenz relativ guten Behandlungsmöglichkeiten besonderes Augenmerk zukommen.

Die Annahme, dass depressive Störungen speziell in den frühen Phasen einer dementiellen Erkrankung zu finden sind und mit der Schwere der Demenzausprägung invers geringer werden, wie dies auch häufig von den Betroffenen berichtet wird, widerspricht übrigens nach Gutzmann (1992) der klinischen Erfahrung und wird auch von Verwandten nicht festgestellt, scheint also nur dem Patienten selbst so zu erscheinen.

Zusammenfassend muss also festgestellt werden, dass die Früherkennung der Alzheimer´schen Erkrankung, sowie die Verfahren zur Differentialdiagnostik bis zum heutigen Zeitpunkt weder mit bildgebenden bzw. neurologischen Mitteln noch mit psychodiagnostischen Verfahren zufriedenstellend gewährleistet ist.

Der Testing-the-Limits-Ansatz von Kühl und Baltes (1986; nach Kühl und Baltes, 1992) lässt aber zumindest ein Erklärungsmodell für den kognitiven Abbau erkennen, der mit den Ergebnissen der angeführten Studien in Einklang zu bringen ist, nämlich die Idee einer krankheitsbedingten Voralterung bzw. einer erhöhten Vulnerabilität als zusätzlichem Faktor zum normalen kognitiven Abbau bzw. zur altersassoziierten Gedächtnis-beeinträchtigung, die den Unterschied in den kognitiven Leistungen zwischen den an einer rein altersassoziierten Gedächtnisbeeinträchtigung Leidenden und den späteren Demenzpatienten erklären könnte. Die Unterschiede zwischen kognitiv unbeeinträchtigten Menschen und kognitiv Beeinträchtigten bzw. Dementen können durch dieses Modell allerdings nicht erklärt werden, es müssen also noch weitere anlage- und/ oder umweltbedingte Faktoren im weitesten Sinn existieren, welche die Entwicklung der kognitiven Leistungen bzw. deren Ressourcen im Alter und wahrscheinlich auch im Generellen beeinflussen können.

In diesem Sinne würde gerade die frühe Diagnosestellung erhebliche Chancen bezüglich erfolgreicher Therapiemaßnahmen im kognitiven, sozialen und psychischen Bereich bieten, nicht zuletzt auch in Zusammenhang mit den bereits bestehenden und gut entwickelten therapeutischen Mitteln zur Linderung einer eventuell bestehenden depressiven Begleitsymptomatik - abgesehen vom Wunsch nach einer frühzeitigen Abgrenzung und Behandlung zu den reinen Pseudodemenzen - die sich sonst noch zusätzlich demenzverschärfend äußern könnte.

2.3 Altersassoziierte Veränderungen der Persönlichkeit

Im folgenden Abschnitt soll in einem kurzen Abriss auf psychologische, physiologische Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur bzw. auf Veränderungen in einzelnen Persönlichkeitseigenschaften im Verlauf des “normalen“ Lebens und speziell bei gesunden Menschen im höheren Alter eingegangen werden, Faktoren für „gutes Altern werden im Anschluss daran dargestellt.

2.3.1 Psychologische Veränderungen im Alter:

Psychologische Persönlichkeitsveränderungen im Lauf des Lebens können sicherlich teilweise durch verschiedene Erlebnisse und Belastungen (mit)-verursacht werden, verschiedenen Autoren (Olbrich & Thomae, 1978, Thomae, 1970; nach Lehr, 1987) zufolge scheint aber nicht unbedingt das Ausmaß erlebter Belastungssituationen die Persönlichkeit zu beeinflussen, sondern eher die Art, wie diese repräsentiert werden und die Art und Form der Auseinandersetzung mit diesen Problemsituationen. Ebenfalls wird insofern ein möglicher Wechselwirkungsprozess angenommen, da Konstanz und Variabilität von Persönlichkeitsmerkmalen sowohl als Folge eines spezifischen Bedingungsgefüges, als auch als Ursache derselben gesehen werden können, denn die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt das Verhalten in einer bestimmten Situation sicherlich wesentlich mit.

Bei Untersuchungen zur Stabilität bzw. Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen wird, wie Digman (1990; in Weinert, 1994) berichtet, häufig das 5-Faktoren-Modell mit den Persönlichkeitstraits Neurotizismus, Extraversion, Soziabilität/Freundlichkeit, Gewissen-haftigkeit/Willensstärke und Offenheit für neue Erfahrungen/Intelligenz angeführt.

Costa und Mc Crae (1988, 1989; in Siegler, Welsh, Dawson, Fillenbaum, Earl, Kaplan & Clark, 1991) verweisen darauf, dass die interindividuelle Stabilität dieser grundsätzlichen Persönlichkeitszüge ab einem Alter von 25 – 30 Jahren im Allgemeinen sehr hoch ist, wenn überhaupt, so sind nach Weinert (1994) nur geringfügige Veränderungen in jeweils einzelnen Persönlichkeitseigenschaften erkennbar.

Ergebnisse der Jerusalemer Längsschnittuntersuchungen der mittleren Lebensjahre und des Alterns (Shanan, J., 1993) weisen ebenfalls nur auf ein sehr leichtes Absinken einzelner kognitiver Funktionen und Persönlichkeitseigenschaften hin, angeführt wird zum Beispiel eine abnehmende Auseinandersetzungsbereitschaft im Übergang vom mittleren ins höhere Alter.

Auch die Ergebnisse der Baltimore Langzeitstudie des Alterns, die von Costa und McCrae (1993) berichtet werden, zeigen in 20 untersuchten Persönlichkeitseigenschaften keine altersassoziierten Veränderungen. Lediglich in den Skalen Aktivität, positive Emotionen und Unternehmungsgeist wurde eine geringe Abnahme mit zunehmendem Alter festgestellt. Entgegen der Ansicht von Eysenck (1969; nach Lehr, 1996) wonach ein positiver Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und dem Extraversionsgrad bestehe, wurden in dieser Studie beispielsweise hochsignifikante Korrelationen zwischen den Messwerten für Extraversion, die im Abstand von 20 Jahren gewonnen wurden, festgestellt, was auf einen hohen Grad an Konstanz schließen lässt; die für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ebenfalls interessanten Neurotizismuswerte blieben über diesen Zeitraum laut Angaben von Costa und Mitarbeitern (1984; in Lehr, 1996) ebenfalls konstant. Auch Reifler, Larson und Hanley (1982) meinen beispielsweise, dass sich das Risiko an einer Depression zu erkranken, mit steigendem Alter nicht erhöht, Frauen allgemein jedoch ein höheres Risiko als Männer haben, im Laufe ihres Lebens an einer Depression zu erkranken.

Lehr (1987) verweist im Gegensatz zu den oben angeführten nur geringen Abnahmen in einzelnen Eigenschaften auf die Bonner Längsschnittstudie des Alterns (BOLSA) zur Persönlichkeitsentwicklung im höheren Alter, wo bei rund 50% der untersuchten Personen von einem sogenannten “Altersabbau“ mit nachlassender Aktivität oder Angepasstheit bzw. Anregbarkeit, sowie einer zunehmend gedrückten Stimmungslage gesprochen wird, bei den anderen 50% allerdings eine Zunahme von Aktivität, Angepasstheit und Anregbarkeit oder eine zunehmend gesteigerte Stimmungslage festzustellen war.

Lehr erklärt dazu, dass es dabei keineswegs so war,

daß ein bestimmter Personenkreis sogenannte „Abbauerscheinungen“ in allen hier aufgezählten Bereichen [nämlich Aktivität, Stimmung, Anregbarkeit, Angepasstheit und Steuerung; Anm. d. Autors] zeigte. Von einem generellen Persönlichkeitsabbau konnte nicht die Rede sein. Eine Zunahme in einem der oben genannten fünf Bereiche konnte mit einem Konstantbleiben oder einer Abnahme in den übrigen Bereichen einhergehen. Bei einem Vergleich der Personengruppe, die einen sogenannten „Altersabbau“ in einem Verhaltensbereich zeigte, mit jener, bei der Konstanz oder aber Veränderung im Sinne einer Zunahme festzustellen war, fiel zunächst auf, dass dem Lebensalter kaum eine besondere Bedeutung zukam. Hinsichtlich der Veränderungen in den Bereichen Aktivität, Stimmung und Angepasstheit, Steuerung ... waren keine interindividuellen Unterschiede in der intraindividuellen Entwicklung ... während der zwölf Jahre festzustellen (Lehr, 1987; S. 41).

Bezüglich des Faktors Anregbarkeit existiert nach Lehr (1987) allerdings eine mit zunehmenden Alters sinkende Entwicklung. Ein höherer Grad der Angepasstheit steht in engem Zusammenhang mit guten intellektuellen Fähigkeiten, wobei diese Personen auch vermehrtes Interesse an außerfamiliären Kontakten zeigten, mehr um eine Ausweitung bzw. Erhaltung ihrer Interessen bemüht waren und generell als aktiver beschrieben werden. Ebenfalls herausgefunden wurde, dass Personen, die im städtischen Ballungsraum leben, eine erhöhte Angepasstheit aufweisen.

Den Ergebnissen von Lehr (1996) zufolge kann also nicht von einer allgemeinen Reduktion der Aktivität mit steigendem Alter ausgegangen werden, geschlechtsspezifische Unterschiede konnten hingegen nachgewiesen werden:

Männer zeigten demnach mit steigendem Alter generell eine eher abnehmende Aktivität, Frauen ließen signifikant häufiger eine gleichbleibende oder auch steigende Aktivität erkennen. Eine gleichbleibende bzw. zunehmende Aktivität ging dabei nach Angaben von Lehr (1996) immer „mit intensiven, positiv erlebten Freundschaftskontakten, mit einem Bemühen um Erhaltung und sogar Ausweitung sozialer Kontakte und um Ausweitung des eigenen Interessenkreises. Veränderungen in der Aktivität gingen mit gleichgerichteten in Anregbarkeit und Stimmung einher“ (S. 149).

Eine mögliche Erklärung von Lehr (1996) für diesen Sachverhalt wäre, dass Männer durch diverse Beschwerden mit fortschreitendem Alter eher in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sind, Frauen sich mit steigendem Alter, vor allem nach dem in dieser betreffenden Generation bestehenden Rollenmuster eben erst sehr spät und häufig erst bedingt durch den Tod des Ehemannes und die daraus folgende soziale Isolation bemühen, verstärkt soziale Kontakte aufzugreifen beziehungsweise neu zu begründen.

Die soziale Aktivität blieb nach Lehr (1987) jedenfalls bei rund zwei Drittel der Untersuchten über einen 15-jährigen Beobachtungszeitraum insgesamt in etwa aber gleich, eine eventuell nachlassende Aktivität in einem Rollenbereich wurde in diesem Fall durch eine Zunahme der Rollenaktivität in einem anderen Bereich ausgeglichen; rund ein Drittel der Untersuchungsteilnehmer wiesen eine deutliche Abnahme der gesamten sozialen Rollenaktivität auf.

Im Vergleich der Altersgruppen zeigte sich, dass bei den anfangs 70–75-Jährigen während der vergangenen 15 Jahre eine Zunahme sozialer Kontakte in der Eltern- und Ehepartnerrolle, bei den anfangs 60-65-Jährigen in diesen Rollen jedoch eine Tendenz zur Abnahme deutlich wurde.

Lehr (1987) interpretiert dieses Ergebnis in der Weise, dass „hierin doch eine stärkere Abhängigkeit der inzwischen 85-90jährigen zum Ausdruck kommt, welche für die Nähe des Partners bzw. der Kinder verantwortlich gemacht werden können“ (S. 85). Zusätzlich wurde bei der älteren Gruppe eine beträchtliche Abnahme in der Rolle als Vereinsmitglied als auch als aktiv mitwirkender Bürger festgestellt, die jüngere Gruppe ließ hingegen sogar eine Zunahme dieser Rollenaktivitäten erkennen.

Insgesamt kann aus diesen Ergebnissen also geschlossen werden, dass die Persönlichkeitseigenschaften im Wesentlichen stabil bleiben, lediglich im Bereich der Aktivität kann insgesamt eine geringe Abnahme festgestellt werden, die möglicherweise durch das erreichte Bildungsniveau zumindest bezüglich der sozialen Aktivität mitbeeinflusst werden dürfte. Das Auftreten wesentlicher oder plötzlicher Veränderungen darf nach Siegler und Mitabeitern (1991) im Gegensatz dazu allerdings nicht als durch normales Altern verursacht angesehen werden, die Ursachen dafür sollten erforscht werden, um kausale Traumen oder Krankheiten aufdecken zu können.

Strauss und Pasupathi (1994) sehen beispielsweise einen Zusammenhang zwischen den ersten Anzeichen einer Alzheimer-Demenz und erkennbaren Veränderungen der Persönlichkeit und fordern in diesem Fall eine umfassende Abklärung der Gründe solcher Veränderungen, um die Ursachen aufdecken zu können, die diese Veränderungen verursacht haben könnten.

2.3.2 Physiologische Veränderungen des Gehirns

Im Zusammenhang mit den im Anschluss anzuführenden Veränderungen der Persönlichkeit bzw. des Gehirns bei der Alzheimer`schen Erkrankung gilt das Interesse auch den „normalen“ physiologischen Veränderungen des Gehirns im Alter, denn Veränderungen, die häufig ausschließlich mit bestimmten Krankheitsbildern - wie eben auch mit der Alzheimer-Demenz - assoziiert werden, können ebenfalls, wenn auch in freilich geringerem Ausmaß, bei neurologisch unauffälligen älteren Menschen beobachtet werden.

Einige Hinweise auf physiologische Veränderungen des “normalen“ Gehirns werden von Siegler und Mitarbeitern (1991) angeführt, beispielsweise wird (nach Kemper, 1984; Tomlinson et al., 1968; nach Siegler et al., 1991) ein ab dem dritten Lebensjahrzehnt abnehmendes Gehirngewicht oder auch eine Erweiterung der corticalen Sulci (von Kemper, 1984; Mann et al., 1985; nach Siegler et al., 1991) berichtet.

Schwartz, Creasey, Grady, Frederickson, Cutler und Rapaport (1985) berichten von einer Abnahme der grauen Hirnsubstanz, sowie des Thalamus und einer Erhöhung des cerebrospinalen Flüssigkeitsvolumen in den mit steigendem Alter erweiterten Ventrikeln.

Scheibel (1996) bestätigt grundsätzlich die Ergebnisse der oben angeführten Autoren, ist allerdings der Ansicht, dass die häufigste Ursache für ein Schrumpfen des Gehirns durch einen Verlust an weißer Substanz begründet wird und eine Abnahme der grauen Gehirnsubstanz erst bei über 75-jährigen Personen zu finden ist.

Neueren Erkenntnissen von Bartzokis, Beckson, Lu, Nuechterlein, Edwards und Mintz (2001) zufolge schrumpft hingegen die graue Hirnsubstanz im Frontal- und Temporallappen bereits ab dem 20. Lebensjahr linear, die weiße Hirnsubstanz soll noch bis in die fünfte Dekade reifen und erst dann degenerieren.

Abgesehen von den bisher angeführten Unterschieden in den Ergebnissen bezüglich der Degeneration der beiden Gehirnsubstanzen kann also in der für die vorliegende Arbeit hauptsächlich interessierenden Altersgruppen ab 65 Jahren allgemein von einer Abnahme der Gehirnmasse sowie erweiterten Ventrikeln mit erhöhtem cerebrospinalem Flüssigkeitsvolumen ausgegangen werden.

Neben den bisher aufgezeigten eher allgemeinen physiologischen Veränderungen des Gehirns im Alter lassen sich aber auch spezifische Veränderungen feststellen, die im physiologischen Erscheinungsbild den senilen Demenzen ähnlich erscheinen, wenn auch nicht in einem derart hohen Ausmaß. Von Siegler und Mitarbeitern (1991) wird beispielsweise eine Reduktion der Synapsendichte, eine Verarmung der Dendriten-verästelung sowie eine Zunahme der Plaques und Tangles mit steigendem Alter beschrieben.

Diese neurofibrillären Tangles im „normal“ alternden Gehirn werden nach Greenfield und Mitarbeitern (1967; nach Scheibel, 1996) vor allem in den cortikalen Pyramidenzellen im Hippocampus und in den frontalen und temporalen Assoziationsarealen, sowie subcortikal unter anderem in der Amygdala und im Hirnstamm aufgefunden.

Snowdon und Lane (1994) vermuten in diesem Zusammenhang, dass altersassoziierte Gedächtnisstörungen durch altersassoziierte Gehirnveränderungen verursacht werden und weisen neben der bereits erwähnten Zunahme von Plaques und Tangles auf Ergebnisse von Creasey und Rapoport (1985) hin, die auch gezeigt haben, dass in einigen Regionen des Gehirns, wie z.B. eben im Hippocampus oder in der Amygdala eine besonders starke Reduktion der Neuronenzahl nach der 5. Lebensdekade festzustellen ist. Gerade die erwähnten Veränderungen in den Pyramidenzellen des Hippocampus, der nach Lishman (1978; nach Snowdon & Lane, 1994) für das Erlernen neuer Gedächtnisinhalte von großer Bedeutung ist, dürften für altersassoziierte Gedächtnisprobleme daher in wesentlichem Ausmaß verantwortlich sein.

Ein gewisser physiologischer Abbau des Gehirns mit steigendem Alter darf also nach den Ergebnissen der erwähnten Untersuchungen angenommen werden, allerdings scheint dieser Abbau größtenteils keine wesentlichen Auswirkungen zu zeigen. Offensichtlich können diese beschriebenen “normalen“ Veränderungen bis zu einem gewissen Maß kompensiert werden und klinisch unbedeutsam bleiben.

Gertz (1992) vertritt zudem die Auffassung, dass das voll entwickelte Gehirn kein statisches Organ ist, sondern Schädigungen durchaus Reparationsvorgängen zugänglich sind, dass beispielsweise die genannten Dendritenveränderungen als Ausdruck plastischer Prozesse verstanden werden können und dass

bis in die 9. Dekade die Funktion der im Rahmen der Hirnalterung absterbenden Nervenzellen durch Vergrößerung des Dendritenbaumes, also der Zelloberfläche der verbleibenden Zellen (partiell?) kompensiert wird. ... Ein Nebeneinander von Regression und Wachstum in unmittelbar benachbarten Hirnstrukturen ist ohne weiters denkbar. ... Auf der Ebene der Synapsen gibt es gleichfalls Anhaltspunkte für altersabhängige Kompensationsvorgänge. ... Denkbar ist, dass durch eine Flächenzunahme einzelner Synapsen der Verlust anderer Synapsen kompensiert werden kann (Gertz, 1992; S. 250 – 251).

Es stellt sich im Zusammenhang mit dementiellen Prozessen die Frage, ob die erwähnten „normalen“ physiologischen Veränderungen nicht auch einen gewissen Einfluss auf Persönlichkeit und Gedächtnis haben, oder ob es sich vielleicht normalerweise nur um leichte Veränderungen handelt, die mit steigendem Schweregrad oder auch vielleicht mit steigendem Alter infolge eines dann auftretenden Kompensationsdefizits Auslöser für Erkrankungen sein könnten. Die beispielsweise von Poon (1995, in Kessler & Kalbe, 1997) genannten Veränderungen der mnestischen Funktion im „normalen“ Alter, wie Gedächtnis-, Aufmerksamkeitsprobleme, Sprach- und Orientierungsstörungen finden sich ja auch im Erscheinungsbild der Demenzen wieder, wenn natürlich beim gesunden Älteren in einem beträchtlich geringeren Ausmaß. Trotzdem scheint die Ähnlichkeit der Symptome „normalen“ Alterns und klinisch relevanter Störungen auf eine gemeinsame Basis schließen zu lassen. Weitere Forschungen in diese Richtung wären jedenfalls wünschenswert.

2.3.3 Faktoren für “gutes“ Altern

Ein weiterer wesentlicher Forschungsgegenstand bezüglich der Persönlichkeit im Alter betrifft das Auffinden möglicher Faktoren zur Förderung des „guten“ Alterns - der häufig gebrauchte Ausdruck „optimales Altern“ scheint infolge des damit verbundenen Leistungsaspektes in diesem Zusammenhang eher ungünstig – den eine Förderung dieser Faktoren könnte dementiellen Prozessen und damit verbundenen Abbauprozessen vorbeugen helfen.

In der bereits oben angeführten Jerusalemer Altersstudie (Shanan, 1993) wurden Hinweise auf solche Faktoren gefunden, indem vier Haupttypen der Persönlichkeit mittels ihrer Position in zwei Dimensionen unterschieden werden konnten: In der ersten Dimension wurde die Auseinandersetzungsbereitschaft auf einer Achse zwischen Aktivität und Passivität eingestuft, in der zweiten Dimension wurde die Selbstkonsistenz gemessen. Es stellte sich heraus, dass die Anzahl der anfangs als aktiv beurteilten Versuchsteilnehmern über einen Zeitraum von ca. 20 Jahren zugunsten der eher Passiveren abnahm, dass also die Untersuchten mit zunehmendem Alter in Hinsicht auf die Auseinandersetzungs-bereitschaft im Mittel etwas passiver wurden. Das Ausmaß der Selbstkonsistenz wurde hingegen als entscheidender und konstanter Faktor für gutes Altern bezeichnet.

Psychosoziale Faktoren, besonders die Höhe des Bildungsniveaus werden in dieser Studie ebenfalls als sehr wichtig angesehen, zumal 2 gegensätzliche Typen von Persönlichkeiten unterschieden werden konnten: Zum einen eben Personen mit einem aktiv sich auseinandersetzenden Stil, zum anderen Personen, die sich aufgrund ungenügender materieller, gesundheitlicher und vor allem intellektueller Ressourcen ihren Lebens-bedingungen bestenfalls nur anzupassen vermochten, das heißt nur passiv reagieren konnten, anstatt aktiv an einer Veränderung dieser Umstände zu arbeiten.

Die gelungene Anpassungs- beziehungsweise Veränderungsfähigkeit der sich aktiv Auseinandersetzenden, die im weitesten Sinn als Plastizität der kognitiven Funktionen verstanden werden kann, wird, wie Kruse und Lehr (1988, in Zaudig, 1995) bestätigen, neben der Intelligenz mit ihren biographischen und sozial-situativen Komponenten eben auch durch Persönlichkeitsvariablen, wie Aktivität, Anregbarkeit, Selbstwahrnehmung, Kompetenzerleben und Motivation bestimmt, die wiederum durch Intelligenz- bzw. Bildungsfaktoren beeinflusst werden können.

Hinsichtlich des Faktors Aktivität kommt Lehr (1987) aufgrund der Ergebnisse der bereits dargestellten Bonner Längsschnittstudie des Alterns zu folgendem Schluss: „Eine gleichbleibende oder zunehmende Aktivität im 7., 8. und 9. Lebensjahrzehnt war nahezu immer gekoppelt mit intensiven, positiv erlebten Freundschaftskontakten, mit einem Bemühen um Erhaltung oder gar Ausweitung sozialer Kontakte und einem Bemühen, Neues kennenzulernen, die eigenen Interessen und Hobbies auszudehnen“ (S. 41). Personen mit einer solchen Zunahme der Aktivität zeigten zudem auch eine vermehrt positive Stimmungslage und erhöhte Anregbarkeit. Lehr betont in ihrem Artikel 1996 dementsprechend „die hohe Bedeutung von Aktivität im Alter für die Erhaltung der Gesundheit und kognitiver wie sozialer Kompetenz“ (S. 150); umgekehrt zeigt sich mit steigender Stimmungslage auch eine erhöhte Aktivitätstendenz bzw. Anregbarkeit.

Aber nicht nur die positiven Auswirkungen der Aktivität ab dem 7. Lebensjahrzehnt dürften entscheidend für gutes Altern sein, denn Ergebnisse einer Untersuchung von Friedland (2000) an 193 Personen, die an Alzheimer erkrankt waren, sowie an 385 gesunden Vergleichspersonen zeigten, dass besonders Personen, die im vierzigsten bis sechzigsten Lebenszeitraum aktive Freizeitaktivitäten, wie z.B. das Spielen eines Instruments, Gartenarbeit, Turnen oder auch häufigem Spielen von Brettspielen betrieben, also sowohl Personen mit verstärkten physischen als auch geistigen Aktivitäten im späteren Verlauf seltener an der Alzheimer´schen Krankheit litten als Personen mit eher passiven Freizeitaktivitäten wie etwa Fernsehen, der Teilnahme an sozialen Aktivitäten oder häufiger Kirchenbesuche.

Nach Ansicht von Friedland (2000) haben geistig weniger aktive Personen sogar ein dreimal höheres Risiko zu erkranken als Personen mit ausgeprägten, aktiven Hobbies, weil das Gehirn in diesem Fall eben nicht durch intellektuelle oder physische Aktivitäten stimuliert werde und so nicht gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer im Sinne eines kognitiven Trainings geschützt werden könnte.

Auch Drerup (1994) findet einige Beispiele für psychosoziale Faktoren, die mit Langlebigkeit und erfolgreichen Alter korrelieren, z.B. nennt er wiederum zahlreiche Sozialkontakte, intakte Ehen und das Gefühl gebraucht zu werden – was auch durch die Untersuchungen von Lehr (1987) bestätigt wird - sowie Berufserfolg und Zufriedenheit mit dem Lebensschicksal, wobei die ersten drei Nennungen als Bereiche der Aktivität, der Erfolg aber auch als Motivation und die Zufriedenheit als Folge eines gelungenen Lebens interpretiert werden kann. Es handelt sich bei den angeführten Bereichen ganz allgemein also augenscheinlich um Eigenschaften, die sich mit dem oben erwähnten Konzept der Selbstkonsistenz gut in Einklang bringen lassen, die angesprochene Aktivität sollte allerdings nach Erkenntnissen von Lehr (1979, in Drerup, 1994) mit dem Wissen um die Grenzen der eigenen Belastbarkeit einhergehen, um auch entsprechend positiv erlebt werden zu können.

Zusammenfassend kann also davon ausgegangen werden, dass sich die Persönlichkeit ab einem Alter von 25 – 30 Jahren abgesehen von einer leichten Verringerung des Aktivitätsniveaus und der Anregbarkeit abgesehen von eher leichten intraindividuellen Veränderungen einzelner Eigenschaften generell nicht mehr wesentlich ändert, bestimmte Erkrankungen aber natürlich auch starke Veränderungen bewirken können.

Auch bei kognitiv unauffälligen Personen können physiologische Veränderungen des Gehirns auftreten, und zwar auch solche, die den pathophysiologischen Zeichen der Alzheimer-Krankheit ähnlich sind, bis zu einem gewissen Ausmaß aber kompensiert werden können. Ebenso können die Veränderungen der mnestischen Funktion im höheren Alter zu ähnlichen Problemen führen, wie sie Alzheimer-Patienten aufweisen, wenn auch in geringerem Ausmaß.

Als wesentlicher Faktor für gutes Altern wurde ein hohes Maß an Selbstkonsistenz, also ein hohes Maß an innerer Übereinstimmung im Leben festgestellt, aber auch psychosoziale Faktoren, Intelligenz, Bildung und damit verbundene Anpassungsfähigkeit.

Im Bereich der Persönlichkeit werden Aktivität - speziell im sozialen Bereich-, Anregbarkeit, Selbstwahrnehmung, Kompetenzerleben und Motivation als fördernde Variablen für ein gutes Altern genannt, die umso besser vor degenerativem Abbau schützen können, je früher bzw. länger sie positiv erlebt werden.

2.4 Postmorbide Veränderungen der Persönlichkeit

Veränderungen der Persönlichkeit können neben den allgemein bekannten kognitiven Einbußen bei Personen mit beginnender Alzheimer-Demenz ebenfalls regelmäßig frühzeitig festgestellt werden.

Nach Ansicht von Romero (1997) stellen diese Veränderungen zu einem bedeutenden Teil eine Reaktion auf die kognitiven Einbußen dar. Gutzmann (1992) spricht diesbezüglich von einer Dedifferenzierung und Nivellierung der ursprünglichen Persönlichkeit, sowie von einer gelegentlich auftretenden Überzeichnung bzw. Karikierung der Grundpersönlichkeit.

Fischer, Danielczyk, Jellinger, Simanyi, Gatterer, Marterer (1992) vertreten in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass solche Veränderungen der Persönlichkeit aber unabhängig von der Ätiologie der Demenz entstehen, sich zuerst in einer Überzeichnung der Persönlichkeit manifestieren und erst im weiteren Verlauf die allmähliche Zerstörung der Persönlichkeit zur Folge haben.

Ein häufig zu beobachtendes Phänomen im Verlauf dieser dementiellen Erkrankung stellt dabei ein von Sterz (1921; in Gutzmann, 1992) als “liebenswürdige Verblödung“ bezeichnetes Verhalten dar, das, wie Lauter und Kurz (1989, in Gutzmann, 1992) charakterisieren, „durch besondere Liebenswürdigkeit, Verbindlichkeit der Umgangs-formen und soziale Gefolgsbereitschaft gekennzeichnet ist“ (S. 18).

Eine der Unklarheiten in Hinblick auf Persönlichkeitsveränderungen im Zusammenhang mit der Alzheimer´schen Erkrankung besteht bezüglich der Frage, ob das Ausmaß dieser Veränderungen mit dem Schweregrad der Erkrankung beziehungsweise mit den Verschlechterungen in kognitiven Symptomen einhergehen oder als voneinander unabhängig gelten dürfen. Petry, Cummings, Hill und Shapira (1988) konnten bei den meisten der von ihnen untersuchten Persönlichkeitsdimensionen jedenfalls keinen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Demenz und dem Ausmaß der Persönlichkeitsveränderungen feststellen und schließen aufgrund von Berichten naher Verwandter sogar, dass diese Veränderungen bereits in einem sehr frühen Demenzstadium beobachtet werden können und zu den ersten Manifestationszeichen dieser Krankheit zählen.

Auch Burns (1992; in Haupt, 1997) findet keinen Zusammenhang zwischen der Schwere einer Demenz und dem Auftreten von Persönlichkeitsveränderungen und ist weiters ebenfalls der Ansicht, dass sie auch nicht mit einer Beschleunigung der Symptomprogression verbunden sein dürften.

In einer Studie von Romero (1997) wird jedoch bis zu einem mittelgradigen Demenz-geschehen ein Ansteigen der Persönlichkeitsveränderungen berichtet. Auch Ergebnisse einer Studie von Jakomb und Jorm (1996) verweisen auf eine Verminderung positiver Persönlichkeitseigenschaften mit dem Ansteigen des kognitiven Abbaus.

Möglicherweise setzen diese sicherlich schleichend verlaufenden Persönlichkeits-veränderungen aber lange vor den ersten kognitiven Anzeichen der Demenz ein und erreichen mit dem Einsetzen anderer sichtbarer Demenzzeichen schon einen wesentlichen Grad der Veränderung, der sich in der Folge noch steigern kann und sich ab einem gewissen, möglicherweise eben mittleren Abbau nicht mehr augenfällig verändert, eine Vermutung, die durch weiter unten angeführte Ergebnisse zahlreicher Studien unterstützt wird.

2.4.1 Abnahme der Extraversion

Mit dem Ansteigen kognitiver Defizite korrelieren in der bereits oben erwähnten Studie von Jakomb und Jorm (1996) besonders hoch Faktoren, die in Richtung vermehrter Introversion zeigen. Die Autoren geben zwei verschiedene Erklärungen für diesen Zusammenhang an: Es wäre zum Einen möglich, dass diesen kognitiven Abbau-erscheinungen und diesem Aspekt der Persönlichkeit dieselben pathologischen oder neurochemischen Veränderungen zugrunde liegen, oder aber zum Anderen, dass das festgestellte Absinken der Extraversion eine direkte Folge des kognitiven Abbaus ist, da die betreffende Person mehr und mehr unfähig wird, Vorgänge in der Umwelt zu interpretieren und dementsprechend folgerichtig darauf zu antworten.

Eine bereits in frühen Stadien der dementiellen Erkrankung statistisch signifikante Abnahme der Extraversion wird auch von Romero (1997) berichtet. Ergebnisse dieser Studie in der zusätzlich zu Persönlichkeitstests auch Interviews verwendet wurden, lassen darauf schließen, dass dieser soziale Rückzug eher als Antwort auf die Wahrnehmung eigener kognitiver Defizite interpretiert werden muss.

Eine, wenn auch nicht so starke Veränderung der Extraversion wird aber auch, wie bereits erwähnt, bei “gesunden“ Älteren festgestellt, möglicherweise wird dieses normale Absinken durch die zunehmenden kognitiven Beeinträchtigungen noch verstärkt.

Das in dieser Studie ebenfalls festgestellte Absinken der Rigidität, also der Fähigkeit, Aufgaben und Alltagsverrichtungen gewissenhaft zu bearbeiten, lässt sich in diesem Zusammenhang als Folge der kognitiven Beeinträchtigungen durch erhöhte Resignation interpretieren.

2.4.2 Weitere häufig beobachtbare Persönlichkeitsveränderungen

Bereits der Umgang der Patienten mit den ersten Symptomen, der beispielsweise von Günther, Kryspin-Exner und Hinterhuber (1992) mithilfe des Stressverarbeitungs-fragebogens (SVF, 1985) von Janke, Erdmann und Kallus erhoben wurde, zeigt, dass die Patienten weniger Situationskontrollversuche unternehmen und positive Selbst-Instruktionen seltener werden, eine Zunahme wurde hingegen bei der gedanklichen Weiterbeschäftigung und der Resignation festgestellt. Vorgefundene Passivität, stärkere Introversion, erhöhte Selbstbezogenheit - hauptsächlich die krankheitsbedingten Störungen betreffend - und gesteigerte Agitation durch die Erkrankung können in diesem Licht leicht verstanden werden.

Rubin, Morris und Berg (1987; in Chatterjee et al., 1992) fanden bei ihrer Untersuchung bei zwei Drittel der Alzheimer-Patienten solche erhöhten Passivitätswerte in Folge ihrer Erkrankung, je ein Drittel zeigte vermehrte Selbstbezogenheit bzw. gesteigerte Agitation.

Chatterjee, Strauss, Smyth und Whitehouse (1992) befragten Angehörige von 36 Alzheimer-Patienten nach prä- und postmorbiden Persönlichkeitseigenschaften mithilfe des NEO-Inventars von Costa und McCrae (1989) und fanden hoch signifikante Veränderungen in den fünf im Rahmen dieses Inventars postulierten grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Vulner-abilität und Offenheit. Die trotzdem hoch signifikanten Zusammenhänge zwischen den prä- und den postmorbiden Veränderungen der einzelnen Probanden in den Bereichen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit und Gewissenhaftigkeit in dieser Studie deuten aber an, dass sich die Positionen der Patienten, die aufgrund ihrer Persönlichkeits-eigenschaften in verschiedene Gruppen aufgeteilt wurden, innerhalb dieser Gruppen nicht wesentlich voneinander unterscheiden, obwohl die absoluten Werte in den verschiedenen Dimensionen natürlich stark differieren. Das bedeutet also, dass eine Verschärfung der grundlegenden Eigenschaften hinsichtlich Neurotizismus, Offenheit, Extraversion und Verträglichkeit im Verlauf der Erkrankung als wahrscheinlichste Erklärung für die Persönlichkeitsveränderungen in Frage kommt, dass also weder ein plötzlicher und für alle Personen gültiger “Umschwung“ der Persönlichkeit im Sinne einer bestimmten “Alzheimer-Persönlichkeit“, etwa in Folge physiologischer Veränderungen angenommen werden darf, noch spezifische Arten von Alzheimer-Persönlichkeiten existieren dürften.

Die größten Änderungen in der soeben genannten Untersuchung waren in den Dimensionen der Extraversion und Gewissenhaftigkeit in Verbindung mit gesteigertem Neurotizismus festzustellen.

Die größten Veränderungen in Bereich der Extraversion beziehen sich dabei auf eine Abnahme der Durchsetzungsfähigkeit, der Aktivität und der positiven Gefühle, gefolgt von verringerter Wärme und weniger Anregbarkeit. Verträglichkeit und Offenheit veränderten sich zwar auch signifikant, aber nicht in einem derart hohen Ausmaß.

In Hinblick auf die Bedeutung verringerter Aktivität soll an dieser Stelle auf die bereits angeführten Faktoren für “gutes“ Altern, nämlich unter anderen eben (soziale) Aktivität und psychosoziales Engagement, hingewiesen werden.

Zusätzlich wurde eine verringerte Offenheit, vor allem gegenüber neuen Ideen, aber auch in Verbindung mit der Einschätzung von Kunst und Schönheit angegeben, die Angehörigen waren aber der Ansicht, dass die lebendige Vorstellungskraft der Patienten seit Krankheitsbeginn angestiegen war.

Innerhalb der Neurotizismus-Werte waren besonders eine gesteigerte Ängstlichkeit, depressive Verstimmungen und psychische Verwundbarkeit sichtbar, was in Anbetracht der ausweglos erscheinenden Krankheitssituation als psychologisch durchaus nachvollziehbar gelten darf.

Ausnahmen für diese nur individuell in einem gewissen Ausmaß ab- bzw. zunehmenden Eigenschaftsausprägungen bilden nach Chatterjee und Mitarbeitern (1992) die Bereiche Vulnerabilität und Gewissenhaftigkeit, die prämorbid keinen hohen Zusammenhang mit den post-morbiden Werten erkennen lassen. Dafür werden in der Studie folgende Erklärungen angeführt: Einerseits ändere sich die Gewissenhaftigkeit eventuell weil sie ein Bestandteil von Verhaltensweisen sei, die infolge des Gedächtnisverlustes häufig gar nicht mehr ausgeübt werden könne. Andererseits wäre es möglich, dass die Veränderungen in der Vulnerabilität durch die Reaktionen der Umgebung und speziell infolge des Verhaltens der pflegenden Personen beeinflusst werden.

Weitere Veränderungen, die sich nach Jakomb und Jorm (1996) mit dem Grad des kognitiven Abbau allerdings in einem bedeutend geringerem Ausmaß vermehrt zeigen, betreffen neurotische Eigenschaften sowie die allgemeine Verträglichkeit. In diesen Skalen wird je nach Patient sowohl ein Ansteigen als auch ein Absinken beobachtet, was die Autoren zu der Aussage veranlasst, dass die krankheitsbedingte Ausprägung dieser Eigenschaften zumindest teilweise ebenfalls durch soziale Komponenten mitbestimmt werden muss. Die Ergebnisse einer Untersuchung von Romero (1997) zeigen jedenfalls generell tendenziell erhöhte Werte auf der Neurotizismus-Skala bis zum mittleren Stadium an, was auch durch die Ergebnisse der folgenden Untersuchungen zum Bereich Depression und depressive Verstimmung glaubhaft untermauert wird.

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832464400
ISBN (Paperback)
9783838664408
DOI
10.3239/9783832464400
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Psychologie
Erscheinungsdatum
2003 (Februar)
Note
2,0
Schlagworte
frühdiagnostik persönlichkeitsveränderung postmorbide veränderungen prämorbide veränderung depression
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Titel: Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer
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