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Bewährungsprobe für den Stabilitäts- und Wachstumspakt

©2002 Diplomarbeit 64 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Am Anfang des Jahres 2002 geriet der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, als die Europäische Kommission (EK) Deutschland und Portugal wegen zu hoher öffentlicher Defizite eine Frühwarnung aussprechen wollte. Diese Ankündigung löste eine heftige Diskussion in Politik, Wirtschaftspresse und Wissenschaft über die Notwendigkeit und Ausgestaltung des SWP aus. Die Palette der Forderungen reicht von einer unveränderten Beibehaltung des SWP bis hin zu dessen ersatzloser Streichung.
Vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten Kontroversen wird in dieser Diplomarbeit untersucht, ob und inwieweit sich das Regelwerk des SWP als Instrument zur Defizitbegrenzung bislang bewährt hat und welche Erwartungen zukünftig an den SWP gerichtet werden können. Zur Bearbeitung dieser Problemstellung werden die finanzwissenschaftliche Theorie ebenso wie die neuesten Erfahrungen mit der Umsetzung und Anwendung des Regelwerks ausgewertet.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Problemstellung und Aufbau der Arbeit1
2.Inhalt des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP)2
2.1Entstehung des SWP2
2.2EG-Vertrag als Grundlage3
2.3Konkretisierung des Sanktionsmechanismus nach dem SWP5
2.4Frühwarnsystem zur Vermeidung übermäßiger Defizite9
3.Argumente für eine Defizitbegrenzung in der EWU10
3.1Gefahren für die Geldpolitik11
3.2Negative externe Effekte12
4.Analyse des SWP15
4.1Defizitquote als Zielgröße15
4.1.1Referenzwert für die Defizitquote16
4.1.2Vereinbarkeit von Defizitgrenze und Stabilisierungspolitik18
4.1.3Ausgabenziele als Ersatz für die Defizitgrenze20
4.2Glaubwürdigkeit des Sanktionsmechanismus22
4.2.1Effektivität des „Quasi-Automatismus“22
4.2.2Fehlende Unabhängigkeit der Entscheidungsträger24
4.2.3Eignung der Sanktionen27
4.3Wirksamkeit des Frühwarnsystems28
4.4Zusammenfassung der Analyseergebnisse33
5.Alternative Mechanismen zur Defizitbegrenzung35
5.1Finanzmärkte als Disziplinierungsinstrument35
5.2Stabilitätssteuer36
5.3Verschuldungslizenzen38
6.Empfehlungen unter Berücksichtigung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen39
7.Zusammenfassung und Ausblick42

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis.

1 Problemstellung und Aufbau der Arbeit

2 Inhalt des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP)
2.1 Entstehung des SWP
2.2 EG-Vertrag als Grundlage
2.3 Konkretisierung des Sanktionsmechanismus nach dem SWP
2.4 Frühwarnsystem zur Vermeidung übermäßiger Defizite

3 Argumente für eine Defizitbegrenzung in der EWU
3.1 Gefahren für die Geldpolitik
3.2 Negative externe Effekte

4 Analyse des SWP
4.1 Defizitquote als Zielgröße
4.1.1 Referenzwert für die Defizitquote
4.1.2 Vereinbarkeit von Defizitgrenze und Stabilisierungspolitik
4.1.3 Ausgabenziele als Ersatz für die Defizitgrenze
4.2 Glaubwürdigkeit des Sanktionsmechanismus
4.2.1 Effektivität des „Quasi-Automatismus“
4.2.2 Fehlende Unabhängigkeit der Entscheidungsträger
4.2.3 Eignung der Sanktionen
4.3 Wirksamkeit des Frühwarnsystems
4.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse

5 Alternative Mechanismen zur Defizitbegrenzung
5.1 Finanzmärkte als Disziplinierungsinstrument
5.2 Stabilitätssteuer
5.3 Verschuldungslizenzen

6 Empfehlungen unter Berücksichtigung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen

7 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang 1: Projektionen für den Finanzierungsüberschuss (+) / das Finanzierungsdefizit (-) der EU-Staaten

Anhang 2: Entwicklung der deutschen Defizit-/Überschussquote gemäß Stabilitätsprogramm – Aktualisierung Dezember 2001

Anhang 3: Entwicklung der deutschen Defizit-/Überschussquote gemäß Jahreswirtschaftsbericht 2002

Anhang 4: Gesamtstaatlicher Haushaltssaldo des Euro-Gebiets

Anhang 5: Haushaltsentwicklungen in den EWU-Ländern in den Jahren 1999 und 2000

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der amtlichen Dokumente

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Problemstellung und Aufbau der Arbeit

Am Anfang des Jahres 2002 geriet der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, als die Europäische Kommission (EK) Deutschland und Portugal wegen zu hoher öffentlicher Defizite eine Frühwarnung[1] aussprechen wollte. Diese Ankündigung löste eine heftige Diskussion in Politik, Wirtschaftspresse und Wissenschaft über die Notwendigkeit und Ausgestaltung des SWP aus. Jüngster Schauplatz der wissenschaftlichen Diskussion war das 33. Konstanzer Seminar für Geldtheorie und -politik, das am 26. Mai 2002 stattfand und die Uneinigkeit der Wissenschaftler über mögliche Vor- und Nachteile von Bestimmungen zur staatlichen Schuldenbegrenzung erneut offenbarte.[2] Der wissenschaftliche Streit spiegelt sich auch in Politik und Wirtschaftspresse wider. Die Palette der Forderungen reicht von einer unveränderten Beibehaltung des SWP bis hin zu dessen ersatzloser Streichung.

Vor dem Hintergrund der zuvor skizzierten Kontroversen soll in dieser Diplomarbeit untersucht werden, ob und inwieweit sich das Regelwerk des SWP als Instrument zur Defizitbegrenzung bislang bewährt hat und welche Erwartungen zukünftig an den SWP gerichtet werden können. Zur Bearbeitung dieser Problemstellung werden die finanzwissenschaftliche Theorie ebenso wie die neuesten Erfahrungen mit der Umsetzung und Anwendung des Regelwerks ausgewertet.

Kapitel 2 beschreibt zunächst die wesentlichen Inhalte des SWP. Anschließend werden in Kapitel 3 die Argumente für die Notwendigkeit eines solchen Paktes in der Europäischen Währungsunion (EWU) beleuchtet. Kapitel 4 bildet mit der Analyse des SWP den Schwerpunkt dieser Arbeit. Es umfasst sowohl die Kritik am Regelwerk als auch die Erörterung möglicher Reformvorschläge. Darauf aufbauend werden in Kapitel 5 marktliche Lösungsmechanismen als Alternative zu den Gebots- bzw. Verbotsmechanismen des SWP dargestellt. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wird in Kapitel 6 eine Empfehlung unter Berücksichtigung rechtlicher und politischer Rahmenbedingungen erarbeitet. Das Schlusskapitel, Kapitel 7, gibt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit sowie einen Ausblick.

2 Inhalt des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP)

Im Folgenden wird als erstes der historische Hintergrund des SWP beschrieben; dann werden die für den SWP relevanten Passagen des EG-Vertrags dargestellt, bevor die beiden wesentlichen Bestandteile, der Sanktionsmechanismus und das Frühwarnsystem, ausführlich erklärt werden.

2.1 Entstehung des SWP

Um die Preisniveaustabilität in der bevorstehenden EWU zu sichern, ergriff im Herbst 1995 der damalige Bundesfinanzminister Waigel die Initiative zur Schaffung eines Stabilitätspakts. Mit dem Start der EWU am 1. Januar 1999 sollten nämlich die Konvergenzkriterien[3] („Maastrichtkriterien“) ihre Bedeutung als finanzpolitisches Disziplinierungsinstrument (für die der Währungsunion (WU) beigetretenen Staaten) verlieren.[4]

Der SWP wurde am 16./17. Juni 1997 auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) in Amsterdam verabschiedet.[5] Er soll zum einen eine solide Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten sicherstellen und zum anderen helfen, deren finanzpolitische Entwicklungen zu überwachen. Der SWP setzt sich aus drei Teilen zusammen:[6]

- Entschließung des Europäischen Rats (ER) vom 17. Juni 1997 (Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, der EK und des ER);
- Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des ECOFIN-Rats[7] vom 7. Juli 1997 („Frühwarnsystem“ auf Grundlage des Art. 99 EGV);
- Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des ECOFIN-Rats vom 7. Juli 1997 (Konkretisierung des „Sanktionsmechanismus“ gemäß Art. 104 EGV).

2.2 EG-Vertrag als Grundlage

Nach Art. 99 EGV, der Grundlage für das Frühwarnsystem, gibt der ECOFIN-Rat „die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ vor und beobachtet „die wirtschaftliche Entwicklung in jedem Mitgliedstaat“ im Rahmen eines multilateralen Verfahrens. Bei wirtschafts- bzw. haushaltspolitischen Verfehlungen seitens der Mitgliedstaaten kann der ECOFIN-Rat Empfehlungen zu einer entsprechenden Korrektur aussprechen und diese ggf. veröffentlichen.[8]

Die Grundlage für den Sanktionsmechanismus im SWP bildet Art. 104 EGV mit dem beigefügten Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Dieser Artikel verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Haushaltspolitik, die übermäßige Defizite vermeidet. Die Beurteilung der Haushaltsdisziplin basiert vor allem auf zwei Kriterien:

1. Die Defizitquote (Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen Defizits zum BIP) darf 3% (Referenzwert) nicht überschreiten, außer wenn sie

- „erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwerts erreicht hat
- oder der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird“[9] und die Defizitquote in dessen Nähe bleibt.

2. Die Schuldenquote (Verhältnis des Schuldenstands zum BIP) darf 60% (Referenzwert) nicht überschreiten, außer wenn sie „hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert“[10].

Die Artikel 100 bis 103 EGV sind für die spätere Beurteilung der Argumente für eine Defizitbegrenzung in der EWU[11] von Bedeutung und werden daher auch kurz dargestellt. Dabei stehen die Artikel 100 und 103 in einem tendenziellen Konfliktverhältnis. Während Art. 103 EGV, die sogenannte No-bail-out-Klausel (NBO-Klausel), bestimmt, dass weder die Gemeinschaft noch ein Mitgliedstaat für Verbindlichkeiten öffentlicher Organe eines anderen Mitgliedstaats haften, erlaubt Art. 100 Abs. 2 EGV, einem „Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Gemeinschaft zu gewähren“.

Die Artikel 101 und 102 EGV beschränken die Finanzierungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken dürfen keine Kredite an öffentliche Organe geben und keine Schuldtitel unmittelbar von diesen erwerben.[12] Die öffentlichen Organe dürfen auch keinen bevorrechtigten Zugang zu Finanzinstituten haben, außer wenn aufsichtsrechtliche Gründe gegeben sind.[13]

2.3 Konkretisierung des Sanktionsmechanismus nach dem SWP

Im SWP verpflichten sich die Mitgliedstaaten zu einem mittelfristig wenigstens ausgeglichenen Haushalt. Eine Überschreitung der zulässigen Defizitquote wird als ausnahmsweise und vorübergehend im Sinne von Art. 104 EGV betrachtet, wenn ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle des Mitgliedstaats entzieht, oder eine schwere Rezession vorliegt.[14] Als schwere Rezession wird ein Rückgang des realen BIP um mehr als 2% angesehen. Ein Rückgang um weniger als 2% kann als Ausnahmefall gewertet werden, wenn weitere relevante Umstände vorliegen, insbesondere ein jäher Abschwung oder ein relativ starker Produktionsrückgang.[15] Bei einem realen BIP-Rückgang von weniger als 0,75% wollen die Mitgliedstaaten in der Regel aber keine Ausnahmesituation geltend machen.[16]

Der Sanktionsmechanismus ist ein vielschichtiges Verfahren; im Folgenden können nur die wichtigsten Elemente beschrieben werden.[17] Zunächst überprüft die EK nach Übermittlung der Haushaltsdaten die Einhaltung der Kriterien für Defizit- und Schuldenquote.[18] Bei Verletzung von einem oder beiden Kriterien „erstellt die Europäische Kommission einen Bericht, durch den das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ausgelöst wird“[19]. Nach Empfang der Stellungnahmen des Wirtschafts- und Finanzausschusses[20] (WFA) und der EK zum Bericht sowie Anhörung des betreffenden Mitgliedstaats entscheidet der ECOFIN-Rat mit qualifizierter[21] Mehrheit, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt. Bei einem negativen Entscheid, wird das Verfahren eingestellt. Kommt ein positiver Entscheid zustande, gibt der ECOFIN-Rat zunächst Empfehlungen[22] zur Beseitigung des Haushaltsungleichgewichts und setzt dabei zwei Fristen:[23]

- Der Mitgliedstaat muss innerhalb von vier Monaten geeignete Maßnahmen zum Defizitabbau ergreifen.
- Der Mitgliedstaat soll sein übermäßiges Defizit in dem Jahr korrigiert haben, das auf die Feststellung des übermäßigen Defizits folgt.

Der ECOFIN-Rat entscheidet ohne die Stimmen des betreffenden Landes über die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen. Es sind dabei verschiedene Fälle zu unterscheiden. Der ECOFIN-Rat beurteilt die Maßnahmen als wirksam (Fall 1; Folge s.u.).[24] Beurteilt der ECOFIN-Rat dagegen die Maßnahmen als unwirksam (Fall 2), dann kann er „beschließen, den betreffenden Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten Frist Maßnahmen zum Defizitabbau zu treffen“[25]. Das Land leitet nun wirksame Maßnahmen ein (Fall 2a; Folge s.u.). Leitet das Land jedoch weiterhin keine wirksamen Maßnahmen ein (Fall 2b), so verhängt der ECOFIN-Rat Sanktionen.[26]

Nach Einleitung wirksamer Maßnahmen (Fälle 1 und 2a), ruht das Verfahren und die EK und der ECOFIN-Rat überwachen die Durchführung der Maßnahmen. Erweisen sich in Fall 1 die Maßnahmen als unangemessen, so tritt Fall 2 ein; zeigen sich Maßnahmen im Fall 2a als unangemessen, dann werden analog zu Fall 2b Sanktionen verhängt. Sind die eingeleiteten Maßnahmen dagegen angemessen, d.h. das übermäßige Defizit wird korrigiert, so wird das Verfahren abgeschlossen.[27]

Sanktionen werden auf Empfehlung der EK mit qualifizierter Mehrheit und ohne die Stimmen des betroffenen Mitgliedslandes beschlossen;[28] sie werden innerhalb von zwei Monaten nach der Inverzugsetzung und innerhalb von zehn Monaten nach den Terminen für die Meldung der Haushaltsdaten an die EK verhängt.[29] Die Sanktionen bestehen in Regel aus einer unverzinslichen Einlage bei der EZB, die sich aus einer festen Komponente (0,2% des BIP des Mitgliedstaats) und einer variablen (10% der Differenz zwischen der faktischen Defizitquote und dem Referenzwert von 3%) zusammensetzt. Als Höchstgrenze sind 0,5% des BIP festgelegt. Die Einlage wird in eine Strafe umgewandelt, wenn das übermäßige Defizit nicht innerhalb von zwei Jahren beseitigt wird.[30]

2.4 Frühwarnsystem zur Vermeidung übermäßiger Defizite

Um „das Entstehen übermäßiger öffentlicher Defizite frühzeitig zu verhindern und die Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu fördern“[31], wurde im SWP ein Frühwarnsystem installiert. Danach sind die EU-Staaten verpflichtet, mehrjährige Stabilitätsprogramme (für Teilnehmerländer der EWU) bzw. Konvergenzprogramme (für Nicht-Teilnehmerländer der EWU) aufzustellen.[32] Die Stabilitätsprogramme (SP) sollen folgende Informationen enthalten:[33]

- Ziel eines mittelfristig mindestens ausgeglichenen öffentlichen Haushaltes samt Anpassungspfad, sowie die voraussichtliche Entwicklung der Schuldenquote;
- Hauptannahmen über die voraussichtliche wirtschaftliche Entwicklung und über wichtige ökonomische Variablen;
- Offenlegung haushalts- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Zielerreichung, sowie quantitative Bewertung der Wirkungen haushaltspolitischer Maßnahmen auf den Haushalt;
- Sensitivitätsanalyse bzgl. der wichtigsten zugrundegelegten Annahmen.

Die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sind alljährlich zu aktualisieren und der EK und dem ECOFIN-Rat zum Jahresende vorzulegen. Innerhalb von zwei Monaten prüft der ECOFIN-Rat, ob folgende Anforderungen erfüllt sind: Verwendung realistischer Annahmen, Vermeidung übermäßiger Defizite und Erreichbarkeit eines mittelfristig ausgeglichenen Haushalts. Der ECOFIN-Rat gibt daraufhin eine Stellungnahme ab und kann u.U. den Mitgliedsstaat auffordern, Ziele und Inhalt seines Programms anspruchsvoller zu formulieren.[34]

Der ECOFIN-Rat überwacht die Umsetzung der Programme. Weicht die tatsächliche Haushaltslage erheblich vom mittelfristigen Haushaltsziel oder dem Anpassungspfad ab, dann spricht er eine Frühwarnung an das jeweilige Land aus. Bei Beibehaltung oder sogar Verstärkung der Abweichung empfiehlt er dem Land, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen; diese Empfehlung kann er auch veröffentlichen.[35]

3 Argumente für eine Defizitbegrenzung in der EWU

Bevor eine weiterführende Analyse des SWP erfolgen kann, ist zu untersuchen, ob eine Regelung zur Defizitbegrenzung gerechtfertigt ist. Dabei werden insbesondere die Stabilität der Geldpolitik und die Verminderung externer Effekte als Argumente angeführt.

3.1 Gefahren für die Geldpolitik

Der SWP ist kein Selbstzweck. Er soll zur Sicherung der Preisniveaustabilität in der EWU beitragen, indem er die Mitgliedstaaten zu mindestens ausgeglichenen Haushalten und stetig sinkenden Schuldenlasten verpflichtet.[36] Umstritten ist jedoch, ob eine mangelnde Haushaltsdisziplin die Geldwertstabilität gefährden kann.[37]

Wenn Inflation mittel- bis langfristig auf monetäre Ursachen[38] zurückgeführt werden kann, dann dürfte bei Haushaltsdefiziten der EWU-Länder keine Gefahr für die Preisniveaustabilität drohen.[39] Die Mitgliedstaaten müssen nämlich gemäß der Artikel 101 und 102 EGV ihre Defizite wie private Schuldner über den Kapitalmarkt finanzieren. Die EWU weist sogar zusätzliche defizitbremsende Elemente auf; denn die Zugangssperre zur Zentralbankgeldschöpfung und die Verlagerung der Geldpolitik von nationaler auf europäische Ebene verstellen den Nationalstaaten die Möglichkeit, Defizitfinanzierung und Entschuldung über die Notenpresse vorzunehmen.[40]

Dem sind gewichtige Argumente entgegenzuhalten. Zum einen dürfte die EZB (trotz ihrer formalen Unabhängigkeit) in der Realität von Mitgliedstaaten mit hohen Defizit- und Schuldenquoten zu einer inflationären Geldpolitik gedrängt werden.[41] Zum anderen könnte sich die EZB bei Zahlungsunfähigkeit eines EWU-Landes gezwungen sehen, über eine entsprechende Offenmarktpolitik die Wertpapiere des Schuldnerstaates zu stützen, um eine nationale Finanzkrise mit negativen Auswirkungen auf den gesamten europäischen Bankensektor zu verhindern.[42]

Die Abwägung der Argumente lässt keine eindeutige Antwort zu, ob bei Eintritt in die WU insgesamt eine Aufweichung der Geldpolitik droht oder nicht. Um jedoch mögliche Gefahren für die Geldpolitik zu minimieren, ist eine Verpflichtung zur Defizitbegrenzung vorteilhaft. Diese verringert den ggf. zu erwartenden politischen Druck auf die EZB und erleichtert damit eine stabilitätsorientierte Geldpolitik.

3.2 Negative externe Effekte

Wird ein Staat als Schuldner genauso wie ein privates Wirtschaftssubjekt behandelt, so wird er bei zusätzlicher Verschuldung mit höheren Zinsen belastet. Die Zinserhöhung setzt sich dann aus zwei Komponenten zusammen. Erstens steigt die Risikoprämie des sich verschuldenden Staates, da mit zunehmender Verschuldung die Rückzahlungswahrscheinlichkeit sinkt. Zweitens lässt die gestiegene Nachfrage nach Kapital dessen Preis steigen. Während die erste Komponente nur das sich verschuldende Land belastet, schlägt sich die zweite Komponente in einem allgemein zunehmenden Zinsniveau in der WU nieder. Beide Komponenten sind rein marktmäßige Effekte und allokativ erwünscht. Der Kapitalmarkt diszipliniert die Staaten durch steigende Grenzkosten der Verschuldung, so dass kein Eingriff notwendig ist.[43]

Das Haftungsprinzip[44] ist dabei eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Märkten; dies bedeutet konkret, dass staatliche Anleihen für die Gläubiger nicht risikolos sein dürfen, wenn der Kapitalmarkt als Disziplinierungsinstrument funktionieren soll.[45] Die NBO-Klausel in Art. 103 EGV entspricht diesem Haftungsprinzip und signalisiert damit die Risikobehaftung öffentlicher Anleihen. Art. 100 EGV beschädigt jedoch die Glaubwürdigkeit der NBO-Klausel und damit das Haftungsprinzip, indem es finanziellen Beistand für Mitgliedstaaten in Notfällen ermöglicht.

Erachten aber die Kapitalmärkte die NBO-Klausel als unglaubwürdig und antizipieren eine Schuldenübernahme durch andere Mitgliedstaaten im Krisenfall - was im Widerspruch zum Haftungsprinzip steht - dann fällt die Risikoprämie für das einzelne sich verschuldende Land zu niedrig aus. Im Gegenzug erhöht sich aber die Risikoprämie der anderen Partnerländer, d.h. dieses eine sich verschuldende Land überwälzt einen Teil seiner Risikoprämie auf die anderen. Der Teil des Anstiegs des Zinssatzes der Partnerländer, der auf der Überwälzung der Risikoprämie beruht, stellt einen negativen externen Effekt dar, der zur Erreichung einer effizienten Allokation internalisiert werden muss.[46]

Glauben die Kapitalmärkte an ein Bail-out, so sinken die notwendigen Risikoaufschläge im Zins und damit auch die Grenzkosten der Kreditaufnahme für das einzelne sich verschuldende Land,[47] das dann verstärkt seine Ausgaben über Kredite anstatt über Steuern finanziert. Wenn alle Teilnehmerländer ihre Finanzierungsstruktur einzelwirtschaftlich auf diese Weise optimieren, wird insgesamt ein größerer Teil der Ausgaben über Kredite finanziert als vor der Einführung der WU.[48] Eine zunehmende staatliche Kreditnachfrage verursacht ein insgesamt höheres Zinsniveau. Dieses führt zu einem Zins-crowding-out: höhere langfristige Zinsen reduzieren private Investitionen und verschlechtern damit die langfristigen Konsummöglichkeiten.[49]

Der Zinsanstieg kann durch die verstärkte Kreditfinanzierung zusätzlich zu einer Aufwertung der Einheitswährung führen. Die Aufwertung verursacht ggf. ein Wechselkurs-crowding-out, das wie das Zins-crowding-out Wachstumsverluste zur Folge haben kann. Wenn die für das einzelne Land sinkenden Grenzkosten der Kreditaufnahme auch zu einer Erhöhung des staatlichen Ausgabenniveaus führen, kommt es unionsweit zu einer nachfrageinduzierten Preissteigerung.[50]

Als zentrale Erkenntnis ist festzuhalten, dass die Ursache der negativen externen Effekte in der mangelnden Glaubwürdigkeit der NBO-Klausel liegt, wodurch es zu keiner verursachungsgerechten Zuweisung der Risikoprämie kommt.[51] Die Defizitbegrenzung ist deshalb in der EWU aus allokativer Sicht zu befürworten.

Im Ergebnis lässt sich eine Defizitbegrenzung aus zwei Gründen rechtfertigen. Erstens unterstützt die Defizitbegrenzung die EZB in ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Zweitens können öffentliche Defizite in der EWU negative externe Effekte verursachen, die es aus allokativer Sicht nach Möglichkeit zu internalisieren gilt.[52]

4 Analyse des SWP

Dieses Kapitel untersucht, ob das Regelwerk des SWP sich bisher bewährt hat und inwieweit erwartet werden kann, dass es sich in der Zukunft bewähren wird. Als erstes wird dazu das Kriterium der Defizitquote auf seine Eignung geprüft. Darauf folgt die Analyse der Funktionstauglichkeit des Sanktionsmechanismus und dann des Frühwarnsystems. Zum Schluss des Kapitels werden die Ergebnisse zusammengefasst.

[...]


[1] Vgl. o.V. (2002a), S. 9.

[2] Vgl. dazu o.V. (2002e), S. 15.

[3] Vgl. dazu Art. 121 EGV in Verbindung mit dem Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGV.

[4] Vgl. Institut „Finanzen und Steuern“ e.V. (1996), S. 1.

[5] Vgl. SVR (1997), S. 146.

[6] Vgl. EZB (1999), S. 53; Sturm, M. (1997), S. 239.

[7] ECOFIN-Rat ist der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister.

[8] Vgl. Art. 99 Abs. 4 EGV.

[9] Art. 104 Abs. 2 EGV.

[10] Art. 104 Abs. 2 EGV.

[11] S. Kapitel 3.

[12] Vgl. Art. 101 EGV.

[13] Vgl. Art. 102 EGV.

[14] Vgl. EZB (1999), S. 53.

[15] Vgl. Art. 2 Absätze 2 u. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97.

[16] Vgl. Entschließung des ER vom 17. Juni 1997.

[17] Für eine detaillierte Darstellung des Sanktionsmechanismus s. EZB (1999), S. 54 ff.

[18] Vgl. Weiland, R. (2000), S. 100.

[19] EZB (1999), S. 54.

[20] Der WFA setzt sich aus den Vertretern der 15 EU-Staaten, der EZB und der EK zusammen. Vgl. Weiland, R. (2000), S. 101.

[21] Vgl. dazu Art. 205 Abs. 2 EGV.

[22] Diese Empfehlungen werden nicht veröffentlicht.

[23] Vgl. EZB (1999), S. 55 f.

[24] Vgl. ebenda, S. 55.

[25] EZB (1999), S. 55.

[26] Vgl. EZB (1999), S. 55 u. 57 f.

[27] Vgl. ebenda.

[28] Vgl. ebenda, S. 55.

[29] Vgl. Art. 6 u. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97.

[30] Vgl. EZB (1999), S. 58 f.

[31] Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.

[32] Vgl. EZB (1999), S. 54.

[33] Vgl. Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.

[34] Vgl. Weiland, R. (2000), S. 100.

[35] Vgl. dazu Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.

[36] Vgl. EZB (1999), S. 49.

[37] Harbrecht, W. (2000), S. 64.

[38] Die EZB vertritt diese Ansicht. Vgl. dazu EZB (1999), S. 50.

[39] Vgl. Harbrecht, W. (2000), S. 64.

[40] Vgl. Rose, K., Sauernheimer, K. (1999), S. 340.

[41] Vgl. Siebert, H. (1997), S. 7 f.; o.V. (2002e), S. 15.

[42] Vgl. Schröder, J. (1999a), S. 114 f.

[43] Vgl. Schröder, J. (1999b), S. 413.

[44] Vgl. Fritsch, M., Wein, T., Ewers, H.-J. (2001), S. 48 ff.

[45] Vgl. Schröder, J. (1999b), S. 413.

[46] Vgl. ebenda, S. 414.

[47] Vgl. ebenda.

[48] Vgl. Rose, K., Sauernheimer, K. (1999), S. 340.

[49] Vgl. EZB (1999), S. 49.

[50] Vgl. dazu Schröder, J. (1999a), S. 112 ff.

[51] Vgl. Schröder, J. (1999a), S. 114 f.

[52] Vgl. dazu auch Kommission der EG (2001), S. 2.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832464264
ISBN (Paperback)
9783838664262
DOI
10.3239/9783832464264
Dateigröße
609 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz – Rechts- und Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2003 (Februar)
Note
1,7
Schlagworte
stabilitätspakt defizitsgrenze frühwarnsystem sanktionsmechanismus währungsunion
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