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Medienpädagogische Fortbildung im Vorschulbereich

Möglichkeiten und Grenzen eines Modellprojekts

©2003 Diplomarbeit 119 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Thema Medienerziehung im Kindergarten gewinnt vor dem Hintergrund der fortschreitenden Mediatisierung kindlicher Lebenswelten zunehmend an Bedeutung. Neue und neueste Medien spielen heute bereits im Leben kleiner Kinder eine wesentliche Rolle und fungieren insofern als wichtige Sozialisationsinstanz. Diese Entwicklung bringt für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche Konsequenzen von erheblicher Tragweite mit sich und tangiert in besonderem Maße das Gebiet der vorschulischen Erziehung. Unter dem Druck aktueller bildungspolitischer Debatten im Anschluss an die PISA-Studie oder die DELPHI-Befragung wird der Bildungsauftrag des Kindergartens neu diskutiert, wobei auch der vielzitierte Begriff „Medienkompetenz“ verstärkt an Bedeutung gewinnt. Der kompetente Umgang mit den alle Lebensbereiche durchdringenden Medien wird – neben anderen Förderungsbereichen – als basale Kulturtechnik verstanden, die schon früh erlernt werden muss.
Jedoch sind nicht nur Bildungsinhalte Teil der gegenwärtig geführten Diskussion. Auch das periodisch wiederkehrende Thema der Qualifizierung des pädagogischen Fachpersonals wird einmal mehr vehement diskutiert und ist als Schlüsselthema der Qualitätsdebatte zu bezeichnen. Vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Veränderungen und damit gestiegener Anforderungen an den Elementarbereich wird eine Anhebung des Ausbildungsniveaus und eine weitere Professionalisierung des Berufsbildes gefordert. In diesem Zusammenhang gewinnt die Fortbildung pädagogischer Fachkräfte einen neuen Stellenwert, erhofft man sich doch von dieser Form beruflicher Bildung eine schnelle Kompensation vorhandener qualifikatorischer Defizite. Da Wirkung, Qualität und Erfolg berufsbegleitender Fortbildung jedoch systematisch analysiert und beurteilt werden müssen, erweist sich die Beforschung solcher Bildungsangebote als wichtiges Aufgabenfeld von Evaluation. Hierbei stellt sich u.a. die Frage, wie die Attraktivität von Fortbildungsveranstaltungen vor dem Hintergrund bestimmter Erwartungen potentieller Zielgruppen zu bewerten ist bzw. wie die Attraktivität solcher Bildungsangebote für Fachkräfte im Vorschulbereich gesteigert werden kann.
Während Medienpädagogik in Theorie und Praxis in erster Linie die Medienkompetenz Heranwachsender (Kinder und Jugendliche) fokussiert, erweist sich die Medienkompetenz Erwachsener als vergleichsweise unerforschter Bereich. Dies stellt insbesondere angesichts der Bedeutsamkeit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6365
Boller, Sebastian: Medienpädagogische Fortbildung im Vorschulbereich - Möglichkeiten
und Grenzen eines Modellprojekts
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Bielefeld, Universität, Diplomarbeit, 2003
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany

2
Vorwort
Inspiration zum Thema dieser Diplomarbeit lieferte eine Praktikumstätigkeit in
der
Geschäftsstelle
der
Gesellschaft
für
Medienpädagogik
und
Kommunikationskultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (GMK).
Die Durchführung der empirischen Untersuchung wäre ohne die fachliche
Begleitung und organisatorische Unterstützung des Forschungsprozesses durch
verschiedene Personen nicht möglich gewesen. Ihnen und anderen sei an dieser
Stelle gedankt:
Herrn Jürgen Lauffer, Geschäftsführer der Gesellschaft für Medienpädagogik
und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (GMK),
der Projektleitung der Fortbildungsinitiative ,,Medienerziehung im Kindergarten",
Frau Sabine Eder und Frau Susanne Roboom,
Herrn Prof. Dr. Uwe Sander (Universität Bielefeld) für die wissenschaftliche
Betreuung,
den Mitgliedern des Projektbeirats und hier insbesondere Herrn Rainer Smits,
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und Herrn Dr. Claus Eppe,
Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (MFJFG)
sowie allen ehemaligen Teilnehmerinnen der Fortbildung ,,Medienerziehung im
Kindergarten", die mir durch Interviews und die Beantwortung von Fragebögen
interessante Einblicke in den Bereich der vorschulischen Medienerziehung
ermöglicht haben.

3
Inhalt
1. Einleitende Bemerkungen
Seite 5
2. Theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung
9
2.1 Medienkompetenz ­ Begriffsklärungen und Eingrenzung
des Themas
9
2.1.1 Die Begriffe ,,Kompetenz", ,,Medienkompetenz" und
,,Medienerziehung"
9
2.1.2 Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation?
13
2.2 Medienerziehung im Vorschulbereich: Wirkungsgefüge und
Einflussfaktoren
16
2.2.1 Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und
Zielsetzungen vorschulischer Erziehung
16
2.2.2 Medienkompetenzförderung als Aufgabe der
Elementarerziehung
19
2.2.3 Medienerziehung im Kindergarten: Bedarfsargumente
aus Politik und pädagogischer Praxis
22
2.3 Gegenwärtige Tendenzen im Berufsbild Erzieherin
27
2.3.1 Professionalisierungsprozess und die Bedeutung von
Fortbildung
27
2.3.2 Konsequenzen für die medienpädagogische
Qualifikation von Fachkräften
29
2.4 Zwischenresümee und Präzisierung des
Forschungsgegenstands
31
3. Medienpädagogische Fortbildung für Fachkräfte
im Vorschulbereich
35
3.1 Vorgehensweise der Untersuchung
35
3.1.1 Die Fortbildung ,,Medienerziehung im Kindergarten"
35
3.1.2 Evaluation und (medienpädagogische) Fortbildung
36
3.1.3 Untersuchungsmethodik
37
3.1.4 Datenbasis
39
3.2 ,,Medienerziehung im Kindergarten": Demographische
Variablen, Medienausstattung, Teilnehmerinnenzufriedenheit
und motivationale Aspekte
41
3.2.1 Sozialdemographie und Praxisgruppen
41
3.2.2 Rahmendaten der Einrichtungen und
Medienausstattung im zeitlichen Vergleich
43
3.2.3 Organisation und Dozenten
46
3.2.4 Teilnahmemotivation und Fortbildungsbereitschaft
50
3.2.5 Einschätzung der Medienentwicklung und

4
Umgangsweise mit technischen Innovationen
54
3.2.6 Reaktion auf medienbezogenes Verhalten und
Veränderungen in Medienumgang und Mediennutzung
56
3.3 Medienpädagogische Fortbildung und ihr Einfluss auf die
Arbeitswirklichkeit von Fachkräften
59
3.3.1 Zum Gebrauchswert der Fortbildungsinhalte für die
pädagogische Praxis
60
3.3.2 Elternarbeit und Weitergabe medienpädagogischen
Fachwissens
62
3.3.3 Bedingungen aktueller medienerzieherischer Praxis:
Die Arbeit in den Einrichtungen
68
3.3.4 Kooperation und Vernetzung
74
3.4 Zwischenresümee
76
3.5 Medienkompetenzförderung im Kontext der Fortbildung
,,Medienerziehung im Kindergarten" ­ unterstützende und
hemmende Faktoren
79
3.5.1 Die Rolle des pädagogischen Personals bei der
Förderung von Medienkompetenz
79
3.5.2 Die Bedeutung institutioneller, struktureller und
organisatorischer Faktoren bei der Förderung
von Medienkompetenz
87
4. Resümee und Ausblick
93
4.1 Abschätzung und Bewertung der Fortbildungswirkungen vor
dem Hintergrund der Fortbildungsziele
94
4.2 Abschließende Bemerkungen
100
5. Literatur
104
6. Anhang
109

5
,,Nur wenn wir Medienerziehung als eine
Aufgabe verstehen, die schon mit kleinen
Kindern durchgeführt werden kann, bereiten
wir sie auf eine Zukunft vor, die in allen
Lebensbereichen durch Medien geprägt sein
wird." (Aufenanger 2001, S. 10).
1. Einleitende Bemerkungen
Das Thema Medienerziehung im Kindergarten gewinnt vor dem Hintergrund der
fortschreitenden Mediatisierung kindlicher Lebenswelten zunehmend an
Bedeutung. Neue und neueste Medien spielen heute bereits im Leben kleiner
Kinder eine wesentliche Rolle und fungieren insofern als wichtige
Sozialisationsinstanz. Diese Entwicklung bringt für nahezu alle gesellschaftlichen
Bereiche Konsequenzen von erheblicher Tragweite mit sich und tangiert in
besonderem Maße das Gebiet der vorschulischen Erziehung. Unter dem Druck
aktueller bildungspolitischer Debatten im Anschluss an die PISA-Studie oder die
DELPHI-Befragung wird der Bildungsauftrag des Kindergartens neu diskutiert,
wobei auch der vielzitierte Begriff ,,Medienkompetenz" verstärkt an Bedeutung
gewinnt. Der kompetente Umgang mit den alle Lebensbereiche durchdringenden
Medien wird ­ neben anderen Förderungsbereichen ­ als basale Kulturtechnik
verstanden, die schon früh erlernt werden muss.
Jedoch sind nicht nur Bildungsinhalte Teil der gegenwärtig geführten Diskussion.
Auch das periodisch wiederkehrende Thema der Qualifizierung des
pädagogischen Fachpersonals wird einmal mehr vehement diskutiert und ist als
Schlüsselthema der Qualitätsdebatte zu bezeichnen. Vor dem Hintergrund
gesamtgesellschaftlicher Veränderungen und damit gestiegener Anforderungen
an den Elementarbereich wird eine Anhebung des Ausbildungsniveaus und eine
weitere
Professionalisierung
des
Berufsbildes
gefordert.
In
diesem
Zusammenhang gewinnt die Fortbildung pädagogischer Fachkräfte einen neuen
Stellenwert, erhofft man sich doch von dieser Form beruflicher Bildung eine
schnelle Kompensation vorhandener qualifikatorischer Defizite. Da Wirkung,
Qualität und Erfolg berufsbegleitender Fortbildung jedoch systematisch
analysiert und beurteilt werden müssen, erweist sich die Beforschung solcher
Bildungsangebote als wichtiges Aufgabenfeld von Evaluation. Hierbei stellt sich
u.a. die Frage, wie die Attraktivität von Fortbildungsveranstaltungen vor dem
Hintergrund bestimmter Erwartungen potentieller Zielgruppen zu bewerten ist

6
bzw. wie die Attraktivität solcher Bildungsangebote für Fachkräfte im
Vorschulbereich gesteigert werden kann.
Während Medienpädagogik in Theorie und Praxis in erster Linie die
Medienkompetenz Heranwachsender (Kinder und Jugendliche) fokussiert,
erweist
sich die
Medienkompetenz
Erwachsener
als
vergleichsweise
unerforschter Bereich. Dies stellt insbesondere angesichts der Bedeutsamkeit
medienpädagogischer Handlungskompetenz professioneller Pädagogen ein
großes Defizit dar, weil es eben diese Personengruppe ist, die eine Stärkung der
Medienkompetenz Heranwachsender bewirken soll. Vor dem Hintergrund von
Untersuchungen, in denen erhebliche Defizite in der medienpädagogischen
Qualifikation von Fachkräften im Vorschulbereich festgestellt wurden (vgl. z.B.
Six / Frey / Gimmler 1998), erfüllen Fortbildungsveranstaltungen die wichtige
Funktion,
dieser
Berufsgruppe
zu
mehr
medienpädagogischer
Handlungskompetenz zu verhelfen.
Im
Rahmen
der
vorliegenden
Diplomarbeit
soll
am
Beispiel
der
Fortbildungsinitiative ,,Medienerziehung im Kindergarten" untersucht werden,
welchen Beitrag berufsbegleitende Fortbildung zur medienpädagogischen
Qualifizierung des Fachpersonals in Einrichtungen der Vorschulerziehung leisten
kann. Durch die systematische Feststellung, Analyse und Bewertung von
Praxiseffekten soll gezeigt werden, welche praxisrelevanten Wirkungen von
solchen
Veranstaltungen
unter
jeweils
gegebenen
institutionellen
Voraussetzungen
zu
erwarten
sind.
Die
Beforschung
des
Gefüges
unterstützender
und
hemmender
Faktoren
bei
der
Förderung
von
Medienkompetenz soll dazu beitragen, Problemfelder im Kontext institutioneller
Medienerziehung zu identifizieren und vorhandene Schwächen aufzudecken.
Aus den Untersuchungsergebnissen sollen in der Folge Maßnahmen für eine
entwicklungsorientierte Optimierung des Fortbildungsmodells im Hinblick auf die
medienerzieherische Praxis abgeleitet werden.
Hierzu wird im ersten Teil der Arbeit unter Einbeziehung relevanter Fachliteratur
das begriffliche und konzeptionelle Instrumentarium für die empirische
Untersuchung erarbeitet. Der zweite Teil der Arbeit dient der Beschreibung der
Rahmenbedingungen der Fortbildung ,,Medienerziehung im Kindergarten", der

7
Darstellung von Fortbildungswirkungen sowie der Analyse unterstützender und
hemmender Faktoren bei der Förderung von Medienkompetenz. In diesem Teil
der Arbeit sollen zudem die Ergebnisse der Untersuchung vor dem Hintergrund
der eingangs formulierten Fragestellungen und Arbeitshypothesen diskutiert
werden. Der letzte Teil der Arbeit dient der Zusammenfassung zentraler
Ergebnisse und der Entwicklung weiterführender Perspektiven für eine
längerfristige Etablierung medienpädagogischer Fortbildung im Vorschulbereich.
Auch sollen hier Vorschläge und Impulse für eine entwicklungsorientierte
Optimierung der Fortbildung ,,Medienerziehung im Kindergarten" formuliert
werden.
Der
folgenden
Untersuchung
liegt
die
These
zugrunde,
dass
medienerzieherische Handlungskompetenz im Vorschulbereich vor dem
Hintergrund
nachhaltiger
Veränderungen
externer
Rahmenbedingungen
dringend notwendig ist, um Kinder auf die Anforderungen einer von Medien
bestimmten Zukunft vorzubereiten.
Von Fortbildungsveranstaltungen wird insbesondere erwartet, dass sie dabei
helfen, pädagogische Fachkräfte in ihrer Problemwahrnehmung zu stärken und
zu sensibilisieren. Ferner ist Medienerziehung in komplexe institutionelle und
überinstitutionelle Strukturen eingebunden und erfordert die Unterstützung von
Leitung, Träger und Eltern gleichermaßen. Auch können sich Innovationsklima
und Rahmenbedingungen für den Transfer von in Fortbildungen erworbenem
Handlungswissen in die Einrichtungspraxis als bedeutsam erweisen. Ausgehend
von diesen Überlegungen ergeben sich für die Untersuchung folgende
forschungsleitende Fragestellungen, die unterschiedlichen Themenkomplexen
zugeordnet werden können:
Anforderungen an die Vorschulerziehung vor dem Hintergrund veränderter
Rahmenbedingungen
Welche
Konsequenzen
ergeben
sich
für
Einrichtungen
der
Vorschulerziehung
aus
den
veränderten
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen?
Welchen Beitrag kann medienpädagogische Fortbildung zur Bewältigung
der anstehenden Aufgaben leisten?

8
Wie sind die Rahmenbedingungen der Fortbildung ,,Medienerziehung im
Kindergarten" vor dem Hintergrund der Teilnehmerzufriedenheit zu
beurteilen?
Medienpädagogische
Fortbildung
und
ihr
Einfluss
auf
die
Arbeitswirklichkeit von Fachkräften
Welche
Effekte
und
Wirkungen
sind
von
berufsbegleitender
medienpädagogischer Fortbildung zu erwarten?
In welchem Maße können durch Fortbildungen Veränderungsprozesse in
der pädagogischen Praxis angestoßen werden?
Inwiefern
kann
medienpädagogische
Fortbildung
helfen,
die
Medienerziehungspraxis
in
Einrichtungen
der
Vorschulerziehung
nachhaltig zu verändern?
Identifizierung und Analyse unterstützender und hemmender Faktoren bei
der Förderung von Medienkompetenz
Welche
Bedeutung
kommt
institutionellen,
strukturellen
und
organisatorischen Faktoren bei der Förderung von Medienkompetenz in
Einrichtungen der Vorschulerziehung zu?
Wie wirken sich unterstützende bzw. hemmende Faktoren seitens des
pädagogischen Personals auf die Medienkompetenzförderung aus?
Wie können auftretende Hemmnisse überwunden werden?

9
2. Theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung
Im Rahmen dieses Kapitels wird anhand relevanter pädagogischer und
sozialwissenschaftlicher Literatur zunächst das der Untersuchung zugrunde
liegende Verständnis zentraler Begriffe erläutert (vgl. Kapitel 2.1). Im Anschluss
daran soll das Thema Medienerziehung im Kindergarten aus unterschiedlichen
Perspektiven (Medienpädagogik, Erziehungspraxis, Politik) beleuchtet werden,
wobei auch die veränderten Anforderungen an die Vorschulerziehung
thematisiert werden sollen (vgl. Kapitel 2.2). Kapitel 2.3 ist schließlich der
Diskussion gegenwärtiger Tendenzen im Berufsbild Erzieherin
1
und dem Thema
Fortbildung gewidmet. Daran anschließend werden die zentralen Ergebnisse des
theoretischen Teils in einem Zwischenresümee zusammenfassend dargestellt
und zum empirischen Teil der Arbeit in Bezug gesetzt.
2.1 Medienkompetenz ­ Begriffsklärungen und Eingrenzung des Themas
Six u.a. (1998) weisen auf die inkonsistente und schlagwortartige Verwendung
von Begriffen wie z.B. ,,Medienerziehung" und ,,Medienkompetenz" hin. Aus
diesem
Grund
wird
zunächst
eine
Klärung
dieser
zentralen
medienpädagogischen
Leitbegriffe
unter
Bezugnahme
auf
das
Kompetenztheorem vorgenommen. Im Anschluss daran wird die Frage
diskutiert, inwiefern die umfassenden Veränderungen gesellschaftlicher
Rahmenbedingungen im Zuge der häufig propagierten ,,Informations- bzw.
Wissensgesellschaft" Medienkompetenz als ,,Schlüsselqualifikation" erforderlich
machen (vgl. Kapitel 2.1.2). Medienkompetenz wird im Rahmen dieses Kapitels
als übergeordnetes Konzept eingeführt und setzt somit den Bezugsrahmen für
die weiteren Erörterungen.
2.1.1
Die
Begriffe
,,Kompetenz",
,,Medienkompetenz"
und
,,Medienerziehung"
Zum Begriff ,,Kompetenz"
Der Kompetenzbegriff entstammt der Biologie und bezeichnet dort ,,die Fähigkeit
von Zellen, auf Entwicklungsreize zu reagieren." (Sander 2001, S. 92). In den
1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf die geschlechtsneutrale Schreibweise
verzichtet. Wenn im Folgenden die weibliche Form dieser Berufsbezeichnung verwendet wird,
sind selbstverständlich die männlichen Kollegen und Fortbildungsteilnehmer miteingeschlossen.
Zitate aus der verwendeten Literatur sind von dieser Regelung ausgeschlossen.

10
sozialwissenschaftlichen Diskurs wurde der Begriff insbesondere durch Baacke,
Bourdieu, Chomsky und Habermas eingebracht (vgl. z.B. Meister & Sander
1999). Der Linguist Chomsky knüpfte in seinen Arbeiten der sechziger Jahre des
zwanzigsten Jahrhunderts an die sprachphilosophischen Überlegungen
Descartes und Humboldts an und ging davon aus, dass der Mensch aufgrund
mentaler Strukturen und Regelsysteme in der Lage sei, ,,eine potentiell
unbegrenzte Anzahl von Sätzen zu generieren." (Baacke 1973, S. 100). Die
Grammatiken der Einzelsprachen könnten durch eine allen Menschen inhärente
Universalgrammatik ergänzt werden, was voraussetzt, ,,dass alle Menschen
potentiell über die Sprachmuster einer Universalsprache verfügen ­ und insofern
gleich
sind."
(Baacke
1996,
S.
116).
Dieser
normativ-idealistische
Kompetenzbegriff impliziert somit auch den Begriff der ,,Performanz", der ,,die
aktuelle Realisierung dieser Sprechfähigkeit meint" (Baacke 1973, S. 102).
Meister und Sander (1999) sprechen in diesem Zusammenhang von einem
Spannungsverhältnis, in dem sich die Pädagogik aufgrund der Differenz
zwischen Kompetenz und Performanz befinde.
,,Kommunikative Kompetenz" wiederum setzt die prinzipielle Erziehbarkeit und
Erziehungsbedürftigkeit des Menschen voraus und bezeichnet nach Baacke
(1973) ,,die Fähigkeit des Menschen (...), potentiell situations- und
medienadäquat Kommunikation auszugeben und zu empfangen, ohne an Reize
von Situationen gebunden zu sein." (Ebenda, S. 100). Der linguistische
Kompetenzbegriff, der die pragmatische Ebene von Sprache bezeichnet, wird
somit um eine kommunikationswissenschaftliche Dimension, die Ebene der
Wahrnehmung, erweitert, wodurch kommunikative Kompetenz über den Bereich
der Linguistik hinausweist (vgl. Baacke 1973). Kommunikative Kompetenz
realisiert sich demnach in den ,,Lebenswelten" von Menschen (vgl. hierzu z.B.
Baacke / Sander / Vollbrecht 1990; Baacke 1989; Baacke 1999 a), also in ihrer
konkreten und realen Umwelt von Erfahrungs- und Handlungsoptionen. In diesen
Lebenswelten, die durch historische und gesellschaftliche Bedingungen
determiniert sind, spielt sich Sozialisation und Erziehung ab, die wiederum
bestimmte Auswirkungen auf die biographische Entwicklung eines Individuums
hat (vgl. Baacke 1996). Aus diesem Grund habe pädagogische Förderung die
Aufgabe, ,,die allen inhärente Kompetenz zur Performanz zu bringen. (...)
Pädagogische Vermittlungsprozesse können insofern nicht direkt auf der
Kompetenzebene ansetzen, sondern zielen auf die Transformationsprozesse,

11
mittels derer sich Kompetenz in Performanz realisiert." (Meister & Sander 1999,
S. 46). Kompetenz meint daher auch und vor allem die Fähigkeit, in
Bildungsprozessen Wissensmanagement-Strategien erwerben und anwenden zu
können (ebenda).
Zum Begriff ,,Medienkompetenz"
Medienkompetenz, allgemein zu bezeichnen als die ,,ansozialisierte bzw. in
pädagogisch angeleiteten Zusammenhängen erlernte Fähigkeit, mit technischen
Medien umzugehen" (Meister & Sander 1999, S. 46), ist als Teil bzw. ,moderne'
Ausprägung kommunikativer Kompetenz zu verstehen und legt die Annahme
zugrunde, dass der Mensch ein kompetentes Lebewesen ist. Baacke (1996)
kommt zu dem Schluss, dass ,,das Kompetenz-Axiom als Ausgangspunkt einer
medienpädagogischen
Handlungstheorie
das
Postulat,
dass
Handlungskompetenz zu entfalten ist, damit sie ausagiert werden kann"
(ebenda, S. 183) impliziere. Dies bedeute etwa, dass die Partizipation des
Bürgers im demokratischen System darin bestehe, dass dieser seine
Kompetenzen und Fähigkeiten auch mit Hilfe der Medien in einem
emanzipativen Sinne entfalten und ausbilden können muss.
2
Im Kontext dieser
Untersuchung wird der Ansatz Baackes favorisiert, der Medienkompetenz über
vier Dimensionen mitsamt Unterdimensionen beschreibt:
Medienkritik (analytisch, reflexiv, ethisch)
Medienkunde (informativ, instrumentell-qualifikatorisch)
Mediennutzung ( rezeptiv-anwendend, interaktiv-anbietend)
Mediengestaltung (innovativ, kreativ)
Somit stellt Medienkompetenz ,,ein umfassendes, gleichsam grundlegendes
Qualifikationsfeld dar (und) bezieht die unterhaltende Telekultur ebenso ein wie
einen Reflexionsraum des Wissens, Überlegens und Nachdenkens über den
,Sinn' von Kommunikation." (Baacke 1999 c, S. 32). In Bezug auf die vorliegende
Untersuchung erscheint es wichtig, mit Meister und Sander (1999) darauf
hinzuweisen, dass sich die Medienpädagogik nicht alleine um die Förderung der
Medienkompetenz Heranwachsender (Kinder und Jugendliche) bemüht, sondern
2
Da eine Auflistung der unterschiedlichen Medienkompetenz-Konzepte und ihrer
Schwerpunktsetzungen den Rahmen der Arbeit sprengen würde, sei an dieser Stelle lediglich
kurz auf die Arbeiten von Tulodziecki (1992), Pöttinger (1997), Aufenanger (1999) sowie Six u.a.
(1998) verwiesen.

12
vielmehr alle Altersgruppen, auch Menschen im Erwachsenenalter, Adressaten
medienpädagogischer Aktivitäten sein können bzw. müssen (s.u.).
Zum Begriff ,,Medienerziehung"
Unter Medienerziehung wird in diesem Kontext ,,die Konkretisierung von
Medienpädagogik, die Realisierung medienpädagogischer Konzepte und deren
Umsetzung in der Praxis" (Six u.a. 1998, S. 21) verstanden. Nach Ansicht dieser
Autoren ist Medienerziehung insbesondere durch folgende Eigenschaften
gekennzeichnet: Sie ist medienübergreifend (da prinzipiell alle Medien
Gegenstand pädagogischer Prozesse sein können), feldübergreifend (da sich
Konzepte und Praxisvorschläge an Adressaten unterschiedlicher pädagogischer
Handlungsfelder richten) und disziplinenübergreifend bzw. interdisziplinär (da
Medienerziehung in verschiedenen Handlungsfeldern stattfinden bzw. auf
unterschiedlichste Weise in pädagogische Konzepte integriert werden kann).
Zielgruppen von Medienerziehung sind insbesondere Kinder und Jugendliche,
was jedoch auch impliziert,
,,dass zunächst einmal die für Erziehung und Bildung von Kindern und
Jugendlichen verantwortlichen Personen (Eltern, pädagogische Fachkräfte in
Kindergärten und Jugendarbeit, Lehrerinnen/Lehrer etc.) die Adressaten sind, an
die sich entsprechende Anforderungen ebenso wie Informationen, Materialien
und Aus- und Fortbildungsmaßnahmen richten. (...) Für Medienerziehung im
engeren Sinne werden Erwachsene jedoch nur als Zwischen-Zielgruppe
einbezogen, indem ihnen Qualifikationen und Strategien für die eigene
Medienerziehungs-Praxis vermittelt werden." (Six u.a. 1998, S. 22f).
Tulodziecki (1992) umschreibt die Hauptaufgaben bzw. Zielkriterien schulischer
Medienerziehung, die nach Meinung Six u.a. (1998) auch auf außerschulische
Felder transferierbar sind, folgendermaßen:
Unterscheiden, Verstehen und Bewerten von Medienangeboten und
Medieninhalten
Reflektierte, bewusste und zielgerichtete Nutzung von Medien unter
Beachtung von Handlungsalternativen
Bewusstmachen und Aufbereiten von Medieneinflüssen
Eigene Mediengestaltung
Medienanalyse und Medienkritik

13
Betrachtet man diese Auflistung, so wird deutlich, dass die Ziele von
Medienerziehung mit der Umschreibung des Begriffs Medienkompetenz
weitestgehend
deckungsgleich
sind
und
insofern
das
Leitziel
von
Medienerziehung
die
Förderung
von
Medienkompetenz
darstellt.
Medienpädagogik wird hier in Anlehnung an Baacke (1997) als Oberbegriff bzw.
,,übergeordnete Bezeichnung für alle pädagogisch orientierten Beschäftigungen
mit Medien in Theorie und Praxis" (ebenda, S. 4) verwandt und schließt insofern
auch den Begriff Medienerziehung mit ein.
2.1.2 Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation?
Der weiter oben eingeführte Leitbegriff Medienkompetenz erlebte in den letzten
Jahren eine starke Konjunktur und fand Eingang in die politische Debatte um die
Zukunft von Erziehung und Bildung (vgl. z.B. Lauffer 2001; Hugger 2001). Die
gestiegene öffentliche Akzeptanz bezüglich medienpädagogischen Handelns
liegt nach Meister und Sander (1999) insbesondere in den Folgen der
fortschreitenden
Entwicklungen
im
Bereich
der
Informations-
und
Kommunikationstechnologien begründet, die zu massiven gesellschaftlichen
Umbrüchen geführt haben. Begriffe wie ,,Informations- bzw. Wissensgesellschaft"
(vgl. z.B. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags 1998) oder
,,Informationszeitalter" (vgl. z.B. Mikos 2000; Stang 2000) werden seit Jahren
verstärkt öffentlich diskutiert und nehmen auf die sich durch Medieneinwirkung
verändernden Lebens-, Lern- und Arbeitsgewohnheiten des Menschen Bezug.
Da ,,der soziale Wandel in den Modernisierungsprozessen hauptsächlich über
Medien geht" (Baacke 1999 d, S. 8), bleiben diese Entwicklungen für Akteure in
modernen Gesellschaften nicht folgenlos: Sie haben zwangsläufig die Aufgabe,
sich in einer von Medien durchdrungenen Welt zu verorten, zurechtzufinden und
sind darüber hinaus ,,auch genötigt (...), aktiv an den medialen und
kommunikativen Veränderungen teilzuhaben." (Meister & Sander 1999, S. 44).
Die in diesem Zusammenhang entstehenden Problemlagen sollen durch die
Förderung der Medienkompetenz der jeweiligen Akteure einer Lösung zugeführt
werden. Da Medienkompetenz Menschen aller Altersgruppen in Alltag und Beruf
helfen soll, ,,mit der rasanten Innovationsgeschwindigkeit der Neuen Medien
Schritt halten zu können" (ebenda, S. 45) bleibt die Frage zu stellen, ob

14
Medienkompetenz
unter
den
gegebenen
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen als ,,Schlüsselqualifikation" zu bezeichnen ist.
3
Mertens (1974) geht in seinem Konzept der Schlüsselqualifikationen davon aus,
dass die Zunahme an Komplexität, Dynamik und Unvorhersehbarkeit in allen
gesellschaftlichen Bereichen gravierende Auswirkungen auf die beruflichen
Qualifikationsanforderungen zukünftiger Generationen habe und ,,fordert daher
übergeordnete Bildungsziele und -elemente, die eine Schlüsselrolle bei der
Erschließung von Verstehens-, Verarbeitens- und Verhaltensmustern spielen
können." (Wittwer 1992, S. 53). Das entstandene qualifikatorische Vakuum
wurde durch Schlüsselqualifikationen ausgefüllt, wodurch den Beschäftigten
suggeriert werde, dass es überdauernde Qualifikationen gäbe, für die es sich
lohne zu lernen (ebenda).
Tietgens
(1989)
greift
das
Konzept
auf
und
plädiert
dafür,
Schlüsselqualifikationen
als
Erschließungskompetenz
im
Sinne
einer
,,Metafähigkeit" des ,,Sich-selbst-Befähigens" zu verstehen (ebenda, S. 35).
Dieses ,,Wissen über das Wissen" beziehe nach diesem Verständnis auch den
souveränen Umgang mit Technik und Medien mit ein und sei somit Gegenstand
und Ziel von Allgemeinbildung. Der Einsatz technischer Medien zur
Problemlösung, Wissensrecherche und Informationspräsentation als spezielle
Form der Medienkompetenz (vgl. Meister & Sander 1999) wäre beispielsweise
als Bildungsinhalt mit längerfristiger Gültigkeitsdauer anzusehen und könnte
somit den Stellenwert einer Schlüsselqualifikation in der Informations- und
Wissensgesellschaft gewinnen. Da aufgrund der gesellschaftlichen Dynamiken
jedoch nicht sicher ist, ob Menschen auf Dauer über diese Fähigkeit verfügen
müssen, ist mit Wittwer (1992) wiederum auf den begrenzten praktischen
Gebrauchswert von Schlüsselqualifikationen hinzuweisen.
Oberhuemer (1998) kommt bezüglich der Qualifikation pädagogischer
Fachkräfte im Vorschulbereich zu dem Schluss, dass Ausbildung mit der
schwierigen Aufgabe konfrontiert sei, einerseits auf die gegenwärtigen
Bedingungen der Praxis vorzubereiten, andererseits jedoch auch Perspektiven
entwickeln müsse, welche für die Veränderungsbedürftigkeit der Praxis
3
Zur Unterscheidung der Begriffe Kompetenz und Qualifikation vgl. Ortmann 1992 bzw.
Lichtenberger 1999.

15
sensibilisieren. Demnach müsse grundlegende Qualifizierung stets im
Gesamtkontext beruflicher Sozialisation gesehen werden.
Angesichts der zu verzeichnenden rasanten Entwicklung im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien ist der Erwerb medialer
Erschließungs- und Nutzungskompetenz als bedeutsame Aufgabe zur
persönlichen Lebensbewältigung anzusehen. Soll Medienkompetenz jedoch den
Rang einer Schlüsselqualifikation erlangen, so ist für ein erweitertes
Begriffsverständnis zu plädieren, das über die in wirtschafts-, medien- und
bildungspolitischen Diskussionen gebräuchliche Gleichsetzung der Begriffe
Medienkompetenz und ,,Technikkompetenz" hinausweist (vgl. hierzu Kapitel
2.2.3). Neben die Befähigung zur reinen Techniknutzung sollte eine Betonung
und Förderung kreativer, gestalterischer und kritischer Medienkompetenzen
treten. Unter einer solchen Prämisse wäre Medienkompetenz ­ im Sinne
Tietgens (1989)
­
als
Teil
von
Allgemeinbildung
und
daher
als
gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit zu bezeichnen und sollte infolgedessen
stärkere Förderung erfahren.

16
2.2
Medienerziehung
im
Vorschulbereich:
Wirkungsgefüge
und
Einflussfaktoren
Nachdem in einem ersten Schritt das Verständnis zentraler Begriffe geklärt
wurde, dienen die folgenden Kapitel der Darstellung grundlegender Aspekte des
Einfluss- und Wirkungsgefüges vorschulischer Medienerziehung. Vor dem
Hintergrund institutioneller Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sind die
Zielsetzungen und Aufgaben vorschulischer Erziehung (vgl. Kapitel 2.2.1)
darzulegen, welche u.a. die Förderung von Medienkompetenz als relativ neuen
Aufgabenbereich betreffen (vgl. Kapitel 2.2.2). In Kapitel 2.2.3 werden schließlich
Bedarfsargumente aus pädagogischer Praxis und Bildungspolitik für eine früh
beginnende Medienerziehung angeführt und auf ihre Verwendung geprüft.
Hierdurch sollen unterschiedliche Begründungs- und Argumentationsmuster und
dahinter liegende Motivationen von Entscheidungsträgern und Praktikern
verdeutlicht werden.
2.2.1
Voraussetzungen,
Rahmenbedingungen
und
Zielsetzungen
vorschulischer Erziehung
Der Kindergarten
4
als Teil des Elementarbereichs des Bildungswesens ist die am
meisten besuchte Einrichtungsform unter den institutionalisierten Angeboten der
Kinder- und Jugendhilfe und erlebte in den letzten 30 Jahren eine deutliche
Expansion (vgl. Oberhuemer & Ulich 1997). Rechtliche Grundlage für
erzieherisches Handeln im Vorschulbereich ist der erste Absatz des ersten
Paragraphen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII): ,,Jeder junge
Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu
einer
eigenverantwortlichen
und
gemeinschaftsfähigen
Persönlichkeit."
Jugendhilfe soll demnach ,,junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen
Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder
abzubauen." (Jordan & Sengling 2000, S. 301). Diese Forderung impliziert somit
das Recht des Kindes auf individuelle Förderung und stellt damit den
Kindergarten in die Pflicht, einem Kind optimale Entwicklungsmöglichkeiten zu
bieten und es auf die Anforderungen einer komplexen Gesellschaft
vorzubereiten. In den angeführten Gesetzespassagen wird die besondere
4
Obwohl
die
Begriffe
,,Kindergarten"
und
,,Kindertagesstätte"
unterschiedliche
Organisationsformen vorschulischer Erziehung bezeichnen, werden sie in der vorliegenden
Arbeit sinngleich verwandt, da in beiden Einrichtungen Medienerziehung für drei- bis
sechsjährige Kinder stattfinden kann und soll.

17
Bedeutung der Tagesbetreuung, insbesondere des Kindergartens, für die
kindliche Entwicklung deutlich (vgl. Wilhelmi 1994).
Artikel 1, Absatz 2 des KJHG nimmt bezug auf das Grundgesetz und besagt,
dass ,,Pflege und Erziehung der Kinder (...) das natürliche Recht der Eltern und
die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (ist). Über ihre Betätigung wacht die
staatliche Gemeinschaft." (Jordan & Sengling 2000, S. 301). Seit 1945 versteht
sich der Kindergarten als freiwillige und familienergänzende Einrichtungsform
der Jugendhilfe, welche Erziehungs- und Bildungsangebote mit dem Ziel einer
individuellen Förderung anbietet (vgl. Baacke 1999 a). Während letzteres Gesetz
bereits die Problematik des ,,bizentralen Erziehungssystems" (vgl. Huppert &
Schinzler 1985) mitsamt des spannungsreichen Verhältnisses zwischen
institutioneller und familialer Kindererziehung betrifft, enthält ersteres bereits
mehr oder weniger konkrete Zielvorstellungen pädagogischen Handelns. Somit
legen die beiden oben angeführten Gesetzespassagen die Rahmenbedingung,
innerhalb deren Grenzen Kleinkinderziehung stattzufinden hat, fest.
Die pädagogische Notwendigkeit der institutionellen Kleinkinderziehung liegt
nach Meinung unterschiedlicher Autoren insbesondere in den strukturellen
Schwächen moderner Kleinfamilien begründet, die sich u.a. in einer
innerfamiliären Vereinzelung der Kinder sowie einer stärkeren Belastung der
Mütter durch Berufstätigkeit zeigen. In Anbetracht der starken Veränderungen
der familialen Lebenswelten ist es wünschenswert, dass Kindern ein
familienergänzender Lebensraum zur Verfügung gestellt wird, der die
strukturellen Defizite moderner Familien aufgreifen und kompensieren kann. Für
diese Aufgabe ist der Kindergarten in besonderem Maße geeignet, da durch
diese Betreuungsform ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit
geboten wird, welche dem Kind ,,die Möglichkeit gibt, in vertrauten Räumen und
mit vertrauten Personen Sozialisationserfahrungen nachzuholen oder auch zu
ordnen, die anderswo nicht vermittelt oder ,durcheinander' gebracht werden."
(Baacke 1999 a, S. 321; vgl. hierzu auch Wilhelmi 1994).
Innerhalb
des
komplexen
Gefüges
vorschulischer
Erziehung
werden
unterschiedlichste pädagogische Konzeptionen herangezogen, welche nach den
Bestimmungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes der Erziehung und Bildung
von Kindern dienen sollen (vgl. Peukert 2000). Als Beispiele für
Betreuungsformen sei hier kurz auf reformpädagogische Ansätze wie z.B.

18
Montessori-Pädagogik, Waldorf-Kindergarten und moderne Ansätze wie z.B. die
Reggio-Pädagogik hingewiesen. Reformpädagogischen Konzepten, die derzeit
eine Renaissance erleben und jeweils unterschiedliche Menschenbilder
implizieren, steht das dominante Konzept des Situationsansatzes, von dem
unterschiedliche Versionen und Akzentuierungen existieren, gegenüber (vgl. z.B.
Colberg-Schrader / Krug 1977; Barthelmes / Herzberg / Nissen 1983; Erning /
Neumann / Reyer 1987; Thiersch 2001; Tietze 1999). Diese Konzeption
,,leitet den Bildungsauftrag von Tagesbetreuung nicht ab aus künftigen
Leistungsanforderungen der Schule, sondern aus der konkreten Lebenssituation
des Kindes. Sie zielt darauf, die kindlichen Bildungsprozesse durch den Bezug
auf seine Lebenswelt und die Welt seiner Familie und durch die Verankerung der
Einrichtung im lokalen Gefüge zu sichern." (Peukert 2000, S. 101).
In situationsorientierten, halboffenen oder offenen Konzepten wird der
Kindergarten somit als Lebensraum der Kinder betrachtet. Selbsttätigkeit und
Entwicklungsfreiheit sollen u.a. durch Projektarbeit und gezielte Angebote
gefördert werden. Ein Kennzeichen des Situationsansatzes ist, dass Themen,
die in einer Kindergruppe gerade aktuell sind, wahrgenommen, aufgegriffen und
in die pädagogische Arbeit integriert werden (vgl. z.B. Neuß 1999). Hierbei wird
von einem veränderten Verständnis der Lebensphase Kindheit ausgegangen,
d.h., dass Kindern eine aktive, konstruierende Rolle bei ihrer persönlichen
Entwicklung zugestanden wird. Grundsätzlich sollen Kinder befähigt werden,
Schlüsselkompetenzen für die Bewältigung ihres zukünftigen Lebens zu
erwerben. Trotz einiger kritischer Anmerkungen zu Didaktik und Inhalt des
Situationsansatzes sei dieser mitsamt seinen konzeptionellen Erweiterungen
durch andere Ansätze dazu geeignet, Defizite im Leben der gegenwärtigen
Kindergeneration zu kompensieren (vgl. Thiersch 2001). ,,Für die Erwachsenen
ergibt sich (...) die Aufgabe, die Lebenssituationen der Kinder, die gegenwärtigen
wie auch künftig zu bewältigende, zu analysieren und zu Lernsituationen werden
zu lassen." (Ebenda, S. 974). Vor dem Hintergrund dieser Aufgabenstellung
werden in der Diskussion um den Bildungsauftrag des Kindergartens seit einiger
Zeit Stimmen lauter, welche die bedeutende Rolle des Kindergartens bei der
Förderung von Medienkompetenz betonen. Dies stellt jedoch den gesamten
Vorschulbereich mitsamt den Fähigkeiten der pädagogischen Fachkräfte vor
neue Herausforderungen und verlangt nach Überprüfung bzw. Anpassung
gegebener institutioneller und struktureller Rahmenbedingungen.

19
2.2.2 Medienkompetenzförderung als Aufgabe der Elementarerziehung
In den vorherigen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass sich aus dem
sozioökonomischen, technologischen und demographischen Wandel der
Gesellschaft veränderte Anforderungen an den Bereich der Vorschulerziehung
ergeben (vgl. Wilhelmi 1994; Schmidt 1994; Six u.a. 1998). Verschiedene
Untersuchungen belegen, dass der gesellschaftliche Modernisierungsprozess
u.a. mit einer fortschreitenden Mediatisierung und Technisierung vieler Bereiche
­ u.a. auch der kindlichen Lebenswelten ­ einhergeht. Phänomene dieser Art
sind seit langem bekannt und werden häufig mit dem Begriff ,,veränderte
Kindheit" umschrieben (vgl. z.B. Hurrelmann 1997; Fölling-Albers 1992).
Kinderkultur
wird
in
zunehmendem
Maße
kommerziell
vermarktet
(Merchandising)
und
in
Form
medienbegleitender
Produkte
oder
medienbezogener Spiele in den Kindergartenalltag eingebracht, was wiederum
Konsequenzen für die pädagogische Praxis hat, da das pädagogische Personal
in bestimmter Weise auf das medienbezogene Verhalten der Kinder reagiert (vgl.
z.B. Feil 1994; Steffen 1997; Neuß 1999). Wie Six u.a. (1998) nachweisen
konnten, lassen sich Erzieherinnen jedoch häufig von bewahrpädagogisch-
kulturkritischen
Einstellungsmustern
leiten,
wodurch
medienbezogenes
Verhalten von Kindern eher missbilligt, unterbunden, geduldet, aber nur in
seltenen Fällen in aktiver Weise unterstützt wird. Dieser Umstand sei u.a. durch
mangelnde Kenntnisse bezüglich des kindlichen Medienkonsums und seinen
Bedingungen,
Unklarheiten
hinsichtlich
der
Bedeutung
des
Begriffs
,,Medienerziehung" oder aber auch durch individuelle Schwerpunktsetzungen in
der praktischen pädagogischen Arbeit zu erklären. Als Grund für diese Defizite
wird häufig die unzureichende Qualifikation pädagogischer Fachkräfte im
Bereich Medienerziehung angeführt. Demgegenüber betont Höltershinken
(1994),
dass
pauschalisierende,
monokausale
Aussagen
und
Zuschreibungsprozesse in Anbetracht der Komplexität des institutionellen
Wirkungsgefüges nicht gerechtfertigt sind und daher ­ ohne die Verantwortung
der Fachkräfte relativieren zu wollen ­ in Bezug auf die medienpädagogische
Handlungskompetenz von Erzieherinnen eine differenzierte Betrachtungsweise
angebracht ist.
Bezieht man den Sachverhalt einer defizitären Situation vorschulischer
Medienerziehung aufgrund mangelhafter Qualifikation des pädagogischen

20
Personals auf die aus dem Situationsansatz resultierenden Aufgaben des
Kindergartens,
so
ergeben
sich
erhebliche
Diskrepanzen
zwischen
pädagogischem Anspruch und der tatsächlichen Erziehungswirklichkeit: Da im
Situationsansatz insbesondere an den Alltagserfahrungen von Kindern
angeknüpft werden soll und Medienerfahrungen heute einen wichtigen Teil
kindlicher Lebenswelten darstellen, sollte dieses Konzept auch Raum für die
Thematisierung und Bearbeitung früher Medienerlebnisse bieten und Kinder in
ihren Medienerfahrungen begleiten helfen. Obwohl Medienerziehung als
bedeutsamer
Förderungsbereich
im
Rahmen
situationsorientierter
Einrichtungskonzepte durchaus ihre Berechtigung hat, bleibt festzustellen, dass
diesem Thema selten die entsprechende Aufmerksamkeit zukommt (vgl. Six u.a.
1998). Bezüglich des Stellenwerts medienerzieherischen Handelns kommen
Eder und Roboom (2001) zu folgendem Schluss:
,,Zeitgemäß und notwendig ist ein pädagogisches Handeln, das erkennt und
akzeptiert, dass Medien und Medienerfahrungen in der kindlichen Entwicklung
eine immer bedeutendere Rolle spielen. Zur Förderung der kindlichen
Medienkompetenz muss sich daher (...) mit dem Medieneinfluss und den
aktuellen Themen der kindlichen Medienwelten und somit mit den Interessen der
Kinder auseinandergesetzt werden." (Ebenda, S. 208).
Demnach hat medienpädagogische Arbeit im Vorschulbereich das Ziel, die
üblichen Formen kindlicher Weltaneignung zu nutzen, um junge Kinder bei der
Bearbeitung ihrer Medienerlebnisse zu begleiten und zu unterstützen. Nach
einem solchen Verständnis blendet ein Abkoppeln unliebsamer (Medien-)
Erlebnisse einen Teilbereich der kindlichen Bedürfnisse aus und entspricht somit
nicht der Lebenswirklichkeit, die Kinder tagtäglich erfahren (vgl. z.B. Paus-Haase
/ Höltershinken / Tietze 1990). In der Konsequenz entstehe eine Diskrepanz
zwischen den realen kindlichen Lebenswelten und jenen ,,künstlichen"
Erfahrungskontexten, die Kinder in Kindergärten vorfinden. Die Veränderung der
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müsse demnach zu einem Wandel des
Selbstverständnisses vorschulischer Erziehung führen:
,,Kindergärten sind (...) zu ,Medienkindergärten' geworden. Wollte man den
Kindergarten heute zu einem ,medienfreien Raum' ­ der er nie war ­ deklarieren,
setzt man ihn der Gefahr aus, ihn von den Bedürfnissen und Interessen der
Kinder und ihrer Familien zu isolieren. Sich den neuen Medien zu verschießen,
wird den Kindern nicht mehr gerecht." (Ebenda, S. 114).
In ähnlicher Weise äußerten sich Barthelmes u.a. bereits im Jahre 1983, wenn
sie auf die Verantwortung der Vorschulerziehung hinweisen, Kinder zu einem

21
sinnvollen und kritischen Umgang mit Medien zu erziehen, was bedeute, dass
Medien nicht negiert, sondern aktiv in die pädagogische Arbeit einbezogen
werden sollen.
Six u.a. (1998) ziehen aus ihren Erörterungen zum Stellenwert von
Medienkompetenz in modernen Gesellschaften folgendes Resümee:
,,Kompetente Mediennutzung ist nicht länger eine erstrebenswerte Fertigkeit,
sondern vielmehr eine schlechterdings unumgängliche Notwendigkeit und kann
als Schlüsselqualifikation in einer Informationsgesellschaft bezeichnet werden.
Damit jedoch wächst der Medienerziehung im Kindergarten eine ungeheure
Bedeutung zu, insofern Kindergärten auch gehalten sind, Kinder zu fördern und
einen Beitrag zur Chancengleichheit (...) zu leisten." (Ebenda, S. 452).
Aus den bisherigen Ausführungen sollte die Notwendigkeit einer früh
beginnenden Medienerziehung deutlich geworden sein. Wie oben erläutert,
tangiert die veränderte Ausgangslage den gesamten Bereich der Früherziehung
und erfordert daher eine neuerliche Verständigung über die Bildungsziele des
Kindergartens. Auch ergeben sich aus dem europaweiten Vergleich
verschiedener Früherziehungssysteme (vgl. z.B. Oberhuemer & Ulich 1997) und
der Debatte um die frühkindliche Bildung im Zuge des mittelmäßigen
Abschneidens des deutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich für
die
Diskussion
um
den
Bildungsauftrag
des
Kindergartens
neue
Herausforderungen, die neben der Verständigung über neue und innovative
Lernbereiche und Konzepte (z.B. Medienerziehung, Medienkompetenz) auch
sinnvolle Qualitätsstandards und strukturelle Reformen betreffen.

22
2.2.3 Medienerziehung im Kindergarten: Bedarfsargumente aus Politik und
pädagogischer Praxis
Im Folgenden sollen in Anlehnung an die Untersuchung von Six u.a. (1998)
Argumente für den Bedarf an Medienerziehung im Vorschulbereich angeführt
werden. Hierbei handelt es sich um solche Argumente, die dem
wissenschaftsexternen Bereich zuzuordnen sind und
,,(a) die sich aus dem Stellenwert von Medien in der heutigen Gesellschaft
ergeben, (b) die innerhalb der öffentlichen Debatte um den Medienumgang von
Kindern und Jugendlichen (...) verwendet werden oder (c) die von Seiten der
pädagogischen Praxis vorgetragen werden." (Ebenda, S. 55).
Hierzu werden im Kontext dieser Arbeit Aussagen von Politikern, Beschlüsse
von Jugendministerkonferenzen, Stellungnahmen der Landesmedienanstalten
und Bedarfsargumente aus der pädagogischen Praxis gezählt.
5
Da politische Argumente oft vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im
Mediensektor eingebracht werden, tauchen in sozial-, bildungs- oder
medienpolitischen
Diskussionen
häufig
schlagwortartig
und
inflationär
verwendete Begriffe und Bedarfsargumente auf. So wurde in den vergangenen
Jahren in bildungspolitischen Diskussionen häufig von der Entstehung der
,,modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft" (BMFSFJ 1998, S.
70) und der ,,rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich der Medien"
(ebenda, S. 70) gesprochen. Als Reaktion auf diese Entwicklung wird oftmals
umfassende
,,Medienkompetenz
als
Schlüsselqualifikation
in
der
Informationsgesellschaft" (MFJFG 1999 S. 1; vgl. hierzu auch Kapitel 2.1.2)
angemahnt.
Da man jedoch aufgrund neuester technologischer Entwicklungen ,,die Grenzen
der Kontrollmöglichkeiten" (BMFSFJ 1998, S. 70) erkannt hat, wird der
Medienpädagogik von der Politik die Aufgabe zugewiesen, den ,,mündigen
Bürger" zu einem kompetenten Medienumgang zu befähigen (vgl. Schell &
Schorb 1988). Feil (1994) betont, dass der Medienpädagogik im Zuge solcher
5
Da eine detaillierte Darlegung von Erkenntnissen aus den verschiedenen Bereichen der
Medien- und Kommunikationsforschung an dieser Stelle nicht geleistet werden kann, wird hier
auf eine Ausbreitung wissenschaftsinterner Bedarfsargumente verzichtet. An dieser Stelle sei
daher überblicksartig auf Publikationen verwiesen, die das veränderte Mediennutzungsverhalten
von Kindern (vgl. z.B. Feierabend & Klingler 2001; Feierabend & Windgasse 1998),
Veränderungen der Programmstruktur (vgl. z.B. Kübler 2001) sowie Erkenntnisse über die Motive
und Funktionen des kindlichen Medienhandelns (vgl. z.B. Paus-Haase & Schorb 2000)
thematisieren und auf jeweils unterschiedliche Weise als Begründungen für eine früh beginnende
Medienerziehung beansprucht werden können.

23
Diskussionen letztendlich die alte Aufgabe zugewiesen werde, angesichts des
vorhandenen Medienangebots beratend tätig zu werden und zu einem sinnvollen
Medienumgang der Konsumenten beizutragen. Mit den jeweils aktuellen
medienpädagogischen Problemen und einer ,,Problematisierung des Umgangs
von Kindern mit Medien werden die Folgen der Entwicklung auf dem
Medienmarkt im Spannungsfeld zwischen Prävention und aktiver Mediennutzung
lediglich neu formuliert." (Ebenda, S. 18). Schell & Schorb (1988) fassen diesen
Prozess kritisch zusammen:
,,Man lässt immer wieder neue Medien sich nach marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten frei entwickeln und fördert meist noch politisch deren
Einführung und Entfaltung (...) und reagiert dann auf antizipierte oder bereits
eingetretene negative Auswirkungen (...) mit Medienpädagogik oder zumindest
mit der Forderung nach ihr." (Ebenda, S. 181).
Den
Bereich
der
Bildungspolitik
betreffende
Forderungen
nach
Medienkompetenz können darüber hinaus mit ökonomischen Interessen
verwoben sein. Durch die Vermittlung von Medienkompetenz ­ meist verstanden
als Technikkompetenz zur instrumentellen Beherrschung von Medien ­ erhofft
man sich im Kontext globalisierter Märkte eine Sicherung des Standortvorteils
(vgl. z.B. Lauffer 2001). Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass ,,die
Vermittlung von Medienkompetenz (...) von staatlicher wie wirtschaftlicher Seite
gefordert und ­ mehr oder weniger ­ finanziell unterstützt (wird)." (Hugger 2001,
S. 134).
6
Die Forderung der Politik nach einer bereits in Kindergarten und
Kindertagesstätte beginnenden Medienerziehung wird im Beschluss der
Jugendministerkonferenz aus dem Jahre 1996 besonders deutlich:
,,Die Mediennutzung wird angesichts der aktuellen Entwicklung in der
Medienlandschaft (...) weiter an Bedeutung gewinnen. Deshalb ist es notwendig,
Kinder und Jugendliche sowohl durch Maßnahmen des gesetzlichen
Jugendmedienschutzes vor unverträglichen Einflüssen zu bewahren, als auch zu
kompetenten Mediennutzern zu erziehen. (...) Da heute bereits Vorschulkinder
mit diesen Medien Umgang pflegen und präventives Handeln schon frühzeitig
ansetzen muss, soll im Kindergarten auf einen kompetenten Medienumgang
hingewirkt und einer negativen Beeinflussung durch Medien durch für diese
Altersgruppe geeignete medienpädagogische Maßnahmen entgegengewirkt
werden." (Jugendministerkonferenz 1996, zitiert nach Six u.a. 1998, S. 59).
6
Mit Eschenauer (2002) ist dennoch eine ,,selektive Wahrnehmung von Medienpädagogik durch
Politik" (ebenda, S. 53) zu beobachten. Symptomatisch für das ambivalente Verhältnis zwischen
Medienpädagogik und Politik sei etwa der Umgang mit spektakulären Ereignissen (z.B. Erfurt,
PISA) oder die Karriere des Begriffs Medienkompetenz zu Wahlkampfzeiten.

24
Obwohl der Beschluss die wichtige Frage, was genau unter ,,geeigneten
medienpädagogischen Maßnahmen" zu verstehen sei, ebenso unbeantwortet
lässt wie das zugrunde liegende Begriffsverständnis von Medienkompetenz,
werden Anforderungen an eine medienerzieherische Praxis gestellt, die offenbar
insbesondere einem präventiven Kinder- und Jugendschutz dienlich sein sollen.
Auch die nordrhein-westfälische Landesanstalt für Rundfunk (LfR)
7
hat seit der
Novellierung des Landesrundfunkgesetzes im Jahre 1998 vor dem Hintergrund
einer sich verändernden Medienlandschaft die gesetzlich verankerte Aufgabe
,,Medienkompetenz zu fördern und einen Beitrag zur Medienerziehung zu
leisten." (Brautmeier 2001, S. 1). Schneider (1998) nennt hierfür relativ
pragmatische Gründe:
,,Medienaufsicht kümmert sich um Medienkompetenz, weil ein gut ausgebildeter
Nutzer die beste Gewähr dafür bietet, dass die möglichen negativen Wirkungen
(...) neutralisiert werden können (...). Medienkompetenz nimmt, wo es sie gibt,
der Aufsicht Arbeit ab, reduziert die Gegenstände und Bereiche, um die sich
Aufsicht zu kümmern hat, komplettiert die gesetzlichen Normierungen durch
angemessenes Verhalten." (Schneider 1998, S. 52).
8
In bildungspolitischen Argumentationen steht zudem häufig der Aspekt der
Chancengleichheit im Vordergrund: Medienkompetente Kinder sollen sich in
einer komplexen Welt zurechtfinden und sich die Medien für ihre berufliche und
private Zukunft nutzbar machen können (vgl. Prüfer-Storcks 2001). ,,Mit Medien
umgehen
zu
können
gehört
heute
zu
einer
umfassenden
Persönlichkeitsentwicklung. Medienerziehung im Kindergarten ist deshalb ein
wichtiger Beitrag zur Chancengleichheit." (MFJFG 2001, S. 1). Auch Näger
(2001)
weist
auf
die
bildungspolitisch
verankerte
Aufgabe
der
Kindertageseinrichtungen
hin,
Chancengleichheit
durch
das
Anbieten
medienpädagogisch begleiteter, kompensatorisch wirksamer Projekte zu fördern,
da insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten auf ergänzende und
7
Durch das neue Landesmediengesetz trägt sie seit dem 31. Juli 2002 die Bezeichnung
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM).
8
Eine ähnliche Sichtweise nehmen auch Vertreter von Medieninstitutionen (z.B. privater
Rundfunk) ein: Sie wollen Medienkompetenz als ,,Selbstschutz" des Rezipienten gegenüber
schädigenden Medieninhalten verstanden wissen und hoffen hierdurch einen Teil ihrer
Verantwortung abgeben zu können. Feil (1994) sieht im Ökonomisierungsprozess des
Mediensektors,
seiner
Annäherung
an
privatwirtschaftliche
Organisations-
und
Verwertungsmuster
und
dem
daraus
resultierenden
,,Kommerzialisierungsschub"
die
Notwendigkeit einer aktiven und früh beginnenden Medienerziehung begründet.

25
qualitativ hochwertige Medienangebote angewiesen sind. Im Zehnten Kinder-
und Jugendbericht wird speziell die Problematik einer entstehenden Wissenskluft
zwischen Computernutzern und Kindern, denen aufgrund ihrer materiellen
Situation keine Zugangs- und Lernmöglichkeiten am PC zur Verfügung stehen,
angesprochen. Vor diesem Hintergrund müsse ,,das Bildungssystem (...) alle
Energie dafür einsetzen, dass keine neuen Formen der Chancenungleichheit
entstehen, sondern alle Kinder an den Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen
der Medienentwicklung partizipieren können." (BMFSFJ 1998, S. 80; vgl. hierzu
auch Sander & Meister 1999).
Das Augenmerk der pädagogischen Praxis zur Medienerziehung richtet sich
nach Six u.a. (1998) auf solche Argumente, die häufig nicht explizit den Bedarf
an Medienerziehung begründen, sondern eher auf der Ebene der
Problemwahrnehmung
verbleiben.
So
berichten
etwa
Erzieherinnen
übereinstimmend vom sogenannten ,,Montagssyndrom", wobei negative
Verhaltensweisen
der
Kinder
(z.B.
Aggressivität,
Unkonzentriertheit,
Hyperaktivität, motorische Unruhe etc.) häufig auf die Wirkungen der häuslichen
Mediennutzung - und hier insbesondere den erhöhten Fernsehkonsum am
Wochenende - zurückgeführt werden (vgl. z.B. Feil 1988; Feil 1994;
Höltershinken 1994; Steffen 1997). Erzieherinnen
,,fallen die Medienspiele der Kinder eher negativ auf, weil sie darin zum einen
keine eigenständigen Spielinhalte sehen, sondern Nachahmung, weil die
Medienspiele die anderen Gruppenaktivitäten stören oder weil sie darin Hinweise
auf eine nicht kindgerechte Medienrezeption sehen." (Neuß 1999, S. 71).
Kindliche Mediennutzung und ihre Wirkungen, Motive und Präferenzen wird vom
pädagogischen Personal daher meist als sehr problematisch angesehen.
Weitere Problembereiche betreffen die häufig konstatierte pessimistische
Sichtweise von Erzieherinnen in Bezug auf Medien allgemein (vgl. z.B. Feil
1988) sowie das spannungsreiche Verhältnis zwischen familialer und
institutioneller
Medienerziehung
(vgl.
Neuß
1999).
Beim
Thema
Medienerziehung komme zum grundsätzlich ambivalenten Erziehungsverhalten
von Eltern und Erzieherinnen ein zwiespältiges Verhältnis zu den Medien selbst
hinzu (vgl. Feil 1994). Six u.a. (1998) kommen bezüglich des Bedarfs
medienpädagogischen Handelns im Vorschulbereich zu folgendem Schluss:

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832463656
ISBN (Paperback)
9783838663654
DOI
10.3239/9783832463656
Dateigröße
1008 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bielefeld – Pädagogik
Erscheinungsdatum
2003 (Januar)
Note
1,0
Schlagworte
medienerziehung medienkompetenz kindergarten erzieherinnen-ausbildung evaluation
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