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Untersuchung der Entwicklung und Chrakteristik der Wohnmobilität in Dresden von 1990 bis 2000 unter der besonderen Problematik des Überganges von Wohnungsmangel zum Wohnungsüberangebot

©2002 Diplomarbeit 153 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Mit über 140 innerstädtischen Umzügen je 1000 Einwohner gehörte Dresden im Jahre 1998 zu den Großstädten mit der höchsten Wohnmobilität in Deutschland, obwohl hier zu DDR-Zeiten und noch zu Beginn der 1990er Jahre eine extrem niedrige Umzugsintensität vorherrschte. Dieser „Mobilitätssprung“ in der Mitte der 1990er Jahre und die seit dem bis heute anhaltende hohe Umzugsdynamik ist ein signifikantes sozialgeographisches Merkmal ostdeutscher Städte geworden.
Die vorliegende Diplomarbeit versucht die rasante Wohnmobilitätsentwicklung in Dresden im ersten Jahrzehnt der deutschen Einheit näher zu durchleuchten. Einen wesentlichen Teil der Arbeit nehmen dabei die theoretischen Grundlagen zur Wanderungsforschung und die Beschreibung der Transformationsprozesse des Wohnungswesens in Ostdeutschland ein, welche einen faktenreichen theoretischen Hintergrund darstellen und schließlich das Vorgehen im analytischen Teil begründen.
Im analytischen Teil werden, neben der empirischen Beschreibung des Umzugsgeschehens, Zusammenhänge zwischen Wohnmobilität, Stadt- sowie Wohnungsmarktentwicklung auf Stadt- und Stadtteilebene nachgewiesen.
Als problematisch wird im Ergebnis der Arbeit v.a. gesehen, dass es im Laufe des Jahrzehnts zunehmend zu einer Polarisierung hinsichtlich der Wanderungsbilanzen in bestimmten Stadtteilen gekommen ist und dies eng in Verbindung mit möglichen Auf- und Abwertungsprozessen sowie der Wohnungsleerstandsentwicklung steht. Des Weiteren zeigt sich anhand der Umzugsströme bis zum Jahr 2000 eine Verschiebung der Präferenzen der Umziehenden zunehmend weg vom Baustrukturtyp „Plattenbau“, welcher einen beträchtlichen Teil der Wohnungen in Dresden einnimmt, hin zum (nun sanierten) Altbau. Ebenso zeigen die innerstädtischen Umzugswerte, dass sich der Suburbanisierungsprozess nach 1998 wieder abschwächte.
Zur Ergänzung des eher quantitativ-empirischen Hauptteils werden die Ergebnisse einer Befragung in ausgewählten Zuzugsgebieten (Striesen-Ost, Äußere Neustadt, Nickern, Löbtau-Süd) vorgestellt, welche zeigen, dass alle vier Zuzugsgebiete heute eine unterschiedliche Klientel an Zuziehenden ansprechen und sich somit zunehmend Segregationstendenzen innerhalb Dresdens abzeichnen.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
TabellenverzeichnisIV
AbbildungsverzeichnisV
AbkürzungsverzeichnisVII
1.Einleitung1
1.1Problemstellung und Heranführung an das Thema1
1.2Vorgehensweise, Methoden und Umsetzungsprobleme im […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Heranführung an das Thema
1.2 Vorgehensweise, Methoden und Umsetzungsprobleme im Überblick

2. Wohnmobilität als Gegenstand der Migrationsforschung
2.1 Begriffliche und statistische Grundlagen
2.1.1 Begriffsabgrenzung und -bestimmung
2.1.2 Wichtige Maßzahlen der Wanderungsanalyse
2.2 Forschungsansätze der allgemeinen Migrationsforschung
2.2.1 Die Untersuchungsebenen in der Migrationsforschung im Überblick
2.2.2 Zur Geschichte der Migrationsforschung
2.3 Innerstädtische Umzüge als Teil intraregionaler Wanderungen
2.3.1 Charakteristik und Typologie
2.3.2 Typische Raumstrukturen von Wanderungen in der Stadt – allgemeine Forschungsergebnisse
2.3.3 Effekte innerstädtischer Wohnmobilität
2.3.4 Ausgewählte Theorie- und Erklärungsansätze zur innerstädtischen Wohnmobilität
2.3.4.1 Das Lebenszykluskonzept als grundlegender Erklärungsansatz
2.3.4.2 Lebensstile und Wohnmobilität
2.3.4.3 Die Mikroansätze von ROSSI und BROWN / MOORE
2.3.4.4 Zusammenhänge zwischen Wohnmobilität und Wohnungsmarkt
2.3.4.5 Push- / Pull-Faktoren und Motivbefragungen
2.3.4.6 Anwendbarkeit der Theorieansätze in dieser Arbeit

3. Zur Situation in Ostdeutschland
3.1 Stadtentwicklung und Migration in der DDR
3.1.1 Städtebau und Wohnungswesen
3.1.2 Möglichkeiten und Formen von Wohnungswechseln in der DDR
3.2 Strukturwandel im Bereich des Wohnens in den 1990er Jahren
3.2.1 Transformationsprozesse des Wohnungswesens in der ehemaligen DDR seit 1990 und deren Auswirkungen auf die Wohnmobilität
3.2.2 Konzept der Mobilitätstransformation in den Städten der neuen Bundesländer

4. Charakterisierung Dresdens als Untersuchungsgebiet
4.1 Zur Siedlungsgenese Dresdens vor
4.2 Wohnungsbau in Dresden zwischen 1945 und
4.3 Entwicklung des Wohnungsbestandes nach 1989 – Entstehung eines Wohnungsmarktes
4.4 Die räumliche Gliederung Dresdens
4.4.1 Die administrative Gliederung – Grundlage der amtlichen Statistik
4.4.2 Gebietsgliederung nach Baustruktur

5. Innerstädtische Wanderungen in Dresden in den 1990er Jahren
5.1 Besonderheiten der Auswertung und methodisches Vorgehen
5.2 Innerstädtische Umzüge auf gesamtstädtischer Betrachtungsebene
5.2.1 Zur Größenordnung der innerstädtischen Umzüge in den 1990er Jahren
5.2.2 Vergleich innerstädtischer Wohnmobilität mit anderen deutschen Großstädten
5.2.3 Unterteilung der innerstädtischen Umzüge nach Altersklassen
5.3 Analyse und Typisierung der Wanderungsvorgänge auf Stadtteilebene
5.3.1 Analyse nach Wanderungskennziffern
5.3.1.1 Entwicklung des innerstädtischen Wanderungsvolumen /-intensität
5.3.1.2 Entwicklung der innerstädtischen Zuzugsraten nach Stadtteilen
5.3.1.3 Entwicklung der innerstädtischen Fortzugsraten nach Stadtteilen
5.3.1.4 Innerstädtischer Wanderungssaldo
5.3.1.5 Zusammenfassende Betrachtung und absehbare Trends
5.3.2 Wanderungsströme innerhalb Dresdens
5.3.2.1 Zur Untersuchung von Wanderungsströmen in Dresden
5.3.2.2 Analyse der Wanderungsströme
5.3.2.2.1 Allgemeine Trends
5.3.2.2.2 Wanderungsverflechtungen nach Baustrukturtypen
5.4 Direkte Zusammenhänge zwischen Wanderungsstatistik und anderer Aggregatdaten
5.5 Teilstandardisierte Ergänzungsbefragung
5.5.1 Auswahl der Untersuchungsgebiete
5.5.2 Ergebnisse der Befragung

6. Stadtplanung und innerstädtische Wanderungen - Besteht Handlungsbedarf ?

7. Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Elementare Maßzahlen zur Charakterisierung von Wanderungen

Tab. 2: Beispiele intraregionaler / innerstädtischer Wanderungen nach dem 19 Entscheidungsspielraum der Wandernden

Tab. 3: Gründe der Bevölkerungssuburbanisierung

Tab. 4: Eigentumsstruktur der Wohnungen in der DDR und BRD Ende der 1980er Jahre

Tab. 5: Erhaltungszustand der Wohnungen in der DDR 1980 und 1989

Tab. 6: Merkmale der Wohnbaustrukturtypen (BST)

Tab. 7: Anteile BST an der Gesamtbevölkerung Dresdens 1997 / 2000

Tab. 8: Größenordnungen der Bevölkerungsbewegungen Dresden 2000 (1992/93)

Tab. 9: Stadtteile mit extrem hohen innerstädtischen Nettowanderungsraten

Tab. 10: Typisierungmerkmale von Stadtteilen nach ihrer Binnenwanderungssaldoentwicklung zwischen 1992/93 und 2000

Tab. 11: Zuordnung der Dresdner Stadtteile nach Binnenwanderungssaldotypisierung zwischen 1992/93 und 2000

Tab. 12: Anteile der Umzüge innerhalb der Stadthälften nördlich und südlich der Elbe 1997 bis 2000 (in Prozent)

Tab. 13: Ausgewählte Merkmale der Untersuchungsgebiete und Fragebogenverteilung

Tab. 14: Sozialstatistische und demographische Merkmale der Befragten nach Untersuchungsgebieten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Wohnmobilität innerhalb der Systematik des Mobilitätsbegriffs

Abb. 2: Inter- und intraregionale Wanderungen nach dem Aktionsraumkonzept

Abb. 3: Schema typischer Wanderungsvorgänge im Großstadtbereich

Abb. 4: Mobilität nach Altersstufen und Lebenszyklusphasen

Abb. 5: Entwicklung des Wohnungsbestandes nach quantitativen und qualitativen Merkmalen

Abb. 6: Baufertigstellungen neuer Wohnungen in Ostdeutschland 1960-2000

Abb. 7: Raumstruktur der Mittelstadt in der Transformation residentieller Mobilität

Abb. 8: Einwohnerentwicklung 1603 bis 2000, unter besonderer Berücksichtigung der 1990er* Jahre

Abb. 9: Großwohnsiedlung Prohlis

Abb. 10: Nebeneinander von Plattenbau und Barock in der inneren Neustadt

Abb. 11: Anteil der Bewohner in Gebäuden nach Baujahresgruppen in Dresden in % zum 31.12.1990

Abb. 12: Ausstattungen der Wohnungen in Dresden in % zum 31.12.1990

Abb. 13: Wohnungsbestandsveränderungen und Haushaltsdynamik zwischen 1993 und 2000 in Dresden

Abb. 14: Entwicklung der Bevölkerungsbewegungskomponenten in Dresden (absolut) zwischen 1992/93 und 2001

Abb. 15: Innerstädtische Bruttowanderungsrate in ausgewählten deutschen Großstädten 1987 bis 2001

Abb. 16: Innerstädtische Wohnmobilität nach Altersklassen in Dresden 1993 bis 1999

Abb. 17: Abweichungsfaktor innerstädtischer Wohnmobilität nach Altersklassen vom Wohnmobilitätsdurchschnitt (Mobilitätsfaktor nach KILLISCH 1979)

Abb. 18: Entwicklung der innerstädtischen Nettowanderungsrate nach Baustrukturtypen 1994, 1997 bis 2000

Abb. 19: Abendlicher Blick auf Johannstadt (Nord), diese Plattenbauten profitieren von ihrer hervorragenden Lage

Abb. 20: Ziele innerstädtischer Umzüge in Dresden nach Baustrukturtypen 1997

Abb. 21: Veränderung der Ziele innerstädtischer Umzüge in Dresden nach Baustrukturtypen 2000 zum Jahr 1997

Abb. 22: Entwicklung Innerstädtischer Wanderungssaldo, Wohnungsleerstand, Neubau und Sanierung in Striesen-Ost 1994 bis 2000

Abb. 23: Entwicklung Innerstädtischer Wanderungssaldo und Wohnungsleerstand, in Gorbitz-Nord 1994 bis 2000

Abb. 24: Auszugsgründe von vorheriger Wohnung, Äußere Neustadt

Abb. 25: Auszugsgründe von vorheriger Wohnung, Striesen-Ost

Abb. 26: Auszugsgründe von vorheriger Wohnung, Nickern

Abb. 27: Auszugsgründe von vorheriger Wohnung, Löbtau-Süd

Abb. 28: Einzugsgründe für die jetzige Wohnung, Äußere Neustadt

Abb. 29: Einzugsgründe für die jetzige Wohnung, Striesen-Ost

Abb. 30: Einzugsgründe für die jetzige Wohnung, Nickern

Abb. 31: Einzugsgründe für die jetzige Wohnung, Löbtau-Süd

Abb. 32: Bewertung von Wohngebieten der Befragten, Äußere Neustadt

Abb. 33: Bewertung von Wohngebieten der Befragten, Striesen-Ost

Abb. 34: Bewertung von Wohngebieten der Befragten, Nickern

Abb. 35: Bewertung von Wohngebieten der Befragten, Löbtau-Süd

Abb. 36: Titelseite des Sparkassenmagazins der Stadtsparkasse Dresden

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dank

An dieser Stelle möchte ich besonders Herrn Dipl. Geogr. Jan Glatter (TU Dresden) sowie Frau Dipl.-Math. Irene Iwanow (Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden) für ihre tatkräftige und fachliche Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit danken. Vielen Dank auch der Kommunalen Statistikstelle Dresden für die umfangreiche Datenbereitstellung. Nicht zuletzt möchte ich auch Andrea Schwab für die moralische und inhaltliche Unterstützung danken.

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Heranführung an das Thema

Die Dresdner sind „mobil“ geworden, zwischen 1992 und 1998 hat sich die Umzugsmobilität in Dresden mehr als verdreifacht. War zu DDR-Zeiten ein innerstädtischer Umzug ein nahezu einmaliges Ereignis im Lebenslauf vieler Dresdner, so ziehen heute statistisch gesehen jedes Jahr über 10 % der Einwohner in eine andere Wohnung innerhalb der Stadt um.

Denn im Gegensatz zur vom Staat gelenkten Wohnungsvergabe in der DDR[1], gehört heute in Ostdeutschland neben dem Recht zur freien Wahl von Parlamenten ebenso das Recht der freien Wahl einer Wohnung. Zwischen den unterschiedlichen Standorten in einer Stadt wird dabei sozusagen mittels Umzugswagen „abgestimmt“.[2] Später sind die Ergebnisse der aggregierten Wohnstandortsauswahlprozesse, wie auch in Dresden, in der städtischen Wanderungsstatistik sichtbar. Diese kann im nachhinein hinsichtlich des „Abstimmungsverhaltens“ der Bewohner einer Stadt untersucht werden.

Durch den gesellschaftlichen Umbruch im Jahre 1989 in der DDR veränderten sich quasi von „heute auf morgen“ nahezu alle Rahmenbedingungen der räumlichen Entwicklung. Besonders die Städte als räumliche Knotenpunkte der Gesellschaft waren einem starken Veränderungsdruck ausgesetzt, so dass hier eine enorme Stadtentwicklungsdynamik in den Nachwendejahren einsetzte. Innerstädtische Umzüge waren und sind ein wesentlicher Ausdruck dieser Dynamik.[3] Im Wohnungssektor ersetzten Angebot und Nachfrage nach und nach die staatliche Wohnungszuweisungsreglementierung.[4] Die persönlich unterschiedliche Ausstattung mit der Ressource Geld wurde nun in diesem Prozess zu einem relativierenden und strukturierenden Faktor der freien Wohnstandortwahl.

Doch heute existieren durch Neubau und Sanierung zu viele Wohnungen für weniger Haushalte auf den Wohnungsmärkten in ostdeutschen Städten, in der Presse wird inzwischen von der Leerstandskrise berichtet.[5] Die Bewohner haben nun die Qual der Wahl und können sich für die passende Wohnung ihrer persönlichen Bedürfnisse entscheiden. Diese raumbezogenen Entscheidungen können nun zu einer gleichmäßigen Verteilung der Wohnungsleerstände im Stadtgebiet führen, aber auch zu gefährlichen Konzentrationen von Wohnungsleerständen in bestimmten Wohnquartieren, welches Abwertungsspiralen zur Folge hätte. Daher birgt die Analyse innerstädtischer Umzüge eine besondere Brisanz. Für welche Wohnungen entscheiden sich nun die Bürger in Dresden? Was passiert mit ihren vorherigen Wohnungen?

Ziel der vorliegenden Diplomarbeit soll es sein, das Wohnungsstandortwahlverhalten der Dresdner Bevölkerung im ersten Jahrzehnt nach der deutschen Wiedervereinigung näher zu durchleuchten. Im Vordergrund der Untersuchung steht nach einer theoretischen Einführung in das komplexe Thema v.a. eine grundlegende Beschreibung der innerstädtischen Wanderungsprozesse, um eine mögliche Basis für weitere Untersuchungen zu schaffen. Sie soll daher einen Teil stadtbezogener Grundlagenforschung darstellen. Des weiteren sollen in diesem Rahmen eine Reihe von Indizien aufgezeigt werden, um diese Prozesse besser nachzuvollziehen und erklären zu können. Da diese Diplomarbeit raumwissenschaftlich orientierten ist, wird der stadtstrukturellen Betrachtungsweise besonderes Interesse beigemessen. Hierbei steht vor allem die Beschreibung der innerstädtischen Differenzierungen der Wanderungen auf Stadtteilebene im Mittelpunkt sowie deren räumliche Veränderungen im Zusammenhang mit dem Transformationsprozess (besonders des Entstehens eines städtischen Wohnungsmarktes). Im Kontext einer überwiegend beschreibenden Analyse ergeben sich vorrangig folgende Fragen:

- Wie änderte sich das Ausmaß der innerstädtischen Wanderungen nach 1989?
- Veränderten sich die Wanderungsmuster innerhalb der Stadt?
- Gibt es markante Wanderungsströme die sich herausgebildet haben?
- Welchen Stellenwert nehmen innerstädtische Umzüge für die Bevölkerungsentwicklung der Wohnquartiere ein?
- Wie vollzog sich die Umzugsdynamik in den einzelnen Stadtquartieren?
- Ist die Transformation heute schon abgeschlossen?
- Gibt es wesentliche Trends?

Die Philosophie dieser Arbeit ist u.a. von dem Gedanken geleitet, dass stadtraumbezogene Forschungen durch die Verschiedenheit und Komplexität der zu erforschenden Objekte stets nur bedingt verallgemeinerbar sind. Die Ergebnisse von Stadtforschung sind darüber hinaus durch die Gleichzeitigkeit verschiedener – sich oft überlagernder – dynamischer Prozesse besonders stark zeitlich sowie räumlich in ihrer Gültigkeit eingeschränkt. Denn bei Städten handelt es sich eben nicht um statische Gebilde, sondern um Orte in denen sich ständig soziales Handeln von Individuen als Aggregat subsummiert. Soziales Handeln wiederum ist nicht das Ergebnis von Naturgesetzen, sondern das Resultat einer subjektiven Verarbeitung von Umweltinformationen.[6] Der Autor ist aus diesen Gründen der Auffassung, dass komplexe räumliche Vorgänge, wie innerstädtische Wanderungsbewegungen in Ostdeutschland, nicht durch empirische bzw. mathematische Modelle – im Sinne einer „Sozialphysik“ – exakt erklärt oder prognostiziert werden können (Beispiele siehe Abschnitt 2.2.2). Dies macht einen kontinuierlichen und stets hinterfragenden Forschungsprozess notwendig, zu dem diese Arbeit einen kleinen Beitrag leisten soll.

1.2 Vorgehensweise, Methoden und Umsetzungsprobleme im Überblick

Als fachliche Grundlage insbesondere hinsichtlich der Wanderungstheorie dienten hauptsächlich die Ausführungen von BÄHR / JENTSCH / KULS (1992) und FRANZ (1984).

Einen wesentlichen Teil der Arbeit nehmen die theoretischen Grundlagen zur Wanderungsforschung und die Beschreibung der Transformationsprozesse des Wohnungswesens in Ostdeutschland ein, um einen faktenreichen theoretischen Hintergrund zu schaffen und schließlich das Vorgehen im analytischen Teil zu begründen. Der Theorieteil zur Wanderungsforschung ist der komplexen Thematik entsprechend relativ umfangreich und soll dabei grundlegend die verschiedenen Sichtweisen und methodische Vorgehensweisen der Forschung widerspiegeln.

Nach einer Literatur- und Statistikauswertung zur Veränderungen des Wohnungsangebots und der Wohnmobilität in Ostdeutschland folgt ein Abschnitt, der sich mit der baulichen Entwicklung und Gliederung des Untersuchungsgebiets Dresden beschäftigt und besonders Zusammenhänge zur Stadt- und Wohnungsbestandsstruktur verdeutlichen soll. Aufbauend auf den vorhergehenden Ausführungen wird im Kapitel 5 das Wanderungsgeschehen in Dresden in den 1990er Jahren charakterisiert und analysiert. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden zum Abschluss zusammengefasst und auf ihre Bedeutung in der Stadtplanung hin untersucht.

Die Analyse der innerstädtischen Wanderungen in Dresden soll quantitativ sowie qualitativ erfolgen. Um beide Ansätze umzusetzen erfolgte in der Untersuchung vorerst eine quantitative Auswertung sekundärstatistischer Daten, die sehr umfangreich durch die städtische Statistik bereitgestellt wurden und eine darauf aufbauende teilstandardisierte Befragung in ausgewählten Stadtquartieren.

Im ersten Schritt wurden die stadtteilbezogenen Daten der kommunalen Statistikstelle rechnergestützt aufbereitet. Ein wesentlicher Teil war dabei die Umwandlung von Rohdaten zu den Wanderungsströmen in auswertbare Wanderungsmatrizen (näheres im Abschnitt 5.1). Die Befragung erfolgte mittels Briefeinwurf im Januar 2002 in vier ausgewählten Stadtteilen, die sich stadtstrukturell unterscheiden, aber wesentliche Zuzugsgebiete darstellen.

Allgemeine Umsetzungsprobleme bestanden vor allem in den Gebietsstandsänderungen durch Eingemeindungen, hauptsächlich im Jahr 1999. Neben der Vergrößerung des Untersuchungsgebietes erfolgten auch (in kleinerem Umfang) innerstädtische Zuordnungsveränderungen (z.B. Albertstadt, Reick, Gorbitz). Beide Aspekte erschwerten die Zeitreihenaufstellung und eine reibungslose Datensortierung. Ein weiteres Problem stellte die fehlende Ausweisung innerstädtischer Umzüge auf Stadtteilebene zwischen den Jahren 1993 bis einschließlich 1996 dar (näheres siehe Abschnitt 5.1).

2. Wohnmobilität als Gegenstand der Migrationsforschung

2.1 Begriffliche und statistische Grundlagen

2.1.1 Begriffsabgrenzung und -bestimmung

Mobilität ist heute in der Umgangssprache ein oft gebrauchter Begriff, das Automobil ist der Inbegriff der mobilen Gesellschaft geworden. Auch in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen ist dieser Begriff weit verbreitet. Jedoch wird die Verwendung des Begriffs der Mobilität sehr oberflächlich gehandhabt und nicht immer klar zwischen den verschiedenen Mobilitätsformen unterschieden. Z.B. widmet HÄUßERMANN[7] in „Großstadt – soziologische Stichworte“ der Mobilität ein eigenes Kapitel, meint dabei allerdings nur die Verkehrsmobilität. Ähnlich ist es mit dem Begriff der Migration, der in einigen Publikationen nur einseitig auf internationale Wanderungen bezogen wird.[8] Dies kann eine Literaturrecherche zum Thema innerstädtischer Wanderungen erheblich erschweren. Deshalb werden im folgenden die Begriffe Mobilität und Migration definiert und die Verwendung der Begriffe in dieser Arbeit geklärt (zum Überblick siehe Systematik in Abbildung 1).

„Formal bezeichnet Mobilität zunächst nur den Wechsel eines Menschen von einer Position zu einer anderen, wobei ‚Position’ räumlich oder sozial verstanden werden kann.“[9] So kann man zwischen räumlicher Mobilität, also jeden Positionswechsel im geographischen Raum[10], und sozialer Mobilität unterscheiden, beide Formen stehen dabei oft in einem engen Zusammenhang. Bei der sozialen Mobilität, die hier nicht näher erläutert werden soll, ist in dieser Hinsicht ein Statuswechsel (beruflich, familiär...) von besonderem Interesse, da mit diesem nicht selten ein Wohnungswechsel verbunden ist.[11] (siehe dazu auch Abschnitt 2.3.4.1)

Räumliche Mobilität lässt sich nach den Grunddaseinsfunktionen[12] des Menschen gliedern. Das Wohnen, als zentraler Ausgangsbereich aller weiteren räumlichen Aktivitäten eines jeden Menschen, nimmt hier eine besondere Stellung ein[13]. Daher lässt sich räumliche Mobilität grob in Wohnmobilität[14] und zirkuläre Mobilität unterscheiden, wobei die zirkuläre Mobilität eben diejenigen Mobilitätsformen beinhaltet, die jeweils vom Wohnstandort ausgehen und zu ihm zurückführen (= Verkehrsmobilität; nach den Grunddaseinsfunktionen insbesondere „Pendlermobilität“, „Einkaufs- und Versorgungsmobilität“, „Bildungsmobilität“, „Erholungs- und Freizeitmobilität“).[15]

Unter Wohnmobilität im Allgemeinen versteht man nun einen tatsächlichen Wechsel der Wohnung[16] (nach amtlicher Statistik: der Hauptwohnung), welcher im Vergleich zu den anderen räumlichen Mobilitätsformen einen erheblich höheren Aufwand für eine Person darstellt. Jenem Sachverhalt lassen sich auch die Begriffe residentielle Mobilität, räumliche Bevölkerungsbewegung, Wanderung und Migration zuordnen[17]. Im folgenden werden diese Bezeichnungen synonym gebraucht.

In der fachlichen Diskussion ist es allerdings nicht unumstritten bei welchen Kriterien es sich um residentielle Mobilität handelt. So spart z.B. die amtliche Bundes- und Landesstatistik bei ihrer Definition von Wanderung innerkommunale Wohnungswechsel aus.[18] Dementsprechend wäre das Wanderungsverhalten an administrative Grenzen gebunden. Somit stellt das „Überschreiten der Gemeindegrenze .. ein recht willkürliches und häufig wenig befriedigendes Abgrenzungskriterium dar...“[19] In dieser Arbeit zählen innerstädtische Umzüge als Wanderungen, obwohl dadurch auch der Extremfall eines Umzuges innerhalb des selben Hauses als Wanderung definiert ist.

Innerstädtische bzw. intrakommunale Umzüge[20] sind, neben den Wanderungen über die Gemeindegrenzen (hier: interkommunale Wanderungen innerhalb einer abgegrenzten Region), ein Bestandteil intraregionaler Wanderungsprozesse, sie dienen im großen Maße der Verbesserung der eigenen Wohnsituation, die räumliche Verknüpfung des Wandernden zur Region wird dabei stets im großen Umfang aufrechterhalten. Interregionale Wanderungen haben im Gegensatz dazu nur in Ausnahmefällen wohnungs- bzw. wohnumfeldbezogene Gründe als Ursache[21], der Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wunsch nach einem höheren Einkommen (ökonomische Gründe) sind hier Anlass des Wohnungswechsels. Der Bezug zur Herkunftsregion kann bei interregionaler Wanderung kaum aufrecht erhalten werden. Deshalb ist es ratsam hinsichtlich dieser wesensbestimmenden Hauptmotive stets die intraregionalen von den interregionalen Wanderungen zu trennen.[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Wohnmobilität innerhalb der Systematik des Mobilitätsbegriffs

Quelle: eigener Entwurf nach Bähr, J. / Jentsch, Chr. / Kuls, W. 1992, 539ff. und Franz, P. 1984, S.34f., 77f., ergänzt

Ein Vorschlag des Autors ist es hinsichtlich dieser Motive bei Wanderungen im Allgemeinen[23] von Wohnmobilität im weitem Sinne zu sprechen und intraregionale, insbesondere innerstädtische Wanderungen als Wohnmobilität im engem Sinne[24] zu bezeichnen (siehe dazu Abbildung 1, Näheres zur Charakteristik innerstädtischer und intraregionaler Wanderungen im Abschnitt 2.3.1). Gegenstand dieser Arbeit ist die Wohnmobilität im engem Sinne.

Bei der Systematik in Abbildung 1 muss beachtet werden, dass es sich nur um eine Möglichkeit der Abgrenzung bzw. Typisierung von Mobilität und Migration handelt. Auf andere Formen soll hier explizit nicht näher eingegangen werden.

2.1.2 Wichtige Maßzahlen der Wanderungsanalyse

Zur Erfassung und Analyse von Wanderungsvorgängen sind Maßzahlen unabdingbar. Diese ermöglichen erst eine einheitliche Vorgehensweise und Vergleichbarkeit bei Wanderungsanalysen. Hierbei sind in erster Linie absolute Maßzahlen von bevölkerungsbezogenen Ziffern (oder auch Raten) zu unterscheiden, letztere sind in dieser Arbeit grundsätzlich in je 1000 Einwohner der mittleren Jahresbevölkerung[25] angegeben (Auflistung siehe Tabelle 1).

Die grundlegendsten Elemente der Wanderungsstatistik sind die absoluten Zu- und Fortzüge. Hierbei handelt es sich um Wanderungsfälle von Personen in einem abgegrenztem Gebiet und Zeitraum, die in Deutschland durch das amtliche Meldewesen registriert werden. Folgendes ist dabei zu beachten: je kleiner die räumliche Einheit, desto mehr Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Bezugsräume existieren. Die einfachste Einteilung der Zu- und Fortzüge ist nach Binnen- und Außenwanderung, je nach Perspektive des Betrachters und Definition der Gebietsabgrenzung.[26] Bei der Wanderungsstatistik in Dresden gibt es je nach Distanz und administrativen Grenzen verschiedene aufeinander aufbauende Einteilungen der amtlichen Statistik:

- Binnenwanderung (Wanderungen innerhalb der Stadt): im Stadtteil, innerhalb des Ortsamtsbereiches, Zu- und Fortzüge von / in andere Stadtteile
- Außenwanderung (Wanderungen über die administrative Stadtgrenze): innerhalb der Region, innerhalb Sachsen, von / nach übriges Deutschland, von / in das Ausland[27]

Daher wird im folgenden immer in innerstädtische Zu- und Fortzüge (Binnenwanderung) sowie in Außenwanderung unterschieden. In der vorliegenden Arbeit kann die Außenwanderung nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden[28], da der Umfang der Arbeit begrenzt bleiben muss und nur Aussagen über Wohnmobilität im engerem Sinne im innerstädtischen Bereich gemacht werden sollen.

Beide Elemente (Zu- und Fortzüge) können unterschiedlich in Beziehung gesetzt werden. Zum einen ergibt dessen Summe das Wanderungsvolumen (Bruttowanderung, Wanderungsumsatz), welches die allgemeine Wanderungshäufigkeit oder -intensität kennzeichnet. Zum anderen ergibt die Differenz den Wanderungssaldo (Nettowanderung), dieser macht den Wanderungsverlust oder –gewinn eines Gebietes deutlich.[29] Entscheidend für die quantitative Bevölkerungsentwicklung eines Gebietes ist der Wanderungssaldo, dabei spielt es jedoch insgesamt keine Rolle wie hoch das Wanderungsvolumen ist. Ein Beispiel soll diesen Sachverhalt verdeutlichen: So kann ein Wanderungsgewinn von 10 Personen durch 20 Zu- und 10 Fortzüge entstehen (entspricht einem Wanderungsvolumen von 30) aber auch durch 2010 Zu- und 2000 Fortzüge (entspricht einem Wanderungsvolumen von 4010), bei der letzteren Kombination könnte theoretisch die Bevölkerung eines ganzen Stadtteils ausgetauscht werden.

Die absoluten Kennzahlen können mit dem jeweiligen mittleren Jahresbevölkerungsstand ins Verhältnis setzten werden. Die dadurch gewonnenen Ziffern ermöglichen eine relative und raum-zeitliche Vergleichbarkeit und machen Veränderungen hinsichtlich des Einwohnerverhaltens deutlich, welches (immer aggregiert) natürlich auch aus unterschiedlicher Bevölkerungszusammensetzung resultieren kann. Die wichtigsten relativen Maßzahlen sind in Tabelle 1 aufgeschlüsselt.

Die relativen Maßzahlen können, wie in Tabelle 1, auf die Gesamtbevölkerung bezogen werden. Liegen Wanderungs- und Bevölkerungsdaten bestimmter Gruppen vor (z.B. nach Alter, Einkommen), so können auch gruppenspezifische Mobilitätsraten ausgewiesen werden, die Zusammen die Grundmobilitätsrate der Gesamtbevölkerung ergeben. Möchte man verschiedenen Regionen oder Jahre hinsichtlich der Raten vergleichen, so verändern sich diese Raten nicht nur gruppenspezifisch, es kann zu wesentlichen Verzerrungen kommen (z.B. allgemeine Erhöhung der Wohnmobilität). Eine Möglichkeit diese Verzerrungen zu entschärfen ist die Berechnung eines Mobilitätsfaktors f, der besagt, inwieweit die gruppenspezifische Rate von der Grundmobilitätsrate abweicht. Um dies zu erreichen wird die gruppenspezifische Mobilitätsrate durch die Grundmobilitätsrate geteilt. Ist der Wert unter 1, so ist die betrachtete Gruppe dementsprechend unmobiler als die Grundgesamtheit, beim Wert 1 ist sie gleich groß und über 1 ist sie höher.[30]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Elementare Maßzahlen zur Charakterisierung von Wanderungen

Quelle: nach Bähr, J. / Jentsch, Chr. / Kuls, W. 1992, 549, vereinfacht

2.2 Forschungsansätze der allgemeinen Migrationsforschung

2.2.1 Die Untersuchungsebenen in der Migrationsforschung im Überblick

Bei der theoretischen Erfassung von Wanderungsvorgängen (im weitem sowie im engem Sinne) gibt es, je nach Forschungsziel und –interesse, unterschiedliche Betrachtungsebenen bzw. Forschungsansätze. „Ausschlaggebend sind dabei der jeweils gewählte Maßstab für die zu untersuchenden Sachverhalte und die angewendeten Untersuchungsmethoden.“[31]

Besonders jedoch im vielschichtigen Untersuchungsfeld der innerstädtischen Umzüge in Ostdeutschland überschneiden sich „die Arbeitsgebiete von Demographie, Soziologie, Anthropologie, Ökonomie und Geographie um nur die wichtigsten ... zu nennen.“[32] So ist zum einen das Verhalten der Wandernden selbst ausschlaggebend, zum anderen aber prägt auch die Struktur der Stadt das Wanderungsgeschehen (und umgekehrt). Darüber hinaus besitzen Wanderungen z.T. erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung der einzelnen Stadtteilgebiete. Wie schon angesprochen spielt die erhebliche Dynamik im Zeitverlauf hinsichtlich des Sonderfalls eines andauernden sozioökonomischen Transformationsprozesses in Ostdeutschland einen weiteren wichtigen Aspekt bei einer Charakterisierung der innerstädtischen Wanderungsvorgänge in Dresden.

Es ergeben sich drei Hauptebenen der Wanderungsforschung: die umfassenden Theorien, die Theorien mittlerer Reichweite und die Mikrotheorien.[33]

Die umfassenden Theorien (grand theories) versuchen Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung, besonders in ökonomischer, sozialer und demographischer Hinsicht, und dem aggregierten Wanderungsverhalten innerhalb von Staaten oder gar Kulturkreisen darzustellen.[34] Ein Beispiel ist die Theorie der Mobilitätstransformation von ZELINSKY (1971) als Pendant zum Konzept des demographischen Übergangs. Hierbei wird der idealtypische Verlauf der verschiedenen Wanderungsformen und –intensitäten im Laufe der Jahrhunderte in der „westlichen Welt“ dargestellt und mit gesellschaftlichen Makrogrößen (zum Entwicklungsstand) in Verbindung gebracht.[35] GÖLER (1999) versucht diesen Ansatz zu modifizieren und auf Ostdeutschland zu übertragen (siehe dazu Abschnitt 3.2.2). Kritisiert wird an diesen Ansätzen v.a., dass sie einen zu starken beschreibenden Charakter besitzen und daher wenig zur Erklärung beitragen können.

Auf der nächsten Ebene sind die Theorien mittlerer Reichweite anzusiedeln. Hier dienen umfangreiche statistische Aggregatdaten aus der amtlichen Statistik als Grundlage für eine Aufgliederung in verschiedene Kategorien. Diese Ansätze sind meist systemorientiert und versuchen kausale Makro-Zusammenhänge anhand schon vorhandener statistischer Daten herauszustellen. Beispiele sind Gravitations-, Distanzmodelle sowie Push-Pull-Modelle.

Mikrotheorien versuchen direkte Zusammenhänge auf der Individualebene zu ergründen. Sie sind verhaltensorientiert und bedürfen der Datenermittlung mittels gezielter Befragung. Ihre Repräsentativität ist daher entschieden von der Fallzahl abhängig. Zwei zentrale Annahmen sind:

1. Objektive Raummerkmale werden ausschließlich durch die Individuen subjektiv wahrgenommen und interpretiert, und bewirken dadurch unterschiedliche Reaktionen.
2. Es werden nur freiwillige Wanderungen betrachtet, da der Auswahlprozess von Verhaltensalternativen eine zentrale theoretische Rolle spielt.[36] Doch ROSSI (1955) geht zum Beispiel für US-amerikanische Verhältnisse davon aus, dass ein Drittel der Wanderungen erzwungen sind.[37]

Um diesem Dilemma zu entgehen wurden sogenannte constraints-Modelle (constraints = Zwang) entwickelt, in denen die Individualebene und die Aggregatebene verknüpft werden. Im constraints-Ansatz sind Wanderungen zum einen das direkte Ergebnis objektiver Raummerkmale (z.B. Mietvertragskündigung wegen Abriss oder steigende Mieten im Wohngebiet) und zum anderen das Ergebnis eines individuellen Bewertungs- und Verarbeitungsprozesses von objektiven Raummerkmalen (z.B. Wohnungssuche auf dem städtischen Wohnungsmarkt).[38]

2.2.2 Zur Geschichte der Migrationsforschung

Um die verschiedenen Forschungsansätze und deren „Konjunktur“ in ihrem Wesen besser nachzuvollziehen ist es hilfreich einen Blick in die Forschungsgeschichte zu werfen:

Mit Beginn der Industrialisierung in Europa und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen wurden Wanderungen zu einem wesentlichen Bestandteil der räumlich differenzierten Bevölkerungsentwicklung. Besonders die Überseewanderungen sowie der Zuzug von dem Land in die Stadt hatten enorme Ausmaße angenommen, die Gesellschaft geriet in Bewegung. Pionier der Erforschung dieser Prozesse war RAVENSTEIN, welcher 1885 mit der Veröffentlichung seiner Wanderungsgesetze z.T. bis heute geltende Grundlagen der Wanderungsforschung schuf. Ziel RAVENSTEINs war es nachzuweisen, dass Wanderungsprozesse gewissen Grundregeln folgen und eine Prognose durch Erforschung dieser Regeln möglich wäre.[39] Die wichtigsten Aussagen RAVENSTEINs, welche sich auf die Zeit der Industrialisierung beziehen, treffen (wie sich im folgenden zeigen wird) auch für heutige innerstädtische Wanderungen in nicht unerheblichem Maße zu:

- „Die Mehrzahl der Migranten wandert nur über kurze Distanzen...
- Die Wanderung verläuft vielfach in Etappen...
- Zu jedem Wanderungsstrom gibt es auch eine gegenläufige Bewegung...
- Die meisten Migranten sind alleinstehende Erwachsene; Familien wandern vergleichsweise wenig...
- Die Städte wachsen [oder schrumpfen [d. Verf.]] stärker durch Wanderungsgewinne als durch die natürliche ..“[40] Bevölkerungsbewegung.
- „Das Wanderungsvolumen nimmt mit der industriellen Entwicklung und der Verbesserung des Transportwesens zu.“[41]

Durch die sukzessive Verbesserung des Meldewesens und der elektronischen Datenverarbeitung wurde eine grundlegende Theoriebildung auf größerer empirischer Basis erst nach dem 2. Weltkrieg möglich. So wurde z.B. in der alten Bundesrepublik erstmals 1950 eine detaillierte Wanderungsstatistik eingeführt und schrittweise verbessert.[42] Daneben bestand ab den 1960er Jahren durch verstärkte internationale Wanderungen („Gastarbeiter“) und die einsetzende „Stadtflucht“ in den westlichen Ländern ein erhöhter Forschungsbedarf.[43] Viele grundlegende Arbeiten zur Beschreibung und Erklärung von intraregionalen Migrationsprozessen entstanden daher v.a. erst ab dieser Zeit, wobei wesentliche Impulse von der amerikanischen Wanderungsforschung ausgingen, die in Deutschland nur zögerlich aufgegriffen wurden.[44]

Bis in die 1960er und 1970er Jahren hinein herrschten in der Theoriebildung makroanalytische Ansätze vor. Wesentlicher Schwerpunkt bildete das Entwickeln von deterministischen Wanderungsmodellen auf Aggregatebene.[45] Zur Hilfe wurden dabei z.B. physikalische Gesetzmäßigkeiten gezogen und in streng ausgerichtete mathematische Modelle zur Beschreibung der Wanderungsprozesse umgewandelt (wie z.B. das Gravitationsgesetz). Hierbei wurden retrospektiv mittels statistischer Verfahren Konstanten und Variablen ermittelt, die entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse besitzen. Zudem waren die Modelle an zahlreiche Einschränkungen gebunden.[46] Im Laufe der Zeit gerieten solche Modelle zunehmend unter Kritik, da man komplizierte soziale Vorgänge (wie Wanderungen) nicht nur an einzelnen objektiven Merkmalen, wie z.B. der Distanz, festmachen kann und das exakt berechenbare Relationen zwischen Phänomenen und gewissen Variablen nicht existieren.[47]

Neben streng deterministischen Wanderungsmodellen wurden auf Aggregatebene weitere Versuche unternommen Wanderungen zu erklären. Als wichtige Vertreter sind hier z.B. Push-Pull-Modelle zu nennen, die sich verstärkt mit Anziehung- und Abstoßeigenschaften von objektiven Merkmalen der Ziel- und Quellgebiete der Wanderungsströme befassen.

In Folge der Abkehr von den deterministischen Modellen und dem Ausstrahlen der amerikanischen Forschung wurde die individuelle Ebene zunehmend in die Betrachtung und Erklärung der Migration einbezogen und schließlich zur tragenden Dimension der Erforschung von Wanderungsvorgängen. Der Einfluss zahlreicher Forschungsdisziplinen führte hier zu einer Vielfalt von Ansätzen und verschiedenen Auslegungen sowie einer mehr oder weniger weiten Kombination mit der Aggregatebene.

Ein neuer Ansatz ist z.B. die Verknüpfung der Wanderungsforschung mit dem soziologischen Lebensstilkonzept zuletzt durch SCHNEIDER und SPELLERBERG[48] und damit auch der Berücksichtigung kultureller Eigenschaften. Aber auch dieser Ansatz wird in der wissenschaftlichen Diskussion nicht unkritisch gesehen.[49]

In der DDR spielte die Erforschung von Wanderungsprozessen kaum eine Rolle, hier gab es nur wenige, hauptsächlich quantitativ ausgelegte Migrationsstudien, die sich überwiegend überregionalen Wanderungen widmeten. Aus ideologischen Gründen wurde eine sozialgeographische Erforschung innerstädtischer Wanderungsvorgänge nicht betrieben.[50]

Hinsichtlich der innerstädtischen Wohnmobilität war der Forschungsstand bis in die späten 60er Jahre des letzten Jahrhunderts besonders im deutschsprachigen Raum sehr lückenhaft, obwohl diese Wanderungsform einen beträchtlichen Anteil an der lokalen Bevölkerungsbewegung besitzt. Wichtige Grundlagen legte bereits die Chicagoer Schule in den 1920er Jahren, die innerstädtische Wanderungsprozesse eng mit Stadtentwicklungsprozessen in Verbindung brachte. So wurden Invasions-, Sukzessions- und Segregationsprozesse näher untersucht. Innerstädtische Wohnmobilität war dabei allerdings nur „Mittel zum Zweck“ und stand nicht im Zentrum des Interesses.[51] Erst ROSSI (1955) widmete sich intensiv dem innerstädtischen Wanderungsgeschehen und plädierte als einer der ersten für einen Mikroansatz zur Erklärung von intraregionalen Wanderungsbewegungen, seine Anregungen sollten jedoch erst wesentlich später von anderen Wanderungsforschern aufgegriffen und weiterentwickelt werden.[52]

Nach GÖLER[53] lagen noch bis 1998, im krassen Gegensatz zu Stadt-Umland-Wanderungen, kaum empirisch ermittelte Erkenntnisse über innerstädtische Umzüge in den Neuen Ländern vor, bis heute besteht daher v.a. auf gesamtstädtischer Ebene ein erheblicher Forschungsbedarf.

Anhand der „Historie“ der Wanderungsforschung erklärt sich heute die kaum noch überschaubare Fülle von Theorieansätzen zur Erklärung von Wanderungen, die sich meist in ihrer Gültigkeit ergänzen und nur zum Teil gegenseitig ausschließen.[54] Da es keine einheitliche Wanderungstheorie gibt, verlieren die Teiltheorien solange nicht an ihrer Aktualität, solange das zu erforschende Phänomen noch existiert und der Ansatz nicht widerlegt oder verbessert wurde.

Diejenigen Ansätze, welche speziell zur Beschreibung und Erklärung innerstädtischer Wanderungen einen wichtigen Beitrag leisten, sollen im Abschnitt 2.3.4 genauer betrachtet werden.

2.3 Innerstädtische Umzüge als Teil intraregionaler Wanderungen

2.3.1 Charakteristik und Typologie

Im Abschnitt „Begriffsabgrenzung und –bestimmung“ (2.1.1) wurde der Begriff innerstädtische Wohnmobilität von anderen Mobilitätsformen abgegrenzt, im folgenden soll nun inhaltlich noch näher auf innerstädtische Umzüge als Bestandteil intraregionaler Wanderungen eingegangen werden:

Bei der Unterteilung der Migrationsbewegungen in Abb.1 überschneiden sich territoriale sowie distanz- und verhaltensbedingte Raummerkmale. Anders als die unterste Abgrenzung in intra- und interkommunale Wanderungen sowie in amtliche Stadtteile innerhalb der Stadt ist der Begriff der Region, als Ebene zwischen Nationalstaat und Kommune, nicht administrativ, sondern v.a. funktions- und sozialräumlich geprägt. Dabei steht der sozioökonomische Verflechtungsgrad im Vordergrund der Abgrenzung, welcher nach außen hin (mit der Distanz zum Mittelpunkt) abnimmt.[55] Ein wesentlicher Indikator ist z.B. die Arbeitspendlerverflechtungsquote[56], als ein relatives Merkmal für den zirkulären Mobilitätsprozess des Arbeitspendlerverkehrs. Im Falle einer monozentrischen Stadtregion (wie z.B. Region Dresden) verdeutlicht diese Quote, inwieweit eine bestimmte Masse der Wohnbevölkerung der Umlandbereiche noch täglich eine gewisse Maximaldistanz zur Kernstadt überwindet, um hier einer Arbeit nachzugehen. Mit der Distanz verringert sich somit die engere Beziehung der Umlandbevölkerung zur Kernstadt. Eine so abgegrenzte Region stellt demnach den potentiellen Raum dar, in dem Wohnmobilität einer Person (im engem Sinne) möglich ist, ohne das diese den direkten Bezug (quasi als individuelle Verflechtung) zur Kernstadt bzw. der Region zu verliert.

Betrachtet man neben der Arbeitspendlerverflechtung noch die anderen zirkulären Mobilitätsformen von Personen, so erhält man individuelle bzw. gruppenspezifische Aktionsräume, welche direkt an die Lage der Wohnstandorte, als Ausgangspunkte zirkulärer Mobilität sowie an der (zirkulären) Mobilitätsfähigkeit und Mobilitätsbereitschaft der jeweiligen Personen gebunden sind[57], BLOTEVOGEL spricht hier von Tätigkeits- oder Aktivitätsregionen.[58] Das Aktionsraumkonzept verdeutlicht somit anschaulich die engen Zusammenhänge zwischen Wohnmobilität und den anderen Formen räumlicher Mobilität auf individueller und gruppenspezifischer Ebene[59] und erklärt den Sachverhalt, warum die Mehrheit der Migranten nur über kurze Distanzen wandert. Der persönliche Aktionsraum[60] und die Anforderungen an eine Wohnung sind dabei stark an die Stellung der Person im Lebenszyklus gekoppelt. Besonders hinsichtlich Haushaltsgröße, Einkommen und Alter verändern sich die individuellen Bedürfnisse sowie der räumliche Mobilitätsbedarf und das Mobilitätsvermögen und damit auch der Aktionsraum (vgl. Abschnitt 2.3.4.1).

Betrachtet man Wanderungen hinsichtlich des Aktionsraumes von Personen so ergeben sich zwei Grundtypen: Zum einen eine Wanderung innerhalb der Region, um z.B. die individuelle Wohnsituation zu verbessern, wichtige Knotenpunkte des Aktionsraumes bleiben zumindest in Teilen erhalten (intraregionale Wanderung). Zum anderen eine Wanderung mit dem Ziel der absoluten Verlagerung des Aktionsraumes aus der Region durch Arbeits- oder Ausbildungsplatzwechsel (interregionale Wanderung).[61] In Abbildung 2 sind die räumlichen Konsequenzen dieser Grundtypen schematisch dargestellt.

In der Grafik sind zwei Modellstadtregionen (Außenkreise) mit den Kernstädten A und B und jeweils zwei Zeitpunkte (vor Umzug – nach Umzug) zu sehen, die Quadrate verdeutlichen die jeweiligen Wohnstandorte, die Punkte beispielhafte Orte anderer Aktivitäten (z.B. Arbeiten, Einkaufen, Erholen). Ein Haushalt der Stadt A hat nun nach dem Aktionsraumkonzept mehrere Möglichkeiten seinen Wohnstandort innerhalb diesem zu wechseln:

1. Interregionale Wanderung: Der Wohnsitz wird aus der Stadtregion A in die Stadtregion B verlagert, ein völlig neuer Aktionsraum wird aufgebaut, dies bewirkt einen hohen Anpassungsstress[62] (Folge könnte bald ein erneuter Umzug innerhalb der Stadtregion B sein).
2. „Nachbarschaftswanderung“: Der Wohnstandort in der Stadt A wird in die unmittelbare Nachbarschaft der vorherigen Wohnung verlagert, ohne das sich die Knotenpunkte des Aktionsraumes ändern (z.B. Auszug von erwachsenen Kindern aus dem Elternhaus in unmittelbare Nähe, um direkten Kontakt aufrecht zu erhalten).
3. „Quartierswechselumzug“: Es erfolgt ein Umzug innerhalb der Stadt A in ein anderes Wohnquartier mit der Verlagerung bestimmter Aktionsraumknotenpunkte, viele Knotenpunkte (Arbeitplatz, Einkaufen in der City, Ärzte, Kontakt mit Freunden und Bekannten) werden jedoch weiter aufrecht erhalten und meist nicht oder nur zögerlich verlagert.[63]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Inter- und intraregionale Wanderungen nach dem Aktionsraumkonzept

Quelle: eigener Entwurf nach Franz, P. 1984, S.34

4. Stadt-Umland-Wanderung: Der Wohnstandort wird über die Stadtgrenze der Stadt A in das Umland innerhalb der Stadtregion verlagert. Es werden je nach Distanz nur wenige Knotenpunkte des alten Aktionsraumes bewahrt (oft nur Arbeitsplatz und die Teilhabe an spezifisch städtischen Funktionen wie z.B. Theaterbesuche). Besonders diese intraregionale Wanderungsform ist treibende Kraft von Wohnsuburbanisierungsprozessen.[64] Da der regelmäßig frequentierte Knotenpunkt des Arbeitsplatzes erhalten bleibt, erklärt sich auch die hohe verkehrserzeugende Wirkung dieser Wanderungsform (vgl. Abschnitt 2.3.3).

Zur Ergänzung: Arbeitsplatzwechsel können natürlich auch innerstädtisch oder innerhalb der Region erfolgen. Der Wohnstandort wird jedoch dadurch nur nach gewisser Verzögerung gewechselt, wenn der tägliche Arbeitsweg als zu große Belastung empfunden wird.

Neben der oben vorgenommenen aktionsräumlichen Typisierung von Wanderungsprozessen, sollte stets bewusst sein, dass v.a. innerstädtische Wanderungen nicht immer freiwilligen Charakter besitzen. Oft bestehen zahlreiche Zwänge bei der Auszugsentscheidung sowie der Standortwahl der neuen Wohnung (einige Beispiele siehe in Tabelle 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Beispiele intraregionaler / innerstädtischer Wanderungen nach dem

Entscheidungsspielraum der Wandernden

Quelle: eigene Zusammenstellung

Der freiwillig wandernde Haushalt, der genügend finanzielle Ressourcen für eine angemessene Wohnungsstandortwahl besitzt, dürfte in Deutschland den zu erwartenden Normalfall darstellen, aber je nach sozialer Lage in der sich die wandernden Personen befinden und den Verhältnissen (Preise und Angebot) auf den städtischen Wohnungsteilmärkten kann der Anteil von Zwangswanderungen mitunter stark ansteigen. So waren z.B. in westeuropäischen Großstädten nicht unwesentliche Verdrängungsprozesse der Wohnnutzung in den Innenstädten in den letzten Jahrzehnten aufgrund steigender Bodenpreise zu beobachten. Sich daraus ergebende höhere Mietpreise und Umnutzung der Wohnsubstanz sind daher nicht unwesentliche Faktoren, die zu Zwangswanderungen führen können.[67]

2.3.2 Typische Raumstrukturen von Wanderungen in der Stadt – allgemeine Forschungsergebnisse

Aufgrund zahlreicher empirischer Arbeiten zu Wanderungsbewegungen in Städten der westlichen Welt seit den Anfängen durch die Chicagoer Schule in den 1920er Jahren, lassen sich gewisse Grundstrukturen von Wanderungen in der kapitalistischen Stadt zusammenfassen.

Eine Möglichkeit für Großstädte der alten Bundesrepublik stellt das Schema von KULS (1980) dar, welches in Abbildung 3 dargestellt ist. Dieses zeigt, dass charakteristische Wanderungsströme innerhalb der Stadt verschiedene Bereiche der Stadt verbinden und dass es Teilbereiche mit verstärkter und abgeschwächter Wohnmobilität gibt.

Die Innenstadt sowie der Innenstadtrand sind hierbei am stärksten von den Wanderungsbewegungen betroffen. Beide sind vor allem Zuzugsgebiet jüngerer Kleinhaushalte, die wegen städtischer Vorteile sowie aus beruflichen Gründen aus anderen Städten oder dem Umland und dem Stadtrand hierher ziehen. Die Wohndauer dieser Haushalte ist durch weitere häufige Wohnungswechsel sehr kurz.

Des weiteren ziehen „wachsende“ Haushalte aufgrund ihrer v.a. lebenszyklisch bedingten Wohnpräferenzen sowie durch Verdrängungsprozesse in das Umland bzw. an den Stadtrand (siehe Abschnitt 2.4.1).

Alles im allen verbindet sich mit diesen und weiteren Wanderungsbewegungen ein allgemeiner Wanderungsverlust in der Innenstadt und im Innenstadtrand sowie einem Wanderungsgewinn in Stadtrandbereichen und den Vororten der Stadt.

Es ist anzunehmen, dass sich diese Wanderungsmuster westdeutscher Städte in zunehmenden Maße auch in Ostdeutschland durchsetzten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Schema typischer Wanderungsvorgänge im Großstadtbereich

Quelle: Kuls, W. 2000, S.247

2.3.3 Effekte innerstädtischer Wohnmobilität

Als allgemeiner Grundsatz gilt: je kleiner die räumliche Einheit, desto größer sind die Effekte der Migration auf den Saldo der Bevölkerungsentwicklung sowie auf die Zusammensetzung der Bevölkerung der jeweiligen Gebietseinheit.[68] Je größer die Bruttowanderungsrate eines Stadtteils, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit eines Wandels der sozialen und demographischen Bevölkerungszusammensetzung.[69] Folglich sind für Stadtteile mit geringer Einwohnerzahl aber besonders hohem Wanderungsvolumen die Effekte von Wanderungen auf die Bevölkerungs- und Raumstruktur am größten. Eine niedrige Bruttowanderungsrate hingegen ist ein Indiz für hohe soziale Stabilität[70], da sich die Bestandsbevölkerung durch Wanderungen in ihrer Zusammensetzung kaum verändert – es gibt demnach keine Anlässe für eine Zu- oder Abwanderung.

Im Generellen nimmt die Größenordnung innerstädtischer Umzüge im Verhältnis zur Bevölkerung mit der Größe einer Stadt zu. Neben einer größeren innerstädtischen Differenzierung von Wohnstandortalternativen sind v.a. der Anteil junger dynamischer Haushalte sowie die niedrige Wohneigentumsquote für die hohe Umzugshäufigkeit in Großstädten verantwortlich. Daher ist in besonders großen Städten die innerstädtische Bruttowanderungsrate am höchsten. Innerstädtische Umzüge besitzen demnach in Großstädten die größten Auswirkungen auf das städtische Gefüge zudem sind wohnungsmarktbedingte Schwankungen der Umzugshäufigkeit hier auch am stärksten.[71] Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Umzugshäufigkeit linear mit der Stadtgröße ansteigt, denn die jeweiligen Wohnungsmärkte haben starken stadtspezifischen Charakter (siehe dazu Großstädtevergleich im Abschnitt 5.2).

Im Folgenden soll das Verhältnis von Wanderungen zu einigen ausgewählten bevölkerungsbezogenen Stadtentwicklungsprozessen dargestellt werden:

Wanderungsprozesse können einerseits „neutral“ beobachtet und ausschließlich als demographische Ereignisse betrachtet oder auch (meist im nächsten Schritt) als Ursache oder Folge von spezifischen Stadtentwicklungsprozessen gesehen werden. Bei den letzten beiden Aspekten ist eine strikte Trennung oft nicht möglich. Besonders hinsichtlich von Auf- und Abwertungsprozessen einiger Stadtgebiete werden die Grenzen unscharf: Wird nun zugewandert, weil sich ein Gebiet in einer Aufwertungsphase befindet oder gäbe es hingegen ohne Zuwanderung gar keine Aufwärtsentwicklung?

Zur Deutung von bevölkerungsbezogenen Aufwertungs- und Abwertungsprozessen wurden eigens Theorien entwickelt. Allen voran die Gentrification-Theorie, die Theorie der Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete.[72] Dieser Begriff ist inhaltlich an bestimmte soziale Prozesse geknüpft, welche insbesondere eine Zuwanderung von statushöheren Lebensstilgruppen beinhalten und diese zu einer Verdrängung (= Zwangsabwanderung) von anderen Bevölkerungsschichten führt. Gentrification ist also ein überwiegend qualitativ geprägter Begriff. Eine quantitativ hohe Zuwanderung in Wohnviertel bedeutet daher noch lange nicht einen Gentrificationsprozess, kann jedoch ein mögliches Indiz für diesen sein. Nicht desto trotz wird Gentrification nahezu ausschließlich durch (qualitativ differenzierte) Wanderungen bestimmt. Es kommt demnach auf die richtige Deutung und qualitative Analyse der Wanderungen an. Dies muss „auf Verdacht“ quartiersbezogen erfolgen. Mit den für diese Arbeit vorliegenden Daten ist eine solche Deutung nicht möglich, deshalb kann nur im quantitativem Sinne hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung von Auf- oder Abwertungsgebieten gesprochen werden.

Während Gentrification eher ein Sonderfall der Segregation (Separierung sozialer oder demographischer Gruppen im Raum) darstellt und nur wenige Teilgebiete der Stadt erfassen kann[73], scheint sich das allgemeine Phänomen der sozioökonomischen und ethnischen Segregation seit einigen Jahrzehnten (in Ostdeutschland seit 1990) verstärkt zu einem flächendeckenden Prozess einer innerstädtischen Lokalisierung gesellschaftlicher Ungleichheit zu entwickeln.[74]

Hinsichtlich innerstädtischer Wanderungen ist es bei Segregationsprozessen, ebenso wie bei Gentrification, von der qualitativen Zusammensetzung der Wanderungsströme abhängig, daher können innerstädtische Umzüge zu Segregation führen, müssen es aber nicht.[75] Oder von der anderen Seite betrachtet: wenn Segregation als kurzfristiger Prozess auftritt, dann (aber) durch Wanderungen, wobei innerstädtischen Wanderungen eine besondere Bedeutung zukommt.

Als eine Art von „gewöhnlicher“ Segregation[76], vor allem als Folge der im Stadtmodell von KULS dargestellten Wanderungsströme (Abschnitt 2.3.2), ist die allgemeine Zunahme der Haushaltsgröße von der Kernstadt in die Peripherie und die Konzentration der mobilsten Haushaltstypen in der Innenstadt.[77]

Der Prozess der Wohnsuburbanisierung[78] besitzt im Gegensatz zur Segregation quantitativen Charakter. Entsprechende Wanderungssalden der Außenbezirke sind somit die wichtigsten Indikatoren für dieses Phänomen.[79] Wohnsuburbanisierungsprozesse innerhalb der administrativ abgegrenzten Stadt lassen sich daher durch eine quantitative Analyse von innerstädtischen Umzügen nachweisen.

Durch die Eingemeindungen in Sachsen ab Mitte der 90er Jahre wurden zahlreiche Wanderungen, die diesem Prozess zuzuordnen sind, „künstlich“ in innerstädtische Umzüge umgewandelt und können daher in einer Untersuchung zu innerstädtischen Umzügen ab diesem Datum erfasst werden. Insbesondere Dresden konnte dadurch einen beachtlichen Teil ehemaliger Stadtbewohner zurückgewinnen.[80]

Besonders im Zusammenhang mit Außenwanderungen und Wohnungsneubautätigkeit sind innerstädtische Wanderungen erheblich an der räumlichen Verteilung von Wohnungsleerständen innerhalb einer Stadt beteiligt. In Ostdeutschland haben sich diese zu einem strukturellen Problem entwickelt, welche die Funktionsfähigkeit der Städte ernsthaft zu gefährden scheinen.[81]

Ein weiterer Effekt, der nicht unterschätzt werden sollte, ist die mehr oder weniger starke Veränderung des Aktionsraumes nach dem Umzug. Insbesondere die wohnstandörtliche Distanzerhöhung zur Arbeitsstätte infolge eines Umzuges an die Peripherie einer Stadt lässt das Verkehrsaufkommen innerhalb der Städte bei massenhaften Auftreten erheblich ansteigen und mindert dadurch die Wohn- und Lebensqualität der Innenstädte. Hierbei sind besonders zentrale Plätze sowie große Ausfallstraßen betroffen. Starker Lärm sowie hohe Verkehrs- und Abgasbelastung sind wiederum ein treibender Grund für eine weitere „Stadtflucht“ und ein weiterer Ausbau des Straßensystems erleichtert wiederum die Verflechtung mit dem Umland einer Großstadt (und damit den Umzug dorthin). Natürlich gibt es auch die andere Variante hinsichtlich einer Annäherung der Aktionsraumknotenpunkte im Sinne einer „Stadt der kurzen Wege“[82], dies hätte eine allgemeine Verkehrsreduzierung und lokale Vernetzung zur Folge. Eine Überlagerung beider Varianten ist sicherlich der Fall, jedoch ist in den letzten Jahren im Zuge der Wohnsuburbanisierung das Verkehrsaufkommen, insbesondere in Ostdeutschland, stark angestiegen.

2.3.4 Ausgewählte Theorie- und Erklärungsansätze zur innerstädtischen Wohnmobilität

Fragen, die es noch insbesondere hinsichtlich innerstädtischer Umzüge zu klären gilt sind: Was löst innerstädtische Wohnmobilität aus? Wie verläuft dieser Prozess? Warum sind die einen Gebiete Fortzugs- und die anderen Zuzugsareale? Folgende Erklärungsansätze sollen dafür einen theoretischen Hintergrund liefern:

2.3.4.1 Das Lebenszykluskonzept als grundlegender Erklärungsansatz

Nach dem Lebenszykluskonzept, welches ursprünglich auf das Familienzykluskonzept des Demographen GLICK (1947) zurückzuführen ist, durchläuft jeder Mensch zumindest teilweise einen dynamischen Haushaltsveränderungsprozess.[83] Dieser kann nach gewissen Kriterien schematisiert werden und bietet alles in allem wohl die beste Erklärung für einen Großteil intraregionaler Wanderungen.[84] Zentraler Bestandteil dieses Ansatzes ist es, dass sich im Lebensverlauf die Haushaltsgröße und die sich u.a. daraus ergebenen Anforderungen an eine Wohnung nach gewissen Regeln ändern. Daher lässt sich mit den Variablen Alter und Haushaltsgröße indirekt die Stellung im Lebenszyklus messen.[85]

Ein Haushalt durchläuft demnach mehrere Phasen, die sich wesentlich auf die Wohnmobilität auswirken.[86] Der idealtypische Ablauf stellt sich wie folgt dar: Nach der passiven Kindheitsphase (abgeleitete Mobilität) gründen junge Erwachsene einen eigenen Haushalt. „Ausbildungserfordernisse, Suche nach angemessenen Arbeitsplätzen, Eheschließungen und Familiengründung bedingen bei vielen Jüngeren eine relativ rasche Folge von Wohnungswechseln (Gründungsphase).“[87] Nach dieser im allgemeinen mobilsten Phase (siehe dazu Abbildung 3) erfolgt, ermöglicht durch das entsprechend vorhandene Einkommen, eine oder mehrere Anpassungen der Wohnsituation mittels Umzug, insbesondere wenn durch Kinder der Haushalt vergrößert wird und die Wohnungsgröße bzw. –ausstattung oder auch das Wohnumfeld dem nicht gerecht werden (Expansionsphase). Bis die Kinder den Elternhaushalt verlassen und wiederum einen eigenen Haushalt gründen herrscht eine Phase der Konsolidierung. Dadurch verändern sich erneut Haushaltsgröße und damit Wohnungsansprüche, die erneut zu einer erhöhten Wohnmobilität führen können (Stagnationsphase). Mit dem Eintritt in den Ruhestand setzt die Altersphase ein, in der Wohnmobilität kaum noch eine Rolle spielt und als ein erheblicher Stressfaktor aufgefasst wird. Selbst bei dem Tod eines Ehepartners wird oft die nun zu große Wohnung beibehalten.[88]

Neben diesem „demographischen“ Lebenszyklus wird die Wohnungsmobilität auch indirekt durch einen parallelen „sozioökonomischen“ Lebenszyklus beeinflusst. Dieser beinhaltet, dass mit zunehmenden Alter für gewöhnlich, bedingt durch die Berufskarriere, das Einkommen und die Ersparnisse eines Haushaltes ansteigen und daher Wohnwünsche umfassender umgesetzt werden können als etwa in der Gründungs- und Expansionsphase.[89]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Mobilität nach Altersstufen und Lebenszyklusphasen

Quelle: Killisch, W. 1979, S. 126

Zusammengefasst bewirken diese Anpassungsmechanismen, dass der persönliche Wohnflächenkonsum mit zunehmenden Alter ansteigt und je nach Phasenzugehörigkeit bestimmte Wohneigenschaften von Wohnquartieren bevorzugt („präferiert“) werden. So ziehen junge Haushalte der Gründungsphase innerstädtisch zentral gelegene, preiswerte und kleine Mietwohnungen vor. Während Familien mit Kindern größere Wohnungen benötigen und eine kindergerechte Wohnumgebung bevorzugen, die für gewöhnlich eher am Stadtrand oder dem Umland von Städten zu finden sind. „Konsolidierte“ Familien mit hohen finanziellen Ressourcen sind hierbei besonders Nachfrager von selbstgenutztem Wohneigentum im Umland.[90]

Diese Zusammenhänge machen zusätzlich deutlich, dass besonders Veränderungen im generativen Verhalten der Bevölkerung (Rückgang der Eheschließungen, Geburtenknick...) auch Veränderungen im Wanderungsverhalten mit sich führen. Geburtenrückgänge müssten sich z.B. sofort in der Wanderungsstatistik niederschlagen, da Haushalte weniger expandieren und daher weniger in größere Wohnungen ziehen müssen, zusätzlich gibt es noch einen Langzeiteffekt, der sich erst nach etwa 20 Jahren bemerkbar machen kann: die nicht geborenen Kinder werden nicht in die Gründungsphase eintreten und ebenfalls nicht nach (kleinen) Wohnungen nachfragen.

Aggregierte Wanderungsdaten oder individuelle Wanderungsbiographien können anhand dieses Ansatzes teilweise sehr gut nachvollzogen werden.[91] Eine gewisse Grobkörnigkeit wird jedoch durch die vorgenommene Schematisierung, insbesondere hinsichtlich der Wohnstandortwahl, bedingt. Die Altersvariable besitzt zudem nur einen relativen Aspekt, da Familiengründung bzw. Partnerschaft sich zwar in einem bestimmten Lebensabschnitt häufen, aber auch in jedem sonstigen Erwachsenenalter möglich sind.[92]

Da in den letzten Jahrzehnten wesentliche Veränderungen in der Haushaltstruktur[93], besonders in Großstädten, erfolgten, wurde versucht auch die neuen Haushaltstypen in das Lebenszykluskonzept zu integrieren, obwohl diese nicht ohne weiteres in dieses Konzept hineinzupassen scheinen.[94]

2.3.4.2 Lebensstile und Wohnmobilität

Der Lebensstilansatz ist im wesentlichen die Antwort auf die schon oben genannten Veränderungen der Haushaltstruktur in Folge der Individualisierung bzw. Pluralisierung der Gesellschaft und soll den Lebenszyklus als Erklärungsinstrument u.a. von Wanderungsprozessen durch eine differenziertere Herangehensweise ergänzen, wenn nicht gar ersetzen.[95]

Lebensstile stellen die Gesamtheit der Alltagsroutine hinsichtlich einer differenzierten Struktur der Lebensorganisation dar und stellen damit stabile, von einander abgrenzbare, Verhaltensmuster und –erwartungen heraus.[96] Nach sozialen Eigenschaften, die mittels Tiefenbefragung erhoben werden, können Personen durch Bildung von Clustern hinsichtlich kultureller Vorlieben und Aktionsradius von einander unterschieden werden.[97] Besonders zwischen Wohnbedürfnissen und Lebensstilen werden wesentliche Zusammenhänge vermutet: „Der Lebensstil kann .. als Handlungsrahmen angesehen werden, der bestimmt, wie lange eine Wohnsituation als angemessen empfunden wird, und wann entsprechende Veränderungen vorgenommen werden“[98]

So werden z.B. bei SCHNEIDER und SPELLERBERG (1999), auf Grundlage einer zuletzt 1996 durchgeführten Befragung, kulturelle Vorlieben auf der y-Achse fließend von Populär, volkstümlich über Moderne Kultur bis hin zu Etablierter Kultur unterschieden. Auf der x-Achse wird (fließend) zwischen eher häuslich und eher außerhäuslich unterschieden.[99] Die sich daraus ergebenden Cluster überschneiden sich jedoch teilweise erheblich, können aber auch regionale Unterschiede hinsichtlich dieser Struktur aufzeigen. In Anlage 1 sind zur Vergleichbarkeit die verschiedenen Lebensstilgruppen in Ost- und Westdeutschland in einer Tabelle aufgeführt.[100]

Jedem Lebensstil lassen sich empirisch zahlreiche Verhaltensweisen zuordnen, die über die Befragung ermittelt wurden. Diese subsumieren auch ein jeweiliges spezifisches Wanderungsverhalten.[101] So ziehen z.B. Personen mit ausgeprägter Berufsorientierung wesentlich häufiger um, als Personen ohne diese Eigenschaft. Freundschaftliche Kontakte und Aufbau von örtlichen Sozialnetzwerken fördern eher die Wohnmobilität auf innerstädtischer Ebene, da hier u.a. Wohnungsmarktinformationen ausgetauscht werden und somit Zugänge zum Wohnungsangebot erschlossen werden.[102] Zudem weisen Menschen mit hohem sozialen Engagement und gesellschaftlichem Interesse wahrscheinlich eine höhere Integrationsfähigkeit auf, wodurch sich Anpassungsstresssituationen beim Umzug verringern und ein Umzug für diesen Personenkreis weniger zur Belastung wird, Folge sind hier ebenfalls eine höhere Wohnmobilität.

Obwohl dieser Ansatz eine allgemeine Bereicherung einer differenzierten Wanderungs- und Sozialstrukturanalyse darstellt, so stellen sich aber auch zahlreiche Kritikpunkte und Einschränkungen:

Speziell zur Studie von SCHNEIDER und SPELLERBERG (1999) ist als einschränkend zu nennen, dass die geringe Fallzahl keine nähere räumliche Differenzierung zulässt und daher nur Durchschnittswerte darstellen können. So liegen z.B. für die fünf neuen Bundesländer zusammen nur 999 auswertbare Fälle vor. Hier wären kleinräumigere Untersuchungen (nicht nur im Hinblick auf Gentrification) sicher sehr aufschlussreich. Ein methodisches Manko der Studie von SCHNEIDER und SPELLERBERG ist zudem, dass nicht zwischen intraregionale bzw. innerstädtische und interregionale Wanderungen unterschieden wird und daher arbeitsplatzorientierte Wanderungen mit Wohnungsorientierten vermischt sind.[103] Eine weitere Einschränkung ist, dass die aufwendige Erhebungsmethode (Lebensstilmerkmale werden nicht von der amtlichen Statistik bereitgestellt) und die sich daraus ergebende Auswertung der Daten eine flächendeckende Anwendung nur unter hohen Kosten und Aufwand zu ermöglichen wäre.

Generelle Kritik an diesem Ansatz äußert GÖLER (1999): So gibt es keine allgemein anerkannte Theorie der Lebensstile, oft werden Zuordnungs- und Konzeptkriterien im Laufe der Zeit verändert und damit die raum-zeitliche Vergleichbarkeit stark eingeschränkt.[104] Des weiteren stehen bei der Lebensstilforschung vorwiegend Sonder- oder gar Extremfälle im Mittelpunkt der Untersuchungen, so z.B. bei Forschungen zum Gentrificationphänomen, bei dem nur randliche Lebensstilgruppen beteiligt sind und nicht breite Bevölkerungsmassen (siehe oben). Zusätzlich scheint es hinsichtlich der gesellschaftlichen Dynamik in Ostdeutschland noch zu früh für eine breite Wanderungsforschung anhand von Lebensstilen, da diese noch immer einem hochgradigen Wandel unterliegen.[105]

2.3.4.3 Die Mikroansätze von ROSSI und BROWN / MOORE

ROSSI schuf schon 1955 mit seiner, heute als Klassiker bezeichneten, Studie eine wesentliche wissenschaftliche und vor allem methodische Grundlage zur Analyse innerstädtischer Umzüge. Er erkannte als einer der Ersten, dass diese Art von Wanderungen v.a. soziologisch und sozialpsychologisch erforscht werden müssen und das diese wesentlich vom Status der Haushalte im Lebenszyklus bedingt sind,[106] damit war er seinen Kollegen um einiges voraus.[107] ROSSI führte umfangreiche Befragungen in verschiedenen Stadtteilen einer amerikanischen Großstadt durch um zuvor aggregiert betrachtete statistische Zusammenhänge durch Individualdaten zu überprüfen. Außergewöhnlich war neben dem gewählten Mikroansatz vor allem seine Längsschnittbefragung[108], um zuvor geäußerte Umzugsabsichten nach ihrer Realisierung zu untersuchen. Dadurch war der Stellenwert von Umzugsbereitschaft bzw. direktem Umzugswunsch für einen tatsächlichen Umzug überhaupt erst messbar. Zentraler Bestandteil der Arbeit war die Belegung eines individuellen Entscheidungsprozesses einer innerstädtisch wandernden Person.[109] Zentrale Aussagen ROSSI´s sind:

- Die Abfolge zwischen Mobilitätsbereitschaft und tatsächlichen Wohnungswechsel gliedert sich in einzelne Schritte.
- Das „Wohnungswechselbedürfnis“ kann nicht wie Hunger oder Durst sofort nach dem Auftreten befriedigt werden.
- Allgemeine Mobilitätsbereitschaft ist weit verbreitet, konkrete Umzugspläne eher selten.
- Erst ab einem gewissen Schwellenwert wird aus Mobilitätsbereitschaft ein konkreter Umzugsplan.

[...]


[1] vgl. Göler, D. 1999, S. 92

[2] in Anlehnung an Deckert, P. 1977, o.S.

[3] vgl. Göler, D. 1999, S. 81

[4] vgl. Ders. 1999, S. 5

[5] vgl. Waldmann, M. 2000, o.S.

[6] vgl. Esser, H. 1999, S. 3ff.

[7] Häußermann, H. 1998, S. 161ff.

[8] z.B. Han, P. 2000

[9] Bähr J. / Jentsch C. / Kuls W. 1992, S.539

[10] vgl. Killisch 1979, S. 3

[11] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 540f.

[12] Wohnen, Arbeiten, sich Versorgen, sich Bilden, sich Erholen, in Gemeinschaft leben

[13] vgl. Heineberg, H. 2000, S. 152ff.

[14] Der Begriff Wohnmobilität wird im deutschem Sprachraum, nach erfolgter Literaturrecherche, anscheinend erst seit einigen Jahren gebraucht. In der vorliegenden Literatur findet dieser erstmals in der Veröffentlichung von Kemper F.-J. (1995) Anwendung.

[15] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 540f.; Kuls, W. / Kemper, F.-J. 2000, S.183

[16] vgl. Franz, P. 1984, S. 27; Scheider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 63

[17] vgl. Esenwein-Rothe, I. 1982, S.156; Franz 1984, S. 30

[18] vgl. Mueller, U. 1993, S. 171

[19] Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 542

[20] In der amtlichen Statistik wird ein Umzug als Wechsel der vorwiegend genutzten Wohnung (Hauptwohnung) definiert. Umwandlungen von Neben- zu Hauptwohnungen zählen auch als Umzug. vgl. Landeshauptstadt Dresden 2001

[21] z.B. Alterswohnsitzwanderungen

[22] vgl. Franz, P. 1984, S. 78; Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 560

[23] d.h. alle Wohnungswechsel ohne Berücksichtigung von Distanz und Motivstruktur

[24] d.h. Wohnungswechsel durch ausschließlich wohnungsbezogene Motive

[25] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 548

[26] vgl. Esenwein-Rothe, I. 1982, S. 166

[27] vgl. Landeshauptstadt Dresden 1999, S. 91

[28] z.B. bei der Betrachtung der Stadtteilentwicklung

[29] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 546f.

[30] vgl. Killisch, W. 1979, S. 75f

[31] Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 569

[32] Bähr J. / Jentsch C. / Kuls W. 1992, S.540

[33] vgl. ebenda, S. 570

[34] vgl. ebenda, S. 570

[35] vgl. ebenda, S.574ff.

[36] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 571 sowie 573

[37] vgl. Franz 1984, S. 73

[38] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 572f.

[39] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 571

[40] Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 571

[41] Dies. 1992, S. 571

[42] vgl. Franz, P. 1984, S. 127

[43] vgl. Ders. 1984, S. 189; vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 783

[44] z.B. im deutschen Sprachraum: Hoffmann-Nowotny, H.-J. 1970, Killisch, W. 1979, Höllhuber, D. 1982, Miodek, W. 1986; vgl. Franz, P. 1984, S. 77

[45] vgl. Miodek, W. 1986, S. 9

[46] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 580f.

[47] vgl. Dies, S. 585f.; Miodek, W. 1986, S. 10

[48] Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999

[49] siehe dazu Göler, D. 1999, S. 9ff.

[50] vgl. Göler, D. 1999, S. 2f.; vgl. Grundmann, S. / Schmidt, I. 1988, S. 5ff.

[51] vgl. Franz, P. 1984, S. 77

[52] vgl. Franz, P. 1984, S. 77f.

[53] vgl. Göler, D. 1999, S. 4

[54] vgl. Miodek, W. 1986, S. 7ff.

[55] vgl. Leser, H. 2001, S.690 sowie 944

[56] vgl. Ders. 2001, S. 816

[57] vgl. Franz 1984, S. 32ff. sowie 28

[58] vgl. Blotevogel, H. 2000, S. 499

[59] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 789

[60] Gemeint sind dabei Aktivitäten, die v.a. zum Tages- oder Wochenablauf gehören und sich in gewissen Abständen wiederholen. Fernreisen stellen einen Sonderfall dar, sie sind kaum regions- oder ortsgebunden.

[61] vgl. Franz 1984, S. 33

[62] vgl. Mueller, U. 1993, S. 172; zur Stresstheorie hinsichtlich innerstädtischer Umzüge siehe Abschnitt 2.3.4.3

[63] vgl. Franz 1984, S. 33f.

[64] Bedeutungszunahme des Umlandes gegenüber den Kernstadt hinsichtlich Einwohnerbestand. Vgl. Heineberg, H. 2000, S. 40

[65] z.B. Zweierbeziehungen, Familien...

[66] z.B. zentrale Wohnheimplatzvergabe durch das Studentenwerk an Studenten oder Wohnungszuweisung durch Wohnungs- oder Sozialamt an sozial Benachteiligte

[67] vgl. Hamm, B. / Neumann, I. 1996, S.199; Krätke, S. 1995, S. 180

[68] vgl. Kuls, W. / Kemper, F.-J. 2000, S. 183

[69] vgl. Häußermann, H. / Kapphan, A. 2000, S. 132

[70] vgl. Häußermann, H. / Kapphan, A. 2000, S. 131f.

[71] vgl. Göddecke-Stellmann, J. / Metzmacher, M. 1994, S. 788

[72] vgl. Blasius, J. / Dangschat, J. 1990, S.9

[73] vgl. Krätke, S. 1995, S. 176ff.; Dangschat, J. 1990, S. 84ff.

[74] vgl. Krätke, S. 1995, S. 19; Häußermann, H. / Kapphan, A. 2000, S. 13ff.; Hamm, B / Neumann, I. 1996, S. 207ff.; Schäfers, B. 1998, S. 283f.

[75] vgl. Niederländer, L. 1988, S. 470

[76] in Form einer demographischen Regelhaftigkeit

[77] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 796ff.

[78] hinsichtlich einer relativen Bedeutungszunahme der Bevölkerung des Stadtrandes und des Umlandes gegenüber der Kernstadt

[79] vgl. Heineberg, H. 2000, S. 41

[80] vgl. Mueller, H. 1999, S. 16

[81] vgl. Reichart, T. 2001, S. 44ff.

[82] Dies ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung zur Funktionserhaltung der europäischen Stadt. vgl. BBR 2001, S. 50f.

[83] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 789

[84] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 792

[85] vgl. Franz, P. 1984, S. 80

[86] vgl. Franz, P. 1984, S. 80

[87] Franz, P. 1984, S. 80f.

[88] vgl. Franz, P. 1984, S. 81

[89] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 792

[90] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 789f.

[91] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 790

[92] vgl. Franz, P. 1984, S. 81

[93] insbesondere das Zurückdrängen der traditionellen Familie und teilweises Ersetzen durch Single-Haushalte, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende, Haushaltsorganisation in Wohngemeinschaften; vgl. dazu Häußermann, H. / Siebel, W. 1996, S. 322ff.

[94] vgl. Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 789; Göler, A. 1999, S. 8; Beispiel in Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 244

[95] vgl. Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S.75 sowie 95

[96] vgl. Schäfers, B. 1998, S. 316

[97] vgl. Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 14 sowie 113

[98] Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 76

[99] vgl. Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 113

[100] zur näheren Beschreibung der Lebensstile siehe Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 105

[101] vgl. Schneider, N. 1997, S. 18f.

[102] vgl. Schneider, N. / Spellerberg, A. 1999, S. 76

[103] siehe Spellerberg, A. 1997, S. 20

[104] vgl. Göler, A. 1999, S. 9

[105] vgl. Göler, A. 1999, S. 9f.

[106] vgl. Franz, P. 1984, S. 77f.; Bähr, J. / Jentsch, C. / Kuls, W. 1992, S. 242

[107] vgl. Franz, P. 1984, S. 83

[108] Befragung der selben Personen nach einer bestimmten Zeit (hier: 8 Monate).

[109] vgl. Franz, P. 1984, S. 78

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832463601
ISBN (Paperback)
9783838663609
DOI
10.3239/9783832463601
Dateigröße
5.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften, Geographie
Erscheinungsdatum
2003 (Januar)
Note
2,0
Schlagworte
migration bevölkerung stadtentwicklung sozialgeographie wohnungsmarkt
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Titel: Untersuchung der Entwicklung und Chrakteristik der Wohnmobilität in Dresden von 1990 bis 2000 unter der besonderen Problematik des Überganges von Wohnungsmangel zum Wohnungsüberangebot
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