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Morbiditätsorientierte Risikoeinschätzung von Versicherungsstrukturen

©2003 Diplomarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Krankenkassen agieren und reagieren in einem komplexen System mit hoher Regelungsdichte. Mit zunehmendem Wettbewerbsdruck im Gesundheitswesen werden für Krankenkassen und deren Verbände die Entwicklung und die Anwendung effizienter Steuerungsinstrumente immer notwendiger.
Hinzu kommt, dass der demographische Wandel in Deutschland in den kommenden vierzig Jahren aufgrund der niedrigen Geburtenraten und der weiterhin steigenden Lebenserwartung durch eine massive Veränderung der Altersstruktur gekennzeichnet sein wird. Ein höherer Anteil älterer Menschen führt jedoch über den damit verbundenen höheren Versorgungsbedarf zu einer zusätzlichen Kostenbelastung für die Krankenkassen. Diese grundsätzlichen Einnahme- und Kostenprobleme haben alle gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam. Dennoch gestaltet sich die Situation der einzelnen Kasse unterschiedlich in Abhängigkeit von deren Versichertenstruktur.
Ziel der Arbeit war, einen verwertbaren Beitrag zur Versichertenstrukturanalyse einer Krankenkasse oder anderweitigen Versicherung bzw. Versorgungsform zu liefern, die sich am Krankheitsrisiko der darin versicherten Personen orientiert. Es wird herausgearbeitet, wie und nach welchen Kriterien eine morbiditätsorientierte Risiko- und Kosteneinschätzung erfolgen kann. Inhaltlicher Schwerpunkt bildet die Darstellung von Klassifikationskriterien, nach denen eine morbidiätsorientierte Einschätzung möglich ist. Die Ausführungen zur Art der Risikoeinschätzung sollen die methodischen Ansätze wiedergeben, die auf diesem Gebiet zum Einsatz kommen können.
Neben einer Einleitung in Abschnitt 1 sollen im Abschnitt 2 die Grundlagen des Versicherungsgeschäfts in Bezug auf das Versicherungsrisiko einer Krankenkasse behandelt werden. Weiterhin wird dargestellt, welchen Stellenwert die Kostenschätzung besitzt und auf welchen Gebieten sie bereits jetzt eingesetzt werden muss.
Abschnitt 3 behandelt die theoretischen Grundlagen nach der das Morbiditätsrisiko beurteilt werden kann, und auf welchen methodischen und mathematischen Wegen Kostenprognosen möglich sind. Im letzten Abschnitt werden zwei amerikanische Kostenschätzverfahren vergleichend vorgestellt. Zudem soll ein Ausblick auf Entwicklungsperspektiven gegeben werden, die sich aus solchen Verfahren für Deutschland ergeben können.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
Abkürzungsverzeichnis3
Abbildungsverzeichnis4
1.Einleitung5
1.1Problemstellung5
1.2Ziel und Aufbau der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

2 Risikoschätzung und Risikoausgleich in der Krankenversicherung
2.1 Das Risikogeschäft einer Krankenkasse
2.2 Bemessung der Vergütung in der integrierten Versorgung
2.3 Der Risikoausgleich in der Krankenversicherung
2.3.1 Ausgestaltung von Risikoausgleichssystemen in der Krankenversicherung
2.3.2 Berücksichtigung von Morbidität im Risikostrukturausgleich

3 Morbiditätsorientierte Risiko- und Kostenschätzung
3.1 Risikoschätzung
3.2 Direkte Morbiditätsorientierung
3.2.1 Bildung von Risikoklassen
3.2.2 Typologie von Klassifikationsmerkmalen
3.3 Zell- versus regressionsbasierte Kostenschätzung
3.3 Vorhersagegüte

4 Praktischer Einsatz von Risiko- und Kostenschätzverfahren
4.1 Morbiditätsorientierte Klassifikationsmodelle im Vergleich
4.1.1 Vorbemerkung
4.1.2 Adjusted Clinical Groups (ACGs)
4.1.3 Hierarchical Condition Categories (HCCs)
4.1.4 Bewertung der Klassifikationsmodelle
4.2 Perspektiven von Risiko- und Kostenschätzverfahren

5 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verteilung des Ausgaberisikos

Abbildung 2: Merkmale zur Klassifikation von Versicherten

Abbildung 3: Quotient Frauen mit EU/BU- Rente zu Frauen ohne EU/BU- Rente

Abbildung 4: Regression der Ausgaben des Jahres 2 auf das Alter 1 nach Diagnosestatus des Jahres 1

Abbildung 5: Abdeckung der tatsächlichen durchschnittlichen Kosten (in Prozent), nach unterschiedlichen Faktoren

Abbildung 6: Adjusted Clinical Groups (ACGs)

Abbildung 7: Zuordnung von Diagnosen zu Diagnoseuntergruppen

Abbildung 8: ACG Beispiele

Abbildung 9: Gruppierung und Hierarchiebildung von Krankheitszuständen am Beispiel Diabetes

Abbildung 10: Hierarchical Condition Categories (HCC)

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

„Alles was man im Bereich der Sozialversicherung bisher von der fernen Wirtschaft gehört und gelesen hat, betrifft die GKV-Landschaft in ähnlicher Weise nunmehr selbst.“[1]

„ ... den Politikern wird die Spielwiese GKV in den nächsten 15 bis 20 Jahren entzogen. Es ist begründet anzunehmen, dass die aktuelle (erneute) RSA- und Organisationsreform dazu einen entscheidenden Impuls geben wird (Stichworte: Zwangsöffnung, direkte Morbiditätsorientierung, [] GKV-weiter Erstattungspool für nicht managementfähige Leistungsausgaben).“[2]

Dies sind zwei Ergebnisse einer im Jahr 2000 durchgeführten Untersuchung der Unternehmensberatung Dostal & Partner bei Betriebskrankenkassen des gesamten Bundesgebietes. Erwartungen die ein Bild einer möglichen Zukunft skizzieren, sind kaum 3 Jahr später Realität geworden.

Krankenkassen agieren und reagieren in einem komplexen System mit hoher Regelungsdichte. Mit zunehmendem Wettbewerbsdruck im Gesundheitswesen werden für Krankenkassen und deren Verbände die Entwicklung und die Anwendung effizienter Steuerungsinstrumente immer notwendiger.

„Hinzu kommt, dass der demographische Wandel in Deutschland in den kommenden vierzig Jahren aufgrund der niedrigen Geburtenraten und der weiterhin steigenden Lebenserwartung durch eine massive Veränderung der Altersstruktur gekennzeichnet sein wird. Im Jahr 2030 wird nahezu jeder dritte Deutsche über sechzig Jahre alt sein. Ein höherer Anteil älterer Menschen führt jedoch über den damit verbundenen höheren Versorgungsbedarf zu einer zusätzlichen Kostenbelastung für die Krankenkassen. Diese grundsätzlichen Einnahme- und Kostenprobleme haben alle gesetzlichen Krankenkassen gemeinsam.“[3] Dennoch gestaltet sich die Situation der einzelnen Kasse unterschiedlich in Abhängigkeit von deren Versichertenstruktur.[4]

1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit

In der vorliegenden Arbeit soll herausgearbeitet werden, wie und nach welchen Kriterien eine morbiditätsorientierte Risiko- und Kosteneinschätzung einer Versichertengemeinschaft erfolgen kann. Inhaltlicher Schwerpunkt bildet die Darstellung von Klassifikationskriterien, nach denen eine morbidiätsorientierte Einschätzung möglich ist. Die Ausführungen zur Art der Risikoeinschätzung sollen die methodischen Ansätze wiedergeben, die auf diesem Gebiet zum Einsatz kommen können.

Neben einer Einleitung in Abschnitt 1 sollen im Abschnitt 2 die Grundlagen des Versicherungsgeschäfts in Bezug auf das Versicherungsrisiko einer Krankenkasse behandelt werden. Weiterhin wird dargestellt, welchen Stellenwert die Kostenschätzung besitzt und auf welchen Gebieten sie bereits jetzt eingesetzt werden muss.

Abschnitt 3 behandelt die theoretischen Grundlagen nach der das Morbiditätsrisiko beurteilt werden kann, und auf welchen methodischen und mathematischen Wegen Kostenprognosen möglich sind. Im letzten Abschnitt werden zwei amerikanische Kostenschätzverfahren vergleichend vorgestellt. Zudem soll ein Ausblick auf Entwicklungsperspektiven gegeben werden, die sich aus solchen Verfahren für Deutschland ergeben können.

2 Risikoschätzung und Risikoausgleich in der Krankenversicherung

2.1 Das Risikogeschäft einer Krankenkasse

Das Versicherungsrisiko einer gesetzlichen Krankenkasse ist mit dem versicherungstechnischen Risiko von Versicherungsunternehmen verwandt, jedoch nicht identisch.[5] Farny definiert Versicherung als Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt jedoch geschätzten Mittelbedarfs, auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit.[6] Nicht vergleichbar sind die Ziele, die finanzsystematischen Rahmenbedingungen und die Organisationsprinzipien der Privaten und Gesetzlichen Krankenversicherung.[7]

Bezogen auf die Krankenversicherung bedeutet Versicherungsrisiko, dass ein Versicherter in einer Periode entweder gar nicht oder mehrfach von einer oder von mehreren Krankheiten mit unterschiedlichem Schweregrad und unterschiedlichem Ressourceneinsatz betroffen sein kann,[8] d.h., das Risiko, dass die tatsächlichen Kosten höher aber auch niedriger ausfallen können als die erwarteten Leistungsausgaben.[9] Damit weisen Krankenkassen in ihrer Eigenschaft als Versicherer ebenfalls die Merkmale Gefahrengemeinschaft, Ungewissheit über das Eintreten des Versicherungsfalles und Risikoausgleich auf.[10]

Trotz aller Unterschiede beruht der Risikostrukturausgleich der GKV jedoch auf Erkenntnissen, denen sich auch die Private Krankenversicherung seit ihren Anfängen bedient. Hierzu gehören vor allem die Analyse des Zusammenhangs zwischen dem Ausmaß des Versicherungsrisikos und der Struktur der individuellen Krankheitsrisiken.[11]

Die Krankheitskosten können auf individueller Ebene in prognostizierbare und zufällig entstehende Krankheitskosten aufgeteilt werden. Eine chronische Krankheit wie Diabetes verursacht beispielsweise mit hoher prognostischer Wahrscheinlichkeit auch im Folgejahr entsprechende individuelle Kosten. Die durch eine Grippe entstehenden Kosten sind im Aggregat einer Versicherung, nicht aber auf individueller Ebene systematisch prognostizierbar. Die versicherungstechnische Bewältigung der zufällig entstehenden Kosten ist dann Sache des eigentlichen Kerngeschäfts der Versicherer (Management des Zufalls).[12]

Bezogen auf ein Jahr verteilen sich die Ausgaben in einem Versichertenkollektiv extrem ungleich. Auf einen kleinen Teil von Versicherten entfällt ein erheblicher Teil der Gesamtausgaben, auf einen etwas größeren Teil der Versicherten entfällt ein weiterer großer Teil. Die Masse der Versicherten verursacht insgesamt nur einen geringen Teil der Ausgaben, da für die überwiegende Anzahl der Versicherten entweder gar keine oder lediglich nur geringe Kosten entstehen.[13]

Die Abbildung 1 zeigt exemplarisch die Kosten für vertragsärztliche Leistungen einschließlich Arzneimittel von 150.000 Versicherten im Jahr 1998.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verteilung des Ausgaberisikos

Quelle: Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 153

Danach verursachten:

- 15 v. H. der Versicherten keine Ausgaben,
- 50 v. H. der Versicherten Ausgaben bis zu eine Höhe von 240 EUR im Jahr, damit nur insgesamt einen Anteil von 6,8 v. H. der Gesamtausgaben,
- 12 v. H. der Versicherten die Hälfte aller Ausgaben,
- 1 v. H. der Versicherten Kosten von jährlich mehr als 4.000 EUR, damit 14 v. H. an den Gesamtausgaben,
- alle Versicherten Durchschnittsausgaben von je 540 EUR (ärztliche Behandlung einschließlich Arzneimittel) und
- 50 durchschnittlich Versicherte pro Jahr etwa gleich hohe Kosten wie ein Versicherter der höchsten Ausgabekategorie.[14]

Der Ausgleich dieses unterschiedlichen Ausgaberisikos ist Aufgabe des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit einer Krankenkasse in ihrer Eigenschaft als Versicherer.[15]

2.2 Bemessung der Vergütung in der integrierten Versorgung

Die Entwicklung von morbidtätsorientierten Schätzverfahren ist in den USA vor dem Hintergrund der stetig gewachsenen Marktanteile von Managed Care Organisationen zu sehen. Diese Organisationen werden mittels Kopfpauschalen vergütet, die sich in der Regel auf einen Zeitraum von einem Kalenderjahr beziehen, im vornhinein vereinbart sind und nachträglich nicht mehr angepasst werden.[16]

Bei einer Vergütung mittels prospektiv vereinbarter Kopfpauschalen bestünde ein starkes Interesse der Managed Care Organisation, nur gesunde Versicherte in ihrem Bestand zu haben, wenn die Kopfpauschale undifferenziert für alle Versicherten gleich hoch wäre. Um diesem Interesse an Risikoselektion entgegen zu treten und gleichzeitig eine leistungsgerechtere Vergütung der Managed Care Organisationen sicherzustellen, sind die Kopfpauschalen in den USA risikoadjustiert[17] (risikobereinigt) worden.[18] Eine Risikoadjustierung setzt voraus, dass personenbezogen die diagnostischen Informationen eines Jahres mit den Kosten des Folgejahres verbunden werden können.[19]

Auch in Deutschland hat der Gesetzgeber die Grundlagen für integrierte Versorgungsformen nach Muster der amerikanischen Managed Care Organisationen geschaffen.[20] Voraussetzung dafür sind insbesondere die Modalitäten zur rechnerischen Bereinigung der Gesamtvergütung an die Kassenärztlichen Vereinigungen.[21] Dabei sind Zahl und Risikostruktur der Versicherten zu berücksichtigen und ergänzende Morbiditätskriterien mit einzubeziehen.[22] Ohne den Begriff Risikostruktur näher zu definieren, hat der Gesetzgeber damit ein neues Kriterium für die Verteilung der knappen Mittel in der GKV eingeführt.[23]

Unerwartet könnte gerade jedoch aus dem um die Integrationsversorgung entstehenden Verteilungskonflikt ein Lösungsansatz entstehen, der zu größerer Verteilungsgerechtigkeit und einer sachlicheren Entscheidungsgrundlage über das künftige Versorgungs- und Finanzierungsniveau der Gesetzlichen Krankenversicherung führen könnte.[24]

In der fachlichen Diskussion ist häufig der Eindruck erweckt worden, dass die Vergütung für die in der integrierten Versorgung erbrachten Leistungen identisch sei mit dem Betrag, um den die Gesamtvergütung bereinigt wird. Die gesetzlichen Regelungen lassen jedoch keine Zweifel daran,[25] dass das Verfahren und der Umfang der Bereinigung der Gesamtvergütung auf der einen Seite, und die Vergütung der integrierten Versorgung auf der anderen Seite, voneinander unabhängig sind. Allerdings besteht ein ökonomischer Zusammenhang zwischen beiden, da die einzelne Krankenkasse vor Vertragsabschluss kalkulieren muss, ob die Kosten des Vertrages für die gleichen Versorgungsaufgaben geringer sind als die Beträge aus der Bereinigung der Gesamtvergütung. Nur in diesem Fall darf die Kasse dem Versicherten, der sich in ein solches integriertes Versorgungsmodell einschreibt, einen Bonus gewähren. Diesen Bonus darf die Kasse maximal in Höhe des Effizienzgewinns zahlen.[26]

Integrierte Versorgungsmodelle stehen und fallen mit der Qualität der Beitragsberechnung. Werden die Modelle überbezahlt, so tragen sie selbst zum Kostenanstieg im Gesundheitswesen bei, werden sie unterbezahlt, so droht den darin arbeitenden Ärzten unverschuldet die Insolvenz. Eine gute Risikoschätzung liegt daher im Interesse aller Beteiligten.[27] Eine solche Bewertung durch eine Kasse bedarf geeigneter Instrumente, die die Risikostruktur möglichst objektiv und sicher abbilden. Das in der privaten Krankenversicherung seit Jahren angewandte Element, Morbiditätsrisiken zu prognostizieren und zu bewerten, rückt damit in das Blickfeld der Gesetzlichen Krankenversicherung.

2.3 Der Risikoausgleich in der Krankenversicherung

2.3.1 Ausgestaltung von Risikoausgleichssystemen in der Krankenversicherung

Die Strategie eines Risikoausgleichs beruht auf folgender Grundüberlegung: Die Versicherer sollen durch Beiträge und Abgaben so gesteuert werden, dass sie keinen Anreiz mehr haben, Ressourcen in die Risikoselektion zu investieren. Es sollte ihnen daher gleichgültig sein, ob sie ein Individuum mit einer hohen oder niedrigen Schadeneintrittswahrscheinlichkeit aufnehmen. Da sich die Krankenkassen bei einem einheitlichen Leistungspaket vor allem durch den Beitragssatz differenzieren können, sollen sie durch die Beseitigung der Vorteile aus der Risikoselektion dazu angehalten werden, durch aktives Kostenmanagement die Prämien relativ zu den Konkurrenten zu senken. Wettbewerb unter gleichen Bedingungen entsteht unter den Krankenkassen nur dann, wenn die nicht in der Verantwortung der Versicherer liegenden Kostendifferenzen der Risikokollektive ausgeglichen werden. Der Risikoausgleich soll zum anderen derart ausgestaltet werden, dass die Kostensparanreize für die Versicherer nicht bzw. nicht zu stark kompromittiert werden.[28]

Aufgabe von Risikoausgleichsmodellen ist es, Finanztransfers so zu bestimmen, dass die Unterschiede in den Risikostrukturen zwischen den Versicherern finanziell ausgeglichen werden.[29] Das Festlegen von Risikoausgleichszahlungen wirkt dabei wie ein Benchmarking unter den Kassen. Wenn die für die Berechung der Risikoausgleichsbeträge relevanten prognostizierbaren Kosten systematisch unterschritten werden, dann werden die Versicherer nicht wie bei einem reinen Kostenausgleich durch nachträglich festgelegte höhere Abgaben bzw. geringe Ausgleichszahlungen bestraft.[30]

Grundlage für die Konstruktion eines wirksamen Risikoausgleichssystems ist somit eine gute Kostenprognose für jede Person und für Versicherungskollektive als ganzes. Im Zentrum der praktischen Arbeit des Risikoausgleichs steht somit die individuelle Prognose von Krankheitskosten.[31]

2.3.2 Berücksichtigung von Morbidität im Risikostrukturausgleich

Im Grunde genommen geht es hierbei um die Frage, ob ein Versicherer für einen AIDS-Kranken oder einen Diabetes-Kranken - unabhängig von Alter und Geschlecht - mehr Zahlungen als für einen durchschnittlichen Versicherten aus dem Ausgleichspool erhalten sollte oder nicht. Und ob es Möglichkeiten gibt ein solches System umzusetzen, in dem die Ausgleichszahlungen von der über Alters- und Geschlechtsunterschiede hinausgehenden Morbiditätsstruktur der Versichertenklientel abhängen, ohne dass hierdurch Anreize für die Krankenkassen zum wirtschaftlichen Verhalten negativ beeinflusst werden.[32]

In Bezug auf den Risikostrukturausgleich ist festzustellen, dass die deutschen Krankenkassen zunehmend lernen, unter den Bedingungen des Risikostrukturausgleichs zwischen guten und schlechten Risiken zu unterscheiden.[33] Noch immer verursachen Kassenwechsler aller Altersgruppen deutlich niedrigere Ausgaben als Bestandsversicherte.[34]

Der Bundestag hat am 9. November 2001 das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung verabschiedet.[35] Demnach sollen ab 2007 die Versichertengruppen des Risikostrukturausgleichs nach Klassifikationsmerkmalen gebildet werden, die vor allem:

- die Morbidität der Versicherten auf der Grundlage von Diagnosen, Diagnosegruppen, Indikationen, Indikationsgruppen, medizinischen Leistungen oder Kombinationen dieser Merkmale unmittelbar berücksichtigen,
- Anreize zur Risikoselektion verringern,
- Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung fördern und
- Praktikabel und kontrollierbar sind.[36]

Die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziales in Auftrag gegebenen Gutachten[37] belegen, dass die derzeit zu beobachtenden Unterschiede in den Beitragssätzen wesentlich durch den mangelnden Ausgleich des Morbiditätsrisikos verursacht werden und nicht durch Unterschiede in der Effizienz des Versorgungsmanagements.[38] Dies bedeutet, dass die Kassen gegenwärtig nach wie vor ein deutliches Interesse haben, innerhalb der einzelnen Alters- und Geschlechtsgruppen möglichst wenig Kranke, vor allem wenig schwer und chronisch kranke Personen zu versichern. Dieses gering ausgeprägte Interesse der Kassen an kranken Versicherten ist in erster Linie darauf zurück zu führen, dass bei der Ermittlung des Beitragsbedarfs im derzeitigen Risikostrukturausgleich zwar nach Alter, Geschlecht und Invalidität differenziert wird, aber keine umfassende Differenzierung nach dem Morbiditätsrisiko vorgenommen wird.[39]

Internationale Erfahrungen belegen, dass mit einer umfassenden direkten Morbiditätsorientierung Risikoselektion wesentlich erschwert werden kann; damit können auch die Beitragssatzfolgen von Unterschieden in den Versichertenbeständen deutlich abgemildert werden.[40]

Risikoselektion ist zwar für den einzelnen Versicherer rational, gesellschaftlich ist sie aber bestenfalls ein Nullsummenspiel – vermutlich nicht einmal das. Denn Ressourcen, die für die Entwicklung und Durchführung von Risikoselektionen gebunden werden, fehlen für die Verbesserung von Effektivität und Effizienz der Versorgung.[41]

Mit Übergang zum morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich sind kostenintensive Kranke erstmals keine schlechten Risiken mehr für eine Krankenkasse, die zu negativen Deckungsbeiträgen führen. Vielmehr führt der morbiditätsorientierte RSA dazu, dass die standardisierten Leistungsausgaben für Versicherte mit einer bestimmten Morbidität im Mittel den Durchschnittsausgaben für diese Gruppe entsprechen. Eine Krankenkasse hätte daher erstmals an der Versicherung von kostenintensiven Versicherten dasselbe Interesse wie an der Absicherung gesunder Mitglieder. Auch hat sie einen starken Anreiz, durch Versorgungsmanagement die Kosteneffizienz bei ausgabeintensiven Versicherten zu verbessern, um positive Deckungsbeiträge zu erzielen. Bei den ausgabeintensiven Versicherten ist das Potenzial, durch Gesundheitsmanagement zur Verbesserung der Kosteneffektivität zu kommen, größer als bei Gesunden.[42]

Im folgenden Abschnitt stehen daher Überlegungen im Mittelpunkt, welche Möglichkeiten bestehen, über das Alter und Geschlecht als Morbiditätsindikatoren hinauszugehen und den Gesundheitszustand anders zu operationalisieren.

[...]


[1] Dostal & Partner, Controlling nur ein Modewort, 2000, S. 3.

[2] Ebd.

[3] Pfälzer Ärzte, Neue Vertrags- und Versorgungsformen, 2002, S. 8-9.

[4] vgl. Pfälzer Ärzte, Neue Vertrags- und Versorgungsformen, 2002, S. 8-9.

[5] vgl. Hofmann, J. K., Controlling in gesetzlichen Krankenversicherungen, 1999, S. 55.

[6] vgl. Farny, D., Versicherungsbetriebslehre, 1995, S. 13.

[7] vgl. Schneider, W., Risikostrukturausgleich, 1994, S. 31-32.

[8] vgl. Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 149.

[9] vgl. Popp, E., Ökonomie und Versicherungstechnik, 1997, S. 48.

[10] vgl. Hofmann, J. K., Controlling in gesetzlichen Krankenversicherungen, 1999, S. 21.

[11] vgl. Schneider, W., Risikostrukturausgleich, 1994, S. 31-32.

[12] vgl. Spycher S., Risikoausgleich in der Krankenversicherung, 2001, S. 29-30.

[13] vgl. Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 153.

[14] vgl. Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 153.

[15] vgl. Farny, D., Versicherungsbetriebslehre, 1995, S. 13.

[16] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität in Managed Care, 2000, S. 89.

[17] Risk Adjustment = Risikobereinigung.

[18] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität in Managed Care, 2000, S. 89.

[19] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität in Managed Care, 2000, S. 90.

[20] vgl. von Stillfried, D., Versicherungsrisiko, 2000, S. 25.

[21] Anmerkung: die Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten eine morbiditätsunabhängige Kopfpauschale von den Krankenkassen.

[22] vgl. Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 135-136.

[23] vgl. von Stillfried, D., Versicherungsrisiko, 2000, S. 25.

[24] vgl. von Stillfried, D., Versicherungsrisiko, 2000, S. 24.

[25] vgl. § 140a f. Sozialgesetzbuch V, Bundesgesetzblatt S. 2626 vom 22.12.1999.

[26] vgl. Tophoven, C., Lieschke, L., Integrierte Versorgung, 2003, S. 136.

[27] vgl. Beck, K., Capitationsberechnung, 2001, S. 12.

[28] vgl. Spycher, S., Risikoausgleich in der Krankenversicherung, 2001, S. 29.

[29] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität und Risikoausgleich, 1999, S. 23.

[30] vgl. Spycher, S., Risikoausgleich in der Krankenversicherung, 2001, S. 32.

[31] vgl. Spycher, S., Risikoausgleich in der Krankenversicherung, 2001, S. 46.

[32] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität und Risikoausgleich, 1999, S. 21.

[33] vgl. Lauterbach, K., Wille, E., Risikostrukturausgleich Endgutachten, 2001, S. 22.

[34] vgl. Andersen, H., Grabka, M., Schwarze, J., Wechslerprofile – Risikoprofile, 2002, S. 19-32.

[35] vgl. Schwartz, F., Neubauer, G., Morbiditätsorientierte Klassifikationsmodelle, 2003, S. 7.

[36] vgl. § 268 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V, Bundesgesetzblatt S. 3465 vom 10.12.2001.

[37] vgl. Jacobs, K., Cassel, D., Wasem, J. u. a., Endbericht zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2001, S. 188, sowie Sachverständigenrat, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, 2001, Ziffer 263f.

[38] vgl. Lauterbach, K., Wasem, J., Klassifikationsmodelle für Versicherte, 2002, S. 19.

[39] vgl. Lauterbach, K., Wasem, J., Klassifikationsmodelle für Versicherte, 2002, S. 19.

[40] vgl. Lauterbach, K., Wasem, J., Klassifikationsmodelle für Versicherte, 2002, S. 20.

[41] vgl. Buchner, F., Wasem, J., Morbidität und Risikoausgleich, 1999, S. 22.

[42] vgl. Lauterbach, K., Wasem, J., Klassifikationsmodelle für Versicherte, 2002, S. 23.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2003
ISBN (eBook)
9783832469832
ISBN (Paperback)
9783838669830
DOI
10.3239/9783832469832
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel – Gesundheitswesen
Erscheinungsdatum
2003 (Juli)
Note
1,3
Schlagworte
controlling kostenschätzung risikostrukturausgleich versicherungsmanagement
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