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Darstellung und Kritik der neuen aut-idem-Regelung für Arzneimittel

©2002 Diplomarbeit 61 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Bei der seit mittlerweile 30 Jahren andauernden Diskussion über die Notwendigkeit einer Neuordnung des Gesundheitssystems der Bundesrepublik Deutschland gerät insbesondere in der jüngeren Zeit der Arzneimittelmarkt immer wieder in den Fokus der Reformierungsbemühungen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei in der Regel der Markt für Arzneimittel, die im ambulanten Sektor von Ärzten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden. Stark steigende Ausgaben für Arzneimittel im Jahr 2001, die erstmals die Grenze von 20 Milliarden Euro überschritten, veranlassten den Gesetzgeber Ende 2001 mit dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) einen neuen Versuch zu unternehmen, die Aufwendungen für Arzneimittel abzusenken. Ein Element des Gesetzespaketes stellt dabei die sogenannte aut idem-Regelung dar, die im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit vorgestellt und kritisch hinterfragt werden soll.
Sie erlaubt es dem am Arzneimitteldistributionsprozess beteiligten Apotheker, unter bestimmten Umständen ein kostengünstigeres, wirkstoffidentisches Arzneimittel anstelle des verordneten Präparates abzugeben, wenn der Arzt nicht ausdrücklich auf die Abgabe eines bestimmten Arzneimittels besteht.
Gang der Untersuchung:
Im folgenden Kapitel der Diplomarbeit wird die gesundheitsökonomische Ausgangssituation unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittelmarktes beschrieben. In Kapitel drei erfolgt dann eine eingehende Darstellung der alten und neuen aut idem-Regelung insbesondere hinsichtlich formaler und rechtlicher Aspekte und der daraus resultierenden Probleme. Daran anschließend wird das System bestehender Kostendämpfungsmaßnahmen vorgestellt und die Beziehung der neuen aut idem-Regelung zu einzelnen Maßnahmen beschrieben. Kapitel fünf analysiert dann die gesundheitsökonomischen Aspekte unter Berücksichtigung der am Prozess beteiligten Interessensgruppen der Anbieter- und Nachfrageseite und geht dabei besonders auf Maßnahmen der pharmazeutischen Industrie ein. Am Ende der Arbeit wird dann in einem kurzen Fazit eine zusammenfassende Bewertung der Neuregelung anhand der sich aus der Analyse ergebenden Resultate vorgenommen.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
I.Einleitung1
II.Der Gesundheitsmarkt unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittelmarktes2
1.Der Markt für Gesundheitsgüter und -leistungen2
1.1Allgemeines2
1.2Der Arzneimittelmarkt3
1.2.1Struktur3
1.2.2Angriffspunkte der aktuellen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Der Gesundheitsmarkt unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittelmarktes
1. Der Markt für Gesundheitsgüter und -leistungen 2
1.1. Allgemeines
1.2. Der Arzneimittelmarkt
1.2.1. Struktur
1.2.2. Angriffspunkte der aktuellen gesetzlichen Regelung
1.2.3. Regulierung des Arzneimittelmarktes
1.2.3.1. Marktversagen
1.2.3.2. Gerechtigkeitsaspekte

III. Aut idem-Regelung
1. Alt-Regelung
1.1. Allgemeines
1.2. Not-/Nachtdienstregelung
1.3. Die therapeutische Substitution (aut simile)
1.4. Regelung im europäischen Ausland
2. Neuregelung
2.1. Inhalt der Gesetzgebung und Intention des Gesetzgebers
2.2. Kritische Diskussion
2.2.1. Therapiefreiheit und Arzneimittelsicherheit
2.2.2. Haftungsfragen und Kontrollmöglichkeiten
2.2.3. Verfassungskonformität
2.2.4. Durchführungsproblematik

IV. Bestehende Regulierungsmaßnahmen und ihr Verhältnis zur aut-idem Regelung 23
1. Traditionelle Ansätze
1.1. Budgetierung
1.2. Preisbindung
1.3. Verschreibungsrestriktionen (Positiv/Negativliste)
2. Neue Ansätze
2.1. Dezentralisierungsmaßnahmen
2.2. Verstärkung der Marktmechanismen
2.2.1. Steigerung der Eigenverantwortlichkeit des Patienten
2.2.2. Arzneimitteldistribution
3. Einordnung der aut idem-Regelung

V. Gesundheitsökonomische Aspekte
1. Analyse des Nachfrageverhaltens
1.1. Determinanten des Patientenverhaltens
1.1.1. Qualitätsunsicherheit
1.1.2. Moral hazard-Verhalten
1.2. Die Rolle des Arztes
1.2.1. Principal agent-Beziehung
1.2.2. Gesetzliche Rahmenbedingungen
1.2.3. Angebotsinduzierte Nachfrage
1.2.4. Ärztliche Ethik und Qualitätsaspekte der Arzneimittelversorgung
1.3. Die Rolle der gesetzlichen Krankenversicherung
1.3.1. Organisation und Grundprinzip
1.3.2. Beeinflussung des Nachfrageverhaltens
1.4. Zusammenfassung des Nachfragerverhaltens
2. Analyse des Verhaltens der Anbieterseite: Die pharmazeutische Industrie 41
2.1. Struktur
2.2. Mögliche Gegenmaßnahmen eines pharmazeutischen Herstellers
2.2.1. Preissenkung
2.2.2. Rabattregelungen
2.2.3. „Mondzulassungen“
2.2.4. Änderung der Packungsgröße
2.2.5. Maßnahmen im Zusammenhang mit der Galenik eines Arzneimittels
2.2.6. Kommunikationsmaßnahmen
2.2.7. Vertriebsweg
2.3. Zusammenfassung
3. Die Rolle des Apothekers
3.1. Problematik der Doppelrolle als Anbieter und Nachfrager
3.2. Ethik des Apothekers und Qualitätsaspekte der Arzneimittelversorgung
3.3. Rabattierung
3.4. Zusammenfassung

VI. Fazit und Ausblick

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Bei der seit mittlerweile 30 Jahren andauernden Diskussion über die Notwendigkeit einer Neuordnung des Gesundheitssystems der Bundesrepublik Deutschland gerät insbesondere in der jüngeren Zeit der Arzneimittelmarkt immer wieder in den Fokus der Reformierungsbemühungen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei in der Regel der Markt für Arzneimittel, die im ambulanten Sektor von Ärzten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden. Stark steigende Ausgaben für Arzneimittel im Jahr 2001, die erstmals die Grenze von 20 Milliarden Euro überschritten1, veranlassten den Gesetzgeber Ende 2001 mit dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG)2 einen neuen Versuch zu unternehmen, die Aufwendungen für Arzneimittel abzusenken. Ein Element des Gesetzespaketes stellt dabei die sogenannte aut idem-Regelung dar, die im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit vorgestellt und kritisch hinterfragt werden soll.

Sie erlaubt es dem am Arzneimitteldistributionsprozess beteiligten Apotheker, unter bestimmten Umständen ein kostengünstigeres, wirkstoffidentisches Arzneimittel anstelle des verordneten Präparates abzugeben, wenn der Arzt nicht ausdrücklich auf die Abgabe eines bestimmten Arzneimittels besteht.

Im folgenden Kapitel der Diplomarbeit wird die gesundheitsökonomische Ausgangssituation unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittelmarktes beschrieben. In Kapitel drei erfolgt dann eine eingehende Darstellung der alten und neuen aut idem-Regelung insbesondere hinsichtlich formaler und rechtlicher Aspekte und der daraus resultierenden Probleme. Daran anschließend wird das System bestehender Kostendämpfungsmaßnahmen vorgestellt und die Beziehung der neuen aut idem-Regelung zu einzelnen Maßnahmen beschrieben. Kapitel fünf analysiert dann die gesundheitsökonomischen Aspekte unter Berücksichtigung der am Prozess beteiligten Interessensgruppen der Anbieter- und Nachfrageseite und geht dabei besonders auf Maßnahmen der pharmazeutischen Industrie ein. Am Ende der Arbeit wird dann in einem kurzen Fazit eine zusammenfassende Bewertung der Neuregelung anhand der sich aus der Analyse ergebenden Resultate vorgenommen.

II. Der Gesundheitsmarkt unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittelmarktes

1. Der Markt für Gesundheitsgüter und -leistungen

1.1. Allgemeines

Im Jahr 2000 beliefen sich die Gesundheitsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland auf 218,43 Mrd. Euro. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt, die sogenannte Gesundheitsquote, sie liegt zur Zeit bei etwa 10,8 %. Die gesetzliche Krankenversicherung hatten daran einen Anteil von 124,39 Mrd. DM, was einem Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben von etwa 56,9 %entspricht3. Der Hauptanteil der Ausgaben der GKV entfällt dabei auf den Bereich der Krankenhausbehandlung mit 33,32 %. Auf die ambulante Arztbehandlung entfallen 16,17 % der Ausgaben, die Kosten für Arzneimittel haben einen Anteil von 14,45 %. Die restlichen rund 34 % der Mittel werden für verschiedene weitere Zwecke verwendet, über die Abb. 1 Aufschluss gibt4.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Ausgaben der GKV nach Leistungsart in Prozent im Jahr 2000, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) (2000), S. 13 / eigene Berechnungen

Die Einnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung resultieren aus einer prozentualen Zwangsabgabe vom versicherungspflichtigen Arbeitseinkommen bis zu einer bestimmten Beitragsbemessungsgrenze, die 75 % der Bemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt. Die Abgabe wird je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer entrichtet und betrug im Juli 2001 im Schnitt 13,6 %9 mit einer steigenden Tendenz. Weitere Einnahmen fließen der GKV von den Rentenversicherungsträgern für die Krankenversicherung der Rentner, von der Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosen, sowie vom Bund für die Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden zu5. Aus dieser Finanzierungssituation ergibt sich eine starke konjunkturelle Abhängigkeit der Einnahmenseite der GKV. Insbesondere in Rezessionsphasen kommt es daher zu Einnahmerückgängen, die in der Regel durch Beitragserhöhungen kompensiert werden. Dieses Instrument birgt aber verschiedene Problematiken (z. B. Anstieg der Lohnnebenkosten) in sich, die gerade in wirtschaftlichen Abschwungsphasen verschärft hervortreten und seine Anwendung begrenzen. Daher treten dann Maßnahmen zur Begrenzung der Ausgaben in den Mittelpunkt der Bemühungen. Neben diesen eher temporär auftretenden, konjunkturell begründeten Schwankungen gibt es allerdings auch strukturelle Gründe für ein sich verschärfendes Finanzierungsungleichgewicht der gesetzlichen GKV. Neben der Ausweitung des Leistungskataloges (z. B. Gesundheitsförderung, Krankengeld) der gesetzlichen Krankenversicherungen ist auch die Zunahme des Kreises der Versicherten (Familienmitversicherung), sowie die aus der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung resultierende Beitragsschwäche zu nennen. Im ersten Halbjahr 2001 überstiegen die Leistungsausgaben der Krankenkassen die Einnahmen um den Betrag von 4,9 Mrd. DM. Das Defizit resultiert daraus, dass die Leistungsausgaben mit 3,6% deutlich stärker angestiegen sind, als die beitragspflichtigen Einnahmen mit 1,9 %. Innerhalb der Leistungsausgaben fällt dabei besonders das überproportionale Wachstum der Arzneimittelausgaben mit 11% ins Gewicht. Dieser Trend setze sich über das gesamte Jahr 2001 fort und resultierte in einer 10,6 %igen Ausgabensteigerung für das Gesamtjahr. Die Ausgabensteigerung resultiert vor allem aus der Strukturkomponente der Ausgaben, d.h. einem Übergang zur Verschreibung teurerer Arzneimittel6, wozu sicherlich auch die Aufhebung des Kollektivregresses für Ärzte und ein aus der Budgetierung resultierender gewisser Nachholbedarf bei der Verschreibung von Arzneimitteln beitragen. Das Wachstum der Arzneimittelausgaben trug damit zum erheblichen Teil zum Budgetdefizit der GKV bei7. Der Arzneimittelmarkt wird daher im folgenden einer ausführlicheren Betrachtung unterzogen:8

1.2. Der Arzneimittelmarkt

1.2.1. Struktur

Der Inlandsabsatz von Arzneimitteln zu Erzeugerpreisen betrug im Jahr 2000 18,15 Mrd. Euro. Davon entfallen 15,59 Mrd. Euro (85,9 %) auf öffentliche Apotheken und 2,56 Mrd. Euro (14,1%) auf den Krankenhaussektor. Addiert man zu den Erzeugerpreisen die Apotheken und Großhandelszuschläge sowie die Mehrwertsteuer so resultiert ein Apothekenumsatz zu Endverbraucherpreisen von 27,66 Mrd. Euro. Davon entfallen 3,87 Mrd. Euro (13,7%) auf den Bereich der Selbstmedikation. Von den verbleibenden 23,88 Mrd. Euro für verordnete Arzneimittel, sind 21,53 Mrd. Euro für GKV-Arzneimittel zu veranschlagen. Diese Summe reduziert sich jedoch durch den Apothekenrabatt und den Eigenanteil der GKV-Versicherten auf 18,05 Mrd. Euro, die von der GKV für Arzneimittel aus der Apotheke bezahlt werden müssen. Dies entspricht dem oben bereits erwähnten Anteil von ca. 14,5 % der GKV-Gesamtausgaben, der sich im Jahr 2001 auf ca. 15,7 % (21,73 Mrd. DM) erhöht hat Es fällt eine erhebliche Steigerung der Ausgaben für Arzneimittel der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere in den Jahren 2000 und 2001 auf (vgl. Abb. 2)9.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Ausgaben der GKV für Arzneimittel (absolut bzw. in % der Gesamtausgaben), OECD Health Data / eigene Berechnungen

Auch der prozentuale Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtgesundheitsausgaben der GKV steigt deutlich an, wenngleich er immer noch unterhalb des zu Beginn der 90er Jahre ermittelten Anteils liegt. Unterzieht man die Ausgaben für Arzneimittel einem internationalen Vergleich so liegt Deutschland klar unter dem europäischen Durchschnitt. In Frankreich werden etwa 21,5 % aller Gesundheitsausgaben für Arzneimittel ausgegeben in Großbritannien immerhin noch 16,3 %. Lediglich die Vereinigten Staaten (10,8 %) und die Schweiz (7,6 %) liegen deutlich unter dem deutschen Wert10.

Auf die Entwicklung der Arzneimittelkosten nehmen 3 verschiedene Komponenten Einfluss (Abb. 3). Die Mengenkomponente trägt über die Anzahl der verordneten Arzneimittel zu den Gesamtausgaben bei. Die Preiskomponente betrachtet den Beitrag der Preisentwicklung, während die sogenannte Strukturkomponente den Einfluss der Art der verordneten Arzneimittel auf die Ausgaben beschreibt.

Sie erfasst also eine Verschiebung der Arzneimittelverordnungen zu größeren Packungen, zu teureren Arzneimitteln und einen Wechsel des Arzneimittels.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die Entwicklung von Mengen-, Struktur und Preiskomponente bei Arzneimitteln, ABDA11

Es fällt auf, dass die Strukturkomponente seit der Gesundheitsreform 1993 den dominanten Einflussfaktor bei der Steigerung der Arzneimittelausgaben darstellt, während Preissteigerungen bei Arzneimitteln nur eine untergeordnete Rolle spielen. Einen Detailanalyse der Wachstumskomponenten der 10,0%igen Steigerung des Umsatzes auf dem deutschen Apothekenmarkt im Jahr 2001 lässt eine Fortsetzung dieses Trends erkennen. Nur etwa 1% des Umsatzanstieges sind dabei auf Preisänderungen zurückzuführen. 2% des Wachstums resultieren aus einem Trend zu neu eingeführten Präparaten, weitere 2% liegen in der Verordnung neuer Darreichungsformen begründet. Mengenveränderungen fallen mit 5 % ins Gewicht, wobei die Anzahl der verordneten Packungen (Mengenkomponente) lediglich um 1,5% auf 1,6 Mrd. Packungen angestiegen ist12. Hieraus lässt sich ein Trend zu größeren und teureren Packungen ableiten (Teil der Strukturkomponente), der u.a. mit der unterproportionalen Zuzahlung zu größeren Packungseinheiten begründet werden kann. An diesem Punkt wird deutlich, dass eine starre Unterteilung in Struktur-, Mengen- und Preiskomponente nicht unkritisch gesehen werden darf. So führt beispielsweise ein Trend zur Verschreibung größerer Verpackungen zu einem Absinken der Zahl der Verordnungen und damit der Mengenkomponente, ohne dass die tatsächliche Menge der verordneten Arzneimittel sinkt.

1.2.2. Angriffspunkte der aktuellen gesetzlichen Regelung

Die oben dargelegten Fakten macht deutlich, dass eine erfolgreiche und dauerhafte Kosteneindämmung auf dem Arzneimittelmarkt an der Strukturkomponente der Arzneimittelausgabensteigerung ansetzen muss. Von den im Arzneimittelausgaben-begrenzungsgesetz (AABG)13 angewendeten Instrumente greifen jedoch die darin enthaltene Absenkung der Herstellerabgabepreise und die Anpassung des Apothekenrabattes lediglich pauschal und ohne Struktureffekt in die Ausgaben für Arzneimittel ein. Daher darf eine Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen bezweifelt werden. Die Modifizierung der Krankenhausentlassungsberichte in dem Sinn, dass ein während eines Klinikaufenthaltes verabreichtes Präparat nicht mehr ausschließlich im Krankenhausentlassungsbericht genannt werden darf, kann im ambulanten Sektor eine Festlegung auf ein Präparat mit hohem Preisniveau unter Umständen verhindern und so einen Effekt auf die Strukturkomponente haben. Auch aus der Stärkung der Rechte des Bundesausschusses für Hinweise bezüglich der Wirtschaftlichkeit von Analogpräparaten, kann, sofern sich eine Umsetzung der entsprechenden Hinweise anschließt, ein Effekt auf die Strukturkomponente der Arzneimittelausgaben resultieren.

Mit der im folgenden näher zu erörternden aut idem-Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel einer zunehmenden Abgabe von preisgünstigen Arzneimitteln und der Induzierung eines Preiswettbewerbes unter den Herstellern und übt so einen Einfluss auf Struktur- und Preiskomponente bei den Arzneimitteln aus14. Die aut idem-Regelung betrifft dabei ausschließlich den Teil des Arzneimittelmarktes auf dem sogenannter generischer Wettbewerb besteht, also der Patentschutz für ein Originalarzneimittel abgelaufen ist und zahlreiche andere Hersteller wirkstoffgleiche Präparate als Konkurrenz auf den Markt gebracht haben (s. V.2.1.).

1.2.3. Regulierung des Arzneimittelmarktes

Von politischer Seite wird in der aktuellen Diskussion um eine Kosteneinsparung auf dem Markt für Gesundheitsleistungen, und hier insb. auf dem für Arzneimittel, immer wieder mehr Wettbewerb, weniger Regulierung durch den Staat und mehr Eigenverantwortlichkeit des Patienten gefordert15. Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, warum der Gesundheitsmarkt im Gegensatz zu anderen Märkten überhaupt einer staatlichen Regulierung unterliegt. Man kann für die Notwendigkeit staatlicher Regulierung sowohl ökonomische, effizienzorientierte Gründe als auch als auch Gerechtigkeitsaspekte in Feld führen.

1.2.3.1. Marktversagen

Überlässt man den Gesundheitsmarkt sich selbst, so kommt es zum Marktversagen, d.h. einer nicht optimalen Allokation der vorhandenen Güter. Als Ursachen dafür werden immer wieder genannt:

Externe positive Effekte, die beim Konsum von Gesundheitsgütern auftreten: Nicht nur das Individuum selbst, sondern auch seine Umwelt hat einen Nutzen von der Inanspruchnahme einer Gesundheitsleistung (z.B. Impfung). Da der anfallende gesellschaftliche Nutzen nicht internalisiert wird, ist das Individuum auch nicht bereit, dafür zu zahlen. Ohne staatlichen Eingriff würde daher eine Unterversorgung mit diesem Gut resultieren. Aufgabe des Staates ist es hier, dem einzelnen den Wert des zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzens zu ersetzten, und so den Konsum von Gesundheitsleistungen in Richtung Pareto-Optimalität hin zu verschieben17. Daneben tritt der Kollektivgutcharakter vieler Gesundheitsgüter, der Rivalität im Konsum zwischen den Individuen unterbindet. Dies führt zum Marktversagen, da der einzelne Konsument keinen Anreiz hat, sich an der an der Finanzierung zu beteiligen, da er die Vorteile des Gutes genauso nutzen kann, wenn andere Nutznießer die Finanzierung übernehmen. Auch hier ist ein Eintreten des Staates gefordert18. Fehlende Konsumentensouveränität: Konsumenten sind unter Umständen nicht in der Lage bezüglich der für Sie notwendigen Gesundheitsgüter rationale, d.h. nutzenmaximierende Entscheidungen zu fällen19. So kann beispielsweise eine schwere Krankheit die freie Willensentscheidung des Konsumenten unmöglich machen (Koma, Geistesstörungen), so dass eine fremde Instanz für Ihn als Sachverwalter seiner Interessen auftreten muss. Dies begründet jedoch nicht notwendigerweise das Eingreifen des Staates, da die Wahrung seiner Interessen in der Regel von anderen Personen (Verwandte, Mediziner) mindestens gleichwertig, wenn nicht besser vollzogen werden können. Kann der Konsument sich zwar klar artikulieren, befindet er sich jedoch in einer lebensbedrohenden Situation so könnte die Notwendigkeit eines Eingreifens des Staates im Schutz seiner schwachen Position vor finanzieller Ausnutzung bestehen. Hier kann jedoch ebenso gut durch entsprechende Krankenversicherungsverträge entgegenwirkt werden20. Daneben wird dem Individuum i.d.R. eine Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse unterstellt. Die meisten Menschen schätzen den gegenwärtigen Konsum höher ein, als langfristig orientierte Vorsorgemaßnahmen für in der Zukunft liegende eventuell eintretende Krankheiten. Eine im Alter auftretende schwerwiegende Erkrankung wäre dann durch die geringen finanziellen Mittel des Individuums u. U. nicht zu therapieren. Da der Staat sich in einem solchen Notfall aus humanitären Gründen nicht seiner Verpflichtung entziehen kann, ist es sinnvoll, dem Individuum einen sachverständigen Vertreter zur Seite zu stellen, der durch verpflichtende Vorschriften eine optimale medizinische und finanzielle Vorsorge sicherstellt21.

Unvollkommene Information auf Gesundheitsmärkten: Breyer und Zweifel 22 führen die unzureichende Transparenz auf dem Gesundheitsmarkt insbesondere auf drei Aspekte zurück: Die mangelnde Möglichkeit einer Stichprobe, was zu erheblichen Beurteilungsschwierigkeiten bei der Bewertung einer speziellen medizinische Leistung führt, da die Qualität der Leistung, bedingt durch ihre Individualität, weder durch Ausprobieren noch durch das Urteil anderer hinreichend erfasst werden kann. Dazu tritt die mangelnde Möglichkeit der Qualitätsbeurteilung auch nach der Inanspruchnahme, weil ein Kausalzusammenhang zwischen Änderung des Gesundheitszustandes und z.B. der Einnahme eines Arzneimittel regelmäßig nicht eindeutig belegt werden kann. Besonders für diagnostische Leistungen (Information) ist eine Beurteilung der Qualität von vornherein ausgeschlossen, da sonst die gesuchte Information bereits bekannt sein müsste. Ziel staatlicher Regulierung muss es sein, ein Qualitätsmindestniveau zu fordern, und dessen Nichteinhaltung zu sanktionieren, um die Position des schwachen Nachfragers gegenüber der des Anbieters zu stärken.

1.2.3.2. Gerechtigkeitsaspekte

Die Gerechtigkeitsziele auf Gesundheitsmärkten beinhalten die Grundforderung nach gleichem Zugang zur Gesundheitsversorgung unabhängig vom Einkommen und individuellem Krankheitsrisiko eines jeden einzelnen Individuums 23. Ein reiner Marktmechanismus würde z. B. Menschen mit größerem Krankheitsrisiko höhere bzw. nicht finanzierbare Versicherungsprämien abverlangen, bzw. es würde von Seiten der Versicherung keine Versicherung angeboten. Hier greift der Staat durch einen Kontrahierungszwang für die Versicherungsgesellschaften und dem Verbot einer vom Krankheitsrisiko abhängigen Höhe der Versicherungsprämie regulierend ein 24. Hauptkritikpunkte dieser in den vorangegangenen beiden Punkten skizzierten normativen Theorie der Regulierung, bleiben die Vernachlässigung der durch die Regulierung selbst verursachten Kosten, sowie die negativen Auswirkungen der Regulierung in Bereichen in denen ein funktionierender Markt besteht.

Die neue politische Ökonomie versucht dagegen in ihrer positiven Theorie d. Regulierung: den Eingriff des Staates mit den wirtschaftlichen Interessen einzelner Brachen und Unternehmen sowie bürokratischen Eigeninteressen der Regulierungsbehörde zu erklären25. Auf diesen Punkt soll jedoch nicht näher eingegangen werden.

Gelegentlich wird auch die „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen als Begründung für staatliche Regulierung angeführt, doch scheint es zumindest fraglich, ob hier nicht Ursache und Wirkung verwechselt werden.

III. Aut idem-Regelung

Um die aut-idem26 Regelung im Kontext bestehender Kostensenkungsmaßnahmen zu diskutieren, wird im folgenden Abschnitt zunächst die bestehende, alte aut idem-Regelung vorgestellt, und dann die sich aus dem AABG ergebenden Veränderungen aufgezeigt27.

1. Alt-Regelung

1.1. Allgemeines

Nach § 73 Abs. 5 S. 1. SGB V hat der verschreibende Arzt auf dem Verordnungsblatt (Rezeptformular) kenntlich zu machen, ob die Apotheke ein preisgünstigeres wirkstoffgleiches Arzneimittel anstelle des verordneten Mittels abgeben darf. Dies ist durch Ankreuzen eines Feldes (s. Abb. 4) deutlich zu machen, das auf dem Rezeptformular vorzusehen ist (§ 87 Abs. 1 S. 3 SGB V).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Rezeptformular der gesetzlichen Krankenversicherungen

Wurde das aut-idem Feld angekreuzt, so ist nach § 129 Abs. 1 SGB V die Apotheke zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet. Dabei hat das ausgewählte mit dem zu ersetzenden Arzneimittel in Wirkstoffstärke und Packungsgröße identisch sowie in der Darreichungsform therapeutisch vergleichbar zu sein. Bei zu ersetzenden Fertigarzneimitteln muss zudem die arzneimittelgesetzlich zugelassene Indikation übereinstimmen. Die Apotheke ist ebenfalls zur Abgabe eines wirkstoffgleichen preisgünstigen Arzneimittels verpflichtet, wenn der verordnete Arzt das Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet hat.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen und Apotheker haben in einem gemeinsamen Rahmenvertrag nach § 129 SGB V festzulegen, was unter dem Begriff preisgünstig zu verstehen ist. Der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung vom 6. August 2001 führt dazu in § 3 Abs. 2 und 3 folgendes aus:

(2) Das ausgewählte Fertigarzneimittel gilt als preisgünstig im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn sein Apothekenabgabepreis

1. den für das zu ersetzende Fertigarzneimittel geltenden Festbetrag nach § 35 Absatz 3 SGB V nicht übersteigt oder

2. soweit kein Festbetrag festgesetzt ist, nicht das untere Drittel des Preisspektrums übersteigt, das von dem jeweils niedrigsten und höchsten Apothekenabgabepreis gemäß der Großen Deutschen Spezialitätentaxe (sog. “Lauer-Taxe“) der nach Absatz 1 zur Auswahl bestimmten Fertigarzneimittel gebildet wird. Soweit das untere Preisdrittel nicht mindestens drei Fertigarzneimittel umfasst, ist der Apotheker berechtigt, das zum unteren Preisdrittel nächst preisgünstige Arzneimittel abzugeben.

(3) Bei einer Ersetzung nach Absatz 2 Nr. 1 ist die Abgabe und Abrechnung eines Arzneimittels unzulässig, dessen Apothekenabgabepreis den des zu ersetzenden Arzneimittels übersteigt. Dies gilt auch für die Ersetzung eines Arzneimittels mit einem Apothekenabgabepreis unterhalb des Festbetrages.

1.2. Not-/Nachtdienstregelung

Abweichend von der oben dargelegten Regelung ist die aut-idem Abgabe von Arzneimitteln im Nacht- bzw. Notdienst der Apotheken geregelt. Die Apothekenbetriebsordnung führt hierzu in § 17 Abs. 5a S. 1 folgendes aus:

(5a) Abweichend von Absatz 5 Satz 1 darf der Apotheker bei der Dienstbereitschaft während der allgemeinen Ladenschlusszeiten ein anderes, mit dem verschriebenen Arzneimittel nach Anwendungsgebiet und nach Art und Menge der wirksamen Bestandteile identisches sowie in der Darreichungsform und pharmazeutischen Qualität vergleichbares Arzneimittel abgeben, wenn das verschriebene Arzneimittel nicht verfügbar ist und ein dringender Fall vorliegt, der die unverzügliche Anwendung des Arzneimittels erforderlich macht.

Diese Regelung erlaubt es dem Apotheker im Not- und Nachtdienst ersatzweise ein Präparat abzugeben, dass zwar nach Art und Menge der wirksamen Bestandteile dem verschriebenen entspricht, jedoch in der Darreichungsform und Qualität lediglich vergleichbar sein muss. Dies beinhaltet beispielsweise den Austausch von einer oralen Applikationsform (Tablette) gegen eine andere (Saft), auch ohne die ausdrückliche Genehmigung des verschreibenden Arztes durch Ankreuzen des aut-idem Feldes.

1.3. Die therapeutische Substitution (aut simile)

Von der in den beiden ersten Punkten geschilderten, sogenannten generischen Substitution, muss die therapeutische Substitution unterschieden werden. Bei der therapeutischen Substitution muss das abzugebene Arzneimittel lediglich im Anwendungsgebiet mit dem verschriebenen identisch sein. Nach Art und Menge der wirksamen Bestandteile, der Darreichungsform und der pharmazeutischen Qualität genügt Vergleichbarkeit.

Diese aut simile-Regelung war schon mehrfach in Referentenentwürfen zu Änderungsverordnungen der Apothekenbetriebsordnung vorgesehen. Insbesondere im Apothekennotdienst sollte Apotheken die therapeutische Substitution erlaubt werden. Starke Intervention der Ärzteschaft, die an diesem Punkt einen groben Eingriff in ihre Therapiefreiheit sah, sowie ungeklärte Haftungsfragen, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit noch näher eingegangen wird, führten jedoch zur Entschärfung der Entwürfe und zur Umsetzung in der in Abschnitt 2 beschriebenen Form.

Ehe im folgenden die Änderungen durch die Neuregelung sowie die daraus resultierenden Probleme erläutert werden, soll im folgenden Abschnitt zunächst die Situation im europäischen Ausland bezüglich der aut-idem-Regelung beleuchtet werden.28

1.4. Regelung im europäischen Ausland

Die therapeutische Substitution (aut simile-Regelung) ist in allen EU-Mitgliedsländern verboten. In Dänemark wurde eine entsprechende Regelung diskutiert, aufgrund starker Proteste der Ärzteschaft wird es jedoch auch hier in absehbarer Zeit keine entsprechende Regelung geben. Eine generische Substitution ist nur in Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und in Spanien ohne Einschränkung erlaubt bzw. gefordert. In Belgien ist sie zwar von gesetzlicher Seite erlaubt, jedoch aufgrund fehlender Ausführungsbestimmungen de facto verboten. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Situation in den EU-Ländern und stellt diese dem wertmäßigen Anteil der verordneten Generika gegenüber. Dabei wird deutlich, dass eine Freigabe der generischen Substitution nicht unbedingt zu einem hohen Generikaanteil führt. Insbesondere die Beispiele Frankreich und Spanien mit ihrem extrem niedrigen Anteil machen deutlich, dass auch andere Faktoren (z.B. generelles Arzneimittelpreisniveau, Patentschutz29 ) hier eine Rolle spielen. Andererseits fallen relativ hohe Generikaanteile in Ländern ohne eine entsprechende Regelung ins Auge. Auch in Deutschland kam es im Jahr 2000 unter den Bedingungen der nicht sehr weitreichenden „Alt-Regelung“ zu einem beachtlichen wertmäßigen Generikaanteil von 27,3 %.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Generische Substitution im europäischen Ausland und entsprechender Generikaanteile, Bauer (2001a)

In allen anderen als den oben genannten Ländern ist die therapeutische Substitution nur in Ausnahmefällen möglich. Die Regelungen entsprechen in vielen Fällen der deutschen Alt-Regelung. So ist in Finnland und Luxemburg die Substitution dann möglich, wenn der Arzt nur den Wirkstoff verordnet. In vielen europäischen Ländern ist die Substitution auch in Notfällen erlaubt, doch bleibt hier die Abgrenzung schwierig. In Portugal und Schweden kann der Arzt die Substitution erlauben, in Schweden wird aber selbst in diesem Fall noch die Zustimmung des Patienten benötigt.

Abweichende Regelungen gibt es in Italien und Großbritannien. In Italien kann die Apotheke immer dann, wenn ein Originalpräparat nicht vorrätig ist, dieses gegen ein wirkstoffgleiches Generikum austauschen, die Apothekerschaft macht jedoch aus standespolitischen Gründen von dieser Regelung nur in Ausnahmefällen Gebrauch. In Großbritannien gilt eine ähnliche Regelung, jedoch darf hier der Apotheker ein Generikum sogar gegen ein Originalpräparat substituieren, wenn ein Generikum nicht vorrätig ist. Diese Regelung führt wahrscheinlich nur deshalb nicht zu extremen Kostensteigerungen, weil in Großbritannien der Apotheker keinen prozentualen Aufschlag auf ein verkauftes Medikament erhält, sondern einen festen Zuschlag pro abgegebenes Arzneimittel. Daher fehlt der Anreiz ein höherpreisiges Medikament zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil abzugeben.

2. Neuregelung

2.1. Inhalt der Gesetzgebung und Intention des Gesetzgebers

Im Rahmen des Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetzes vom 23. Februar 2002 wurden im V. Sozialgesetzbuch vom Gesetzgeber folgende Änderungen im Hinblick auf eine generelle aut-idem-Regelung vorgenommen:

In § 73 Abs. 5 wird der Halbsatz gestrichen, der es dem Arzt erlaubt durch Ankreuzen des aut-idem Feldes auf dem Verordnungsblatt (Rezept) kenntlich zu machen, ob der Apotheker das Arzneimittel substituieren darf. Es wird folgender neuer Satz 2 eingefügt:

Sie (die Ärzte) können auf dem Verordnungsblatt ausschließen, dass die Apotheken ein preisgünstigeres, wirkstoffgleiches Arzneimittel an Stelle des verordneten Mittels abgeben.

Es kommt also zu einer Umkehrung der Bedeutung des Ankreuzen des aut-idem Feldes. Bedeutete es bisher die ausdrückliche Erlaubnis zur Substitution, so kann nun durch Ankreuzen die Substitution ausgeschlossen werden. Die Gesetzesänderung macht also die Ausnahme zum Regelfall.

Es besteht für den Apotheker nun in folgenden beiden Situationen nach § 129 SGB V Abs. 1 S. 1 die Verpflichtung zur Substitution:

1. Wenn der verschreibende Arzt, das Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung (generisch) verordnet, oder
2. kein preisgünstiges Arzneimittel verordnet und die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen hat (s. o.).

Daneben fordert eine Änderung in § 129 Abs. 1, dass es sich bei den zur Substitution heranzuziehenden preisgünstigen, wirkstoffgleichen Arzneimitteln um solche mit gleicher Packungsgröße, gleichem Indikationsgebiet, gleicher Wirkstärke und gleicher oder austauschbarer Darreichungsform zu handeln hat, was der bisherigen Substitutionsregelung im Not- und Nachtdienst entspricht.

Ferner definiert § 129 Abs. 1 neu, was nun unter dem Begriff preisgünstig zu verstehen ist:

Ein Arzneimittel ist preisgünstig nach Satz 1 Nr. 1, wenn sein Preis unter Berücksichtigung identischer Wirkstärke und Packungsgröße sowie austauschbarer Darreichungsformen das untere Drittel des Abstandes zwischen dem Durchschnitt der drei niedrigsten Preise und dem Durchschnitt der drei höchsten Preise wirkstoffgleicher Arzneimittel nicht übersteigt. Die obere Preislinie des unteren Preisdrittels zum Quartalsanfang kommt für das gesamte Quartal zur Anwendung; sie ergibt sich auf der Grundlage des Preis- und Produktstandes des ersten Tages des jeweils vorhergehenden Monats und wird von den Spitzenverbänden der Krankenkassen bekannt gemacht. Die Sätze 3 und 4 finden keine Anwendung, wenn weniger als fünf Arzneimittel im unteren Preisdrittel zur Verfügung stehen, in diesem Fall gilt jedes der bis zu fünf preiswertesten Arzneimittel als preisgünstig nach Satz 1 Nr. 1.

Der Apotheker muss also ein Arzneimittel auswählen, dessen Abgabepreis im unteren Preisdrittel liegt, oder das zu den fünf preisgünstigsten Arzneimitteln gehört.

Der Gesetzgeber erhofft sich durch diese Regelung Einspareffekte in einer Größenordnung von ca. 450 Millionen DM jährlich30. Diese sollen einerseits kurzfristig aus dem Preisunterschied zwischen abgegebenem Generikum und verordneten Präparat und andererseits langfristig aus einem durch die Neuregelung induzierten Preiswettbewerb unter den Arzneimittelherstellern resultieren. Durch die schnelle quartalsweise Anpassung der oberen Preisgrenze für das untere Drittel, wird dieser Wettbewerb erheblich verschärft. Es sind sogenannte Kellertreppeneffekte bei der Preisbildung denkbar, da es für jeden Hersteller Ziel sein muss, sein Präparat innerhalb dieses Drittels zu platzieren. Eine dafür notwendige Preissenkung, bewirkt aber zum nächsten Quartal eine weitere Erniedrigung der Preisgrenze des unteren Drittels. Die großen deutschen Generikahersteller (Hexal AG, Stada AG, Ratiopharm GmbH, ct Arzneimittel GmbH) haben im Vorfeld des Gesetztes bereits Preissenkungen angekündigt. Die vom Gesetzgeber für den starken Anstieg der Arzneimittelausgaben verantwortlich gemachten Scheininnovationen (sog. mee too-Präparate) sind von der Neuregelung jedoch nicht betroffen, da für Sie i.d.R. Patentschutz besteht und somit kein generischer Wettbewerb existiert.

2.2. Kritische Diskussion

Bevor in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit die ökonomischen Konsequenzen der Regelung beleuchtet werden, sollen im folgenden einige Punkte diskutiert werden, die im Vorfeld der Verabschiedung zum Teil Gegenstand heftiger Diskussion zwischen den beteiligten Interessensgruppen waren und sind.

2.2.1. Therapiefreiheit und Arzneimittelsicherheit

Von Seiten der Ärzteschaft wird die Regelung als Eingriff in ihre Therapiefreiheit betrachtet. Sie befürchten, dass eine Auswahl des Arzneimittels durch den Apotheker zu Risiken bei der Arzneimittelsicherheit und zu einer abnehmenden Compliance31 beim Patienten führt. Es wird argumentiert, dass nur der Arzt über ausreichende Informationen über seinen Patient und dessen Erkrankung verfügt, um eine adäquate Entscheidung bei der Arzneimittelauswahl zu treffen. Insbesondere bei älteren, multimorbiden Patienten oder Kindern kann es daneben durch Austausch des gewohnten Präparates durch den Apotheker zu einer mangelnden Therapietreue kommen, da ein ausgetauschtes Arzneimittel sich durchaus in Form, Farbe oder Geschmack vom Originalpräparat unterscheidet, was den Patienten bei der Anwendung verunsichern kann. Auch bei Patienten die einer

Arzneimitteltherapie mit mehreren Präparaten unterliegen, kann es aufgrund von fehlenden Wiedererkennungseffekten zu Fehleinnahmen kommen.

Aufgrund starker Proteste der Ärzteschaft wurde der ursprünglich weitergehende Gesetzentwurf insoweit entschärft, als dass der Arzt in jedem Einzelfall durch Ankreuzen des aut idem-Feldes die Substitution ausschließen kann. Daneben legt der Arzt bei seiner Verordnung nicht nur den Wirkstoff, sondern auch die Wirkstärke, die Packungsgröße und die Darreichungsform fest. Ferner hat er durch namentliche Verordnung eines Präparates im unteren Drittel ohnehin die Möglichkeit eine Substitution durch den Apotheker auszuschließen.

Wie bereits oben ausgeführt ist die aut idem-Anwendung im Rahmen des Nacht- und Notdienstes in der Bundesrepublik Deutschland gängige Praxis und von allen am Prozess Beteiligten akzeptiert. Es erscheint zumindest fragwürdig, warum eine Regelung die im Nacht- und Notdienst der Apotheken seit Jahren praktiziert wird, nun einen Eingriff in die Therapiehoheit darstellen soll. Zudem würde dann auch die schon seit Jahren insbesondere vor allem unter Krankenhausärzten weit verbreitete Praxis ein Arzneimittel unter seiner Wirkstoffbezeichnung zu verschreiben, einen Eingriff in die Therapiehoheit darstellen. Auch die Verpflichtung der Apotheker zur Importarzneimittelabgabe nach SGB V müsste dann konsequenterweise unterbunden werden, weil sie ebenfalls zum Austausch eines vom Arzt verschriebenen Originalarzneimittels führt.

Vor allem im Licht der nachgebesserten aut idem-Regelung, die dem Arzt den Ausschluss der Substitution in jedem Einzelfall ermöglicht, scheint das Argument eines Eingriffes in die Therapiehoheit kaum haltbar und eher standespolitisch.

Als letzter Punkt sei hier noch angefügt, dass auch von Seiten der Ärzteschaft der wiederholte Austausch eines Präparates durch ein Generikum im Rahmen der Verordnung und der Abgabe von Arzneimittelmustern direkt an den Patienten zur gängigen Praxis zählt. Eine daraus resultierende verbesserte Arzneimittelbelieferung kann durchaus auch als im Interesse des Patienten gelegen betrachtet werden (Complianceaspekte).

2.2.2. Haftungsfragen und Kontrollmöglichkeiten

Ein bedeutender Kritikpunkt an der neuen aut-idem Regelung wird in einer veränderten Haftungssituation im Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker gesehen. Dabei muss zwischen einer zivilrechtlichen Haftung für die Arzneimitteltherapie und einer sozialrechtlichen Haftung im Kontext der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung unterschieden werden.

2.2.2.1. Zivilrechtliche Haftung

Von vielen Ärzten wird der Eingriff der Apotheker in die Arzneimittelauswahl insbesondere unter zivilrechtlichen Aspekten als kritisch empfunden. Brenner32 sieht in der Umkehrung der Ausnahme der Substitution zur Regel eine Erfordernis zur Neuregelung haftungsrechtlicher Aspekte begründet. Er hängt an diesem Punkt u. a. die fehlende Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung auf (s. 2.2.4.) und befürchtet eine Haftungsverdunkelung, da die Verantwortung für aus der Arzneimitteltherapie resultierende Folgen nicht mehr exakt dem Apotheker oder dem Arzt zuzuordnen ist.

In einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums33 zu dieser Problematik wird betont, dass die neue aut-idem- Regelung im Rahmen des Not- und Nachtdienstes seit Jahren die gängige Praxis bei der Arzneimittelabgabe darstellt und haftungsrechtliche Aspekte bislang bedeutungslos waren. Für Fehler des Arzneimittels und für Schäden die das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch verursacht greift darüber hinaus die Gefährdungshaftung nach § 84 AMG, es wird also der Hersteller herangezogen. Für Fehler die aufgrund einer fehlerhaften Therapieentscheidung des Arztes eintreten, trägt der Arzt nach wie vor haftungsrechtlich die Verantwortung. Die Auswahl eines wirkstoffgleichen Arzneimittels ist in der Regel nicht therapierelevant, der Arzt hat jedoch die Möglichkeit die Ersetzung zu untersagen und dadurch sicherzustellen, dass sämtliche therapierelevante Gesichtspunkte ausschließlich durch ihn entschieden werden. Der Apotheker trägt daher lediglich die haftungsrechtliche Verantwortung dafür, dass der durch die Verordnung vorgegebene Auswahlrahmen sowohl in zivilrechtlicher als auch in sozialrechtlicher Hinsicht. eingehalten wird. Im übrigen verpflichtet § 17 Abs. 5 der Apothekenbetriebsordnung den Apotheker zur Rücksprache mit dem Arzt, sofern Bedenken bei der Verordnung eines Arzneimittels aufgetreten sind.

Kritisch im Rahmen der Neuregelung erscheint, dass aufgrund der fehlenden Dokumentationspflicht des Apothekers Informationen darüber welches konkrete Generikum abgegeben wurde, nicht vorliegen. Dadurch wird die Gefährdungshaftung des Herstellers erheblich erschwert. Auf bei den Krankenkassen zur Kostenerstattung eingereichten Rezepten ist jedoch das abgegebene Präparat mit seiner Pharmazentralnummer34 vermerkt, und der Prozess der Arzneimittelabgabe somit nachvollziehbar dokumentiert. Die Analyse dieser Daten bedarf allerdings einer Gesetzesänderung, da die Verordnungen aus Datenschutzgründen zur Zeit nicht versichertenbezogen analysiert werden dürfen.

2.2.2.2. Sozialrechtlich

Die sozialrechtliche Verantwortung des Arztes für die Wirtschaftlichkeit seiner Verordnungen wird durch die fehlende bzw. zur Zeit nicht auswertbare Dokumentation der Arzneimittelabgabe erschwert, da dem Verordner bei einer Substitution i.d.R. nicht bekannt wird welches Präparat substituiert wurde und mit welcher Summe sein Budget belastet wird. Abhilfe schaffen könnte hier eine Haftung des Arztes für das nicht Überschreiten einer bestimmten verordneten Arzneimittelmenge statt wie bisher für die sich aus den Verordnungen ergebenden absoluten Kosten. Die Unsicherheit über die Höhe der verursachten Kosten kann vom Arzt jedoch auch dadurch ausgeschlossen werden, das er entweder ein generisches Arzneimittel im unteren Drittel direkt namentlich verordnet, oder den Ausschluss der aut- idem Abgabe des Arzneimittels durch konsequentes Ankreuzen des aut-idem Feldes generell ausschließt. Die letzte Alternative kann jedoch nach Meinung von Experten 35 ebenfalls eine sozialrechtliche Haftung des Arztes herbeiführen, da das dauerhafte Ankreuzen des aut-idem Feldes in sozialrechtlicher Hinsicht ebenfalls als unwirtschaftliche Verordnungsweise interpretiert werden kann. Dies insbesondere dann, wenn auf Verordnungsblättern des betreffenden Arztes regelmäßig auch dann alle drei aut-idem Felder angekreuzt sind, wenn nur ein oder zwei Arzneimittel verordnet sind.

[...]


1 Vgl. IMS Health (2002a), S.1

2 Vgl. Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) (2001)

3 Vgl. Statistisches Bundesamt (2000)

4 Vgl. Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) (2000), S. 13f

5 Vgl. Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2001), S. 72-76

6 Vgl. Wähling (1996), S. 42

7 Vgl.Bundesministerium für Gesundheit (2001), S. 1

8 Vgl. Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen (2001), S. 13

9 Vgl. OECD Health Data (2001)

10 Vgl. Verband forschender Arzneimittelhersteller (2001), S. 44

11 Vgl Diener (2001), S.7

12 Vgl. IMS Health (2002b), S.1

13 Vgl. Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG), (2001)

14 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2001), S. 1

15 Vgl. Gerster (2001), S. 39 ff

17 Vgl. Klas (2000), S. 14 f

18 Vgl. Breyer/Zweifel (1999), S. 151ff

19 Vgl. Wähling (1996), S. 67 ff

20 Vgl. Breyer/Zweifel (1999), S.157ff

21 Vgl. Klas (2000), S.12

22 Vgl. Breyer/Zweifel (1999), S.157ff

23 Vgl. Felder/Brinkmann/Robra (2000)

24 Vgl. GG Art. 20, Sozialstaatsprinzip

25 Vgl. Horn/Knieps/Müller (1988), S. 55

26 aut idem (lat.: oder dasselbe)

27 Zur Darstellung der alten aut idem-Regelung vgl. Wartensleben (1995)

28 Die folgende Argumentation folgt Bauer (2001a).

29 Beispielsweise gab es in Spanien bis Mitte der 90er Jahre keinen Patentschutz für Produkte, so dass Originalpräparate schnell kopiert wurden. Diese Kopien firmieren heute als „Quasi-Orginal“ und ermöglichen durch ihren von vornherein niedrigen Preis kaum generischen Wettbewerb.

30 Vgl. Informationen zum Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz (AABG) (2001)

31 Unter Compliance ist die Bereitschaft des Patienten zu verstehen, bei therapeutischen und diagnostischen Maßnahmen entsprechend den ärztlichen Anweisungen mitzuwirken bzw. dessen Anweisungen Folge zu leisten. Vgl. Schulenburg/Kielhorn/Greiner/Volmer (1998), S.11

32 Vgl. Brenner (2001), S.30f

33 Vgl. Pressemitteilung Bundesministerium für Gesundheit (2002)

34 Jedes in Deutschland zugelassene bzw. registrierte Arzneimittel ist über eine 7-stellige Pharmazentralnummer (PZN) eindeutig identifizierbar.

35 Vgl. Ehlers (2002)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832461799
ISBN (Paperback)
9783838661797
DOI
10.3239/9783832461799
Dateigröße
650 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen – Wirtschaftswissenschaften, Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2002 (Dezember)
Schlagworte
gesundheitspolitik pharma apotheke kostensenkung sparmaßnahme
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Titel: Darstellung und Kritik der neuen aut-idem-Regelung für Arzneimittel
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