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Flächenrecycling

Potenziale und Grenzen der Reaktivierung innerstädtischer Brachflächen als Verfahren zur Verringerung des Freiflächenverbrauchs

©2002 Diplomarbeit 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Jeden Tag werden in Deutschland im Durchschnitt 1,3 km² Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrsnutzungen in Anspruch genommen. Der Freiflächenverbrauch ist im Vergleich zur Bevölkerungszahl und der Zahl der Erwerbstätigen seit den 60er Jahren weit überdurchschnittlich stark und kontinuierlich gestiegen. Obwohl immer öfter und nachdrücklicher auf das Problem aufmerksam gemacht wird und ein breiter Konsens in Wissenschaft und Politik besteht, dass es wegen der Endlichkeit der Ressource Boden so wie bisher nicht weitergeht, hat dies bisher zu keinen spürbaren Konsequenzen geführt. Im Gegenteil: Der Freiflächenverbrauch nimmt sogar noch weiter zu - trotz Bevölkerungsstagnation und eher verhaltenem Wirtschaftswachstum.
Auf der anderen Seite verlieren wegen des wirtschaftlichen Strukturwandels sowie politischer und demographischer Entwicklungen immer mehr Flächen in oft hervorragenden innerstädtischen Lagen ihre Funktion und werden zu Industrie-, Militär-, Hafen-, Bahn- oder sonstigen Brachflächen. Der Gedanke liegt nahe, diese beiden Entwicklungen zusammenzuführen, d.h. den weiterhin vorhandenen Flächenbedarf zukünftig stärker als bisher durch das Potenzial an Brachflächen zu decken.
Diese Arbeit geht der Frage nach, welchen Beitrag die Reaktivierung innerstädtischer Brachflächen durch neue Nutzungen (Flächenrecycling) zu einem geringeren Freiflächenverbrauch, aber auch zu einer attraktiven Stadtentwicklung leisten kann. Der erste Teil der Arbeit dreht sich um Entwicklung und Ursachen des Freiflächenverbrauchs, der Hauptteil behandelt das Ausmaß an Brachflächen in Deutschland und stellt Möglichkeiten für eine sinnvolle Nachnutzung vor. In einem abschließenden Teil werden ergänzende Instrumente zur Verringerung des Freiflächenverbrauchs angesprochen.
Die Arbeit versteht sich als kompakte und kritische Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zu den Themen Freiflächenverbrauch und Flächenrecycling. Sie wendet sich insbesondere an Entscheidungsträger in Kommunen, die aktuell von den Problemen Flächenknappheit und Brachflächen betroffen sind und nach Anregungen suchen, wie solche Flächen sinnvoll nachgenutzt und dabei die typischen Hemmnisse beim Flächenrecycling, z.B. Altlasten, Finanzierungsprobleme etc., überwunden werden können.
Betont werden soll vor allem, dass Flächenrecycling mehr ist als nur ein Mittel zum Flächen sparen, dass es vielmehr für die Kommunen, die es systematisch und aktiv betreiben, Ansatz für eine […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt der Arbeit

1. Einleitung

2. Zum Problem des steigenden Freiflächenverbrauchs in Deutschland
2.1 „Flächenverbrauch“ oder „Landschaftstransformation“? Der Streit um die adäquate Bezeichnung eines Umweltproblems
2.2 Entwicklung des Freiflächenverbrauchs in Zahlen
2.3 Ursachen des zunehmenden Freiflächenverbrauchs
2.3.1 Das „Häuschen im Grünen“: Entwicklung der Wohnungsbautätigkeit und die Wohnwünsche der Bevölkerung
2.3.2 Der „Kasten auf der grünen Wiese“: Entwicklungen beim Gewerbebau und die Standortpräferenzen gewerblicher Investoren
2.3.3 Neubauflächenausweisungen als „interkommunaler Wettbewerb“
2.4 Laisser-faire oder Handlungsbedarf? - Pro und Contra Freiflächenverbrauch

3. Flächenrecycling und sein Beitrag zu einer Reduzierung der Freiflächeninanspruchnahme
3.1 „Brachflächen“ und ihr „Recycling“ - Begriffe und Definitionen
3.1.1 Innerstädtische Brachflächen
3.1.2 Flächenrecycling
3.1.3 Brachflächen und Baulücken: Zur sachlichen Überschneidung zweier städtebaulicher Problemfelder
3.2 Brachflächenrecycling - ein aktuelles Thema?
3.3 Ursachen der Entstehung innerstädtischer Brachflächen
3.4 Die Erfassung von Brachflächen als Handlungsvoraussetzung
3.5 Möglichkeiten der Um- und Wiedernutzung
3.5.1 Brachflächenreaktivierung in deutschen Städten: Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik
3.5.2 Möglichkeiten der Nachnutzung auf verschiedenen Brachentypen: Unbegrenzte Möglichkeiten?
3.6 Potenziale zur Deckung des Flächenbedarfs durch Brachflächenrecycling
3.6.1 Die Theorie: Vollständige Deckung des Bedarfs?
3.6.2 Die Realität: Inkongruenz von Angebot und Nachfrage
3.7 Mehr als ein „Öko-Thema“: Chancen für eine attraktive Stadtentwicklung und ökonomische Vorteile für Kommunen durch Flächenrecycling
3.8 Hemmnisse und Gründe für das Scheitern von Flächenrecyclingprojekten
3.9 Ansatzpunkte für eine verstärkte Reaktivierung von Brachflächen

4. Flächenrecycling allein ist nicht genug: Ergänzende Möglichkeiten zur Reduzierung des Freiflächenverbrauchs
4.1 Flächensparende Bauweisen im Wohnungs- und Gewerbebau
4.2 Stärkung des ordnungs- und planungsrechtlichen Instrumentariums: Der notwendige Rahmen zum Schutz der Freiflächen
4.3 Informationsinstrumente: Mittel zur Problemerkennung
4.4 Neue Ansätze: Verhaltensänderung durch den Einsatz ökonomischer Instrumente
4.5 Weitere Möglichkeiten

5. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Jeden Tag werden in Deutschland laut Untersuchungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung im Durchschnitt 129 ha Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrsnutzungen in Anspruch genommen. Ein Vorgang, der ganz offenbar den Zielen der Nachhaltigkeit und auch den in den Gesetzen verankerten Vorstellungen der Politik widerspricht, nach denen mit dem Boden sparsam umgegangen werden soll. Das Problem des anhaltenden Verlusts an Freiflächen ist bereits seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Obwohl immer öfter und nachdrücklicher auf das Problem aufmerksam gemacht wird und ein breiter Konsens in Wissenschaft und Politik besteht, dass es so wie bisher nicht weitergeht, hat dies bisher zu keinen spürbaren Konsequenzen geführt. Im Gegenteil: Der Freiflächenverbrauch nimmt sogar noch weiter zu - trotz Bevölkerungsstagnation und geringem Wirtschaftswachs­tum.

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Fachliteratur ist das Thema Freiflächenverbrauch nur äußerst selten Thema in den Massenmedien. Auch in der Bevölkerung wird die Zunahme der Siedlungsflächen im Vergleich zu anderen Umweltbeeinträchtigungen wie der Zunahme der Verkehrs- und der Lärmbelästigungen nicht als Problem gesehen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Freiflächenverbrauch im täglichen Erfahrungsfeld kaum wahrnehmbar ist und sich eher schleichend über das gesamte Bundesgebiet verteilt vollzieht. Denn der oben genannte Wert von knapp 1,3 km² ist lediglich ein Mittelwert des jährlichen Freiflächenverbrauchs. Würde sich der Freiflächenverbrauch in dieser Größenordnung tatsächlich täglich und an einer einzelnen Stelle des Staatsgebietes vollziehen, wäre ein Aufschrei der Bevölkerung sicher. So aber ist alles, was unmittelbar sichtbar ist, die Neuausweisung eines Wohn- oder Gewerbegebietes im Heimat- oder Nachbarort, und das erscheint den meisten Menschen als etwas völlig Normales.

Die zunehmende Freiflächeninanspruchnahme hat zahlreiche negative Folgen, wie z.B. die Zerschneidung zusammenhängender Landschaftsräume und die Vernichtung von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen und von Erholungsräumen für die Menschen. Doch nicht nur aus ökologischen Gründen ist dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Immer mehr Kommunen, besonders Städte in hochverdichteten Ballungsräumen, stoßen langsam an die Grenzen ihrer Flächenreserven und sind zunehmend auf die Erschließung von Potenzialen im innerstädtischen Bereich angewiesen. Des Weiteren ist angesichts der angespannten Haushaltslage der Kommunen zu überlegen, ob es sinnvoll ist, immer weiter neue Flächen auszuweisen, da dies mit hohen Kosten für die Errichtung und den späteren Erhalt der entsprechenden Infrastruktur verbunden ist, bei gleichzeitiger Abwanderung der Bevölkerung aus den Kernstädten ins Umland (Suburbanisierung) und dadurch immer geringerer Auslastung der innerstädtischen Infrastruktur.

Parallel zur steigenden Inanspruchnahme von Freiflächen findet eine andere ernst zu nehmende Entwicklung in Deutschland und allen anderen Industrienationen statt: Der viel zitierte Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sowie politische und demographische Entwicklungen führen dazu, dass immer mehr Gewerbe-, Verkehrs-, Militär- und andere Gebäude und Flächen in innerstädtischen Bereichen überflüssig und zu Brachflächen werden. Dabei handelt es sich keineswegs nur um kleine Flächen. Wenn Unternehmen der Schwerindustrie aufgegeben werden oder ihren Standort ins Ausland verlagern, Kasernen geschlossen oder ganze Häfen und Güterbahnhöfe nicht mehr benötigt werden, können solche Brachflächen in Einzelfällen die Größenordnung ganzer Stadtteile annehmen.

Der Gedanke liegt nahe, die beiden hier geschilderten Entwicklungen zusammenzuführen, d.h. innerstädtische Brachen nicht einfach sich selbst zu überlassen, sondern Strategien zu entwickeln, auf diesen Flächen neue Nutzungen zu etablieren, die den modernen Flächen- und Raumansprüchen gerecht werden, um so zu verhindern, dass wie bisher kontinuierlich neue Flächen im Umland der Städte für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen werden.

In dieser Arbeit soll geklärt werden, welchen Beitrag Flächenrecycling, d.h. die Reaktivierung innerstädtischer Brachflächen durch neue Nutzungen, zu einem geringeren Freiflächenverbrauch, aber auch zu einer attraktiven Stadtentwicklung leisten kann.

Im einzelnen stehen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt:

- Wie entwickelte sich der Freiflächenverbrauch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten?
- Welches sind die Ursachen für den zunehmenden Freiflächenverbrauch? Wird der Freiflächenverbrauch eher durch die Neuausweisung von Wohn- oder von Gewerbegebieten vorangetrieben?
- In welcher Größenordnung liegen Brachflächen in der Bundesrepublik Deutschland vor? Um was für Arten von Brachflächen (Gewerbe-, Militär-, Verkehrs- oder andere Brachen) handelt es sich?
- Welche Vorhaben und Nachnutzungen sind auf Brachflächen realisierbar?
- Wie groß sind die Potenziale zur Deckung des Siedlungsflächenbedarfs durch die Reaktivierung von Brachflächen einzuschätzen?
- Welches sind die Hemmnisse, die einer Nachnutzung von Brachflächen entgegenstehen?
- Wie können diese Hemmnisse überwunden werden, und was muss getan werden, damit Flächenrecycling noch stärker als bisher gefördert werden kann?
- Welche ergänzenden Instrumente zur Reduzierung der Freiflächeninanspruchnahme gibt es?

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde die Literatur zu den Themen Flächenverbrauch, Brachflächen und Flächenrecycling ausgewertet, und es wurden unterstützend dazu Expertengespräche mit Verwaltungsfachleuten in verschiedenen deutschen Großstädten durchgeführt. In diesen Gesprächen sollte vor allem geklärt werden, inwiefern die Städte von Brachflächen betroffen sind, welche Erfahrungen mit der Reaktivierung solcher Flächen gemacht wurden und wie das Potenzial für eine zukünftige Siedlungsentwicklung auf innerstädtischen Brachflächen eingeschätzt wird. Die Gespräche wurden als teilstandardisierte Interviews durchgeführt (vgl. Wessel 1996). Nähere Informationen sowie der Interviewleitfaden finden sich im Anhang dieser Arbeit.

Zur Klärung spezieller Fragen, die mit Hilfe der Literatur nicht hinreichend beantwortet werden konnten, wurden zusätzlich Telefongespräche mit Wissenschaftlern geführt, die sich mit den Themen Flächenrecycling und Flächenverbrauch beschäftigt haben.

Eine Liste aller Gesprächspartner für die Interviews und für telefonisch oder über sonstige Medien eingeholte Zusatzauskünfte findet sich im Anschluss an das Literaturverzeichnis.

Im folgenden Kapitel wird zunächst die Entwicklung des Freiflächenverbrauchs in Deutschland in Zahlen dargestellt sowie auf die Ursachen für diese Entwicklung eingegangen. Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, ob die zunehmende Freiflächeninanspruchnahme eher aus dem Flächenbedarf für Wohnzwecke oder für Gewerbegebiete erklärt werden kann. Eine kurze Diskussion über die Frage, ob überhaupt Handlungsbedarf wegen des Freiflächenverbrauchs besteht, rundet das Kapitel ab.

Kapitel drei beschäftigt sich mit den Ursachen der Entstehung von Brachflächen und stellt Möglichkeiten für ihre Reaktivierung vor. Es soll gezeigt werden, dass Flächenrecycling nicht nur ein Mittel zum Flächen sparen ist, sondern auch Möglichkeiten für eine attraktive Stadtentwicklung bieten und durchaus den modernen Ansprüchen an Flächen und Bauvorhaben gerecht werden kann. Den Chancen und Potenzialen des Flächenrecyclings sollen die Hemmnisse und Grenzen dieses Verfahrens gegenübergestellt werden.

Kapitel vier stellt weitere zur Zeit in der Fachöffentlichkeit diskutierte Möglichkeiten zum Erreichen des Zieles einer Reduzierung der Freiflächeninanspruchnahme vor.

Kapitel fünf enthält eine zusammenfassende Darstellung der wichtigsten Ergebnisse und beschäftigt sich mit der Frage, welche Bedeutung Flächenrecycling in Zukunft für die Kommunen haben wird.

2. Zum Problem des steigenden Freiflächenverbrauchs in Deutschland

Um die Grundfrage dieser Arbeit nach den Einsparpotenzialen im Freiflächenverbrauch durch Flächenrecycling beantworten zu können, ist es sinnvoll, dem Ausmaß der Brachflächen in Deutschland, also dem Angebot an innerstädtischen Flächenreserven, die Nachfrage nach Siedlungsflächen gegenüberzustellen.

In diesem Kapitel geht es um das Ausmaß und die Ursachen des Freiflächenverbrauchs. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, Aussagen darüber zu treffen, wo Flächenrecycling ansetzen kann, um der zunehmenden Inanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke entgegenzuwir­ken.

Die stetige Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen auf Kosten von Freiflächen ist nicht erst seit Beginn der so genannten Nachhaltigkeitsdebatte Anfang der 90er Jahre Gegenstand der Diskussion in Wissenschaft und Politik. Doch hat nicht zuletzt auch die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro dazu geführt, dass der Schutz von Boden und Freiflächen verstärkt in die entsprechenden Gesetze der Bundesrepublik Deutschland Einzug gefunden hat. So ist in § 1a Absatz 1 des Baugesetzbuches zu lesen: „Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden, dabei sind Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen“ (so genannte „Bodenschutzklausel“). Die Forderung nach sparsamem und schonendem Umgang mit Grund und Boden findet sich auch in der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung von 1985 sowie in den novellierten Fassungen des Raumordnungsgesetzes und des Bundes-Bodenschutzgesetzes von 1998 (Pütz / Job 2001). Angesichts der Endlichkeit der Ressource Boden erscheint eine auf den sparsamen Umgang mit Flächen ausgerichtete Politik unmittelbar einleuchtend. Zumal die Bundesrepublik ein vergleichsweise dicht besiedelter Staat ist, sowohl im europäischen als auch im weltweiten Vergleich.

In den Gesetzen ist quantitativ nicht festgelegt, wie hoch der Freiflächenverbrauch sein darf, damit man von einem „sparsamen“ Umgang mit Grund und Boden sprechen kann. Es existieren aber von verschiedenen Institutionen vorgeschlagene konkrete Zielsetzungen über das anzustrebende Ausmaß des Siedlungsflächenzuwachses:

Þ Das Bundesumweltministerium forderte 1998 eine Reduzierung der Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf 30 ha pro Tag bis zum Jahr 2020 (BMU, zit. nach Bergmann u.a. 1999, S. 10).

Þ Die parteiübergreifende Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des 13. Deutschen Bundestages forderte eine Rückführung des Freiflächenverbrauchs auf 10% der für die Jahre 1993 bis 1995 festgestellten Rate bis 2010, was einem Wert von 12 ha pro Tag entsprechen würde (Bizer u.a. 1998).

Þ BUND und Misereor plädieren für eine schrittweise Rückführung der jährlich zusätzlich in Anspruch genommenen Flächen auf Null bis zum Jahr 2010, d.h. ab dem Jahr 2010 soll es keine Neuinanspruchnahme von Freiflächen mehr geben, sondern es sollen nur noch Nutzungsänderungen auf bereits bebauten Flächen stattfinden (BUND / Misereor 1996, S. 77).

Die hier genannten Forderungen haben Anlass zu Kritik von vielen Seiten gegeben, besonders von wirtschaftlichen Interessenvertretern, Bausparkassen und auch Akteuren der Raumplanung (Bergmann u.a. 1999). Zu Konsequenzen haben diese Forderungen nicht geführt. Sie sind nie über einen Empfehlungscharakter hinausgekommen (Einig 1999).

2.1 „Flächenverbrauch“ oder „Landschaftstransformation“? Der Streit um die adäquate Bezeichnung eines Umweltproblems

Der Flächenverbrauch zählt nach Auffassung vieler Wissenschaftler zu den „größten raumplanerischen Problemen der Gegenwart“ (Job / Koch 2001). Doch was genau ist eigentlich gemeint, wenn von Flächenverbrauch die Rede ist? Kann Fläche überhaupt verbraucht werden?

Evident ist zunächst einmal, dass die Ressource Boden bzw. Fläche grundsätzlich endlich ist. Zwar gab und gibt es in einzelnen Regionen und Ländern, wie z.B. in den Niederlanden oder in einigen asiatischen Großstädten wie Tokyo oder Hongkong, wegen akuten Flächenmangels immer wieder spektakuläre Landgewinnungsmaßnahmen, bei denen durch Aufschüttungen im Meer neue Landflächen für Bauvorhaben gewonnen werden, dieses Vorgehen ist aber mit immensen Kosten und Auswirkungen auf die Umwelt verbunden und kann deshalb kein zukunftsfähiger Weg zur Deckung der Nachfrage nach Siedlungsflächen sein.

Auf das Problem der stetigen Inanspruchnahme von Freiflächen zugunsten einer Expansion der Siedlungsflächen wurde in Deutschland vereinzelt bereits Ende der 50er und besonders seit Anfang der 60er Jahre aufmerksam gemacht. Man sprach damals von „Landschaftsverbrauch“ (Tesdorpf 1984). Doch erst seit Ende der 70er Jahre wurde das Thema auf breiterer Front von Wissenschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommen. Anfang der 80er Jahre hat sich dann der neue Begriff „Flächenverbrauch“ durchgesetzt, der bis heute am häufigsten verwendet wird. Gleichwohl wird von verschiedenen Seiten die unreflektierte Verwendung von Begriffen, die das Suffix „-verbrauch“ tragen, gewarnt. Denn wenn eine Freifläche bebaut wird, geht die Fläche an sich nicht verloren, im Gegenteil: Beim Bau eines mehrstöckigen Hauses ist rechnerisch sogar noch mehr nutzbare Fläche vorhanden als vorher (Reesas 1995). Sieverts, Dick und andere (zit. nach Reesas 1995) sehen Begriffe wie Flächen- oder Landschaftsverbrauch als reine Schlagwörter an und plädieren für Bezeichnungen wie „Landschaftstransformation“ oder „Flächenumwidmung“, da diese wertungsfrei seien.

In dieser Arbeit sollen die Begriffe Freiflächenverbrauch bzw. Freiflächeninanspruch­nahme verwendet werden, wie sie u.a. von Reesas (1995), Pütz und Job (2001) vorgeschlagen wurden, denn sie stellen einen guten Kompromiss dar zwischen dem irreführenden Begriff „Flächenverbrauch“ und dem aus wissenschaftlicher Sicht zwar korrekten, aber das Problem des realen Verlusts an Freiflächen verschleiernden Terminus „Flächenumwidmung“.

2.2 Entwicklung des Freiflächenverbrauchs in Zahlen

Der Freiflächenverbrauch hat in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen: Nach 120 ha pro Tag im Durchschnitt der Jahre 1993 bis 1997 stieg die tägliche Freiflächeninanspruchnahme 1998 auf 124 ha und schließlich auf jeweils 129 ha in den Jahren 1999 und 2000 (BBR 2002). Rechnet man diese Zahl auf ein Jahr hoch, so kommt jedes Jahr mehr als die Fläche der viertgrößten deutschen Stadt Köln (=405 km²) an neuer Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzu. Absolut gesehen hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland in den letzten 50 Jahren fast verdoppelt. Ihr Anteil an der gesamten Staatsfläche beträgt heute 11,8% (Pütz / Job 2001). Bemerkenswert ist, dass die Siedlungsfläche seit 1960 deutlich stärker gewachsen ist als die Bevölkerungszahl und die Zahl der Erwerbstätigen (Abb. 1).

Abb. 1: Entwicklung der Siedlungsfläche, der Bevölkerungszahl und der Zahl der Erwerbstätigen 1960-1997 in Westdeutschland[1] (1960=100)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Dosch / Beckmann 1999b, S. 828

Am stärksten war das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche in den vergangenen Jahren in weiten Teilen Ostdeutschlands, besonders in Sachsen-Anhalt (+8,4%); in Westdeutschland steht Bayern mit +6% Wachstum an der Spitze (Telefonauskunft von Dosch 2002).

Menschen, die angesichts der hier geschilderten Zahlen verständlicherweise mit Unglauben reagieren, sei gesagt, dass es weniger die spektakulären und für jeden sichtbaren Großprojekte sind, die zum hohen Freiflächenverbrauch führen, sondern vielmehr die Summe vieler einzelner Baumaßnahmen, die für sich genommen nicht gravierend und in jedem Fall vertretbar erscheinen (Henckel / Nopper 1985 und Eitel 1999).

Dass man das Problem des Freiflächenverbrauchs etwas differenzierter betrachten muss, zeigt Abbildung 2. So ist die pauschale Behauptung, dass der Bestand an Freiflächen immer weiter zurückgeht, nicht ganz richtig. Denn es gibt auch Freiflächenarten, die in den letzten Jahren zugenommen haben, wie z.B. Wald- und Wasserflächen. Gründe für das Wachstum dieser Flächen sind die Aufforstung von nicht mehr benötigtem Ackerland sowie die Renaturierung ehemaliger Rohstoffabbauge­biete. Bei den Freiflächen, die dem Siedlungsflächenwachs­tum der letzten Jahre zum Opfer fielen, handelt es sich im Wesentlichen um landwirtschaftliche Flächen.

Abb. 2: Tägliche Veränderung der Bodennutzung in Deutschland in ha (Durchschnitt der Jahre 1993-1997)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Losch 1999, zit. nach Pütz / Job 2001, S. 7; eigene Darstellung

Auf der anderen Seite muss auch die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen differenziert betrachtet werden. So wäre es völlig falsch zu behaupten, täglich würden 129 ha Freifläche „zugebaut“, denn die Siedlungs- und Verkehrsfläche darf nicht mit versiegelter Fläche gleichgesetzt werden. Nach der Systematik des Statistischen Bundesamtes setzt sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche aus den Unterkategorien Gebäude- und Freifläche (51% der Siedlungs- und Verkehrsfläche), Verkehrsfläche (40%), Erholungsfläche (6%), Betriebsfläche ohne Abbauland (2%) und Friedhofsfläche (1%) zusammen (StBA, zit. nach Eitel 1999). Von diesen Unterkategorien haben in absoluten Zahlen die Gebäude- und Freiflächen seit Anfang der 90er Jahre am stärksten zugenommen (+2.348 km² zwischen 1993 und 2001), prozentual dagegen die Erholungsflächen (StBA 2002c).

Tatsächlich sind in jeder Unterkategorie der Siedlungs- und Verkehrsfläche zu einem bestimmten Anteil auch Freiflächen enthalten. In Gebieten mit aufgelockerter Wohnbebauung beträgt der Freiflächenanteil rund 65% und sogar in verdichteten Gewerbegebieten immerhin noch knapp 30% (Zepp / Flacke 2002). Nur auf Mischbauflächen, zu denen u.a. die Stadtkerne und Citygebiete gehören, tendiert der Anteil versiegelter Fläche gegen 100%. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche insgesamt ist nach Schätzungen zu 50‑60% versiegelt (Bizer, zit. nach Pütz / Job 2001, S. 4).

2.3 Ursachen des zunehmenden Freiflächenverbrauchs

Um den Ursachen für den fortschreitenden Freiflächenverbrauch in Deutschland auf den Grund zu gehen, lohnt sich zunächst eine Nutzungsanalyse der neu bebauten Flächen. Dabei handelt es sich zu einem geringeren Teil um Verkehrsflächen, zum größten Teil dagegen um Wohn- und Gewerbegebiete (Dosch / Beckmann 1999a). Warum aber werden immer neue Wohn- und Gewerbegebiete ausgewiesen, obwohl doch die Bevölkerungszahl in den letzten Jahren im Wesentlichen stagnierte, z.T. sogar rückläufig war und obwohl es keine wirtschaftliche Boomphase gab, die zu einer massiven Neugründungswelle von Betrieben geführt hat?

Einigkeit besteht in der Literatur darüber, dass die Verkehrsflächen, die bis Mitte der 80er Jahre noch überproportional am Siedlungsflächenwachstum beteiligt waren (Pütz / Job 2001), heute relativ gesehen keine so große Rolle mehr spielen. Ob sich dagegen das Siedlungsflächenwachstum in den letzten 20 Jahren eher auf einen Zuwachs an Wohn- oder an Gewerbeflächen zurückführen lässt, ist nicht unumstritten. Ende der 80er Jahre war die Wissenschaft der Auffassung, dass der Wohnflächenbedarf die Hauptquelle des Freiflächenverbrauchs darstellt (z.B. Lütke-Daldrup 1989, BMRBS 1988a). Nach neueren Erkenntnissen ist es dagegen seit mindestens 20 Jahren schon die Ausweisung von Nichtwohnbauflächen, und hier speziell von Gewerbeflächen, die für das starke Siedlungsflächenwachstum sorgt (z.B. Pütz / Job 2001, Reesas 1995). Nach Berechnungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung stieg zwischen 1985 und 1997 die Verkehrsfläche um 4,4%, die Wohnfläche um 8,3% und die Fläche für Arbeitsstätten um 14,8 % (Dosch / Beckmann 1999a). Die Autoren stellen anhand einer Auswertung aktueller Flächennutzungspläne die Prognose auf, dass Gewerbeflächen auch in Zukunft deutlich stärker zunehmen werden als Wohnbauflächen (ebd.). Eitel (1999) dagegen ist der Auffassung, dass der zukünftige Flächenbedarf für Industrie und Gewerbe deutlich niedriger sei als der für Wohnzwecke.

Da die Verkehrsflächen für die stetige Zunahme des Freiflächenverbrauchs eine vergleichsweise geringere Rolle spielen, soll im Folgenden nur auf die Entwicklungen beim Wohnungs- und Gewerbebau eingegangen werden, um die Ursachen für den anhaltend hohen Freiflächenverbrauch zu klären.

2.3.1 Das „Häuschen im Grünen“: Entwicklung der Wohnungsbautätigkeit und die Wohnwünsche der Bevölkerung

Der zunehmende Bedarf an Wohnbauflächen, so die einhellige Meinung in der Literatur, ist ganz eindeutig eine Folge des wachsenden Wohlstands der Bevölkerung (z.B. Pütz / Job 2001, Friege 1999, Lütke-Daldrup 1989). Weil dieser sich nach dem Zweiten Weltkrieg beständig erhöht hat, bot sich für immer mehr Menschen die Möglichkeit, einen größeren Teil ihres Einkommens für Wohnzwecke auszugeben. Das geschah nicht nur qualitativ durch Investitionen in eine komfortablere Ausstattung des Wohnraums, sondern auch quantitativ durch eine Vergrößerung der Wohnfläche: Die Wohnfläche pro Kopf stieg von 15 m² im Jahr 1950 auf heute 42 m² (Pütz / Job 2001). Wohnen ist schon lange kein reines Grundbedürfnis mehr, sondern befriedigt z.B. auch den Drang nach Selbstverwirklichung und Repräsentation. Das Haus oder die Wohnung wird, ähnlich wie gerade in Deutschland auch das Automobil, zum Statussymbol (LBS-Research 2000a). Ganz oben auf der Wunschliste der bevorzugten Wohnformen steht erwartungsgemäß nicht die Mietwohnung in einem mehrstöckigen Wohnhaus, sondern die flächenzehrendste Wohnform: das freistehende Einfamilienhaus. Laut einer Umfrage des Nürnberger Meinungsforschungsinstituts icon im Auftrag der Landesbausparkassen ist für 69% der Bundesbürger das freistehende Einfamilienhaus mit Garten der Wunschtraum Nr. 1 unter ihren Wohnvorstellungen (zit. nach VDI 2002). Zwar können sich längst nicht alle privaten Bauherren ihren Wunsch verwirklichen und müssen sich in der Realität oft mit anderen Wohnformen wie Zweifamilienhaus, Reihenhaus oder Eigentumswohnung begnügen (ebd.), doch zeigt ein Blick auf die Statistik, dass der Anteil der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser an allen erteilten Baugenehmigungen für neu zu errichtende Wohnungen in den letzten Jahren angestiegen ist: 1995 lag er noch bei etwa 25%, im Jahr 2000 betrug er in Westdeutschland 50%, in Ostdeutschland wegen des Nachholbedarfs an Wohneigentum und Wohnfläche sogar über 60% (BBR 2001a, S. 12f.). Diese Entwicklung hat der Staat sogar noch gefördert, denn durch die Wohneigentumsförderung bzw. die Eigenheimzulage hat er den Erwerb von Wohneigentum, d.h. somit auch den Bau freistehender Einfamilienhäuser, für viele Bauwillige erst ermöglicht. Der Staat nimmt damit beim Flächenverbrauch eine äußerst ambivalente Stellung ein: Auf der einen Seite tritt er in seinen Gesetzen für einen sparsamen Umgang mit der Ressource Boden ein, auf der anderen Seite fördert er die Wohneigentumsbildung, die zu einem großen Teil in den Bau von freistehenden Einfamilienhäusern mündet. Noch immer wird der Neubau von Wohneigentum mit einem doppelt so hohen Satz gefördert wie das Bauen im Bestand (BMVBW 2001). Der Verkehrs- und Bauminister Kurt Bodewig kündigte jüngst an, dass er noch mehr Menschen als bisher den Traum von den eigenen vier Wänden ermöglichen und die Kommunen dazu bringen wolle, noch mehr Bauland dafür zur Verfügung zu stellen (BMVBW 2002). Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als dem BMVBW unterstellte Bundesoberbehörde spricht sich dagegen schon seit langer Zeit für eine Verringerung der Freiflächeninanspruchnahme aus.

Neben dem vorherrschenden Wunsch der Bevölkerung nach einem Eigenheim steigt der Wohnflächenbedarf auch durch den Trend zu immer kleineren Haushalten[2] und die Neigung älterer Paare, nach Auszug ihrer Kinder in dann völlig überdimensionierten Häusern und Wohnungen zu bleiben (z.B. Beckmann u.a. 1996). Letztgenannter Trend wird wegen der starken Zunahme des Anteils älterer Menschen in Zukunft sogar noch zunehmen.[3]

Die hier genannten Ursachen für den anhaltenden Wohnflächenbedarf machen deutlich, dass selbst bei einem Rückgang der Bevölkerungszahl auch in Zukunft ein Bedarf nach Flächen zum Bau von Wohnungen bestehen wird[4]. Es deutet sich aber an, dass dieser Bedarf sich verringern wird: So ist bei der Wohnungsbautätigkeitsstatistik seit einigen Jahren ein rückläufiger Trend erkennbar: Sowohl die Zahl der fertiggestellten Gebäude als auch die pro Jahr fertiggestellte Wohnfläche hat sich seit 1999 deutlich reduziert. Wurden 1999 noch knapp 270.000 neue Gebäude im Hochbau errichtet, waren es 2001 nur noch 213.000. Die fertiggestellte Wohnfläche in neuen Gebäuden sank von rund 42.500 (1999) auf ca. 32.000 im Jahr 2001 (StBA 2002a). Grund für diesen Trend des Rückgangs der Bautätigkeit ist sicher die Tatsache, dass der Wohnungsmarkt sich im Laufe der 90er Jahre deutlich entspannt hat. In vielen Städten, besonders in Ostdeutschland, besteht inzwischen ein Überangebot an Wohnungen (BVLEG 2002).

Da die Zahl der Baugenehmigungen und Baufertigstellungen bereits seit Mitte der 90er Jahre rückläufig ist (StBA 2001) und gleichzeitig kein Trend zu immer größeren Grundstücken zu beobachten war, ist davon auszugehen, dass die stetige Zunahme der Freiflächeninanspruchnahme in den letzten Jahren eher auf die Zunahme der Gewerbeflächen zurückzuführen sein muss.

2.3.2 Der „Kasten auf der grünen Wiese“: Entwicklungen beim Gewerbebau und die Standortpräferenzen gewerblicher Investoren

Vergleicht man Gewerbe- und Industriegebiete vom Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts mit denen von heute, so stellt man fest, dass eine Entwicklung von einer relativ flächenintensiven zu einer heute überwiegend flächenextensiven Bauweise stattgefunden hat. Früher wurden Gewerbe- und Industrieunternehmen oft noch in mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht, während heute der ein- bis eineinhalbgeschossige, überwiegend fensterlose und stereotype „Kasten auf der Grünen Wiese“ die Regel ist. Überall in Deutschland, ganz besonders in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung, entstanden an den Stadträndern, im Stadtumland und an überregionalen Verkehrswegen großflächige Gewerbegebiete von meist äußerst geringer städtebaulicher Qualität (s. Abb. 3).

Abb. 3: Industrie- und Gewerbegebiet Crimmitschau (Landkreis Zwickauer Land)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Stadtverwaltung Zwickau 2002

Während bestimmte Branchen des Dienstleistungssektors (z.B. Banken, Versicherungen, Medienunternehmen) eher zu einem zentralen Standort in Innenstädten neigen und dort wegen der hohen Bodenpreise eine intensive Grundstücksausnutzung anstreben (Losch 1994), herrscht bei Unternehmen der Industrie und des Handels der Drang nach extensiver ebenerdiger Bauweise und nach Standorten am Rande von Ballungsräumen in der Nähe überregionaler Verkehrswege (besonders Autobahnen) vor. Ein Blick auf die Bautätigkeitsstatistik zeigt, dass Handels-(einschließlich Lager-)gebäude sowie Fabrik- und Werkstattgebäude am stärksten zum Freiflächenverbrauch durch neue Gewerbeflächen beitragen: Ihr Anteil an der Gesamtnutzfläche neu errichteter Gebäude beträgt mehr als 50%, der Anteil von Büro- und Verwaltungsgebäuden demgegenüber nur 13% (StBA 2001).

Für die geschilderten Präferenzen bei der Bauweise bzw. der Standortwahl dieser Gewerbezweige gibt es mehrere Gründe:

Für einen Standort am Stadtrand bzw. im Umland von Städten an überregionalen Verkehrswegen statt im innerstädtischen Bereich sprechen für Unternehmen der Industrie, des Handels und anderer Gewerbezweige die relativ niedrigeren Bodenpreise, durch die man größere Flächen mit Möglichkeiten für zukünftige Expansionen realisieren kann, die Umstellung des Transports auf den LKW und die geringe Gefahr von Nachbarschaftskonflik­ten mit anderen Flächennutzungen (besonders Wohnen).

Die Unterbringung eines Unternehmens in einem mehrgeschossigen Bau kommt für die meisten Industrieunternehmen nicht in Frage, denn sie reduziert ihrer Einschätzung nach die Flexibilität, beeinträchtigt die Produktionsabläufe (z.B. Zeitverluste durch Transporte in Aufzügen) und verursacht vor allem sowohl beim Bau selbst als auch bei der späteren Nutzung unnötige Kosten, z.B. weil man für schwere Maschinen sehr aufwändige Zwischendeckenkonstruktionen und für den innerbetrieblichen Transport mehrere leistungsfähige Aufzugsanlagen errichten müsse (Eitel 1999, BMRBS 1988a).

2.3.3 Neubauflächenausweisungen als „interkommunaler Wettbewerb“

Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man sehr schnell einen Hauptschuldigen für den Freiflächenverbrauch an den Pranger stellen: die Kommunen. Schließlich sind sie es, die immer wieder neue Bauflächen für Wohnhäuser, Gewerbe- und Industriebetriebe und den Straßenbau ausweisen. Würden sie das nicht tun, könnte das Siedlungsflächenwachstum sofort gestoppt werden. Diese Argumentation ist natürlich nichts weiter als Polemik. Denn die Kommunen tun das nicht zum Selbstzweck, sondern weil es eine ungebrochene Nachfrage nach Bauflächen gibt. Zwar kann eine Kommune prinzipiell auf weiteres Siedlungsflächenwachstum verzichten, allerdings entgehen ihr dadurch potenzielle Steuereinnahmen.

Grundsätzlich bringt jeder neue Einwohner und jedes neu angesiedelte Unternehmen mehr Einnahmen für eine Kommune. Zu nennen sind hier vor allem die Gewerbesteuer und die Einkommenssteuer als wichtigste Steuereinnahmequellen. Macht man sich klar, dass die meisten deutschen Kommunen, insbesondere die Großstädte, große finanzielle Probleme haben (DST 2001), wird das eifrig betriebene Streben nach neuen Steuereinnahmen verständlich. Wegen der stagnierenden Bevölkerungs- und der schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung herrscht ein starker Konkurrenzkampf der Kommunen um Einwohner und Unternehmensansiedlungen. Auf keinen Fall sollen zu wenig vorhandene Bauflächen der Grund für eine nicht erfolgende Ansiedlung von Steuerzahlern sein. Bei Gewerbeflächen werden, um dem Problem der immer schnelleren Fluktuation bei Aufgaben und Neugründungen von Unternehmensstandorten zu begegnen, oft viel mehr und größere Grundstücke als notwendig ausgewiesen, um flexibel auf die schwer vorhersehbare Nachfrage eingehen zu können (Eitel 1999). Neubauflächen am Stadtrand werden in der Regel sogar noch subventioniert, um potenziellen Investoren möglichst günstige Bodenpreise bieten zu können. Besonders in Ostdeutschland hat das wegen der geringen Nachfrage zu einem erheblichen Überangebot an Flächen im Außenbereich der Kommunen geführt, die in den Medien und in der Fachliteratur spöttisch als „beleuchtete und mit Hilfe öffentlicher Fördermittel gut erschlossene Schafweiden“ bezeichnet werden (Reiß-Schmidt 1997, S. 22). Da der Erfolg einer Kommune heute hauptsächlich in der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen gesehen wird, verfolgt man an vielen Stellen eine Politik der Ansiedlung von Unternehmen um jeden Preis (Tomerius / Preuß 2001). In den Expertengesprächen kam zum Ausdruck, dass, wenn ein großer Investor auf eine Stadt zukommt und nach einer Fläche fragt, um auf dieser viele neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Stadt gern bereit ist, Freiflächen dafür zur Verfügung zu stellen, die ursprünglich gar nicht für eine Bebauung vorgesehen waren.

Es dürfte äußerst schwierig sein, die Kommunen zu einem Umdenken bei der Flächenausweisungspolitik zu bewegen. Denn aus ihrer Sicht ist jede Baulandneuauswei­sung für sich in der Regel siedlungspolitisch vertretbar. Dass die Gesamtheit aller Baumaßnahmen in der Summe zu dem sehr hohen Freiflächenverbrauch in Deutschland führt, darüber macht man sich kaum Gedanken. Die Kooperation von benachbarten Kommunen bei der Planung und Ausweisung von Baugebieten, die zu einem geringeren und geordneteren Siedlungsflächenwachstum führen könnte, ist immer noch die Ausnahme.

2.4 Laisser-faire oder Handlungsbedarf? - Pro und Contra Freiflächenverbrauch

Es ist in der Fachwelt durchaus umstritten, ob die ökologische Wertigkeit von Freiflächen grundsätzlich höher ist als die von Siedlungsflächen (Reesas 1995). Denn wie schon in Kapitel 2.2 beschrieben, sind in den Siedlungs- und Verkehrsflächen auch Gärten und Parks enthalten, die je nach Kommune einen relativ großen Anteil an der Siedlungsfläche ausmachen können. Es wird davor gewarnt, Siedlungsflächen grundsätzlich als aus ökologischer Sicht negativ, Freiflächen im Umland von Siedlungen dagegen einseitig positiv zu sehen. Dabei verweist man gern auf den Charakter der verloren gehenden Freiflächen, bei denen es sich ohnehin nur um monokulturell genutzte Ackerflächen handele, an denen nicht mehr viel Natürliches sei und die sich nicht eben durch einen großen Artenreichtum an Tieren und Pflanzen auszeichnen. In verschiedenen Untersuchungen wurde bewiesen, dass der faunistische und floristische Artenreichtum in den weniger dicht besiedelten Stadtrandgebieten sogar größer sein kann als auf den umliegenden, an das Siedlungsgebiet angrenzenden Freiflächen (BMRBS 1988b, S. 137). Boeddinghaus und Burghardt (1991, S.14) stellen sogar die provokante Frage, ob nicht das Einfamilienhaus sogar die „beste Form der Flächennutzung“ sei.

Darüber hinaus weist man darauf hin, dass allen Prognosen zufolge die Bevölkerung in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten deutlich schrumpfen und damit die Nachfrage nach Flächen mittel- bis langfristig von allein deutlich zurückgehen werde. Einschneidende Maßnahmen zur Reduzierung des Freiflächenverbrauchs werden daher abgelehnt. Laisser-faire heißt die Devise.

Eine Auffassung, der sich die Mehrheit der mit dem Thema Freiflächenverbrauch befassten Wissenschaftler, und auch diese Arbeit, nicht anschließen möchte. An dieser Stelle soll daher explizit auf die negativen Folgen des Freiflächenverbrauchs hingewiesen werden, um den Bedarf nach einem Gegensteuern zu bekräftigen.

Der Verlust an Freiflächen hat in erster Linie aus ökologischer Sicht zahlreiche negative Auswirkungen: So findet eine zunehmende Verinselung und Zerschneidung der Landschaft statt. Zusammenhängende Freiflächen werden immer seltener und kleiner. Sieverts (1997) spricht bereits von einer Umkehrung der Landschaftsstruktur: Konnte man früher auf Luft- und Satellitenbildern noch Städte erkennen, die von Landschaft umgeben waren, so ist heute, zumindest in vielen deutschen Verdichtungsräumen, die Landschaft nur noch in Form einzelner Inseln zu erkennen, die von Siedlungen umgeben sind. Dies kann zu einem Verlust sowohl der faunistischen als auch der floristischen Artenvielfalt führen, da die Siedlungs- und Verkehrsflächen z.T. unüberwindbare Barrieren für Tiere und auch Pflanzen darstellen können (Henckel / Nopper 1985). Besonders negativ wirkt sich die Versiegelung innerhalb der Siedlungs- und Verkehrsflächen aus, bei der die biologisch aktiven Bodenflächen überbaut werden. Physikalische, chemische und biologische Bodeneigenschaften werden verändert, es kann eine Absenkung des Grundwasserspiegels und durch die Bebauung sogar eine Veränderung des lokalen Kleinklimas eintreten (BMRBS 1988b). Nicht vergessen sollte man auch, dass es 500 Jahre dauert, bis 5 cm Boden neu gebildet werden (Zieschank 1999, S. 150), d.h. die ökologischen Schäden, die durch die Siedlungsflächenexpansion eintreten, sind nahezu irreversibel (Pütz / Job 2001, S. 3). Da der Freiraum nicht nur ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Funktionen erfüllt, z.B. als Erholungsraum für die Bevölkerung oder als wertvolle Landwirtschaftsfläche, wirkt sich der Freiflächenverlust auch negativ auf diese Bereiche aus (Zepp / Flacke 2002).

Die Option des Laisser-faire wäre nach Ansicht des Verfassers nur dann vertretbar, wenn es eindeutige Hinweise darauf gäbe, dass der Bedarf nach neuen Flächen in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen wird. Davon ist aber nicht auszugehen. Verschiedene Prognosen sagen voraus, dass die Nachfrage nach Wohnbauflächen, speziell nach Eigenheimen, aus den in Kapitel 2.3.1 genannten Gründen weiter anhalten wird (Beckmann u.a. 1996, BBR 2001a, BVLEG 2002). Für die Nachfrage nach Gewerbeflächen sind die Prognosen nicht ganz so einheitlich: Pütz und Job (2001) sehen eine steigende Nachfrage nach Gewerbe- und Infrastrukturflä­chen. Zwar werde die Flächenproduktivität im Gewerbe wegen der Tertiärisierung steigen, dem stehe aber eine geringere Flächenproduktivität von neuen integrierten Konsum- und Freizeiteinrichtungen (Urban Entertainment Center, Factory Outlet Center, künstliche Ferienwelten) gegenüber. Auch der Trend zum Outsourcing, d.h. der Ausgliederung bestimmter Unternehmensteile und der Auftragsvergabe an fremde Unternehmen, um Kosten zu sparen, spricht für einen steigenden Flächenbedarf beim Gewerbe. Wurden früher noch alle Produktionsabläufe bis zur Fertigstellung eines Produkts in einem Unternehmen und damit auch auf einem Firmengelände durchgeführt, entstehen nun diverse Zulieferfirmen, die wiederum ihre eigenen Flächen benötigen. Koll-Schretzenmayr (2000, S.9) dagegen glaubt, dass wegen der zunehmenden Verlagerung arbeitsintensiver Branchen ins Ausland der Bedarf nach neuen Flächen für Industrie und Gewerbe in Zukunft abnehmen wird.

Nach neuesten Erkenntnissen sieht das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als Institution, die die Entwicklung des Freiflächenverbrauchs kontinuierlich beobachtet, erste Hinweise darauf, dass der Scheitelpunkt des Siedlungsflächenwachstums überschritten sein könnte (BBR 2002). Es stützt sich bei dieser Einschätzung auf die stagnierende und zukünftig je nach Szenario mehr oder weniger stark zurückgehende Bevölkerungszahl, die Ausbreitung flächensparender Bau- und Siedlungsformen und eine vermehrte Reaktivierung von Brachflächen. Dem Postulat eines Laisser-faire möchte man sich dennoch nicht anschließen.

Meiner Einschätzung nach sind die Hinweise auf einen zurückgehenden Freiflächenverbrauch zu unsicher als dass man den Dingen einfach ihren Lauf lassen sollte. Denn selbst wenn die prognostizierte Entwicklung des starken Bevölkerungsrückgangs eintreten sollte, was übrigens zwar sehr wahrscheinlich, aber keineswegs sicher ist, muss das noch lange keinen Rückgang der Flächennachfrage bedeuten, wie die Entwicklung in der Vergangenheit gezeigt hat. Zwar ist es durchaus möglich, dass der Scheitelpunkt des Freiflächenverbrauchs tatsächlich überschritten sein könnte, doch darf man nicht das hohe Niveau vergessen, von dem aus der Rückgang ausgehen soll, d.h. die Neuinanspruchnahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen wird selbst bei einem radikalen mittelfristigen Rückgang weiterhin erheblich sein (BBR 2001a). Daher sollte man weiter über Maßnahmen nachdenken, wie eine Verringerung des Siedlungsflächenwachstums forciert werden kann. Eine mögliche Handlungsoption könnte eine konsequente Durchführung von Flächenrecycling sein, worum es im Folgenden gehen soll.

3. Flächenrecycling und sein Beitrag zu einer Reduzierung der Freiflächeninanspruchnahme

Nachdem es bis hierher um eine Annäherung an das Thema Freiflächenverbrauch und seine Ursachen ging, widmet sich der Hauptteil dieser Arbeit der Entstehung innerstädtischer Brachflächen und den Möglichkeiten ihrer Um- und Wiedernutzung, für die sich in Wissenschaft und Planung der Begriff Flächenrecycling eingebürgert hat. Ob das CentrO in Oberhausen, die Hamburger HafenCity, der Landschaftspark Duisburg-Nord oder der Wiederaufbau des Potsdamer Platzes in Berlin; bei all diesen spektakulären Großprojekten, die bundesweit und auch international bekannt geworden sind, handelt es sich um Flächenrecyclingprojekte, die einen enormen Imagegewinn für die jeweiligen Städte bedeuteten und ganz nebenbei auch einen Beitrag zu einer Verringerung des Freiflächenverbrauchs geleistet haben. Doch hinter solchen Großprojekten steht auch eine nicht zu überschauende Zahl vieler ebenso großer oder auch kleiner, weniger beachteter Projekte in ganz Deutschland, und es gibt niemanden, der eine Übersicht aller Flächenrecyclingprojekte allein der letzten Jahre hat.

Dass Flächenrecycling mehr als eine kurzfristige Modeerscheinung in der Stadtplanung ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Zunächst geht es um eine genaue Abgrenzung der Begriffe „Brachflächen“ und „Flächenrecycling“. Danach werden die Ursachen der Entstehung innerstädtischer Brachflächen betrachtet, die Notwendigkeit ihrer genauen Erfassung sowie die Potenziale und Hemmnisse ihrer Wiedernutzung. Es soll, auch mit Hinweis auf beispielhafte Projekte, gezeigt werden, dass Flächenrecycling mehr ist als nur eine Möglichkeit zum Flächen sparen, dass es darüber hinaus die Möglichkeit qualitativ hochwertiger Stadtentwicklung und dadurch den Kommunen, die es systematisch betreiben, viele Vorteile bietet.

3.1 „Brachflächen“ und ihr „Recycling“ - Begriffe und Definitionen

Brachflächenrecycling ist eine relativ junge Wortschöpfung, die sich aus den Begriffen „Brachfläche“ und „Recycling“ zusammensetzt. Da beide Begriffe in der Literatur oft nicht eindeutig definiert werden, was immer wieder zu Missverständnissen führt, sollen hier zunächst die notwendigen Definitionen vorgenommen werden.

3.1.1 Innerstädtische Brachflächen

Der Begriff der Brache, abgeleitet vom althochdeutschen Wort brahha (=brechen) stammt ursprünglich aus der landwirtschaftlichen Terminologie und bezeichnet eine Fläche, die „im Rahmen der Zwei-, Drei- oder Mehrfelderwirtschaft umgebrochen und anschließend für die Dauer einer Vegetationsperiode nicht bestellt wird“, damit sich der Boden für die nächste Bestellung regenerieren kann (Koll-Schretzenmayr 2000, S. 19). Zu betonen ist, dass die Unterbrechung der Nutzung ein zeitlich begrenzter Vorgang ist und dass Brachen „gezielt einer anschließend verbesserten ökonomischen Nutzung des Bodens dienen; sie werden in der Regel bewußt herbeigeführt, sind von relativ kurzer Dauer und in einem festen Nutzungsrhythmus verankert“ (KE 1997, Kap. 4, S. 3).

Diese Definition macht deutlich, dass Brachen, wie wir sie aus der Landwirtschaft kennen, nur bedingt etwas mit den in dieser Arbeit betrachteten Brachen zu tun haben. Denn diese entstehen eben nicht geplant und gezielt zum Zweck der späteren verbesserten ökonomischen Nutzung der Fläche. Mit den landwirtschaftlichen Brachen haben die Siedlungsbrachen lediglich gemeinsam, dass sie für eine gewisse Zeit nicht genutzt werden und dem Betrachter einen sich selbst überlassenen Eindruck bieten. Diese eher physiognomische Gemeinsamkeit scheint die Übernahme des Brachenbegriffs auch auf den bebauten Siedlungsbereich bewirkt zu haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach man z.B. von „Trümmerbrachen“ in den zerstörten Städten (Eitel 1999, S. 31). Seit Ende der 70er Jahre hat sich der Ausdruck dann in seinem neuen, aus der Landwirtschaft gelösten Kontext in der Sprache der Planer etabliert (Hoffmann-Axthelm 1991).

Der Begriff wird seitdem in vielen Zusammensetzungen verwendet: In der Literatur stehen vor allem Industrie- und Gewerbebrachen[5] sowie Militärbrachen im Mittelpunkt. Es gibt aber auch Verkehrs-, Wohn-, Infrastruktur-, Hafen-, Post-, Telekom-, Sport-, Messe-, Kraftwerks-, Flughafen-, Handels-, Dienstleistungs-, Freizeit-, Bäder-, Gartenbrachen u.v.m. All diese Brachentypen lassen sich am besten unter dem auch schon von Apel (2001, S. 147) verwendeten Begriff der Siedlungsbrachen subsumieren, da sie überwiegend innerhalb geschlossener Siedlungsgebiete auftreten.

Abb. 4: Industriebrache in zentraler Lage: Das Gelände der ehemaligen Gilde-Brauerei in Hannover-Linden, vorgesehen für Wohnbebauung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Aufnahme (März 2002)

Was genau unter einer Siedlungsbrache zu verstehen ist, darüber existiert in der Literatur keine eindeutige Definition. Eine Übersicht einiger häufig verwendeter Definitionen bietet z.B. Koll-Schretzenmayr (2000). In dieser Arbeit sollen Siedlungsbrachen definiert werden als funktionslos gewordene Siedlungsflächen inklusive der auf ihnen befindlichen Gebäude, die länger, als es dem normalen Wiedernutzungszyklus entspricht, keiner neuen Nutzung zugeführt werden können bzw. für die zum Zeitpunkt ihrer Funktionsaufgabe auf absehbare Zeit keine konkreten Nachnutzungskonzepte vorliegen, wobei als zeitlicher Richtwert für beide Fälle ein Zeitraum von etwa drei Jahren angenommen werden soll (verändert und erweitert nach Henckel / Noppers Definition von Gewerbebrachen, 1985, S. 31).

Diese Definition soll unter Zuhilfenahme eines Minimalwertes für den Zeitraum der Nichtnutzung ausschließen, dass auch die Flächen eingeschlossen sind, die dem Betrachter auf den ersten Blick als Brachfläche erscheinen, weil sie zum Zeitpunkt der Betrachtung nicht genutzt werden, denn dann wäre z.B. auch eine Fläche wie das EXPO-Ost-Gelände in Hannover eine Brachfläche, was sie aber nicht ist, da die Nachnutzung zum größten Teil bereits schon bei der Planung für die Weltausstellung geklärt wurde und nur noch einige Einzelflächen in ihrer Nachnutzung ungeklärt sind. Die drei Jahre Nichtnutzung sind, das sei noch einmal betont, ein Richtwert, denn es lässt sich nur äußerst schwer angeben, was unter einem „normalen Wiedernutzungszyklus“ zu verstehen ist. Dieterich z.B. schlägt statt drei einen Zeitraum von fünf Jahren vor (Dieterich / Dransfeld 2001).

In der Realität treten Brachen oft nicht in ihrer „Reinform“ auf, sondern es existieren vielfältige Übergangsformen zwischen der 100%igen Nutzung eines Areals und der vollständigen Aufgabe der Nutzung. Man spricht bei diesen Übergangsformen von Unter- oder Mindernutzungen. Diese liegen vor, wenn z.B. ein Unternehmen eine seiner Flächen innerhalb eines Gewerbegebietes nur als Schuttabladeplatz verwendet, das Planungsrecht an dieser Stelle aber (höherwertiges) Gewerbe vorgesehen hat oder wenn im Zuge der räumlichen Verlagerung von Produktionsprozessen ein Teil der Betriebsgebäude nicht mehr genutzt wird. Die Zunahme solcher mindergenutzten Flächen auf einem Firmengelände ist oft Anzeichen für eine sich ankündigende vollständige Aufgabe der Fläche. Manche Autoren zählen in ihren Definitionen ausdrücklich auch solche mindergenutzten Flächen zu den Brachflächen, eine Auffassung, der ich mich nicht anschließen möchte, da ich es nicht für sinnvoll halte, eine tatsächliche Nutzung der Fläche als „Unternutzung“ zu bezeichnen. Denn es stellt sich die Frage, ab welchem Schwellenwert man von einer Unternutzung sprechen soll. Die Antwort auf diese Frage bleiben die meisten Autoren schuldig. Henckel und Nopper (1985) sind ein gutes Beispiel, wie man sich um eine haltbare Definition von Unternutzung herumwindet. Zitat: „Unternutzung: Extensive Nutzung, zu hohe Flächenreserven einzelner Betriebe o.ä.“ (S. 24). Besonders für empirische Erhebungen wäre eine exakte Definition und Operationalisierung des Begriffes Unternutzung nötig. Henckel und Nopper (1985) unterscheiden zwar in ihrer Arbeit zwischen Brache und Unternutzung, haben bei ihrer Befragung in deutschen Städten aber versäumt, die Begriffe in den Fragebögen durch entsprechende Definitionen mit klaren Schwellenwerten voneinander abzugrenzen. Das hat dazu geführt, dass es der subjektiven Einschätzung der Befragten überlassen wurde, ab wann sie von einer Unternutzung ausgingen. Die Daten waren später dementsprechend nur schwer interpretier- und untereinander vergleichbar.

[...]


[1] In dieser Arbeit werden Westdeutschland und alte Bundesländer sowie Ostdeutschland und neue Bundesländer synonym verwendet.

[2] Besonders die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt immer weiter zu (StBA 2002b). Die Zahl der Personen pro Haushalt sank von 2,99 im Jahre 1950 auf 2,25 im Jahre 1991 (Bergmann u.a. 1999, S. 25).

[3] Bisher gibt es nach dem Kenntnisstand des Verfassers keine Arbeiten, die untersucht haben, welches Flächeneinsparpotenzial sich durch die Mobilisierung solcher Wohnraumreserven erreichen ließe. Befragungen würden nach Ansicht des Verfassers zu dem Ergebnis führen, dass die Betroffenen sogar selbst der Meinung sind, dass der Wohnraum für ihre Bedürfnisse überdimensioniert ist, andererseits besteht aber, wenn die Wohnung bzw. das Haus vollständig abbezahlt ist, kein Anreiz zum Auszug bzw. zur Vermietung eines Teils der Wohnung an Fremde.

[4] Herr Isselmann vom Stadtplanungsamt Bonn wies darauf hin, dass man wegen der Wohnansprüche der Bevölkerung selbst dann immer neuen Wohnraum errichten müsse, wenn man die Einwohnerzahl lediglich auf konstantem Niveau halten wolle.

[5] Natürlich gehört die Industrie auch zum gewerblichen Sektor. Dennoch werden in der Literatur Industriebrachen wegen ihrer besonderen Anforderungen an eine Wiedernutzung fast immer von übrigen Gewerbebrachen unterschieden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832461508
ISBN (Paperback)
9783838661506
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover – Geowissenschaften und Geographie, Geographie
Note
1,0
Schlagworte
brachflächenrevitalisierung flächenverbrauch stadtentwicklung gewerbebrachen nachhaltigkeit
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Titel: Flächenrecycling
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