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Wer die Jugend hat, hat die Zukunft

Die Ergänzungshefte in den Schulen als Träger der nationalsozialistischen Ideologie

©2002 Lizentiatsarbeit 165 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Als es den Nationalsozialisten im Jahre 1933 gelang, an die Macht zu kommen, wurden Hitlers Leitthesen in Richtlinien und Erlasse umgewandelt und damit zu Grundlagen für die NS-Erziehungspolitik. Unter den neuen Machthabern wurde die Schule zu einem Ort schulischer Sozialisation, die von der sogenannten „Vergemeinschaftung“ geprägt wurde. Vergemeinschaft meint gefühlsbetontes Erleben, in dem „die Grundsätze des Blutes und der Rasse“ eine bedeutende Rolle spielen. Begriffe wie „Volk und Volksgemeinschaft, Blut, Boden, Geist, Ehre, Wehr, Führertum, Gehorsam, Pflicht, Zucht und Gott“ stehen für die NS-Erziehungspolitik.
Ziel der Nationalsozialisten war die „Formung eines neuen deutschen Menschen“, des „nationalsozialistischen Menschen“, der kämpferisch, heroisch, voller Selbstvertrauen in sich und sein Volk und nicht zuletzt Angehöriger der Herrenrasse war. Eine Jugend ohne die Fähigkeit zur Kritik sollte herangebildet werden, die nur in der Volksgemeinschaft bestehen, und ohne sie nicht existieren konnte.
Mit ihrem Machtantritt konnten die Nationalsozialisten an eine Tradition von verschiedenen Ergänzungsheften anknüpfen, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren und in den Schulen benutzt wurden. Von den NS-Unterrichtsverwaltungen wurden nun aber neue Ergänzungshefte eingeführt, mit der Absicht, den Schülern die Erziehungsprinzipien der NSDAP zu vermitteln. Die Hefte hatten den offiziellen Zweck, als Ergänzung zu den alten Schulbüchern zu wirken, und die Zeit bis zum Erscheinen der neuen NS-Lehrbücher zu überbrücken. Inoffiziell wurden sie bald zu Trägern einer NS-Ideologie, die in keinem offiziellen Lehrbuch derart deutlich zum Ausdruck gebracht und veröffentlicht wurden. Im Hauptteil der Arbeit wird der Inhalt der Broschüren zuerst fächerspezifisch und danach anhand der NS-Ideologie untersucht. Das erste Thema behandelt das NS-Jugendbild bzw. das Bild, welches sich Hitler und seine Mitstreiter über die zukünftige Jugend und ihre Aufgabe im völkischen Staat machten. Das Thema Führerstaat bildet einen weiteren Teil der Untersuchung. Hitler bekräftigte mehrmals, dass dem Führerstaat gegenüber der Demokratie der Vorzug zu geben sei, und dies versuchten sie auch den Schülern zu vermitteln. Altnordische Dichtung, Ahnen-Verehrung und die verschiedenen NS-Feiern gehörten zum festen Bestandteil in der Erziehungspolitik der Nationalsozialisten für die unteren Jahrgänge der Schule und auch diese Thematik wird […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6059
Stucki, Regula: Wer die Jugend hat, hat die Zukunft - Die Ergänzungshefte in den Schulen als
Träger der nationalsozialistischen Ideologie
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Bern 22, Hochschule, Lizentiatsarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

1
Bildnachweis: National Archives, in: Knopp, Guido: Hitlers Kinder, München 2000, S. 363.
Wer die Jugend hat, hat die Zukunft
1
Dieser Ausspruch wurde zum Symbol der Erziehungspolitik des Nationalsozialismus.
Kurt-Ingo Flessau hat diesen Ausspruch erweitert:
"Die Jugend hat er gehabt doch die Zukunft nicht, und die Jugend, die die Machthaber
erzogen haben, hat ihrerseits vielfach keine Zukunft gehabt. Sie starb auf den Schlachtfeldern,
in den Bombennächten, im sinnlosen Einsatz an der Heimfront."
2
1
Im 14. September 1935 trafen sich rund 54'000 Jungen und Mädchen aus dem gesamten Reichsgebiet in
Nürnberg. Dort erteilte Adolf Hitler der Jugend selbst einen erzieherischen Auftrag: "Unser ganzes Volk
müssen wir erziehen, dass immer, wenn irgendwo einer bestimmt ist zu befehlen, die anderen ihre
Bestimmung erkennen ihm zu gehorchen, weil schon in der nächsten Stunde vielleicht sie selbst befehlen
müssen und es genauso nur dann können, wenn andere wieder Gehorsam leisten. Nie wollen wir vergessen,
dass Freundschaft nur der Starke verdient und der Starke gewährt. Und so wollen wir uns denn stark
machen, das ist unsere Losung. Und dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, dafür seid ihr verantwortlich.
Ihr seid die Zukunft der Nation, die Zukunft des Deutschen Reiches." Zitiert nach Knopp, Guido: Hitlers
Kinder, München 2000, S. 17.
2
Flessau, Kurt-Ingo: Schule der Diktatur. Lehrpläne und Schulbücher im Nationalsozialismus, München
1977, S. 9.

2
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
1
EINLEITUNG
4
1.1
Problem, Fragestellung und Methode
4
1.2
Literatur, Forschungsstand und Quellenlage
9
1.3
Entstehung und Aufbau der Arbeit
13
2
DAS DEUTSCHE SCHULSYSTEM ZU BEGINN DER
MACHTERGREIFUNG
16
2.1
Die NS-Erziehungsgrundlagen
16
2.2
Die Gleichschaltung der Lehrerschaft
20
2.3
Die Richtlinien und Lehrpläne
22
2.4
Die Einführung neuer Lehrbücher
29
3
DIE ERGÄNZUNGSHEFTE
32
3.1
Der Zweck der Ergänzungshefte
32
3.2
Der Aufbau, der Inhalt und die Gestaltung der Ergänzungshefte
37
3.3
Ergänzungshefte für das Fach Deutsch
37
3.4
Ergänzungshefte für das Fach Geschichte
45
3.5
Ergänzungshefte für das Fach Erdkunde/Geographie
53
3.6
Einzelne Ergänzungshefte von verschiedenen Verlagen/Billige Reihen
57
4
DIE NS-IDEOLOGIE IN ERGÄNZUNGSHEFTEN
61
4.1
Das NS-Jugendbild
61
Erste Zwischenbilanz
68
4.2
Der Führerstaat
70
Zweite Zwischenbilanz
80
4.3
Die altnordische Dichtung, Die Ahnen-Verehrung, Die NS-Feiern
82
Dritte Zwischenbilanz
91
4.4
Die NS-Sozialpolitik
92
Vierte Zwischenbilanz
101
4.5
Das Bauerntum
103
Fünfte Zwischenbilanz
112
4.6
Die Ostexpansion/Das "Volk ohne Raum"
114
Sechste Zwischenbilanz
122
4.7
Der Rassismus/DerAntisemitismus
123
Siebte Zwischenbilanz
132
4.8
Die Rassenpflege
134
Achte Zwischenbilanz
141
4.9
Die Stellung der Frau im Dritten Reich
142
Neunte Zwischenbilanz
146
5
SCHLUSSBETRACHTUNGEN
148
6
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
155
7
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
156

4
1
EINLEITUNG
Ehe wir uns auf die Nennung und Beschreibung der neuen Schulbücher für alle Fächer und
Altersstufen einlassen, sei das folgende festgestellt: die grossen, dicken Schulbücher, wie wir sie
kannten und wie wir etwa für jedes Fach und Jahr ein einziges besassen, "das Geographiebuch für die
vierte Klasse", - "das Geschichtsbuch für die erste...", - diese Art also von gewichtigem, sehr
wissenschaftlich aufgezogenem Schulbuch ist, wenn freilich nicht ganz aus dem Unterricht
verschwunden, so doch vergleichsweise unwesentlich geworden. Was heute wesentlich, ja
massgebend erscheint, ist das Zusatzheftchen, - die Broschüre, das Propagandapamphlet. [...]
Die offiziellen Lehrbücher halten sich durchschnittlich im Rahmen des Weltmöglichen. Das neue
"Reichslesebuch" etwa für die Oberklassen der Gymnasien ist, wie der Pariser Pavillon,
3
nicht etwa
gut; nicht etwa repräsentativ für wirkliches deutsches Geistesleben (vor Hitler, und, seit Hitler,
ausserhalb Deutschlands). Es enthält viel patriotische Mittelmässigkeit, viel "Blut und Boden"-Kitsch,
- einige Äusserungen des "Führers" und seiner Minister, - und nur sehr wenig von den Kostbarkeiten,
die für solch ein Reichslesebuch zur Verfügung stünden, - fast nichts von Goethe und Lessing,
natürlich nichts von Heine. Immerhin: das "Reichslesebuch" ist kein offener Skandal, es atmet Öde,
Trübsinn und schlechten Geschmack, wie der Pariser Pavillon, aber es scheint ungefährlich und wird
niemanden erschrecken. Aber die Zusatzheftchen! Die nicht offiziellen, nur halb- und viertels-
offiziellen, vom NS-Lehrerbund und verwandten Organisationen wie von ungefähr in den Unterricht
gestreuten Propaganda-Broschürchen! Die haben es in sich! Und dem Führer ermöglicht diese seine
"Taktik", dem Ausland eine relativ harmlose, wenig offensive Literatur von Reichslehrbüchern
vorzulegen, während das Eigentliche hinter den schützenden Kulissen der offiziellen Bibliothek aus
den Heftchen gelehrt wird.
4
Diese Passage aus Erika Manns Buch "10 Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im
Dritten Reich"
5
wurde zum ersten Mal im Jahre 1938 veröffentlicht. Erika Mann beschreibt in
einer scharfsinnigen Weise das "offizielle" und das "inoffizielle" Unterrichtsmaterial sowie
den Zweck von den Ergänzungsheften. Sie gehört zu den ganz wenigen Autoren, die sich
während oder nach der Zeit des Nationalsozialismus in ihren Arbeiten mit Ergänzungsheften
und der darin enthaltenen nationalsozialistischen Ideologie (NS-Ideologie)
6
näher beschäftigt
hat.
7
1.1
Problem, Fragestellung und Methode
In seinen Reden und Schriften hat es Adolf Hitler gekonnt verstanden, wie Dieter Rossmeissl
es ausdrückt, "mit der Wahrheit zu lügen",
8
d.h. die Wahrheit so deutlich vorzutragen, dass
ihm viele Zeitgenossen das Programm der National Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
9
3
Die Weltausstellung fand vom 25. Mai bis am 25. November 1937 in Paris statt.
4
Mann, Erika: Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich, München 1986, S. 60-
62.
5
Die Erstausgabe erschien 1938 unter dem Titel "School for Barbarians. Education under the Nazis",
Modern Age Books, in New York. Die erste deutsche Ausgabe erschien im gleichen Jahr im Querido
Verlag N.V., Amsterdam.
6
In der Folge wird der Begriff "nationalsozialistisch" so oft wie möglich abgekürzt.
7
Vgl. dazu Mann, Erika: Zehn Millionen Kinder, Kapitel 5 die Schule, S. 48-129.
8
Rossmeissl, Dieter: "Ganz Deutschland wird zum Führer halten ... ." Zur politischen Erziehung in den
Schulen des Dritten Reiches, Frankfurt a.M. 1985, S. 35.
9
Das 25-Punkte Programm der NSDAP wurde von Hitler am 24. Februar 1920 vor nahezu zweitausend
Menschen im Festsaal des Hofbräuhauses in München vorgelegt.

5
(NSDAP) nicht glaubten. Sicherlich war vieles von dem, was Hitler in seiner Propaganda
versprach, Lüge, aber gerade im Hinblick auf die Erziehungsziele und die verwendeten
Erziehungsmethoden, die er in seinem Buch "Mein Kampf"
10
1925 sehr offen und mit grosser
Menschenverachtung beschrieb, lügte er nicht. Seine Thesen zur Erziehungsarbeit waren nicht
geheim, sondern Tausenden von Menschen öffentlich zugänglich, denn sie hatten die
Möglichkeit, sein Buch zu kaufen und zu lesen.
11
Es ist erstaunlich, dass die Maximen, die
Hitler hier in aller Breite darlegte, kaum in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen
sind.
12
Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf
das Einpumpen blossen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder
Körperbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des
Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlusskraft, verbunden mit der Erziehung
zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als Letztes die wissenschaftliche Schulung.
13
Heute ist die bewusste Entwicklung guter, edler Charaktereigenschaften in der Schule gleich Null.
Dereinst muss darauf ganz anderes Gewicht gelegt werden. Treue, Opferwilligkeit, Verschwiegenheit
sind Tugenden, die ein grosses Volk nötig braucht, und deren Anerziehung und Ausbildung in der
Schule wichtiger ist, als manches von dem, was zur Zeit unsere Lehrpläne ausfüllt.
14
Als es den Nationalsozialisten im Jahre 1933 gelang, an die Macht zu kommen, wurden
Hitlers Leitthesen in Richtlinien und Erlasse umgewandelt und damit zu Grundlagen für die
NS-Erziehungspolitik.
15
Unter den neuen Machthabern wurde die Schule zu einem Ort
schulischer Sozialisation, die von der sogenannten "Vergemeinschaftung"
16
geprägt wurde.
Vergemeinschaft meint gefühlsbetontes Erleben, in dem "die Grundsätze des Blutes und der
Rasse"
17
eine bedeutende Rolle spielen. Begriffe wie "Volk und Volksgemeinschaft, Blut,
10
Hitler, Adolf: Mein Kampf. München 1930. In dieser Arbeit wird stets nach der Erstausgabe zitiert. Da sie
jedoch schwer zugänglich ist, werden die Seitenzahlen nach der einbändigen Volksausgabe von 1930
angegeben. Alle später erschienenen Ausgaben sind nahezu mit dieser Ausgabe seitengleich.
11
Hitlers "Mein Kampf" erreichte bis 1939 eine Auflage von 5,5 Millionen; 1943 waren in Deutschland
nahezu 10 Millionen Exemplare verbreitet. Es wurde in sechzehn Sprachen übersetzt und auch nach 1945
im Ausland mehrfach aufgelegt. Seit 1936 wurde das Buch in den Standesämtern verteilt.
12
Eberhard Jäckel schreibt in seinem Buch, Hitlers Weltanschauung, "sein zweibändiges Werk galt bei
Freund und Feind von Anfang an als unlesbar und wurde im Laufe der Zeit zum ungelesensten Bestseller
der Weltliteratur"; vgl. Jäckel, Eberhard: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, 4. Aufl.,
Stuttgart 1991, S. 13.
13
Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 1930, S. 452.
14
ibid. S. 461.
15
Vgl. Eilers, Rolf: Die nationalsozialistische Schulpolitik. Eine Studie zur Funktion und Erziehung im
totalitären Staat, Köln 1963, S. 50-98; Ebenfalls Keim, Wolfgang: Erziehung unter der Nazi-Diktatur. Band
I: Antidemokratische Potentiale, Machtantritt und Machtdurchsetzung, Darmstadt 1995.
16
Vergemeinschaftung bezeichnete den Prozess, welcher in der Volksgemeinschaft gipfelte. Sie stand als
höchster Wert nämlich als totale Volksgemeinschaft über dem Einzelnen und seinen Rechten: "Du bist
nichts, dein Volk ist alles!" vgl. Brackmann, Karl-Heinz/Birkenhauer, Renate: NS-Deutsch.
"Selbstverständliche" Begriffe und Schlagwörter aus der Zeit des Nationalsozialismus, Straelen 1988, S.
82, 193-195.
17
Kluger, Alfons: Die Volksschule im NS-Staat. Nachdruck des Handbuches "Die deutsche Volksschule im
Grossdeutschen Reich. Handbuch der Gesetze, Verordnungen und Richtlinien für Erziehung und Unterricht

6
Boden, Geist, Ehre, Wehr, Führertum, Gehorsam, Pflicht, Zucht und Gott"
18
stehen für die
NS-Erziehungspolitik.
19
Ziel der Nationalsozialisten war die "Formung eines neuen deutschen
Menschen", des "nationalsozialistischen Menschen",
20
der kämpferisch, heroisch, voller
Selbstvertrauen in sich und sein Volk und nicht zuletzt Angehöriger der Herrenrasse war.
Eine Jugend ohne die Fähigkeit zur Kritik sollte herangebildet werden, die nur in der
Volksgemeinschaft bestehen, und ohne sie nicht existieren konnte.
21
Schon nach dieser kurzen Passage drängen sich Fragen nach dem Wie und dem Warum auf.
Wie wollten die Nationalsozialisten konkret vorgehen, wenn ihr Ziel die "Schaffung eines
nationalsozialistischen Menschen" war? Warum wollten sie dies überhaupt? Was versprachen
sie sich davon und wie wollten sie das Erziehungssystem verändern?
Bei der Tragweite dieser Fragen wird klar, dass das NS-Erziehungsvorhaben ein gewaltiges
organisatorisches Projekt war und sich die Machthaber vielerlei Mittel bedienten, um ihre
Ziele durchzusetzen. Eine umfassende, empirisch durchgeführte Analyse der spezifisch
eingesetzten nationalsozialistischen Mittel zur Durchsetzung ihrer Erziehungsziele würde sehr
schnell die Kapazitäten eines Einzelunternehmens überfordern. Deshalb muss hier in einem
ersten Schritt die Fragestellung eingeschränkt und präzisiert werden:
Mit ihrem Machtantritt konnten die Nationalsozialisten an eine Tradition von verschiedenen
Ergänzungsheften anknüpfen, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren und in den
Schulen benutzt wurden. Von den NS-Unterrichtsverwaltungen wurden nun aber neue
Ergänzungshefte eingeführt, mit der Absicht, den Schülern die Erziehungsprinzipien der
NSDAP zu vermitteln.
22
Die Hefte hatten den offiziellen Zweck, als Ergänzung zu den alten
Schulbüchern zu wirken, und die Zeit bis zum Erscheinen der neuen NS-Lehrbücher zu
überbrücken. Inoffiziell wurden sie bald zu Trägern einer NS-Ideologie, die in keinem
offiziellen Lehrbuch derart deutlich zum Ausdruck gebracht und veröffentlicht wurden.
23
In einer zweiten Verdichtung der Fragestellung muss davon abgesehen werden zu
untersuchen, welche Auswirkungen und Folgen die NS-Ideologie in den Ergänzungsheften
in Volksschulen nebst den einschlägigen Bestimmungen über Hitler-Jugend und Nationalpolitische
Erziehungsanstalten, Breslau 1940, Apel, Hans Jürgen/Klöcker, Michael (Hg.), Köln 2000, Einleitung S.
XXX.
18
ibid. S. XXX.
19
Keim, Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Band I, S. 9-20.
20
Benze, Rudolf/Gräfer, Gustav (Hg.): Erziehungsmächte und Erziehungshoheit im Grossdeutschen Reich als
gestaltende Kräfte im Leben des Deutschen, Leipzig 1940, S. 1-27.
21
Rossmeissl, "Ganz Deutschland wird zum Führer halten ... .", S. 33-39.
22
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 28, siehe auch seine Anm. 175, 176 für die
entsprechenden gesetzlichen Erlasse.

7
auf die Schülerschaft gehabt hat. Wie Detlev Peukert in seinem Aufsatz "Edelweisspiraten,
Meuten, Swing" beschrieben hat, wurden die Konturen abweichenden Verhaltens von
Jugendlichen umso deutlicher, je mehr sich die Hitlerjugend (HJ) staatliche Kompetenzen
anmasste und je vollkommener sie die Jugend organisatorisch erfasste.
24
Ende der dreissiger
Jahre wandten sich Tausende von Jugendlichen von der HJ ab und fanden in spontanen
Kreisen und Gruppen ihren eigenen Stil. Bemerkenswert ist, dass es sich bei diesen
oppositionellen 14- bis 18-Jährigen gegen Ende der dreissiger, Anfang der vierziger Jahre um
Jungen (und in geringerem Ausmasse auch um Mädchen) handelte, deren schulische
Sozialisation bereits zu einem erheblichen Teil während der NS-Herrschaft stattgefunden
hatte. Ausgerechnet in der Generation, auf die das System Adolf Hitlers ungehindert hatte
einwirken können, mussten sich, wie Peukert es nennt, so viele "schwarze Schafe" befinden.
25
Rolf Schörken kommt in seinem Aufsatz "Sozialisation inmitten des Zusammenbruchs. Der
Kriegseinsatz von 15- und 16-jährigen Schülern bei der deutschen Luftabwehr (1943-1945)"
zum Schluss, dass ideologische Gesichtspunkte in diesem Lebensalter und unter dem Einfluss
des Krieges eine erheblich geringere Rolle spielten, als man sich dies heute vorstellt. Zum
ideologischen Denken gehört nach Schörken ein Minimum an Wissen von anderen Nationen,
anderen Ideen und anderen politischen Systemen. Über dieses Wissen verfügten die Jungen
damals nicht, weil es nicht auf dem Erziehungsplan der NS-Regierung stand. Hinzu kommt,
dass viele Schüler in den Wirren des Krieges kaum noch eine regelmässige Schulbildung
genossen, deshalb ordnet Schörken der NS-Ideologie den Terminus "untergeordnet" zu.
26
In einem dritten Schritt wird die Fragestellung dahingehend verengt, dass wir uns in unserer
Untersuchung in erster Linie auf Ergänzungshefte und die darin enthaltene NS-Ideologie
23
Mann, Zehn Millionen Kinder, S. 61-62.
24
Seit der Jugenddienstverordnung vom 25.3.1939 konnten Jugendliche durch den HJ-Streifendienst und die
Polizei zur Erfüllung ihres HJ-Dienstes gezwungen werden. Diese Repressionsmittel wurden durch den
Runderlass des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei Heinrich Himmler vom 20. Oktober
1942 zur "Erzwingung der Jugenddienstpflicht" noch wesentlich verschärft (BA, R22/1176, Bl. 298).
Zitiert nach Peukert, Detlev: Edelweisspiraten, Meuten, Swing, Jugendsubkulturen im Dritten Reich, in:
Hermann, Ulrich (Hg.), "Die Formung des Volksgenossen". Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches,
Weinheim 1985, S. 216-231, Anm. 2, S. 230.
25
Vgl. Peukert, Detlev: Edelweisspiraten, Meuten, Swing, Jugendsubkulturen im Dritten Reich, in: Hermann,
Ulrich (Hg.), "Die Formung des Volksgenossen". Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches, Weinheim
1985, S. 216-231.
26
Vgl. Schörken, Ralf: Sozialisation inmitten des Zusammenbruchs. Der Kriegseinsatz von 15- und 16-
jährigen Schülern bei der deutschen Luftabwehr (1943-1945), in: Dahlmann, Dittmar (Hg.), Kinder und
Jugendliche in Krieg und Revolution. Vom Dreissigjährigen Krieg bis zu den Kindersoldaten Afrikas,
Paderborn 2000, S. 123-144.

8
konzentrieren. Wir gehen den Fragen nach und versuchen Antworten zu finden, die sich auf
den Inhalt, die Gestaltung und die Wirkung der Broschüren beziehen.
Was bezweckten die neuen Machthaber mit der Einführung dieser Ergänzungshefte? Was
genau wurde in diesen Heften thematisiert und was erhofften sich die Machthaber davon? Mit
andern Worten, was war der Sinn ihrer Publikationen? Wie waren diese Hefte aufgebaut? Gab
es Unterschiede in den jeweiligen Klassenstufen der Schüler? Was war ihr Inhalt, ihr Zweck
und ihre Funktion? Welche NS-Ideologien wurden hauptsächlich beschrieben und weshalb?
Von der methodischen Warte aus bleibt schliesslich noch die Frage zu klären, anhand welcher
Beispiele der Quellenwert der Ergänzungshefte aufzuzeigen ist. Zuerst wird die
Entstehungsgeschichte und Absicht von offizieller Seite her betrachtet, um eine möglichst
breite Analyse dieser Ergänzungshefte zu ermöglichen. Anschliessend wird eine
fächerspezifische Inhaltsanalyse vorgenommen, um die Unterschiede in den verschiedenen
Jahrgangsstufen der Klassen besser ersichtlich zu machen. Eine zeitliche Analyse der
Ergänzungshefte soll die politischen Veränderungen darstellen, welchen die Bearbeiter der
Hefte unterworfen waren. Diese strukturellen Analysen sollen helfen, die Quellen besser in
den historischen Prozess einzubinden.
Es folgt eine Analyse der Quellen anhand der darin verwendeten NS-Ideologie. Hier werden
die wichtigsten ideologischen Themenbereiche aufgearbeitet und gezeigt, wie die NS-
Ideologie in der Schule ihre Anwendung fand. Die inhaltliche Analyse der Broschüren hat den
Zweck darzulegen, wie die NS-Ideologie den Schülern vermittelt wurde, oder anders
formuliert, wie die Ideologie als theoretisches Konstrukt in der Praxis, im Ergänzungsheft,
seine Anwendung fand.

9
1.2
Literatur, Forschungsstand und Quellenlage
Wolfgang Keim hat mit seinem zweibändigen Werk "Erziehung unter der Nazi-Diktatur" aus
dem Jahre 1997 versucht, eine Gesamtübersicht zu den in den vergangenen fünfzehn Jahren
erschienenen Untersuchungen zum Thema Pädagogik im Nationalsozialismus zu erarbeiten.
27
Die Schule gehört nach Aussagen des Autors zu einem der am besten recherchierten Bereiche
der NS-Erziehungspolitik.
28
Die Einschätzung von Keim wird zwar durch eine nahezu
unüberblickbare Anzahl von Veröffentlichungen bestätigt, trifft jedoch nicht, wie Margarete
Götz in ihrem Band "Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus" beschreibt, für
alle Klassenstufen der Schule zu.
29
In Anbetracht der zu untersuchenden Quellen trifft die
Aussage Keims auch nicht auf alle im Nationalsozialismus benutzten Lehrmittel und vor
allem nicht auf die Ergänzungshefte zu. Dieses Forschungsdefizit liegt in der Natur der Sache:
Bis in die siebziger Jahre hinein blieben Publikationen, die sich mit der Schule im
Nationalsozialismus befassten, eine Seltenheit. Zu den wenigen Studien gehörte das Buch von
Rolf Eilers "Die nationalsozialistische Schulpolitik",
30
welches 1963 erschienen ist. Hans-
Jochen Gamm veröffentlichte 1964 einen umfangreichen Quellenband "Führung und
Verführung"
31
indem das Schulwesen untersucht wurde. Diese umfangreiche
Quellensammlung zur Pädagogik des Nationalsozialismus hatte das Ziel, "unserer
ungeschützten Demokratie durch politische Bildung einen wichtigen Dienst zu leisten. Die
bildende Einsicht kann gerade am perversen "Erziehungsfuror" (Eduard Spranger,
Erziehungswissenschaftler) der Nationalsozialisten gewonnen werden".
32
Im Jahre 1977 veröffentlichte Kurt-Ingo Flessau die oben erwähnte Schrift "Schule der
Diktatur". Er vertrat darin die These: "Die NS-Schule stellt sich dar, als Instrument eines
Herrschaftssystems, einer politischen Interessengruppe, nämlich der NSDAP und ihrer
Organisationen, die den Staat in ihre Gewalt gebracht und ihn zum totalen Staat gemacht
haben. Die Schule wurde zum Vollzugsorgan einer Partei und wichtige, ja wichtigste Instanz
27
Keim, Wolfgang: Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Band I: Antidemokratische Potentiale. Machtantritt
und Machtdurchsetzung, Darmstadt 1995; Vgl. Band II: Kriegsvorbereitung. Krieg und Holocaust,
Darmstadt 1997, S. 6-7. Als Einstiegsliteratur eignet sich, Langewiesche, Dieter/Tenorth Heinz-Elmar
(Hg.): Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur 1918-1945, Band V), München 1989.
28
Keim, Wolfgang: Erziehung im Nationalsozialismus. Beiheft 1990 zur "Erwachsenenbildung in
Österreich", Wien 1990, S. 29.
29
Götz, Margarete: Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Untersuchung der inneren
Ausgestaltung der vier unteren Jahrgänge der Volksschule auf der Grundlage amtlicher Massnahmen,
Würzburg 1997, S. 9.
30
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik.
31
Gamm, Hans-Jochen: Führung und Verführung. Pädagogik im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1964.
32
Zitiert nach Gamm, Führung und Verführung, S. 10.

10
im Bildungsbereich".
33
Flessau versucht, seine These zu erhärten, indem er einerseits die
wechselseitigen Beziehungen zwischen den Machthabern und ihrer NS-Ideologie und
andererseits die Lehrpläne sowie die Lehrinhalte untersucht. Er richtet seine Analyse dabei
auf Richtlinien und Schulbücher, welche in der Volksschule und in der höheren Schule der
damaligen Gegenwart gebräuchlich waren.
34
Helmut Scholtz hat gegen diese Arbeit kritische
Einwände erhoben, da die Quellenbasis zu schmal und die Argumentation Flessaus nicht frei
von Pauschalurteilen sei.
35
Elke Nyssen veröffentlichte 1979 die Studie "Schule im Nationalsozialismus".
36
Darin
verbreitert sie Flessaus Ansatz, der die Hauptaufgabe der Schule in der Vermittlung der NS-
Ideologie sieht, indem sie die Schule im Nationalsozialismus mit den Kategorien einer
bildungssoziologisch orientierten Theorie von Schule aufarbeitet. Sie untersucht die
Qualifizierungs-, Selektions- und Integrationsfunktionen der Schule in ihrem Verhältnis
zueinander.
37
Die Dissertation von Ottwilm Ottweiler über "Die Volksschule im Nationalsozialismus",
wurde 1979 veröffentlicht und stellt die erste Monographie dar, welche ausschliesslich die
Volksschule im Nationalsozialismus zum Thema hat. Mit der Erschliessung von unbeachteten
Archivbeständen konnte Ottweiler neue Einsichten in den Schulaufbau, die ergriffenen
schulrechtlichen Massnahmen, die Schulstruktur und die Lehrerbildung für das
Volksschulwesen gewinnen.
38
Harald Scholtz, der zu den besten Kennern des NS-Schulsystems gehört, versucht in seinen
Publikationen das erzieherische Geschehen in der Schule während der Zeit des National-
sozialismus zu rekonstruieren. Er legt in seinen Studien Wert auf die Schule als umfassendem
und grundlegendem Ort nationalsozialistischer Machtsicherung, wobei er, im Gegensatz zu
33
Zitiert nach Flessau, Schule der Diktatur, S. 10.
34
ibid. S. 10.
35
Scholtz, Helmut: Zum Stand der erziehungswissenschaftlichen Erforschung der Schule der NS-Herrschaft.
Zu Kurt-Ingo Flessau: Schule der Diktatur, in: Zeitschrift für Pädagogik 24 (1978), S. 965-973.
36
Nyssen, Elke: Schule im Nationalsozialismus, Heidelberg 1979, S. 15-16.
37
Kritiker werfen Elke Nyssen vor, nur ihren theoretischen Ansatz beweisen zu wollen und keine
realhistorische Untersuchung durchzuführen. Gründe dafür sind ihre Auswahl qualitativ unterschiedlicher
Quellenbelege und die Vernachlässigung der schulart- und der schulstufenspezifischen Differenzierung.
Vgl. die Rezension von Klafki, Wolfgang: Elke Nyssen. Schule im Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für
Pädagogik 26 (1980), S. 441-445. Sowie die von Nemitz, Rolf: Was man von der Volksschule im
Nationalsozialismus über die "normale Schule" lernen könnte, in: Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum
(Hg.), Heil Hitler, Herr Lehrer. Volksschule 1933-1945, Das Beispiel Berlin, Hamburg 1983, S. 237-252,
geübte Kritik an Nyssens theoretischem Zugriff auf die Schule im Nationalsozialismus.
38
Ottweiler, Ottwilm: Die Volksschule im Nationalsozialismus, Weinheim 1979, S. 2.

11
Flessau, die Durchsetzung und Reichweite der NS-Erziehungspolitik untersucht.
39
Für den
thematischen Zusammenhang der Untersuchung von NS-Ideologie in Ergänzungsheften ist
der von Scholtz gewonnene Befund von Bedeutung. Er meint, "dass es keine einheitliche
Konzeption nationalsozialistischer Erziehung und dementsprechend auch keine aus der
politischen Ideologie abgeleitete nationalsozialistische Didaktik" gab.
40
Als Folge des Generationenwechsels in der Universitätspädagogik, in der neue
Forschungsperspektiven wie die Kritische Theorie der Frankfurter Schule einerseits und die
sozialwissenschaftliche Orientierung der Pädagogik andererseits eingeführt wurden, brachten
es mit sich, dass zu Beginn der achtziger Jahre das Interesse an der Erforschung des
Nationalsozialismus zunahm.
41
Dieses Interesse schlug sich in einer Fülle von Publikationen
zur Schule in der Nazizeit nieder, indem die schulhistorischen Untersuchungen nun
methodisch erweitert und verfeinert wurden und zudem eine thematische Differenzierung und
Regionalisierung stattfand.
42
In der Folge entstand eine riesige Anzahl von
regionalgeschichtlich orientierten Arbeiten und von Publikationen, die sich auf die
verschiedenen Unterrichtsfächer bezogen.
43
Gemeinsam ist allen Wissenschaftlern, dass sie sich bevorzugt mit dem Fächerspektrum des
höheren Schulwesens auseinandersetzen. Nur vereinzelt werden Lehrinhalte der oberen
Jahrgänge der Volksschule in die Untersuchung einbezogen, während den Fächern der
Grundschule kaum Beachtung geschenkt wird.
44
39
Scholtz hat seine Fragerichtung in verschiedenen Bänden publiziert. Vgl. Scholtz, Helmut: Erziehung und
Unterricht unterm Hakenkreuz, Göttingen 1985; ders.: Schule unterm Hakenkreuz, in: Dithmar, Reinhard
(Hg.), Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuweid 1989, S. 1-20.
40
Zitiert nach Scholtz, Schule unterm Hakenkreuz, S, 1-20, S. 4.
41
Als Beispiel seien hier die beiden Bände von Manfred Heinemann erwähnt. Heinemann, Manfred (Hg.):
Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Band I: "Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung"; Band
II: "Hochschule, Erwachsenenbildung", Stuttgart 1980.
42
Die methodischen Möglichkeiten der "oral history" fanden ihre Anwendung bei der erziehungshistorischen
Erforschung des Nationalsozialismus. In der historischen Erziehungswissenschaft hat sich ein
Forschungstrend herausgebildet, der sich an der Geschichtswissenschaft orientiert. Untersucht wird die
subjektiv erlebte Geschichte d.h. die Rekonstruktion der alltagsgeschichtlichen Perspektive in der NS-Zeit.
Vgl. Peukert, Detlev: Alltag im Nationalsozialismus, in: Herrmann, Ulrich (Hg.), "Die Formung des
Volksgenossen". Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches, Weinheim 1985, S. 40-64; Klafki, Wolfgang:
Zwischen Führerglauben und Distanzierung, in: Herrmann, Ulrich (Hg.), "Die Formung des
Volksgenossen". Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches, Weinheim 1985, S. 314-332.
43
Aus dieser Auswahl seien die Monographien zu den Unterrichtsfächern Geschichte und Biologie erwähnt.
Vgl. Gies, Horst: Geschichtsunterricht unter der Diktatur Hitlers, Köln 1992; Bäumer-Schleinkofer, Änne:
NS-Biologie und Schule, Frankfurt a.M. 1992. Sie werden durch eine ganze Reihe von Beiträgen ergänzt,
die in fachdidaktischen Zeitschriften erschienen sind oder in Sammelbänden wie z.B. von Reinhard
Dithmar. Dithmar, Reinhard (Hg.): Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989.
44
Götz, Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 12-13.

12
Nur Karin Lauf-Immesberger hat in ihrer Inhaltsanalyse "Literatur, Schule und National-
sozialismus" die Ergänzungshefte als Träger der NS-Ideologie näher untersucht.
45
Die
Mehrheit der Autoren konzentriert sich hingegen auf die Erläuterung der erlassenen
Richtlinien und deren Verwirklichung in den Schulen und in den Unterrichtsfächern. Dass
unter Aufsicht des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) fast alle Verlagshäuser den
Schulen ab 1933 in eigener Regie spezielle Lehrmittel zur Verfügung gestellt haben, findet
kaum Erwähnung.
46
Wenn Analysen bezüglich Lehrmitteln vorgenommen wurden, betrifft
dies ausnahmslos die Schulbücher. Die vorliegende Arbeit soll anhand der analytischen
Untersuchung von Ergänzungsheften dazu dienen, die Erziehungswirklichkeit im
Nationalsozialismus als Indoktrination, als Massenpropaganda und als Verhaltensformung des
"neuen Volksgenossen" darzustellen.
Die Antwort auf die Frage, warum eine Forschungslücke für die Untersuchung von
Ergänzungsheften besteht, lässt sich vielleicht dahingehend beantworten, dass der für die
Untersuchung gefundene Quellenbestand im Georg-Eckert-Institut für internationale
Schulbuchforschung in Braunschweig als einer der wenigen vorhandenen bezeichnet werden
kann. Diese Quellen gehören zu einem grösseren Bestand an Schul- und Lehrbüchern, welche
der Verlag Ferdinand Hirt in Breslau veröffentlicht hat und vom Georg-Eckert-Institut
übernommen werden konnte. Auch der Verlag Heinrich Handel, von dem Ergänzungshefte
zur Verfügung stehen, hatte seinen Stammsitz in Breslau. Einige der Verlagshäuser, welche
Ergänzungshefte publizierten, sind nach dem Krieg geschlossen worden oder mussten ihren
Stammsitz verlassen. Es ist anzunehmen, dass dadurch viele dieser Broschüren vernichtet
wurden. Hinzu kommt, dass im Laufe des Krieges die Flut der Broschüren merklich
zurückging,
47
und dass nach 1945 vorerst niemand mehr an der Ideologie des
Nationalsozialismus interessiert war und bekanntlich gehörte Papier, während und nach dem
Krieg, zur gesuchten Mangelware.
Somit ist die Quellenbasis für diese Untersuchung im Gegensatz zu den in Millionenhöhe
publizierten Ergänzungsheften äusserst schmal.
48
Wir beschränken uns in dieser Arbeit auf
die Unterrichtsfächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde/Geographie.
45
Lauf-Immesberger, Karin: Literatur, Schule und Nationalsozialismus. Zum Lektürekanon der höheren
Schule im Dritten Reich, Sankt Ingbert 1987.
46
Eine Ausnahme bilden Rolf Eilers, der die Richtlinien zur Einführung von Ergänzungsheften erwähnt. Vgl.
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 28 und Kanz, Heinrich (Hg.): Der Nationalsozialismus als
pädagogisches Problem. Deutsche Erziehungsgeschichte 1933-1945, 2. verb. und ergänzte Aufl., Frankfurt
a.M. 1990, S. 184-187.
47
Vgl. Lauf-Immesberger, Literatur, Schule und Nationalsozialismus, S. 105.
48
ibid. S. 105.

13
1.3
Entstehung und Aufbau der Arbeit
"Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit
veränderten Mitteln." Diese bekannte Aussage von Carl von Clausewitz aus den Jahre 1827
erklärt kurz und prägnant, dass Krieg keine auf militärische Aktionen beschränkte
Angelegenheit ist, sondern auch politische Ziele der jeweiligen Kriegsparteien mit
einschliesst. "Krieg kann demnach nur aus den jeweiligen politischen Verhältnissen heraus
verstanden werden, besitzt er doch allenfalls eine eigene Grammatik, niemals jedoch eine
eigene Logik."
49
In der heutigen Historiographie hat sich das Blickfeld von der reinen kriegerischen
Auseinandersetzung hin zu einer allumfassenden Sichtweise des Krieges verlagert.
Verschiedenste Aspekte beeinflussen einen Krieg und mit der Entstehung der Volkskriege ist
die Bevölkerung zu einem der tragenden Elemente geworden. Zur Bevölkerung gehören aber
nicht nur Männer, die als Soldaten an der Front stehen, Frauen die an der Heimfront, teilweise
auch in der Rüstungsindustrie tätig sind, sondern auch Kinder. Sie werden genau so wie ihre
Eltern in einen Krieg mit einbezogen und zählen häufig zu den Opfern eines Krieges.
Aber wie erlebten Kinder den Zweiten Weltkrieg? Wie wurden sie in das NS-System
einverleibt? Was änderte sich in ihrem Leben? Auf diesen Fragen aufbauend wurden in einem
ersten Schritt Monographien zu Kindern im Zweiten Weltkrieg, bezogen auf die Schule im
Dritten Reich, und in einem weiteren Schritt Schulbücher aus dieser Zeit durchgearbeitet. Die
daraus gewonnenen Ergebnisse zeigen, dass in den verschiedenen Schulbüchern, die während
jener Zeit in Gebrauch waren, NS-Ideologie präsent war, aber ihre Intensität sich gegenüber
unseren Erwartungen in Grenzen hielt. Bei der systematischen Suche nach NS-Ideologie in
Schulbüchern wurde im Georg-Eckert-Institut in Braunschweig ein Bestand von
Ergänzungsheften ausfindig gemacht.
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben es bald nahegelegt, den Schwerpunkt von einer
generellen Analyse von Schulbüchern auf eine systematischere und enger gefasste
Untersuchung der Ergänzungshefte zu verschieben.
49
Zitiert nach Förster, Stig/Kroener, Bernhard/Wegener Bernd, (Herausgeber zur Reihe Krieg in der
Geschichte (KRiG)), in: Dahlmann, Dittmar (Hg.), Kinder und Jugendliche in Krieg und Revolution. Vom
Dreissigjährigen Krieg bis zu den Kindersoldaten Afrikas, Paderborn 2000, Vorwort.

14
In einem ersten Kapitel werde ich die wichtigsten Erneuerungen und Veränderungen des
Schulsystems nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten diskutieren. Die wichtigsten
Veränderungen werden in diesem Kapitel aber nur kurz angesprochen. Auf die verschiedenen
neu entstandenen Schultypen (NAPOLAS,
50
Adolf-Hitler-Schulen (AHS)
51
usw.), die
während des Dritten Reiches entstanden sind, kann in dieser Arbeit nicht eingegangen
werden, da sie den Rahmen unserer Untersuchung um ein Vielfaches sprengen würden.
52
Im
Dritten Reich durchliefen über neunzig Prozent der Schüler eines Schuljahrganges die
Volksschule und erhielten dort ihre schulische Erziehung. Was die Anzahl und Breite betrifft,
war die Volksschule dem Zugriff nationalsozialistischer Indoktrination am stärksten
ausgesetzt.
53
Die Ergänzungshefte, die für diese Untersuchung zur Verfügung standen, waren
für die Volksschule konzipiert und fanden hauptsächlich dort ihre Anwendung.
Im Hauptteil der Arbeit wird der Inhalt der Broschüren zuerst fächerspezifisch und danach
anhand der NS-Ideologie untersucht. Das erste Thema (Kapitel 4.1) behandelt das NS-
Jugendbild bzw. das Bild, welches sich Hitler und seine Mitstreiter über die zukünftige
Jugend und ihre Aufgabe im völkischen Staat machten. Das Thema Führerstaat (Kapitel 4.2)
bildet einen weiteren Teil der Untersuchung. Hitler bekräftigte mehrmals, dass dem
Führerstaat gegenüber der Demokratie der Vorzug zu geben sei, und dies versuchten sie auch
den Schülern zu vermitteln. Altnordische Dichtung, Ahnen-Verehrung und die verschiedenen
NS-Feiern gehörten zum festen Bestandteil in der Erziehungspolitik der Nationalsozialisten
für die unteren Jahrgänge der Schule und auch diese Thematik wird im Kapitel 4.3
aufgearbeitet. Die NS-Sozialpolitik (Kapitel 4.4) sollte den Schülern das Überwinden der
Klassengegensätze verständlich machen und in ihnen das Gefühl für die "Volksgemeinschaft"
wecken. Die Mythologisierung des Bauerntums als "Quelle des deutschen Blutes" wird im
Kapitel 4.5 untersucht. Das Bauerntum lag im Interesse der NS-Regierung und wurde mit
50
Die Idee zur Gründung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA, im nichtoffiziellen
Sprachgebrauch Napolas) beanspruchten sowohl Hitler wie auch der Reichserziehungsminister Bernhard
Rust für sich. Sie gehen jedoch mit Gewissheit auf Rust und seine beiden Mitarbeiter Haupt und Sunkel
zurück. Am 20. April 1933, zum Geburtstag Hitlers, wurden in Köslin, Plön und Potsdam aus den
staatlichen Bildungsanstalten (Kadettenanstalten) die ersten Nationalpolitischen Erziehungsanstalten
gegründet.
51
Die Gründung der Adolf-Hitler-Schulen (AHS) erfolgte 1937 durch den Reichsjugendführer Baldur v.
Schirach und den Leiter der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley als reine Parteischulen unter Umgehung
des Zuständigkeitsbereiches von Reichserziehungsminister Rust. Die Adolf-Hitler-Schulen sollten durch
permanente Auslese ein Funktionärskorps schaffen, dem sich dann automatisch gute Karrieremöglichkeiten
in Partei und Staat eröffneten.
52
Vgl. Ueberhorst, Horst: Elite für die Diktatur. Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten 1933-1945, Ein
Dokumentarbericht, Düsseldorf 1969; Leeb, Johannes: "Wir waren Hitlers Eliteschüler." Ehemalige
Zöglinge der NS-Ausleseschulen brechen ihr Schweigen, Hamburg 1998.

15
dem Schlagwort "Blut und Boden"
54
in Zusammenhang gebracht. Das Thema "Volk ohne
Raum"
55
bzw. die Ostexpansion (Kapitel 4.6) wird in den Ergänzungsheften oft erwähnt und
gehörte zu Hitlers wichtigsten Ideologien, die er durchsetzen wollte. Der
Rassismus/Antisemitismus (Kapitel 4.7) sowie die Pflege der eigenen Rasse (Kapitel 4.8)
gehörten zu den wichtigsten Bestandteilen Hitlerschen Denkens. Diese Ideologien ziehen sich
wie ein roter Faden durch die Ergänzungshefte und auch ihnen wird je ein Kapitel gewidmet.
Im letzten Kapitel 4.9 wird auf die Stellung der Frau im Dritten Reich eingegangen. Diese
neun Kapitel bilden den Hauptteil der Arbeit und sie werden jeweils mit einer Zwischenbilanz
beendet, in der die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst sind.
In der Schlussdiskussion werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Untersuchung
schematisch zusammengefasst und die Forschungsergebnisse anhand der Fragestellung
diskutiert.
Schliesslich noch ein Hinweis auf die Schwierigkeit im Gebrauch von NS-Terminologie. Die
Nationalsozialisten verwendeten viele Begriffe in manipulativer Absicht. Dies gilt bereits für
Begriffe wie "Nationalsozialismus" oder "Drittes Reich". Der Begriff "Menschenmaterial" ist
nur ein Beispiel für den menschenverachtenden Gebrauch von Begriffen. Im Interesse der
Lesbarkeit werden aber nur dort Anführungszeichen gesetzt, wo sie unbedingt erforderlich
erscheinen; sonst wird auf die Klarheit und Eindeutigkeit des Kontextes vertraut.
53
Ortmeyer, Benjamin: Schulzeit unterm Hitlerbild. Analysen, Berichte, Dokumente, Frankfurt a.M. 2000, S.
21.
54
Das Idiom Blut und Boden findet sich schon 1901, lange bevor es zum gängigen NS-Schlagwort wurde, im
Vorwort einer Schrift von M. G. Conrad: "Von Emile Zola bis Gerhart Hauptmann. Erinnerungen zur
Geschichte der Moderne." Der nächste bekannte Beleg findet sich 1922 bei Oswald Spenglers "Untergang
des Abendlands" und steht dort bereits im Kontext einer mystischen Deutung des innigen Verbundenseins
"vom ewigen Land und ewigen Blute", wie sie später von R. W. Darré wieder aufgegriffen wird.
55
Das Idiom Volk ohne Raum geht auf Hans Grimm zurück, welcher 1926 ein Buch unter dem
gleichnamigen Titel veröffentlichte. Er selbst bezeichnete dieses Buch als eine "deutsche" und "politische"
Erzählung.

16
2
DAS DEUTSCHE SCHULSYSTEM ZU BEGINN DER MACHTERGREIFUNG
Dieses Kapitel zum deutschen Schulsystem zu Beginn der Machtergreifung kann nur einen
kleinen Teil der verschiedenen Massnahmen und Erlasse behandeln, welche die
Nationalsozialisten ergriffen, um die Schule nachhaltig zu verändern. Die im Folgenden
erwähnten Schritte der NS-Regierung sollen dazu dienen, auf die Thematik der
Ergänzungshefte vorzubereiten und sie in einen historischen Kontext zu stellen. Zu diesem
Kapitel können wir somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Harald Scholtz hat die drei Hauptphasen der NS-Schulgeschichte so skizziert: Bis 1936 war
es für die Nationalsozialisten notwendig, die errungene Macht erst einmal zu sichern. In
diesen Jahren "hielten sich Kontinuität und Veränderung innerhalb der Institution Schule die
Waage".
56
In der Phase von 1937 bis 1940 kam der Konkurrenzkampf zwischen der HJ um
Erziehungs-, teilweise auch um den Ausbildungsanspruch gegenüber der Schule "voll zur
Geltung".
57
Gleichzeitig versuchte die Partei über den NSLB und die Lehrerpresse stärker auf
den Erziehungsauftrag der Schule Einfluss zu nehmen, ohne jedoch die Schule selbst als NS-
Institution zu verstehen. Für Scholtz setzt nach 1940 eine zunehmende Tendenz zur
Umfunktionierung der Institution Schule zur Lagerschule ein, wobei die nun ideologisch
bestimmten Schulbücher eine bessere Bindung der Erziehung an die Propaganda
ermöglichten.
58
In der Folge setzte für Scholtz der Niedergang der Schule und des Unterrichts
ein. Eine "Mischung von Unterrichtserteilung, Lagerleben und kriegsdienstlichem Einsatz"
bestimmte die "realistische autoritäre Anarchie". Trotzdem boten sich für Einzelne auch
"Nischen" für "die Übernahme persönlicher Verantwortung".
59
2.1
Die NS-Erziehungsgrundlagen
Für die Nationalsozialisten bedeutete Erziehung etwas qualitativ anderes als im bis dahin
üblichen erziehungstheoretischen Verständnis. Dies zeigte sich bereits an den Begriffen, die
Hitlers Erziehungspolitik prägten und die bald in die NS-Terminologie aufgenommen
wurden. Wolfgang Keim hat die verschiedenen Passagen aus Hitlers Buch "Mein Kampf"
zusammengetragen. "Rassesinn" und "Rassegefühl" sollten "instinkt- und verstandesmässig in
Herz und Gehirn hineingebrannt" werden, "kerngesunde Körper herangezüchtet",
Nationalgefühl in die noch bildungsunfähigen Köpfe "hineingehämmert", die Jugendlichen
56
Zitiert nach Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, S. 130.
57
ibid. S. 130.
58
Vgl. Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, S. 130-131.

17
"geschliffen" und später "behandelt" werden, es ging um die "rassische Qualität des
gegebenen Menschenmaterials". Solche Beschreibungen haben nichts mehr zu tun mit einer
Pädagogik, die vom Schüler als eigenständiges Individuum ausgehen. Bei den Erziehungs-
und Bildungsvorstellungen der Nationalsozialisten geht es vielmehr um eine "Formations-
oder Zuchterziehung".
60
Wie oben dargelegt, wurde von den Nationalsozialisten Hitlers Buch "Mein Kampf" als "das
Standardwerk"
61
begriffen, in dem eine Weltanschauung präsentiert wurde, die das
Fundament für die "NS-Volksgemeinschaft" vorgab.
62
In dieses Ideenkonglomerat, einem
Produkt, wie Sebastian Haffner es nannte, eines "typischen Halbgebildeten",
63
fügten sich
auch die zentralen Vorstellungen zur Erziehung der Jugend ein. Die neue schulische
Erziehung der Jugend liess sich mit den NS-Grundannahmen wie Führerprinzip,
Rassenhygiene oder Volksgemeinschaft verbinden. Schon aus dem oben dargestellten
Vokabular, welches Hitler für seine Erziehungsvorstellungen benutzte, wird ersichtlich, dass
sein Erziehungsmodell auch als rassisches Zuchtprogramm interpretiert werden konnte, das
mit den traditionellen Erziehungs- und Bildungswerten nichts mehr gemein hatte. Zu Recht
hat Karl Christopf Lingenbach darauf hingewiesen, dass in der NS-Erziehungspolitik mit der
seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Vorstellung gebrochen wurde, "dass es eine Phase im
menschlichen Leben geben müsse, in der man sich auf die künftige Rolle als Erwachsener
nicht nur im Eigeninteresse, sondern auch im Interesse der Weiterentwicklung der
Gesellschaft zunächst einmal vorbereitet und eben deswegen von unmittelbarer Ausbeutung
verschont bleibt".
64
Im Nationalsozialismus standen die Jugendlichen unter dauernder
Fremdbestimmung und wurden anhand der NS-Ideologie angeleitet, sich bedingungslos in die
nach dem Führerprinzip hierarchisch gegliederte, deutsche "Volksgemeinschaft", als
überlegene Art- und Blutsgemeinschaft, einzufügen. Dazu gehörte auch eine totale
Einsatzbereitschaft, die mit der ständigen Wehrertüchtigung und mit dem Schwören auf den
59
Zitiert nach Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, S. 131.
60
Zitiert nach Keim, Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Band I, S. 18-19.
61
Victor Klemperer bezeichnet das Buch "Mein Kampf" als die "Bibel" der Nationalsozialisten. "Durch die
Machtübernahme" der Partei wurde [die Sprache der Nationalsozialisten] ab 1933 aus einer Gruppen- zu
einer Volkssprache, d.h., sie bemächtigte sich aller öffentlichen und privaten Lebensgebiete: der Politik, der
Rechtsprechung, der Wirtschaft, der Kultur, der Wissenschaft, der Schule, des Sportes, der Familie, der
Kindergärten und der Kinderstuben." Zitiert nach Klemperer, Victor: Lingua Tertii Imperii. Die Sprache
des Dritten Reiches, Leipzig 1975, S. 25.
62
Hitler, Mein Kampf, S. 21.
63
Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler. München 1978, S. 11.
64
Zitiert nach Lingelbach, Karl Christopf: "Erziehung" unter der NS-Herrschaft ­ methodische Probleme
ihrer Erfassung und Reflexion, in: Keim, Wolfgang (Hg.), Pädagogen und Pädagogik im
Nationalsozialismus - Ein unerledigtes Problem der Erziehungswissenschaft, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1990,
S. 47-63, S. 59.

18
Führer indoktriniert wurde. Die Zielvorstellung der NS-Ideologie war die Schaffung des
"nationalsozialistischen Menschen", aber schon früh gehörte auch "Krieg" zu den zentralen
Zielen.
65
Die schulischen Veränderungen, die nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahr
1933 eingeführt wurden, waren nicht das Resultat einer klar definierten politischen Absicht
der Führung. Zu diesem Zeitpunkt hatten weder die Regierung noch die pädagogischen
Theoretiker ein in sich geschlossenes, stringentes Erziehungskonzept erarbeitet, das bei der
Machübernahme zu Verfügung gestanden hätte.
66
Hingegen war ihnen allen klar, dass sich
das neue Konzept grundlegend vom traditionellen konfessionellen, sozialistischen und
psychoanalytischen Erziehungsdenken unterscheiden sollte und die Nationalsozialisten
machten sich daran, jenes Denken aus dem pädagogischen Diskurs auszuschliessen. Die
neuen Machthaber setzten alles daran, Erziehungstheoretiker, die das neue Erziehungsdenken
nicht propagierten oder gar ablehnten, auszugrenzen und zur Emigration zu zwingen.
Mit dem Machtantritt wurde die NS-Erziehungstheorie auf bestimmte Thesen und Ideen
eingeschränkt, die von zwei führenden Protagonisten und, wie schon erwähnt, von Hitler
67
bestimmt wurden. Der erste war Ernst Krieck,
68
der 1933 an der Universität Frankfurt als
erster NS-Rektor angestellt wurde und ab 1934 in Heidelberg lehrte, und dann auch Alfred
Baeumler,
69
der seit 1933 an der Universität Berlin lehrte.
70
Die beiden Wissenschaftler
konnten sich bei der Entwicklung ihrer Theorien auf das breite Spektrum der deutschen
65
Lingelbach geht davon aus, dass es sich beim Nationalsozialismus um ein historisch einzigartiges
Phänomen handelt, welches den Einsatz des Lebens im Krieg selbst zum ausreichenden Ziel erklärte und
demgegenüber die abstrakt beschworene Zukunft blass und konturlos blieb. Die einzig wirklich greifbare
und durchgängige Zielsituation der ständig mobilisierten, inhaltlich aber nicht fixierten
"Einsatzbereitschaft" blieb der Krieg. Vgl. Lingelbach, "Erziehung" unter der NS-Herrschaft, S. 47-63, S.
61.
66
Gies, Geschichtsunterricht unter der Diktatur Hitlers , S. 7.
67
Vgl. Hilters Erziehungstheorie, Hitler, Mein Kampf, S. 451-478.
68
Ernst Krieck, 1882-1947, zunächst Volksschullehrer, später an der Pädagogischen Akademie Frankfurt
tätig, nach 1933 Professor an der Universität in Frankfurt a.M. und Heidelberg, veröffentlichte zahlreiche
Schriften zur nationalsozialistischen Erziehungslehre. Die bedeutendsten darunter sind: Menschenformung,
Leipzig 1925; Erziehungsphilosophie, Berlin 1930; Nationalpolitische Erziehung, Leipzig 1932; Erziehung
im nationalsozialistischen Staat, 1935; Völkisch-Politische Anthropologie, 3 Bände, Leipzig 1936; Kriecks
Einfluss ging seit 1937 stark zurück. Vgl. Giesecke, Hermann: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis
nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim 1993, S. 31-74.
69
Alfred Baeumler, seit 1929 Professor für Philosophie an der Technischen Hochschule Dresden, übernahm
1933 einen neugeschaffenen Lehrstuhl für politische Pädagogik an der Universität Berlin, den er bis 1945
innehatte. Baeumler gab u.a. die Zeitschrift "Weltanschauung und Schule" heraus. Von seinen Werken sind
von Bedeutung: Politik und Erziehung, Berlin 1937; Bildung und Gemeinschaft, Berlin 1942; Männerbund
und Wissenschaft, Berlin 1934. Vgl. Giesecke, Hitlers Pädagogen, S. 75-124.
70
Siehe grundlegend Lingelbach, Karl Christoph: Erziehung und Erziehungstheorien im
nationalsozialistischen Deutschland. Ursprünge und Wandlungen der 1933-1945 in Deutschland
vorherrschenden erziehungstheoretischen Strömungen, Ihre politischen Funktionen und ihr Verhältnis zur

19
Geistesgeschichte stützen. Die Erziehungslehre des Nationalsozialismus ging aber
letztendlich von einer Theorie aus, die aus den lebensreformerischen
Erneuerungsbewegungen und als Reaktion auf die veränderten Lebensbedingungen
entstanden war. Allen diesen geistigen Bewegungen war die Flucht aus der Moderne hin zur
Bildung eines romantisch verklärten Lebensideals gemeinsam. Sie suchten eine neue
"organische Lebensordnung", die sie im Volk, im Bauerntum und in der germanischen
Vorzeit verwirklicht sahen.
71
Die Protagonisten der NS-Erziehung konnten zudem auch an völkische, patriarchalische,
antidemokratische, antiparlamentarische, antisemitische oder antimarxistische Traditionen
anknüpfen, die schon lange vorher bestanden hatten. Die pädagogischen Theoretiker nahmen
Aspekte dieser Denktraditionen in ihre Theorie auf und fügten weitere Elemente der seit dem
ausgehenden 19. Jahrhundert entstandenen "Reformpädagogik" oder der "Jugendbewegung",
in denen die Idee der Gemeinschaft, des gemeinsamen Erlebens, der Gefolgschaft und des
Aufbruchs in ein neues Leben in Ansätzen vorhanden waren, hinzu.
72
Vor allem diese pädagogischen Reformbewegungen hatten auf die erzieherische Haltung der
jüngeren Lehrerschaft einen bedeutenden Einfluss, denn sie liess die alte schulische
Denktradition hinter sich und ging von neuen, gänzlich anderen Impulsen aus. Ihr Ziel war die
Befreiung der kindlichen Persönlichkeit aus den Zwängen der traditionellen Lernschule.
73
Die
pädagogische Reformbewegung übernahm aber sehr schnell auch Elemente wie Rassismus
und Antisemitismus in ihr Programm auf. Vor allem aber erzeugte sie eine allgemeine
Reformbereitschaft und bereitete so der NS-Erziehungsreform, ohne es zu wollen, den Weg.
Krieck und Bäumler übernahmen von ihnen die kulturkritischen, speziell die extrem völkisch-
antidemokratischen und teilweise rassistischen Wendungen. Den beiden Theoretikern gelang
es, aus diesen verschiedenen Ansätzen jene Elemente für die NS-Erziehung zu gewinnen, die
sich am besten instrumentalisieren liessen. Die Schriften von Bäumler und vor allem die von
Krieck erlangten im Dritten Reich eine grosse Bedeutung.
ausserschulischen Erziehung des "Dritten Reiches", Überarb. Zweitausgabe mit drei neueren Studien und
einem Diskussionsbericht, Frankfurt a.M. 1987; jüngere Einordnungen: Giesecke, Hitlers Pädagogen.
71
Vgl. grundlegend Mosse, George L.: Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des
Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1991.
72
ibid. Teil I und Teil II, S. 21-248.
73
Ein kurzer Abriss der Reformbewegung findet sich in Oelkers, Jürgen: Erziehung und Gemeinschaft: Eine
historische Analyse reformpädagogischer Optionen, in: Berg, Christa/Ellger-Rüttgardt Sieglind (Hg.), "Du
bist nichts, Dein Volk ist alles." Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus,
Weinheim 1991, S. 22-45.

20
Der Inhalt der entstandenen Theorie lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen:
Sie baut auf der Auffassung auf, dass Volk, Staat und Gesellschaft eine Ganzheit, ein
einheitlicher Organismus sei, zu der jeder Einzelne im Verhältnis eines Gliedes stehe. Der
Idealstaat ist also die Form eines gesunden Organismus, geleitet und geführt von seinem
"Haupt", dem Führer und seinen "Gliedmassen", jedes Glied an seinem richtigen Platz in
seiner richtigen Funktion.
74
Diese in sich dürftigen Thesen, die keinerlei Ansätze für einen organisatorischen Umbau des
Schulsystems oder eine methodische Erneuerung der Schule erkennen liessen, vermochten
trotzdem grosse Teile der Lehrerschaft zu überzeugen, da sie dem gleichen Zeitgeist
entstammten wie jene geistigen Strömungen, denen sie sich zugehörig fühlten. Der Einbezug
der Lehrerschaft in das NS-Erziehungssystem mag auch durch den Umstand erleichtert
worden sein, dass diese vorwiegend jenen Kreisen des Mittelstandes, und vor allem seines
kleinbürgerlichen Teils, entstammte, die eine fast schichtentypische politische Bereitschaft
besass, sich mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren.
75
2.2
Die Gleichschaltung der Lehrerschaft
Der aus dem NS-Sprachgebrauch übernommene Begriff "Gleichschaltung"
76
umschreibt den
Prozess faschistischer Formierung des Bildungs- und Erziehungswesens nach dem 30. Januar
1933.
Die ergriffenen Massnahmen zur Aufhebung der Länderkompetenzen erhielten durch das
"Gesetz über den Neubau des Reiches" erst am 30. Januar 1934 Rechtskraft.
Reichsinnenminister Wilhelm Frick versuchte jedoch schon vor dem Bestehen dieses
Gesetzes in die Länderkompetenzen einzugreifen. Seine Absichten wurden aber durch die
Gründung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM)
74
Organologisches Denken oder der "organische Staatsgedanke" geht zurück auf das Modell der
staatswissenschaftlichen Tradition, die vom englischen Philosophen Thomas Hobbes begründet wurde und
in seinem Konzept des Leviathan (1651) Anwendung fand.
Das Thema Führerschaft zog sich ab Mitte und Ende der zwanziger Jahre wie ein roter Faden durch Hitlers
Reden und Schriften. "Das Volk bilde, so Hitler eine Pyramide, an deren Spitze "das Genie, der grosse
Mann" stehe." Zitiert nach Kershaw, Ian: Hitler 1889-1936, Band I, Stuttgart 1998, S. 370-371.
75
Vgl. Bracher, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des
Machtzerfalls in der Demokratie, Königstein 1978, S. 162; Keim, Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Band
I, S. 104-110.
76
Wort aus der Elektrotechnik: Von der NS-Propaganda eingesetzt zur Bezeichnung der Ausrichtung von
Verbänden, Organisationen, Parteien und schliesslich jedes einzelnen Bürgers auf die Ziele der
nationalsozialistischen Politik; geprägt von Reichsjustizminister Franz Gürtner für die Formulierung des
Gesetzes vom 31.3.33 zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich. Keim, Erziehung unter der Nazi-
Diktatur, Band I, Kapitel III, Anm. 1, S. 187.

21
vom 1. Mai 1934 durchkreuzt. An der Spitze dieses Ministeriums stand Bernhard Rust,
77
der
seit dem 6. Februar 1933 Preussischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
(PrMfWKuV) war.
78
Schon kurze Zeit nach der Machtergreifung wurde am 7. April 1933 das "Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (GWBB) eingeführt, womit eine restriktive
Personalpolitik geschaffen wurde. Es richtete sich gegen alle Beamten, die in
antifaschistischen Parteien und Organisationen (vor allem Mitglieder der KPD und später
auch der SPD) beteiligt waren sowie gegen die jüdische Beamtenschaft. Gemäss diesem
Gesetz wurden nach Paragraph 3 "alle nicht-arischen Lehrerinnen und Lehrer" und nach
Paragraph 4 alle, die "nicht Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den
nationalen Staat eintreten" aus dem Schuldienst bzw. der Beamtenschaft entlassen. Die
Entlassungen waren so einschneidend, dass im Schuljahr 1933/34 der Unterricht in den
Mittel- und Volksschulen nicht regulär wieder aufgenommen werden konnte.
79
Trotzdem gehörten viele Lehrer nicht zu den Opfern der Nationalsozialisten und haben das
neue Erziehungssystem bereitwillig unterstützt oder aber stillschweigend ertragen. Es sei hier
nochmals auf die oben erwähnten Denktraditionen und Reformbewegungen hingewiesen, die
aufzeigen, dass sich viele Pädagogen mit den Nationalsozialisten identifizierten. Verstärkend
hinzu kamen aber vor allem die in der Krise Weimars ablaufenden mentalen und realen
Veränderungen in der Erziehungspolitik wie die Kürzung der Reallöhne für Lehrer oder die
Abwertung des Lehrerberufes.
80
Der Anpassungsdruck durch die Nationalsozialisten von
oben und die Bereitschaft der Lehrer von unten haben sich offenbar wechselseitig verstärkt.
81
Distanz, Verweigerung oder gar Opposition und Widerstand waren eher die Ausnahme im
77
Bernhard Rust (1883-1945) war zentraler Repräsentant der NS-Erziehungspolitik während der Jahre 1933-
1945. Während der Weimarer Zeit war er als Studienrat in Lüneburg und Hannover tätig. Ab 1925 war er
für die Gauleitung der NSDAP in Hannover-Braunschweig zuständig und wurde 1930 in den Reichstag
gewählt. Ab dem 6. Februar 1933 wurde ihm die Geschäftsführung des preussischen Kultusministeriums
übertragen und am 1. Mai 1934 erfolgte seine Ernennung zum Reichs- und preussischen Minister für
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Dieses Amt behielt er bis zu seinem Selbstmord im April
1945. Vgl. Götz, Die Grundschule in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 22-25.
78
Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, S. 56-70.
79
Die meisten dieser Lehrer standen der KPD, der SPD oder auch der DDP nahe, vgl. Ortmeyer, Schulzeit
unterm Hitlerbild, S. 31-32.
80
Zur Situation der Lehrerschaft während der Weimarer Republik, siehe Keim, Erziehung unter der Nazi-
Diktatur, Band I, Kapitel II, S. 20-72.
81
Dementsprechend wird inzwischen zumindest von Teilen der historischen wie erziehungshistorischen
Forschung im Zusammenhang mit Gleichschaltung immer auch von Selbstgleichschaltung gesprochen.
Zitiert nach Keim, Erziehung unter der Nazi-Diktatur, Band I, S. 73.

22
alltäglichen Verhalten von Schulleitern und Lehrern in der NS-Ära. Anzumerken ist, dass
oppositionelles Verhalten allerdings nur selten aktenkundig geworden ist.
82
Die Nationalsozialisten unternahmen nach der ersten Phase der Gleichschaltung Massnahmen
zur Sicherung der NS-Linientreue, indem sie eine Umerziehung und Kontrolle des
Lehrernachwuchses verordneten. In Schulungslagern wurden den Lehrern die NS-Ideologie
und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Unterricht vermittelt. Die Machthaber
befürchteten, dass die Umgestaltung der Erziehungsinhalte durch Richtlinien und Lehrmittel
noch einen weiten Spielraum offen lassen würden und eine direkte Kontrolle des Lehrers
nicht möglich wäre. Diese Aufgabe der Umschulung der Lehrerschaft teilten sich
hauptsächlich zwei Institutionen: Das Zentralinstitut für Erziehung und der NSLB.
83
Aber sowohl das angestrebte Ziel einer zentralen Schulungsstätte für Volksschullehrer wie
das von Schulungslagern, in denen die ganze Lehrerschaft jährlich in NS-Weltanschauung
weitergebildet werden sollte, konnten nicht realisiert werden. Die Konkurrenz zwischen den
beiden Institutionen war zu stark, was eine Realisierung der Pläne verhinderte. Im Jahre 1936
kam es dennoch zu einer Verständigung zwischen dem NSLB und dem REM. Der NSLB war
zukünftig für die weltanschauliche Schulung zuständig, während sich die staatlichen
Institutionen nur noch in der fachlichen Weiterbildung betätigen durften.
84
2.3
Die Richtlinien und Lehrpläne
Die Erziehung wurde unter den Nationalsozialisten nicht nur insofern verändert, dass die
Lehrer an Umschlungsveranstaltungen teilnehmen mussten, die Machthaber bezogen in ihren
Prozess der Umgestaltung auch die erziehungspolitischen Richtlinien und die Lehrpläne mit
ein. Durch Einführung neuer Richtlinien, neuer Lehrpläne und verschiedener
Einzelverordnungen wurde der schulische Inhalt tiefgreifend verändert und durch die
vorgegebene Themenauswahl zusätzlich eingeschränkt und reglementiert. Die Einführung
eines Faches, wo der Nationalsozialismus bzw. die NS-Ideologie erläutert wurde, wurde nicht
82
Trapp, Joachim: Kölner Schulen in der NS-Zeit, Köln 1994, S. 1. Bezüglich oppositionelles Verhalten vgl.
van Dick, Lutz: Oppositionelles Verhalten einzelner Lehrerinnen und Lehrer zwischen Nonkonformität und
Widerstand in Deutschland 1933 bis 1945, in: Keim, Wolfgang (Hg.), Pädagogen und Pädagogik im
Nationalsozialismus - Ein unerledigtes Problem der Erziehungswissenschaft, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1990,
S. 113-128.
83
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 3-6. Der NSLB wurde 1927 von dem Bayreuther Lehrer
Hans Schemm (1891-1935) gegründet. Der Lehrerbund war, dank seiner guten Organisation, bereits im
Januar 1933 über das ganze Reichsgebiet verbreitet und hatte damals rund 11'000 Mitglieder. Dazu
gehörten auch Ernst Krieck als prominenter Erziehungswissenschaftler und Heinrich Scharrelmann als
bekannter Reformpädagoge. Bis 1936 waren rund 97% aller Lehrer Mitglied in NSLB. Ende 1933 war fast
jeder dritte Lehrer Mitglied in der NSDAP.
84
ibid. S 4.

23
in Betracht gezogen. Hingegen wurden die bestehenden Fächer verändert und der Lehrstoff so
ausgerichtet, dass er den Erwartungen der Machthaber entsprach.
85
Eine Änderung der
Schulpraxis ging in Richtung emotionaler Formierung, wo symbolische Handlungen wie die
Ehrung der Hakenkreuz-Flagge, ein bald weit ausgebauter Feste-Rhythmus oder Sammlungen
einen grossen Stellenwert bekamen. Die Verordnung zur Nutzung von neuen modernen
Medien wie Radio und Film wurden effizient zur massenpsychologischen Erzeugung einer
völkischen Identität eingesetzt. Ziel war die Manipulation der Schüler im Dienste der
staatstragenden Ideologie.
86
In den Jahren 1933 bis 1937 wurden Verordnungen von den jeweiligen Kultusminister der
Länder erlassen, welche für die verschiedenen Fächer oder Themenbereiche bestimmt waren.
Zur Koordination unter den einzelnen Ländern wurden Konferenzen über die "neue
Erziehung", wie die vom 9. Mai 1933, abgehalten. Reichsinnenminister Frick kündigte an
dieser Tagung eine reichseinheitliche Schulreform an. Diese wurde aber, wie weiter oben
erwähnt, erst am 30. Januar 1934 mit dem "Gesetz über den Neubau des Reiches" auf
Reichsebene eingeführt.
Erst in den Jahren 1937 bis 1940 erschienen Reformrichtlinien, die vom REM ausgegeben
wurden und die für das gesamte deutsche Schulsystem und alle Stufen verbindlich waren. Ab
dem Jahre 1940 gab es keine Schule mehr, die nicht unter dem Einfluss des NS-Regimes und
ihrer Ideologie stand.
87
Die Einführung der NS-Ideologie führte dazu, dass die traditionelle
Ordnung der Fächer verschoben und verändert wurde. Davon betroffen waren zum einen die
Fächer Deutsch, Geschichte, Erdkunde/Geographie, weil sich die Ideologie mit den
geisteswissenschaftlichen Fächern am besten verbinden liess und das Fach Biologie. Diese
Fächer gewannen gegenüber den mathematischen Naturwissenschaften und den
Fremdsprachen an Bedeutung und wurden fortan als "Gesinnungsfächer" oder
"gesinnungsbildende" Schulfächer bezeichnet.
88
Nach der Machtergreifung erliessen einige Landesunterrichtsbehörden wie Bayern,
Württemberg, Hamburg oder Sachsen, Richtlinien, welche den geschichtlichen Lehrstoff neu
85
Ottweiler, Ottwilm: Die nationalsozialistische Schulpolitik im Bereich des Volksschulwesens im Reich, in:
Heinemann, Manfred (Hg.), Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Band I: "Kindergarten, Schule,
Jugend, Berufserziehung", Stuttgart 1980, S. 193-215, S. 195-199.
86
Vgl. Herrmann, Ulrich: "Völkische Erziehung ist wesentlich nichts anderes denn Bindung." Zum Modell
nationalsozialistischer Formierung, in: Herrmann, Ulrich (Hg.), "Die Formung des Volksgenossen". Der
"Erziehungsstaat" des Dritten Reiches, Weinheim 1985, S. 67-78.
87
Lauf-Immesberger, Literatur, Schule und Nationalsozialismus, S. 36-39.
88
Rossmeissl, "Ganz Deutschland wird zum Führer halten ... .", S. 142.

24
regelten. Es handelte sich dabei um Gesamtkonzepte, in denen der reguläre Unterricht
unterbrochen wurde, um mehrwöchige Schulungen durchzuführen.
89
Diese Schulungen
sollten die neue Betrachtungsweise und Strukturierung des Stoffes nach den Gesichtspunkten
der NS-Ideologie beinhalten.
90
Aufgrund der Rede des Reichsinnenministers Frick vom 9. Mai 1933 an der Konferenz der
Länderkultusminister wurden am 20.7.1933 die "Richtlinien für die Geschichtslehrbücher"
erlassen und allen Unterrichtsministerien der Länder zugestellt.
91
Nach diesen Richtlinien hatte der Geschichtsunterricht die Aufgabe, die Bedeutung der
germanischen Traditionen und die Überlegenheit der germanischen Rasse darzustellen.
Vergleiche mit anderen Rassen wurden dann von einem Standpunkt der Überlegenheit aus
unternommen, was sich in einer Überzeugung von der Vorrangstellung der arischen Rasse im
Hinblick auf den erwünschten Herrschaftsanspruch über diese Völker niederschlug. Diese
Überlegenheit konnte aber nur gesichert werden, wenn es gelang, das deutsche Volk als
Einheit rein zu erhalten und jede Zerstörung durch "internationale Einflüsse"
92
zu verhindern.
Grundsätzlich sollten die Schüler davon unterrichtet werden, dass die Gemeinschaft und
damit jeder Einzelne in einer bedrohlichen Situation lebte. Es gehe "um die völkische
Selbstbehauptung inmitten einer feindlichen Welt",
93
die nur mit einer gut ausgebildeten
"heldischen Weltanschauung"
94
gemeistert werden könne. Der Geschichtsunterricht auf allen
Stufen müsse sich deshalb am heldischen Gedanken orientieren. Es sei darzulegen, dass
Geschichte ein Kampf der Rassen um die Vorherrschaft sei, und dass die Vermischung
unterschiedlicher Rassen zum Untergang eines Volkes führe. Die Schüler sollten weiter
drüber informiert werden, dass die grossen Führer entscheidende Wirkung auf das Überleben
und die Entwicklung der Völker gehabt hätten.
In den ausführlichen Anweisungen für die Gestaltung des Unterrichts wurde Hitler zur
Heldenfigur aufgebaut, der die Schande von Versailles überwunden habe, der den
89
Als erstes Reichsland reagierte Bayern. Hans Schemm erliess am 27.3.1933 per Erlass die Unterbrechung
des regulären Geschichtsunterrichts und ordnete die Behandlung des Stoffgebietes "Aufbruch der deutschen
Nation von 1918-1933" für alle Schularten im Unterricht an. In einem Kurs von mindestens vier bis sechs
Wochen wurde den Schülern die jüngste Geschichte aus nationalsozialistischer Sichtweise nähergebracht.
Zitiert nach: Ottweiler, Ottwilm: Die nationalsozialistische Schulpolitik im Bereich des Volksschulwesens,
in: Herrmann, Ulrich (Hg.), "Die Formung des Volksgenossen". Der "Erziehungsstaat" des Dritten Reiches,
Weinheim 1985, S. 235-253, S. 237.
90
Siehe hierzu die Ausführungen zu den Ergänzungsheften im Fach Geschichte, Kapitel 3.4.
91
Richtlinien für die Geschichtslehrbücher, Erl.d.MfWKuV. vom 20.7.1933 - U II C 6301, ZBlUV. S. 197.
Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 215-218.
92
ibid. S. 218.
93
ibid. S. 216.
94
ibid. S. 215.

25
Kapitalismus, den Marxismus und den Parlamentarismus vernichtet habe und der insgesamt
der "Erretter von Deutschland" sei.
95
Auf Hitlers ausdrücklichen Wunsch wurden die Bereiche Vererbungslehre und Rassenkunde
vom NS-Regime in den Schulunterricht eingeführt.
96
Dabei erhielt der vom Preussischen
Kultusministerium herausgegebene Erlass vom 13.9.1933
97
richtungsweisende Bedeutung
und wurde im Januar 1935 im ganzen Reich verwendet. Das Grundwissen zur
"Vererbungslehre, Rassenkunde, Rassenhygiene, Familienkunde und Bevölkerungspolitik"
98
sollte sofort verbindlich in den Abschlussklassen aller Schulformen behandelt werden und die
Schüler auf dieser Klassenstufe mussten sich darin einer Prüfung unterziehen. Der
Biologieunterricht wurde um zwei bis drei Wochenstunden erweitert, biologisches Denken
sollte "in allen Fächern Unterrichtsgrundsatz werden", wobei auch hier der Verweis auf die
Fächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde/Geographie gemacht wurde.
99
Im Jahre 1935 wurde eine Ergänzung zur Vererbungslehre und Rassenkunde erlassen:
"Zweck und Ziel der Vererbungslehre und Rassenkunde im Unterricht muss es sein, über die
Wissensgrundlagen hinaus vor allem die Folgerungen daraus für alle Fach- und
Lebensgebiete zu ziehen und nationalsozialistische Gesinnung zu wecken".
100
Die Stellung
des Biologieunterrichts wurde dadurch aufgewertet. Es wurde ausdrücklich darauf
hingewiesen, die Begriffe "Rasse", "Volk", "Vererbung", "Blut" als Prinzipien der NS-
Erziehungspolitik anzusehen. Biologieunterricht sollte auch dazu dienen, "die Bedeutung der
Auslese
101
für die Bekämpfung der rassischen Volksentartung
102
und für die Förderung der
95
ibid. S. 218.
96
Hitler, Mein Kampf, S. 475.
97
Vererbungslehre und Rassenkunde, Erl.d.PrMfKuV. vom 13.9.1933 - U II C 6767, ZBlUV. S. 244. Kluger,
Die Volksschule im NS-Staat, S. 220.
98
ibid. S. 220.
99
ibid. S. 220.
100
Erl.d.PrMfWKuV vom 15.1.1935 - R U II C 5209, 1. Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 220-226, S.
220-221. Dieser Erlass wurde als Ergänzung zu jenem vom 13.9.1933 angesehen und befasste sich mit der
konkreten Umsetzung der Massnahmen im Unterricht.
101
Der Begriff Ausmerze bildet den Gegenbegriff zu Auslese und beide sind untrennbar miteinander
verbunden. Die Auslese beinhaltet das Prinzip: "Auslese allein wird Rassen und Völker und damit die
Geschichte bestimmen", die Förderung der Besten zur Sicherung des Führernachwuchses und die
Förderung und Sicherung des rassisch Wertvolleren. Die Ausmerze dagegen beinhaltete die Sterilisation
oder physische Vernichtung des rassisch Minderwertigen. Zitiert nach Brackmann/Brikenhauser, NS-
Deutsch, "Selbstvers S. 29.
102
Die Entartung meint den Kulturverfall von Völkern und Einzelnen infolge der Rassenvermischung, aber
auch infolge eines sittlichen und moralischen Verfalls. Zitiert nach Brackmann/Brikenhauser, NS-Deutsch,
S. 63.

26
Volksaufartung
103
zu berücksichtigen".
104
Die Legitimation für diese Verpflichtung konnte
der Biologieunterricht allerdings nur aus der Geschichte und aus der Rassentheorie beziehen.
Dies führte dazu, dass die Fächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde als wissenschaftliche
Fächer immer stärker eingeschränkt und in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt
wurden.
Im Fach Deutsch wurde die Priorität auf die Pflege des "Deutschbewusstseins" gelegt und
danach wurde auch die gesamte Stoffauswahl ausgerichtet. Die Vererbungslehre und
Rassenkunde sollten aber auch mit Geschichte und Erkunde/Geographie verbunden werden,
um ihre historische Legitimation bzw. ihre geopolitische Blickrichtung darzulegen.
Geschichte bezog sich nun hauptsächlich auf germanisch-deutsche Geschichte und sollte
zusätzlich einer emotionalen Empfindung den Weg frei machen. Ziel der
Erdkunde/Geographie war es, den "nordischen Rassenkern im deutschen Volk" zu preisen
und dabei auf die dazu ergriffenen Massnahmen der NS-Regierung zu verweisen.
Ziel des NS-Unterrichts war das Wissen und die Verantwortung für die Sicherung des eigenen
Volkes und für die Erhaltung der eigenen Rasse im "Sehen, Fühlen, Denken und Wollen" der
Schüler zu verankern.
105
Die Fächer Geschichte, Erdkunde/Erdkunde und Biologie bildeten
nun eine ideologisch fundierte Einheit und sollten im Zentrum der NS-Gesinnungsbildung
stehen.
Die musischen Fächer wurden einseitig auf die Volkskunst und auf das deutsche Volkslied
ausgerichtet. Die Fächer Mathematik, Chemie, Physik und die Fremdsprachen wurden nur
bedingt in die NS-Ideologie einbezogen.
106
Die Lehrer sollten in erster Linie durch ihr Vorbild, durch ihr eigenes Denken und Handeln,
die Schüler überzeugen.
107
In den beiden ersten Volksschuljahren bildete die "Heimatkunde" den Kern für die
Vermittlung der NS-Ideologie.
108
Ab dem dritten und vierten Schuljahr kamen mehrere
103
Die Aufartung beinhaltet die Förderung der Fortpflanzung von rassisch wertvollen Menschen durch soziale
Massnahmen, die Bekämpfung von Entartungserscheinungen mittels Ausmerze und Rassenpflege sowie die
Ausschaltung rassefremder Bestandteile aus dem Volkskörper. Zitiert nach Brackmann/Brikenhauser, NS-
Deutsch, S. 26-27.
104
Erl.d.PrMfWKuV vom 15.1.1935 - R U II C 5209, 1. Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 220-226, S.
220-221. Dieser Erlass wurde als Ergänzung zu jenem vom 13.9.1933 angesehen und befasste sich mit der
konkreten Umsetzung der Massnahmen im Unterricht, S. 222.
105
ibid. S. 221.
106
Eiles, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 18.
107
Vererbungslehre und Rassenkunde im Unterricht, Erl.d.PrMfWKuV vom 15.1.1935 - R U II C 5209, 1.
Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 220-226.
108
Siehe hierzu die Studie von Lissmann, Hans Joachim: Sachunterricht in der Grundschule. Eine Fallstudie
für die erste Phase des Dritten Reiches, in: Dithmar, Reinhard (Hg.), Schule und Unterricht im Dritten
Reich, Neuwied 1989, S. 235-257.

27
andere Unterrichtsfächer hinzu. Die Aufgabe der Schule, die "Schaffung des
nationalsozialistischen Menschen," blieb aber im Wesentlichen auf die Heimatkunde
bezogen.
109
Ging der Schüler danach in die Oberschule über, so setzte sich der Unterricht
nach den Richtlinien fort, die 1938 im Erlass "Erziehung und Unterricht in der höheren
Schule" eine Anpassung an das NS-System erfahren hatten.
110
Neben der fachinternen Umgestaltung wurde 1934 der Versuch unternommen, die NS-
Ideologie in einem nationalpolitischen Unterricht den Schülern darzulegen. Diese Aufgabe
sollte zwischen der Schule und der HJ aufgeteilt werden und unter der Bezeichnung
"Staatsjugendtag"
111
eingeführt werden. Dieser Schulungsversuch scheiterte jedoch an der
Bereitschaft der Schule, ihr Leistungsniveau zu senken und an der Unfähigkeit der HJ, die ihr
gestellte Aufgabe geistig und organisatorisch zu bewältigen. Mit dem Verzicht auf einen
Staatsjugendtag wurde auch vom Vorhaben abgesehen, einen reinen NS-Fachunterricht
einzuführen.
112
Ein Element, welches die Schule grundlegend veränderte, war der Sportunterricht. Die
Erziehungsprinzipien, die Hitler propagierte, konnten die traditionellen Schulinhalte nicht
ganz verdrängen, die körperliche Erziehung bekam aber eine neue Stellung im
Erziehungswesen. Die erlassenen Richtlinien verfolgten den Zweck, eine körperliche
Erziehung vorzunehmen, die Gemeinschaftsgesinnung und kämpferischer Einsatz, das
Bewusstsein vom Wert der eigenen Rasse und echte Führeranlagen wecken und fördern
sollten.
113
Die Anzahl der Turnstunden wurde in den Jahren 1937 bis 1939 von drei auf fünf
Stunden angehoben, und Turnen wurde zum Fach der Sexta-Aufnahmeprüfungen und der
Abiturprüfungen.
114
109
Erlass zur Einführung der Richtlinien für die unteren Jahrgänge der Volksschule, Runderlass vom
10.4.1937 - E II a 485. Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 107-108.
110
Vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 17.
111
Während die Schüler von 10-14 Jahren, die bereits Mitglieder in der HJ waren, von diesem Unterricht
befreit wurden, sollten die anderen während zwei Stunden einen nationalpolitischen Unterricht besuchen.
112
Vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 16-17.
113
Heymann, Norbert/Pfister, Gertrud/Wolff-Brembach, Irmhild: Erziehung zur Wehrhaftigkeit im
Sportunterricht, in: Dithmar, Reinhard (Hg.), Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989, S.
163-185.
114
Auch die Aufnahme in eine nationalpolitische Erziehungsanstalt erfolgte nur nach einem Test der
körperlichen Fähigkeiten und Eigenschaften. Siehe hierzu die erwähnten Erlasse von Eilers, Die
nationalsozialistische Schulpolitik, S. 21. Sowie die Erlasse für Schule und Nationalpolitische
Erziehungsanstalten, Erl.d.RMfWEuV. vom 21.8.1938 - Z II a 4657, RMinAmtsblDtschWiss. 1939, S. 24.
Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S. 394-403, S. 397-398.

28
Der Machtantritt der Nationalsozialisten brachte aber noch weitere Veränderungen, zu denen
auch die Mädchenbildung gehörte. Für Hitler bestand, als er 1925 sein Buch "Mein Kampf"
schrieb, kein Zweifel darüber, was das Ziel der Mädchenerziehung war. Er beabsichtigte, die
Erziehung der Mädchen dahin auszurichten, "unverrückbar die kommende Mutter zu sein".
115
Durch die Umgestaltung des Schulsystems wurde daher die Ausbildung zur Hausfrau und
künftigen Mutter in den Mittelpunkt geschoben. Diese Zielsetzung suchten die Machthaber
durchzusetzen, obwohl sie der modernen Lebensführung der dreissiger Jahre nicht mehr
entsprach. Viele Frauen standen im Berufsleben und hatten in privaten und staatlichen
Betrieben Arbeitsstellen angetreten, einige von ihnen hatten sogar eine wissenschaftliche
Ausbildung abgelegt. Die Regierung vertrieb nun die Frauen systematisch wieder aus dem
Berufsleben, indem sie verschiedene restriktive Massnahmen ergriff.
116
Das
Hochschulstudium stand nur noch einer beschränkten Anzahl von Frauen offen. Die
Nationalsozialisten versuchten, schon in der Schule Mädchen gezielt in die Rolle der
Hausfrau zu drängen, indem sie ihnen entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten in praktisch-
hausfraulichen Bereichen anboten. Für Mädchen war der Weg in eine NS-Eliteschule, im
Gegensatz zu den Jungen, unmöglich.
117
Entsprechende Pläne zum Aufbau von
gleichwertigen Schulen für Mädchen wurden nicht aufgenommen. Im Jahr 1938 wurde es für
alle Abiturientinnen zur Pflicht, ein hauswirtschaftliches Jahr zu absolvieren.
118
Der Nationalsozialismus als weltanschauliches System stand im Gegensatz zum christlichen
Weltbild. Dieser Gegensatz kam in den konfessionellen Schulen und vor allem in den
Privatschulen zum Ausdruck. Die Regierung versuchte in einer ersten Phase noch nicht, die
schulische Erziehung dem Einfluss der Kirche zu entziehen. Hans Schemm, NSLB-Leiter und
bayrischer Kultusminister vertrat zu Beginn der Machtergreifung die Politik eines "positiven
Christentums". Das Ergebnis dieser Politik war das Konkordat vom 20.7.1933, welches die
Sicherung der katholischen, der christlich geführten Privatschulen und des
Religionsunterrichts brachte. Aber bereits im Jahr 1935 erliess das NS-Regime Richtlinien,
welche die Entfernung von geistlichen Lehrern aus dem Schulunterricht zur Folge hatten.
115
Hitler, Mein Kampf, S. 460.
116
Zu Beginn der Machtergreifung setzten die Nationalsozialisten die vom Kabinett Papen eingeführten
Massnahmen fort. Sie zielten darauf, das Doppelverdienertum (Arbeit von Mann und Frau) einzuschränken.
Hinzu kam im Juni 1933 die Massnahme, die den Frauen spezifische Berufe zuwies. Vgl. Winkler, Dörte:
Frauenarbeit im "Dritten Reich", Hamburg 1977, S. 42-43.
117
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 20.
118
Strien, Renate: Mädchenerziehung und -sozialisation in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre
lebensgeschichtliche Bedeutung. Lehrerinnen erinnern sich an ihre Jugend während des Dritten Reiches,
Opladen 2000, S. 89.

29
Diese wurden in der Folge immer mehr aus dem schulischen System verdrängt und im Laufe
des Jahres 1937/38 wurde der Religionsunterricht den Lehrern übertragen.
119
Das Ziel der NS-Erziehungspolitik war die Beseitigung des Religionsunterrichts und an
dessen Stelle den NS-Weltanschauungsunterricht zu setzen.
2.4
Die Einführung neuer Lehrmittel
Die Nationalsozialisten waren 1933 mit einer riesigen Anzahl von Lehrbüchern in den
Schulen konfrontiert, die den verschiedenen politischen, pädagogischen und konfessionellen
Richtungen verbunden waren. Das NS-Regime liess diese Vielfalt zunächst unangetastet
bestehen. In verschiedenen Erlassen wurde den Schulen mitgeteilt, dass im Jahre 1934 noch
nicht mit neuen Schulbüchern zu rechnen sei.
120
Aus diesem Grund wurden für die wichtigsten neuen Stoffe der NS-Erziehungspolitik
Ergänzungshefte zu den bestehenden Lehrbüchern eingeführt. Durch die Einführung dieser
Ergänzungshefte verengte sich die Möglichkeit eines nicht nationalsozialistischen Unterrichts
nachhaltig. Karin Lauf-Immesberger beschreibt in ihrem Buch "Literatur, Schule und
Nationalsozialismus", dass die "Klassenlesestoffe", wie sie die Ergänzungshefte nennt, in den
Jugendschriftenbewegungen ihren Ursprung hatten, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden
sind.
121
Ihr Vorteil lag darin, dass sie schnell und billig produziert werden konnten, kurzfristig
austauschbar und flexibel im Gebrauch waren. Anhand dieser kleinen Broschüren war es
möglich, den Schulunterricht innerhalb kürzester Zeit auf die NS-Linie zu bringen. In ihnen
liessen sich Kurzgeschichten oder Gedichte der völkisch-nationalen Richtung, des
Weltkrieges und Reden von Parteimitgliedern und von Hitler aufbereiten. So dienten sie als
Ergänzung zu den übernommenen Schulbüchern und wurden dank ihrer Vorzüge auch nach
der Schaffung neuer Lesebücher weiter im Unterricht verwendet. Da sie billig in der
Anschaffung und wegen ihres geringen Umfangs schnell gelesen waren, konnten viele
Schüler motiviert werden, diese Hefte selber anzuschaffen.
122
Die Auswahl der
Ergänzungshefte wurde durch das REM, durch den NSLB und von den Pädagogen
vorgenommen.
Wie oben erwähnt gab es eine enorme Vielfalt dieser Hefte, so dass bald amtliche
Verordnungen erlassen werden mussten, um ihre pädagogische Qualität zu überprüfen. Das
119
Siehe hierzu die verschiedenen Erlasse zum Religionsunterricht. Kluger, Die Volksschule im NS-Staat, S.
306-308.
120
Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, S. 28.
121
Lauf-Immesberger, Schule und Nationalsozialismus, S. 94-95.
122
ibid. S. 96.

30
Angebot der Verlage an "billigen Reihen"
123
war riesig, denn fast alle Verlagshäuser hatten
eine oder sogar mehrere Reihen, die von ihnen hergestellt wurden. Im Jahre 1935 nannte
Eduard Rothemund, Leiter der Jugendschriften-Warte des NSLB, 32 verschiedene Reihen, die
das Thema "Weltkrieg" behandelten. Bei dieser Fülle gab es auch Reihen, die aus
pädagogischen Gründen nicht für die Schüler geeignet waren. Aus diesem Grunde wurde die
ab 1939 neu errichtete Reichsprüfstelle zur Kontrollinstanz für Ergänzungshefte. In der Folge
wurden vom REM immer Listen erstellt, welche über die zugelassenen Ergänzungshefte
Angaben machten.
124
Die Reichsverwaltung des NSLB ergriff zudem auch selbst die Initiative zur Schaffung neuer
Ergänzungshefte und brachte ab 1933 verschiedene Schriftreihen in eigener Regie heraus, wie
etwa "Schriften zu Deutschlands Erneuerung", "Die Schule im Dritten Reich", "Dürrs
Sammlung deutscher Sagen" oder "Waffenhefte des Heeres", letztere in Zusammenarbeit mit
dem Oberkommando des Heeres.
125
Die NS-Ausrichtung der Lehrbücher wurde von der NS-Regierung auf zwei Wegen
angestrebt. Erstens wurden die vorhandenen und die von den Verlagen laufend vorgelegten
Bücher genaustens kontrolliert. Es handelte sich dabei um Bücher, die der Ideologie der
Nationalsozialisten entsprachen, d.h. sie waren nicht der Bücherverbrennung
126
zum Opfer
gefallen. Die Regierung verfolgte aber beim Machtantritt auch das Ziel, nicht nur die alten
Schulbücher zu ergänzen sondern eigene Lehrbücher zu schaffen. Versuche in dieser Hinsicht
beschränkten sich im Wesentlichen auf die Herausgabe eines reichseinheitlichen Lesebuches.
Aus diesem Grund blieben die Ergänzungshefte während des Dritten Reiches bestehen und
die bestehenden Hefte wurden immer wieder überarbeitet und neu aufgelegt.
127
Das neue Volksschullesebuch wurde 1934 in Angriff genommen und vom neu gegründeten
REM, unter der Führung von Bernhard Rust, vorbereitet und herausgegeben. Die
Hauptaufgabe der Zusammenstellung des Buches leistete aber das Zentralinstitut sowie die
verschiedenen Länderunterrichtsverwaltungen und der NSLB. Das Lesebuch wurde an Ostern
1935 fertiggestellt und ab 1939 in allen Klassen der Volksschule eingeführt und löste somit
123
Als "billige Reihen" galten Hefte, die unter 1.25 RM erhältlich waren.
124
Lauf-Immesberger, Schule und Nationalsozialismus, S. 97-105.
125
ibid. S. 105-108.
126
Ab dem 10. Mai 1933 wurden in verschiedenen Städten im deutschen Reich systematisch
Bücherverbrennung vorgenommen. Mit "Feuersprüchen" wie z.B. "Gegen Dekadenz und moralischen
Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich
Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner", wurden die Bücher ins Feuer geworfen.
127
Lauf-Immesberger, Schule und Nationalsozialismus, S. 96.

31
die noch bestehenden alten Lesebücher ab. Weitere Schulbücher, die eine Vereinheitlichung
bzw. eine Gleichschaltung des Unterrichts gebracht hätten, konnten aber auf Reichsebene
nicht mehr eingeführt werden.
128
128
ibid. S. 56-57.

32
3
DIE ERGÄNZUNGSHEFTE
3.1
Der Zweck der Ergänzungshefte
Zu den vorhandenen Schulbüchern aus der Zeit der Weimarer Republik, die auch nach dem
Machtwechsel im Jahr 1933 im Unterricht benutzt wurden, setzte das Regime in den Schulen
zunächst Ergänzungshefte ein, die eine ideologische Ausrichtung des Unterrichtsstoffes
ermöglichten. Es reicht somit nicht aus, wie dies Erika Mann bereits 1938 ausführlich
darstellte, dass in einer Analyse der NS-Ideologie nur die offiziellen Lehrbücher von 1933 bis
1937 untersucht werden. Die eigentliche Gefährdung ging nämlich von den Ergänzungsheften
aus und nicht von den Lehrbüchern.
129
Verschiedene Autoren, die umfangreiche Lehrbuchanalysen von Schulbüchern vorgenommen
haben, die nach 1937 in den Schulen benutzt wurden, widerlegen die allgemeine Vorstellung,
dass nur an den Eliteschulen, also an AHS und an NAPOLAS Lehrbücher mit
nationalsozialistischem Gedankengut verwendet wurden.
130
NS-Ideologie war in allen
Schulbüchern und in allen Fächern vorhanden. Die Machthaber versuchten sogar in den
naturwissenschaftlichen Fächern ihre Propaganda einzubringen. Im Fach Physik mussten die
Schüler Geschossbahnen berechnen und im Fach Chemie die Qualität von Sprengstoffen
bestimmen.
131
Während des Dritten Reiches war die Volksschule jener Ort, den mehr als neunzig Prozent
aller Schüler besuchten und wo sie ihre schulische Erziehung erhielten. Deshalb war die
Volksschule dem Zugriff NS-Indoktrination am stärksten ausgesetzt. Wie schon weiter oben
erwähnt, wurde in Erlassen mitgeteilt, dass die neuen Schulbücher verspätet erscheinen
würden. Die Reaktion auf das verspätete Erscheinen war eine Flut von Ergänzungsheften, und
es ist anzunehmen, dass diese amtliche Verzögerung nicht als Einschränkung empfunden
worden war. Vielmehr bot sich die einmalige Gelegenheit, auf diese Weise einen fundamental
129
Ortmeyer, Schulzeit unterm Hitlerbild, S. 51-52.
130
ibid. S. 191, Anm. 92. Ortmeyer beschreibt, dass Schülerinnen und Schüler einer Kasseler Schule 45
Schulbücher aus der NS-Zeit gelesen und ausgewertet haben. Ihre Analyse bestätigt die
Gesamteinschätzung der Untersuchung Flessaus. Siehe Flessau, Schule der Diktatur und Platner, Geert
(Hg.): Schule im Dritten Reich. Erziehung zum Tod, Köln 1988.
131
Ortmeyer, Schulzeit unterm Hitlerbild, S. 52-53.

33
neuen Unterricht nach NS-Prinzipien zu gestalten.
132
Die Bearbeiter der Broschüren
orientierten sich an den offiziellen Richtlinien, an der NS-Ideologie sowie an der aktuellen
politischen Situation. Die Texte, welche in den Ergänzungsheften verwendet wurden,
stammten oft aus zeitgenössischen Zeitschriften und Monographien. Bei der Thematik der
germanischen Vorgeschichte wurden hingegen Texte verwendet, die bereits aus dem
ausgehenden 19. Jahrhundert stammten. Die Herausgeber haben aber immer versucht, die
Textauswahl so zu gestalten, dass sie den Anforderungen der Machthaber entsprachen. Es
wurde auch immer darauf geachtet, dass die Broschüren die wichtigsten politischen
Veränderungen enthielten, was gegenüber den traditionellen Lehrbüchern ein enormer Vorteil
war. Als Beispiel sei hier der Anschluss Österreichs oder der Tschechoslowakei genannt,
welche bei der Neuauflage eines Ergänzungsheftes aus dem Jahr 1939 bereits erwähnt
werden.
133
Bei den untersuchten Ergänzungsheften konnte mit Sicherheit festgestellt werden, dass sie
noch im Jahre 1941 neu aufgelegt wurden.
134
Somit ist anzunehmen, dass Ergänzungshefte bis
zum Ende des Dritten Reichs in der Schule Verwendung fanden und immer noch benutzt
wurden. Eine Bestätigung hierfür ist ein Amtsblatt, welches das REM 1943 veröffentlichte
und worin eine auf 46 Titel zusammengeschrumpfte Liste von Ergänzungsheften über Werke
aus dem Schrifttum der Gegenwart für den Deutschunterricht, welche für die höheren Schulen
bestimmt waren, publiziert worden war.
135
Ergänzungshefte dienten ab 1933 dazu die NS-Ideologie zu verbreiten. Die Bearbeiter der
Broschüren konnten sich bezüglich der Auswahl der Texte in einem viel breiteren Rahmen
bewegen, als dies in den offiziellen Lehrbüchern möglich gewesen wäre. Um es nochmals mit
den Worten Erika Manns auszudrücken:
132
Dithmar, Reinhard: Richtlinien und Realität. Deutschunterricht im Gymnasium nach der
"Machtergreifung", in: Dithmar, Reinhard (Hg.), Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989, S.
21-37.
133
Das neue Reich im Erdkundeunterricht. (Neubearbeitung des Ergänzungsheftes zum erdkundlichen
Lehrbuch), Von Professor Dr. Emil Hinrichs und Studienrat Walter Weber, Moritz Diesterweg, Frankfurt
a.M., 4. ergänzte Aufl., 1939.
In der Folge werden bei allen Ergänzungsheften, soweit möglich, die Bearbeiter, die Autoren und die
Verlage angegeben. Diese genauen Angaben erscheinen sinnvoll, da es sich bei den Autoren und
Bearbeitern um führende Pädagogen des deutschen Reiches gehandelt hat. Die Verlage werden zusätzlich
angegeben, da die meisten dieser Verlagshäuser nicht mehr bestehen.
134
Grundgedanken des Nationalsozialismus. Der deutschen Jugend, Dargestellt von J. Bolick, Ein Lese- und
Arbeitsbogen für den Unterrichtsgebrauch, (Schriften zu Deutschlands Erneuerung, Begründet von der
Kreisgruppe Breslau des NSLB, Heft Nr. 26), Heinrich Handel, Breslau, 14. Aufl. (die erste Aufl. dieses
Lesebogens erschien 1933), 1941.
135
Lauf-Immesberger, Schule und Nationalsozialismus, S. 105.

34
Aber die Zusatzheftchen! Die nicht offiziellen, nur halb- und viertels-offiziellen, vom NS-Lehrerbund
und verwandten Organisationen wie von ungefähr in den Unterricht gestreuten Propaganda-
Broschürchen! Die haben es in sich! Und dem Führer ermöglicht diese seine "Taktik", dem Ausland
eine relativ harmlose, wenig offensive Literatur von Reichslehrbüchern vorzulegen, während das
Eigentliche hinter den schützenden Kulissen der offiziellen Bibliothek aus den Heftchen gelehrt
wird.
136
Die Ergänzungshefte hatten die Funktion des "Halb- und Viertels-Offiziellen". Mit ihnen
wurde die Möglichkeit geschaffen, den Schülern die NS-Ideologie zu vermitteln, ohne dass
dies ausserhalb dem deutschen Reich publik wurde. Die Frage erübrigt sich, wie wohl das
Ausland reagiert hätte, wenn in einem offiziellen Schulbuch für Mathematik folgende
Rechenaufgaben gestanden hätten:
Tagbomber legen bis zu 380 km in der Stunde, Nachtbomber bis zu 300 km zurück. a) Berechne die
Flugzeit Prag-Breslau, Strassburg-München, Metz-Köln! b) Wie lange dauert der Anflug bis zu
diesem Wohnorte vom nächstgelegenen Punkte der Reichsgrenze aus?
137
Die Judengefahr
2. Bei den bisherigen Volkszählungen wurden als Juden immer nur die Einwohner "mosaischen"
Bekenntnisses gezählt. Ausser diesen "Volljuden" gibt es aber auch noch etwa 300'000 Juden nicht-
mosaischen Glaubens und etwa 750'000 jüdische Mischlinge. Wiev. Nicht-Arier entfallen also auf
1'000 Einw.?
138
Die Reichsrichtlinien für die Höhere Schule, die Anfang 1938 erschienen und mit Beginn des
Schuljahres 1938/39 in Kraft treten sollten, waren erheblich ausführlicher als die der
Volksschulen. Als Zielvorgaben wurden vier "gegenwartsbezogene Aufgabenkreise" gegeben,
welche für die Fächer Deutsch, Geschichte und Erdkunde bestimmend waren.
139
In dieser
Reichsrichtlinie wurde die NS-Erziehungspolitik von höchster Ebene gesetzlich geregelt und
schriftlich festgelegt. Die Verordnungen setzten fest, was die Bearbeiter der Ergänzungshefte
bereits seit 1933 in den Schulen verbreitet hatten.
Die Kerngedanken der Richtlinien sowie der Ergänzungshefte waren:
·
Das Volk als Blutsgemeinschaft.
Der Rassen- und Vererbungsgedanke, Familien- und Ahnenkunde, Volkskunde.
·
Das Volk als Schicksals- und Kampfgemeinschaft.
136
Mann, Zehn Millionen Kinder, S. 60-62.
137
Handels Rechenaufgaben aus den Gebieten des nationalsozialistischen Aufbaues. Für das 7. und 8.
Schuljahr, (Schriften zu Deutschlands Erneuerung, Begründet von der Kreisgruppe Breslau des NSLB, Heft
Nr. 74b), in: Handels Ergänzungslesebuch Saar-Ausgabe für das 7. und 8. Schuljahr, Heinrich Handel,
Breslau, 3. verb. Aufl., 1936, S. 1.
138
ibid. S. 5-6.
139
Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule. Amtliche Ausgabe des Reichs- und Preussischen
Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Berlin 1938, S. 50-51. Zitiert nach
Rossmeissl, "Ganz Deutschland wird zum Führer halten ... .", S. 142.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832460594
ISBN (Paperback)
9783838660592
DOI
10.3239/9783832460594
Dateigröße
1.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, Berlin – Historisch-Philosophische Fakultät, Historisches Institut
Erscheinungsdatum
2002 (November)
Note
1,5
Schlagworte
drittes reich erziehung politische ideologie schule nationalsozialismus
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