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Die Koevolution von Bildern des eigenen und des fremden Landes

Eine Fallstudie unter ausländischen Studenten in Osnabrück

©1998 Examensarbeit 148 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Jetzt, zu Beginn des Sommersemesters 1998, sind gerade die „neuen“ ausländischen Studenten angekommen. Sie „bombardieren“ uns, die Mitarbeiter des Akademischen Auslandsamtes, mit Fragen z.B. zur Ausländerbehörde, zur Stundenplanerstellung, zur Miete und die Eröffnung eines Bankkontos betreffend. Die Gaststudenten sind sehr jung, meistens um die zwanzig, voller Energie und Hoffnung, daß diese Zeit in Deutschland etwas ganz Besonders werden wird.
Da ich mich selbst schon als Ausländerin in fremden Ländern fühlen konnte, kann ich mich recht gut in sie hineinversetzen. Neben meiner persönlichen Geschichte ist es vor allem das Interesse an den Personen, die ich betreue, das mich zu dieser Arbeit motiviert.
Obwohl ich mit den ausländischen Studenten bei vielen Gelegenheiten Kontakt habe, u.a. bei den Einführungswochen am Anfang des Semesters, dem jeweils zweiwöchig stattfindenden Stammtisch für ausländische Studenten und den Exkursionen in verschiedene Städte, weiß ich dennoch wenig darüber, was es für sie bedeutet, in Deutschland zu sein. Führt die „Fremde“ zur persönlichen Reifung? Folgt dem anfänglichen Enthusiasmus vielleicht nach einigen Wochen die große Ernüchterung und Langeweile? Was denken sie über Deutschland und über ihr Land? Und wovon hängt das ab, was sie denken? Der Fragenkatalog ließe sich noch eine Weile fortsetzen und er zeigt, daß mein Wissen, wie es auch anderen Mitarbeiter im Akademischen Auslandsamt gehen mag, trotz des vielfältigen Kontaktes zu den ausländischen Studierenden, dennoch rudimentär geblieben ist.
Lassen Sie mich den anfänglichen Beobachtungen noch einige weitere hinzufügen, die, wenn man will, einige Monate nach dem oben beschriebenen Anfang gemacht wurden. Ich bin auf einer Party eingeladen und treffe Austauschstudenten aller möglicher Nationalitäten: Spanier, Franzosen, Engländer, Italiener, Russen usw. - nur keine Deutschen. Da dies nicht die erste Party dieser Art ist, erstaunt es mich nicht. Die Studenten vergessen vielleicht, daß ich Deutsche bin, da ich, wenn möglich, in ihrer Muttersprache mit ihnen rede. In den wenigen Fällen, in denen sich die ausländischen Studenten meiner Nationalität bewußt werden, versichern sie, daß ich eine Ausnahme sei, eben keine typische Deutsche - ein seltsames Kompliment.
Ich höre viel über die Deutschen, die so kalt und distanziert sind und von den schönen Heimatländern, in denen immer die Sonne scheint und die Menschen herzlich und gastfreundlich […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6037
Budke, Alexandra: Die Koevolution von Bildern des eigenen und des fremden Landes -
Eine Fallstudie unter ausländischen Studenten in Osnabrück
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Osnabrück, Universität, Staatsexamensarbeit, 1998
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ___________________________________________ 4
1.1 Zwischen Faszination der Fremde und Suche nach Heimat? _________ 6
Heranführung an das Thema__________________________________ 6
1.2 Raumabstraktion als wesentlicher Bestandteil des Gruppendiskurses:
Die geographische Dimension der vorliegenden Arbeit _____________ 7
1.3 Konkretisierung der Vorüberlegungen in Ausgangshypothesen______ 11
2 Methodik der empirischen Untersuchung von ausländischen
Studenten ___________________________________________ 12
2.1 Die Untersuchungsobjekte: Erasmusstudenten und die
Rahmenbedingungen ihres Deutschlandaufenthalts _______________ 12
2.1.1 Vorstellung des Erasmusprogramms ___________________________________ 13
2.1.2 Betreuung der Erasmusstudenten in Osnabrück___________________________ 14
2.1.3 Darstellung der Kriterien für die Auswahl der Interviewpartner ______________ 15
2.1.4 Charakterisierung der Interviewpartner (statistische Daten) _________________ 16
2.2 Konzeption des Leitfadens __________________________________ 17
2.2.1 Schwerpunkt I: Gruppen ausländischer Studierender in Relation zu ihren
Deutschland- und Heimatbildern ______________________________________ 17
2.2.1.1 Soziale Beziehungen ____________________________________________ 17
2.2.1.2 Deutschlandbilder ______________________________________________ 18
2.2.1.3 Heimatbilder __________________________________________________ 18
2.2.2 Schwerpunkt II: Bedingungen für die Gruppenbildung _____________________ 19
2.2.2.1 Voreinstellungen zu Deutschland __________________________________ 19
2.2.2.2 Motivation ____________________________________________________ 21
2.2.2.3 Erster Eindruck ________________________________________________ 21
2.2.2.4 Von den ausländischen Studenten vermutetes Bild der Deutschen
ihres Herkunftslandes____________________________________________ 22
2.2.2.5 Bewertung des Auslandssemesters _________________________________ 22
2.2.2.6 Zukunftsperspektiven ___________________________________________ 24
2.3 Untersuchungsdurchführung _________________________________ 24
2.3.1 Pretest ___________________________________________________________ 24
2.3.2 Interviewsituation__________________________________________________ 24
2.3.3 Interviewsprache __________________________________________________ 25
2.3.4 Reflexion über die Erhebungsmethode _________________________________ 25
2.3.4.1 Rollen im Interview _____________________________________________ 25
2.3.4.2 Interviewereffekte und mögliche Artefakterzeugung ___________________ 27
2.4 Qualitative
Inhaltsanalyse ___________________________________ 28

2
3 Fallstudien _________________________________________ 28
3.1 Gruppe 1: Studenten ohne Freundschaften zu Deutschen___________ 29
3.1.1 Alexandra: In Deutschland im Exil ____________________________________ 29
3.1.2 Anieschka: Eine tiefe slawische Seele in Deutschland _____________________ 36
3.1.3 Johanna: Das Mädchen, das ihre Sprache als Waffe gebrauchen wollte ________ 44
3.1.4 Fotis: Meine Heimat ist ein Flughafen __________________________________ 52
3.1.5 Antonella: Von den ,,viereckigen" Deutschen ____________________________ 55
3.1.6 Marionna: Die sich als Schwester der Italiener fühlt _______________________ 58
3.2 Gruppe 2: Studenten mit Freundschaften zu Deutschen ____________ 61
3.2.1 Mapi: Von den zärtlichen und kalten Deutschen __________________________ 61
3.2.2 Michael: Befreiung von der ,,keinen Heimat" ____________________________ 70
3.2.3 Aude: Deutschland, das Paradies! _____________________________________ 74
3.2.4 Elina: Zweimal deutsche Freunde (1. Teil) ______________________________ 77
3.2.5 Tracy: Zweimal deutsche Freunde (2. Teil) ______________________________ 81
3.2.6 Marts: Mit Strategie Deutsche kennenlernen _____________________________ 84
4 Ergebnisse
der Fallstudien _____________________________ 90
4.1 Schwerpunkt I: Deutschland- und Heimatbilder in Abhängigkeit
von den sozialen Gruppen ___________________________________ 90
4.2 Schwerpunkt II: Variablen, die die Gruppenbildung beeinflussen ____ 93
4.2.1 Ergänzende Variablen zur Gruppenbildung ______________________________ 93
4.2.2 Die Themenbereiche des Leitfadens ___________________________________ 95
4.2.2.1 Voreinstellungen _______________________________________________ 95
4.2.2.2 Motivation ____________________________________________________ 98
4.2.2.3 Erster Eindruck ________________________________________________ 99
4.2.2.4 Von den ausländischen Studenten vermutetes Bild der Deutschen
von ihrem Herkunftsland ________________________________________ 100
4.2.2.5 Beurteilung der Zeit in Deutschland _______________________________ 101
4.2.2.6 Zukunft _____________________________________________________ 102
4.2.3 Zusammenfassung der Variablen, die den Gruppenbildungsprozeß beeinflussen 102
5 Diskussion und theoretische Einbettung der
Untersuchungsergebnisse _____________________________ 104
5.1 Vorstellung der Austauschforschung _________________________ 104
5.2 Anpassung an eine fremde Kultur ____________________________ 105
5.3 Definition
der
Kultur______________________________________ 107
5.4 Kultur und Identität _______________________________________ 108
5.5 Soziale Kontakte der ausländischen Studenten in Deutschland _____ 109
5.5.1 Funktionales Modell der sozialen Netzwerke ___________________________ 111
5.5.2 Theoretische Ansätze zur Erklärung interethnischer Beziehungen ___________ 113
5.5.2.1 Das Bezugsgruppenkonzept______________________________________ 113
5.5.2.2 Das Konzept der Nationalität_____________________________________ 114

3
5.6 Stereotypenbildung _______________________________________ 116
5.6.1 Stereotypes Denken als Ausdruck autoritärer Persönlichkeit
und Ethnozentrismus ______________________________________________ 117
5.6.2 Entstehung und Funktion der Stereotypen in der Gruppe __________________ 118
5.6.3 Eindrucksbildung _________________________________________________ 121
5.7 Klimatheorie zur Erklärung des deutschen ,,Nationalcharakters"____ 122
5.8 Evaluationsforschung im Erasmusprogramm: Zwei Beispiele ______ 123
5.8.1 Begleitforschung _________________________________________________ 124
5.8.2 Liller Evaluation__________________________________________________ 127
5.8.3 Zusammenfassung der Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge für
zukünftige Evaluationen des Erasmusprogramms ________________________ 129
5.8.4 Methodendiskussion_______________________________________________ 130
6 Verbesserungsvorschläge für die Arbeit des Akademischen
Auslandsamtes ______________________________________ 131
7 Schlußwort ________________________________________ 133
8 Abbildungsverzeichnis _______________________________ 136
9 Literaturverzeichnis _________________________________ 137
Abkürzungen:
WG: Wohngemeinschaft
AAA: Akademische Auslandsamt
DAAD: Deutscher Akademischer Austauschdient
Jahnplatz, Klushügel, Hermann-Ehlershaus,
Salzmarkt und Dodesheide: Osnabrücker Studentenwohnheime

4
1 Einleitung
Jetzt, zu Beginn des Sommersemesters 1998, sind gerade die ,,neuen" ausländischen Studen-
ten angekommen. Sie ,,bombardieren" uns, die Mitarbeiter des Akademischen Auslandsamtes,
mit Fragen z.B. zur Ausländerbehörde, zur Stundenplanerstellung, zur Miete und die Eröff-
nung eines Bankkontos betreffend. Die Gaststudenten sind sehr jung, meistens um die zwan-
zig, voller Energie und Hoffnung, daß diese Zeit in Deutschland etwas ganz Besonders wer-
den wird.
Da ich mich selbst schon als Ausländerin in fremden Ländern fühlen konnte, kann ich mich
recht gut in sie hineinversetzen. Neben meiner persönlichen Geschichte ist es vor allem das
Interesse an den Personen, die ich betreue, das mich zu dieser Arbeit motiviert.
Obwohl ich mit den ausländischen Studenten bei vielen Gelegenheiten Kontakt habe, u.a. bei
den Einführungswochen am Anfang des Semesters, dem jeweils zweiwöchig stattfindenden
Stammtisch für ausländische Studenten und den Exkursionen in verschiedene Städte, weiß ich
dennoch wenig darüber, was es für sie bedeutet, in Deutschland zu sein. Führt die ,,Fremde"
zur persönlichen Reifung? Folgt dem anfänglichen Enthusiasmus vielleicht nach einigen Wo-
chen die große Ernüchterung und Langeweile? Was denken sie über Deutschland und über ihr
Land? Und wovon hängt das ab, was sie denken? Der Fragenkatalog ließe sich noch eine
Weile fortsetzen und er zeigt, daß mein Wissen, wie es auch anderen Mitarbeiter im Akade-
mischen Auslandsamt gehen mag, trotz des vielfältigen Kontaktes zu den ausländischen Stu-
dierenden, dennoch rudimentär geblieben ist.
Lassen Sie mich den anfänglichen Beobachtungen noch einige weitere hinzufügen, die, wenn
man will, einige Monate nach dem oben beschriebenen Anfang gemacht wurden. Ich bin auf
einer Party eingeladen und treffe Austauschstudenten aller möglicher Nationalitäten: Spanier,
Franzosen, Engländer, Italiener, Russen usw. - nur keine Deutschen. Da dies nicht die erste
Party dieser Art ist, erstaunt es mich nicht. Die Studenten vergessen vielleicht, daß ich Deut-
sche bin, da ich, wenn möglich, in ihrer Muttersprache mit ihnen rede. In den wenigen Fällen,
in denen sich die ausländischen Studenten meiner Nationalität bewußt werden, versichern sie,
daß ich eine Ausnahme sei, eben keine typische Deutsche - ein seltsames Kompliment.
Ich höre viel über die Deutschen, die so kalt und distanziert sind und von den schönen Hei-
matländern, in denen immer die Sonne scheint und die Menschen herzlich und gastfreundlich
sind. In diesen Partygesprächen wird dem eher negativen Deutschlandbild ein fast ausschließ-
lich positives Bild des betreffenden Herkunftslandes gegenübergestellt.
Bei anderen Gelegenheiten fällt mir auf, daß sich die ausländischen Studenten gleich nach der
Ankunft in Deutschland in Gruppen nach Nationalitäten zusammenfinden, und daß sich diese
Gruppen auch im Laufe der Semester nicht auflösten. In Osnabrück ist es, etwas überspitzt
formuliert, fast unmöglich, einen ausländischen Studenten allein, ohne seine Landsleute anzu-
treffen, ob in der Mensa, auf der Straße, in Veranstaltungen oder auf Partys. Mich erstaunt,
daß sich alle Austauschstudenten untereinander kennen, aber sie kaum mit deutschen Studen-
ten befreundet zu sein scheinen.
Diese Beobachtungen der Situation der ausländischen Studenten, die mir durch die Isoliertheit
von den deutschen Studenten gekennzeichnet schien, verknüpft mit den geäußerten negativen
Bildern von Deutschland und den Deutschen, überraschen mich, da ich davon ausgegangen
bin, daß der Aufenthalt in Deutschland zur intensiven Auseinandersetzung der ausländischen
Studenten mit der deutschen Kultur, daß heißt, den geltenden Werten und Normen und den
hier ,,typischen" Verhaltensweisen führen würde, und so zum Abbau von Vorurteilen und
Stereotypen über Deutschland beitrüge. Gerade das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein.
Auch in dem politischen Diskurs über Europa, den Programmbeschreibungen der Austausch-
organisationen, sowie in der Austauschforschung, wird immer wieder die Wichtigkeit der
sozialen Kontakte der Austauschstudenten zu den Deutschen hervorgehoben. In diesem Zu-

5
sammenhang wird verstärkt über ,,Multikulturalität", ,,Zusammenwachsen der Völker in Eu-
ropa", ,,Weltgesellschaft", ,,kulturelles Lernen", ,,Kulturaustausch" u.a. gesprochen. So
schreibt z.B. Alexander Thomas: ,, Es ist eine unbezweifelbare Tatsache, daß ein Überleben
der Menschheit in dieser Welt nur mehr möglich ist, wenn wir zur internationalen (also natio-
nale Grenzen überschreitenden) und interkulturellen (kulturelle Barrieren überwindenden)
Kooperation fähig sind" (Thomas, 1983, S. 33). Rainer Hettich sagt Ähnliches: ,,Wie sollte
sich ein gemeinsames europäisches Bewußtsein, eine europäische Identität entwickeln, wenn
die Kenntnis junger Menschen über die Lebensverhältnisse, die Differenzen und Gemeinsam-
keiten in anderen Ländern der Gemeinschaft nicht vertieft würde" (Hettich, 1997, S. 69). In
den Zielsetzungen des Studentenaustauschprogramms der Europäischen Union (Erasmus)
steht: ,, to strengthen the interaction between citizens in different Member States with view to
consolidation the concept of a Peoples Europe" (Teichler, 1997, S. 7). Man kann noch
wesentlich mehr Zitate finden, in denen die Bedeutung der Kontakte von Studenten
unterschiedlicher Nationalität im Sinne der ,,Völkerverständigung", betont wird.
Ist der propagierte Kulturkontakt, der zum Verständnis anderer Denk- und Wertesysteme der
Völker Europas führen soll, im Hinblick auf meine Beobachtung, nichts als ein Ideal der Poli-
tik, der von ihr abhängigen Austauschorganisationen und der Austauschforschung, das mit der
Realität des Studentenaustausches wenig zu tun hat?
Ich beschoß, meine geschilderten Eindrücke anhand einer empirischen Untersuchung, die in
Form dieser Examensarbeit vorgestellt wird, zu überprüfen. Ich habe die Hoffnung am Ende
der Arbeit einige Verbesserungsvorschläge für das Erasmusprogramm und die Betreuung der
Erasmusstudenten in Osnabrück unterbreiten zu können. Meine Ausgangsfragen waren dies-
bezüglich: Wie entstehen die Bilder ausländischer Studenten von Deutschland und ihren Her-
kunftsländern? Durch welche Faktoren werden sie entscheidend beeinflußt? Welche Bestand-
teile machen die Bilder aus? Welche Funktion haben die Deutschland- und Heimatbilder für
den einzelnen Austauschstudenten und für die Gruppe der Austauschstudenten?
Nach der genaueren Vorstellung des Themas und seiner Einordnung in die Geographie, werde
ich im zweiten Kapitel mein methodisches Vorgehen zur Erhebung und Analyse von qualita-
tiven Interviews mit Erasmusstudenten in Osnabrück vorstellen. Im dritten Teil meiner Arbeit
werden zwölf Fallstudien ausführlich vorgestellt. Im vierten Teil sollen die Ergebnisse meiner
Untersuchung zusammengefaßt werden, um generalisierende Aussagen zu treffen. Im vierten
Kapitel werden die Ergebnisse in Bezug auf die Ergebnisse der Austauschforschung und die
Theorien, auf die sie sich bezieht, diskutiert werden. Am Ende dieser Einbettung der Untersu-
chungsergebnisse in bestehende Theorien, werde ich zwei Evaluationen des Erasmuspro-
gramms kritisch beleuchten und Punkte aufzuzeigen, die in zukünftigen Evaluationen stärker
berücksichtigt werden sollten. Es schließen sich Überlegungen zur idealen Erhebungsmethode
an. Die Arbeit endet im sechsten Kapitel mit einigen Verbesserungsvorschlägen für die Arbeit
des Akademischen Auslandsamtes.
Das Ziel dieser Arbeit ist nicht, fertigte Theorien über die Entstehung von Einstellungen der
ausländischen Studenten zu Deutschland und ihrem Heimatland aufzustellen, sondern Denk-
anstöße zu liefern, um das Austauschprogramm, die Betreuung der ausländischen Studenten
in Osnabrück, und die wissenschaftliche Forschung zu diesem Komplex in Zukunft zu verbes-
sern. Diese Studie will auch aufzeigen, in welchen Bereichen, intensiver geforscht werden
müßte.

6
1.1 Zwischen Faszination der Fremde und Suche nach Heimat?
Heranführung an das Thema
Um die Fragestellung meines Themas ,,Die Koevolution von Bildern des eigenen und des
fremden Landes" vorzustellen, lassen Sie uns einen Moment bei dem Gegensatz des ,,Eige-
nen" und des ,,Fremden" bleiben. Betrachtet man die Begriffe aus sozial-psychologischer
Sicht, scheint dieses Gegensatzpaar unlösbar mit unser Ich-Identität zusammenzuhängen, die
sich nur durch die Unterscheidung vom ,,Nicht-Ich" konstituieren kann. Das ,,Fremde", das
mehr ist als das nur Unbekannte, was uns oft gleichgültig läßt, betrifft uns aktuell oder poten-
tiell. Ihm haftet etwas Unvorhergesehenes an, das wir als bedrohlich oder als faszinierend
wahrnehmen können. ,,Unsere erfahrenen Bedrohungen und Erfüllungen tragen sicher zum
Bild des Fremden bei, aber sie spezifizieren es nicht. Es ist ja gerade seine Unbekanntheit, die
ängstigt und verführt, und diese erfüllen wir mit Erwartungen und Ängsten, die weniger schon
Erlebtes projizieren, als Erlebbares antizipieren" (vgl. Boesch, 1996, S. 94). Die Bedrohung
wird bald als beängstigend, bald als Herausforderung empfunden, der sich zu stellen einen be-
sonderen Reiz hat.
Das ,,Eigene" dagegen kann uns Sicherheit und Geborgenheit geben, wie es uns aber auch be-
drücken und einengen kann. Für Boesch (1996) hängt es von unserem Verhältnis zur Heimat
ab, wie wir das ,,Fremde" wahrnehmen. Heimat ist mehr als das Zuhause, mehr als regionaler
Wohnbereich. Heimat besteht nicht aus den Hügeln, Wäldern oder Stränden der Kindheit und
auch nicht aus den mütterlichen Konfitüren, nach denen man in der Fremde ,,Heimweh" ver-
spürt. Die Heimat setzt sich nach ihm aus den Schlüsselerlebnissen, die man vor allem im
ersten Drittel seines Lebens gemacht hat und aus Erfahrungen, die das Selbst begründen, zu-
sammen (vgl. Boesch, 1996, S. 97). Damit haben die Verlockungen oder Bedrohungen durch
das ,,Fremde" etwas mit der Bereicherung oder Bewahrung unseres Selbst zu tun. Das ,,Frem-
de" kann zur Anti-Identität werden, die unser positives Selbstbild bestätigt.
In der Geschichte finden wir viele Beispiele, in denen das ,,innere Fremde", die Eigenschaf-
ten, die wir bei uns selbst nicht akzeptieren, wie Gier, Lüsternheit, Aggressivität oder Ängste,
in ein äußeres Gegenbild verwandelt wurden. Hexen, Juden, Türken, Kommunisten und viele
andere wurden zu Symbolen des abgelehnten ,,inneren Fremden". Indem auf diese Weise das
Fremde abgelehnt wird, schützt man die eigene Identität. Es kommt dabei nicht darauf an, ob
der einzelne Jude oder Türke dem Gruppenbild entspricht, da es um Symbole und nicht um
Wirklichkeit geht (vgl. Boesch, 1996, S.98).
Das Fremde kann aber auch zum Traum und Wunschbild werden. In diesem Fall soll die
,,Wunschfremde", einen inneren Mangel beheben. ,,Unser Ich ist nie vollständig. Das Andere
­ das Versäumte, Versagte, noch nicht Erreichte ­ kondensiert sich kontinuierlich zu ,,Fantas-
men des Werdens", das, was man zuweilen eine ,,Wunsch- Identität" nennt" (vgl. Boesch,
1996, S. 100). Erst die erlebte Enge, Zwang und Versagung scheint die Ferne verlockend zu
machen.
Die Faszination der Fremde erklärt sich auch aus der Möglichkeit, sich des ,,Eigenen", des
Gewohnten durch die Kontrastierung mit dem Fremden bewußt zu werden und sich selbst zu
erkennen. Aus diesem Grund ist auch die Fremde für die Kunst so wichtig. Erkenntnis wird
erst durch die Fremd-machung des Gewohnten möglich. Durch Verfremdung wird neues Se-
hen erst erreicht, da das Gewohnte abgenutzt und nicht mehr wahrnehmbar ist (vgl. Lauer,
1998, S. 47).
Bisher habe ich hauptsächlich individual-psychologische Aspekte des ,,Eigenen" und des
,,Fremden" behandelt, die vielleicht die Faszination für fremde Länder sowie die Ablehnung
einiger Menschen ihres türkischen Nachbarn erklären. Nun möchte ich kurz auf das kollektiv
kreierte ,,Eigene" und ,,Fremde" eingehen. Ähnlich wie wir unsere Identität nur im Vergleich
zur Nicht-Identität definieren können, gewinnen soziale Kollektive ihre Identität u.a. durch

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Grenzdefinition, d.h. durch die Konstruktion der Differenz zwischen ,,Wir" und die ,,Ande-
ren" (vgl. Fuchs, 1993). Eine Gruppe konstituiert sich durch die Definition eigener Charakte-
ristika, im Gegensatz zu denen der Fremdgruppe. Die fremde Gruppe kann, ähnlich wie z.B.
ein Land, sowohl faszinierend aber auch bedrohlich wirken. Jede Nation oder Gesellschaft hat
ihre Mythen von den Fremden. Die alten Kulturen berichteten von geheimen Inseln, auf de-
nen Nymphen den sehnsüchtigen Seefahrer ins Verderben lockten. Es wurde uns von indiani-
scher Medizin, japanischen Zenmeisten, südamerikanischen Zauberern und indischen Gurus,
die viel Glück in fernen Landen versprachen, berichtet (vgl. Boesch, S. 101). Zugleich entwi-
ckelten sich negative Feindbilder wie ,,die Heiden", die ,,gelbe Gefahr" u.a.
Die bisherigen Ausführungen haben die enge Beziehung zwischen ,,Eigenem" und ,,Frem-
dem" deutlich gemacht. Die Fremdheit entsteht erst aus der Eigenheit und die Eigenheit erst
aus der Fremdheit. Dies scheint sowohl für die Ich-Identität, sowie auch für Gruppenidentitä-
ten zuzutreffen.
Wie ausländische Studenten das ,,Eigene" und das ,,Fremde" definieren, soll in dieser Arbeit
untersucht werden. Die im Titel dieser Arbeit angegebene ,,Koevolution" deutet darauf hin,
daß sich das ,,Eigene" und ,,Fremde" gegenseitig bedingen und gleichzeitig entstehen.
Im Vorwort habe ich schon angesprochen, daß mir die sozialen Kontakte der ausländischen
Studenten in Deutschland und ihre Gruppenzugehörigkeit einen Einfluß auf ihre Einstel-
lungen zu haben scheinen. Man könnte jetzt annehmen, daß sich Gruppen von ausländischen
Studenten der gleichen Nationalität, über nationale Ähnlichkeiten definieren. Darum wird im
Titel auf die Nationalstaaten Bezug benommen. Das Bild des eigenen Landes wird in diesem
Zusammenhang vermutlich Symbol für die Gruppenidentität und das Deutschlandbild Symbol
für die Fremdgruppe. Folgt man dem Gedanken, daß die Deutschland- und Heimatbilder
hauptsächlich Funktionen in den Studentengruppen gleicher Nationalität übernehmen, müßten
Studenten, die nicht in diese Gruppen integriert sind, auch unterschiedliche Bilder des eigenen
und des fremden Landes besitzen. Um diese Annahme bestätigen oder widerlegen zu können,
werden Studenten, die kaum Kontakte zu Deutschen besitzen und hauptsächlich mit ihren
Landsleuten befreundet sind, in meiner Studie Studenten gegenübergestellt, die vornehmlich
mit Deutschen befreundet sind und kaum Kontakte zu ihren Landsleuten unterhalten.
Die Ausgangshypothese ist in diesem Zusammenhang, daß die Bilder des eigenen und des
fremden Landes hauptsächlich durch Kommunikation mit den Personen kreiert werden, zu
denen sich die Studenten zugehörig fühlen und weniger auf konkreten Erfahrungen in
Deutschland beruhen. Neben der Beziehung zwischen sozialen Gruppen der ausländischen
Studenten und Eindrucksbildungsprozessen interessiert mich auch, welche Faktoren die
Gruppenbildungen entscheidend beeinflussen.
1.2 Raumabstraktion als wesentlicher Bestandteil des Gruppendiskurses: Die
geographische Dimension der vorliegenden Arbeit
Im Zentrum der angesprochenen Gruppendiskurse stehen ,,Raumabstraktionen", da Nationen
explizit oder implizit ,,Raumabstraktionen" sind. ,,Raumabstraktion" bedeutet nach Klüter
(1986), daß Raum als ,,gedankliches Konstrukt" oder als ,,Form der Informationsaufbereitung
in der Gesellschaft" gedacht wird (Klüter, 1986, S.167).
Seit nahezu zwei Jahrhunderten steht der ,,Raum" im Mittelpunkt der Gedanken der Geogra-
phen über die Geographie. Interessant ist es an dieser Stelle zu überlegen, welche geographi-
schen ,,Raumtheorien" für mein Thema relevant und nutzbar zu machen sind. Lassen Sie mich
einige noch heute gültige Ansätze kurz darstellen:
Seit dem Paradigmawechsel in der Geographie 1968/69, eingeleitet durch die Habilitations-
schrift von Bartels und den 37. Deutschen Geographentag in Kiel, bei dem eine Abkehr von
der Länderkunde stattfand, wird ,,Raum" in der modernen Geographie als Verteilungs-, Ver-
knüpfungs- und Ausbreitungsmuster gesehen.

8
Dabei wird davon ausgegangen, daß die realen Raumstrukturen von gesellschaftlichen Grup-
pen unterschiedlich wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmungen führen zu Entscheidun-
gen. Die Entscheidungen werden in Handeln umgesetzt und diese Handlungen verändern
dann wiederum die Raumstrukturen. Dieser von mir grob vereinfachte Prozeß findet in Rela-
tion zu den jeweiligen sozialen, politischen, rechtlichen, ökonomischen, historischen, kultu-
rellen u.a. Rahmenbedingungen statt.
Das skizzierte Kernparadigma der modernen Geographie wird in vielen Punkten kritisiert. Zu-
nächst zur Wahrnehmung des Raums, mit der sich die Wahrnehmungsgeographie beschäftigt.
An diesem Aspekt ist fragwürdig, daß es zunächst schwer ist, die Wahrnehmungen nachzu-
weisen. Sie müssen also als hypothetisches Konstrukt behandelt werden. Kurz gesagt, die Ge-
fahr der Artefaktbildung ist gegeben. Zudem wird kritisiert, daß die mentale Welt des Einzel-
nen im Zentrum der Betrachtung stehe, statt, wie es sich für eine Sozialgeographie gehöre, die
soziale Konstruktion und die soziale Funktion der ,,wahrgenommenen Räume". ,,Neben dem
Raum physischer Objekte konnte man sich am ehesten noch einen erlebten und wahr-
genommenen, einen mentalen oder Psycho-Raum vorstellen; daher der Siegeszug der Perzep-
tionsgeographie, die ­ charakteristischerweise. In ihrem Ansatz und Kern ebenfalls immer
eine Psycho-Geographie geblieben ist." (vgl. Hard 1987, S.28)
Nach dem Paradigma führen Wahrnehmungen zu Entscheidungen, und durch die Entschei-
dungen werden Handlungen der Menschen erklärt s.o. . ,,Die Ursachen und Entstehungsbe-
dingungn der gesellschaftlichen und sozialen Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse sind
dabei zu sozialräumlichem Handeln in Beziehung zu setzten und so zu analysieren, das Ver-
halten/Handeln logisch ableitbar, deutbar und erklärbar wird (...)" (Wenzel 1982, S. 330).
Hier wird darauf hingewiesen, daß unklar ist, in welcher Weise die Wahrnehmungen die
Handlungen beeinflussen, da auch Menschen mit gleichen Wahrnehmungen unterschiedlich
handeln können und andererseits Menschen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen oder
mental maps gleich handeln können. Viele Menschen handeln zudem irrational. Auch bei
rationalen Handlungen treten die beabsichtigten Folgen der Handlungen in vielen Fällen nicht
ein. Wie Werlen formuliert, leben wir in einer ,,Welt unbeabsichtigter Handlungsfolgen" (vgl.
Werlen 1995, S. 222).
In letzter Zeit gibt es einige Geographen, die es für verfehlt halten, den materiellen/ physi-
schen Raum als Ausgangspunkt oder Endprodukt gesellschaftlicher Prozesse zu sehen. ,,Der
Sozial- und Wirtschaftsgeograph, der sich als Sozialwissenschaftler versteht, sollte besser
fragen, ob und wo Raumbegriffe und Raumbezüge (1.) in umfassenden sozialwissenschaft-
lichen Theorien und (2.) in der sozialen Wirklichkeit, in sozialen Systemen auftauchen" (vgl.
Hard, 1986, S. 78). Ähnlich argumentiert Werlen in seinem Versuch, eine handlungskom-
patible Raumkonzeption aufzustellen: Es sei unsinnig, zur Analyse der Handlungen gesell-
schaftlicher Gruppen, die Einflüsse des physischen/materiellen Raums zu untersuchen, da sich
das soziale Handeln größtenteils auf in der Gruppenkommunikation geschaffene Räume be-
ziehe. ,,Die moderne Alltagswirklichkeit ist zunehmend eine von den Subjekten geschaffene
Welt, eine Welt der Artefakte" (vgl. Werlen 1995, S. 222). Dazu gehören nicht nur materielle
Räume, sondern auch semantische, z.B. Raumabstraktionen. Demnach müßten die Subjekte,
die ihr Handeln durch ihre ,,mentale Räume", alias ,,Raumabstraktionen" steuern, im Mittel-
punkt des Interesses der modernen Geographie stehen. Die Geographie sollte untersuchen, zu
welchem Zweck die Räume konstruiert werden und welche Funktionen diese Raumabstrakti-
onen in den sozialen Systemen haben. ,,Wir richten den Blick vielmehr auf die soziale Welt
und fragen, welche räumlichen Kodierungen der Wirklichkeit dort vorgenommen werden, wie
diese Raumabstraktionen funktionieren und was sie für welche sozialen Systeme und gesell-
schaftliche Praxen leisten" (vgl. Hard 1986, S. 79). Der Ansatz von Klüter, der von einer
Theorie selbstreferentieller sozialer Theorien nach Luhmann, ausgeht, weist in die gleiche
Richtung, da er vorschlägt, zu untersuchen, welche Raumabstraktionen in der sozialen Welt

9
vorkommen und welche Bedeutung sie in der sozialen Kommunikation haben. Das ist bei
Klüter (1986) ausführlich dargestellt.
Die Kontroverse in der Geographie, ob die Sozialgeographie in ihren Überlegungen bei rea-
len Räumen ansetzen sollte, die auf bestimmte Art und Weise von sozialen Gruppen wahrge-
nommen werden, oder ob im Zentrum unserer Wissenschaft soziale Gruppen stehen sollten,
die Raumabstraktionen vielleicht auf geringer realer Grundlage kreieren, lassen sich recht gut
zu den Überlegungen in Beziehung setzten, die ich mir am Anfang dieser Arbeit mache. Diese
lassen sich in den Fragen kristallisieren: Beziehen sich die ausländischen Studenten, wenn sie
über ihr Land sprechen, auf einen physich-materiellen Raum, in dem sie bestimmte Erfahrun-
gen gemacht haben und den sie mit Deutschland, einem ihnen fremden Raum vergleichen?
Oder ist dieser ,,reale" Raum in sozialwissenschaftlichem Zusammenhang unwichtig? Steht
für die Studenten, wie für den Sozialforscher eher die Funktion der in der Gruppe kreierten
Raumabstraktionen im Mittelpunkt?
Gemäß den Ausgangsüberlegungen, die ich im letzten Teil schon skizziert habe, folge ich der
zweiten Annahme und damit den Grundgedanken der drei zitierten Geographen Klüter, Hard
und Werlen, die fordern, nicht den physisch-materiellen Raum und seine Beziehungen zu
Handlungen sozialer Gruppen zu untersuchen, sondern die Entstehung und den Inhalt der
Raumabstraktionen in Bezug auf seine Funktionen in der sozialen Kommunikation zu analy-
sieren und auf diese Weise das Handeln von Gruppen zu erklären.
Die Gruppen, die in dieser Arbeit untersucht werden, sind die ausländischer Studenten in Os-
nabrück. Es werden vordergründig Bilder von Deutschland und den Heimatländern im Be-
wußtsein der interviewten ausländischen Studenten erhoben. Elemente der mentalen, der
zweiten Welt Poppers, werden analysiert, die, wie ich annehme, Abbilder der in der Gruppe
der Austauschstudenten kollektiv geformten Deutschland- und Heimatbilder sind. Deutsch-
landbilder entstehen dann nur teilweise durch die subjektive Wahrnehmung und Interpretation
der fremdkulturellen Umwelt in Bezug auf das eigenkulturelle Bezugssystem jedes Aus-
tauschstudenten, sondern werden größtenteils in der Gruppe der ausländischen Studenten kol-
lektiv erzeugt. Durch die Erhebung der mentalen Welten der Austauschstudenten hoffe ich,
auf kollektive Deutschlandabstraktionen der Gruppe der ausländischen Studenten schließen
zu können, also auf Deutschland- und das Heimatbilder als Elemente der sozialen Welt, der
dritten Welt Poppers.
Nach diesem Ansatz läßt sich vermuten, daß die Studenten nicht von ,,Deutschland", ,,Eng-
land", ,,Frankreich" usw. als physischen Räumen sprechen, die sich in Distanzrelationen zu-
einander befinden, sondern ihre geäußerten Einstellungen zum ,,eigenen" und ,,fremden" Land
nur Abbilder der Raumabstraktionen und Theorien über die Länder sind, die in der sozialen
Kommunikation in der Gruppe der ausländischen Studenten entstehen.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß sich in der Alltagskommunikation,
die erhoben wird, räumliche Elemente mit anderen, z.B. sozialen oder ökonomischen vermi-
schen. So kann z.B. über das Klima in Deutschland gesprochen werden, von dem der Charak-
ter der Deutschen, der in Deutschland Geborenen, abgeleitet wird. Der räumliche vermischt
sich in diesem Fall mit dem ethnischen Diskurs. Es soll untersucht werden, welche Bedeutung
den räumlichen Elementen bei der Beschreibung des eigenen und des fremden Landes zu-
kommt. In der Geographie gibt es hierzu einige Überlegungen zur ,,räumlichen Identität".
,,Auf der Ebene sozialer Systeme verweist der Begriff auf die Identität einer Gruppe, die einen
bestimmten Raumausschnitt als Bestandteil des Zusammengehörigkeitsgefühls wahrnimmt,
der funktional als Mittel der Ausbildung von Gruppenkohärenz wirksam wird und damit ein
Teilelement der ideologischen Repräsentation des ,,Wir- Konzepts" darstellt" (vgl. Weichhart,
1990, S. 23). In diesem Ansatz wird davon ausgegangen, daß Individuen sowie soziale Grup-
pen ihre Identität über physisch-materielle Raumausschnitte definieren. Welche Relevanz
diese Theorie für die Analyse der ausländischen Studenten hat, wird sich noch zeigen.

10
Wenn ausländische Studenten über ihr Land sprechen, ist nicht nur relevant, durch welche
Elemente sie es definieren, sondern auch in welcher Weise. Neben den eher kognitiven ,,In-
halten" müssen demnach auch die emotionalen Aspekte der Bilder berücksichtigt werden, da
sie eng mit den Bewertungen und ihrer identitätsbildenen Funktion verbunden sind.
Wenn man dem Gedanken folgt, daß die Bilder des eigenen und des fremden Landes be-
stimmte Funktionen in den Gruppen der ausländischen Studenten übernehmen, ist entschei-
dend, welche Wertungen an die Bilder geknüpft werden. Werden die Namen der Nationalstaa-
ten zu Symbolen des ,,Eigenen" und des ,,Fremden" und damit Teile der Gruppenidentität?
Wird das Eigene, mit dem man sich identifiziert tendenziell immer positiver bewertet als das
Fremde?
Geht man davon aus, daß Kommunikation eine Form der Handlung ist, durch die sich soziale
Gruppen die Welt durch kollektive Sinngebungen für bestimmte Ziele und Zwecke erschaf-
fen, schließt sich die Frage an, welche genaue Funktion die Raumabstraktionen in der Gruppe
erfüllen. Man könnte die These vertreten, daß das kollektiv eigene und das fremde Land von
den ausländischen Studenten konstruiert werden, um auf der einen Seite Gruppenidentität und
auf der anderen Seite Distanz zu den deutschen Studenten zu schaffen und zu begründen.
An dieser Stelle wird klar, die Entstehung der Deutschland- und Heimatbilder wahrscheinlich
eng an die Entstehung und Konstitution der Gruppe der ausländischen Studenten geknüpft ist.
Ich werde aus diesem Grund auch die Entstehung der Gruppe der ausländischen Studenten in
meiner Arbeit untersuchen, um auf diese Weise die Funktion der kollektiven Bilder analysie-
ren zu können.
Ich denke, die Ausführungen haben gezeigt, daß mein Thema in einige aktuelle geographische
Theorien eingeordnet werden kann. Hier stehen ,,Wahrnehmungsräume" (Wenzel), die zur
,,räumlichen Identität" (Weichart) führen, ,,Raumabstraktionen" (Klüter, Werlen und Hard)
gegenüber, die sich nur bedingt auf ,,Realräume" beziehen. Für die Geographie wird meine
Arbeit von daher interessant sein, da die ,,modernen" geographischen Raumtheorien auf ein
konkretes Beispiel bezogen werden und ihre Praxisrelevanz ,,getestet" wird.

11
1.3 Konkretisierung der Vorüberlegungen in Ausgangshypothesen
Lassen Sie mich die vorgestellten Ausgangsüberlegungen zu dieser Arbeit in einigen
Thesen zusammenfassen.
1. Vor allem die Gruppen der Landsleute, deren Mitglied der interviewte ausländischen Stu-
denten ist, und die Gesamtgruppe der ausländischen Studenten, sind für den Gaststudenten
seine bedeutendsten Bezugsgruppen
1
. Freundschaften zu Deutschen bestehen kaum.
2. Die Entstehung von Bildern des eigenen und des fremden Landes im Bewußtsein des ein-
zelnen ausländischen Studenten ist damit eng an seine sozialen Kontakte in Deutschland
geknüpft. Das Gefühl des ,,Nicht-Integriertseins" der ausländischen Studenten in die Ge-
meinschaft der deutschen Studenten wird in den Gruppen der Landsleute aufgefangen.
3. Die Deutschland- und Heimatbilder entstehen zum Teil als Reaktion auf den wenigen
Kontakte zu deutschen Studenten.
4. Die Gruppen, denen der ausländische Student sich zugehörig fühlt, sind besonders wichtig
für die Entstehung der Bilder, da Konsenstheorien über Deutschland und die Herkunfts-
länder Teile der Gruppenkommunikation und Gruppenidentität sind.
5. In der Kommunikation über Deutschland und die Heimatländer vermischt sich der räum-
liche und der ethnische Diskurs.
6. Die Bilder, die in der Gruppe kollektiv gebildet werden, greifen auf schon bestehende Bil-
der von Deutschland und dem Heimatland, auf bekannte Vorurteile und Stereotypen, die
vor Ankunft in Deutschland erworben wurden zurück und bauen auf diesen auf.
7. In der Kommunikation sind die Bilder von Deutschland und dem Heimatland der betref-
fenden ,,Nationalitätengruppe" Symbole, die sich nur in geringem Maße auf psysisch-
materielle Räume beziehen.
8. Die Kreation eines idealisierten Heimatbildes dient der Festigung der Gruppenidentität
und der Abgrenzung zu den deutschen Studenten durch die Schaffung eines negativen
Deutschlandbildes.
9. Deutschland und den Deutschen werden negativere Eigenschaften zugesprochen, als den
Mitgliedern der eigenen Nationalität oder den Nationalitäten, die man als seiner Nationali-
tät ähnlich empfindet.
10. Erfahrungen in Deutschland werden größtenteils zur Bestätigung der bestehenden Bilder
eingesetzt und in der Gruppe im Sinne der Gruppenbilder interpretiert.
11. Das Deutschlandbild hängt nicht von der Nationalität oder der Aufenthaltsdauer des
betreffenden Studenten in Deutschland ab.
Neben diesen Hypothesen könnten noch viele weitere gefunden werden, deren Ausformulie-
rung ich allerdings an dieser Stelle nicht für angebracht halte. Die Darstellung der Ausgangs-
hypothesen dient dazu, meine theoretischen Überlegungen zu Beginn der Untersuchung of-
fenzulegen. Da meine Studie in weiten Teilen explorativen Charakter hat, stellen die Hypo-
thesen keine fertige Theorie dar, die anhand der Studie überprüft werden soll. Sie werden im
Laufe der Untersuchung ständig durch neue Ergebnisse ergänzt. Es handelt sich demnach um
eine Mischung aus deduktivem und induktivem Vorgehen. Im Folgenden soll die Methodik
der Untersuchung näher erläutert werden.
1
,,Jene Gruppe, mit der sich das Individuum identifiziert und die sein Verhalten beeinflußt (...) wird Bezugs-
gruppe genannt" (vgl. Mann, 1991, S.65).

12
2 Methodik der empirischen Untersuchung von ausländischen Studenten
Ziel meiner Untersuchung ist es zunächst, anhand von Fallstudien, die Entstehung, den Inhalt
und die Funktion von Deutschland- und Heimatbildern für den einzelnen ausländischen Stu-
denten herauszufinden. Durch die Analyse der empirischen Daten sollen Aussagen über die
Charakteristika des Falls gewonnen werden und durch den Vergleich der Fälle typische Mus-
ter herausgearbeitet werden. In diesem Teil meiner Arbeit werden die Untersuchungsobjekte
charakterisiert, sehr eingehend der Leitfaden vorgestellt, mit dessen Hilfe die Erhebung statt-
findet, die genaue Untersuchungsdurchführung beschrieben und die Analyse der gewonnenen
Daten dargestellt.
2.1 Die Untersuchungsobjekte: Erasmusstudenten und die Rahmenbedingun-
gen ihres Deutschlandaufenthalts
Was bedeutet ,,ausländischer Student"? Ein ausländischer Student kann z.B. ein politisch ver-
folgter Iraker sein, der nach seiner Anerkennung als Asylant in Deutschland ein Studium an-
gefangen hat und mit dem Gedanken leben muß, womöglich nie in sein Land zurückkehren zu
können. Das kann ebenso die französische Ehefrau eines Deutschen sein, die zwei Kindern
hat und nur zum ,,Zeitvertreib" studiert, oder ein Türke, der in Deutschland aufgewachsen ist
und sich mehr als Deutscher denn als Türke sieht. Eine ausländische Studentin ist auch die
18jährige Spanierin, die für sechs Monate nach Deutschland reist, um herauszufinden, ,,wer
sie wirklich ist".
Ich denke, diese vier holzschnittartigen Beispiele haben gezeigt, daß die ,,ausländischen Stu-
denten" keine homogene Gruppe sind. Der Sammelbegriff ,,ausländischer Student" umfaßt
Menschen, die aus unterschiedlichsten Motiven in Deutschland sind, deren Aufenthaltsdauer
von ihrem ganzen Leben, bis zu wenigen Monaten variiert und die verschiedensten Alters
sind und sich so in unterschiedlichen Lebensphasen befinden. Neben den Motiven nach
Deutschland zu kommen, der Aufenthaltsdauer und dem Alter, können noch viele weitere
Unterscheidungskriterien der ,,ausländischen Studenten" aufgebaut werden, die vermutlich
auch die Deutschland- und Heimatbilder beeinflussen. Es erscheint mir nicht sinnvoll, die
Gesamtgruppe der ausländischen Studenten in Osnabrück zu untersuchten, da dies den Rah-
men dieser Arbeit sprengen würde.
Aus diesem Grund wird sich diese Arbeit auf eine relativ ,,homogene Untergruppe" der aus-
ländischen Studenten konzentrieren: die ,,Erasmusstudenten". Durch den organisatorischen
Rahmen des Austauschprogramms der Europäischen Union ,,Erasmus", gleichen sich bei die-
sen Studenten die Wohn- und Lebensbedingungen in Osnabrück. Die Studenten ähneln sich
ihrem Alter, in der geplanten Aufenthaltsdauer in Deutschland und hinsichtlich der Finanzie-
rung des Deutschlandaufenthaltes.
Neben der Einschränkung der Variablen die die Deutschland- und Heimatbilder der Studenten
beeinflussen können, werden die ,,Erasmusstudenten" auch aus praktischen Überlegungen als
Untersuchungsgruppe gewählt. Durch meine Arbeit im Akademischen Auslandsamt der Uni-
versität in Osnabrück (AAA), bei der es meine Aufgabe ist, die Erasmusstudenten u. a. zu
betreuen, ist es relativ einfach, Studenten für die Interviews zu bekommen. Zudem hatte ich
schon vor dieser Arbeit einen guten Einblick in ihren Alltag, kannte ihre Wohn- und Lebens-
bedingungen, wußte wie sie ihre Freizeit verbringen und welche Hauptprobleme in einem
Auslandsjahr auftreten können. Ich denke, daß dieses Vorwissen mir helfen wird, die Aussa-
gen der Studenten richtig zu beurteilen und sie in ihrem zugehörigen Kontext zu verstehen.
Auch ein technisches Problem führt zur Eingrenzung der Untersuchungsgruppe, die Tatsache,
daß ich als Interviewerin die europäischen Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch be-
herrsche und bei Sprachproblemen meiner Interviewpartner auf ihre Landessprache auswei-

13
chen kann. Ich will nicht mit Dolmetschern arbeiten, da dies ein weiterer Faktor ist, der die
Untersuchungsergebnisse verfälschen kann.
Aus allen oben genannten Gründen entscheide ich mich, meine Untersuchung auf die Gruppe
der Erasmusstudenten in Osnabrück, zu beschränken.
2.1.1 Vorstellung des Erasmusprogramms
Um die Situation der Erasmusstudenten in Osnabrück verstehen zu können, erscheint es mir
nötig, zunächst den organisatorischen Rahmen ihres Deutschlandaufenthaltes kurz darzustel-
len. Das Erasmusprogramm, das in seinem Namen an den ,,akademischen Wanderer" Eras-
mus von Rotterdam erinnert, wurde 1987 als Aktionsprogramm der Europäischen Union kon-
zipiert, welches die studentische Mobilität in Europa intensivieren sollte. In den zehn Jahren
1987/88 bis 1997/98 beantragten rund 983 000 europäische Studenten einen Mobilitätszu-
schuß. 80 000 deutsche Studenten gingen in diesem Zeitraum ins europäische Ausland
2
. Die
Größenordnung dieser Zahlen belegt, daß das Erasmusprogramm das wichtigste Förderungs-
instrument für das Studium im europäischen Ausland ist. Neben der Erweiterung des Fach-
wissens soll durch den Austausch auch ein Kulturkontakt stattfinden: ,,Durch die persönliche
Begegnung mit dem jeweiligen Gastland können die Studierenden nicht nur ihr fachliches
Wissen erweitern, sondern vor allem Land und Leute besser kennen- und verstehen lernen,
Freundschaften schließen sowie ihre Fremdsprachenkenntnisse vertiefen. Auf diese Weise
leistet ERASMUS einen wichtigen Beitrag zum Bau des Hauses Europa und eröffnet zugleich
zahlreichen Studentinnen und Studenten die Möglichkeit, sich durch den Auslandsaufenthalt
fachliche Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen zu erwerben, die im Zeichen einer fort-
schreitenden weltweiten Vernetzung und Internationalisierung von Wissenschaft und Wirt-
schaft von den Hochschulabsolventen gefordert werden" (vgl. Berchem 1997, S. 9). Der Stu-
dentenaustausch erfolgte bis 1996/97 stets im Rahmen sogenannter Hochschulkooperations-
programme, die von Fachbereichen bzw. Hochschullehrern koordiniert wurden. Die institu-
tionelle Zusammenarbeit wurde durch die Einführung des Hochschulvertrages 1997/98 noch
verstärkt. Gefördert werden ein bis zwei Semester an der Gasthochschule, also höchstens 12
Monate. Der europäische Durchschnitt liegt bei sieben Monaten Aufenthaltsdauer im Gast-
land.
Dem stetigen Anstieg der nachgefragten Mobilitätszuschüsse der Studenten steht ein nicht
proportional ansteigender Haushalt gegenüber. Die Finanzierungsbedingungen für Auslands-
aufenthalte von Studierenden haben sich demnach über die Jahre verschlechtert und liegen in
meinem Erhebungszeitraum bei ca. 200 DM Zuschuß monatlich.
Abbildung 1 zeigt, daß im Semester 1996/97, 9701 europäische Studenten mit dem Eras-
musprogramm in Deutschland studierten
3
. Die wichtigsten Herkunftsländer waren England (1
853 Studenten), Frankreich (1 829 Studenten), Spanien (1 368 Studenten) und Italien (1 301
Studenten).
2
Zahlen stammen aus dem Heft: ,,Studieren in Europa mit Erasmus" des DAAD (1997).
3
Die Zahlen für 1998, meinem Erhebungszeitraum lagen noch nicht vor. Sie befinden sich aber wahrscheinlich
in der gleichen Größenordnung.

14
Abbildung 1: Teilnehmerzahlen am Erasmusprogramm nach Ländern 1996/97
Länderabkürzungen: AT = Österreich, BE = Belgien, DK = Dänemark, ES = Spanien, FI = Finnland, FR =
Frankreich, GB = Vereinigtes Königreich, GR = Griechenland, IE = Irland, IT = Italien, NL = Niederlande, PT =
Portugal, SE = Schweden, IS = Island, NO = Norwegen.
(siehe DAAD, 1998).
2.1.2 Betreuung der Erasmusstudenten in Osnabrück
In Osnabrück ist das Akademische Auslandsamt (AAA) mit der Durchführung des Erasmus-
programms vor Ort beauftragt. Das AAA ist die Verbindungsstelle zwischen dem Deutschen
Akademischen Austauschdienst (DAAD), der die deutsche Zentralstelle des Erasmuspro-
gramms ist, der Universitätleitung, der Universitätverwaltung, den Fakultäten sowie den am
Erasmusprogramm beteiligten deutschen und ausländischen Studenten. Es existiert ein um-
fangreiches Betreuungsprogramm für die Gaststudenten: Sprachkurse, Orientierungstage zu
Beginn jedes Semesters, Informationen zum Studienalltag, Hilfe bei der Stundenplanerstel-
lung, fachliche Betreuung durch Tutoren, ein vierzehntägig stattfindender Stammtisch, Exkur-
sionen in verschiedene deutsche Städte, Wohnraumvermittlung, Hilfestellung beim Ausfüllen
der Formulare für die Ausländerbehörde usw.
Im Sommersemester 1997 sind 505 ausländische Studierende an der Universität Osnabrück
eingeschrieben, was einem Prozentanteil von 4,7 % aller Studierenden entspricht. Damit liegt
die Zahl der ausländischen Studierenden unter dem Bundesdurchschnitt, der etwa 8,4% be-
trägt (vgl. Tätigkeitsbericht 1997 des AAA).
152 Studenten werden durch das Erasmusprogramm gefördert. Die größten Gruppen kommen
aus Frankreich (49), England (25), Spanien (15) und Italien (13) (vgl. Studentenstatistik des
AAA).
4
4
Die Zahlen von 1998 sind noch nicht verfügbar. Sie liegen jedoch wahrscheinlich in der gleichen Größenord-
nung.

15
2.1.3 Darstellung der Kriterien für die Auswahl der Interviewpartner
Da es bei dieser Untersuchung darum geht, herauszufinden, ob die Gruppenzugehörigkeit des
interviewten ausländischen Studenten der ausschlaggebende Faktor ist, der das Deutschland-
und Heimatbild beeinflußt, ob es also gruppenspezifische Sichtweisen gibt, entschließe ich
mich, statt mit Zufallsstichproben zu arbeiten, eine bewußte Auswahl der Interviewpartner zu
treffen. ,, Das Sampling ist an der Gruppe orientiert, deren Perspektiven auf den Gegenstand
besonders aufschlußreich erscheinen (...)" (Flick, 1995, S. 206). In diesem Sinne will ich Rep-
räsentanten zweier Gruppen befragen:
- Studenten, die in die Gruppe ihrer Nationalität integriert sind, Kontakte zu den anderen
ausländischen Studenten unterhalten, aber nicht mit Deutschen befreundet sind.
-
Studenten, deren wichtigste soziale Kontakte Deutsche sind.
Nach meiner Einschätzung ist die erste Gruppe, die wenig Kontakt zu Deutschen hat, in der
Realität wesentlich größer als die zweite, die Freundschaft unterhält. In dieser Untersuchung
werden jedoch je sechs Studenten von jeder Gruppe befragt, wobei dieses Zahlenverhältnis,
nach meiner Einschätzung, nicht repräsentativ für die Gesamtgruppe ist, da mir wie am An-
fang schon erwähnt, die Studenten hauptsächlich in Gruppen ihrer Nationalität begegnen. Für
die Fragestellung dieser Arbeit ist es besonders interessant, die ,,Außenseiter" unter den E-
rasmusstudenten zu untersuchen. Das heißt die Studenten, die es geschafft haben, aus Grün-
den, die ebenfalls zu untersuchen sind, Freundschaften zu Deutschen aufzubauen, was die
Repräsentanten der ersten Gruppe größtenteils für unmöglich halten.
Sollte sich die Ausgangshypothese bestätigen, müßten sich die Einstellungen der Mitglieder
der beiden Gruppen stark voreinander unterscheiden.
Durch meine Arbeit im AAA ist es mir möglich, in etwa die sozialen Kontakte der Studenten
zu Deutschen schon im Vorfeld abzuschätzen. In einigen Fällen habe ich mich allerdings ge-
irrt.
Es handelt sich bei der Auswahl der Befragten um eine schrittweise Auswahl. Jeder Fall wird
direkt nach dem Interview vorinterpretiert, um eine Gruppenzuweisung möglich zu machen
und anschließend zu entscheiden, wer als Nächster interviewt werden soll. ,,Theoretisches
Sampling z.B. macht als Strategie eigentlich nur Sinn, wenn damit die Konsequenz verbunden
ist, daß nicht zuerst alle Interviews durchgeführt werden und dann erst mit der Interpretation
der Daten begonnen wird. Vielmehr ist die unmittelbare Interpretation erhobener Daten die
Basis für Auswahlentscheidungen" (vgl. Flick, 1995, S.59).
Neben der Gruppenzugehörigkeit ist die Nationalität ein weiteres Kriterium bei der Auswahl
der Untersuchungspersonen. Um meine Hypothese, daß die Nationalität bei der Bildung von
Deutschland- und Heimatbildern eine untergeordnete Rolle spielt, verifizieren oder falsifizie-
ren zu können, versuche ich Studenten aus möglichst vielen verschiedenen Nationen zu be-
fragen. Sie kommen aus Griechenland, England, Finnland, Dänemark, Spanien, Frankreich,
Italien und Polen.
Zu Beginn meiner Untersuchung wähle ich meine Interviewpartner nach Sympathie aus, da
ich denke, daß dies die Interviewpraxis erleichtern wird, und das so leichter offene und ehrli-
che Antworten zu erwarten sind. Ich bin allerdings mit keinem meiner Interviewpartner be-
freundet und habe auch mit keinem zuvor ein tiefgründiges Gespräch geführt. Ihre Deutsch-
land- und Heimatbilder sind mir demnach zunächst nicht bekannt.
Meine Auswahlkriterien sind :
- Erasmusstudent
-
Gruppenzugehörigkeit/ soziale Kontakte
- Nationalität
- Sympathie/Antipathie

16
Meine Auswahlkriterien sind nicht:
- Geschlecht
-
Bisherige Aufenthaltsdauer in Deutschland
- Studienfächer
- Alter
Das Ziel, das mit der bewußten Auswahl meiner Interviewpartner verfolgt wird, ist nicht, den
wahrscheinlichkeitstheoretisch abgesicherten Schluß von Zufallsstichproben auf Populatio-
nen zu ermöglichen, wie es in der quantitativen Forschung üblich ist. Ich will dagegen eine
möglichst große Bandbreite an möglichen Bildern und Verhaltensvarianten der ausländischen
Studenten deutlich machen. Dies soll vor allem durch die Untersuchung der ,,Außenseiter"
erreicht werden, die in einer quantitativen Untersuchung keinen hohen Stellenwert haben
würden. ,,Ausgangspunkt sind nicht Aggregatwerte von Gruppen (z.B. Mittelwerte), sondern
detaillierte Einzelfallbeschreibungen, die ,,repräsentativ" sind, wenn sie als typische Vertreter
einer Klasse ähnlicher Fälle gelten können" (vgl. Bortz, 1995). Ich will nach dem Prinzip der
,,exemplarischen Verallgemeinerung" vorgehen und versuchen, anhand der unterschiedlichen
Einzelfälle generalisierend Aussagen über Entstehung, Inhalt und Funktion der Bilder bei den
interviewten ,,Erasmusstudenten" in Osnabrück zu treffen.
Meine Untersuchung kann daher auch nicht als repräsentativ für alle ,,Erasmusstudenten" in
Deutschland gelten, da nur Studenten aus Osnabrück befragt werden. Variablen wie Größe
der Stadt, Anzahl der ,,Erasmusstudenten", die an der Universität studieren, stadtspezifische
Wohn- und Betreuungssituation u.a. beeinflussen sicherlich die Ergebnisse, so daß sie nicht
automatisch auf alle anderen deutschen Universitätsstädte übertragen werden können. Diese
Arbeit gleicht mehr einer Vorstudie, die die Bedeutung sozialer Beziehungen der Studenten in
Osnabrück für die Entstehung ihrer Deutschland- und Heimatbilder erheben möchte. Welche
Variablen wiederum die Gruppenbildung der Studenten beeinflussen, soll des Weiteren unter-
sucht werden.
2.1.4 Charakterisierung der Interviewpartner (statistische Daten)
Es werden 12 ausländische Studenten, die an der Universität Osnabrück studierten, mit Hilfe
von Leitfadeninterviews im Juni/Juli 1998 befragt. Die Interviews dauern zwischen einer und
dreieinhalb Stunden und werden mit Hilfe eines Kassettenrecorders aufgenommen. Die Be-
fragten sind zwischen 20 und 29 Jahren alt. Das durchschnittliche Alter liegt bei 23 Jahren.
Zehn befragte Studenten, werden durch das ,,Erasmusstipendium" der europäischen Union
gefördert. Elina (Finnland) und Anieschka (Polen), die kein Erasmusstipendium bekommen,
werden dennoch interviewt, da sie die bis auf das Stipendium alles mit den Erasmusstudenten
gemein haben. Die Wohnsituation, die Aufenthaltsdauer, die Betreuung durch das AAA, das
Studium und das Alter.
Die interviewten Studenten kommen aus: Griechenland (2), England (2), Finnland (1), Däne-
mark (1), Spanien (2), Frankreich (2), Italien (1) und Polen (1).
Sie studierten Jura (2), BWL (3), Germanistik (4), Geschichte (1), Philosophie (1) und Euro-
päische Studien (1).
Zum Zeitpunkt des Interviews sind sie zwischen zwei und elf Monaten in Osnabrück. Durch-
schnittlich haben die interviewten Studenten fünf Monate in Deutschland verbracht. Die Stu-
denten, die ein Jahr in Deutschland bleiben wollen, kommen in der Regel im Wintersemester
und die Studenten, die nur für sechs Monate in Osnabrück verweilen, reisen im Sommerse-
mester an. Da die Interviews am Ende des Sommersemesters geführt werden, geht die Zeit in
Deutschland für alle Studenten dem Ende zu.

17
Es werden drei Männer und acht Frauen befragt. Alle bis auf eine Person (Alexandra), die erst
überredet werden mußte, erklärten sich ohne Zögern zu einem Interview bereit.
Da die Gruppe der Erasmusstudenten in Osnabrück überschaubar ist, kennen sich alle inter-
viewten Studenten untereinander und nehmen auch in den Interviews auf einander Bezug.
2.2 Konzeption des Leitfadens
Ich entscheide mich für die Erhebung der Daten durch Leitfaden - Interviews, der gängigsten
Art qualitativer Befragung, da man durch die im Leitfaden angesprochene Themen ein Gerüst
zur Datenerhebung und Datenanalyse erhält, das die unterschiedlichen Interviews vergleich-
bar macht. Diese teilstrukturierte Form der Befragung hat den Vorteil, daß den sich im Ge-
spräch ergebenden Fragen nachgegangen werden kann, was in einem standardisierten Inter-
view nicht möglich wäre. Zudem kann das Gespräch von den Interviewten mitgesteuert wer-
den und es wird auf diese Weise möglich, die Meinungsstruktur der Befragten zu erfassen
(vgl. Atteslander 1993, S.158). Ich achte darauf, daß in jedem Interview alle vorher festgeleg-
ten Themenbereiche angesprochen werden. Die Reihenfolge und Intensität ihrer Behandlung
kann jedoch, je nach Gesprächsverlauf variieren. In dem Leitfaden werden geschlossene mit
offenen Fragen kombinierte (siehe Leitfaden im Anhang). Die geschlossenen Fragen beziehen
sich auf die Nationalität, das Alter, den Studiengang der interviewten Studenten usw. Die Er-
gebnisse dieses Teils wurden schon unter 2.1.4 dargestellt. Die offenen Fragen, in denen ich
die Einstellungen der Studenten ermitteln will, machen den Hauptteil der Untersuchung aus.
Aus den unter 1.3 vorgestellten Ausgangshypothesen leite ich Themenbereiche ab, die in Leit-
fragen konkretisiert werden.
Zunächst soll die Beziehung zwischen den Gruppen der ausländischen Studenten und ihren
Deutschland- und Heimatbildern untersucht werden.
Daran anschließend werden die Variablen, die die Gruppenbildung beeinflussen interessant.
Die im Folgenden vorgestellten Faktoren erscheinen mir die Gruppenbildung zentral zu be-
einflussen. Zudem werden die Faktoren aber auch teilweise induktiv erst bei der Auswertung
der Interviews entwickelt. Der folgende Teil dient der Vorstellung der Variablen, die in den
Leitfadeninterviews angesprochen werden.
Neben meinen Vorerfahrungen und den informellen Gesprächen mit ausländischen Studenten,
die ich der Vorbereitungszeit für diese Arbeit führte und die ich in Gesprächsnotizen festhalte,
verwende ich zur Erstellung des Leitfadens auch einige Ergebnisse der Austauschforschung.
Die ausführliche Darstellung der Austauschforschung und der Theorien auf die sie sich beruft,
findet im Rahmen der Diskussion meiner Ergebnisse im fünften Kapitel statt. Es folgt der
Darstellung der Themen, die im Leitfaden angesprochen werden.
2.2.1 Schwerpunkt I: Gruppen ausländischer Studierender in Relation zu ihren Deutschland-
und Heimatbildern
2.2.1.1 Soziale
Beziehungen
In der Austauschforschung werden drei soziale Netzwerke unterschieden, denen der Aus-
tauschstudent im Ausland angehören kann:
-
ein Netzwerk von Beziehungen zu den Landsleuten,
-
ein Netzwerk von Beziehungen zu anderen ausländischen Studenten und
- ein Netzwerk von Beziehungen zu Menschen des Gastlandes (vgl. Bochner 1981. In: Ha-
gemann 1985, S. 41).

18
Die Untersuchung der sozialen Beziehungen der befragten ausländischen Studenten bildet
einen Hauptteil der Arbeit, da die Relevanz der sozialen Kontakte für die Entstehung, den
Inhalt und die Funktion von Deutschland- und Heimatbildern untersucht werden sollen. Zu-
nächst werden die sozialen Beziehungen und die Gruppenzugehörigkeit der ausländischen
Studenten erhoben und dann die eventuell vorkommenden kollektiven Deutschland- und
Heimatbilder erfragt. In diesem Zusammenhang interessierte, ob und welche Funktion die
Bilder innerhalb der Gruppen haben.
Arbeitshypothesen in Bezug auf ,,soziale Beziehungen":
- Die drei oben genannten Netzwerke sind auch die wichtigsten für die Erasmusstudenten
in Osnabrück, erweitert durch das Netzwerk der Kontakte zu Freuden und zur Familie in
den Herkunftsländern.
-
Es existiert eine Gruppenkommunikation über die Deutschland- und Heimatbilder.
-
Die Gruppenmitglieder identifizieren sich über die Bilder mit ihrer Gruppe.
2.2.1.2 Deutschlandbilder
Die Fragen nach Eigenschaften der Deutschen aus der Sicht der ausländischen Studenten,
dient der Erhebung des Inhalts der Fremdbilder. Es ist interessant zu analysieren, welche E-
lemente der bekannten nationalen Stereotypen über Deutschland zur Darstellung des aktuellen
Deutschlandbildes herangezogen werden. Die Frage, in wieweit die nationalen Stereotypen
durch konkrete Erfahrungen widerlegt oder bestätigt werden, schließt sich an. Des Weiteren
ist zu untersuchen, welche Art von Situationen und Kontakten in der Lage sind, die Stereoty-
pen über Deutschland zu bestätigten oder zu widerlegten. Es soll zudem ein Vergleich des
Reflexiongrades über die Richtigkeit der nationalen Stereotypen der ausländischen Studenten
angeschlossen werden.
Arbeitshypothesen hinsichtlich der Deutschlandbilder:
- Das aktuelle Fremdbild wird Elemente der zuvor erfragten Voreinstellungen zu Deutsch-
land aufweisen.
-
Die Deutschlandbilder werden durch die sozialen Kontakte beeinflußt.
-
Bei intensiven Kontakten mit Deutschen ist ein differenziertes Fremdbild zu erwarten, daß
sich auf konkrete Erfahrungen mit Deutschen bezieht.
- Bei oberflächlichem Kontakt ist eher die Bestätigung der schon vorher bekannten nationa-
len Stereotypen über Deutschland der Fall.
- Die Fremdbilder haben kognitive und emotionale Anteile, die auf eine Wertung schließen
lassen.
- Die Wertungen von Deutschland und den Deutschen werden teilweise im Vergleich zum
Selbstbild erstellt.
- Der Grad der Reflexion über die Gültigkeit der in den Herkunftsländern üblichen
Deutschlandstereotypen zeigt, ob dieses Thema eine große Bedeutung für den betreffen-
den ausländischen Studenten im alltäglichen Leben hat.
- Der Grad der Reflexion kann somit als Indikator für die Auseinandersetzung mit der eige-
nen und der deutschen Kultur gelten.
2.2.1.3 Heimatbilder
Die Bilder der Herkunftsländer der Studenten sollen untersucht werden. Außerdem wird er-
hoben, ob die Selbstbilder im Vergleich mit den Fremdbildern entstehen. Ein weiterer Punkt
ist, in wieweit sich der einzelne Student mit seinem Land identifiziert oder distanziert.
Schreibt er Eigenschaften, die er seinem Land zuschreibt auch sich selbst zu? Ist das Her-

19
kunftsland wirklich ,,das eigene Land"? Bei einer hohen Identifikation mit dem Herkunftsland
ist eine positive Definition desselben anzunehmen. Im gegenteiligen Falle ist anzunehmen,
daß der Student seinem Land negativen Elemente zuschreibt, sich selbst aber als Ausnahme
sieht. Die emotionale Bindung an die Herkunftsländer soll erfragt werden, die vor allem in der
Definition des Herkunftslandes als Heimat deutlich werden wird.
Arbeitshypothesen in Bezug auf die Heimatbilder:
- Die Selbstbilder entstehen im Kontrast zu den Fremdbildern. Es findet eine Koevolution
statt.
- Der Grad der Identifikation mit dem eigenen Land geht mit der positiven Bewertung des-
selben und der emotionalen Bindung einher. Die Ländernamen sind Symbole der Identität.
- Die Bindungen an das Herkunftsland verstärken sich während des Deutschlandaufenthal-
tes, da die Lebensbedingungen und die sozialen Beziehungen im Heimatland durch die
Distanz idealisiert werden.
- Die Gruppenidentität der Ausländergruppe wird durch den kollektiven Aufbau eines posi-
tiven Heimatbildes gestärkt.
2.2.2 Schwerpunkt II: Bedingungen für die Gruppenbildung
2.2.2.1 Voreinstellungen zu Deutschland
Die zu untersuchenden ausländischen Studenten kommen mit in ihrer Lebensgeschichte ge-
formten Bildern von ihrem Land und von Deutschland nach Osnabrück. Diese Voreinstellun-
gen werden in der Befragung erforscht. Es ist anzunehmen, daß die Voreinstellungen zu
Deutschland die Wahrnehmungen während des Auslandsjahres beeinflussen. Bei negativen
Voreinstellungen zu Deutschland ist daher zu erwarten, daß die Studenten nur in geringem
Maße an Kontakten zu Deutschen interessiert sind und sich schnell in Gruppen mit ihren
Landsleuten zusammenschließen. Bei positiven Voreinstellungen ist eher zu erwarten, daß die
betreffenden Studenten an Kontakten mit Deutschen interessiert sind. Drei Ursprünge dieser
Voreinstellungen zu Deutschland, die auch in vorherigen Studien über ausländische Studenten
untersucht wurden, erscheinen mir erforschenswert:
- Die konkreten Erfahrungen der Studenten in Deutschland und mit Deutschen als Teil der
Voreinstellungen.
- Die Deutschlandstereotypen im Herkunftsland des Studenten als Teil der Voreinstellun-
gen.
-
Die Deutschlandbilder der Bezugsgruppe als Teil der Voreinstellungen.
Diese drei eng miteinander verknüpften Bereiche werden im Folgenden kurz vorgestellt und
zu jedem Bereich Arbeitshypothesen aufgestellt.
2.2.2.1.1 Auslandserfahrungen als Teil der Voreinstellungen
Eine Studie von Teichler belegt, daß die Mehrzahl der von ihm untersuchten Studierenden
schon Auslandserfahrungen hatten, bevor sie im Rahmen eines Studienaufenthaltes nach
Deutschland kamen. ,,(...) hatten zwei Drittel der europäischen Befragten nach ihrem 15. Le-
bensjahr mindestens einen Monat im Ausland verbracht" (vgl. Teichler 1988, S. 30). Die
Vorerfahrungen sind, wie ich annehme, der Grundstock des aktuellen Deutschlandbildes.
Es ist zu erwarten, daß die ausländischen Studenten, die schon Auslandserfahrung besitzen,
sich leichter dem Leben in Deutschland anpassen und leichter Kontakte zu Deutschen knüp-
fen. ,,Relativ gut verifiziert dürfte dagegen die Hypothese sein, daß frühere Auslandserfah-
rungen den Anpassungsverlauf im Gastland erleichtern. (...) wobei allerdings die Relation sol-
cher ,,Vorerfahrungen" zur späteren Zufriedenheit mit dem Auslandsaufenthalt und hinsicht-

20
lich der Einstellungen zum Gastland widersprüchliche Befunde aufweist, so daß auch in die-
ser Hinsicht weitere Untersuchungen sinnvoll sein dürften" (vgl. Breitenbach 1974, S. 305).
Arbeitshypothesen in Bezug auf ,,konkrete Auslandserfahrungen":
- Auslandserfahrungen schaffen Voreinstellungen zu Deutschland und dem Heimatland, die
vor der Zeit in Osnabrück gewonnen wurden. Sie beeinflussen die Entstehung der aktuel-
len Deutschlandbilder.
- Es ist anzunehmen, daß sich Studenten mit negativen Vorerfahrungen in Deutschland eher
in Gruppen mit anderen ausländischen Studenten zusammenschließen als Studenten mit
positiven Erfahrungen, da sie in der Gruppe ,,Schutz" vor negativen Erfahrungen suchen.
- Vorerfahrungen in Deutschland erleichtern die Anpassung und die sozialen Kontakte zu
den Deutschen. Damit ist zu erwarten, daß die Studenten mit Auslandserfahrungen sich
nicht nur in Ausländergruppen zusammenschließen.
- Durch die Möglichkeit der Einordnung aktueller Situationen in den Kontext früherer Er-
fahrungen, sind keine extrem negativen oder extrem positiven Bilder zu erwarten. Die
Studenten mit Auslandserfahrungen zeichnen sich durch eine größere Realitätsnähe ihrer
Bilder aus, als diejenigen, die über keinerlei Auslandserfahrungen verfügen.
2.2.2.1.2 Nationale Stereotypen als Teil der Voreinstellungen
In jedem Land existieren Nationale Stereotypen über andere Länder und Völker, die in ihrer
Entstehung zum Teil bis in die Antike zurückgehen. Sie bestehen aus der Zuordnung von
Eigenschaften zu bestimmten Nationalitäten und beruhen nicht unbedingt auf Beobachtungen
und Erfahrungen. ,,Auch wenn sich manche als ,,typisch" geltende Eigenschaften im Laufe
der Zeit ändern, bleibt doch das Prinzip der Charakterisierung eines Volkes durch bestimmte
Eigenschaften ­ oder sogar: eine bestimmte Eigenschaft ­ das gleiche" (vgl. Czyzewski 1995,
S.2). Mit den Fragen nach den, als bekannt vorausgesetzten, nationalen Bildern soll erhoben
werden, welche Elemente der Nationalen Stereotypen über Deutschland von den ausländi-
schen Studenten zur Kreation der aktuellen Deutschlandbilder benutzt werden.
Arbeitshypothesen in Bezug die Nationale Stereotypen:
-
Nationale Stereotypen sind Teil der Voreinstellung zu Deutschland, die die Studenten
mitbringen. Sie werden im Austauschjahr anhand konkreter Erfahrungen überprüft.
- Stereotypen haben die Eigenschaft, eher bestätigt als widerlegt zu werden. Daher wird
angenommen, daß die nationalen Stereotypen den aktuellen Bildern ähneln.
- Damit ist zu erwarten, daß bei dem Vorhandensein von negativen Stereotypen über
Deutschland die betreffenden Studenten sich eher in Gruppen ihrer Nationalität zusam-
menfinden als Studenten denen nur positive Deutschlandstereotypen bekannt sind.
2.2.2.1.3 Deutschland- und Heimatbilder in der Bezugsgruppe als Teil der Voreinstellungen
,,Jene Gruppe, mit der sich das Individuum identifiziert und die sein Verhalten beeinflußt,
ungeachtet, ob es ihr angehört oder nicht, wird Bezugsgruppe genannt" (vgl. Mann, 1991,
S. 65). Da Wertevorstellungen demnach vor allem in den jeweiligen Bezugsgruppen der Stu-
denten entstehen, der Familie und den engsten Freunden, zu denen enge emotionale Bezie-
hungen bestehen, ist anzunehmen, daß diese Gruppen die Voreinstellungen zu Deutschland
und dem Heimatland entscheidend prägen. Fragen in dieser Richtung sollen über die Deutsch-
land- und Heimatbilder der Eltern und Freunde und deren Bedeutung für den ausländischen
Studenten Klarheit verschaffen.

21
Arbeitshypothesen in Bezug auf Deutschland- und Heimatbilder in der Bezugsgruppe:
- Die Einstellungen der Eltern und Freunde zu Deutschland und dem Heimatland sind Be-
standteil der Voreinstellungen des ausländischen Studenten.
-
Aktuelle Einstellungen werden mit Einstellungen der Bezugsgruppe gerechtfertigt.
- Es ist zu vermuten, daß negative Deutschlandbilder der Bezugsgruppe dazu führen, daß
der betreffende Student wenige positive Erwartungen an seinen Deutschlandaufenthalt
knüpft und in Osnabrück nicht versucht, Kontakte zu Deutschen aufzubauen. Bei positi-
ven Bildern der Bezugsgruppe ist zu erwarten, daß Erlebnisse in Osnabrück positiv inter-
pretiert werden, und daß Kontakte zu Deutschen gesucht werden.
2.2.2.2 Motivation
Aus der Annahme, daß die Motive für den Auslandaufenthalt eng mit dem Verhalten in
Deutschland verbunden sind, stelle ich Fragen, die die Motivation und persönliche Zielsetzun-
gen der Studenten bezüglich des Auslandsjahres betreffen. In diesem Zusammenhang interes-
siert mich auch, ob die Studenten die vom Erasmusprogramm angegebenen Ziele, wie ,,Kul-
turaustausch" und ,,interkulturelles Lernen" teilen.
Die Untersuchung von Teichler hat ergeben, daß ausländische Studenten durch das Auslands-
studium vor allem hoffen, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern. Sie gaben ihr Interes-
se am fremden Land und Leuten als Motive für ihren Entschluß in Deutschland zu studieren
an. Viele erhoffen sich zudem bessere Berufschancen durch das Auslandsstudium (vgl. Teich-
ler 1988, S. 44). Diese Ergebnisse einer Fragebogenerhebung sollen durch meine Untersu-
chung überprüft werden und Beziehungen zwischen den Motiven für das Auslandsstudium
und dem Verhalten in Deutschland untersucht werden. Unterscheiden sich die Studenten, die
nur Freunde ihrer Nationalität haben in ihren Motiven von den Studenten, die hauptsächlich
mit Deutschen befreundet sind?
Arbeitshypothesen in Bezug auf die Motivation:
- Die Motive nach Deutschland zu gehen, sind eng mit den Handlungszielen bezüglich des
Auslandsaufenthalts verbunden. Besteht das Ziel, Deutsche kennenzulernen, um z.B. die
Sprachkenntnisse zu verbessern, ist nicht zu erwarten, daß sich der betreffende Student
nur mit seinen Landsleuten anfreundet. Gemäß seinen Zielen müßte er den Kontakt zu
Deutschen suchen.
- Knüpft der Student Ziele an seinen Auslandsaufenthalt, deren Erreichung in keiner Weise
den Kontakt mit Deutschen erfordern, ist zu erwarten, daß er sich auch nicht um Kontakte
bemüht und hauptsächlich mit seinen Landsleuten befreundet ist.
2.2.2.3 Erster
Eindruck
Aus verschiedenen psychologischen Studien z.B. Asch (1961) geht hervor, daß der erste Ein-
druck oft prägend wirkt und die folgenden Bilder und Einstellungen stark beeinflußt. Mit Fra-
gen, die diesen Themenbereich betreffen, soll untersucht werden, ob die ersten Eindrücke in
Deutschland die Bildung der Ausländergruppen entscheidend beeinflussen.
Arbeitshypothesen in Bezug auf den ersten Eindruck:
-
Der erste Eindruck von Osnabrück prägt das folgende Bild von Deutschland.
-
Er wird durch spätere Erfahrungen eher bestätigt und ausgebaut als widerlegt.
- Es werden sich diejenigen Studenten in Gruppen zusammenfinden, die einen kollektiv
negativen ersten Eindruck von Deutschland haben. Dem negativen ersten Bild von
Deutschland wird ein positives Heimatbild gegenübergestellt und damit in der Gruppe
kompensiert. Die Studenten suchen Schutz in der Gruppe.

22
- Je positiver der erste Eindruck ist, desto eher kann erwartet werden, daß die ausländischen
Studenten an Freundschaften mit Deutschen interessiert sind und nicht nur Kontakte zu
Landsleuten aufbauen.
2.2.2.4 Von den ausländischen Studenten vermutetes Bild der Deutschen ihres Herkunfts-
landes
In der Austauschforschung gibt es das Konzept des ,,Nationalstatus". Bei diesem Konzept
wird davon ausgegangen, daß es Rangskalen der Nationalstaaten im Bewußtsein jedes Men-
schen gibt. Der Status des eigenen Landes aus der Sicht der ausländischen Studenten und der
von den ausländischen Studenten vermutete Nationalstatus ihres Landes in den Augen der
Gastbevölkerung, haben nach diesem Konzept Einfluß auf das Verhalten der Studenten zu
den Deutschen. ,,Nicht allein die objektiven Kulturunterschiede, sondern weit mehr noch das
vermeintliche Ansehen des eigenen Landes bei der Bevölkerung des Gastlandes und hier wie-
derum bestimmte aus traditionellen Selbst- und Fremdbildern resultierende ,,Bereiche der
Empfindlichkeit" (Lambert und Bressler 1956) stellten sich als entscheidend für die Anpas-
sung und Einstellung zum Gastland heraus" (Breitenbach 1974, S. 290). In diesem Themen-
bereich wird das vom ausländischen Studenten vermutete Bild der Deutschen vom Heimat-
land erhoben, um einen möglichen Zusammenhang zwischen diesen vermuteten Bildern der
Deutschen und der Kontaktintensität der ausländischen mit den deutschen Studenten klären zu
können. Klar ist, daß den vermuteten Einstellungen der Deutschen zu den Heimatländern der
Studenten keine realen Bilder der Deutschen gegenübergestellt werden können. Diese Studie
konzentriert sich bei dieser Frage allein auf die Auswirkungen, die die vermuteten Bilder der
Deutschen von dem Herkunftsland des Gaststudenten auf die sozialen Kontakte haben kön-
nen.
Arbeitshypothesen in Bezug auf das vermutete Bild der Deutschen vom Land des Austausch-
studenten:
- Die ausländischen Studenten haben sowohl Statusvorstellungen ihres Landes als auch von
Deutschland.
- Die vermuteten Statuszuscheibungen ihres Landes durch die Deutschen haben einen
Einfluß auf die Gruppenbildung der ausländischen Studenten und auf die Entwicklung ei-
gener Heimat- und Deutschlandbilder.
- Bei negativer vermuteter Nationalstatuszuschreibung ihres Landes durch die Deutschen
besteht die Angst der ausländischen Studenten, ebenfalls einen geringen persönlichen Sta-
tus zugesprochen zu bekommen, da sie ja tagtäglich über ihre Nationalität identifiziert
werden und ihnen dies bewußt ist.
- Aus diesem Grund ist zu erwarten, daß bei negativer vermuteter Statuszuschreibung durch
die Deutschen, eine positive eigene nationale Statuszuschreibung einsetzt, um die Identität
des Studenten, die auch über Nationalität definiert wird, ausgleichend positiv zu besetzen.
- Je negativer der vermutete zugeschriebene Nationalstatus des Heimatlandes ist, desto eher
sind Gruppenbildungen der ausländischen Studenten unter sich und wenige Freundschaf-
ten zu Deutschen zu erwarten.
- Je positiver der vermutete zugeschriebene Nationalstatus ist, desto eher wird der ausländi-
sche Student auf die Deutschen zugehen und es können sich Freundschaften bilden.
2.2.2.5 Bewertung des Auslandssemesters
Die Bewertung des Auslandssemesters setzt sich vermutlich aus verschieden Faktoren zu-
sammen. Es sollen einerseits die Globalbeurteilung und andererseits zwei als wesentlich er-

23
scheinende Variablen: die persönliche Entwicklung sowie die Erreichung der persönlichen
Handlungsziele untersucht werden.
Arbeitshypothesen zur Globalbeurteilung des Auslandssemesters:
- Je positiver das Auslandssemester insgesamt gesehen wird, desto eher ist offenes Zugehen
auf Deutsche zu erwarten.
- Je negativer die Beurteilung des Auslandssemesters, desto eher ist auch das Deutschland-
bild negativ. Damit ist auch zu erwarten, daß kaum Kontakte zu Deutschen gesucht wer-
den.
- Der betreffende Student wird sich in Gruppen mit Studenten zusammenfinden, die das
Auslandssemester ähnlich bewerten wie er.
2.2.2.5.1 Persönliche Entwicklung
Der Großteil der Erasmusstudenten ist noch recht jung und viele haben in ihrem Land noch
bei ihren Eltern gelebt. Das Auslandsstudium fällt also in eine Zeit der persönlichen Entwick-
lung und des Erwachsenwerdens. Die ausländischen Studenten können in einigen Lebensbe-
reichen freier entscheiden als ihnen dies in ihrem Heimatland möglich ist. Sie haben zum ers-
ten Mal die Chance, die volle Eigenverantwortung für ihr Leben zu übernehmen, was die per-
sönliche Entwicklung beschleunigen kann. Es muß untersucht werden, inwieweit die als posi-
tiv erlebte persönliche Entwicklung das Deutschland- und Heimatbild und die Gruppenbil-
dung beeinflußt.
Arbeitshypothesen in Bezug auf die persönliche Entwicklung:
- Die persönliche Entwicklung hat einen Einfluß auf die Globalbeurteilung des Auslandsse-
mesters und damit auf die Gruppenbildung
- Vor dem Hintergrund des Stolzes auf die eigene Leistung, in Deutschland zurechtzukom-
men, Verantwortung für das eigene Leben übernehmen zu können, durch die Freiheit von
den Vorschriften der Eltern kann Deutschland idealisiert werden.
-
Deutschland wird zum Symbol der persönlichen Entwicklung.
2.2.2.5.2 Handlungserfolge
,,Von handlungstheoretischen Vorstellungen ausgehend, kann angenommen werden, daß da-
bei der Auslandsaufenthalt als ein Mittel zur Erreichung von Zielen angesehen wird (z.B.
Verbesserung der Sprachfähigkeit), die mit positiv bewerteten Handlungsfolgen einhergehen
(z.B. Erhöhung beruflicher Einstellungschancen)" (vgl. Hagemann 1985, S. 45). Meine These
in diesem Zusammenhang ist, daß das Scheitern Erreichen oder nicht Erreichen der gesetzten
Ziele eng mit der Bewertung des Auslandsstudiums und der Entstehung und Funktion der
Deutschlandbilder verbunden ist.
Arbeitshypothesen in Bezug auf die Handlungserfolge:
- Das Scheitern der Handlungsziele müßte zur Frustration des ausländischen Studenten füh-
ren, was das Deutschlandbild negativ färben könnte. Deutschland wird dann zum Symbol
des Scheiterns.
- Dieses Gefühl könnte in der Gruppe der Landsleute kompensiert werden und die Gruppe
festigen.
- Bei Erreichung der Ziele, die an das Auslandssemester geknüpft sind, wird Deutschland
vermutlich positiv gesehen und zum Symbol der eigenen Leistung. Es ist anzunehmen,
daß diese Studenten offen für Kontakte zu Deutschen sind.

24
2.2.2.6 Zukunftsperspektiven
Es wird erfragt, in wie weit der Student den Deutschlandaufenthalt in seine persönliche Le-
bensplanung mit einbezieht, da dies seine Beurteilung des Austauschjahres und sein Deutsch-
landbild beeinflußt. Sieht der Student Deutschland als potentiellen Lebensort wird er ihn auf
diese Perspektive hin prüfen und anders beurteilen als jemand, der sich bewußt ist, daß er
nach den Monaten in Osnabrück nie wieder längere Zeit in Deutschland leben wird. Interes-
sant in diesem Zusammenhang ist auch, ob die Studenten, die später in Deutschland leben
wollen ein ähnliches Deutschlandbild haben und ob sie sich in ihrem Verhalten von den Stu-
denten unterscheiden, die sich sicher sind, nur einen begrenzten Zeitraum in Deutschland zu
verbringen.
Arbeitshypothesen zur ,,Zukunft"
- Bezieht der Student Deutschland als potentiellen Lebensort in seine Lebensplanung mit
ein, hat dies einen Einfluß auf sein Deutschland- und Heimatbild. Es ist anzunehmen, daß
Deutschland eher positiv im Vergleich zum Heimatland abschneidet.
-
Es ist zu erwarten, das jemand, der Deutschland als zukünftigen Lebensort ausschließt, ein
negativeres Bild von Deutschland hat als von seinem Herkunftsland.
- Die Studenten, die Deutschland in ihre Lebensplanung mit einbeziehen, haben quantitativ
und qualitativ bessere Kontakte zu Deutschen als die Studenten, die dies nicht tun.
Ich habe versucht, die Hauptthemen vorzustellen, die im Leitfaden enthalten sind und meine
Vorüberlegungen deutlich zu machen (siehe Leitfaden im Anhang). In allen Interviews wird
die Gruppenbildung auch direkt angesprochen und die Studenten um Erklärungen gebeten, die
eventuell nicht in den schon beschriebenen Variablen enthalten sind.
2.3 Untersuchungsdurchführung
2.3.1 Pretest
Vor Beginn der Hauptuntersuchung führe ich zwei Interviews, um die Verständlichkeit der
Fragen des Leitfadens zu testen und um eventuell auf andere Erhebungsprobleme aufmerksam
zu werden. Ich will herausfinden, ob die Fragen verständlich formuliert sind. Der Pretest ist
gleichzeitig eine Möglichkeit, mich als Interviewerin zu trainieren.
Nach den Ergebnissen des Pretests modifiziere ich einige Fragen, ergänze und kürze den Leit-
fragebogen an verschiedenen Stellen. In Zukunft soll eine angenehme Gesprächssituation ge-
schaffen werden, am besten an einem privaten und ruhigen Ort, um die Offenheit des Ge-
sprächs positiv zu beeinflussen. Die Wahl des Interviewsprache soll im Vorfeld angesprochen
werden und Unterbrechungen durch Besuche oder störende Telefonanrufe soll vermieden
werden.
2.3.2 Interviewsituation
Die Interviews fanden entweder in meiner Wohnung oder in dem jeweiligen Studentenwohn-
heimzimmer des/der Befragten statt. Alle Interviews waren Einzelinterviews und dauerten
zwischen einer und drei Stunden. Sie wurden mit einem Kassettenrecorder aufgenommen und
mit geringen unvermeidlichen Kürzungen transkribiert (siehe Anhang).
In allen Fällen wurde eine vertrauliche und freundschaftliche Gesprächsatmosphäre geschaf-
fen, die dazu führen sollte, daß der Interviewte sich ohne Scheu zu meinen Fragen äußern
konnte. Bemerkenswert ist, daß ich mit keinem der ausländischen Studenten je in so privater
Atmosphäre gesprochen hatte, was mir ohne das Interview auch nicht möglich gewesen wäre,
da ich mit keinem der Studenten befreundet war und es nicht üblich ist, sich allein in den je-

25
weiligen Zimmern zu treffen. In alltäglichen Situationen begegneten mir die Studenten stets
in Gruppen, in der Mensa, auf der Straße, auf Partys oder den vom AAA organisierten Exkur-
sionen, aber nie allein.
2.3.3
Interviewsprache
Anlehnend an Erfahrungen der Migrationsforschung soll das Problem der Sprachwahl hier
kurz angesprochen werden. ,,(...) halten wir die Möglichkeit der Sprachwahl für einen wesent-
lichen Faktor bei der Durchführung qualitativer Interviews, und zwar (...) aus folgenden
Gründen: Ausländische Befragte verfügen in der Regel über unterschiedliche Sprachkompe-
tenzen in der Erst- und Zweitsprache; eine differenzierte Diskussion ist in vielen Fällen nicht
in beiden Sprachen möglich: oft können Sachverhalte in einer der beiden Sprachen nicht in
der nötigen Abgestuftheit vermittelt werden" (vgl. Boos-Nünning, 1986, S. 62). Hinzu
kommt, daß der Gebrauch der einen wie der anderen Sprache einen emotionalen Stellenwert
besitzen kann, der die Ergebnisse eventuell beeinflußt. Aus diesen Gründen ließ ich den Stu-
denten, deren Sprache ich beherrsche, die Sprachwahl (Englisch, Französisch und Spanisch).
Zwei französische und zwei spanische Studenten wünschten sich ein Interview in ihrer Mut-
tersprache. Ihre Deutschkenntnisse waren so schlecht, daß die Interviews auch, nach meiner
Einschätzung, nicht in Deutsch hätten geführt werden können. Es ist interessant, auch auslän-
dische Studenten zu untersuchen, die über sehr geringe Deutschkenntnisse verfügen, da so he-
rausgefunden werden kann, ob die Sprachfertigkeiten einen Einfluß auf die Gruppenbildung
der Studenten hat. Diese Interviews wurden von mir im Nachhinein übersetzt, wobei zu be-
merken ist, daß jede Übersetzung schon die erste unvermeidbare Interpretation ist, da es häu-
fig keine den fremdsprachlichen Vokabeln exakt entsprechende deutsche Wörter, die die sel-
ben Konnotationen besitzen, gibt. Der Geschmack, die Farben und die Gefühle, die bestimmte
Wörter ausdrücken, sind nicht unverfälscht übersetzbar. Vor dem gleichen Problem standen
natürlich die ausländischen Studenten, die ihre Gedanken schon während des Gesprächs über-
setzten und ins Deutsche transformierten.
2.3.4 Reflexion über die Erhebungsmethode
2.3.4.1 Rollen im Interview
Ich entschied mich für eine relativ ,,weiche" Form des Interviews (vgl. Atteslander 1992). Ich
versuchte den Gedanken des Befragten zu folgen und Interesse an seinen Gedanken zu zeigen.
Meine Rolle war die des intensiven Zuhörers. Ich stellte in allen Interviews die gleichen
Kernfragen, um die Vergleichbarkeit der Interviews zu gewährleisten. Innerhalb der Themen-
bereiche hatte der Interviewte dagegen die Möglichkeit, das Gespräch selbst zu gestalten. Ich
vermittelte den Studenten ein Gefühl von Sympathie und Verständnis, so daß sie angeregt
wurden und sich nicht durch mich gelenkt fühlten. Ich widersprach nie und äußerte selten ei-
gene Meinungen, um den Interviewten nicht zu beeinflussen und auf diese Weise die Inter-
viewergebnisse zu verfälschen.
Dem Interviewten war der aktivere Teil des Interviews zugedacht, er sollte offen und ohne
Angst seine Ansichten äußern.
Diese Rollenverteilung wurde von fast allen Studenten, mit einer Ausnahme, akzeptiert. In ei-
nem Fall (Fotis) verlangte der Interviewte mehrere Male, meine Meinung zu den angespro-
chenen Themen zu hören:
A: Was denkst du, was für Eigenschaften man haben muß, wenn man ins Ausland geht?
F: Ja, was (...) du mußt mir erzählen, weil du hast mir erzählt, daß du bist in viele Länder
gegangen, das mußt du mir sagen.
A: Aber ich will ja deine Meinung hören.
F: Aber ich will auch informieren was hast du gedacht.(...)

26
An diesem Zitat kann man erkennen, daß die von mir vorgeschlagene Rollenverteilung nicht
akzeptiert wurde. Der interviewte Student wollte sich mit meiner ,,passiven" Rolle des Zuhö-
rers nicht begnügen und bestand auf einem ,,Expertengespräch", in dem gleichwertige Partner
über ein Thema diskutieren. Er begründet dies mit der mir zugesprochenen Kompetenz, über
das Ausländerstudium zu sprechen, da ich, wie auch er, über Auslandserfahrungen verfüge.
Ich wich diesem Konflikt aus, in dem ich kurze, relativ allgemeine Antworten gab, um danach
wieder in meine Zuhörerrolle zu verfallen.
Nun stellt sich die Frage, wieso alle anderen Studenten die von mir zugewiesene Rolle ohne
Probleme akzeptierten, ja, sogar offensichtlich großes Gefallen daran fanden, mir über ihre
Zeit in Deutschland und über ihre Ansichten zu berichten. Dies geschah in einer Intensität und
Ausführlichkeit, die ich zu Beginn der Interviews nicht erwartet hatte. Ich denke, daß folgen-
de Gründe zu einer noch größeren Offenheit geführt haben, als sie wahrscheinlich im alltägli-
chen Gespräch möglich gewesen wäre:
- Die Interviewten waren bereit, offener als im Alltag zu reden, da sie sich bewußt waren,
daß diese Offenheit keinerlei Konsequenzen für ihr Leben haben würde. Das mir, einer
,,vertrauten Fremden" Anvertraute würde nicht allgemein bekannt werden. Während der
Interviews fühlte ich mich an Gespräche in geschlossenen Bahnabteilen erinnert, die sich
durch besondere Offenheit auszeichnen, da man dem anderen Reisenden, dem Fremden,
mit dem man notgedrungen die nächsten Stunden verbringen muß bevor man an seinem
Zielbahnhof ankommt, sein Leben, seine Weltsicht und seine Geheimnisse anvertrauen
kann, da man sich wahrscheinlich nie wiedersehen wird.
- Die intime Gesprächssituation, zu zweit in einem Zimmer, bei Kaffee und Kuchen, er-
zeugte ein Gefühl von Vertrautheit. Dies war nur möglich, da die Situation als ,,zum Zwe-
cke der Forschung" definiert war. Die Wissenschaft rechtfertigte die Intimität, die im All-
tag nur unter guten Freunden üblich ist.
- Die Interviews schnitten Themen an, über die die ausländischen Studenten gerne spra-
chen, wie ihre Motivation nach Deutschland zu kommen, ihre Erfahrungen in Osnabrück,
ihre Einstellungen, ihre sozialen Kontakte usw. All dies sind Themen, die sie direkt betra-
fen. In vielen Fällen war es schwer, das Interview zu beenden, da den Interviewten immer
neue Aspekte einfielen, die sie mir mitteilen wollten. Vielfach bedankten sie sich auch für
das Gespräch und sagten mir, daß sie es sehr interessant gefunden hätten und ihre Refle-
xion über einige Themen angestoßen worden wäre.
- Die Gespräche unterschieden sich von Alltagsgesprächen, die oft auf das Finden eines
Konsenses, einer gemeinsamen Meinung über die angesprochenen Themen ausgerichtet
sind. Die Interviewgespräche dienten der einseitigen Artikulation der Ansichten der aus-
ländischen Studenten und glichen so eher einem ,,Therapiegespräch", wie es in der Ge-
sprächstherapie angewandt wird. In so einer Situation bringt der Therapeut den Patienten
zur Darstellung und damit zum Begreifen seiner Probleme. In diesem Sinne war das Inter-
view für die ausländischen Studenten ein Angebot zur Selbstreflektion, das sie größten-
teils gerne annahmen.
- Hinzu kommt, daß diese Selbstrefletion von mir, der Interviewerin, unterstützt wurde und
ich latenten Zwang ausübte, indem ich die Offenheit erwartete und meine ganze Aufmerk-
samkeit auf die erwarteten Äußerungen der Interviewten legte. Meine Erwartung wurde
durch den laufenden Kassettenrecorder dokumentiert.
- Die kommunikativen Hemmschwellen der Studenten waren gering, da ich allen Studenten
vor den Interviews bekannt war, wie sie studierte und in etwa das gleiche Alter hatte und
mich aufgrund der eigenen Erfahrungen in sie hineinversetzen konnte. Ich befand mich
auf der gleichen Ebene wie sie.

27
Zusammenfassend ist zu sagen, daß sowohl die intime Interviewatmosphäre, meine Erwar-
tungshaltung, die intensive Zuwendung und die angesprochenen Themen, die das Interesse
der ausländischen Studenten weckten dazu beigetragen haben, daß sich alle Interviews durch
große Offenheit und Authentizität auszeichneten.
2.3.4.2 Interviewereffekte und mögliche Artefakterzeugung
Das qualitative Interview beruht auf der Interaktion zwischen Untersucher und Untersuchtem.
Beide gestalten die Interviewsituation durch ihre Erwartungen an den Gesprächspartner, die
Darstellung der eigenen Person und die Abneigung oder Sympathie füreinander. ,,Neben der
geplanten und gewünschten ,,offiziellen" Interaktion zwischen Untersucher und Untersuchtem
und dem Material, ist also die Erhebungssituation durch Metainteraktion gekennzeichnet und
beeinflußt, indem sowohl der Untersucher als auch der Untersuchte sich Gedanken über diese
Situation macht und ihr einen bestimmten Sinn gibt" (vgl. Kritz, 1981, S. 61). Da die Inter-
viewsituation für die Befragten neu und unsicher ist, versuchen sie in der Regel die Intentio-
nen und Erwartungen des Forschers zu erraten und sich dementsprechend zu verhalten. In
meinem Fall bedeutet dies, daß sie versuchten sich als ,,guter" Austauschstudent darzustellen,
der weltoffen ist, viele Kontakte zu Deutschen sucht und ein positives Deutschlandbild be-
sitzt. In allen Interviews ist die Selbstdarstellung der Interviewten in der skizzierten Richtung
aufzufinden. Die Verfälschungen der Interviews scheinen von Fall zu Fall unterschiedlich
stark zu sein.
Vor den Interviews hatte ich Bedenken, daß die Tatsache, daß ich als Deutsche und Mitarbei-
terin der AAA die Interviews führen würde, zu Verfälschungen der Aussagen führen könnte.
Ich zweifelte, ob die ausländischen Studenten es wagen würden, negative Meinungen und
Einstellungen von Deutschland und den Deutschen zu äußern, aus Angst, mich persönlich zu
beleidigen. Tatsächlich beginnen auch einige Interviews der Studenten, die Deutschland ins-
gesamt recht kritisch sehen, mit relativ positiven Einschätzungen, die sich im Laufe des Inter-
views immer weiter aufweichen. Negative Eindrücke von Deutschland werden in vielen Fäl-
len erst zu einem späteren Zeitpunkt des Interview geäußert, vermutlich nachdem die Studen-
ten gemerkt haben, daß sie mich durch diese Ansichten nicht persönlich treffen. Aus diesem
Grund werde ich die Aussagen, die zu einem späteren Interviewzeitpunkt geäußert wurden,
stärker in die Analyse mit einbeziehen, als diejenigen, die zu Beginn gemacht wurden, da sie
geringer durch die Reaktion auf vermuteten Erwartungen der Interviewerin verfälscht er-
scheinen.
In der Regel gehen die Studenten auch durch die Art der Formulierung einem direkten Kon-
flikt mit mir aus dem Weg. Sie äußerten ihr Bild von ,,den Deutschen" statt von ,,ihr Deut-
schen" zu sprechen, was mich mit eingeschlossen hätte. Es ist auch möglich, daß meiner Na-
tionalität im Laufe der Interviews immer geringere beigemessen wurde, was aus der freund-
schaftlichen Interviewsituation erklärt werden kann. Einige Studenten definierten mich auch
als ,,Ausnahme", nicht als typisch Deutsche. Diese Definition machte negative Äußerungen
über die Deutschen möglich, ohne mich persönlich mit einzubeziehen.
Eine weitere Fehlerquelle könnte sein, daß sich die Fragen nicht für alle interviewten Studen-
ten als gleichermaßen angemessen erwiesen. Zentrale Fragen stelle ich allen, um die Ver-
gleichbarkeit der Interviews zu gewährleisten. Einige Mitglieder der Gruppe mit intensiven
Kontakten zu Deutschen empfanden jedoch Fragen nach den Unterschieden zwischen den
Deutschen und ihrer Nationalität als unangenehm. Diese Gruppe betonte immer wieder die
Gemeinsamkeiten und zögerte, die bekannten stereotypen Ansichten über Deutschland in ih-
ren Ländern wiederzugeben. Trotz dieses Widerwillens beantworteten die Studenten alle ge-
stellten Fragen, was sich vermutlich aus Sympathie zur Interviewerin und der Selbstdefinition
als ,,guten" Befragten erklären läßt. Das Zögern der Interviewten bei manchen Antworten und
mein Gefühl, die falschen Fragen gestellt zu haben, soll an einigen Interviewpassagen stärker
in die Analyse der Antworten mit einbezogen werden. Es existieren noch sehr viele weitere

28
mögliche Fehlerquellen, die jedoch von untergeordneter Bedeutung erscheinen und daher
nicht weiter besprochen werden.
2.4 Qualitative
Inhaltsanalyse
Zur Auswertung der erhobenen Interviews erscheint mir die qualitative Inhaltsanalyse die
geeignete Analysetechnik zu sein. In der qualitativen Inhaltsanalyse werden die Texte redu-
ziert, gegliedert und schrittweise bearbeitet. Der entworfene Leitfaden legt die Analyseaspek-
te fest. Dies schafft eine hohe Vergleichbarkeit der Interviews. Die Analyse der qualitativen
Daten gliedert sich in drei Schritte, der Zusammenfassung, der Explikation und der Struktu-
rierung (vgl. Mayring 1993, S. 86). Ich gehe nach diesen drei Schritten vor, reduziere mein
Material durch Zusammenfassung, so daß die wichtigsten Inhalte erhalten blieben. Im nächs-
ten Schritt, der Explikation erkläre ich fragliche Textstellen durch das Herantragen von zu-
sätzlichem Material, das die Textstelle erläutern soll. Hierzu dienen mir vorrangig andere
Textstellen des gleichen Interviews, Aussagen anderer Interviewten, meine eigenen Beobach-
tungen und schon bestehende Aussagen der Austauschforschung oder der Erasmusevaluatio-
nen. Im nächsten Schritt werden die Interviews strukturiert. Schon bei der Auswahl der Inter-
viewpartner ist entscheidend, welche sozialen Kontakte mit welcher Intensität die jeweiligen
ausländischen Studenten pflegen. Es können zwei Gruppen gebildet werden:
1. Gruppe: Erasmusstudenten, die keine Freundschaften zu Deutschen unterhalten, deren
wichtigste soziale Kontakte die anderen Studenten ihrer Nationalität in Osnabrück sind
oder sonstige Erasmusstudenten.
2. Gruppe: Erasmusstudenten, die vor allem mit Deutschen befreundet sind.
Im Folgenden werden die Interviews gemäß den Darstellungen der Interviewten einer dieser
Gruppen zuordnen. Jedes Interview soll zunächst einzeln, in Form einer Fallstudie, anhand
der formulierten Variablen analysiert werden. Dann schließt sich der Vergleich mit den ande-
ren Interviews an, um die spezifischen Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten der Fälle in
Entstehung, Inhalt und Funktion der Deutschland- und Heimatbilder herauszuarbeiten. Auf
diese Weise kann entschieden werden, ob die vorherige Gruppeneinteilung gemäß den Kon-
takten zu Deutschen überhaupt sinnvoll war. Sollte sich meine Ausgangshypothese bestätigen,
daß die sozialen Kontakte, neben den anderen von mir untersuchten Faktoren, den entschei-
denden Einfluß auf die Evolution von Deutschland- und der Heimatbildern haben, müßten
sich die beiden Gruppen erheblich in ihren Einstellungen unterscheiden.
3 Fallstudien
Ich werde jedes der zwölf geführten Interviews einzeln analysieren. Da sich allerdings einige
Interviews in erheblichen Teilen gleichen, werde ich in diesen Fällen nur das erste Interview
exemplarisch ausführlich interpretieren, um dann bei den folgenden ähnlichen Fällen, nur
noch auf die spezifischen Unterschiede einzugehen. Da es bei meiner Untersuchung weniger
auf die Quantität der geäußerten Meinungen ankommt, als auf eine große Bandbreite von un-
terschiedlichen Deutschland- und Heimatbildern, halte ich dieses Vorgehen für sinnvoll, um
so unnötige Wiederholungen zu vermeiden. Die Vorstellung der Analyse stützt sich auf einige
zentrale Zitate. Es ist nicht möglich auf alle Einzelheiten der Fälle einzugehen, da dies den
Rahmen der Arbeit sprengen würde. In jeder der beiden Gruppen werden die informations-
reichsten Interviews sehr ausführlich behandelt. Bei anderen ähnlichen Interviews werde ich
vor allem auf die Unterschiede eingehen.

29
3.1 Gruppe 1: Studenten ohne Freundschaften zu Deutschen
3.1.1 Alexandra: In Deutschland im Exil
Alexandra ist 20 Jahre alt, Engländerin, studiert Germanistik und Geschichte und war zum
Zeitpunkt des Interviews seit elf Monaten in Osnabrück. Alexandra hat ihre Kindheit in Mün-
chen verbracht, wo ihre Eltern noch heute leben. Sie studiert in England.
Voreinstellungen zu Deutschland
Konkrete Erfahrungen als Teil der Voreinstellungen
Alexandra besuchte die englische Schule in München.
A: (...) Dann hatte ich nicht mehr so viel Kontakt mit deutschen Leuten (I: Mmh) Und wir
waren integriert in unsere eigene kleine Gesellschaft mit englischen Freunden und wir haben
eben andere Sachen gemacht. (I: Mmh) Wir haben dann nicht so viele deutsche Freunde ge-
habt. (...)
An dieser Textstelle kann man erkennen, daß obwohl sie in Deutschland aufgewachsen ist,
sie in ihrer Kindheit kaum Kontakt zu Deutschen hatte und sich nicht in die deutsche Gesell-
schaft integriert fühlte. Die Deutschen waren, nach Alexandras Darstellung, schon immer
,,die Anderen" und die ,,eigene Gesellschaft" war in ihrer Lebensgeschichte immer eng mit
der englischen Nationalität der Freunde verknüpft. Andere Stellen scheinen zu belegen, daß
sie die in ihrer Kindheit erlebte Distanz zu den Deutschen als natürlich ansah und dement-
sprechend auch wenige Kontakte zu deutschen Studenten in Osnabrück erwartet hatte.
Nationale Stereotypen als Teil der Voreinstellungen
Durch die Frage nach den Stereotypen der Engländer von Deutschland fühlt Alexandra sich
persönlich angesprochen:
I: Ja, so allgemein, was denkt man in England von den Deutschen?
A: (lacht) Eh, keine Ahnung, also ich werde schon, nur weil ich in Deutschland gewohnt hat-
te, also für 15 Jahre, war ich schon ,,the Kraut".
I: Was heißt ,,Kraut"?
A: Das ist einfach ein Spitzname für die Deutschen (...) Also ich war die Deutsche nur weil
ich 15 Jahre. (I: Aha) Und es ist immer noch schlimm, wenn man jemand sagt. ,,Ich war 15"-
,,So lange in Deutschland, ah, dann bist du ja Deutsche". Und das ist dann nicht immer be-
sonders (...) positiv (...)
In der Äußerung, das es ,,immer noch schlimm" sei, als Deutsche von Engländern klassifiziert
zu werden, wird die hohe Emotionalität deutlich, die mit meiner Frage nach den nationalen
Stereotypen verbunden ist. Das Gefühl, durch die ihr von den Engländern zugeschriebene
deutsche Nationalität, beleidigt und verletzt worden zu sein, wird auch an vielen anderen Stel-
len des Interviews deutlich. Da die Engländer mit Deutschland nach Alexandra hauptsächlich
Negatives assoziieren, hat sie unter dieser Zuschreibung gelitten. Alexandra fühlt sich in Eng-
land tagtäglich von negativen Bewertungen, die an die Deutschlandstereotypen geknüpft zu
sein scheinen, betroffen und kann daher auf meine Frage nicht neutral antworten.
Auf den Inhalt der Deutschlandstereotypen der Engländer geht sie nicht weiter ein, da sie nur
die negativen Bewertungen, die an die deutsche Nationalität geknüpft sind, wahrnimmt.
Sie betont immer wieder, das es ,,nur 15 Jahre" gewesen seien, die sie in Deutschland gelebt
habe. Dieses ,,nur" kann entweder so gedeutet werden, das sie 15 Jahre als eine sehr kurze
Zeitspanne ansieht oder als Ausdruck, daß diese 15 Jahre keine große Bedeutung für ihren
Charakter gehabt haben, daß sie immer noch Engländerin ist. Der Vergleich mit anderen
Textstellen legt eher die zweite Bedeutung nahe. Sie empfindet die Klassifikation als ,,Deut-

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sche" als ungerecht, da sie nicht ihrem Selbstbild entspricht. Sie selbst sieht sich als Englän-
derin und zieht England Deutschland vor.
A: (...) Ich mein, ich liebe England, ehm, ich würde da schon lieber wohnen als in Deutsch-
land (...)
Vermutlich als Reaktion auf die empfundene Ablehnung durch die Engländer, die Bedrohung
ihres Selbstbildes als Engländerin und zum Schutze ihres Selbstwertgefühls sagt sie, daß nur
,,blöde" Engländer negative Stereotypen von Deutschland besäßen.
A: (...) Das hängt von der Gruppe ab, in welcher man sich mit jemanden unterhaltet. Ich
mein, wenn man mit total blöden Engländern, also Jungs, die einfach nur Fußball gucken und
sich betrinken (I: Mmh) dann werden die keine gute, ehm - (I: Meinung) von den Deutschen
haben. Die sind noch nie hier gewesen (I: Mmh) und die haben sich noch nicht mal erkundigt.
Also da kann man nicht sagen, ach, ihr wißt nicht, wie es wirklich ist. (...)
Sie rettet ihr Selbstwertgefühl indem sie denjenigen, die negative Stereotypen von Deutsch-
land haben, kein Urteil zugesteht und sie als unwissend bezeichnet. Den ,,Jungs" zugeschrie-
bene Eigenschaften wie ,,nur Fußball kucken" und ,,sich betrinken", sollen vermutlich ihre
Ignoranz und ihr Desinteresse illustrieren. Sie fühlt sich dieser Gruppe von englischen Män-
nern überlegen, da sie in Deutschland gelebt hat und daher weiß, ,,wie es wirklich ist", sich
demnach kompetent fühlt, zu urteilen. Sie selbst nimmt für sich in Anspruch, ein differen-
zierteres Deutschlandbild zu haben:
A: (...) ich mein, in jedem Land gibt es schlechte und gute Leute, da kann man nicht sagen,
nur weil man (I: Mmh) ­ Die Deutschen sind alle schlecht und die Engländer sind alle gut.
Ihr ,,differenziertes" Deutschlandbild erfüllte demnach die Funktion der Abgrenzung zu den
Engländern, die sie in England durch die Klassifikation ihrer Person als Deutsche, persönlich
beleidigten. Sie distanziert sich vermutlich von den nationalen Stereotypen, da sie sie in ihrem
Selbstbild als Engländerin und in ihrem persönlichen Selbstwertgefühl bedrohen.
Deutschland- und Heimatbilder in der Bezugsgruppe als Teil der Voreinstellungen
Die Deutschlandbilder von Alexandras Familie, die im Interview angesprochen werden, sind
vornehmlich negativ. Alexandra erzählt mir ein Erlebnis, daß ihr persönlich negatives
Deutschlandbild belegen soll. An einem Wochenende, welches sie bei ihren Eltern in Mün-
chen verbrachte, hatte ihr Bruder zu viel getrunken und um sich geschlagen, woraufhin die
Polizei verständigt wurde. Die Polizisten kamen zwar, waren aber unfreundlich und halfen
kaum.
A: (...) Es war dann wirklich: ,,Ah, die deutschen Polizisten, bla, bla, bla, sind alle schreck-
lich". Das hat mich so aufgeregt, weil ich war dann so wirklich (I: wütend) ja, wütend, weil
die so unhilfreich waren. Aber ich kann sagen, es sind alle deutschen Polizisten, aber bis man
alle deutschen Polizisten kennt kann man nicht wirklich sagen. (...)
In dieser Textstelle nimmt Alexandra Bezug zu einer Kommunikation, die sie mit ihren Eltern
führte, angedeutet durch ,,bla, bla, bla". In der erlebten Konfliktsituation mit den Polizisten
wurde deren Unfreundlichkeit mit ihrer ethnischen oder rassischen Zugehörigkeit begründet,
kurz mit ihrem ,,Deutschsein". In vorhergehenden Textstellen hatte Alexandra ausgeführt, daß
so ein Verhalten in England, bei englischen Polizisten nicht möglich gewesen wäre. Es ist
eine Konfliktsituation in der ethnische oder rassische Erklärungsmuster innerhalb ihrer Fami-
lie angewandt werden. Alexandras negatives Deutschlandbild wird wahrscheinlich durch kol-
lektive Situationsdeutungen ihrer Familie gefestigt.
Motivation
Alexandra studiert Germanistik, weil sie durch ihre Kindheit in Deutschland, schon vor Be-
ginn ihres Studiums, gute Deutschkenntnisse besaß und sich so besondere Erfolgsaussichten
im Studiums versprach. Das geringe Interesse an ihrem Studium überträgt sich auch auf das

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1998
ISBN (eBook)
9783832460372
ISBN (Paperback)
9783838660370
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Osnabrück – Geographie
Note
1,0
Schlagworte
ausländische studenten migration vorurteile integration erasmus programm
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Titel: Die Koevolution von Bildern des eigenen und des fremden Landes
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