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Prozessorientierte Betrachtung von Trennung/Scheidung bei Paaren mit Kindern

©2002 Diplomarbeit 125 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Auf ewig dein.“ Das vorherrschende Leitbild unserer Gesellschaft ist dasjenige der romantischen Liebe. Dies beinhaltet eine gefühlsmäßige Bindung, die zum Traualtar führt und dann lebenslang hält. Doch die Statistiken widersprechen diesem Bild. Hin und her gerissen zwischen alten Idealen und neuen Beziehungskonzepten ist es heute nicht mehr ausschließlich der Tod, der die Ehe „scheidet“. Jedes 3. Ehepaar lässt sich scheiden. In Wien liegt die Scheidungsrate sogar bei 50%. Im Diskurs mit anderen Menschen zum Thema Trennung/Scheidung erlebe ich immer wieder, dass eine der häufigsten Fragestellungen ist, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass so viele Beziehungen wieder in die Brüche gehen.
Was also sind die Faktoren, die darüber entscheiden, ob eine Partnerschaft von Dauer ist? Ich möchte in meiner Diplomarbeit versuchen, Antworten auf diese Frage zu finden. Ich werde die Trennung als Ausgangspunkt aufgreifen und zurückblicken, weshalb dieser Lösungsversuch gewählt wurde. Danach möchte ich auf diesen Trennungsprozess in einer allparteilichen Sichtweise eingehen und aufzeigen, welche Bedürfnisse Eltern und Kinder in dieser Zeit haben.
Gang der Untersuchung:
Zu Anfang erörtere ich, welche entwicklungsgeschichtlichen Aspekte für das Phänomen Scheidung relevant sind und zeige auf, mit welchen Chancen und Problemen Familie heute konfrontiert ist.
Danach möchte ich anhand der sozialen Ausstattungs- und Austauschprobleme nach Silvia Staub-Bernasconi zurückverfolgen, wie Konflikte entstehen können. In weiterer Folge möchte ich schildern, wie Konflikte verlaufen und welche möglichen Umgangsformen damit existieren.
Im nachfolgenden Kapitel beleuchte ich den Übergang von Konflikten zur Trennung, die Bedeutung von Trennungen, deren psychische Komponenten und die subjektiven Ursachen und anhand einiger demografischer Daten werde ich veranschaulichen, welche Tendenzen vorhanden sind.
Im weiteren Verlauf setze ich mich mit der Perspektive der Eltern in der Trennungs-phase auseinander und zeige auf, welche Scheidungsphasen/Trennungsphasen diese durchlaufen.
Das nachfolgende Kapitel geht auf die kindliche Perspektive der elterlichen Trennung ein. Hier stehen unter anderem die entwicklungsspezifischen Bewältigungsstrategien und die Frage danach, was es Kindern erleichtert bzw. erschwert, diese Krisensituation zu bewältigen, im Mittelpunkt.
Im letzten Abschnitt schildere ich, welche persönlichen Anforderungen die elterliche […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Entwicklungsgeschichtliche Aspekte des Phänomens Trennung/Scheidung
1.1.. Definition von Familie
1.2... Historische Entwicklung von Familie
1.2.1. Allgemeine Betrachtung
1.2.2. Familienentwicklung nach Lawrence Stone
1.3... Faktoren für den Wandel der Bedeutung von Familie nach Beck-Gernsheim
1.4 Anforderungen an die Familie heute
1.5. Chancen und Probleme von Familien
1.5.1. Chancen von Familien
1.5.2. Probleme von Familien

2. Erklärungsmodell für Entstehung, Verlauf und Umgang von/mit Konflikten
2.1... Soziale Ausstattungs- und Austauschprobleme nach Staub-Bernasconi
2.1.1. Ausstattungsprobleme
2.1.1.1. Körperliche Ausstattungsprobleme
2.1.1.2. Sozioökonomische und sozialökologische Ausstattungsprobleme
2.1.1.3. Ausstattungsprobleme mit Wahrnehmungs- und Erlebnisweisen
2.1.1.4. Ausstattungsprobleme mit Symbolen
2.1.1.5. Ausstattungsprobleme mit Handlungsweisen
2.1.1.6. Beziehungsmäßige Ausstattungsprobleme
2.1.2. Soziale Austauschprobleme zwischen Menschen
2.1.2.1. Asymmetrien der körperlichen Begegnung
2.1.2.2. Asymmetrien des Güteraustausches/Ressourcenaustausches
2.1.2.3. Asymmetrien des Austausches von Wahrnehmungsweisen und Wahrnehmungskompetenzen
2.1.2.4. Asymmetrien des Austausches von Symbolen
2.1.2.5. Asymmetrien des Austausches von Handlungsweisen, Handlungskompetenzen
2.2... Konflikte
2.2.1. Definition von Konflikten
2.2.2. Einige charakteristische Merkmale von Konflikten
2.2.3. Häufige Themen in zwischenmenschlichen Konflikten
2.2.3.1. Paarkonflikte
2.2.3.2. Dreier- oder Dreieckskonflikte
2.2.4. Faktoren, die den Umgang mit Konflikten erschweren
2.2.5. Umgangsmöglichkeiten mit Konflikten
2.2.6. Verlauf von Konflikten

3 Trennung als möglicher Lösungsansatz
3.1 Der Übergang von Konflikten zur Trennung
3.2.. Die Bedeutung von Trennungen
3.3.. Innerpsychische Vorgänge
3.4. Subjektive Ursachen der Trennung
3.5 Demografische Entwicklung

4... Eltern in der Trennungsphase
4.1.. Prozessverlauf der Trennung
4.1.1. Die Vorscheidungsphase
4.1.1.1. Verschlechterung der Beziehung
4.1.1.2. Entscheidungskonflikt
4.1.2. Die Scheidungsphase
4.1.2.1. Die Trennung und die Zeit danach
4.1.2.2. Die Scheidung
4.1.3. Die Nachscheidungsphase

5.. Trennung aus der kindlichen Perspektive
5.1 Wie erleben Kinder eine Trennung?
5.2 Phasen zur Bewältigung einer existentiellen Krise nach Kübler-Ross
5.3... Entwicklungsspezifische Bewältigungsstrategien von Kindern
5.3.1. Reaktionen von Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren
5.3.2. Bewältigungsversuche von Kindern im Alter von 2 ½ bis 6 Jahren
5.3.3. Bewältigungsversuche von Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren
5.3.4. Bewältigungsstrategien von Kindern im Alter von 8 – 12 Jahren
5.3.5. Bewältigungsstrategien von Kindern/Jugendlichen im Alter von 10 bis 15 Jahren
5.3.6. Bewältigungsstrategien in der Adoleszenz
5.3.7. Trennungssymptome nach Alter
5.4. Ausgewählte anpassungsfördernde und -hemmende Faktoren
5.4.1. Geschlecht des Kindes
5.4.1.1. Geschlechtsspezifische Auswirkungen bei Obsorge der Mutter
5.4.1.2. Geschlechtsspezifische Auswirkungen bei Obsorge des Vaters
5.4.2. Psychosoziale Kompetenzen, Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeit
5.4.3. Beziehung der Eltern zueinander
5.4.4. Kontakthäufigkeit und Qualität der Kontakte zum "außerhalb" lebenden Elternteil
5.5... Bedeutung der Trennungserfahrung für die Entwicklungsprognose
5.6.. Gibt es einen "optimalen" Trennungszeitpunkt?
5.7 Plädoyer für das Recht des Kindes auf beide Elternteile

6. Der Umgang mit Trennungen
6.1. Unterschiedliche Zielsetzungen in der professionellen Scheidungs- bzw. Trennungsarbeit
6.2.. Was unterstützt Eltern in der Trennungssituation?
6.2.1. Psychische Aufgaben nach der Trennung
6.2.2. Die "Schuldfrage" nach Hellinger
6.2.3. Schwerpunkte der Trennungsberatung bei Eltern
6.3 Bedürfnisse von Kindern, um die Trennungserfahrung aufzuarbeiten
6.3.1. Sofortmaßnahme in der Trennungssituation
6.3.2. Umgang mit den unmittelbaren Trennungsreaktionen der Kinder
6.3.3. Phasengerechte Beratung von Scheidungskindern
6.3.4. Ganzheitlicher Ansatz bei Trennung der Eltern
6.3.5. Langfristige Bedürfnisse der Kinder nach der Trennung der Eltern

7... Schlussbemerkung

Quellennachweis

Einleitung

"Auf ewig dein."[1] Das vorherrschende Leitbild unserer Gesellschaft ist dasjenige der romantischen Liebe. Dies beinhaltet eine gefühlsmäßige Bindung, die zum Traualtar führt und dann lebenslang hält.[2] Doch die Statistiken widersprechen diesem Bild. Hin und her gerissen zwischen alten Idealen und neuen Beziehungskonzepten ist es heute nicht mehr ausschließlich der Tod, der die Ehe "scheidet". Jedes 3. Ehepaar lässt sich scheiden. In Wien liegt die Scheidungsrate sogar bei 50%. Im Diskurs mit anderen Menschen zum Thema Trennung/Scheidung erlebe ich immer wieder, dass eine der häufigsten Fragestellungen ist, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass so viele Beziehungen wieder in die Brüche gehen.

Was also sind die Faktoren, die darüber entscheiden, ob eine Partnerschaft von Dauer ist? Ich möchte im Folgenden versuchen, Antworten auf diese Frage zu finden. Ich werde die Trennung als Ausgangspunkt aufgreifen und zurückblicken, weshalb dieser Lösungsversuch gewählt wurde. Danach möchte ich auf diesen Trennungsprozess in einer allparteilichen Sichtweise eingehen und aufzeigen, welche Bedürfnisse Eltern und Kinder in dieser Zeit haben.

Zu Anfang erörtere ich, welche entwicklungsgeschichtlichen Aspekte für das Phänomen Scheidung relevant sind und zeige auf, mit welchen Chancen und Problemen Familie heute konfrontiert ist (Kapitel 1).

Danach möchte ich anhand der sozialen Ausstattungs- und Austauschprobleme nach Silvia Staub-Bernasconi zurückverfolgen, wie Konflikte entstehen können. In weiterer Folge möchte ich schildern, wie Konflikte verlaufen und welche möglichen Umgangsformen damit existieren (Kapitel 2).

Im nachfolgenden Kapitel beleuchte ich den Übergang von Konflikten zur Trennung, die Bedeutung von Trennungen, deren psychische Komponenten und die subjektiven Ursachen und anhand einiger demografischer Daten werde ich veranschaulichen, welche Tendenzen vorhanden sind (Kapitel 3).

In Kapitel 4 setze ich mich mit der Perspektive der Eltern in der Trennungsphase auseinander und zeige auf, welche Scheidungsphasen/Trennungsphasen diese durchlaufen.

Im nachfolgenden Kapitel gehe ich auf die kindliche Perspektive der elterlichen Trennung ein. Hier stehen unter anderem die entwicklungsspezifischen Bewältigungsstrategien und die Frage danach, was es Kindern erleichtert bzw. erschwert, diese Krisensituation zu bewältigen, im Mittelpunkt (Kapitel 5).

Im letzten Kapitel möchte ich schildern, welche persönlichen Aufgabenstellungen die elterliche Trennung an Eltern und Kinder stellt und welche professionellen Beratungsziele im Zusammenhang damit von Bedeutung sind (Kapitel 6).

Meine Intention mich mit diesem Thema zu beschäftigen ist, dass ich dieses prozesshafte Geschehen selbst besser erfassen will. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Auseinandersetzung mit den Trennungsfaktoren und dem Trennungserleben. Gerade für die Sozialarbeit erscheint mir dieses Thema von sehr großer Bedeutung zu sein, da ich denke, dass ich als Diplomsozialarbeiterin in fast jedem Arbeitsbereich mit dem Thema Trennung/Scheidung konfrontiert sein werde. Durch das wertfreie Aufzeigen und die Auseinandersetzung mit dem Vorgang der Trennung möchte ich auch bei anderen Menschen Verständnis für die Ursachen und den Verlauf von Trennungen schaffen. Besonders wichtig ist mir dabei, sowohl die Seite der Eltern, als auch die kindliche Perspektive aufzuzeigen, da ich der Meinung bin, dass nur durch die Wertschätzung aller Beteiligten wirklich gute Lösungen in der Sozialarbeit (und in anderen Berufsfeldern, die mit Menschen arbeiten) erzielt werden können. Durch die jeweilige Grundhaltung d.h. die individuellen Wert- und Normvorstellungen, wird gleichzeitig auch die Einstellung zu anderen Menschen geprägt. Diese Grundhaltung wirkt sowohl im Umgang mit Menschen, wie auch auf der Handlungsebene im professionellen Kontext. Gerade diese Grundhaltung entscheidet darüber, ob professionelle Helfer in der Lage sind konstruktive Lösungen zu finden, oder ob sie durch eine mehr oder minder wertende Einstellung bzw. mangelndes Verständnis mit KlientenInnen Lösungsversuche erarbeiten, die von vorn herein zum Scheitern verurteilt sind.

Zur Begriffsbestimmung möchte ich abschließend noch erläutern, dass ich im folgenden vorwiegend den Begriff Trennung und gelegentlich den Begriff Scheidung verwenden werde. Mit Trennung beziehe ich mich sowohl auf geschiedene Paare, als auch auf Partner, die sich durch Auflösung einer Lebensgemeinschaft getrennt haben. In einigen Ausnahmefällen beziehe ich mich ausschließlich auf geschiedene Paare, da nur dazu zuverlässiges statistisches Datenmaterial vorliegt. Trotz dieser notwendigen Unterscheidung denke ich, dass sich die Problematiken und Dynamiken von Paaren, die sich trennen oder scheiden lassen - bis auf einige wenige Ausnahmen - nicht wesentlich voneinander unterscheiden.

Insgesamt richte ich meinen Focus auf Paare, aus deren Beziehung Kinder hervorgingen. Dies vor allem deswegen, weil ich der Meinung bin, dass das Vorhandensein von Kindern gänzlich andere Anforderungen an alle Beteiligten stellt. Sie müssen sich einerseits mit dem Schmerz auseinandersetzen, der durch das Scheitern der Beziehung entstanden ist, andererseits sind sie auch gegenüber ihren Kindern dazu verpflichtet Lösungen zu finden, die es den Kindern ermöglichen, ihre Liebe zu beiden Elternteilen weiter aufrecht zu erhalten und zu leben.

1. Entwicklungsgeschichtliche Aspekte des Phänomens Trennung/Scheidung

1.1 Definition von Familie

Die soziologische Definition fasst Familie "als soziales System mit innerer Rollenstruktur, bestimmten Aufgaben und Leistungen auf, das durch Eltern und Kinder konstituiert wird. Konstituierend ist dabei das Vorhandensein von zwei Generationen; zumeist wird darunter verstanden, dass Eltern (auch AlleinerzieherInnen) mit ihren Kindern im selben Haushalt leben. Konstituiert heißt, dass zwei Generationen unabdingbare Voraussetzungen für das Entstehen von Familie sind, aber dass Familie natürlich aus mehr Generationen bestehen kann und dies in der Regel in der modernen Gesellschaft auch tut."[3]

Bei kinderlosen Paaren und Singles spricht man eher von Lebensformen.[4]

Ich beziehe mich im folgenden ausschließlich auf Familien bzw. Partnerschaften, aus denen Kinder hervorgingen und bei denen es zu einer Trennung/Scheidung kam.

1.2 Historische Entwicklung von Familie

1.2.1 Allgemeine Betrachtung

Das Wort Familie leitet sich aus dem lateinischen Wort "familia" ab. Dieses verweist auf "famulus" (Diener) bzw. "famuli" (das im Haus lebende Gesinde). Das Wort Familie existiert im deutschen Sprachraum erst seit Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts. Bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dieser Begriff für das "ganze Haus" verwendet. Dies bezieht sich sowohl auf das Gebäude, wie auch auf die soziale Gruppe (verwandte und nicht verwandte Personen). Zum damaligen Zeitpunkt wurde nur Personen "Familienfähigkeit" zugestanden, wenn sie im Besitz eines eigenen Hauses waren. Dies waren vor allem Adelige, Bauern, Bürger, jedoch keine Handwerksgesellen, Knechte etc.[5]

Über einen längeren Zeitraum wurde angenommen, dass der damals vorherrschende Typus der einer Großfamilie war. Dies wurde durch empirische Untersuchungen widerlegt. Aus soziologischer Betrachtung gab es schon zu diesem Zeitpunkt in der Größe keinen prägnanten Unterschied zu unserer Kernfamilie. In England beispielsweise betrug die durchschnittliche Haushaltsgröße während des ganzen 17. bis zum 19. Jahrhundert 4,75 Personen. Der derzeitige Durchschnitt beträgt 3,04. Es lässt sich daraus ersehen, dass es keine gravierende Veränderung gab, da in die erste Angabe die Hausangestellten miteinberechnet wurden. Großgruppenfamilien waren somit eher in Osteuropa und Asien von größerer Bedeutung, jedoch nicht in unserem Kulturkreis.[6]

Erst nach der Industrialisierung kam es zu einer Trennung von Erwerb und Zusammenleben. Hier entsteht das Verständnis für unsere Familie im heutigen Sinn als eine von persönlichen Beziehungen der Mitglieder geprägten Gemeinschaft. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich im Bürgertum ein Familienideal, welches zum Vorläufer der "traditionell-bürgerlichen" Kernfamilie des 20. Jahrhunderts wurde. Die wichtigsten Merkmale dieses Modells waren: die räumliche Trennung von Öffentlichkeit und Familienleben, von Erwerbsarbeit, Hausarbeit und eine geschlechtsspezifische Rollenaufteilung (d.h. der Mann ist für den außerhäuslichen Bereich und die Frau für den Haushalt zuständig). Hier entstand eine patriarchalische Struktur, eine Emotionalisierung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern und eine Intensivierung der Kindererziehung.[7]

1.2.2 Familienentwicklung nach Lawrence Stone

Lawrence Stone unterschied die Familienentwicklung nach drei Hauptphasen. Diese möchte ich aufzeigen, da sie zwar zu dem vorhergehenden nicht im Widerspruch stehen, jedoch verstärkt auf den Beziehungsaspekt in der Familie eingehen:

16. Jahrhundert

Zu Anfang war die vorherrschende Familienform die der "offenen Familie". Diese bestand aus der Kernfamilie, die in einem relativ kleinen Haushalt lebte und anderen Gemeinschafts- und Verwandtenbeziehungen. Die Familie war von der Gemeinschaft nicht klar abgegrenzt. Die emotionalen Bindungen und Abhängigkeiten konzentrierten sich nicht hauptsächlich auf die Familie. Die Erwartungen an die Familie waren nicht von der emotionalen Vertrautheit bestimmt wie das heute der Fall ist. Auch die Sexualität wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht als lustvoll aufgefasst, sondern als Verpflichtung um Kinder zu zeugen angesehen.

Die Entscheidung der Verehelichung wurde im Interesse anderer getroffen. Hier bestimmten meist Eltern, andere Verwandte oder die Gemeinschaft, wer geheiratet wurde. Theologen und Moralisten verurteilten die erotische oder romantische Liebe (außer in aristokratischen Kreisen) und bezeichneten sie als Krankheit. Diese Form der Familie war äußerst kurzlebig, da der Tod eines Elternteiles sehr häufig war und auch Kinder sehr oft verstarben oder frühzeitig das Haus verließen.[8]

17. Jahrhundert

Im frühen 17. bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts wandelte sich die Kernfamilie zu einer stärker abgeschlossenen Einheit. Innerfamiliäre Beziehungen unterschieden sich deutlich von denen zu anderen Verwandten und zur lokalen Gemeinschaft. "Diese Phase der Familienentwicklung war mit einer immer stärkeren Betonung der ehelichen und elterlichen Liebe verbunden, obwohl sie auch mit einer Vergrößerung der autoritären Macht des Vaters einherging."[9]

18. Jahrhundert

In dieser Zeit entwickelte sich allmählich die Form der Kernfamilie, die wir heute kennen. Dies ist eine Kleingruppe, die durch enge emotionale Bindungen zusammengehalten wird. Eine starke Betonung liegt auf der häuslichen Privatsphäre und dem Erziehen von Kindern. Individualisierung und die Partnerwahl aufgrund persönlicher Präferenzen, sexueller Anziehungskraft und/oder romantischer Liebe stehen hier im Vordergrund.[10]

1.3 Faktoren für den Wandel der Bedeutung von Familie nach Beck-Gernsheim

Ich denke, dass der vorhergehende kurze geschichtliche Rückblick sehr gut veranschaulicht, welche Entwicklungsprozesse die Familie in den letzten Jahrhunderten durchlaufen hat. Im Folgenden möchte ich noch die Sichtweise von Beck-Gernsheim wiedergeben, die den Wandel der Bedeutung von Ehe auf der individuellen Ebene folgenden Faktoren zuschreibt:

Die bis ins 18. Jahrhundert vorherrschende Lebensform war nicht die Familie im heutigen Sinn, sondern der gesamte Haushalt als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Hier standen die tägliche Existenzsicherung und das Erhalten der Generationenabfolge im Mittelpunkt. Es blieb kein Raum für persönliche Neigungen, Gefühle und Motive. Über Partnerwahl und Ehe entschieden vorwiegend ökonomische Gründe, das individuelle Zusammenpassen war kaum von Bedeutung.

"Das 'persönliche Glück' ... lag für den Bauern darin beschlossen, eine Frau zu heiraten, mit der er arbeitete, die ihm gesunde Kinder gebar und ihm durch ihre Mitgift vor Schulden bewahrte. ... Auf die Person des Partners bezogene Liebe an sich, unabhängig von diesem Fundament, hatte jedoch kaum eine Chance sich zu entwickeln."[11]

Im Übergang zur modernen Gesellschaft kam es zu einem Wandel der Bedeutung von Ehe und Familie. Sie entwickelte sich weg von der Arbeitsgemeinschaft hin zu einer Gefühlsgemeinschaft. Es entstand damals diese Intimität und Privatheit, die heute unser modernes Bild der Kernfamilie prägt. Beck-Gernsheim betrachtet die Hinwendung zur Familie als Ausgleichsfunktion für die abhanden gekommenen Deutungsmuster und Sozialbeziehungen. War das Leben vorher durch eine Vielzahl traditioneller Bindungen bestimmt (z.B. Familienwirtschaft, Dorfgemeinschaft, Heimat, Religion, Stand, Geschlechtszugehörigkeit etc.), so kam es in dieser Zeit zu einer Herauslösung aus diesen traditionellen Bindungen. Diese Herauslösung brachte für den/die Einzelne/n eine Befreiung aus früheren Kontrollen und Zwängen, entzog aber gleichzeitig jene Bedingungen, die auch Halt und Sicherung gaben. Allmählich entstand so ein Anspruch und auch ein Zwang zum eigenen Leben jenseits der Gemeinschaft und Gruppe. Die Familie erhielt ihren Auftrieb vor allem wegen der einsetzenden Isolierung und Sinnentleerung. Beck-Gernsheim geht sogar so weit, die Familie als "Heimat für die 'innere Heimatlosigkeit' "[12] zu bezeichnen.

Traditionelle Deutungsmuster und Glaubenssysteme, kurz, die gesellschaftlich vorgegebenen Antworten, kamen zunehmend abhanden. Anstelle der alten Vorgaben, die zu erfüllen waren, traten neue Fragestellungen. Als unterstützenden Faktor führt Beck-Gernsheim die Erweiterung der Lebens- und Bildungschancen an. Der Lebensstandard hat sich in den 50er und 60er Jahren so stark verbessert, dass die existentiellen Überlebensfragen, dadurch dass überwiegend eine Grundabsicherung erreicht war, in den Hintergrund traten. Junge Menschen wurden zunehmend des Zwanges des frühen Geldverdienens enthoben. Sie wurden dadurch psychisch und physisch weniger gefordert und hatten vermehrt Zugang zu Bildungsinhalten, die sich nicht nur auf grundlegende Kenntnisse beschränkten, sondern ihnen auch Zugang zu anderen Erfahrungsbereichen, Denkformen und Traditionen verschafften. Erstmals konnten Fragen aufkommen, die über die unmittelbare Existenzsicherung hinausreichten. Philosophische Fragen nach dem Sinn des Daseins wie: Wer bin ich? Woher komme ich? und Wohin gehe ich? wurden aufgeworfen.

An diesem Punkt entstanden einerseits neue Herausforderungen, andererseits auch neue Be- bzw. Überlastungen. War man bis vor kurzem noch eingebettet in ein starres Ganzes, in dem alles durch rigorose Verhaltensregeln und Vorschriften vorgegeben war, so wurde man zunehmend von seiner Umwelt isoliert und musste seine eigenen Antworten finden. Ängste und Unsicherheiten - die eigene Existenz betreffend - kamen auf. Beck-Gernsheim kreiert auch den Begriff der "personenbezogenen Stabilität". Die Aussage dahinter ist, dass je mehr die traditionellen Beziehungen in den Hintergrund treten, desto größere Bedeutung erlangen die nahen Bezugspersonen für das Bewusstsein und Selbstbewusstsein des Menschen, für den "inneren Platz in der Welt" und "für sein körperliches und seelisches Wohlbefinden."[13]

Als Kernpunkt dieser personenbezogenen Stabilität entstand das Leitbild der romantischen und dauerhaften Liebe: Zwei Personen, die eine enge, gefühlsmäßige Bindung eingehen und somit ihrem Leben Inhalt und Sinn geben.[14] "Je mehr andere Bezüge der Stabilität entfallen, desto mehr richten wir unser Bedürfnis, unserem Leben Sinn und Verankerung zu geben, auf die Zweierbeziehung. Immer mehr richten wir unsere Hoffnung jetzt auf einen anderen Menschen, diesen Mann, diese Frau: Er oder sie soll uns Stabilität gewähren in einer Welt, die immer schneller sich dreht."[15] So wurde die Partnerschaft zu einer zentralen Instanz für die soziale "Konstruktion der Wirklichkeit".[16] Der Austausch zwischen den Partnern bedeutet gleichzeitig die Suche nach der eigenen Identität. Auch die Suche nach der eigenen Lebensgeschichte und der Wunsch nach Aussöhnung mit den erlittenen Verletzungen bzw. Enttäuschungen werden von zentraler Bedeutung.

Im Vorhergehenden wird sehr gut augenscheinlich, dass die wachsende Sehnsucht nach einer funktionierenden Beziehung und das häufige Scheitern die gleichen Wurzeln haben, sie resultieren nämlich aus den überhöhten Erwartungen, mit denen eine Beziehung heute konfrontiert ist.

1.4 Anforderungen an die Familie heute

Aus der Systemforschung ist bekannt, dass soziale Systeme – außer sie beruhen auf Zwang - sich nur dann bilden und von Bestand sind, wenn sie in der Lage sind, eine bestimmte bedürfnisbefriedigende Leistung zu erfüllen, die von keinem anderen Sozialsystem gewährleistet werden kann.[17] Folgende zentrale Erwartungen werden an Familien gestelul

- Funktion des psychischen Spannungsausgleichs

Im öffentlichen Bereich sind Menschen zunehmend gefordert. Das Leben in einer schnelllebigen Welt, die größere Bedeutung von Leistung und die fortschreitenden Rationalisierungsprozesse erzeugen Druck. Auf die individuellen Wünsche und Eigenarten kann keine Rücksicht genommen werden.

Familie wird als Rückzugsraum angesehen, der Selbstentfaltung und Individualität zulässt. Die Befriedigung der psychischen Bedürfnisse der Familienmitglieder nach Zuneigung, Akzeptanz, Verständnis und Gemeinschaft wird hier gesucht.

- Reproduktionsfunktion[18]

Trotz der Pluralität von Lebensformen werden Kinder hauptsächlich in Familien hineingeboren bzw. führt der Eintritt einer Schwangerschaft in weiterer Folge zur Hochzeit der Partner. Verändert hat sich in erster Linie der Phasenverlauf bis zur Familiengründung. Daher kann man derzeit nach wie vor von einer Zustimmung zum "Reproduktionsmonopol" der Familie sprechen.[19]

- Sozialisationsfunktion

"Unter Sozialisationsfunktion versteht man den Prozess durch den Personen die in einer Gesellschaft herrschenden Normen, Werte und Techniken des Lebens vermittelt werden, so dass diese befähigt werden, Mitglieder dieser Gesellschaft zu sein."[20]

Folgende Aufgaben erfüllt die Familie meist noch:

- Haushalts- und Freizeitfunktion

Die Haushaltsfunktion besagt, dass die Kinder im gemeinsamen Haushalt erzogen werden. Der vorhandene Besitz gilt als Gemeinschaftsgut.[21]

Der Strukturwandel der Familie, die Emotionalisierung und Intimisierung haben dazu geführt, dass der Familie durch die Freizeitfunktion eine weitere gesellschaftliche Funktion zugewiesen wird. Früher diente Freizeit der Integration des/der Einzelnen in die ihn/sie umgebende Gruppe (Nachbarschaft, Kirchengemeinde, Gleichaltrigengruppe etc.). Heute dient sie dem Rückzug in einen privaten oder familialen Bereich.[22]

- Die Platzierungsfunktion

Obwohl man heute auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Stellung wesentlich mobiler ist und man eher von Schichtung als von Schichtzugehörigkeit spricht, so werden Interessen, Wertorientierungen und Leistungsmaßstäbe der Kinder doch sehr stark durch die der Eltern geprägt. Man kann insofern auch heute nicht von einer Chancengleichheit aller Kinder sprechen, da die Kinder – trotz freiem Zugang zu Bildungseinrichtungen – sehr unterschiedliche Startvoraussetzungen haben.[23]

1.5 Chancen und Probleme von Familien

Heute bieten sich vielfältige Möglichkeiten, wie man Familienleben gestalten kann. Trotz dieser "Errungenschaften" gibt es neben den Chancen, die dadurch entstanden sind, auch zahlreiche Risiken, die ein beständiges Zusammenbleiben von Familie erschweren:

Chancen von Familien

- Die Wahl des/der EhepartnersIn kann heute unabhängig von Herkunft, Stand, Besitz und Familientradition erfolgen.[24]
- Die Gesellschaftsmitglieder können ihre Lebensform frei wählen. Das "Monopol" der bürgerlichen Kernfamilie, als einzige sozial anerkannte Familienform, hat ausgedient. Eine Lebensform kann, wenn sie als unrichtig erkannt wird, rückgängig gemacht werden. Es bietet sich die Chance eines Neubeginns.
- Familiales Handeln wird "individuell auf der Basis prinzipieller Gleichberechtigung aller Mitglieder und unter Berücksichtigung deren spezifischer Bedürfnisse und Fähigkeiten gestaltet."[25] Dies fördert sowohl die individuelle Entwicklung, wie auch die Selbstentfaltung der Erwachsenen und der Kinder.
- In einem funktionalen Familiensystem werden Mitglieder als "ganze Personen" erlebt, geliebt, akzeptiert, behandelt, betreut, gehalten, unterstützt und gefördert.[26]
- Die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen erlaubt ihnen zunehmend Wahlfreiheit.

1.5.2 Probleme von Familien

- Obwohl die Kernfamilie nicht durchgängig die Realität ist, orientieren sich die meisten gesellschaftlichen Bereiche wie Schule, Politik, Kirche, Arbeitsstätte etc. an diesem Leitbild. Die spezifischen Bedürfnisse und Gegebenheiten anderer Lebensformen finden dadurch keine Berücksichtigung.
- Immer mehr Frauen sind erwerbstätig, jedoch ist die Verantwortlichkeit der Männer nicht im gleichen Ausmaß mit der Zunahme der Aufgaben gestiegen. Die Versorgung der Kinder und des Haushaltes obliegt nach wie vor in erster Linie den Frauen. Hier entsteht einerseits eine Doppelbelastung für Frauen, andererseits sind die Kinder die Leidtragenden, da sie wesentlich mehr außer Haus betreut werden als früher.
- Der vergrößerte Freiraum der innerfamilialen Beziehungen erfordert eine höhere Kompromiss- und Entscheidungsfähigkeit beider Partner. Sollen die Entscheidungen ausgewogen getroffen werden, so sind Kommunikations-bereitschaft, Reflexionsbereitschaft, soziale Kompetenz etc. in erhöhtem Maße gefordert.
- Familie ist mit sehr hohen Anforderungen verbunden. Sie gilt als Ort der Selbstentfaltung. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, so wird sie sehr schnell als nicht befriedigend erlebt.
- Die Wahlfreiheit der familialen Lebensform steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen und Anforderungen von Kindern. Kinder benötigen für ihre gesunde Entwicklung Stabilität in der Elternschaft und Klarheit in den Familienbeziehungen.[27]
- Der Arbeitsmarkt fordert ein sehr hohes Maß an Flexibilität, Mobilität und Einsatzbereitschaft und nimmt insgesamt kaum Rücksicht auf private Bindungen. Wer diese Anforderungen nicht erfüllt, riskiert damit Arbeitsplatz, Einkommen und soziale Stellung. [28]
- Da Herkunft und Stand nicht mehr als Auswahlkriterien herangezogen werden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Partner – auch bei gleicher Schichtzugehörigkeit – sehr unterschiedlichen Lebenswelten ent-stammen und somit unterschiedliche Normen, Erwartungen und Lebensregeln in der Sozialisation erfahren haben.[29]

2. Erklärungsmodell für Entstehung, Verlauf und Umgang von/mit Konflikten

2.1 Soziale Ausstattungs- und Austauschprobleme nach Staub-Bernasconi

Staub-Bernasconi setzt sich in ihrem ganzheitlichen Konzept mit der Fragestellung auseinander, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass nicht alle Menschen in der Lage sind, eine für sie befriedigende Bedürfniserfüllung anzustreben. Sie problematisiert hier die Tatsachen, dass bestimmte Menschengruppen einen sehr guten Zugang zu Ressourcen haben, der anderen wiederum gänzlich verwehrt ist. Diese Unterschiede betrachtet sie nicht als Natur- oder Gott gegeben, sondern vermutet dahinter "bestimmte menschliche Konstruktionen, die verhindern, dass alle Menschen eine für sie befriedigende Bedürfniserfüllung anstreben können."[30]

Jeder Mensch strebt bestimmte Zustände an, erreicht er diese nicht, so versucht er, diese vorhandene Abweichung zu kompensieren. Affekte, d.h. Triebe, Emotionen, Gefühle und moralische Empfindungen zeigen diesen Mangel an und motivieren zu einem bedürfnisbefriedigenden Verhalten.[31] Ilse von Arlt stellte in diesem Zusammenhang ebenfalls fest, dass Menschen nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse streben. Unterbleibt ein Teil der Befriedigung, so treten Schädigungen ein, die in weiterer Folge eine Verstärkung einzelner oder aller Bedürfnisse bewirken. Je defizitärer die Ausstattung von Einzelnen ist, desto mehr trachten diese Menschen nach Kompensation.[32] Diese Bedürfnisbefriedigung ist sowohl von der Menge wie auch von Verfügbarkeit bedürfnisbefriedigender Güter und Situationen abhängig und bedarf weiters der Fertigkeit des Individuums, die faktisch erreichbaren Möglichkeiten zu nutzen und neue zu schaffen. Staub-Bernasconi geht davon aus, dass es Bedürfnisse gibt, die allen Menschen gemeinsam sind. Sie unterscheiden sich jedoch in der Vorrangigkeit und Befriedigungsweise, die sozialkulturell vermittelt, erlernt und (sozial)politisch ausgehandelt werden.

Somit sind Menschen mit den Problemen der Bedürfnisbefriedigung und Wunscherfüllung konfrontiert und müssen in diesem Spannungsfeld lernen, innerhalb der vorhandenen sozialen Systeme in Kooperation und im Konflikt mit anderen, Lösungen dafür anzustreben. Diese Aufgabe erfordert, dass sie sich ein Bild von ihrer (Um-)Welt machen, sie erfassen, beschreiben, bewerten, erklären und das verfügbare Wissen zur eigenen Veränderung oder zur Veränderung der Umwelt nutzen.

Als "Problem" definiert Staub-Bernasconi einen "Zustand, mit dem ein Bedürfnisbefriedigung suchendes, zielbewusstes Individuum unzufrieden ist oder/und dafür keine Problemlösung kennt oder/und keinen Zugang zu problemlösungs-angemessenen Ressourcen hat."[33] Sie meint dazu weiters, dass soziale Probleme aus folgenden Faktoren resultieren:

a) Für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und das Überleben ist die Interaktion mit anderen Menschen notwendig.
b) Die Bedürfnisse der Einzelnen sind unterschiedlich elastisch.
c) Menschen leben in sozialen Systemen, in denen mit unterschiedlichen - realen, wie künstlich - geschaffenen Knappheiten in bezug auf unterschiedlich elastische Bedürfnisse umgegangen werden muss.
d) Die Bedürfnisse einzelner können grenzenlos sein und außerdem mit der Bedürfnisbefriedigung anderer im Widerspruch stehen.
e) Jede/r Einzelne hat die Möglichkeit, den anderen Leid zuzufügen oder zu helfen bzw. andere auszuschließen, zu bekämpfen oder mit ihnen zu kooperieren.
f) Menschen (als lernfähige, bewusste Individuen) müssen Probleme erst feststellen und zwischen wahr, richtig und falsch unterscheiden können. Sie haben innerhalb eines gewissen Rahmens Entscheidungsfreiheit und somit die Möglichkeit, das Richtige, Wahre oder Falsche zu wählen.
g) Für die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse und Wünsche werden auch behindernde und begrenzende Regeln/Normen durchgesetzt. Dies kann soweit gehen, dass behindernde oder begrenzende Machtstrukturen aufgebaut werden können.[34]

Im folgenden möchte ich auf die Ausstattungs- und Austauschprobleme näher eingehen. Die Ausstattungsprobleme bilden die Basis für Probleme der individuellen Bedürfnis- und Wunscherfüllung. Gleichzeitig sind sie der Ausgangspunkt für Probleme der Kooperation, der Verständigung, des symmetrischen wie des asymmetrischen Austausches zwischen den Menschen (Austauschprobleme). Somit sind diese auch für eine Partnerschaft von großer Bedeutung. Hierzu ist festzu-stellen, dass insbesondere hohe Ausstattungsüberschüsse und hohe Ausstattungs-defizite bzw. asymmetrische Tauschbeziehungen als sozial problematisch zu erachten sind.

2.1.1 Ausstattungsprobleme

Staub-Bernasconi unterscheidet folgende Dimensionen, in denen soziale Probleme entstehen oder vorhanden sein können:

2.1.1.1 Körperliche Ausstattungsprobleme

Hierzu zählen Eigenschaften wie Gesundheit, Unversehrtheit, Geschlecht, Größe, Gewicht, Alter, Hautfarbe, physische Attraktivität; des weiteren auch die Funktionen der Gehirnstrukturen als Grundlage für Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten.

Probleme können hier beispielsweise hinsichtlich der äußerlichen Erscheinung (mangelnde Attraktivität), physischer Kraft (bei Knaben), Körpergröße oder physischer Behinderung entstehen. Nicht zu unterschätzen sind auch Faktoren, wie Geschlecht (geschlechtsspezifische Sozialisation) und die damit verbundenen Hindernisse, Rasse, "Farbe", Alter etc.. Auch kulturelle Merkmale wie Nationalität, ethnische und religiöse Herkunft sind hier von Bedeutung. Dies alles sind Einflussgrößen, die (mehr oder weniger) unveränderbar sind. Man kann "nichts dafür", dass man mit derartigen Bedingungen geboren bzw. konfrontiert ist, sie sind jedoch trotzdem von enormer Bedeutung, wenn es darum geht, Zugang zu notwendigen wie begehrten Ressourcen zu erhalten. Daraus ergibt sich deren "sozio-somatische" Bedeutsamkeit.

2.1.1.2 Sozioökonomische und sozialökologische Ausstattungsprobleme

Dies beinhaltet Bildung, Arbeit, Einkommen, Vermögen (als Grundlage für die gesellschaftliche Position eines Menschen), Absicherung, Lebensstil (den man sich aufgrund von Bildung, Arbeit, Einkommen und Vermögen leisten kann) und außerdem die ökologischen und sozioökonomischen Eigenschaften, die die unmittelbare Umwelt der Person aufweist.

Will man die sozio-materielle Ausstattung eines Menschen bewerten, so stellen sich folgende Fragen:

- Welche Teilhabe an welchen Gütern bestimmen die individuelle Reproduktion?

In unserer Gesellschaft sind dies Bildung, Beruf, Einkommen als "absolutes Minimum". Hinzukommen können noch Eigentum an Boden und/oder Kapital sowie Liegenschaften.

- Welche Sicherheiten sind vorhanden (Bildung, Arbeit, Einkommen, Kapital, Boden sowie Staatszuschüsse etc.)?
Hier muss festgestellt werden, obwohl es in unserer Gesellschaft möglich ist, sich gegen fast jedes Risiko zu versichern, die am schlechtesten Materiell aus-gestatteten Personen zumeist am schlechtesten versichert sind.
- Welchen sozio-materiellen Konsum und damit Lebensstil kann man sich aufgrund der zwei vorhergehenden Ausstattungsfaktoren leisten?
Die zentrale Frage lautet, ob die vorhandenen Ressourcen gerade zur Deckung des täglichen, lebensnotwendigen Bedarfes an Nahrung, Kleidung und Wohnung reichen oder ob darüber hinaus auch begehrte Komfortgüter angeschafft werden können.
- Welche ökologischen wie sozio-ökonomischen Eigenschaften weisen unmittelbare und weitere Wohnumgebung, Bildungs- bzw. Ausbildungsplatz, Arbeitsplatz, Freizeitumgebung auf?

Hierbei könnte man auch von der unmittelbaren Umwelt eines Menschen sprechen. Die erhöhte Sensibilität für die Qualitäten des Alltages von Menschen ergaben in empirischen Studien enorme Unterschiede.

Um die sozialen Probleme in diesem Ausstattungsbereich zu definieren, muss im Vorfeld festgelegt werden, was in der Gesellschaft zur Stillung des Grundbedarfes zählt und welche Bedürfnisse darüber hinaus gehen. Daraus lassen sich qualitative Defizite und Überschüsse bestimmen.

a) Qualitatives Defizit

- Absolutes qualitatives Defizit
Die Ausstattung von Gütern ist unzureichend, um den Grundbedarf zu decken (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, medizinische Versorgung).
- Relatives qualitatives Defizit

Die Ausstattung ist unter dem "durchschnittlichen Set", da eine Person im Zusammenhang mit allgemeinen sozialen Bedürfnissen unterversorgt ist.

b) Qualitativer Überschuss

- Relativer qualitativer Überschuss

Die Ausstattung ist über dem "durchschnittlichen Set" eines Gesellschaftsmitgliedes.

- Absoluter qualitativer Überschuss

Eine Ausstattung, die weit über einen zu bestimmenden Sättigungspunkt hinausgeht und als Luxus bezeichnet werden muss.

Problematisiert werden hier sowohl Defizite wie auch Überschüsse. Überschüsse vor allem deshalb, weil sie im Widerspruch zu einer gerechten Güterverteilung stehen. Anzustreben ist ein Güterversorgungsniveau, das nicht nur genug zum Leben bietet, sondern eines, dass ein "gutes Leben" ermöglicht. Dies sollte die Ausgangslage dafür schaffen, allen Menschen zu ermöglichen, individuelle Bedürfnisse auszuprägen und zu erfüllen, ohne dass sie sich fragen müssen, an welchen existentiellen Bedürfnissen sie im Gegenzug dazu einsparen müssen.

2.1.1.3 Ausstattungsprobleme mit Wahrnehmungs- und Erlebnisweisen

Alle Menschen verfügen über "Erkennungsinstanzen", um die externen und internen (Körper) Informationen der Umwelt aufzunehmen, nach bestimmten Kriterien zu ordnen und dadurch für sich selbst einen Sinn darin wahrzunehmen.

Folgende Wahrnehmungsweisen werden dabei unterschieden:

- Emotional-sinnliche bzw. ästhetische Erlebnisweise
Die angefallene Information wird nach der Fragestellung bearbeitet, ob das, was vorliegt, angenehm/unangenehm, angsterzeugend/lusterzeugend oder schön/ hässlich ist.
- Normative Erlebnisweise
Die angefallene Information wird mit einer externen gesellschaftlichen oder internalisierten Norm verglichen und daraufhin befragt, ob das, was wahrgenommen wird, richtig/falsch oder gut/böse ist.
- Kognitiv-begreifende Erlebnisweise

Die Ausgangsfrage an den Sachverhalt lautet: "Wie ist das, was vorliegt, entstanden? Womit hängt es zusammen? Wovon ist es die Folge? Was folgt weiter daraus? Gibt es Wechselwirkungen?" Das Beurteilungskriterium ist hier, ob etwas wahr oder falsch ist.

Wie die Wahrnehmungsweisen bei den einzelnen Menschen ausdifferenziert und entwickelt sind, hängt von vielen Faktoren der internen und externen Umwelt ab. Zur "Ganzheitlichkeit" bedarf es nicht nur der Entfaltung aller Wahrnehmungsweisen sondern auch eines flexiblen, fließenden Überganges (und Rückkopplungs-mechanismen) zwischen diesen. Dieses Zusammenspiel wird als Wahrnehmungs- und Erlebniskompetenz bezeichnet.

Erstrebenswert ist, dass bei einem Menschen alle Möglichkeiten der Informationsverarbeitung ausdifferenziert sind. Wurde eine bestimmte nicht ausdifferenziert, so gilt dies als Defizit. Dominiert eine der Erlebnisweisen, so wird dies als Überschuss bezeichnet.

2.1.1.4 Ausstattungsprobleme mit Symbolen

Alle Menschen verfügen, um sich in ihrem Alltag in ihrer Lebenswelt orientieren zu können, über Vorstellungen von dem, was sie unmittelbar und mittelbar betrifft. Mit Hilfe der vorher beschriebenen Informationsstrategien entwickeln sie diese Vorstellungen. Es entsteht ein Bild (bzw. Bilder) der Natur, des Menschen, der Gesellschaft, der Welt und des Kosmos. Hinzu kommen Vorstellungen darüber, wie diese Wirklichkeiten entstanden sind, geschaffen wurden, wodurch und wozu sie sich erhalten und wie bzw. weshalb sie sich verändern bzw. verändert werden sollen. Dadurch entsteht auch ein Bild von dem, was sie selber sind und wie sie sein und nicht sein möchten.

Um diese Vorstellungen zu ermitteln, können u. a. folgende Fragestellungen erörtert werden:

- Welche Grundorientierungen bestehen, um sich die Wirklichkeit verständlich zu machen?

Andere Begriffe für Grundorientierung sind: Paradigma, Meta Theorie (d.h. Wirklichkeits- und Erkenntnistheorie), Philosophie, Weltanschauung etc.. Hier kann festgestellt werden, dass es - ähnlich wie bei grundlegenden materiellen und immateriellen Gütern – auch hier grundlegende symbolische Orientierungen gibt, welche in einer bestimmten Kultur bzw. Subkultur zur Verfügung gestellt werden. Von Bedeutung ist hierbei, was der einzelne Mensch sich von diesen kulturellen Angeboten angeeignet hat, um seine (Um-)Welt für sich zu interpretieren, man könnte auch sagen: sich symbolisch zu reproduzieren.

- Welche logische Differenziertheit weisen die symbolischen (Re-)Produktionen auf?

Im besonderen werden hier Antworten auf folgende Fragen gesucht:

- Beschreibungen (Bilder) – als Antworten auf "Was ist der Fall"-Fragen
- Erklärungen (Theorien, Codes) – als Antworten auf "Warum"-Fragen
- Bewertungen (Bilder über Wünschbares, Werte, Utopien) – als Antwort auf "Woraufhin"-Fragen
- Pläne (Verfahren, Handlungsweisen, nomopragmatische Codes) – als Antwort auf "Wie"-Fragen
- Zweck des Lebens und konkrete Lebensziele

Welche Vorstellungen bestehen über die Wege und Mittel, aber auch die Chancen den Sinn, den Zweck und eigene Ziele zu realisieren? Allgemeine Sinnvorstellungen müssen persönlich interpretiert und konkretisiert werden, umgekehrt lassen sich diese selbst gesetzten Ziele auch verallgemeinern.

Eine weitere Fragestellung ist hierbei, wie sehr die gesellschaftlichen Ziele und Werte übernommen werden.

Schließlich gehört zu diesem Symbol-Set die Beantwortung der Frage nach den reellen Chancen. Hierzu zählen die gesellschaftlich-strukturellen und die persönlich-psychologischen Chancen, die gesellschaftlich gesetzten wie die persönlich gewählten Ziele zu verwirklichen. Es ist möglich, dass bei einem Menschen die Antwort auf diese Frage gänzlich fehlt, dies hat dann jedoch bestimmte Folgen für sein Verhalten und für seine Interpretation des Erfolges/Scheiterns im Erreichen seiner Lebensziele.

- Welches reale, personale und soziale Selbst- und Fremdbild kann festgestellt werden und welches wäre das ideale Selbst?

Welche Vorstellungen bestehen über die eigene Identität, über die Art der sozialen Beziehungen zu anderen Menschen in der Familie, Großgruppe, Organisation, im Gemeinwesen? Dies ist der Bereich der positiven und negativen Identitäten. Hier ist zu differenzieren zwischen Identitätsmerkmalen, die aufgrund der zugeschriebenen oder gewählten Zugehörigkeit entstehen (müssen) (=das soziale Selbst) und denjenigen, welche in Zusammenhang mit Vorstellungen, die man von sich selbst hat, entstehen (=personales Selbst). Daraus ergibt sich das reale Selbst, das einem einfach bis sehr komplex strukturiertem idealem Selbstbild gegenüber steht.

2.1.1.5 Ausstattungsprobleme mit Handlungsweisen

Alle Menschen verfügen über "Praxisweisen" zur Umsetzung ihrer Vorstellungen (Symbole, Modelle, Pläne) in bestimmte Produkte. Diese gestalterischen Aktivitäten werden Handlungs- und Produktionsweisen genannt. Hierbei werden drei Grundarten von Handlungsweisen unterschieden:

- Technisch-habitualisiertes Handeln
Das heißt Ziele und Mittel sind vorgeschrieben. Die Arbeitsprodukte werden mittels einfacher – oder in einfache Operationen zerlegbare – rhythmischer Verhaltensabläufe hergestellt (z.B. Autofahren, Fließbandarbeit, großer Teil der Hausarbeit etc.). Die Handlungsabläufe werden aus Effizienzgründen auf diese Art und Weise durchgeführt, da dadurch ein optimales Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag entsteht.
- Rollen-Handeln
Die Ziele sind gesellschaftlich vorgegeben, die Auswahl der Mittel kann jedoch aus einem Spektrum frei gewählt werden. Das Verhalten, das zu Arbeitsprodukten führen soll, ist sozial normiert und wird am Kriterium der Funktionalität gemessen (z.B. große Bereiche des Erziehungs-Handelns, familiäres Rollen-Handeln, Freizeit etc.).
- Strategisch-kreatives Handeln

Weder Ziele noch Mittel sind vorgeschrieben und es liegt kein Sachzwang vor. Hier können Phantasie und Kreativität voll ausgeschöpft werden.

Auch hier kann Ganzheitlichkeit nicht nur aus der Entfaltung aller Handlungsweisen sondern durch flexible Übergangsmöglichkeiten zwischen diesen entstehen. Dieses Zusammenspiel der drei "Praxisweisen" wird als Handlungskompetenz bezeichnet.

Ähnlich wie bei der Ausstattung mit Erlebnisweisen wird hier die Frage gestellt:

- ob bei einem Menschen alle Möglichkeiten der Herstellung von Produkten ausdifferenziert sind
- oder ob eine bestimmte Handlungsweise gar nicht oder wenig ausdifferenziert wurde (Defizit)
- oder ob eine bestimmte Handlungsweise dominiert oder gar andere unterdrückt (Überschuss).

2.1.1.6 Beziehungsmäßige Ausstattungsprobleme

Die vorhergehenden Ausstattungsbereiche stellen hier das Potential für Beziehungsaufnahme unter Menschen dar. Dieses Ausstattungspotential kann man überhaupt erst in sozialen Transaktionen entwickeln und differenzieren. Hier ist die Kernfrage, ob die Person über genügend soziale Kompetenzen verfügt, um eine soziale Beziehung einzugehen und zu erhalten. Sind soziale Kompetenzen vorhanden, so vermitteln diese auch soziale Anerkennung. Auch die Quantität ist von Bedeutung, wobei man hier zwischen Beziehungen, in denen man - mehr oder weniger - Zwangsmitglied ist (Familie, Schule, Arbeit etc.) und solchen Beziehungen, die man - mehr oder weniger - freiwillig wählen kann (FreundeInnen, PartnerIn, Freizeitgruppen etc.) unterscheiden muss.

Folgende Probleme müssen bei sozialen Beziehungs- Kompetenzen/Inkompetenzen differenziert werden:

- Soziale Kompetenz/Inkompetenz im Bereich des Körperlichen, Sexuellen, Erotischen
- Soziale Kompetenz/Inkompetenz im Bereich des Sozio-materiellen
- Soziale Kompetenz/Inkompetenz im Bereich des Reflexiven, der gemeinsamen Verarbeitung von Informationen über bedeutsame Sachverhalte
- Soziale Kompetenz/Inkompetenz im Bereich der kommunikativen Beziehungen, insbesondere im Bereich der Art und Weise der Übermittlung von Bedeutungsstrukturen (Symbolen)
- Soziale Kompetenz/Inkompetenz im Bereich der Zusammenarbeit (Teamarbeit)[35]

Eine weitere Fragestellung richtet sich an die sozialen Beziehungen und Mitgliedschaften:

Wird von Isolation und Beziehungsarmut gesprochen, so versteht man meist eine geringe Anzahl sozialer Beziehungen und Mitgliedschaften. Im Prinzip sind hier sowohl ein Defizit wie auch ein Überschuss zu problematisieren.

Defizit = Beziehungsarmut (Isolation)

Hierunter wird die ungenügende bis fehlende soziale Einbettung eines

Menschen oder soziale Isolation verstanden.

Überschuss = Beziehungsinflation

Diese besteht, wenn ein so großer Kreis an BeziehungspartnernInnen

und sozialen Mitgliedschaften vorhanden ist, dass nur noch

oberflächliche, kurzfristige und folgenlose Kontakte gepflegt

werden können (alleine schon aus Zeitknappheitsgründen).

2.1.2 Soziale Austauschprobleme zwischen Menschen

Betrachtet man die soziale Ausstattung derart differenziert, so lässt sich nur erahnen, welche Fülle an Konfliktpotential sich in der Interaktion mit dem/der ParnterIn daraus ergibt. Außerdem muss hier noch festgestellt werden, dass Beziehung mehr ist als die Summe der einzelnen Partner. In Beziehungen entwickelt sich aus den Verhaltensweisen der Partner eine Dynamik, die erst durch die Interaktion entstehen kann.[36] Hier werden soziale Austauschprobleme zwischen Menschen wirksam. Alle Menschen sind zur Existenzsicherung auf den Austausch mit anderen Menschen und der Umwelt angewiesen. Die Ausstattung eines Menschen bietet das Potential für den Austausch mit anderen Menschen. Der Austausch (z.B. von Gütern, Wissen, Kompetenzen etc.) kann symmetrisch sein, d.h. dass am Ende einer Tauschbeziehung beide TauschpartnerInnen etwa gleichgestellt sind, oder er erfolgt asymmetrisch, d.h. am Ende der Tauschbeziehungen verfügt der/die eine über immer mehr und der/die andere über immer weniger. Soziale Probleme ergeben sich aus solchen asymmetrischen Austauschprozessen, wenn diese zum Nachteil eines AustauschpartnersIn verlaufen.[37]

Grundsätzlich kann man von folgenden Austauschbeziehungen sprechen

- Austausch von körperlichen Berührungen
- Austausch von materiellen und immateriellen Gütern
- Austausch von Wahrnehmungsweisen
- Austausch von Symbolen (d.h. bestimmte Vorstellungen über die Welt, konkrete Situationen und Probleme)
- Austausch von Handlungsweisen

Hier entsteht die Fragestellung wie eine Austauschbeziehung konkret gestaltet sein muss, damit beide Austauschpartner nicht "zu kurz kommen". Der hier angewandte Maßstab ist nicht vorrangig das objektive Empfinden von Zufriedenheit über die Beziehung, sondern das objektiv feststellbare Ergebnis, wie die Qualität der Tauschbeziehung ist.

Folgende Kriterien werden erhoben:

- Ist jede/r AustauschpartnerIn wechselweise Subjekt – Objekt

(= Frage nach der Qualität des Austausches)

- Wie sieht das Endergebnis des Tauschprozesses aus?

Sind anfänglich unterschiedliche Ausgestattete mit der Zeit gleichwertiger ausgestattet (z.B. Eltern – Kinder, Lehrer – Schüler) oder nehmen die Unterschiede mit den Transaktionen noch zu?

Erfüllt die Tauschbeziehung beide Kriterien (den Subjekt – Objekt Charakter der Beziehung und die Gleichwertigkeit der Tauschergebnisse) so kann man von einer symmetrischen Austauschbeziehung sprechen. Ansonsten spricht man von einer asymmetrischen Austauschbeziehung. Übertragen auf die Partnerschaft bedeutet dies, dass eine/r der Partner sich zunehmend unterordnet und der/die andere in der Beziehung dominiert.

[...]


[1] Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 105

[2] vgl. Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 105

[3] Österreichischer Familienbericht 1999, S 22

[4] vgl. Österreichischer Familienbericht 1999, S 22

[5] vgl. Mitterauer/Sieder 1980, S 22 zit.n. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 17

[6] vgl. Giddens 1999, S 153

[7] vgl. Rerrich 1988, S 40 zit.n. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 17

[8] vgl. Stone 1977, S 6 zit.n. Giddens 1999, S 154

[9] Stone 1977, S 6 zit.n. Giddens 1999, S 154

[10] vgl. Stone 1977, S 6 zit.n. Giddens 1999, S 154 – 155

[11] Rosenbaum 1982, S 76 – 77 zit.n. Beck-Gernsheim 1990, S 69

[12] Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 67 - 70

[13] Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 70

[14] vgl. Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 66 - 73

[15] Beck-Gernsheim 1990, S 71

[16] Berger/Kellner 1965 zit.n. Beck-Gernsheim 1990, S 72

[17] vgl. Nave-Herz 1994, S 10

[18] vgl. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 22 - 23

[19] vgl. Nave-Herz 1994, S 16

[20] Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 23

[21] vgl. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 23 - 24

[22] vgl. Nave-Herz 1994, S 84

[23] vgl. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 23 - 24

[24] vgl. Beck in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 226

[25] Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 19

[26] vgl. Kriechbaum-Tritthart, Handlungsfeld Familie o.A., S 19

[27] vgl. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Handlungsfeld Familie o.A., S 19 - 20

[28] vgl. Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 74

[29] vgl. Beck-Gernsheim in Beck/Beck-Gernsheim 1990, S 107

[30] Staub-Bernasconi zit.n. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Theorie der Sozialarbeit o.A., S 19

[31] Staub-Bernasconi zit.n. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Theorie der Sozialarbeit o.A., S 18 - 19

[32] vgl. Ilse von Arlt zit.n. Engelke 1998, S 281 - 282

[33] Staub-Bernasconi 1995a, S 135 zit.n. Engelke 1998, S 371

[34] vgl. Staub-Bernasconi 1995a, S 135 zit.n. Engelke 1998, S 371 - 372

[35] vgl. Staub-Bernasconi o.A., o.A. zit.n. Kriechbaum-Tritthart, Skriptum Theorie der Sozialarbeit o.A., S 18 - 33

[36] Anmerkung der Verfasserin

[37] vgl. Staub-Bernasconi 1994, S 12 – 46 zit.n. Engelke 1998, S 373 - 374

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832460365
ISBN (Paperback)
9783838660363
DOI
10.3239/9783832460365
Dateigröße
951 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Akademie des Bundes in der Steiermark – unbekannt
Erscheinungsdatum
2002 (November)
Note
1,0
Schlagworte
konflikte entstehung verlauf phasenverlauf
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Titel: Prozessorientierte Betrachtung von Trennung/Scheidung bei Paaren mit Kindern
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