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Indigene Bewegung in Ecuador als neue gesellschaftspolitische Kraft

Eine kulturpolitische Analyse

©2002 Magisterarbeit 153 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die gegenwärtige Situation in Ecuador ist einerseits geprägt von einer von den indigenen Bewegungen vorangetriebenen Ethnopolitisierung, die sich vor allem gerade auch aus der historischen und politischen Entwicklung dieses Landes als soziale und allgemeine „Emanzipationsbewegung“ erklären lässt. Andererseits wird dadurch nicht nur das Konzept des Nationalstaats in Frage gestellt, sondern auch die Globalisierung in Gestalt des vordringenden oder vorherrschenden Neoliberalismus. Da die CONAIE als Dachorganisation indigener Bewegungen in Ecuador sich zu einem wichtigen politischen Faktor entwickelt hat, wird sie als Fallbeispiel für den Kampf um die „Selbstbestimmung der Völker“ herangezogen.
Gang der Untersuchung:
Die Arbeit gliedert sich in drei Teil und fortlaufende Unterkapitel.
Teil I dient den „Vorklärungen“ (S. 10-57). Kapitel 1 klärt zunächst die für die gesamte Untersuchung zentralen „Konzepte“ ab (S. 11ff.), und zwar „Ethnie und Ethnizität“, „Nation“, „Rassismus“, „Ethnisierung der Politik“ sowie „Multikulturalismus“. Ist es im ersten Fall insbesondere der Prozess der „Eigenethnisierung“ und politischen Instrumentalisierung von „Ethnizität“, die für die weitere Arbeit als fruchtbare Ansätze herausgearbeitet werden, so im Falle der Nation die Betonung der „Willensnation“. Die Kultur wird auch im Falle des Rassismus zum eigentlichen Differenzkriterium, indem im kulturellen Kontext Ecuadors Rassismus zumindest heute des biologistischen Konnotation entbehrt. Das gleichermaßen aus dem westlichen Kontext stammende Konzept des Multikulturalismus wird zunächst ebenfalls nur knapp vorgestellt, um später als Folie zur Einordnung des Konzepts des Plurinationalismus zu dienen, das im politischen Programm der CONAIE zentralen Stellenwert besitzt.
Während Kapitel II einige Eckdaten zu „Ecuador und indigene Völker“ (S. 25ff) aufbereitet, beleuchtet Kapitel 3 den „Geschichtlichen Hintergrund“ (S. 30ff), um zentrale Determinanten des gegenwärtigen Entwicklung als bereits historisch bedingt aufzuzeigen. Der „Unabhängigkeitsbewegung“ bis in die „Republikanische Zeit“ gespannt. Wenn auch manchmal aus einem verzerrten Blickwinkel dient die inkaische Zeit als Legitimationsbasis und symbolische Bezugspunkt aktueller Ethnopolitik. Desgleichen liegen die Wurzeln der Spannung zwischen Ecuador als Nation und dem indigenen Konzept eines plurinationalen Staates in der historischen Entwicklung begründet, indem nach dem neuen Grundsatz der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

TEIL I: VORKLÄRUNGEN

1. KONZEPTE
1.1 Ethnie und Ethnizität
1.2 Nation
1.3 Rassismus
1.3 Ethnisierung der Politik, eine Reaktion auf Modernisierungsprozesse?
1.5 Multikulturalismus

2. Ecuador und indigene Völker
2.1 Allgemeines über Ecuador
2.2 Ethnische Zusammensetzung
2.3 Die indigenen Völker Ecuadors

3. Geschichtlicher Hintergrund
3.1 Die Inkaische Epoche
3.1.1 Der schwierige Quellennachweis dieser Zeit
3.1.2 Ursprung der Inkas
3.1.3 Die Herrscher und ihre Eroberungen
3.1.4 Tahuantinsuyu: Das Reich der vier Weltgegenden
3.1.5 Die Inkaherrschaft im heutigen Ecuador
3.1.6 Das Ende des Inkareiches
3.2 Kolonialzeit
3.2.1 Kolonialisierung und Unterordnung der Indígenas
3.2.2 Die spanische Kolonialherrschaft im heutigen Ecuador (1533 – 1822)
3.2.3 Instrumente zur Unterordnung der Indígenas
3.2.4 Rolle der Kirche bei der Unterdrückung der Indígenas
3.2.5 Differenzen zwischen spanischer Krone und den Eroberern
3.3 Unabhängigkeitsbewegung
3.4 Republikanische Zeit
3.4.1 Bildung einer fiktiven Nation
3.4.2 Der Umgang mit den Indígenas in der Republik

TEIL II: Die indigene Bewegung in Ecuador

4. Ecuador: Eine Bruchliniengesellschaft

5. Ursachen der Bildung indigener Bewegungen
5.1 Organisationsprozess Amazonas vs. Hochland
5.2 Der „Indigenismus“
5.2.1 Anfänge des Indigenismus
5.2.2 Der moderne Indigenismus
5.2.3 Der Indigenismus in Ecuador
5.3 Theologie der Befreiung – Entstehung indigener Basisorganisationen
5.3.1 Was ist die Theologie der Befreiung?
5.3.2 Theologie der Befreiung und Marxismus
5.3.3 Theologie der Befreiung und die Bildung indigener Bewegungen in Ecuador
5.4 Modernisierung und Re-Ethnisierung
5.4.1 Importsubstitution - Beginn eines Strukturwandels
5.4.2 Agrarreformen ( Festigung der Indígena Identität)
5.4.3 Modernisierung und Politisierung der Kultur bzw. Ethnizität
5.4.4 Militärdiktatur und wirtschaftliche Expansion
5.4.5 Demokratisierung und neue Modernisierungswelle
5.4.6 Schuldenkrise und deren Auswirkung auf die indigene Bevölkerung
5.4.7 Neoliberaler Modernisierungsschub

TEIL III: Die CONAIE

6. Organisation und Programmatik
6.1 Die Gründung der CONAIE: Ausdruck der Ethnopolitisierung
6.2 Organisation der CONAIE
6.3 Ideologie der CONAIE : Entstehen einer indianischen Weltsicht
6.4 Zentrale Forderung: Der plurinationale Staat der CONAIE

7. Strategie der CONAIE
7.1 Außerinstitutionelle Strategie: indigene Aufstände
7.1.2 Der Aufstand von 1990: Der Durchbruch des Ethnischen
7.1.3 Das „Jahrzehnt der Indígenas“
7.2 Institutionelle Strategie: Die politische Bewegung „Pachakutik“

8. Erfolge und Herausforderungen

9. Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem damit in Verbindung stehenden endgültigen Ende des Kalten Krieges, sind weltweit ethnopolitische Konflikte ausgebrochen. Ethnische Gruppen spielen in den sich modernisierenden Gesellschaften, entgegen den Vorhersagungen der klassischen Sozialwissenschaftler Karl Marx und Max Weber, weiterhin eine große Rolle. Man wagt heute sogar zu sagen, dass gerade bei zunehmender Modernisierung der Welt ethnische Pluralisierung und damit ethnische Konflikte eher zunehmen.

Auch in Ecuador spielt sich seit den 80er Jahren ein solcher ethnischer Konflikt auf der politischen Bühne ab. Indigene Völker des ganzen Landes, die einst abgeschoben an die Peripherie ihrem trüben Schicksal nachgingen, haben sich zusammengetan und stellen sich einer neoliberalen Modernisierung entgegen. Dabei rücken sie das Ethnische und Kulturelle zunehmend in den Mittelpunkt ihres Widerstandes. Aufstände, bei denen sie ihr indigenes Erbe bestätigen und sich gegen neoliberale Maßnahmen der Regierung stellen, liegen seither fast an der Tagesordnung.

Der größte und weitreichendste Aufstand in Ecuador fand am 21. Januar 2000 statt, als die Indígenas an einem Militärgürtel vorbei in die Gebäude des Nationalen Kongresses stürmten. Die Soldaten, die am Tag zuvor Stacheldrähte zum Schutz vor den Demonstranten um den Kongress gelegt hatten, traten an diesem Tag zur Seite und zeigten auf diese Weise, dass ein Teil des Militärs die aufgebrachten Indígenas unterstützte[1].

Holzbretter wurden über den Stacheldraht gelegt, damit die Demonstranten mühelos in den Kongress dringen und einen der begehrten Sitze der Macht erobern konnten. Um die Mittagszeit hing bereits eine große wipala, die regenbogenfarbene Flagge der indigenen Bewegung, von dem 8 stöckigen Gebäude herunter.

Während die Demonstrationen fortfuhren und die Indígenas begannen den Kongress zu besetzen, um ihr eigenes „nationales Parlament der Völker von Ecuador“ auszurufen, stellten sich an die 200 Soldaten, unter Führung eines hohen Militäroffizieres, in der Mitte der euphorischen Menschenmasse auf und sicherten offiziell den Aufständischen ihre Unterstützung zu (Collins, 2000, 40).

Wenig später wurde die „Junta zur nationalen Rettung“ ausgerufen, deren Vorsitzende Antonio Vargas, der Präsident der „Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors“ (CONAIE - Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador), Coronel Lucio Gutierrez, ein hoher Armeeoffizier und Carlos Solorzano, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofes, waren. Die Militärrebellen und ihre neuen Allierten, die Indígenas, legitimierten diese Machtübernahme als notwendige Maßnahme gegen die maßlose Korruption in den politischen Institutionen, nach ihrem Ermessen eine der Hauptursachen der wirtschaftlichen Krise Ecuadors, anzutreten.

So deklarierte beispielsweise einer der Armeeoffiziere: "Wir sind hier, damit sie (die korrupten Politiker) nicht dieses Land plündern". Antonio Vargas, ein Quechua des Amazonastieflandes und damaliger Präsident der CONAIE, hingegen sprach "zu allen Leuten von Ecuador", und erklärte enthusiastisch: "die indigenen Völker sind jetzt an der Macht und wir werden triumphieren!" (Collins, 2000, 42). Während er manchmal in seinem gebürtigen Quechua [2] sprach, hatte Vargas offenbar die Rolle des nationalen Führers angenommen und sprach im Namen einer nicht gewählten militär-zivilen Junta.

Diese hielt sich jedoch nur wenige Stunden, da der Coronel Lucio Gutierrez unter Drohungen der USA zurücktrat[3]. Daraufhin wurde die Junta aufgelöst und der Vizepräsident Gustavo Noboa übernahm das Amt, der die getroffenen Maßnahmen seines Vorgängers (im Kern neoliberale Maßnahmen) nach Plan fortsetzte.

Obwohl die Indígenas sich nur wenige Stunden an der Macht halten konnten, haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass der damals amtierende Präsident Jamil Mahuad, bekanntlich verwickelt in Korruptionsfälle und Vorantreiber neoliberaler Maßnahmen, sein Amt niederlegte. Dadurch, dass sein Nachfolger sein politisches Programm weiter verfolgte, haben sie zwar am Kurs der neoliberalen Politik nichts ändern können, jedoch durch den Aufstand bewiesen, welch große Bedeutung die indigene Widerstandsbewegung in der politischen Szene Ecuadors Ende des 20. Jahrhunderts gewonnen hat.

Von einer Bewegung, die in den 30er und 40er Jahren noch von Indigenisten[4] und Kommunisten bevormundet wurden, und in den 60er und 70er Jahren nur kleinere regionale Aufstände zusammenbrachte, ist die indigene Bewegung CONAIE in Ecuador Ende der 90er zur stärksten zivilgesellschaftlichen Opposition der Regierung herangewachsen.

Dabei hat sich diese soziale Bewegung von einer klassenzentrierten (in den 30er und 40er Jahren) zu einer ethniezentrierten, selbstgetragenen, unabhängigen Bewegung entwickelt, die in der Dachorganisation CONAIE ihren Ausdruck findet.

Ihre Forderungen drehen sich nicht, wie anfangs, nur um Bodenrechte, sondern u.a. um eine radikale Umstrukturierung des Staates, d.h. Auflösung der drei Gewalten und Schaffung eines plurinationalen, multi-ethnischen Staates, der in gleicher Weise alle in Ecuador lebenden ethnischen Völker anerkennt. Somit stellen sie eine radikale Kritik am herrschenden Herrschaftssystem und fordern im Kern eine Redifinition der Nation, die nicht nur die Weissen und Weiss-Mestizen als Prototyp eines Staatsbürgers anerkennen soll, sondern alle die sich in diesem Staatsgebiet befindenden ethnischen Völker, mit ihrer Sprache, Kultur und ihren Territorien und ihrem Recht auf Selbstbestimmung.

Die indigene Bewegung CONAIE in Ecuador kann als Prototyp einer indigenen Bewegung in Lateinamerika gesehen werden. Sie unterscheidet sich von anderen sozialen Bewegungen aufgrund ihrer Mobilisationskapazität und der Tatsache, dass sie es geschafft hat, eine große Vielfalt an unterschiedlichen ethnischen Völkern aus ganz Ecuador zu vereinen[5]. Diese zwei Eigenschaften - Mobilisationskapazität und „Einheit in der Vielfalt“ - und die dadurch zustande gebrachten Aufstände, machen die CONAIE zu einer besonders mächtigen und einzigartigen sozialen Bewegung.

Um die Hintergründe und Reichweite der zunehmend überregionalen indigenen Widerstandsbewegungen zu verstehen, wird diese Dachorganisation in der vorliegenden Arbeit als Fallbeispiel herangezogen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht einerseits die Frage nach dem Kern des Konfliktes zwischen Indígenas, den Trägern der Widerstandsbewegung und der Regierung (wobei die Regierung die Weiss-Mestize Bevölkerung verkörpert), sowie anderseits die Frage nach der Authentizität der ethnischen Widerstandsbewegung CONAIE. Schwingt die „Kulturseele“ bei den Aufständen mit? Oder wird Kultur bzw. Ethnizität zu einem probaten Mittel politischer Auseinandersetzung?

Da die Ursachen dieses Konfliktes bereits in der Kolonialisierung der Andenregion liegen, ist eine Analyse der Geschichte, kurz bevor und seit Ankunft der Spanier in Lateinamerika, unerlässlich. Dadurch wird deutlich, wie es zu dem Aufbau der „ausschliessenden Nation“ gekommen ist, die einerseits die Mestizen privilegiert und anderseits die Indígenas und Schwarze diskriminiert. Durch diese Analyse wird ersichtlich, wie durch den Ausschluss aus der Nation, einer breiten Bevölkerungsschicht der Zugang zur Aufwärtsmobilität (d.h. Bildungschancen, wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg, sowie politisches Mitspracherecht) verwehrt und wie dadurch ein fruchtbarer Nährboden für soziale Konflikte geschaffen wird. Ob es sich bei der indigenen Widerstandsbewegung um einen Aufstand der Tradition gegen die Moderne[6] handelt, oder ob die indigene Bewegung als eine Begleiterscheinung oder Folge der Modernisierung aufgrund des Nachhängens im Prozess der Modernisierung auftritt, soll in dieser Arbeit untersucht werden.

Darüber hinaus werden verschiedene Etappen des Organisationsprozesses der Indígenas beleuchtet. Hierbei werden die Determinanten analysiert, die zur Organisierung und Bildung indigener Bewegungen, insbesondere der CONAIE, beigetragen haben. Dadurch wird einerseits der Konflikt veranschaulicht und anderseits die Akteure bekannt, die einen Einfluss auf die Bildung indigener Bewegungen im Laufe des letzten Jahrhunderts gehabt haben.

Folgende zentrale Fragestellungen werden in der vorliegenden Arbeit zu beantworten versucht: Was macht historisch gesehen den Kern des Konfliktes zwischen Indígenas und Mestizen aus? Wie ist es im letzten Jahrhundert zum Heranwachsen solch starker indigener Bewegungen gekommen? Welche sind die Determinanten, die zu diesem Organisationsprozess der Indígenas im 20. Jahrhundert geführt haben? Dabei liegt der Schwerpunkt bei der Frage nach der Rolle, die der Modernisierungsprozess bei diesen Entwicklungen gespielt hat.

Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie es zu dem Zusammenschluss der verschiedenen indigenen Bewegungen, d.h. zu der fiktiven ethnischen Zugehörigkeit innerhalb der CONAIE gekommen ist. Wie erklärt sich, dass es Ende des 20. Jahrhunderts zu einem Rückgriff auf Kultur und Ethnie im Kampf gegen die Modernisierung kommt? Macht eine „imaginäre Identität“ auf der Grundlage eines Gemeinschaftsglaubens, bzw. Eigenethnisierung der indigenen Bevölkerung den Erfolg derselben aus? Wird Ethnie dabei zur Ressource im Kampf ?

Im ersten Teil wird versucht die wesentlichen Konzepte, die zum Verständnis der Bildung indigener Bewegungen in Ecuador notwendig sind, zu klären, sowie das Entstehen einer ausschließenden Nation seit Ankunft der Spanier nachzuzeichnen. Im Teil II hingegen wird auf den Organisationsprozess der indigenen Bewegung, hin zur Widerstandsbewegung CONAIE eingegangen. Dabei wird insbesondere der Prozess der Modernisierung und dessen Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung und konsequente Mobilisierung untersucht. Im Teil III wird die CONAIE als Beispiel einer indigenen Dachorganisation herangezogen. Dabei werden ihre Strategien, Ziele und Herausforderungen analysiert. Insbesondere wird versucht zu zeigen, dass die Bildung dieser bedeutenden indigenen Bewegung Ausdruck einer Re-Ethnisierung ist, d.h. dass Kultur bzw. Ethnie politisiert werden.

Methodisch orientiert sich diese Arbeit an der qualitativen, hermeneutischen Forschung. Um die genannten Untersuchungsgegenstände zu erschliessen, wird in dieser Arbeit daher verstehend und interpretierend vorgegangen. Als Material zur Untersuchung haben sowohl Literatur- und Dokumtentstudien von Printpublikationen, als auch elektronische Texte aus dem Internet gedient. Vor allem wegen häufiger Verwendung von Internetdokumenten können an manchen Stellen keine Seitenanzahlen angegeben werden.

Angesichts geringer Originalliteratur zur CONAIE, wurde durch die Teilnahme an dem „ II Nationalen Kongress von Pachakutik“ im September 2001 und an dem „I Kongress der indigenen Nationalitäten Ecuadors“ im Oktober 2001“, sowie durch persönliche Gespräche mit verschiedenen Mitgliedern der indigenen Organisation, weitere nützliche Informationen erfasst.

Aufgrund der kaum vorhandener Literatur zu indigenen Bewegung sowohl im angloamerikanischen und vor allem im deutschsprachigem Bereich, insbesondere in Bezug auf die CONAIE, wurden die meisten Zitate vom Autor selbst übersetzt.

Angesichts der großen Bedeutung und Aufmerksamkeit, die indigene Bewegungen als gesellschaftspolitische Akteure in den letzten Jahren erlangt haben (sowohl national als auch international[7] ) und der nicht desto trotz geringen Beachtung im Rahmen der politikwissenschaftlichen Forschung (besonders in Amerika und Europa, aber auch zum Teil in Lateinamerika), erscheint eine analytische Auseinandersetzung mit der indigenen Dachorganisation CONAIE, eine der stärksten und bestorganisiertsten indigenen Organisation in ganz Lateinamerika, nicht nur interessant, sondern unbedingt notwendig.

TEIL I: VORKLÄRUNGEN

KONZEPTE

Zum Verständnis dieser Diplomarbeit ist es hilfreich, die Definition der wichtigsten Begriffe und Konzepte im Kopf zu haben. Aufgrund der Unklarheit, die bezüglich der meisten sozialwissenschaftlichen Begriffe herrscht, können hier nur die wichtigsten Definitionen genannt werden. Die Begriffsgeschichte und Diskussionen um die jeweilige Bedeutung werden nur kurz angeschnitten. Hauptsächlich geht es darum zu klären, wie die einzelnen Begriffe und Konzepte in dieser Arbeit zu verstehen sind.

1.1 Ethnie und Ethnizität

Der Begriff „Ethnizität“ („ethnicity“) stammt aus der US-amerikanischen und anglo-amerikanischen Soziologie und Sozial- und Kulturanthropologie. Aufgrund der multirassistischen, multiethnischen und multikulturellen Entwicklungen und Probleme der klassischen Einwanderungsgesellschaften der USA, Kanadas, Australiens und Grossbritaniens, entwickelte sich in den 60er Jahren in diesen Ländern eine intensive sozialwissenschaftliche Diskussion, die sich um die Problem- und Forschungsbereiche „ethnic groups“, „ethnics and race relations“, „new ethnicity“, „interethnic relations“ konzentrierte (vgl. Mintzel, 1997, 111).

In den letzten zwei Jahrzehnten sind Fallstudien und theoretische Erklärungsversuche zur Ethnizität und zu ethnischen Gruppen in kaum noch überschaubarem Umfang publiziert worden. Die Vielfalt an Publikationen zu diesen Begriffen und eine unterschiedliche Verwendung erschweren jedoch eine genaue Definition. Die Begriffe „Ethnizität“, „Ethnie“, „ethnische Gruppe“ und „ethnische Identität“ werden häufig synonym gebraucht (Jackson, 1984, 205- 233, in: Mintzel, 1997, 111). Darüber hinaus wird unter „Ethnizität“ ein spezifisches analytisches Konzept oder ein spezifischer analytischer Aspekt oder eine theoretische Kategorie verstanden (vgl. Mintzel, 1997, 111).

Im Rahmen dieser Arbeit können nicht alle Definitionen von „Ethnie“, bzw. „Ethnizität“ genannt werden, dennoch wird versucht diesen Schlüsselbegriff verständlich zu machen.

Im Laufe der Gesellschaftsentwicklung fallen, trotz kultureller Vielfalt (Sprachen, Bräuche, Traditionen, Glauben, Riten, Weltanschauungen, usw.), mehrere dieser Elemente bei bestimmten Gruppen von Menschen zusammen. Auf diese Weise bilden sich Gruppen heraus, die sich von anderen aufgrund ihrer Sprache, dem was gegessen wird, dem was gesungen wird, unterscheiden. Innerhalb der Gruppe bildet sich ein Gefühl der Zugehörigkeit heraus: Ethnizität (vgl. Gellner, 1994, 35, in: Kager, 2000, 34)[8].

Albert F. Reiter betrachtet Ethnien, d.h. auf Ethnizität beruhende Gruppen, als die ursprünglichste Form des menschlichen Zusammenlebens. Ethnizität sei die typische Organisationsform selbstgenügsamer Kleingruppierungen, die auf der Basis von Verwandtschaft solidarisch – da voneinander abhängig – leben und wirtschaften (vgl. Reiter,1991, 59f, in: Kager, 2000, 34).

Eigenschaften ethnischer Gruppen oder Gemeinschaften sind, so Anthony Smith: 1. ein sie unterscheidender Name; 2. ein Mythos gemeinsamer Ursprünge und Abstammung; 3. historische Erinnerungen; 4. ein historisches Gebiet oder Heimatland oder die Verbindung hierzu; 5. Eines oder mehrere Momente einer gemeinsamen Kultur, Sprache, Bräuche, Religion; 6. Solidarität und Identität (vgl. Smith, 1986, 22, in: Veit, 1998, 82).

In den Sozialwissenschaften herrscht jedoch keine Einigkeit darüber, ob Ethnie bzw. ethnische Gruppe als primordiale objektive soziale Gegebenheit betrachtet werden kann, oder ob Ethnie hingegen lediglich eine durch Selbst- und Fremdzuschreibungen konstruierte soziale Wirklichkeit ist und man daher nur von einer „Erfindung der Ethnie“ sprechen sollte.

Pierre L. Van den Berghe (1981, 15-37, in: Mintzel, 1997, 113), einer der wichtigsten Vertreter der primordialen Sichtweise, definiert Ethnizität folgendermassen:

„Ethnizität ist eine Erweiterung des biologischen Verwandschaftsprinzips. Sie beruht auf dem Prinzip der inklusiven Fitness. Die Fitness eines Organismus ist definitionsgemäß reproduktiver Erfolg. Inklusiver Fitness ist die Summe aus dem reproduktiven Erfolg eines Organismus und aus dem verwandter Organismen, bezeichnet durch den Koeffizienten ihrer Verwandtschaft...“

Max Weber hingegen spricht von einem „ethnischen Gemeinsamkeitsglauben“, der allein auf einem subjektiven Glauben beruht, „dass zwischen den sich anziehenden oder abstoßenden Gruppen Stammesverwandtschaft oder Stammfremdheit bestehe“ (Weber, 1964, 306, in: Mintzel, 1997, 114) und zählt somit zu den „Formalisten“ oder „Konstruktivisten“.

So spricht Mintzel von zwei grundlegend konträren Argumentationssträngen innerhalb der Ethnie-, bzw. Ethnizitätsdiskussion: die primordiale Sichtweise und das subjektive Adskriptionsmodell (formalistische bzw. konstruktivistische Sichtweise).

Die sogenannte primordialistische Sichtweise geht davon aus, dass Ethnizität aus dem Bedürfnis genetischer Stabilisierung entsteht (in: Mintzel, 1997, 124). Mit der Charakterisierung als „primordial“ wird eine Sichtweise benannt, die in ethnischen Gruppen/ Ethnien, eine anthropologische Grundtatsache sieht, die von jeher als „uranfänglich“ gegeben war und noch ist. In der ganzen Menschheitsgeschichte sind ethnische Gruppenbildungen und ethnische Gruppen objektive, vorgegebene, primordiale Gegebenheiten. Ethnien sind diesem Ansatz nach von jeher strukturelle Grundeinheiten menschlicher Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung, die sich charakterisieren durch:

- gemeinsame (biologische) Abstammung,
- gemeinsame, abstammungsbedingte physiologische Attribute (Haarfarbe, Körperbau, etc.)
- gemeinsame Geschichte
- gemeinsame Religion
- gemeinsame kulturelle Deutungsmuster
- gemeinsamer geographischer Raum, gemeinsames Territorium
- gemeinsame soziale Ordnungsprinzipien

(Mintzel, 1997, 126).

Die primordialistische, essentialistische Sichtweise definiert ethnische Gruppen als uranfängliche, von jeher realiter gegebene, quasi biologische Grundtatsache menschlichen Soziallebens. Durch völkische Ideologien läuft dieser Ansatz Gefahr, einem völkischen Nationalismus Vorschub zu leisten.

Im Gegensatz zu diesen objektiven Ansätzen des Ethniebegriffes betont eine formalistische Konzeption von Ethnizität die Bedeutung von durch Selbst- und Fremdzuschreibungen entstehenden, ethnischen Grenzen für die Konstitution ethnischer Gruppen. Frederik Barth (1982), einem der wichtigsten Vertreter dieses Ansatzes, sieht in dieser Art der Grenzziehung und auch ihrer Aufrechterhaltung ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung von ethnischen Gruppen (in: Mintzel, 1997, 127). Die Grenzziehungen, so Barth, knüpfen an bestehende Unterschiede an. Nicht die Qualität oder das „objektive“ Ausmaß sind für die Grenzziehung relevant, sondern die Bedeutung, die bestimmten Unterschieden bei diesem Prozeß durch die Gruppe selbst gegeben wird (subjektives Moment).

Dieser Richtung nach ist Ethnie, bzw. ethnische Gruppe eine durch Selbst- oder Fremdzuschreibungen konstruierte soziale Wirklichkeit, gekennzeichnet durch:

- Selbstzuschreibung bestimmter Kriterien und Attribute; Autostereotyp(-isierung)
- Fremdzuschreibung/ Fremdeinschätzung: „Wer rechnet wen zu welcher Gruppe aufgrund welcher Merkmale?“
- Relationale subjektive Abgrenzungskriterien
- Bezugsgruppen- Konstrukte
- Sozio-kulturelle Persönlichkeit, entstanden durch Sozialisation und Enkulturation (basic personality)
- Spezifische, kulturell vermittelte Interaktionsmuster

(Mintzel, 1997, 126)

Wegen dieser jeweils unbefriedigenden Sichtweisen und Begriffsdefinitionen, bemühen sich Sozialwissenschaftler immer wieder darum, Kriterien beider Sichtweisen in integrativen Definitionsvorschlägen zu verbinden.

Verbindend wirkt die Sichtweise über die kollektive Herkunft. Die meisten Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass es sich selten um eine reale kollektive Herkunft (so auch Anthony Smith, der vom „Mythos der gemeinsamen Herkunft“ spricht), sondern meist nur um den Glauben daran handelt (vgl. Kager, 2000, 35). Das zentrale begriffliche Element in der Diskussion über „Ethnizität“ ist daher der Gemeinsamkeitsglaube. Der subjektive Glaube an eine Abstammungsgemeinschaft, unabhängig davon, ob dieser Gemeinsamkeitsglaube objektiv begründet ist. So beruht ethnische „Gemeinsamkeit“ eben auf dem Glauben einer Zusammengehörigkeit und nicht auf einer tatsächlichen (blutsmässigen) Stammesgemeinschaft. Somit bedeutet „Ethnizität“ kollektive symbolische Selbstdeutung von sozialen Gruppen aufgrund gemeinsamer historisch- politischer Erfahrungen.

Folgender Definitionsvorschlag von Mintzel versucht von den beiden gegensätzlichen, unvollständigen Konzeptionen von Ethnie, die wesentlichen Elemente des Konzeptes zusammenzufassen:

„Ethnische Gruppen sind Teilbevölkerungen von staatlich verfassten Gesamtgesellschaften; diese Teilbevölkerungen sind ethnische Kollektive, die Angehörigen eines Volkes, oder, wesentlich öfter Teile von Völkern. Wie andere ethnische Kollektive haben ethnische Gruppen eine Vorstellung gemeinsamer Herkunft sowie ein Zusammenhörigkeitsbewusstsein und sind durch Gemeinsamkeiten von Geschichte und Kultur gekennzeichnet. Eine kollektive Identität begründet zum einen auf ein Bewusstsein der Gruppe von sich selbst, zum anderen als Urteil und Zuschreibung „von außen“ d.h. seitens anderer Gruppen; kollektive Identität und Zugehörigkeitsdefinitionen werden über Grenzziehungen der ethnischen Gruppe selbst, wie über Abgrenzungen durch andere ethnische Kollektive bestimmt“ (Mintzel, 1997, 129).

Der Soziologe Hartmut Esser meint desweiteren, dass sich eine ethnische Orientierung aus sehr verschiedenen Merkmalen beziehen kann: Blutsverwandtschaft, Rasse, Sprache, Religion, gemeinsames politisches Schicksal, Habitus und Lebensstil, Kleidung, Wohnung, Ernährungsweise, etc. Diese Merkmale erhalten, so Esser, eine adskriptive Grundlage und der Gemeinsamkeitsglaube sei ausschließlich subjektiver Natur. Dabei werde deutlich, dass ethnische Gemeinschaften nach besonderen Anlässen jeweils kreierte und definierte Gruppierungen sind, also ihre Ausbildung als Reaktion auf besondere Erfahrungen, Zielsetzungen und erlebte Regelhaftigkeiten zu sehen ist (Esser, 1980, 119/ 120, in: Mintzel, 1997, 130).

Für den Politikwissenschaftler Claus Leggewie ist „ Ethnizität (...) keineswegs ein vormodernes Traditionsrelikt, sondern Produkt und Begleiterscheinung der Modernisierung “ (Leggewie, 1994, 48, in: Mintzel, 1997, 115). Erst als Reaktion auf die Auswirkungen der Modernisierung geschieht also eine ethnische Orientierung.

So scheint es, dass Ethnizität zur Ressource im Kampf gegen die ausgrenzende Modernisierung und Mehrheitsbevölkerung, die diese Modernisierung vorantreibt, wird. Dabei bestätigen sich Mehrheit und Minderheit ihre unterschiedliche Identität. Die Eigenethnisierung, d.h. die Eigendefinition als ethnische Gruppe ist somit situationsabhängig und voluntaristisch (vgl. Nagel, 1998, 237-260).

Da Ethnizität im ecuadoriansichen Kontext erst seit Ende der 50er Jahre zunehmend in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen gerückt ist, kann man daraus schließen, dass im Falle der indigenen Bewegung CONAIE Ethnizität und die damit in Verbindung stehende Kultur zur Erreichung politischer Ziele instrumentalisiert wird. Ethnizität wird also zur Ressource im Kampf. Diese Entwicklungen werden insbesondere in Kapitel 5.3 und 6.1 deutlich.

1.2 Nation

Die Nation ist in enger Verbindung mit der Ethnie zu verstehen. Wie Ebere Onwudiwe besagt, sind „Ethnicity und Nationalism different expressions of collective public identity“ (2001, 1).

Im nationalistischem Diskurs wird die Nation sogar als Ethnie dargestellt. Eine ethnisch, kulturell und sprachlich homogene Bevölkerung ist das Ideal einer Nation. In diesem Zusammenhang spricht Balibar jedoch von einer „fiktiven Ethnizität“, da keine Nation eine ethnische Basis besitzt (Balibar, 1990, 63, in: Kager, 2000, 35). Der Nationalstaat integriert vielmehr über die Umdeutung ethnischer Loyalitäten die in seinem Territorium lebenden Bevölkerungen und schafft somit eine Mehrheit, welche sich von den nun sichtbaren ethnischen Minderheiten abgrenzt.

„ Die Nation ist somit eine gedachte Ordnung, eine kulturell dominierte Vorstellung, die eine Kollektivität von Menschen als eine Einheit bestimmt. Welcher Arte diese Einheit sein soll, ergibt sich aus den Kriterien für die Bestimmung der nationalen Kollektivität in der Ordnungsvorstellung der Nation. Sind dies ethnische Kriterien, so bestimmt sich eine Nation als ethnische Abstammungseinheit; sind dies kulturelle Kriterien, so stellt sich die Nation als Sprachgemeinschaft dar, sind es Kriterien staatsbürgerschaftlicher Rechtstellung, so ist die Nation eine Einheit von Staatsbürgern . Je nach den Kriterien und ihrer Mischung ergeben sich unterschiedliche Kollektivitäten von Menschen, die untereinander einen nationalen Solidaritätsverband formen sollen“ (Lepsius, 1990, 233, in: Kager, 2000, 40).

Die Umdeutung ethnischer Solidaritäten zugunsten eines übergeordneten nationalen Solidaritätsverbandes, erzeugt jedoch eine Spannung (vgl. Veit, 1995, 90). Dies verdeutlicht folgende Aussage von Anthony Smith:

„ All nations bear the impress of both territorial and ethnic priciples and components, and represent an uneasy confluence of a more recent “civic“ and a more ancient ... (ethnic –V.B.) model of social and cultural organization…This dualism at the very heart of the concept of “nation”, has inevitably resulted in a profound ambiguity in the present-day relations between ethnie and the states in which they are so often incorporated. There is an inherent instability in the very concept of the nation, which appears to be driven, as it were, back and forth between the two poles of ethnie and state which it seeks to subsume and transcend” (Smith, 1986, 149f, in: Veit, 1995, 90).

Smith zufolge sind Ethnien sehr viel älter als Nationen. Indem das Konzept der Nation Ende des 19. Jahrhunderts über die in einem territorialen Gebiet bereits bestehenden Ethnien gestülpt und eine Umdeutung ethnischer Solidaritäten zugunsten eines nationalen Solidaritätsverbandes einer „vorgestellten politischen Gemeinschaft“ (Anderson, 1996, 15, in: Kager, 2000, 38) geschehen sollte, hat sich eine unstabile Beziehung zwischen Ethnie und Nation herausgebildet. Besonders wenn man bedenkt, dass bei der Konzeption einer Nation immer „eine radikale Einschließung und eine radikale Ausschließung“ geschieht (Pelinka, 1996, 27, in: Kager, 2000, 40). Um aus der Nation eben einen Solidaritätsverband zu machen, muss einerseits eine Einschließung über integrierende und identitätsstiftende Mechanismen erfolgen. Andererseits muss über die Definition von Fremden und Feinden eine Ausschließung erfolgen[9].

Die Spannungen, die aufgrund dieser „radikalen Einschließung und radikalen Ausschließung“ innerhalb der Nation entstehen, bilden bereits einen fruchtbaren Boden für ethnopolitische Konflikte, bei denen um konstitutive Bedingungen politischer Gemeinschaft gestritten wird.

1.3 Rassismus

Der Begriff des Rassismus (und damit auch der „Rasse“) in Zusammenhang mit der Diskussion über ethnopolitische Konflikte in Lateinamerika, bedarf ebenfalls einer Klärung.

Wie Franklin Knight (1995, 9) besagt, ist „ race a widely used, and notoriously abused term “. Sozialwissenschaftler haben viel Zeit damit verbracht, ob dieser Begriff überhaupt in den Sozialwissenschaften angewandt werden sollte. Uli Bielefeld fasst seine Bedenken wie folgt zusammen:

„Es fragt sich, ob der Begriff des „Rassismus“ geeignet ist, eine wichtige analytische Funktion in der Bestimmung des Verhältnisses der Mehrheit zu diskriminierten Minderheiten in den gegenwärtigen westeuropäischen Gesellschaften zu übernehmen. Er ist möglicherweise zu schwammig im allgemeinen und auch belastet. Er verdeckt unter Umständen Diskriminierungsprozesse, anstatt sie zu benennen“ (Bielefeld, 1991, 18, in: Mintzel, 1997, 198).

Dennoch kommt man in der Beschäftigung mit multikulturellen und multiethnischen Gesellschaften und der Ethnopolitisierung dieser, insbesondere in kolonialen Gesellschaften wie in Lateinamerika, nicht aus, diesen Begriff zu verwenden. Wie Veit besagt, ist die Entwicklung des modernen Kolonialismus und Imperialismus ein struktureller Nährboden des Rassismus (Veit, 1995, 34). Dieser wiederum ist eine Quelle ethnischer Organisation und Mobilisierung, was insbesondere im Zusammenhang mit der Organisation indigener Bewegungen in Ecuador deutlich wird[10].

In der deutschsprachigen Literatur wird, aufgrund der ungeheuren Belastung die der Rassismus in Deutschland durch die Rassenkunde, Rassenideologie, Rassengesetzgebung und durch die Ausrottungspolitik des Nationalsozialismus erfahren hat, die Verwendung des Begriffes besonders in Frage gestellt. Es wird in Hinblick auf die gegenwärtige Situation vorgeschlagen von „Neo- Rassismus“ anstatt von „Rassismus“ zu sprechen, um vom „alten“ biologistischen Rassismus abzukommen. Dadurch sollen vor allem neue Formen von Rassismus erfasst werden, vor allem jene des sogenannten Kulturrassismus, die nicht primär auf biologische oder pseudonaturwissenschaftliche Rassenlehren basieren, sondern „Rassen“ durch kulturelle Merkmale definieren (Mintzel, 1997, 199).

Da ich mich im Rahmen dieser Arbeit jedoch ausschließlich mit Rassismus in Lateinamerika beschäftige und in diesem Zusammenhang „Rassismus“ keine solche Belastungen wie in Deutschland erfahren hat, werde ich weiterhin den Begriff „Rassismus“ verwenden. Damit soll jedoch in erster Linie das verstanden werden, was man in Deutschland heutzutage unter „Neo-Rassismus“ versteht. Aufgrund der in den letzten 500 Jahren geschehenen Vermischung zwischen Europäern, Indígenas und Schwarzen erscheint der biologistische Rassismusbegriff, auch wenn ursprünglich in Ansätzen vorhanden, heute nicht mehr brauchbar. In erster Linie werden Rassen in Lateinamerika durch kulturelle Merkmale definiert. Luis Macas, Ex- Präsident der CONAIE besagt ebenfalls, dass Indígenas jene sind, die sich zu ihrer Kultur bekennen. Wenn es nach biologischen Kriterien ginge, würde kaum mehr ein Ecuadorianer nicht Indígena sein.

Eine (im Zusammenhang mit der Diskriminierung ethnischer Gruppen) brauchbare Rassismusdefinition liefert meiner Ansicht nach Castles:

„Ethnische Minoritäten entstehen dadurch, dass dominante Gruppen einer bestimmten Gruppe (reale oder fiktive) Eigenschaften zuschreiben und diese benutzen, um den Ausschluß der Gruppierung von der gleichberechtigten Beteiligung an den gesetzlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Regelungen der Gesellschaft zu rechtfertigen. Diese Prozesse können als Rassismus angesehen werden, bei dem sich zwei Formen unterscheiden lassen. Von einem institutionellem Rassismus sprechen wir dann, wenn eine herrschende Gruppe Strukturen (wie Gesetze, politische Strategien oder administrative Praktiken) entwickelt, mittels derer die beherrschte Gruppe ausgeschlossen oder diskriminiert wird; von einem informellen Rassismus, wenn Mitgleider der dominierenden ethnischen Gruppe in Alltagsbeziehungen Vorteile oder diskriminierende Praktiken gegenüber Minderheitsgruppen entwickeln, die aufgrund von physischen oder kulturellen Merkmalen abgegrenzt werden“ (Castles, 1991, 139, in: Mintzel, 1997, 202).

Wie anhand dieser Definition deutlich wird, führt gerade der Rassismus zur Ausgrenzung ethnischer Gruppen. In Ecuador hat der durch die Eroberer importierte Rassismus und deren Überlegenheitsgefühl zu der Ausgrenzung der Indígenas (auch aus der ecuadorianischen Nation) geführt. So ist „Rassismus“ ein Schlüsselbegriff zum Verständnis des Konfliktes zwischen Indígenas und der Weiss-Mestizen Bevölkerung. Der Rassismus hat zu der Ausgrenzung der Indígenas in Ecuador geführt und ist somit eine der Hauptursachen des ethnischen Konfliktes.

Da in dieser Arbeit ausführlich auf den Rassismus in Ecuador, von seinen Ursprung her bis heute eingegangen wird, lässt sich an dieser Stelle nur mehr sagen, dass in Lateinamerika „the word raceclearly owes little to physical anthropology, but refers, however it may be defined, to the ways in which people are classified in daily life. What are called race relations, are in fact always questions of social structure. In other words, “race” often becomes a synonym for “class” (Knight, 1995, 10).

1.3 Ethnisierung der Politik, eine Reaktion auf Modernisierungsprozesse?

Vor dem Hintergrund einer situationsabhängigen, voluntaristischen Vergemeinschaftung und Nation als einer „gedachten Ordnung politischer Gemeinschaft“, versteht sich auch die Ethnisierung der Politik, jene der Moderne eigenen, jedoch anti-modernistisch ausgerichteten Form der Identitätsbildung und Mobilisierung, welche im Zuge des auslaufenden Jahrhunderts soziale und politische Konflikte zu kanalisieren vermag (vgl. Wicker, 1998, 25). Ethnisierung beinhaltet, dass soziale Akteure hinsichtlich der Manifestation von Interessen sowie der Organisation von sozialen und politischen Bewegungen „Gemeinsamkeit“ erstellen, die sich nicht in erster Linie von zivilgesellschaftlich definierten Zugehörigkeiten herleitet - wie Verbundenheit mit einer Klasse, einer Gewerkschaft, einer Partei, einem Berufsverband oder einem Quartierverein -, sondern von Kategorien, welche die Nähe zum „natürlich Gegebenen“ herstellen, in welches Menschen hineingeboren werden[11] (Wicker, 1998, 25). Zur Gruppe jener Kategorien, die sich besonders gut für die „Naturalisierung“ von gesellschaftlichem Sein eignen, gehören Rasse, Religion, Kulturen, Ethnie und Nation. Die Rückführung von Gemeinsamkeiten auf solche Essenzen befähigt die sozialen Akteure dazu, sich nach innen und nach außen vor kritischem Hinterfragen und Relativierung zu schützen, ihren Vorstellungen somit Festigkeit und ihren Handlungen Stärke zu verleihen.

Im Zeitalter der Globalisierung und der Modernisierung der Staaten zugunsten neoliberaler Modelle, gerät das von Haus aus unstabile Konstrukt der Nation besonders ins Wanken. Einerseits verschärft der von dem Neoliberalismus vorangetriebene freie Markt, der ungezügelte Kapitalismus die Klassengegensätze und konsequenten Ressentiments Ausgegrenzter, anderseits hat die von dieser Doktrin vorangetriebene Modernisierung jedoch gerade durch den Strukturwandel, Bedingungen hervorgebracht, die zur Ethnisierung, d.h. der Organisierung von sozialen und politischen Bewegungen auf der Grundlage „vermeintlicher Gemeinsamkeiten“ geführt. Somit haben sich die Vorhersagen der klassischen Sozialwissenschaftler Karl Marx und Max Weber darüber, dass ethnische Gruppen in der Entwicklung moderner Gesellschaften immer weniger eine Rolle spielen würden, nicht bewahrheitet.

In diesem Zusammenhang besagt Hartmut Esser (1993, 32, in: Mintzel, 1997, 117) dass „beispielsweise Max Weber die Meinung (vertrat), dass ethnische „Vergemeinschaftungen“ sich mit der zunehmenden „Rationalisierung“ der Welt immer mehr auflösen würden. Für die Entwicklungs-Soziologie der 50er und 60er Jahre stand ebenfalls fest, dass ethnische Beziehungen und Konflikte nichts als Relikte oder Fassadenerscheinungen von anders motivierten Problemlagen, z.B. aus wirtschaftlichen Ungleichheiten seien. Ethnische Orientierungen und Mobilisierungen sind in dieser Perspektive eher Ausdruck des Nachhängens im Prozess der Modernisierung – für bestimmte Gruppen oder Regionen – als eine unmittelbare Folge oder Begleiterscheinung“.

Esser meint desweiteren, dass die von Karl Marx und Max Weber vorhergesagte Einebnung kultureller und ethnischer Konflikte und das Verschwinden religiöser und ethnischer Bindungen ganz offenkundig nicht eingetreten sind. Es dränge sich eher ein anderer Eindruck auf, dass die ethnische Pluralisierung und damit die ethnischen Konflikte mit der „Modernisierung“ und „Mobilisierung“ der Welt eher zunehmen. So könnte man sogar zu Marx eine gänzlich andere Vermutung haben, nämlich, dass die ethnischen Konflikte eine unmittelbare Folge der „Modernisierung“ der Welt sind (vgl. Esser, 1993, 34, in: Mintzel, 1997, 117).

Modernisierung hat, wie auch am Beispiel der indigenen Bewegungen in Ecuador deutlich wird, die Bedingungen hervorgebracht, die die über Jahrhunderte andauernden latenten Konflikte zum Vorschein kommen haben lassen. Ethnizität wird dabei zur Ressource im Kampf um gerechte Verteilung der Ressourcen, Beendigung jahrhundertelanger Ausbeutung, Diskriminierung und Benachteiligung. So handelt es sich bei ethnischen Konflikten nicht um einen Aufstand der Tradition gegen die Moderne, sondern vielmehr um Verteilungskonflikte, um Ausdruck eines Nachhängens im Prozess der Modernisierung.

Insbesondere dann, wenn Idee und Konzept einer multikulturellen Gesellschaft von multiethnischen Gegebenheiten ausgehen und auf das multiethnische Neben- und Miteinander abheben, werden die sogenannten Nationalitätsfragen und die Frage nach der Nationalitätspolitik neu gestellt. So scheint die Definition der Ethnopolitisierung bzw. Ethnokulturalisierung nach Senghaas treffend:

„Ethnopolitisierung bedeutet, dass im Zentrum von Politik die „Identitätsproblematik“ und damit die Verfassungsfrage steht, nicht eine unter stabilen politischen Rahmenbedingungen verhandlungs- und kompromissfähige Interessenspolitik. Gestritten wird um die konstitutiven Bedingungen politischer Gemeinschaft, so wie sie typischerweise in ethnopolitischen Bewegungen begriffen werden: Volksgruppenzugehörigkeit, Sprache und Religion. Damit gewinnt der Begriff der „Kultur“ einen hervorgehobenen Stellenwert, der ihr im laizistischen Staat seit langem nicht mehr zukam“ (Senghaas, 1994, 97).

In Ecuador steht derzeit die Nationalitätsfrage und somit die Verfassungsfrage im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Indígenas und Regierung. Die Indígenas fordern eine „re-examination of the meaning of nationalism, autonomy, and the role that ethnicity plays in these concepts“ (Becker, 1992). Statt dem ausgrenzenden, uninationalen ecuadorianischen Staat fordern sie einen plurinationalen, multi-ethnischen Staat, der der multikulturellen Gesellschaft Ecuadors gerecht wird.

1.5 Multikulturalismus

Das Konzept des Multikulturalismus ist für diese Arbeit ebenfalls relevant, da es Ähnlichkeiten mit dem Konzept des plurinationalen multi- ethnischen Staates der CONAIE, die zentrale Forderung in den Auseinandersetzungen, aufweist.

Die Begriffe „multikulturelle Gesellschaft“ und „Multikulturalismus“ wurden zum ersten mal 1964 in Winnipeg/ Kanada vom Professor für Soziologie Charles Hobart geprägt. Er gebrauchte den Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ in Zusammenhang mit der kanadischen Gesellschaft. Der Professor für Slavistik, Paul Yuzyk, übernahm 1965 Hobarts Begriff und verband mit dem „Multikulturalismus“ eine neue Politik für Kanada (vgl. Porter, 1975, 277, in: Mintzel, 1997, 22). Yuzik kritisierte mit einem Hinweis auf die acht größten ethnischen Gruppen, die neben den Anglo-Kanadiern und Franko-Kanadiern in Kanada leben, die Royal Comission on Biculturalism and Bilingualism und setzte diesen regierungsamtlichen politischen Begriffen den Begriff des „multikulturellen Kanada“ entgegen. In seiner Eröffnungsrede über “Canada: A Multicultural Nation” betonte er, dass „(…) the projecting of the idea that Canada is bicultural not only excludes the non-British and non-French groups (wie Indianer und Eskimos, die vor diesen beiden Immigrantengruppen im heutigen Kanada beheimatet waren) , but denies the multicultural character of the British group, which can lead to disunity (…)” (Yuzik, in: Mintzel, 1997, 22f). Mit einem Konzept des Multikulturalismus sollte die Ausgrenzung ethnischer Gruppen im selben Staatsgebiet aufhören.

Der Begriff des Multikulturalismus hat seitdem eine wissensoziologisch interessante politische Karriere. In wenigen Jahren avancierte das Konzept des Multikulturalismus in Kanada zum regierungsamtlichen Programm. In die deutschsprachige Diskussion wurde der Begriff der multikulturellen Gesellschaft im Jahre 1981 auf einem Symposium an der Universität Mannheim zum Thema. Wann bzw. wie Konzepte des Multikulturalismus von den Indígenas aufgegriffen worden ist, kann im Rahmen dieser Arbeit aufgrund Literaturmangel zum Thema nicht deutlich gemacht werden. Ausserdem erschwert der Mangel an Quellenangaben in den Dokumenten der CONAIE diese Aufgabe. Dennoch lässt sich insbesondere an den Konzepten eines plurinationalen und multi- ethnischen Staates der CONAIE feststellen, dass sie große Ähnlichkeiten mit Konzepten des Multikulturalimus haben und wahrscheinlich auf der Grundlage derselben entworfen worden sind. Ähnlich wie das Konzept eines plurinationalen Staates soll der Multikulturalismus zur Überwindung der Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen und kulturellen Gruppen führen.

So bedeutet Multikulturalismus ein politisches oder/und staatliches Programm, das positiv auf die vorgegebene Tatsache gesellschaftlicher Multikulturalität „reagiert“, das heißt:

„Das Konzept des Multikulturalismus beruht dagegen auf dem Grundsatz „kultureller Vielfalt, statt nationaler Einfalt“ und ist damit gegen nationalistische Vorstellungen und Politiken gerichtet, aber auch gegen die damit in der Regel einhergehenden Phänomene der Fremdenfeindlichkeit, des Ethnozentrismus, und des Rassismus. Die Vorstellung einer „monolithischen Gesellschaft“ wird als „Mythos“ angesehen. Kritik wird auch geübt an „monokulturellen Vorstellungen“, die sowohl bei Einheimischen wie bei Einwanderern vermutet werden und in denen Unterschiede innerhalb von Kulturen auf regionaler oder nationaler Ebene übersehen werden (Schulte, 1990, 12, in: Mintzel, 1997, 63) .

Die allgemeinen Zielsetzungen des Multikulturalismus sind folgende:

- Er richtet sich gegen jede Form des Rassismus, Abbau von rassistischen Diskriminierung
- Er propagiert und unterstützt institutionell interkulturelle Kommunikation und Interaktion (vom Nebeneinander zum Miteinander)
- Er plädiert für die Gleichwertigkeit unterschiedlicher ethnischer Kulturen unter einem gemeinsamen staatlichen Dach
- Er propagiert und unterstützt interkulturelles Lernen im Sinne von Akkulturationsprozessen (pluralistische, interaktive Assimilation, sanfte Form der Integration)
- Er propagiert Bürgertugenden wie Toleranz, Respekt vor anderen kulturellen Mustern
- Er plädiert für eine Bürgergesellschaft, in der Ethnien unterschiedlicher Herkunft einen gleichberechtigten Platz haben
- Er propagiert und unterstützt multikulturelle Erziehung
(Quelle: Mintzel, 1997, 65).

Wie im Kapitel über Plurinationalismus noch deutlich werden wird, weist dieses Konzept große Ähnlichkeiten mit dem des Multikulturalismus auf. Inwiefern jedoch der Multikulturalismus als Grundlage für das Konzept eines plurinationalen, multi- ethnischen Staates der CONAIE tatsächlich gedient hat, kann in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Dennoch ist es meiner Ansicht nach wichtig, den Multikulturalismus im Zusammenhang mit dem ethnischen Konflikt in Ecuador erläutert zu haben. Vor allem sollte durch den Hinweis auf den Ursprung des Konzeptes darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese alternativen Konzepte über „kulturelle Vielfalt bei gleichzeitiger Einheit“ auch anderswo anzutreffen sind.

Ecuador und indigene Völker

2.1 Allgemeines über Ecuador

Die Republik Ecuador liegt an der Nordküste Südamerikas. Ihr Territorium erstreckt sich von der pazifischen Küste 600 Kilometer landeinwärts bis zu den Amazonasnebenflüssen Rio Napo und Rio Putumayo. Das Land grenzt im Norden an Kolumbien, im Süden und Osten an Peru. Die zu Ecuador gehörenden Galapagos Inseln liegen mehr als 1000 Km vom Festland entfernt. Das Staatsgebiet ist nach kriegsbedingten Verlusten an die Nachbarstaaten, vor allem an den „Erzfeind“ Peru, seit 1997 auf 272 045 Quadratkilometer geschrumpft. Die Bevölkerungszahl betrug 1999 etwa 11,2 Millionen Einwohner.

2.2 Ethnische Zusammensetzung

Der Mangel an klaren Identifikations- und Trennungskriterien von und zwischen Indios und Mestizen sowie letzteren und Weissen und der Mangel an Interesse seitens der Regierung, um beispielsweise eine Volkszählung durchzuführen, um die Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung zu ermitteln, erschwert eindeutige Angaben über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung. Hinsichtlich dieses Themas herrscht daher bis heute absolute Unklarheit. Je nach politischem Interesse werden die Zahlen nach oben oder nach unten gedrückt. So schätzt Enrique Ayala Mora (Partido Socialista Ecuatoriano – PSE) bei einer Befragung beispielsweise die Indígena Bevölkerung auf 1,5 - 2 Millionen, also 15 - 20%, Abdalá Bucaram Ortiz (Partido Roldosista Ecuatoriano- PRE) auf 3,5 Millionen, Schätzungsweise also 30% der Bevölkerung, Cecilia Calderón (Frente Radical Alfarista – FRA) konnte sich überhaupt nicht festlegen: Bei dem seit Jahrhunderten stattfindenden Prozess der Rassenvermischung sei es überaus schwierig die Zahl der Indígenas herauszufinden, Jaime Hurtado (Movimiento Popular Democrático – MPD) spricht von lediglich 10%, Jaime Nebot (Partido Social Cristiano) meint ebenfalls, dass die Indígena Bevölkerung im eigentlichen Sinne sich nicht auf mehr als 10% belaufen könnte. Die CONAIE spricht hingegen von 45% ( Büttner, 1997, 192).

Aus diesen so stark auseinanderklaffenden Schätzungen wird bereits deutlich, dass man im Grunde genommen nicht weiß, wovon man spricht, auf welche demographische, soziale oder kulturelle Größe man sich bezieht. Wie aus den Stellungnahmen ebenfalls hervorgeht, wird zwischen Indígenas im engeren und im weiteren Sinne unterschieden, also zwischen einem geringeren und einem höheren Prozentsatz an „echter indianischer Bevölkerung“, ganz in Abhängigkeit von den jeweils zugrundegelegten Kriterien und Erkenntnissinteresse (Büttner, 1997, 193)

Die Tatsache, dass die herrschende Elite der Frage nach der ethnischen Zusammensetzung scheinbar keine weitere Bedeutung zumisst (bis heute ist in den Zählungen in Ecuador keine Frage nach der ethnischen Herkunft oder Zugehörigkeit erschienen), weist bereits darauf hin, dass die Existenz verschiedener Volksgruppen mit eigener Sprache, Kultur und Territorien geleugnet wird (Radcliff, 1999, 59). Nicht zuletzt aus dem Grund, dass durch die offizielle Statistiken der ethnischen Zusammensetzung Ecuadors die Indígena Bevölkerung weitaus größer resultieren könnte, als die von Teilen der herrschenden Klasse angenommenen 10%. Dadurch würde die Legitimationsbasis der ecuadorianischen Nation, die ihr Staatsvolk mit der Identität des „Weissen“ oder „Mestizen“ mit spanischer Herkunft identifiziert und die Existenz anderer ethnischer Gruppen, wie z.B. Schwarze, Zambos, Mulatten, Indios verbirgt und leugnet, schwinden.

Dennoch wird von den meisten Autoren folgendes Verteilungsmuster genannt: (Schätzungsweise) 42% Mestizen, 36% Indigenas, 12% Weisse und 4%Schwarze, Mulatten und Zambos 6% (Hoffmann, 1992, 342). Dies soll auch in dieser Arbeit als Anhaltspunkt dienen.

Um etwas mehr Klarheit darüber zu schaffen, was man unter dem Begriff Indígenas und sämtlichen Variationen davon, überhaupt versteht, werde ich im folgenden Kapitel einige Begriffsklärungen vornehmen.

2.3 Die indigenen Völker Ecuadors

Das Wort, wie auch das ursprüngliche Bild des „Indio“, entstammt der Feder Kolumbus, der 1492, als er das karibische Archipel entdeckte, jedoch glaubte, entweder auf den ostindischen Inseln, auf Inseln in der Nähe Japans oder anderswo in der Nähe des asiatischen Kontinents gelandet zu sein (Berkhofer, 1978, 22). In seinem berühmt gewordenen Brief von 1493, „beschrieb der Admiral des Meeres voller Überzeugung die Lebensweisen dieser Menschen, die er Indianer nannte“ (Berkhofer, 1978, 23).

Hiermit hat Kolumbus eine Kategorie geschaffen, unter der eine Vielzahl von unterschiedlichen Volksstämmen mit eigener Sprache, Kultur und Territorium verborgen werden. Seit der Kolonialzeit bis heute hat dadurch die dominierende Gesellschaftsschicht die eingeborenen Völker als ein homogenes Ganzes gesehen, wodurch die Kolonisationsmentalität deutlich wird, die lediglich zwischen Indio und Nicht Indio unterscheidet, was mit Eroberer und Eroberten gleichgesetzt wird (Moya, 2000, 5)[12]. Ihre Beziehung ist weiterhin von Rassismus geprägt. Auch heute noch kommt in Lateinamerika dem Wort „Indio“ eine negative Konnotation zu; es trägt die Bedeutung von untergeordnet, zweitrangig, dumm, schmutzig, zurückgeblieben, und nicht vertrauensvoll.

So birgt die Kategorie Indio in Wirklichkeit eine Vielzahl von Volksgruppen in sich. Einige davon haben der jahrhundertelangen Unterdrückung nicht standhalten können und sind kulturell und physisch ausgestorben, wie z.B. die Quijos, die ihre Kultur aufgegeben haben und sich den Quechuas des Amazonas angeschlossen haben und die Tetetes, die erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ausgestorben sind.

Indigene Völker oder Nationalitäten?

Folgende dreizehn indigene Völker befinden sich noch heute im Staatsgebiet Ecuadors: Im Hochland: Quechuas des Hochlands, Tsa`Chila; im Amazonasgebiet: Cofan, Siona, Secoya, Quechuas des Amazonasgebiets [13] , Zaparos, Huaorani, Achuar, Shuar; Küstenregion: Chachi, Epera, Awá, Wuankavilka – Manta.

Die Quechuas unterteilen sich weiter in verschiedene Gruppen je nach Herkunftsort (bsp. Otavalos, Salasacas, etc.). Sie stellen die grösste Volksgruppe (bzw. Nationalität) innerhalb der indigenen Bevölkerungsgruppen dar.

Jede dieser ethnischen Völker versteht sich als eigenständige Nationalität. Dabei berufen sie sich auf eine Unterscheidung, die Bernard Nietschmann 1987 in seinem Artikel „Kriege gegen einheimische Völker auf der ganzen Welt“, zwischen „nation states“ (von denen es auf der ganzen Welt nicht mehr als 200 gibt) und „native nations“ (von denen es nach Nietschmanns Zählungen auf der ganzen Welt mehr als 3000 gibt) getroffen hat. Die sogenannten „nation states“ (wie beispielsweise die USA) können in ihrem Staatsgebiet mehrere verschiedene ethnische und kulturelle Gruppen beherbergen, während eine „native nation“ „a people of common heritage, language, geography, culture, political system, and desire for common association“ ist (Nietschmann, 1987, 11). Daher können innerhalb eines „nation states“ mehrere „native nations“ nebeneinander existieren, ohne die Integrität oder Kohäsion ihrer Identität zu stören, wie unter anderem Benitez und Garcés besagen (Benitez; Garcés, 1987, 157).

Da jede dieser indianischen Volksgruppen behauptet, über eine eigene Sprache, Kultur, Institutionen und Territorien zu verfügen, erheben sie den Anspruch, als Nationalitäten anerkannt zu werden[14]. Der ecuadorianische Staat erkennt die indigenen Völker jedoch weiterhin lediglich als „pueblos“ (Völker) an und weigert sich sie als Nationalitäten anzuerkennen, da ein Zerfall der ecuadorianischen Nation befürchtet wird. An dieser Stelle wird bereits die Spannung zwischen dem herkömmlichen Nationsbegriff einer vorgestellten Gemeinschaft und den in diesem Staatsgebiet beherbergten ethnischen Gruppen deutlich.

Problemlage der Indígenas

Die indigenen Völker des Amazonasgebiets haben hauptsächlich mit den Umweltbelastungen der Erdölgewinnung, der größten Einnahmequelle des Staates, zu kämpfen. Diese gefährden ihren Lebensraum (ihr Territorium wird in dieser Hinsicht nicht respektiert) und damit ihre Existenz, da, obwohl gerade diese Regionen das Staatsbudget am meisten bereichern, die ökonomische Entwicklung hier am meisten auf sich warten lässt.

Die Bürde des Kolonialismus oder des Inkazeitalters ist in dieser Region weniger stark als im Hochland, da weder die Spanier noch die Inkas die Indígenas dieser Regionen unterworfen haben. Diese Tatsache ist deutlich an den unterschiedlichen Charaktereigenschaften zu erkennen. Während die Indígenas des Hochlands aufgrund der 500 jahrelangen Unterdrückung ihrer eigenen Werte und Kultur unterwürfig sind, verhalten sich die Indígenas des Amazonasgebietes hochmütig. Dennoch haben im Laufe der Zeit verschiedene Missionsgruppen Einfluss auf die verschiedenen „indigenous people“ des Amazonasgebietes gewonnen.

Das schwere Erbe des Kolonialismus betrifft am meisten die Indígenas des Hochlands. Sowohl die Inkas, als auch die Spanier haben die Geschichte der Indígenas des Hochlands gezeichnet. Ihre schwere soziale und ökonomische Lage ist in großem Masse auf die 500 jahrelange Unterdrückung der Indígenas zurückzuführen. Mangelnde Bildungschancen, Analphabetismus, extreme Armut, keine soziale Sicherheit, sind unter anderem Probleme, die das Leben dieser Menschen kennzeichnen.

Die indigenen Volksgruppen der Küste sind, ähnlich wie die Indígenas des Urwalds, weniger von der Unterdrückung während der Kolonialzeit betroffen. Die wenigen Naturvölker, die es in dieser Region gegeben hat, haben den Kolonialismus und auch die (oft härtere) Republikanische Epoche nicht überlebt, wie z.B. die Tumbecino, Mantas, Huancavilcas. Andere wie die Awa mussten zum Teil in das Amazonasgebiet fliehen, um zu überleben.

Im Mittelpunkt des Widerstands der Indígenas, sowohl der des Hochlands und des Amazonasgebietes, steht der Schutz ihrer Territorien, die für sie der Inbegriff des Lebens sind. Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, das Land an die nachkommenden Generationen weiterzugeben.

3 Geschichtlicher Hintergrund

Um die Problematik der Indígenas in Ecuador gänzlich zu verstehen, d.h. den Kern des Konfliktes herausarbeiten zu können, sowie der Frage nach den Ursachen für die Bildung indigener Bewegungen nachzugehen, ist es unerlässlich auf die Geschichte der Knechtung und Diskriminierung der Indígenas einzugehen. Diese ist nämlich die Vorbedingung für die Bildung der Indígena – Bewegungen in ganz Lateinamerika. Die Erniedrigung der Indígenas und Enthaltung der Grund- und Freiheitsrechte seit Ankunft der Spanier, ist nämlich ausschlaggebend und Vorraussetzung für die Bildung indigener Widerstandsbewegungen.

Da sich die ganze Andenregion bei Ankunft der Spanier in einem inkaischen Integrationsprozess befand und indigene Organisationen, insbesondere die CONAIE ( und innerhalb der CONAIE hauptsächlich die regionale Organisation ECUARUNARI) heute oft auf die Leistungen dieser vermeintlichen Vorfahren zurückgreift und als Ressource im Kampf gegen die mestize Mehrheitsbevölkerung verwendet, ist es zum Verständnis dieser Diplomarbeit unerlässlich, auf diese Epoche einzugehen.

Auch die heutigen Forderungen der CONAIE basieren auf der Geltendmachung ihrer vermeintlichen Rechte, die ihnen seit Anfang der Kolonialzeit geraubt wurden. Dabei werfen sie, wie in dieser Arbeit deutlich wird, oft einen romantischen Blick zurück auf die Inkazeit (die in Ecuador knapp 50 Jahre dauerte) und vergessen dabei die Brutalität der Inkaherrschaft im Umgang mit den verschiedenen Urvölkern, die sie unterwarfen.

Insbesondere wird auf den Inkaherrscher Pachakutik Yupanqui eingegangen, dessen Leistungen im heutigen indigenen Kampf nämlich besonders hervorgehoben werden. Dies zeigt bereits der Name des politischen Armes der CONAIE, der den Namen dieses Inkaherrschers trägt, nämlich „Movimiento Plurinacional Pachakutik“.

3.1 Die Inkaische Epoche

3.1.1 Der schwierige Quellennachweis dieser Zeit

Über diese Epoche zu berichten, ist nicht unproblematisch, da es im ganzen Inkareich vor Ankunft der Europäer keine Schrift gab. Um die verschiedenen Arten von Informationen aufzuzeichnen, die für die Verwaltung eines großen Reiches wie jenes der Inka notwendig sind, benutzten sie ausschließlich Knotenschnüre, die sogenannten quipu (Julien, 1998, 10). Um zwischen den vier Gegenden des Inkarreiches (Tahuantinsuyu) kommunizieren zu können, verfügten die Inkas über die sogenannten chasquis, nämlich Stafettenläufer, die die Informationen von einem Ort zum anderen mündlich überlieferten.

Alles, was uns heute noch zur Verfügung steht, sind Berichte über das, was die Spanier bei der Eroberung dieses grossen Reiches erlebten. Ihre Wahrnehmungen dieser einschneidenden Zeit sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen, da sie einerseits ihre „heldenhaften Taten“ bei der Eroberung der „Neuen Welt“ besonders hervorheben wollten und aus diesem Grunde oft nicht dazu bereit waren die Wahrheit der Dinge zu schildern. Auch waren sie sich dessen bewusst, dass ihre Berichte sie zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht (zu dieser Zeit der „Consejo de Indias“) in eine schwierige Lage vesetzen konnten (Reimers, 1978, 47). Andererseits muss man bedenken, dass, obwohl die Spanier eng mit Angehörigen der inkaischen Elite und anderen Einheimischen zusammenlebten, sie sich zunächst am Rande einer Welt befanden, die ihrer gewohnten Kultur außerordentlich fremd war. Der Zugang zu dieser Welt war aus diesem Grunde sehr begrenzt (Julien, 1998, 11 ).

Dennoch gibt es heutzutage einige Schriften, die eine sorgfältige Quellen- und Biographienanalyse (Schriften auf den Wahrheitsgehalt ihrer Verfasser geprüft) unternommen haben und uns ein mehr oder weniger gutes Bild dieser Zeit verschaffen.

3.1.2 Ursprung der Inkas

Die Inkas[15] sind ein Indianerstamm der Quechua -Sprachgruppe. Ursprünglich war der Stamm im peruanisch-bolivianischen Hochland beheimatet, ihre Herkunft ist nicht bekannt. Es gibt lediglich mündliche Überlieferungen über diese Zeit, die manch ein Spanier, oder Mestize (ein Abkömmling eines Eingeborenen und eines Europäers, meist Spaniers), der die Sprache der Inkas beherrschte und Zugang zu dieser Information hatte, notierte.

Garcilaso de la Vega, (ein Mestize, dessen Mutter von den Inkas, und sein Vater von einer kastilischen Adelsfamilie abstammte) berichtet in seinem Buch „Utopía Incáica“ von den Erzählungen seines Inka Onkels in seiner frühen Kindheit:

„Neffe, ich erzähle dir gerne alles. Du tust gut daran, mir zu zuhören und es in deinem Herzen aufzubewahrenDu weißt sicher, dass in den letzten Jahrhunderten diese Region die du siehst, grosse Hügel waren und die Menschen, dieser Zeit wie Bestien unter animalischen Zuständen lebten, dumm, ohne Religion, ohne Polizei, ohne Dorf, ohne Haus, ohne zu pflanzen, ohne Kleidung,sie bedeckten ihre Körper lediglich mit Blättern und Baumrinden und Tierfell...“[16]. (Übs. vom Autor)

Ihren Erzählungen nach sind Manco Capac und seine Schwester Mama Ocllo dem Titicacasee entstiegen, um im Auftrag des Sonnengottes Viracocha, ihres Vaters, die Gebiete um Cuzco zu zivilisieren. Dieser sei empört darüber gewesen, dass die Menschen so kulturlos und barbarisch wie die Tiere lebten. In den Worten des Onkels von Garcilaso:

„Als unser Vater, die Sonne die Menschen unter diesen Zuständen, wie ich Dir erzählt habe, sah, hatte er Mitleid mit Ihnen und entsandte vom Himmel auf die Erde einen Sohn und eine Tochter, damit sie ihn als Sonnengott anbeteten und um den Menschen auf Erden Gesetze und Anweisungen zu geben, damit sie wie Menschen mit Verstand zivilisiert in Häusern und Dörfern leben könnten, damit sie lernten, wie man die Ackerböden bearbeitet, das Vieh züchtet und von dessen Früchten profitieren könnte. Damit sie lernen könnten wie vernünftige Geschöpfe und nicht wie Bestien zu leben“ [17] . (Übs. vom Autor).

Durch diese Erzählungen wird bereits das Überlegenheitsgefühl der Inkas gegenüber der restlichen präkolombinischen Völker deutlich. Sie unterschieden lediglich zwischen einer barbarischen, wilden und einer inkaischen, zivilisierten Epoche (Ortega, 1972, 16.). Archäologische Befunde weisen jedoch darauf hin, dass diese von Garcilaso beschriebene „dunkle Zeit“ sich in kultureller Hinsicht teilweise als reicher erweist, als selbst die Inkazeit (Ortega, 1972, 17).

Eine weitere Legende um die Herkunft der Inka spricht von vier Brüdern und vier Schwestern, von denen zwei die Ahnen der Inka – Dynastie werden sollten, die aus dem mittleren von drei Fenstern an einem Ort namens Tambotoco hervorkletterten. Zwei andere Vorfahren, Namens Maras und Sutic, seien aus den seitlichen Fenstern geklettert. Zusammen besiedelten sie die Region um Cuzco. Manco Capac und Mama Ocllo sollen der mündlichen Überlieferung nach die Gründer der Stadt Cuzco gewesen sein (Julien, 1998, 21).

3.1.3 Die Herrscher und ihre Eroberungen

Ähnlich wie die Geschichte ihrer Herkunft, ist auch die Geschichte um ihre Herrscher legendenhaft. Es sollen insgesamt 11 Herrscher von Manco Capac bis Huayna Capac gewesen sein (dazu kommen die Brüder Atahualpa und Huascar, die bei der Ankunft der Spanier gerade einen vernichtenden Krieg gegeneinander führten, um den Thronfolger zu bestimmen).

Von der peruanischen Hauptstadt Cuzco aus führten sie ungefähr seit 1200 n. Chr. Eroberungen durch. Anfangs blieben diese bescheiden und begrenzten sich auf das nahe Umfeld Cuzcos, ab dem fünften Inca Capac Yupanqui jedoch, nahmen sowohl Ausmaß und Distanz der Eroberungen zu. Im Norden bis zum heutigen Kolumbien (ca. 1000 Kilometer von Cuzco entfernt), im Süden bis Arequipa (Chile).

Inka Pachakuti : Das große Inkareich wird errichtet

Besonders bekannt für seine Eroberungen wurde der Inka Pachakuti Yupanqui. Als zwischen 1430 und 1440 sich ein Nachbarvolk, die Chanca, trauten, die Inkas zu überfallen, beschloss der Inka Viracocha (der achte Herrscher), der zu diesem Zeitpunkt bereits sehr alt und schwach war, mit seinem Sohn und ausgewählten Nachfolger Urco in die Festung Caquia-Xaquixahuana zu fliehen und überließ Cuzco sich selbst. Zwei andere Söhne von Viracocha namens Roca und Yupanqui beschlossen, Cuzco zu verteidigen. Er übernahm das Kommando und suchte bei den Nachbarvölkern möglichst viele Verbündete, die er mit Geschenken bestach (Garcilaso, 1972, 100). Schon bald darauf stellten die Stämme Cana und die Canchi Soldaten zur Verfügung. Als die Chanca nun angriffen, leisteten die Inka erfolgreichen Widerstand. In vielen weiteren Schlachten wurden die Chanca, dank dem Einfall Yupanquis endgültig besiegt. Nach dem Sieg bestand der alte Inka Viracocha jedoch weiterhin darauf, den Triumph Urco zuzuschreiben. Yupanqui kehrte entzürnt nach Cuzco zurück und setzte sich die borla, das Symbol der Inkamacht, auf und nahm den Namen Pachakuti an, was auf Quechua „Wandel“ und „Umwälzungen“ bedeutet[18] (Baumann, 2002).

[...]


[1] Anstatt des damals amtierenden Präsidenten Jamil Mahuad.

[2] Name einer indigenen Volksgruppe und Sprache der Inkas und der heutigen Quechua Hochlandindianer Ecuadors. Sie wird jedoch nicht als offizielle Sprache anerkannt und von der Mehrheit der Ecuadorianern nicht verstanden.

[3] Sollte die verfassungsmässige Demokratie innerhalb weniger Stunden nicht wieder hergestellt werden, würde die USA militärische Interventionen starten.

[4] Indigenismus ist eine ideologische Strömung, die die „Wiederentdeckung der indianischen Werte und Lebensformen“ zum Inhalt hat. Träger dieser Strömung sind nicht Indígenas, sondern Weiss-Mestize, die zwar auf die „großen Kulturleistungen“ der vorkolumbianischen Imperien und Gesellschaften zurückblickten, gleichzeitig jedoch die zeitgenössischen „Indios“ in den abgelegenen Dörfern missachteten (Boris, 1998, 60). Im Kapitel Indigenismus wird im Detail auf diese ideologische Strömungen und Auswirkungen auf die indigenen Bevölkerung konkret eingegangen.

[5] Die CONAIE umfasst Mitgliedschaften verschiedener Föderationen, die insgesamt alle 13 ethnische Nationalitäten Ecuadors repräsentieren. Darin werden, so Mitglieder der CONAIE, 70% der indigenen Bevölkerung Ecuadors vertreten (Collins, 2000, 43).

[6] D.h. dass der Konflikt sich aus der Existenz vorübergehend unterdrückter „vormoderner“ ethnischer Bindungen, die angesichts der Moderne mit brachialer Gewalt aufbrechen, erklären lässt (vgl. Wicker, 1998, 43).

[7] Der Nationale Sicherheitsrat der USA, eine Abteilung des CIA, hat in seinen Bericht „Globale Tendenzen 2015“ bekannt gegeben, dass „Lateinamerika einer neuen Bedrohung gegenüber steht: den indigenen Widerstandsbewegungen“ (Schröder, 2001).

Darüber hinaus hat die UNO das letzte Jahrzehnt als das „Jahrzehnt der indigenen Völker“ deklariert und Ihnen ein Fond zur Unterstützung indigener Projekte eingerichtet, was ebenfalls die grosse Bedeutung, die die internationale Gemeinschaft den Indígenas und ihren Organisationen beimisst, verdeutlicht.

[8] Im Rahmen dieser Arbeit ist eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konzepten und deren Autoren nicht möglich, aus diesem Grund wird hauptsächlich auf Sekundärliteratur zurückgegriffen.

[9] Im lateinamerikanischen Kontext, insbesondere in Ecuador, wurden vor allem die Indígenas von der Nation ausgeschlossen.

[10] Die Indígenas machen immer wieder auf den in Ecuador herrschenden, institutionalisierten Rassismus aufmerksam, wodurch deutlich wird, dass dieser eine Quelle der Mobilisierung der indigenen Bewegung ist.

[11] Wie im weiteren Verlauf der Arbeit deutlich wird, hat sich die indigene Bewegung Ecuadors von einer zivilgesellschaftlichen sozialen Bewegung im laufe der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin zu einer ethnisierten indigenen Bewegung entwickelt.

[12] Dem Wort „Indígena“ kommt diese Bedeutung nicht zu. Dennoch werden in dieser Arbeit beide Begriffe unterschiedslos verwendet, wobei das Wort „Indio“ weitgehend vermieden wird.

[13] Die Quechuas des Amazonasgebietes und die Quechuas des Hochlands gehören zu derselben ethnischen Nationalität.

[14] Die Forderung der Indígenas in Ecuador als Nationalitäten anerkannt zu werden wird bereits beim Namen der CONAIE deutlich, nämlich Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors. Auch das Konzept der Errichtung eines plurinationalen Staates ist vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Indigene Völker als Nationalitäten anzuerkennen ist jedoch noch schwer umstritten und wird in dieser Arbeit aus diesem Grund weitgehend vermieden.

[15] Ursprünglich bezeichnete man nur den Herrscher, der als Sohn oder als Wiedergeburt der Sonne galt, als Inka. Später nannte man das ganze Eroberervolk so, dessen ursprünglicher Name noch immer unbekannt ist.

[16] „Sobrino, yo te las diré de muy buena gana a tí te conviene oírlas para y guardarlas en el corazón...sabrás que en los siglos antiguostoda esta región de tierras que ves, eran unos grandes montes y brenales, y las gentes en aquellos tiempos vivían como fieras y animales, brutos, sin religión, ni policía, sin pueblo, ni casa, sin cultivar ni sembrar tierra, sin vestir ni cubrir sus carnes, porque no sabían labrar algodón ni lana para hacer vestirCubrían sus carnes con hojas y cortezas de árboles, y pieles de animales“ (Inca Garcilaso,1972, 26).

[17] „Nuestro padre el sol, viendo los hombres tales como te he dicho, se apadeció y hubo lástima de ellos, y envió del cielo a la tierra un hijo y una hija de los suyos para que lo adorásen y tuviesen por su dios, y para que les diesen preceptos y leyes en que viviesen como hombres en razón y urbanidad; para que habitasen en casas y pueblos poblados, supiesen labrar las tierras, cultivar las plantas y mieses, criar los ganados y gozar de ellos y de los frutos de la tierra, como hombres racionales, y no como bestias“ (Inca Garcilas, 1972, 26)

[18] An dieser Stelle ist anzumerken, dass Pachakuti auch heute noch für die Indigenas in Ecuador eine grosse Bedeutung hat. In diesem Sinne ist auch der politische Arm der CONAIE „Pachakuti“, nämlich „Umwälzung“ genannt worden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832459345
ISBN (Paperback)
9783838659343
Dateigröße
957 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Salzburg – Geisteswissenschaftliche Fakultät
Note
1,0
Schlagworte
bewegungen ecuador indios ethnie conaie
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Titel: Indigene Bewegung in Ecuador als neue gesellschaftspolitische Kraft
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