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Gegen Hitler und den Krieg: Der Attentäter Johann Georg Elser

Eine biographische Untersuchung und Vorschläge für eine Behandlung des Themas im Geschichtsunterricht der Hauptschule

©1997 Examensarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Am 9. November 1939 wurde bei einer nationalsozialistischen Propagandaveranstaltung im Bürgerbräukeller in München ein Attentat verübt, das Adolf Hitler galt, ihn durch Zufall jedoch unverletzt ließ. Als Täter wurde Johann Georg Elser (Rufname: Georg) ermittelt, ein Schreinergeselle aus Königsbronn (Landkreis Heidenheim), der kurze Zeit später verhaftet und unmittelbar vor Kriegsende im Konzentrationslager Dachau von den Nationalsozialisten liquidiert wurde.
Mit dem Attentat wie mit dem Attentäter hat sich bis heute nur ein kleiner Kreis von Historikern beschäftigt, der Öffentlichkeit ist Elser als Mensch ebenso unbekannt geblieben wie Motive, Durchführung und Hintergründe seiner Tat, die auch nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur verschwiegen, verdrängt und mit Legenden umwoben wurde. Dies trifft insbesondere für den Heimatort des Attentäters und dessen unmittelbare Umgebung zu.
Hier gilt es, ein Stück nationalsozialistischer Vergangenheit zu entdecken, die auch im Hinblick auf den Geschichtsunterricht an Hauptschulen von Interesse ist. Die didaktische Bedeutung des Themas bestimmt sich nicht nur aus dem regionalgeschichtlichen Aspekt, sondern reicht weit darüber hinaus. Persönlichkeit, Lebensumstände und Motive des Attentäters fordern zur persönlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit heraus, die im weitesten Sinne hinführen soll zur Erkenntnis der Grundwerte einer humanen und demokratischen Gesellschaft. In einer Zeit, in der neofaschistisches Gedankengut und entsprechende Verhaltensrituale von manchen Jugendlichen wieder zunehmend akzeptiert werden, ist dies von besonderer pädagogischer Bedeutung.
Das Thema beinhaltet somit fachwissenschaftliche wie fachdidaktische Aspekte.
Gang der Untersuchung:
Im fachwissenschaftlichen Teil wird sich diese Arbeit mit drei Fragekomplexen zu befassen haben.
Im ersten Kapitel sollen die Umstände dargestellt werden, die Elser zu dem Attentat auf Hitler veranlassten. Geht man davon aus, dass der Entschluss zur Tat ebenso seiner Persönlichkeit entsprang wie der Lebenswelt, die seinen Erfahrungshorizont bestimmte, wird man sich zunächst diesen beiden Faktoren zuwenden. Die Lebensgeschichte Elsers bis zur Planung des Attentats, seine Wesenszüge und Einstellungen werden einerseits zu beleuchten sein; andererseits fordern seine Stellungnahmen zu den real erlebten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen seiner Zeit zur Reflexion darüber heraus. […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Voraussetzungen für das Attentat: Person und Erfahrungswelt Elsers
1.1 Lebenslauf
1.1.1 Kindheit und Jugend
1.1.2 Ausbildung und Gesellenjahre in Königsbronn
1.1.3 Jahre der Wanderschaft
1.1.4 Rückkehr nach Königsbronn
1.2 Lebenswirklichkeit im Zeichen der Hitler-Diktatur
1.2.1 Lage und Stimmung der Arbeiterschaft
1.2.2 Hitlers Weg in den Krieg
1.3 Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen
1.3.1 Wesenszüge und soziale Beziehungen
1.3.2 Einstellung zum Beruf
1.3.3 Einstellung zur Politik
1.3.4 Einstellung zur Religion
1.3.5 Zusammenfassung und kritische Anmerkungen
1.4 Versuch einer Deutung

2 Das Attentat: Vorbereitung, Durchführung, Folgen
2.1 Die Planung des Attentats
2.1.1 Die ersten Vorbereitungen in Königsbronn und Schnaitheim
2.1.2 Fortsetzung der Vorbereitungen in München
2.2 Der Tag des Attentats
2.2.1 Der Hitler-Ludendorff-Putsch am 8. November
2.2.2 Der 8. November
2.3 Verhöre und Ermittlungen
2.3.1 Die Ermittlungen in München
2.3.2 Verhöre in Königsbronn und Umgebung
2.4 Reaktionen und Wirkungen
2.4.1 Reaktionen der Reichsführung
2.4.2 Darstellung des Attentats in der Presse
2.4.3 Reaktionen der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Gruppen
2.4.4 Reaktionen in Elsers Heimat
2.4.5 Reaktionen des Auslandes
2.5 Persönliche Folgen: Elsers Leidenszeit und Tod
2.5.1 Die Zeit im Konzentrationslager Sachsenhausen
2.5.2 Letzter Aufenthalt im Konzentrationslager Dachau

3 Deutungen und Wertungen
3.1 Mythen und Legenden: Georg Elser - ein Einzeltäter?
3.1.1 Ein inszeniertes Attentat der Gestapo?
3.1.2 Die „Hintermännertheorie“ Georg Vollmers
3.1.3 Die neuen „Erkenntnisse“ des Günter Peis
3.1.4 Hypothesen zum Tode Georg Elsers
3.1.5 Anmerkungen
3.2 Der Umgang mit Elser in der Nachkriegszeit
3.2.1 Einordnung Elsers in die Widerstandsbewegung
3.2.2 Wertung und Würdigung des Attentats von 1945-
3.2.3 Die Entwicklung seit
3.2.4 Die aktuelle Diskussion um den Widerstand

4 Behandlung des Themas im Geschichtsunterricht
4.1 Pädagogische Bedeutung
4.2 Didaktische Überlegungen
4.3 Methodische Überlegungen

Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Am 9. November 1939 wurde bei einer nationalsozialistischen Propagandaveranstaltung im Bürgerbräukeller in München ein Attentat verübt, das Adolf Hitler galt, ihn durch Zufall jedoch unverletzt ließ. Als Täter wurde Johann Georg Elser (Rufname: Georg) ermittelt, ein Schreinergeselle aus Königsbronn (Landkreis Heidenheim), der kurze Zeit später verhaftet und unmittelbar vor Kriegsende im Konzentrationslager Dachau von den Nationalsozialisten liquidiert wurde.

Mit dem Attentat wie mit dem Attentäter hat sich bis heute nur ein kleiner Kreis von Historikern beschäftigt, der Öffentlichkeit ist Elser als Mensch ebenso unbekannt geblieben wie Motive, Durchführung und Hintergründe seiner Tat, die auch nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur verschwiegen, verdrängt und mit Legenden umwoben wurde. Dies trifft insbesondere für den Heimatort des Attentäters und dessen unmittelbare Umgebung zu.

Hier gilt es, ein Stück nationalsozialistischer Vergangenheit zu entdecken, die auch im Hinblick auf den Geschichtsunterricht an Hauptschulen von Interesse ist. Die didaktische Bedeutung des Themas bestimmt sich nicht nur aus dem regionalgeschichtlichen Aspekt, sondern reicht weit darüber hinaus. Persönlichkeit, Lebensumstände und Motive des Attentäters fordern zur persönlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit heraus, die im weitesten Sinne hinführen soll zur Erkenntnis der Grundwerte einer humanen und demokratischen Gesellschaft. In einer Zeit, in der neofaschistisches Gedankengut und entsprechende Verhaltensrituale von manchen Jugendlichen wieder zunehmend akzeptiert werden, ist dies von besonderer pädagogischer Bedeutung.

Das Thema beinhaltet somit fachwissenschaftliche wie fachdidaktische Aspekte.

Im fachwissenschaftlichen Teil wird sich diese Arbeit mit drei Fragekomplexen zu befassen haben.

Im ersten Kapitel sollen die Umstände dargestellt werden, die Elser zu dem Attentat auf Hitler veranlaßten. Geht man davon aus, daß der Entschluß zur Tat ebenso seiner Persönlichkeit entsprang wie der Lebenswelt, die seinen Erfahrungshorizont bestimmte, wird man sich zunächst diesen beiden Faktoren zuwenden. Die Lebensgeschichte Elsers bis zur Planung des Attentats, seine Wesenszüge und Einstellungen werden einerseits zu beleuchten sein; andererseits fordern seine Stellungnahmen zu den real erlebten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen seiner Zeit zur Reflexion darüber heraus. Die Auswirkungen nationalsozialistischer Politik auf das Leben der Arbeiterschaft, der sich Elser zugehörig fühlte, sollen deshalb in die Darstellung einbezogen werden (Kapitel 1.2). Aus persönlichen wie politischen Bedingungen erklären sich die Motive für das Attentat. Sie zu beleuchten ist Voraussetzung für jede Stellungnahme (Kapitel 1.4), ob sie nun die Einzeltäterschaft Elsers oder die Wertung seiner Tat betrifft.

An zweiter Stelle (Kapitel 2) wird darzustellen sein, wie Elser das Attentat plante und ausführte, welche persönlichen Folgen es für ihn hatte und welche Reaktionen und Wirkungen es auslöste. Um die Bedeutung der Tat einschätzen zu können, muß Elsers Aktion in engem Zusammenhang gesehen werden mit der Reaktion der Menschen seiner Umgebung, der Presse, verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen - auch im Ausland - bis hin zur nationalsozialistischen Führung.

Kapitel 3 widmet sich schließlich den Interpretationen und Deutungen, die Elsers Tat bis heute erfahren hat. Manches wird hier in den Bereich der Spekulationen zu verweisen sein, doch sollten diese Dinge gerade dann, wenn man sich um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Attentäter bemüht, nicht ausgeblendet werden. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die Rolle, die Elser innerhalb der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus einnahm und wie seine Rolle im Laufe der Nachkriegsgeschichte bewertet wurde. Insbesondere möchte ich hier eingehen auf die Frage, warum Elser die gesellschaftliche Anerkennung und Würdigung als Widerstandskämpfer sowohl in seiner unmittelbaren Umgebung als auch in der Öffentlichkeit und in der Geschichtsschreibung weitgehend versagt blieb. Nicht nur um das Dorf Königsbronn scheint sich hier ein Stück „Vergangenheitsbewältigung“ abzuzeichnen, das für den Umgang Nachkriegsdeutschlands mit der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur symptomatisch erscheint.

Als wichtigste Quelle für den fachwissenschaftlichen Teil meiner Arbeit stand mir eine Veröffentlichung der Historiker Lothar Gruchmann und Anton Hoch vom Institut für Zeitgeschichte in München zur Verfügung. Sie entdeckten 1969 in den Akten des ehemaligen Reichsministeriums die Protokolle, die die Verhöre der Gestapo mit Elser dokumentieren. Sie wurden noch im selben Jahr veröffentlicht[1] und sind bis heute die wichtigsten Quellen für die Elser-Forschung. Der Attentäter schildert in den Verhören seinen Lebenslauf, seine Motive für die Tat und die Durchführung des Attentats. Fast alle späteren Veröffentlichungen beziehen sich auf diese Protokolle.

Bis heute wird die Echtheit des Dokuments immer wieder in Zweifel gezogen, Hoch und Gruchmann sind jedoch aus mehreren Gründen von seiner Authentizität überzeugt. Die Motive, die Elser im Verhör nannte, scheinen ihnen ein erster Beleg dafür zu sein: sie sind völlig konträr zu den Darstellungen, die in der nationalsozialistischen Presse dem Volk unterbreitet wurden. Das Protokoll wurde als „Geheime Reichssache“ deklariert und blieb der Öffentlichkeit vorenthalten.[2] Diese Maßnahme ist aus Sicht des NS-Regimes nicht verwunderlich, da Elser im Verhör die nationalsozialistische Politik scharf anprangerte. Weiterhin stellten die beiden Historiker Nachforschungen in Elsers Umfeld an, um die von ihm gemachten Angaben zu überprüfen. Sie stellten dabei in wesentlichen Punkten Übereinstimmungen fest.[3] Auch in den Redewendungen kann man deutlich den schwäbischen Dialekt Elsers erkennen.

Diese einzige Quelle, die Informationen aus „erster Hand“ enthält, reichte jedoch nicht aus, um die Zusammenhänge umfassend darzustellen. Bisher unveröffentlichtes Material ergänzte die vorliegende Literatur und lieferte weitere interessante Einblicke in die damaligen Ereignisse. Zudem versuchte ich, durch Recherchen „vor Ort“, in Gesprächen mit Zeitzeugen und deren Nachkommen und mittels einer Vielzahl von Presseveröffentlichungen an Informationen zu gelangen.

Als wenig ergiebig erwies sich die fachdidaktische Literatur bezüglich dieses Themas: in den gängigen Schulbüchern wird Elser kaum erwähnt, die zu diesem Thema verfaßten pädagogisch-didaktischen Abhandlungen sind spärlich.

Aus dieser Situation entstand die Idee, im Rahmen dieser Arbeit nicht nur die pädagogische und didaktische Bedeutung des Themas für den Geschichtsunterricht an Hauptschulen zu untersuchen, sondern darüber hinaus vielseitig verwendbares Material als Grundlage für die Unterrichtsarbeit zu erstellen. Dies soll an die Stelle eines Unterrichtsentwurfs treten, dessen praktische Erprobung mir im Augenblick nicht möglich wäre. Dabei möchte ich versuchen, unterschiedlichen didaktischen und methodischen Modellen gerecht zu werden und mir nicht nur Grundlagen für meinen eigenen späteren Unterricht schaffen, sondern vielleicht auch interessierten Kollegen eine Hilfestellung anbieten.

Um dieses Unterrichtsmaterial für den praktischen Einsatz leichter verfügbar zu machen, wurde eine Mappe mit Arbeitsmaterialien erstellt, die ich dieser Arbeit beilege.

1 Voraussetzungen für das Attentat: Person und Erfahrungswelt Elsers

1.1 Lebenslauf

In Elsers Biographie sucht man vergebens nach Schlüsselereignissen oder auffälligen Entwicklungen, die Anlaß geben zu der Vermutung, er könnte sich im Herbst 1938 zu einem Attentat auf die oberste Reichsführung entschließen. Daß er die Tat alleine geplant und ausgeführt haben sollte, war sowohl für diejenigen, denen der Anschlag gegolten hatte, als auch für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar. Auch in seinem Heimatort Königsbronn glaubten die wenigsten, daß er die Tat ohne Hintermänner ausgeführt hatte. Bis heute umgeben ihn Mythen und Gerüchte, dabei sind zahlreiche Fragen offen geblieben und geben Anlaß zu Spekulationen.

Elsers Leben war das eines „gewöhnlichen“ Arbeiters. Sein Werdegang war sicher nicht untypisch in dieser ländlichen Gegend. Seine Lebensgeschichte bis zum Herbst 1938 ist unauffällig und „zugleich faszinierend in ihrer Gewöhnlichkeit.“[4] Die soziale Welt, in der er aufwuchs, hatte „etwas Altmodisches“[5], es war die Welt einer bäuerlichen Großfamilie, einer Familienstruktur, die seit der Industrialisierung im Auflösen begriffen war.

Im ersten Kapitel soll der Lebenslauf Elsers bis Herbst 1938 nachgezeichnet werden. In dieser chronologischen Darstellung wird neben seinem Privatleben auch sein beruflicher Werdegang beleuchtet. Seine berufliche Entwicklung und der Einfluß der unmittelbar erlebten gesellschaftlichen und politischen Umwelt seit der nationalsozialistischen Machtergreifung waren wesentliche Faktoren, die zu seinem Entschluß, die Reichsführung beseitigen zu wollen, beigetragen haben. Sein Werdegang als Schreiner und sein „Berufsethos ... prädestinieren ihn geradezu als Einzeltäter.“[6] Elser schilderte seine Lebensgeschichte in seinen Verhören vor Beamten der Gestapo. Er äußerte sich über Personen, mit denen er Kontakt hatte, verständlicherweise zurückhaltend, um diese nicht unnötig zu belasten. Als Ergänzung zu dieser einzigen Überlieferung, die Elser selbst zitiert, wurden weitere Quellen herangezogen und Interviews mit Zeitzeugen geführt, um einen möglichst umfassenden Einblick in Elsers Leben nehmen zu können. Die Darstellung seiner Lebenswelt soll dem Leser ermöglichen, sich auf seine Persönlichkeit einzulassen.

1.1.1 Kindheit und Jugend

Georg Elser wurde am 4.Januar 1903 in Hermaringen, einem Dorf auf der schwäbischen Ostalb, unehelich geboren. Seine Eltern stammten aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen. Die Mutter Maria, geborene Müller, war die Tochter eines Landwirts und Wagners aus Hermaringen. Sein Vater, Ludwig Elser, wurde als eines von 19 Kindern einer bäuerlichen Großfamilie in Ochsenberg, einem Ortsteil von Königsbronn, geboren. Beide heirateten ein Jahr nach der Geburt des Sohnes. 1904 kaufte der Vater Ludwig Elsers seinem Sohn ein Anwesen in Königsbronn, das die Familie im November desselben Jahres bezog. Noch vor dem Einzug kam die Tochter Friederike zur Welt. Die Geschwister Maria, Anna und Leonhard wurden 1906, 1910 und 1913 geboren. Der 1909 geborene Sohn Ludwig verstarb 1915 an einer Lungenkrankheit.

Den Lebensunterhalt verdiente sich die Familie durch eine kleine Landwirtschaft und einen Holzhandel, den der Vater betrieb. Neben der Erziehung der Kinder hatte die Mutter die Landwirtschaft alleine zu bewältigen. Der junge Elser unterstützte sie von klein auf bei der Erledigung der täglichen Haus- und Feldarbeit sowie bei der Betreuung der jüngeren Geschwister. Zeitweise beschäftigten die Eltern einen Knecht, später eine Magd. Das Familienleben wurde jedoch schon zu Elsers Kindheit von den Alkoholproblemen des Vaters und seinem aggressiven Verhalten der Mutter gegenüber überschattet. Elser erinnerte sich, daß der Vater sich oft in Wirtshäusern in Königsbronn aufhielt und betrunken nach Hause kam. „Es war nicht nur so, daß mein Vater etwa nur samstags betrunken war, es kam auch wochentags ganz unterschiedlich vor.“[7]

Die Mutter berichtete ihren Kindern des öfteren von den Gewalttätigkeiten des Vaters ihr gegenüber. Diese Konflikte veranlaßten sie im Sommer 1910, das Haus zusammen mit ihren Kindern für eine Woche zu verlassen und zu ihren Eltern zurückzugehen. Die Schwierigkeiten der Eheleute, die sich zu diesem Zeitpunkt noch auf den zwischenmenschlichen Bereich beschränkten, sollten später auch auf ihre wirtschaftliche Situation Auswirkungen haben.

Elser besuchte von 1910 bis 1917 zusammen mit ungefähr 30 anderen Kindern seiner Klasse die Volksschule in Königsbronn. Er selbst bezeichnete sich als einen mittelmäßigen Schüler, „mit guten Noten im Zeichnen, Schönschreiben und Rechnen.“[8] Im Diktat, Aufsatz und in anderen Fächern waren seine Leistungen hingegen weniger gut. Elsers Mutter gab nach dem Kriege zu Protokoll, „ihr Sohn habe in der Schule gut gelernt, gute Zeugnisse gehabt und sei ein folgsamer, fast zu ruhiger Junge gewesen.“[9] Seine guten Leistungen führte er auf sein Interesse an den entsprechenden Fächern und nicht auf ein besonderes Engagement zurück. Außerdem behinderte die Einbindung in den elterlichen Betrieb das Lernen, gelegentlich halfen ihm dennoch die Eltern. Insgesamt zeigten sie jedoch nur geringes Interesse an den schulischen Leistungen ihres Sohnes, solange die Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe nicht gefährdet war. Der Vater beabsichtigte, seinen Sohn nach der Schule in den Holzhandel einzubinden.

Während seiner Schulzeit entdeckte Elser seine Freude an der Musik. Er begann, Flöte und Ziehharmonika zu spielen. Mit der Ziehharmonika musizierte er vor allem nach seiner Schulzeit, auch vor kleineren Gesellschaften.[10]

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte die Familie keine wirtschaftliche Not zu erleiden. Der Vater mußte nicht als Soldat an die Front, er wurde lediglich einmal zu Arbeiten an einem Festungsbau in Ulm herangezogen. Elser wurde während seiner Jugendzeit gut behandelt.[11]

Besonders gegen Ende des Krieges verschärfte sich jedoch, wie überall im Deutschen Reich, die wirtschaftliche Situation. Die Familie war verpflichtet, einen Teil der Ernteerträge abzuliefern, so daß sie am Ende eines Jahres nur wenig zu essen hatte. Während des Krieges mußte die Familie auch ihr erstes Haus verkaufen, das mit 8000 RM verschuldet war. Das neue Haus, das mit dem Geld aus dem Verkauf des alten erworben wurde, war ebenfalls mit Schulden belastet.

Während der Schulzeit freundete sich Georg Elser mit Eugen Rau an. Diese Freundschaft sollte auch nach der Schulzeit, mit Unterbrechungen, bedingt durch seine Wanderschaft, Bestand haben. In seinem Verhör äußerte sich Elser verständlicherweise zurückhaltend über diese Freundschaft, er gab an, er habe Eugen Rau zwar öfters gesehen, aber eine enge Beziehung habe ihn mit ihm nicht verbunden.[12] Nach Einschätzung seiner Biographen dürfte diese Freundschaft die vertrauensvollste und längste gewesen sein, die Elser jemals einging.[13] Helmut Ortners Schilderungen zufolge war Eugen Rau derjenige, dem er seine Gedanken und Lebenspläne offenbarte. Nach heutigen Erkenntnissen war Rau auch die einzige Person, die andeutungsweise von Elsers Attentatsplänen gewußt haben soll.

Im Frühjahr 1917 verließ Elser die Volksschulklasse in Königsbronn mit einem mittelmäßigen Abgangszeugnis mit guten Noten im Zeichnen und Rechnen.

Bis Herbst 1917 half er seiner Mutter bei der Landwirtschaft und seinem Vater beim Holzhandel. Animiert durch seinen Schulfreund Eugen Rau, der eine Ausbildung als Eisendreher im Hüttenwerk in Königsbronn absolvierte, wollte auch er - gegen den Willen des Vaters - diesen Beruf ergreifen. Die Arbeit in der Landwirtschaft und im Holzhandel bereiteten ihm nie große Freude, das Basteln hingegen gefiel ihm eher.[14] Georg setzte schließlich seinen Wunsch mit Unterstützung seiner Mutter durch. Er bemühte sich selbst um eine Lehrstelle als Eisendreher im Hüttenwerk in Königsbronn, die er im Herbst 1917 antrat.

1.1.2 Ausbildung und Gesellenjahre in Königsbronn

Zu Elsers Ausbildungsstätten gehörte neben dem Hüttenwerk die Gewerbeschule in Heidenheim. Er zählte dort bereits zu den besseren Schülern.[15]

Elser mußte während seiner ersten Lehrjahre das wenige Geld, das er verdiente, zu Hause abliefern. Er konnte sich aber den ersten Grundstock einer kleineren Werkzeugsammlung mit der finanziellen Unterstützung seines Vater anlegen.

Während seiner Ausbildung hatte Elser mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen, die mit seiner Arbeit zusammenzuhängen schienen. Fieber und Kopfschmerzen zwangen ihn, dem Betrieb des öfteren fernzubleiben. Deshalb brach er seine erste Ausbildung im März 1919 ab. Außerdem hatte er durch seine Bastelarbeiten, die er zu Hause anfertigte, festgestellt, daß er lieber mit Holz arbeitete als mit Eisen.[16]

Kurze Zeit später entschloß sich Elser, eine Ausbildung als Schreiner zu beginnen. Er hatte Gelegenheit, den Meistern zweier Schreinerbetriebe im Ort bei ihrer Arbeit zuzusehen, da er im Auftrag seiner Eltern dort öfters Holzspäne zum Feuermachen abzuholen hatte. Er gewann Interesse an dieser Arbeit und begann am 15. März 1919 eine Ausbildung in der Möbel- und Bauschreinerei des Schreinermeisters Fritz Sapper in Königsbronn. Der Lehrling fand besondere Freude am Fertigen von Möbelstücken, da hier ein kunstvolles und genaues Arbeiten erforderlich war. Die Arbeiten in der Bauschreinerei hingegen sagten ihm wegen des Schmutzes, der dabei entstand, weniger zu.[17]

Die Eltern überließen ihm nun oftmals den ohnehin geringen Lohn. Von dem wenigen Geld, das er verdiente (im ersten Ausbildungsjahr eine Reichsmark wöchentlich, im zweiten Lehrjahr zwei, im dritten drei Reichsmark), kaufte er sich weitere Werkzeuge. Während dieser Zeit besuchte er wieder die Gewerbeschule in Heidenheim. Seine Prüfung zum Schreinergesellen beendete er im März 1922 als bester seines Jahrgangs.

Elser arbeitete danach bis Dezember in seinem Ausbildungsbetrieb. Als sich ihm die Gelegenheit bot, in der Möbelschreinerei Rieger in Aalen gegen höhere Entlohnung zu arbeiten, wechselte er Anfang 1923 in diesen Betrieb. Er fertigte dort Küchen- und Schlafzimmermöbel. Im Herbst desselben Jahres kündigte er, da die Bezahlung im Zuge der damals herrschenden Inflation immer schlechter wurde.

Bis Sommer 1924 arbeitete Elser unentgeltlich, gegen Unterbringung und Verpflegung, im elterlichen Betrieb. Neue Freundschaften hatte er in der Zwischenzeit nicht geschlossen. Weiterhin war er häufig mit Eugen Rau zusammen: „Die Freizeit vertrieb ich mir damals bei meinem Freund Eugen R., der zu Hause ein Grammophon hatte und mich das Tanzen lehrte.“[18]

Anschließend nahm Elser eine Arbeitsstelle bei einem Möbelschreiner in Heidenheim an. Er fertigte dort hauptsächlich Küchen- und Kleiderschränke. Doch Anfang 1925 kündigte er, da er beschlossen hatte, Königsbronn zu verlassen, um sich außerhalb seiner Heimat beruflich weiterzubilden. Die Situation in seinem Elternhaus könnte zu diesem Entschluß beigetragen haben, denn die Alkoholprobleme des Vaters und die damit verbundenen Schwierigkeiten schienen sich zu verschlimmern.[19]

Durch einen Bekannten, der ebenfalls Schreinergeselle war, hatte er die Adresse eines Schreiners in Bernried erhalten. Elser bewarb sich und erhielt die Zusage, am 15. März seine Stelle antreten zu können. Bis dahin half er auf dem elterlichen Anwesen.

1.1.3 Jahre der Wanderschaft

Die Arbeit, die Elser in Bernried gefunden hatte, befriedigte ihn nicht. Der Schreiner arbeitete allein und verfügte nur über wenige Maschinen, so daß an eine berufliche Weiterbildung nicht zu denken war. Außerdem fühlte er sich einsam in dem Ort, der nur aus wenigen Häusern bestand. Er kündigte deshalb nach nur sechs Wochen Aufenthalt und wanderte, ohne eine neue Stelle in Aussicht zu haben, in Richtung Bodensee. Nach einer Anfrage beim Arbeitsamt Friedrichshafen fand er nach einer Woche eine Anstellung bei den Dornier-Werken in Manzell. Elser stellte in diesem Betrieb Propeller her. Eine Unterkunft fand er in einer Gastwirtschaft in Kluftern.

Mit Überstunden und Akkordarbeit verdiente er mehr Geld als jemals zuvor.[20] Bei den Dornier-Werken machte Elser die Bekanntschaft eines jüngeren Schreiners namens Leo D. Im Verhör sagte er aus: „Meine Bekanntschaft mit D. war nicht politischer und nicht besonders freundlicher Art.“[21] Die beiden verbanden jedoch musikalische Interessen. Leo D. spielte Klarinette und Elser Ziehharmonika. Er überredete Elser, gemeinsam eine Arbeitsstelle in Konstanz zu suchen und dem dort ansässigen Musikverein beizutreten. Beide wechselten, obwohl sie bei den Dornier-Werken gut verdienten, zu einer Uhrenfabrik nach Konstanz über. Elser war damit beschäftigt, Uhrengehäuse für angelieferte Uhrwerke zu bauen. Er verließ außerdem seinen früheren Wohnort und bezog eine Wohnung in Konstanz. Während seines Aufenthalts in Konstanz trat Elser dem Orchester des Trachtenvereins und den Konstanzer „Naturfreunden“ bei. Er lernte, Zither zu spielen, kaufte sich 1926 ein solches Instrument und nahm für das Erlernen für kurze Zeit Privatstunden.[22] Durch den Einfluß eines Arbeitskollegen trat Elser „1928 oder 1929“[23] dem Rotfrontkämpferbund, der Wehrorganisation der KPD, bei. Er engagierte sich jedoch nie in dieser Organisation, er war nur passives Mitglied.

Elser arbeitete in der Uhrenfabrik mit mehreren kürzeren und längeren Unterbrechungen bis zum Frühjahr 1930. Die schlechter werdende Wirtschaftslage zeigte auch in diesem Betrieb ihre Auswirkungen. So führten die immer weniger werdenden Aufträge, aber auch andere widrige Bedingungen, ab „1926 oder 1927“[24] zu diesen zeitweiligen Arbeitsunterbrechungen. Die Firma wechselte dreimal den Besitzer, da alle Konkurs anmeldeten. Weitere Unterbrechungen waren dadurch bedingt, daß ein Besitzer verstarb und ein weiterer einen Brand in der Firma legte.[25] Elser lebte von seinen Ersparnissen und von der Arbeitslosenhilfe. Die Belegschaft wurde 1929 erneut entlassen. Der Kontakt zu Leo D. ging währenddessen ebenfalls verloren.

Im selben Jahr fand er eine Anstellung in Bottighofen, einer Möbelschreinerei in der Schweiz. Sein Stundenlohn betrug dort 1,04 RM. Er fühlte sich auch in diesem Betrieb handwerklich unterfordert. Diesen Arbeitsplatz gab er auf, nachdem er erfahren hatte, daß ein früherer Teilhaber der Konstanzer Uhrenfabrik in Meersburg wieder Uhrengehäuse für Tisch- und Küchenuhren herstellte.

Elser hatte in Konstanz Beziehungen zu mehreren Frauen, unter anderem zu Mathilde M., die einen Jungen namens Manfred zur Welt brachte, dessen Vater er war.[26] Das Kind war von beiden nicht gewollt. Beide waren, um das Kind abtreiben zu lassen, nach Genf gefahren, wo sich herausstellte,daß es für einen solchen Eingriff zu spät war. So wurde das Kind 1930 geboren.[27]

Die Beziehung scheiterte nach kurzer Zeit. Elser mußte für den Sohn Alimente bezahlen. Ihm sollte deshalb jeder Betrag, der 24 RM überstieg, von seinem Wochenlohn abgezogen werden.

Nach mehreren Wohnungswechseln in Konstanz[28] zog Elser zu einer Familie nach Meersburg. Im Frühjahr 1932 verlor er, zusammen mit seinen vier Kollegen, aufgrund mangelnder Auftragslage erneut seinen Arbeitsplatz. Seine daraufhin ergriffene Tätigkeit bei einem Zimmermann mußte er aus demselben Grund nach vier bis fünf Wochen einstellen.

Seit Mai 1932 fand er keine neue Arbeitsstelle, er hatte sich auch nicht mehr beworben, da er beschlossen hatte, nach Königsbronn zurückzukehren. Seine Mutter hatte Elser im selben Monat in einem Brief mitgeteilt, „daß mein Vater immer mehr saufe und daß er einen Acker um den anderen verkaufe, um seine Schulden zu bezahlen.“[29] Die Mutter erhoffte sich, daß der Sohn positiv auf den Vater einwirken könne.

Die letzte Zeit seines Aufenthalts verbrachte Elser bei mehreren Familien in Meersburg. Er konnte dort unentgeltlich wohnen. Als Gegenleistung reparierte und fertigte er Möbelstücke. Elser erhielt Verpflegung, und gelegentlich konnte er durch solche Arbeiten geringe Beträge verdienen.[30]

Im August 1932 endete sein Aufenthalt am Bodensee. Er kehrte nach Königsbronn zurück.

1.1.4 Rückkehr nach Königsbronn

Die Trunksucht des Vaters wirkte sich jetzt auch auf die wirtschaftliche Lage der Familie aus. Die hohen Verluste im Holzhandel waren durch den Alkoholkonsum des Familienoberhaupts verursacht worden. „Durch meinen Onkel E.E. in Königsbronn habe ich erfahren, daß mein Vater bei den Holzversteigerungen stets unter Alkoholeinfluß gestanden und nur deshalb hohe Preise geboten hat.“[31]

Elser bezog mit seinem Bruder Ludwig ein Zimmer und unterstützte die Familie bei ihrer Arbeit. Zusätzlich fertigte er für verschiedene Leute im Ort in seiner Werkstatt Möbelstücke.

Der Einfluß auf ihren Mann, den sich die Mutter durch Elsers Kommen erhofft hatte, blieb aus. Mit den wachsenden Schulden steigerte sich auch der Alkoholkonsum des Vaters. „Die Saufereien meines Vaters nahmen immer mehr zu. Die Folge davon war, daß die Schulden immer höher wurden, und daß er immer wieder Äcker verkaufen mußte, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.“[32]

Elser trat bald nach seiner Rückkehr dem Zitherclub und dem Gesangverein Concordia bei. Er fand dadurch auch Abwechslung zu der betrüblichen Situation, die in seinem Elternhaus herrschte. 1934 kaufte er sich einen Baß. Er lernte das Spielen, da es für Tanzveranstaltungen des Zitherclubs benötigt wurde.[33] Im Zitherclub lernte er u. a. Herrn E.[34] kennen, der sich heute als Neunzigjähriger als „einzigen Freund, den Elser damals hatte“ bezeichnet. Herr E. bestreitet, daß Rau, wie in der

Literatur immer wieder behauptet wird, ein besonderer Vertrauter Elsers gewesen sei. „Ich kann den Rau nicht leiden, weil er sich in alles dreinmischt“, soll er Herrn E. einmal erklärt haben.[35]

Ab Juli 1934 arbeitete Elser für kurze Zeit bei Schreinermeister Friedrich Grupp in Königsbronn. Er erhielt dort einen Stundenlohn von 0,55 RM. Doch nach vier Monaten kündigte er mit der Begründung, daß er sich um das elterliche Anwesen kümmern müsse.[36]

Ende 1935 waren die Schulden der Familie so hoch, daß das Anwesen verkauft werden mußte. Ein Viehhändler aus Königsbronn, den der Vater von seinen Gasthausbesuchen kannte, bezahlte dafür 6500 RM, einen Preis, der nach Elsers Ansicht viel zu gering war.[37] Der Verkauf des Anwesens beendete auch das gemeinsame Familienleben. Ludwig Elser erhielt laut Vertrag das Recht, noch eine Zeitlang in einem Zimmer des Hauses wohnen zu dürfen. Die Mutter erhielt aus dem Hausverkauf 2000 RM. Sie zog zu ihrer Tochter Friederike in den nahegelegenen Ort Schnaitheim. Der Bruder Leonhard wurde zum Arbeitsdienst einberufen.

Elser wohnte im elterlichen Haus, bis es endgültig geräumt werden mußte. Im Frühjahr bezog er ein Zimmer bei der Familie Härle in Königsbronn. Seine Werkstatt konnte er in deren Keller einrichten. Elsa Härle und Georg Elser kannten sich durch die gemeinsamen Ausflüge des Königsbronner Wandervereins.[38] Die beiden soll schon vor Elsers Einzug ein Liebesverhältnis verbunden haben. Noch heute hält sich bei älteren Königsbronnern das Gerücht, daß der von Elsa Härle 1935 geborene Sohn nicht von ihrem Mann Hermann, sondern von Elser gezeugt worden sei.[39] Dieses Zusammenleben sollte in der Folgezeit Konsequenzen für alle Beteiligten nach sich ziehen.

In diesem Frühjahr fand Elser erneut Beschäftigung bei Schreinermeister Grupp, der den Auftrag erhalten hatte, für die Wehrmacht Schreibtische anzufertigen. Doch bereits im Herbst kündigte er wieder seinen Arbeitsplatz. In seiner Vernehmung begründete er dies so: „... nachdem mir einenteils die Entlohnung zu gering war, andernteils er mich immer belehren wollte, obwohl er nicht die Fähigkeiten wie ich besaß.“[40]

Während seiner erneuten dreimonatigen Arbeitslosigkeit konnte sich Elser durch kleine Aufträge für Möbelstücke das Nötigste verdienen.

Eine neue Arbeitsstelle, die ihm durch einen Bekannten vermittelt worden war, fand er Ende Dezember 1936 bei der Firma Waldenmaier in Heidenheim, in der man damals ungefähr 1000 Beschäftigte zählte. Zur Firma gehörte eine „Sonder-Abteilung“, in der Pulver gepreßt und zu Geschoßzündern weiterverarbeitet wurde. Elser arbeitete dort bis Sommer 1937 in der Gußputzerei für 0,58 RM, später erhielt er 0,62 RM Stundenlohn. Anschließend wurde er in der Versandabteilung beschäftigt. „Ich gebe zu, daß ich als gelernter Schreiner irgendwo anders mehr bekommen hätte. Ich hatte aber kein Interesse daran, mehr zu verdienen, sondern nur daran, daß mir die Arbeit gefiel.“[41] Seine Haltung war verständlich, da ihm jeder Lohn über 24 RM wöchentlich für die

Unterhaltskosten des Sohnes abgezogen worden wäre. Man kann davon ausgehen,daß der vielseitige Handwerker auch in der Modellschreinerei für unbestimmte Zeit Arbeit fand.[42]

Ende 1936 gestaltete sich das Zusammenleben in der Wohnung der Familie Härle zunehmend schwieriger, zumal das Verhältnis zwischen Elser und Elsa Härle zum Gegenstand des Dorfgeredes wurde. Sein Freund E. bot ihm deshalb an, zu ihm in ein kleines Zimmer zu ziehen. Elser nahm das Angebot an. Wegen der Besuche der Frau Härle, die der Freund nicht billigte, kam es jedoch zum Zerwürfnis.[43] Die Ehe der Härles wurde wenig später geschieden.

Währenddessen wohnten Elsers Eltern wieder zusammen. Sie hatten von dem, was vom Verkauf ihres Hauses übriggeblieben war, zusammen mit ihrem Sohn Leonhard eine Doppelhaushälfte in der Sumpfwiesenstraße in Königsbronn erworben. Elser zog wieder zu seinen Eltern. Zwischen Georg und Leonhard Elser und der Mutter kam es erneut zu Streitigkeiten.[44]

Elsers Leben war in dieser Zeit sicher nicht von Erfolg und Zufriedenheit geprägt. Neben seinen privaten Schwierigkeiten konnte er sich auch beruflich nicht verwirklichen. An seiner Situation änderte sich bis Herbst 1938 nichts Grundlegendes. Das Alltagsleben nahm seinen gewohnten Gang. Elser ging seiner Arbeit in der Armaturenfabrik in Heidenheim nach und engagierte sich, wenn er nicht gerade bastelte, im Vereinsleben in Königsbronn.

Geprägt war sein Leben in jenen Jahren durch die politischen Verhältnisse der sich festigenden Hitler-Diktatur, deren Auswirkungen er aufmerksam wahrnahm. Für ihn waren diese Jahre vor allem gekennzeichnet durch die sich laufend verschlechternde Situation der Arbeiterschaft sowie durch die wachsende Kriegsgefahr. Angesichts dieser Realität muß sich sein Entschluß, die Reichsführung zu beseitigen, vorbereitet haben.

1.2 Lebenswirklichkeit im Zeichen der Hitler-Diktatur

1.2.1 Lage und Stimmung der Arbeiterschaft

Als zentrales Motiv für sein Attentat führte Elser in den Verhören der Gestapo die Situation der Arbeiterschaft an, die sich seit der nationalsozialistischen Machtergreifung seiner Beurteilung nach „...in verschiedener Hinsicht verschlechtert“[45] hatte. Seine Kritik konzentrierte sich auf die Lohn- und Abgabenpolitik und den Zwang, den die Nationalsozialisten auf die Gesellschaft, insbesondere auf die Arbeiterklasse, ausübten.

Ziel dieses Kapitels wird es sein, die Beobachtungen Elsers mit der realen Situation der Arbeiterschaft zu vergleichen, um zu prüfen, ob seine Einschätzungen mit der Realität übereinstimmten. Um den breiten Themenkomplex zu erfassen, müssen wirtschaftspolitische Strukturen und Maßnahmen der Nationalsozialisten einbezogen werden. Im Vordergrund sollen jedoch Situation und Stimmung der Arbeiter stehen. Dabei wird zu klären sein, ob Elsers Beurteilung eher untypisch innerhalb der Arbeiterschaft war oder ob viele Arbeiter seine Einstellung teilten.

Struktur und Ziele nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik

Die Nationalsozialisten verfügten über keine geschlossene Wirtschaftstheorie.[46] Statt dessen hatte Hitler vor seiner Machtübernahme alle Volksschichten mit Versprechungen und Forderungen umworben.[47] Diese waren zum Teil widersprüchlich und wurden nach dem Machtantritt fallen gelassen. Die Wirtschaftspolitik Hitlers beruhte auf sozialdarwinistischen Grundeinstellungen. Ganze Völker sollten dabei versklavt und „lebensunwertes Leben“ durch Arbeit vernichtet werden.[48] Hitler erstrebte keinen Wohlfahrtsstaat. Der Erhalt und die Vormachtstellung der arischen Rasse sollten gesichert werden. Diese Grundvorstellungen fanden Ausdruck in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Hitler proklamierte die Verwirklichung einer Leistungs- und Volksgemeinschaft, in der alle Klassenunterschiede beseitigt werden sollten. Individuelles Streben war dem Wohl des Staates und der Gesellschaft unterzuordnen.

Für den Arbeiter bedeuteten diese Gesellschaftsvorstellungen unvermeidbare Konsequenzen. Die Rechte der Arbeitnehmer sollten von Anfang an beseitigt und der Arbeitszwang durchgesetzt werden. Sozialistische und kommunistische Bestrebungen, die eine materielle und soziale Besserstellung der Arbeiter beabsichtigten, waren mit den nationalsozialistischen Zielsetzungen nicht zu vereinbaren. Die erste Terrorwelle des Regimes richtete sich daher gegen Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten. Politische Opposition war mit dem totalitären Staatsaufbau nicht zu vereinbaren.

Die „Ethik“ und „Schönheit der Arbeit“ waren seit der Machtergreifung Inhalte nationalsozialistischer Propaganda. Die Arbeiter sollten zu neuen Wertvorstellungen in ihrer Arbeit gelangen. Diejenigen, die in dieser Ordnung nicht bestehen konnten, wurden als minderwertig betrachtet und selektiert.[49]

Die Wirtschaft erfuhr ebenfalls tiefgreifende Einschnitte. Die Expansionsziele machten ihren Umbau in eine Kriegswirtschaft erforderlich. An den Rüstungsausgaben wurde der Kurs deutlich: Sie stiegen von 1933 bis 1938 von 0.7 auf 15.7 Mrd. RM. Auch von internationalen Verflechtungen sollte die Wirtschaft losgelöst und in eine Binnenwirtschaft umgewandelt werden.

Eine Verstaatlichung der Wirtschaft erfolgte nicht, jedoch war sie infolge der wachsenden Rüstungsanstrengungen zunehmenden Eingriffen unterworfen. Bracher bezeichnet das Wirtschaftssystem als Mischform zwischen Privat- und Staatskapitalismus.[50] Die Betriebe wurden in ihrer Struktur nach dem Führerprinzip aufgebaut, Betriebsräte, wie sie in der Weimarer Republik existierten, wurden abgeschafft.

Hitler erkannte schnell, daß er auf die Loyalität der Großunternehmer angewiesen war. Die Arbeiterschaft, die mit einem Bevölkerungsanteil von 46,5%[51] die größte gesellschaftliche Schicht darstellte, sollte von dem neuen Kurs Hitlers wirtschaftlich nur wenig profitieren.

An einer Besserstellung der Arbeiterschaft war man von vorneherein nicht interessiert, da sie die Kriegsvorbereitungen verteuert hätte.

Zur Situation der Arbeiterschaft in den ersten Jahren der NS-Diktatur

Zur Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung war die Zahl der Erwerbslosen, bedingt durch die jahrelang anhaltende Rezession, auf sechs Millionen angewachsen. Von dieser Massenarbeitslosigkeit war die Arbeiterschaft besonders betroffen, die mit 5.4 Millionen den weitaus größten Anteil an den Erwerbslosen zu tragen hatte. Seit der Weltwirtschaftskrise war der Lebensstandard der Arbeiterschaft gesunken. In den Jahren 1930 bis 1933 war das Realeinkommen aller Beschäftigten um mindestens 15% zurückgegangen.[52] Die Lebensverhältnisse der Arbeiter waren von Hunger, Armut und Elend geprägt.[53] In Anbetracht dieser Situation waren Depression und Resignation unter den Arbeitern weit verbreitet.

Nach Hitlers Machtergreifung herrschte in allen Volksschichten eine ungeheure Euphorie. Auch ein Teil der Arbeiterschaft wurde von dieser Begeisterungswelle mitgerissen. Viele erhofften sich eine Besserung ihrer sozialen Verhältnisse. Dennoch verfügte die NSDAP auch nach ihrer Machtergreifung innerhalb der Arbeiterschaft über keine Mehrheit. Mindestens zwei Drittel der Arbeiter optierten nicht für die Nationalsozialisten.[54] Die Arbeiterklasse war die soziale Schicht, die im Gegensatz zum Bürgertum und dem Mittelstand den Versprechungen der Nationalsozialisten am meisten widerstand.[55]

Die Mehrheit der Arbeiterschaft war, auch im Hinblick auf den einsetzenden Terror gegen die Arbeiterbewegung, von der ersten Begeisterung nur wenig berührt. Mit Ohnmacht und Angst registrierte man die Massenverhaftungen, Denunziationen und Morde an Mitgliedern arbeiternaher Organisationen. Viele versuchten aus bloßer Existenzangst, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Diese Gefühlslage stand im krassen Gegensatz zur Euphorie der Massen aus Kleinbürgertum und Mittelstand und dem nationalsozialistischen Pathos.

Im Mai 1933 erfolgte die Abschaffung der Gewerkschaften, auch andere Arbeiterorganisationen wurden gleichgeschaltet.[56] Wilhelm Hoegner, ein sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, schilderte die Stimmung der meisten Arbeiter: „... wir waren niedergeschlagen, erdrückt von der Wucht der Niederlage und dem Gefühl der eigenen Ohnmacht, ergeben in unserem Schicksal, mehr traurig als empört über die Ausschreitungen der Gegner, hilflos, wie eine Herde, die sich in einer kalten Regennacht frierend unter Bäumen zusammendrängt.“[57]

Für Hitler war es eine politische Überlebensfrage, Erfolge in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorzuweisen und den wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten. Am 1. Februar 1933 verkündete er sein Ziel, die Arbeitslosigkeit binnen vier Jahren beseitigen zu wollen.[58] Eine Woche später unterbreitete er der Regierung sein Wirtschaftsprogramm. Seine Maßnahmen konzentrierten sich auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die vorwiegend der Rüstungsindustrie zugute kommen sollten. Mit großem Propagandaaufwand leitete Hitler mit dem Beginn des Autobahnbaus am 23. September 1933 die zu führende „Arbeitsschlacht“ ein.[59] Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen konnte er erhebliche augenscheinliche Erfolge vorweisen. Die Zahl der Arbeitslosen verringerte sich bis April 1934 um 56,5%.[60] Die ländlichen Gebiete profitierten von dem Rückgang stärker als die industriellen Ballungsgebiete. In Südwestdeutschland verringerte sich die Quote um 60,6%, im industrialisierten Rheinland sank sie dagegen „nur“ um 44,1%.[61]

Mit diesen ersten Erfolgen konnte jedoch kein wirtschaftlicher Durchbruch erzielt werden. Vor allem trugen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kaum dazu bei, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Arbeiterschaft zu verbessern. Hitler hatte schon früh einen Lohn- und Preisstopp verhängt. An den Preisstopp sollte er sich jedoch nicht halten. Die meisten Arbeiter, in erster Linie die unteren Einkommensklassen, mußten somit Verringerungen ihres Realeinkommens durch erhebliche Steigerungen der Lebenshaltungskosten hinnehmen. Die Preise für Kartoffeln z.B. stiegen um 15,4%, für Margarine um 38,4% und für Gemüse um 10,4%. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, daß sich die Lebenshaltungskosten einer fünfköpfigen Familie um 6% verteuerten.[62] Auch die Löhne blieben lange unter dem Niveau des Jahres 1932 zurück. Einkommenszuwächse blieben bis zum Frühjahr 1934 eher eine Ausnahme und waren meist auf eine längere Arbeitszeit zurückzuführen.

Obwohl die Propagandamaschinerie auf Hochtouren arbeitete, traute man Hitler nicht zu, daß er die Lage grundlegend ändern könne. Er schaffte es jedoch immer wieder, Mißstände durch angebliche politische Erfolge zu überspielen, die er propagandistisch für sich nutzte. Zeitweise gelang es, wenn auch nur für kurze Dauer, an die Euphorie der „Gründerzeit“ anzuknüpfen. Erfolge in der Außenpolitik spielten dabei eine große Rolle. So konnte durch die Volksabstimmung über den Völkerbundaustritt und die Rückgliederung des Saarlandes für kurze Zeit eine Hochstimmung erzielt werden. Auch in der Arbeiterschaft traf man hier auf breite Zustimmung.

Gleichermaßen sollten die vorgeführten Arbeitermassen auf den Großbaustellen der Autobahnen Erfolge suggerieren. Die Propaganda konnte den erwünschten Effekt jedoch nicht erzielen. Die erste Euphorie wich einer zunehmenden Desillusionierung. An verschiedenen Stellen des Reiches berichteten Gestapostellen Anfang 1934, daß unter den Arbeitern eine „stille Bitterkeit“[63] über die wirtschaftliche Lage herrsche und „die Stimmung im ganzen gedrückt sei.“[64] Mit dem heraufziehenden Frühjahr begann sich aber auch neue Hoffnung zu verbreiten, ein Phänomen, das sich in jedem Frühjahr der kommenden Jahre wiederholen sollte.[65]

Viele Arbeiter zeigten sich zwar über die Erfolge in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit überrascht. Die wirtschaftliche Situation, die Entwicklung der Preise und das Verhalten der Machthaber waren jedoch entscheidende Faktoren für ihre Stimmungslage. Die schlechte Ernährungssituation, die Preissteigerungen, die stagnierenden Löhne und Zwangsabgaben führten zu erheblichen

Mißstimmungen und einer weit verbreiteten Agonie in der Arbeiterschaft. In Anbetracht dieser Alltagssituation ist es nicht verwunderlich, daß die Propagandaphrasen von der „Schönheit der Arbeit“ ohne Erfolg blieben.

Von April 1934 bis April 1935 verlangsamte sich der Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Die Abnahme betrug lediglich 14,4%. Das Mittel der Arbeitsbeschaffung schien erschöpft zu sein.

Stabilisierung des Regimes und Wiederaufrüstung

Das Regime intensivierte zunehmend die Rüstungsanstrengungen, um einen längerfristigen Aufschwung gewährleisten zu können. Auch in den Industriezentren war seit 1934/35 infolge des einsetzenden Rüstungsbooms die Zahl der Arbeitslosen erheblich gesunken.[66] In diesen Gebieten begann sich die Lage der Arbeiter zu stabilisieren, da in manchen Branchen ein Facharbeitermangel einsetzte.

Die Preissteigerungen in den ersten zwei Jahren nach der Machtergreifung bewirkten eine Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterschaft. „... die Preisfrage wurde angesichts des auch von Hitler immer wieder beharrlich proklamierten Lohnstopps zur moralischen Entscheidungsfrage darüber, ob das neue Regime bereit war, die Arbeiterschaft im Vergleich zu anderen Schichten der Bevölkerung sozial gerecht zu behandeln.“[67] Längere Arbeitszeiten und nur vereinzelt höhere Löhne vermochten die Preisentwicklung nicht auszugleichen.

Von April 1933 bis April 1935 stieg der Index der Lebenshaltungskosten von 115.9 auf 122.3, der Ernährung von 109.5 auf 119.0 und der Bekleidungskosten von 105.6 auf 117.5. Hierbei muß angemerkt werden, daß diese Angaben regional starke Unterschiede aufwiesen und, wie sogar einige Gestapostellen konstatieren mußten, wahrscheinlich stark untertrieben waren.[68]

Innerhalb der Arbeiterschaft zeigte man sich nun jedoch trotz aller Mißstände und Repressionen im Hinblick auf die Zukunft allmählich optimistischer. Das Vertrauen in die Regierung wuchs in Anbetracht der Erfolge, obwohl die Beurteilung der sozialen Lage weiterhin wichtigstes Kriterium für die Stimmungslage der Arbeiter darstellte.

Hitler gelang es, die bis 1935 geführte „Arbeitsschlacht“ für sich zu entscheiden. Verstärkte Rüstungsanstrengungen und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 16. März 1935 verhalfen zu diesem „Erfolg“.

Die Stimmung der Arbeiterschaft entwickelte sich von nun an unterschiedlich. In Gebieten, in denen die Arbeiter von Staatsaufträgen profitierten, war sie wesentlich besser als in wirtschaftlich benachteiligten Gegenden. Die Arbeiter, bei denen sich eine Besserung einstellte, begannen, „... aus dem Schatten der Weltwirtschaftskrise herauszutreten“.[69] Das Prestige Adolf Hitlers war in diesen Kreisen beträchtlich gestiegen. Mißstimmung und Kritik richtete sich zunehmend gegen die NSDAP und ihre Funktionäre auf der mittleren und unteren Ebene. Das Auftreten und die finanzielle Besserstellung von „Parteibonzen“ sowie die Privilegien des Beamtentums waren zentrale Themen der Kritik. Hitler selbst wurde von dieser Kritik mehr und mehr ausgenommen.

Bemerkungen der Art „Wenn das der Führer wüßte“ waren im Volk weit verbreitet und zeugen von zunehmendem Vertrauen. Doch auch dieser Stimmungsaufschwung war nicht von Dauer.

Im Spätsommer 1935 bis hin zum Frühjahr 1936 verschlechterte sich die Stimmung in der Arbeiterschaft wieder gravierend, obwohl sich die Arbeitslosigkeit weiter verringerte und in manchen Teilen des Reiches bereits beseitigt war. „... Ablehnung und Feindseligkeit speziell aus der Arbeiterschaft“[70] wurden in dieser Intensität bis zum Ausbruch des Krieges nicht mehr erreicht. Im Mittelpunkt der Kritik, die offener als in den vorherigen Jahren geführt wurde, standen die „... wirtschaftliche und soziale Misere, also die Höhe der Abgaben und Steuern, das Anziehen der Mieten, die Verteuerung der Lebensmittel, die Unterversorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die Arbeitshetze in den Betrieben und, immer wieder, die unverändert geringen Löhne.“[71] Am lautesten war die Kritik in den industriellen Ballungszentren und den Notstandsgebieten zu vernehmen. Aus vielen Teilen des Reiches berichteten Gestapo-Stellen von den Unmutsäußerungen der Bevölkerung: „Auf keinen Fall darf übersehen werden, daß zur Zeit viel an Unzufriedenheit, Verärgerung, Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung und Verbitterung ... angehäuft ist. Es gewinnt den Anschein, als bereite sich auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage eine nicht zu unterschätzende Vertrauenskrise vor.“[72] Die infolge der Autarkiewirtschaft eintretenden Versorgungsschwierigkeiten bei Lebensmitteln verschärften die Lage.[73]

Auf dem im September 1935 in Nürnberg abgehaltenen Parteitag nahm Hitler der Arbeiterschaft jegliche Hoffnungen, indem er Lohnerhöhungen kategorisch ablehnte und die Geschlossenheit der Partei demonstrierte. Das Machtwort des Führers löste Desillusionierung und die Entladung der aggressiven Stimmung unter den Arbeitern aus. Die Loyalitätskrise bewirkte, daß Kritik und Unmut über die Verhältnisse durch öffentliche Gefühlsäußerungen, spontane Arbeitsniederlegungen und Protestaktionen zum Ausdruck gebracht wurden.

Die Entwicklungen in den ersten Jahren der Diktatur zeigen, daß das Volk in seinen Stimmungen stark schwankte. Man bewegte sich in einem Wechselbad von Euphorie, Nationalstolz und Optimismus einerseits und Depression, Pessimismus und der Angst vor einem Krieg andererseits.

Die Klagen der Arbeiterschaft über hohe Preise und Abgaben sowie über die insgesamt niedrigen, dabei auch noch auseinanderklaffenden Löhne, die schlechte Wohnsituation und Mängel in der Versorgung waren fortwährend zu vernehmen. Die soziale Lage bewirkte eine Orientierung der Menschen auf die unmittelbare Umgebung mit ihren alltäglichen Schwierigkeiten, allgemeinen gesellschaftlichen Problemen, wie etwa der Unterdrückung von Minderheiten, wurde kaum Aufmerksamkeit zugewendet.

Während der Rohstoff- und Devisenkrise 1935/36 entschied sich Hitler für zukünftige Eroberungen und gab von nun an der Rüstung den absoluten Vorrang.

Umformung zur Kriegswirtschaft

Der Vierjahresplan vom Herbst 1936 ließ deutlich die Kriegsvorbereitungen erkennen. In einer Denkschrift forderte Hitler:

„I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.
II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein.“[74]

Der Umbau der Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft hatte nicht nur für den Staat Folgen, dessen Verschuldung immer mehr zunahm und einen Krieg auch aus ökonomischer Sicht erforderlich scheinen ließ. Immer deutlicher traten die Gegensätze zwischen zivilen und militärischen Produktionsbetrieben zutage. Dies hatte auch Konsequenzen für die Arbeiter. Die zivile Wirtschaft blieb weit hinter den Zuwachsraten der Rüstungsindustrie zurück. Entsprechend entwickelten sich die Einkommen. Auch die sozialen Unterschiede zwischen bessergestellten Rüstungsarbeitern und den benachteiligten Arbeitern wuchsen weiter. Enorme Einkommensunterschiede waren zu beobachten.

Preissteigerungen und sinkende Löhne ließen die Realeinkommen der Mehrzahl der Arbeiter bis 1935/36 weiter stagnieren.[75] Die unteren Einkommensempfänger wie Arbeitslose oder Hilfsarbeiter waren von dieser Entwicklung besonders betroffen. Die Arbeiterschaft litt weiterhin unter den hohen Lebensmittelpreisen.

Der einsetzende Rüstungsboom hatte 1936 einen weiteren Konjunkturaufschwung zur Folge, der die Zahl der Arbeitslosen auf 1.03 Mio. verringerte.[76] Bis 1938 konnte die Arbeitslosigkeit auf 0.4 Mio. gesenkt werden. Von diesen Erfolgsmeldungen blieb jedoch die Bevölkerung weitestgehend unbeeindruckt. Propagandameldungen verhallten immer mehr. Ein Abstumpfungsprozeß hatte längst eingesetzt.

Das Sinken der Arbeitslosenzahlen war auch mit negativen Konsequenzen sowohl für den Staat als auch für die Arbeiterschaft verbunden. In manchen Produktionsbereichen setzte ein Arbeitskräftemangel ein. Viele Betriebe warben Facharbeiter durch höhere Löhne ab. Diese Lohnerhöhungen setzten das Regime, das Kostenerhöhungen vermeiden wollte, unter Druck. 1936 wurde daher ein Abwerbungsverbot erlassen. Der Beschäftigungsstand, die Löhne und das Volkseinkommen erreichten erst 1936/1937 die Werte von 1929. Die 1938 abgeschaffte freie Wahl des Arbeitsplatzes bedeutete eine zusätzliche Reglementierung.

Positiv wurden dagegen die Freizeitangebote der KDF- Organisation beurteilt und angenommen. Zum erstenmal konnten Arbeiter Urlaubsreisen unternehmen, die bis dahin dem Bürgertum vorbehalten waren. Diese Vergünstigungen sollten aber auch von den sozialen Mißständen ablenken und das Augenmerk auf den Freizeitbereich lenken. Übersehen werden darf auch nicht, daß nur wenige Arbeiter - insbesondere solche, die als politisch „zuverlässig“ galten - von den Vergünstigungen profitierten.

In manchen Kreisen der Arbeiterschaft wuchs die Tendenz zu Aktionen gemeinschaftlichen Widerstands. In den Jahren 1935 - 1937 registrierte der Sicherheitsdienst über 600 Streiks mit einer Beteiligung von mindestens 22.000 Personen.[77] Diese Streikbewegung war „... die Folge von Armut, Entbehrung, Not, schlechten Arbeitsbedingungen und schlechter Behandlung“[78], konnte jedoch an den bestehenden Verhältnissen definitiv nichts ändern.

Zusammenfassung

Ein vorrangiges Ziel der Nationalsozialisten war es, eine „völkische Leistungsgemeinschaft“ zu verwirklichen. Die Stimmung der Arbeiterschaft war 1933 infolge der Weltwirtschaftskrise von einer negativen Grundhaltung geprägt. Armut, Elend und Hoffnungslosigkeit waren weit verbreitet. Nach der Machtergreifung wurden soziale und politische Strukturen der Arbeiterschaft zerschlagen und durch Zwangsstrukturen ersetzt. Das propagierte Arbeitsethos und Zwangsmaßnahmen waren wichtige Mittel zur Realisierung der Volks- und Leistungsgemeinschaft. Eine Verweigerungshaltung diesen Strukturen gegenüber konnte schnell zu Repressionen - bis hin zum Abtransport ins Konzentrationslager - führen. Die Arbeiterschaft sah sich - die Terrorwelle der ersten Monate nach der Machtergreifung hatte man nicht vergessen - einer permanenten Bedrohung ausgesetzt. Mangelndes Selbstbewußtsein der Arbeiter begünstigte den Terror der Nationalsozialisten.

In den ersten Jahren nach der Machtübernahme gelang es, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und durch die einsetzende Rüstungswirtschaft das System zu stabilisieren. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit führte jedoch zu keiner Stimmungs- und Einstellungsveränderung unter den Arbeitern. Der Ausbau der Kriegswirtschaft war mit tiefgreifenden Einschnitten verbunden. Es kam zu beträchtlichen Einkommensunterschieden zwischen den Arbeitern in der zivilen Wirtschaft und in der Rüstungsindustrie und somit zu einem zunehmenden Stadt- Land- Gefälle. Die sozialen Unterschiede nahmen beträchtlich zu und führten zur Spaltung der Arbeiterschaft.

Ihre allgemeine Verelendung blieb aus, aber nur bei einem kleinen Teil waren Einkommenszuwächse zu verzeichnen. Großteils wurden die geringen Lohnsteigerungen durch Preiserhöhungen wieder ausgeglichen. Nach kurzen hoffnungsvollen Phasen verfielen die Arbeiter immer wieder in Apathie und Depression und sahen sich den politischen Strukturen ausgeliefert. Die Folge war, daß man sich zunehmend auf den Privatbereich, das „unmittelbar Wahrzunehmende“[79] und auf materielle Werte konzentrierte. Nicht „... die Ablösung des Bewußtseins vom `Sein´, sondern ganz im Gegenteil die überstarke Fixierung auf das `Sein´ermöglichte die `Eindämmung´(Tim Mason) der Arbeiterschaft.“[80]

Der Widerspruch zwischen einer beschönigenden Propaganda und repressiven politischen Aktionen verstärkten Apathie und Orientierungslosigkeit. Dies bewirkte jedoch auch, daß Wunschvorstellungen auf die Person Hitlers projiziert wurden und der Hitler-Mythos damit verstärkt wurde. Formen der Resistenz, wie sie seit der Krise von 1935/36 zu beobachten waren, mündeten lediglich in spontanen Aktionen wie Arbeitsniederlegungen oder Verweigerungen, da organisierter Widerstand strengstens unterbunden wurde.

Morsch konstatiert, die Arbeiterschaft habe seit der nationalsozialistischen Machtergreifung eine „negative Integration“[81] erfahren. Zwar war die Gefahr des Widerstands aus Arbeiterkreisen weitgehend gebannt, doch beruhte dies auf Unterdrückung, nicht auf Überzeugung. Die Weltanschauung der Arbeiterschaft war stark materialistisch orientiert. Als wichtigste Faktoren bestimmten daher die Preis- und Lohnentwicklung ihre Stimmung. Die nationalsozialistische Ideologie dürfte sich in diesen Kreisen somit nicht manifestiert haben. Statt dessen waren liberaler und marxistischer Geist unter den Arbeitern weiterhin verbreitet. Einzelne Nationalsozialisten befürchteten gar ein Eindringen dieses Gedankengutes in die eigenen Institutionen. Dies zeigt, daß die nationalsozialistische Ideologie bei einem nicht geringen Teil der Arbeiterschaft ein Oberflächen- und Äußerlichkeitsphänomen darstellte.

Auch Elser konnte sich, wie noch zu zeigen sein wird, über nationalsozialistisches Gedankengut nicht äußern. Offensichtlich hatte auch er nationalsozialistische Maxime, wie sie durch die Propaganda vermittelt wurden, nicht „verinnerlicht“.

Äußerlich teilte er zwar die resignative Grundhaltung der meisten Arbeiter, im Gegensatz zu ihnen wollte er sich mit den bestehenden Verhältnissen jedoch nicht abfinden, sondern suchte seine “individuelle Lösung“, um das in seinen Augen arbeiterfeindliche System zu beseitigen.

1.2.2 Hitlers Weg in den Krieg

Aufgrund seiner Betrachtungen der außenpolitischen Situation war Elser, wie seinen Aussagen im Gestapo-Verhör zu entnehmen ist, bis Herbst 1938 zu der Überzeugung gelangt, „... daß ein Krieg unvermeidbar sei.“[82] Die Verhinderung dieses drohenden Krieges war in seiner Rückschau ein zentrales Motiv seiner Tat. Elser sollte mit seiner Beurteilung der Außenpolitik recht behalten, auch wenn er diese Entwicklung mit letzter Sicherheit wohl nicht hatte vorhersehen können. Wie reflektiert er die damalige Situation beurteilte, entzieht sich letztlich unserer Kenntnis, da seine Stellungnahme erst nach dem Angriff auf Polen erfolgte. Wie umfangreich er sich über die außenpolitischen Ereignisse informiert hatte, geht aus dem Protokoll ebenfalls nicht hervor. Setzt man voraus, daß für Elser tatsächlich der drohende Krieg ein Motiv war, Hitler zu beseitigen, muß man sich mit der Außenpolitik Hitlers auseinandersetzen. Dabei ist zu untersuchen, ob aus Sicht der Bevölkerungsgruppe, der Elser angehörte, die außenpolitische Entwicklung der Jahre 1933 bis 1939 einen Krieg wahrscheinlich machte.

Ziel dieses Kapitels wird es sein, die nationalsozialistische Außenpolitik bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges darzustellen. Zunächst möchte ich auf die ihr zugrundeliegenden Axiome kurz eingehen. In einem weiteren Schritt skizziere ich den Weg dieser Außenpolitik, die in einer aggressiven Expansion und schließlich in der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges mündete.

Wenn Elser von der Kriegsangst während der Sudetenkrise berichtet, verweist er damit auf typische Stimmungen und Einstellungen der Bevölkerung, die in meine Abhandlung einbezogen werden sollen. Die vorhandene Literatur ermöglichte mir einen Einblick in Stimmungstendenzen der Bevölkerung bis 1937. Die beschriebene Stimmungsbandbreite dürfte sich meines Erachtens bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges fortgesetzt haben. Letztlich soll mit diesem Kapitel belegt werden, daß Elser die weltpolitische Lage und die drohende Kriegsgefahr realistisch einschätzte, auch wenn wenig darüber bekannt ist, wie er zu seinem Urteil kam.

Nationalsozialistische Außenpolitik bis zur Expansion

Die Grundzüge der Außenpolitik Hitlers waren lange vor seiner Machtergreifung in seinem Buch „Mein Kampf“ formuliert. Seine rassistische und totalitäre Weltanschauung gehörten von Anfang an zum politischen Programm. Die Schwerpunkte seiner Außenpolitik konzentrierten sich auf die Revision des Versailler Vertrages, die Schaffung eines völkischen Staates und neuen Lebensraumes im Osten. Hitler verlor diese Zielsetzungen nie aus den Augen. Er mußte jedoch Umwege in Kauf nehmen, um sie realisieren zu können. Nach der Machtergreifung sah er seine Aufgabe zunächst darin, sein totalitäres Regime im Innern abzusichern. „Zunächst muß Deutschland nationalsozialistisch werden, dies dauere etwa 4 Jahre, erst dann könne man sich um die Außenpolitik kümmern.“[83] Diese Aussage macht die Verknüpfung zwischen totalitärer Innen- und Außenpolitik deutlich. Schon bald nach seiner Machtergreifung überwand Hitler die Revisionspolitik der Weimarer Republik, wie sie Stresemann geprägt hatte. Seine Bestrebungen zielten zum einen darauf, die Anerkennung des Auslandes zu gewinnen, zum anderen „... begann schon die Taktik der dosierten Drohungen, überraschender Sonderaktionen und vollzogener Tatsachen.“[84]

Bis 1935 konnte Hitler keine gravierenden außenpolitischen Erfolge verbuchen. Innenpolitisch gelang es ihm dennoch, seine Machtstellung zu festigen. Der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 war ein erster Schlag gegen die Versailler Vereinbarungen und erbrachte eine breite innenpolitische Zustimmung. Hitler versprach sich davon einen größeren Handlungsspielraum in der Durchsetzung seiner Ziele. Seine Absichten, die Aufrüstung zu forcieren, wurden nun offen propagiert.

Die Appeasement-Politik der Westmächte hatte wesentlichen Anteil daran, daß Hitler diese frühen Vorstöße, ohne dabei auf großen Gegendruck zu stoßen, führen konnte. England und Frankreich nahmen die Entwicklungen zwar mit Besorgnis zur Kenntnis, sie waren aber zu einer abgestimmten und konsequenten Reaktion nicht fähig.[85] Die Westmächte verfielen dem Irrglauben, dem Nationalsozialismus mit friedlichen Mitteln und Zugeständnissen Einhalt gebieten zu können. Das Hitlerregime fand auch deshalb Akzeptanz, da es als „Bollwerk gegen den Kommunismus“[86] betrachtet wurde. Diese These sollte sich als Irrtum erweisen, da Hitler im Zuge seiner innenpolitischen Machtstabilisierung zunehmend bereit war, außenpolitische Orientierungen zu wechseln, um seine eigenen ideologischen Ziele verwirklichen zu können. Seine anfängliche Zusammenarbeit mit Polen (Nichtangriffspakt vom Januar 1934) und Rußland (Verlängerung des Berliner Vertrages im Mai 1933) zeigen, wie manövrierfähig er in seinen außenpolitischen Aktionen sein konnte.

Ein erster offensiver Versuch, in den Jahren 1933/34 den Anschluß Österreichs durch einen Putsch zu erzwingen und damit die Maxime der Friedensverträge von 1919 außer Kraft zu setzen, mißlang. Mussolini ließ im Sommer 1934 Truppen an der Grenze zu Österreich aufmarschieren. Italien, Ungarn, England und Frankreich bekräftigten, „... die Unabhängigkeit und Integrität Österreichs.“[87] Der Versuch, Frankreich durch Bündnisse mit Italien und England politisch zu isolieren, scheiterte.[88] Das Dritte Reich befand sich bis 1935 in einer außenpolitischen Sackgasse.

Hitlers Propaganda zielte in dieser Phase darauf, bei der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, daß er die Revisionspolitik Weimarer Prägung fortsetzen werde. Ziele wie eine Verringerung der Reparationen, die Aufhebung der Rüstungsbeschränkungen und die Zurückgewinnung der verlorengegangenen deutschen Gebiete stießen im Volk auf breite Zustimmung. Die außenpolitische Isolation im Frühjahr 1935 ließ aber auch Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg wach werden. Es herrschte vor allem die Angst vor einer Einkreisung Deutschlands. Die Mehrheit der Deutschen strebte mit friedlichen Mitteln nach einer gleichberechtigten Stellung gegenüber anderen Staaten. Hitler nutzte diese Stimmung, propagierte seine Friedensabsichten und gab dem Ausland die Schuld für die Mißstimmungen. Im Volk dagegen erklärte man sich die Haltung des Auslandes mit einer weit verbreiteten antideutschen Einstellung.[89] Der größte Teil der Bevölkerung verkannte die aggressiven Zielsetzungen Hitlers.

Auch das Ausland schätzte diese Politik falsch ein. So vereitelte die Appeasement-Politik Englands die Entstehung einer antinationalsozialistischen Koalition. Sie forderte Hitler geradezu heraus, neue Schläge gegen die „politisch wie rassisch“[90] dekadenten Demokratien zu führen. Selbst England bestand nicht mehr auf die konsequente Einhaltung des Versailler Vertrages. Man war zu Konzessionen bereit, auch was Rüstungsfragen betraf. Überraschend verkündete Hitler am 16. März 1935 die allgemeine Wehrpflicht und gab den Ausbau der Luftwaffe bekannt. Die Rüstungsanstrengungen verstärkten sich enorm. Eine angemessene Reaktion der Westmächte auf diesen offenen Bruch der Versailler Verträge blieb aus. Statt dessen versuchte England, das Deutsche Reich mit dem deutsch-britischen Flottenabkommen vom Juni 1935 vertraglich zu binden.

Innerhalb der Bevölkerung registrierte man diese Politik der Stärke auf unterschiedliche Art und Weise. Viele begrüßten die Einführung der Wehrpflicht als Schritt zur Gleichberechtigung und Selbstbehauptung. Speziell in der Arbeiterschaft war man jedoch auch verbittert über diese Entwicklung. So machte man „... die Rüstung für die schlechte soziale Lage verantwortlich und forderte, die Riesensummen besser für die Erhöhung der Löhne auszugeben.“[91]

Auch bei Frauen, Veteranen des Ersten Weltkrieges und einem Teil der Jugendlichen war man über die Aufrüstung und das erstarkte Soldatentum nur wenig erfreut.[92] Obwohl die Mehrheit der Revisionspolitik Hitlers zustimmte, hatten viele auch Angst vor den Folgen der Aufrüstung. Die Erinnerungen an die Entwicklung, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte, spielten

bei dieser Angst mit eine Rolle. Die Mehrheit der Bevölkerung wünschte sich Anfang 1935 sogar eine Rückkehr Deutschlands in das internationale Sicherheitssystem, da sonst eine Annäherung an das Ausland unmöglich und die Gefahr eines Krieges wahrscheinlicher wäre.[93] Einerseits bewunderte man die Außenpolitik Hitlers, die die Nation zu neuer Größe führte, andererseits wollte man Verständigung und lebte auch mit der immer wiederkehrenden Angst vor einem drohenden Krieg. Vor allem die Unterzeichnung des russisch-französischen Beistandspaktes im Mai 1935, der erst Ende Februar 1936 ratifiziert wurde, führte zu großen Kriegsängsten in der Bevölkerung.[94] Hitler zerstreute diese Ängste immer wieder mit neuen Friedensbeteuerungen. Frankreich hingegen wurde als Betreiber einer Einkreisungspolitik angesehen.

Mussolinis imperialistische Bestrebungen, die mit dem Krieg gegen Abessinien begannen, ermunterten Hitler zu neuen Aktionen. England und Frankreich gelangten auch in der Abessinienfrage zu keinen einheitlichen Positionen. Die Handlungsunfähigkeit der Demokratien hatte einen erheblichen Prestigeverlust zur Folge und „... bedeutete praktisch das Ende des Völkerbundes.“[95] Frankreichs Kräfte konzentrierten sich zudem auf innenpolitische Vorgänge. Die Wirtschaft stagnierte, außerdem gab es auch hier faschistische Kräfte, die das Land politisch instabil machten. Das wachsende Ansehen der Diktatoren irritierte viele Franzosen und ließ auch Gefühle der Bewunderung aufkommen.

Hitler wußte die Situation zu nutzen und marschierte am 8. Mai 1936 in das entmilitarisierte Rheinland ein. Auch in Zusammenhang mit diesem Ereignis prägten Gefühle der Kriegsangst einerseits, des Nationalstolzes andererseits die Stimmung der deutschen Bevölkerung.[96]

Die Besetzung bedeutete den Bruch der Verträge von Locarno und Versailles. Auch diesmal blieb es bei Protesten Englands und Frankreichs. Bei einem großen Teil der Bevölkerung im Deutschen Reich waren diese Aktionen nicht unpopulär. Bei den Reichstagswahlen im März 1936 errechnete man erstmals einen Anteil von 99% der Stimmen für die NSDAP. Dieses Ergebnis wurde dahingehend interpretiert, daß Hitler das Volk nunmehr „geschlossen“ hinter sich habe vereinen können.

[...]


[1] Hoch, Anton; Gruchmann, Lothar: Georg Elser: Der Attentäter aus dem Volke - Der Anschlag auf Hitler im Bürgerbräu 1939, Frankfurt am Main 1980 (Neuauflage)

[2] vgl. Georg-Elser-Arbeitskreis (Hg.): Gegen Hitler - Gegen den Krieg! Georg Elser - Elsers Attentat auf Hitler am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller, S. 63

[3] vgl. Georg-Elser-Arbeitskreis, S. 63

[4] Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ): J.P. Stern, Der Mann ohne Ideologie, 4. Nov. 1978

[5] FAZ, 4. Nov. 1978

[6] vgl. Georg-Elser-Arbeitskreis, S.17

[7] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.57

[8] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.59

[9] Hoch/Gruchmann, S.166

[10] vgl. Hoch/Gruchmann, S.81

[11] vgl. Gruchmann, Lothar (Hg.): Autobiographie eines Attentäters. Johann Georg Elser. Der Anschlag auf Hitler im Bürgerbräu 1939, Stuttgart, 1989, Neuauflage, S.31

[12] vgl. Gruchmann, S.42

[13] vgl. Ortner, Helmut: Der einsame Attentäter - Der Mann, der Hitler töten wollte, Göttingen 1993, S.89

[14] vgl. Hoch/Gruchmann, S.68

[15] vgl. Ortner, S.91

[16] vgl. Ortner, S.91

[17] vgl. Hoch/Gruchmann, S.71

[18] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.78

[19] vgl. Ortner, S.94

[20] vgl. Gruchmann, Lothar, S.51

[21] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.74

[22] vgl. Hoch/Gruchmann, S.81f.

[23] vgl. Gruchmann, Lothar, S.77: Elser ist sich über das Eintrittsjahr nicht sicher.

[24] vgl. Hoch/Gruchmann, S.75: Elser ist sich in diesem Punkt nicht sicher.

[25] vgl. Hoch/Gruchmann, S.76

[26] vgl. Hoch/Gruchmann, S.91: Der Sohn Elsers lebt heute unter dem Namen Manfred Bühler in Bad Waldsee. Seine Mutter heiratete später.

[27] vgl. Hoch/Gruchmann, S.91 und Georg-Elser-Arbeitskreis, S.13

[28] vgl. Hoch/Gruchmann, S.76

[29] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.79

[30] vgl. Hoch/Gruchmann, S.79

[31] Elser, zit. bei Hoch/Gruchmann, S.80

[32] Elser, zit. bei Ortner, S.114

[33] vgl. Hoch/Gruchmann, S.83

[34] Name wurde auf persönlichen Wusch des Betroffenen geändert.

[35] Gespräch mit Herrn E. aus Königsbronn, 22. Mai 1996

[36] vgl. Ortner, S.118

[37] vgl. Hoch/Gruchmann, S.80

[38] vgl. Ortner, S.119

[39] vgl. Ortner, S.120: Das Gerücht wurde in den Interviews mit mehreren Königsbronnern bestätigt.

[40] Elser, zit. bei Ortner, S.120

[41] vgl. Ortner, S.133

[42] Ein ehemaliger Arbeitskollege Elsers, Wilhelm Fetzer aus Heidenheim, sagte dies in einem Interview am 22.5. 1996 aus.

[43] Gespräch mit Herrn E. aus Königsbronn am 22. Mai 1996

[44] In Kapitel 1.3.1 wird auf Beziehungen innerhalb der Familie ausführlich eingegangen.

[45] Elser, zit. bei Georg-Elser-Arbeitskreis, S.18

[46] vgl. Bracher, Karl Dietrich: Die deutsche Diktatur - Entstehung - Struktur - Folgen des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1979, 6. Auflage, S.359

[47] vgl. Droege, Georg: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1979, 3. Auflage, S.203

[48] vgl. Morsch, Günter, Arbeit und Brot - Studien zu Lage, Stimmung, Einstellung und Verhalten der deutschen Arbeiterschaft 1933 - 1936/37, Frankfurt am Main 1993, S.34

[49] vgl. Morsch, S.37

[50] vgl. Bracher, S.360

[51] vgl. Morsch, S.63

[52] vgl. Morsch, S.63

[53] vgl. Morsch, S.63

[54] vgl. Morsch, S.83

[55] vgl. Morsch, S.82

[56] vgl. Morsch, S.82

[57] Hoegner, Wilhelm, zit. bei Morsch, S.82

[58] vgl. Morsch, S.63

[59] vgl. Morsch, S.76

[60] vgl. Morsch, S.64

[61] vgl. Morsch, S.475

[62] vgl. Morsch, S.72

[63] Gestapo-Stelle Minden, zit. bei Morsch, S.99

[64] Gestapo-Stelle Berlin, zit. bei Morsch, S.99

[65] vgl. Morsch, S.102

[66] vgl. Morsch, S.140

[67] Morsch, S.466

[68] vgl. Morsch, S.147

[69] Morsch, S.206

[70] Morsch, S.321

[71] Morsch, S.324

[72] Gestapo Düsseldorf, 6.9.1935, zit. bei Morsch, S.330

[73] vgl. Morsch, S.322

[74] Alter, Peter u.a.: Grundriß der Geschichte Bd.2, Stuttgart, Berlin, Düsseldorf, Berlin, Leipzig, 1990, S.319

[75] vgl. Morsch, S.464

[76] vgl. Morsch, S.268

[77] vgl. Morsch, S.468

[78] Morsch, S.468

[79] Morsch, S.468

[80] Morsch, S.467

[81] vgl. Morsch, S.210 ff.

[82] Elser, zit. bei Georg-Elser-Arbeitskreis, S.22

[83] Hitler, zit. bei Bracher, S.316

[84] Bracher, S.312

[85] vgl. Bracher, S.317

[86] Bracher, S.317

[87] Bracher, S.320

[88] vgl. Bracher, S.313

[89] vgl. Morsch, S.235

[90] vgl. Bracher, S.330

[91] Morsch, S.235

[92] vgl. Morsch, S.235

[93] vgl. Morsch, S.236

[94] vgl. Morsch, S.389

[95] Bracher, S.324

[96] vgl. Morsch, S.390

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1997
ISBN (eBook)
9783832458744
ISBN (Paperback)
9783838658742
DOI
10.3239/9783832458744
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd – unbekannt
Erscheinungsdatum
2002 (September)
Note
1,0
Schlagworte
attentat erfahrungswelt nachkriegszeit nationalsozialismus widerstand
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Titel: Gegen Hitler und den Krieg: Der Attentäter Johann Georg Elser
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