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Selbstorganisation und Führung - ein Widerspruch?

©2000 Diplomarbeit 95 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Im Fokus der Arbeit steht Selbstorganisation in Arbeitsgruppen und ihre Führung. Es werden zunächst aus psychologischer Perspektive Arbeitsgruppen in Organisationen beschrieben. Ein historischer Überblick über die Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte wird gegeben, dabei wird das heute vorherrschende Menschenbild skizziert.
Um das Konzept der Selbstorganisation für den Leser nachvollziehbar zu machen, wird zunächst der soziotechnische Systemansatz skizziert, der als ein Ansatz der Systemtheorie gilt und das Konzept der Selbstorganisation beinhaltet. Das Konzept der Selbstorganisation wird erläutert und Kriterien der Selbstorganisation werden auf Arbeitsgruppen übertragen.
Mit Hilfe dieser Kriterien für selbstorganisierte Arbeitsgruppen werden Prinzipien alternativer Arbeitsgruppen, die formal führerlos sind, betrachtet. Arbeitsgruppen der Alternativbewegung gelten als Vorläufer für Selbstgestaltungsmöglichkeiten und lehnen herkömmliche hierarchische Führungsstrukturen ab. Alternative Arbeitsgruppen erscheinen in der heutigen Arbeitswelt als Minderheit, weil aktuell wenig über sie publiziert wird. Dieser scheinbaren Minderheit stelle ich teilautonome Arbeitsgruppen gegenüber, die in großen Unternehmen eingeführt wurden und ebenfalls als führerlos gelten. Eine Gegenüberstellung von Selbstorganisation und Führung in diesen Arbeitsgruppen wird vorgenommen.
Da Führung ein komplexer Sachverhalt ist, werden nicht nur einzelne Aspekte von Führung aufgegriffen, sondern Führungskonzeptionen betrachtet.
Erneut bestimmt die systemtheoretische Perspektive die Wahl der dargestellten Führungskonzepte. Systemorientierte Führungskonzepte wie das Konzept der Superführung und Möglichkeiten der Selbststeuerung werden erläutert.
Letztendlich werden die gewonnen Ergebnisse bezüglich der Frage abgewogen, ob Selbstorganisation und Führung ein Widerspruch ist, was eindeutig verneint wird.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
0.Einleitung1
0.1Persönlicher Hintergrund1
0.2Vorgehensweise1
1.Arbeitsgruppen in Organisationen3
1.1Organisation3
1.2Historischer Überblick über die Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte4
1.3Schlussfolgerung7
2.Selbstorganisation8
2.1Annäherung an das Konzept der Selbstorganisation8
2.2Das Konzept der Selbstorganisation9
2.3Der sozio-technische Systemansatz als theoretische Grundlage zur Betrachtung von selbstorganisierten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5841
Puppe, Mirjam: Selbstorganisation und Führung - ein Widerspruch?
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Bremen, Universität, Diplomarbeit, 2000
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http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch?
Inhalt
0.
0.1
0.2
1.
1.1
1.2
1.3
2.
2.1
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.2.5
2.3
2.4
2.5
2.5.1
2.5.2
2.5.3
2.6
Einleitung
Persönlicher Hintergrund
Vorgehensweise
Arbeitsgruppen in Organisationen
Organisation
Historischer Überblick über die Entwicklung arbeits- und
organisationspsychologischer Konzepte
Schlussfolgerungen
Selbstorganisation
Annäherung an das Konzept der Selbstorganisation
Das Konzept der Selbstorganisation
Systemverständnis
Selbstreferenz
Autonomie
Identität
Reflexion
Der sozio-technische Systemansatz als theoretische Grundlage
zur Betrachtung von selbstorganisierten Arbeitsgruppen
Merkmale einer Arbeitsgruppe
Kriterien für selbstorganisierte Arbeitsgruppen
Selbstorganisation als Autonomieprozess
Selbstorganisation als Reflexionsprozess
Fragen zur Überprüfung
Abschließende Bemerkungen
1
1
1
3
3
4
7
8
8
9
10
10
11
12
13
14
20
21
22
23
24
25

3.
3.1
3.1.1
3.1.2
3.2
3.2.1
3.2.2
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
4.
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
Alternative und teilautonome Arbeitsgruppen
Alternative Arbeitsgruppen
Überprüfung alternativer Arbeitsgruppen anhand der Kriterien für
selbstorganisierte Arbeitsgruppen
3.1.1.1 Autonomie
3.1.1.2 Identität
3.1.1.3 Reflexion
3.1.1.4 Redundanz
Zusammenfassende Überlegungen zu Selbstorganisation in
alternativen Arbeitsgruppen
Teilautonome Arbeitsgruppen
Überprüfung teilautonomer Arbeitsgruppen anhand der Kriterien für
selbstorganisierte Arbeitsgruppen
3.1.1.1 Autonomie
3.1.1.2 Identität
3.1.1.3 Reflexion
3.1.1.4 Redundanz
Zusammenfassende Überlegungen zu Selbstorganisation in
teilautonomen Arbeitsgruppen
Selbstorganisation in alternativen und teilautonomen Arbeitsgruppen
­ eine Gegenüberstellung
Selbstorganisation als Autonomieprozess
Selbstorganisation als Reflexionsprozess
Führung in alternativen und teilautonomen Arbeitsgruppen
Führung selbstorganisierter Arbeitsgruppen
Führungskonzeptionen
Führungsphilosophie
Führungsstil
Führungstechniken
4.1.3.1 Management by Objektives: Führen durch Zielvereinbarung
Führungskonzeptionen im Wandel der Betrachtungsweise
27
28
29
29
32
34
34
35
36
37
37
40
43
44
44
46
46
47
48
50
52
53
53
56
57
58

4.2
4.2.1
4.3
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.5
4.5.1
4.5.2
5.
5.1
5.2
Das Konzept der systemischen Führung
Eine systemische Führungskraft
Begriffswandel: von `Führung` zu `Selbststeuerung`
Das Konzept der Superführung
Wurzeln des Konzepts der Superführung
4.4.1.1 Der sozio-technische Systemansatz
im Rahmen des Konzepts der Superführung
4.4.1.2 Die soziale Lerntheorie
im Rahmen des Konzepts der Superführung
Superführung: Wie geht das?
4.4.2.1 W. L. Gore & Associates ­ eine Organisation als Superteam
Abschließende Bemerkungen zum Konzept der Superführung
Selbststeuerung
Die S
CHATTENHOFER
-Studie: Selbstorganisation und Gruppe
4.5.1.1 Ergebnisse der Studie in Bezug auf Führung
selbstorganisierter Gruppen
4.5.1.2 Ergebnisse der Studie in Bezug auf Selbststeuerung
selbstorganisierter Gruppen
4.5.1.3 Ergebnisse der Studie in Bezug auf Leitung
selbstorganisierter Gruppen
Abschließende Bemerkungen zur Selbststeuerung
Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch?
Fazit
Ausblick
Literaturverzeichnis
59
59
62
63
64
64
66
67
68
69
70
70
72
72
74
75
76
76
79
82

Abbildungsverzeichnis
Abb. 1
Führung in alternativen Arbeitsgruppen
48
Abb. 2
Führung in teilautonomen Arbeitsgruppen
49
Abb. 3
Skala der sieben Führungsstile nach T
ANNENBAUM
/S
CHMIDT
54

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 1
0. Einleitung
0.1 Persönlicher
Hintergrund
Mich faszinieren Gruppen, die formal keine Führung aufweisen und dennoch funk-
tionieren, wie zum Beispiel ein Vorbereitungsteam einer Jugendfreizeit, eine studen-
tische Arbeitsgruppe an einer Universität oder eine selbstorganisierte Arbeitsgruppe
in einer Organisation.
Die Schulung von Führungskräften kann über den Erfolg oder Misserfolg
1
neuer
Arbeitskonzepte entscheiden (vgl. M
ANZ
& S
IMS
1995b, 37). Aufgrund persönlicher
Erfahrungen bei der Leitung von Lerngruppen und in der Personalentwicklung be-
schäftigt mich die Frage, wie die erfolgreiche Leitung einer Gruppe aussehen kann,
die formal ohne Führung ist, also keine formale hierarchische Struktur aufweist.
Für meine berufliche Zukunft ist ein detailliertes Verständnis von Gruppen in Or-
ganisationen hilfreich. Große Unternehmen streben eine Entflechtung ihrer Hierar-
chieebenen an und suchen nach selbststeuernden Arbeitsformen (vgl. P
ÜHL
1994,
65). Mein besonderes Interesse gilt dabei der Selbstorganisation in Arbeitsgruppen
und ihrer Führung.
0.2 Vorgehensweise
Im ersten Kapitel stelle ich dar, wie aus psychologischer Perspektive Arbeitsgruppen
in Organisationen beschrieben werden können. Dabei gebe ich einen historischen
Überblick über die Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte
und erläutere meine theoretische Grundlage zur Betrachtung von Selbstorganisation
in Arbeitsgruppen.
Im zweiten Kapitel schließe ich theoriegeleitete Überlegungen an in Bezug auf
selbstorganisierte Gruppen in Organisationen und übertrage Kriterien der Selbstor-
ganisation auf Arbeitsgruppen.
Klassische Ansätze
2
gehen davon aus, dass Organisationen geschlossene Systeme
sind, einen abstrakten Organisationsplan haben und über ein von oben nach unten
1
Ich verwende in dieser Arbeit die neue Form der Rechtschreibung. Zitate werden im Original, also in
alter Rechtschreibung, wiedergegeben.
2
In W
EINERT
(1998) findet sich ein Überblick über klassische Ansätze mit historischer Sichtweise,
darunter fallen das ,,Scientific Management" nach T
AYLOR
, das ,,Administrative Management" nach
G
ULICK
& U
RWICK
und die ,,Bürokratische Schule" nach W
EBER
, in denen eine klassische, hierarchi-
sche Weisungs- und Entscheidungsstruktur von oben nach unten vorherrscht.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 2
verlaufendes Autoritätssystem und daher über eine Hierarchie verfügen. Sie sind
m.E.
3
für die Betrachtung von Führung selbstorganisierter Arbeitsgruppen ungeeig-
net, da ich davon ausgehe, dass selbstorganisierte Arbeitsgruppen formal keine klas-
sischen hierarchischen Strukturen aufweisen. Demgegenüber stehen theoretische An-
sätze, die im Sinne einer allgemeinen Systemtheorie von offenen Systemen und Pro-
zessen ausgehen (vgl. W
EINERT
1998, 526). Der sozio-technische Systemansatz gilt
als ein Ansatz der Systemtheorie und beinhaltet das Konzept der Selbstorganisation.
Theoretische Grundzüge des Konzepts der Selbstorganisation werden erläutert.
Mit Hilfe von Kriterien für selbstorganisierte Arbeitsgruppen betrachte ich im
dritten Kapitel Prinzipien alternativer Arbeitsgruppen, die formal führerlos sind (vgl.
P
ÜHL
1993, 10). Alternative Arbeitsgruppen erscheinen in der heutigen Arbeitswelt
als Minderheit, weil aktuell wenig über sie publiziert wird. Dieser (scheinbaren?)
Minderheit stelle ich teilautonome Arbeitsgruppen gegenüber, die in großen Unter-
nehmen eingeführt wurden und ebenfalls als führerlos gelten (vgl. R
OSENSTIEL
1987,
98), um dem arbeits- und organisationspsychologischen Schwerpunkt dieser Arbeit
gerecht zu werden. Dabei verwende ich Autoren und Autorinnen, die aus verschiede-
nen Untersuchungen zentrale Ergebnisse zusammengetragen haben und mache sie
anhand von Beispielen deutlich. Mit einer Gegenüberstellung von Selbstorganisation
und Führung in diesen Arbeitsgruppenformen schließt das Kapitel ab.
Das vierte Kapitel sucht Antworten auf Fragen nach dem, was Führung selbstor-
ganisierter Arbeitsgruppen ausmacht. Da Führung ein komplexer Sachverhalt ist,
greife ich nicht einzelne Aspekte von Führung auf, sondern betrachte Führungskon-
zeptionen. Für die Betrachtung von Führung wähle ich erneut eine systemtheoreti-
sche Perspektive und stelle Verbindungen zum Konzept der Selbstorganisation her.
Systemorientierte Führungskonzepte und Möglichkeiten der Selbststeuerung werden
erläutert.
In Kapitel fünf betrachte ich die gewonnenen Ergebnisse bezüglich der Frage, ob
Selbstorganisation und Führung ein Widerspruch ist.
3
m.E. = meines Erachtens

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 3
1. Arbeitsgruppen in Organisationen
Einleitend kläre ich, was aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht unter
einer Organisation und einer Arbeitsgruppe verstanden wird. Die Arbeits- und Orga-
nisationspsychologie bietet einen geeigneten Hintergrund, weil sie wie keine andere
Disziplin der Psychologie Veränderungen von Organisations- und Arbeitsformen,
Arbeitsrollen und Arbeitsbeziehungen beschreibt. Anhand eines historischen Über-
blicks über die Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte
mache ich deutlich, dass sich Arbeits- und Organisationspsychologie nicht mehr
trennen lassen. Daraus ergibt sich die theoretische Grundlage zur Betrachtung selbst-
organisierter Arbeitsgruppen in dieser Arbeit.
Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen eines Mitglieds einer Arbeitsgruppe
werden durch andere Mitglieder beeinflusst. Durch eine sozialpsychologische Per-
spektive wird das Verständnis für Arbeitsgruppen ergänzt und vertieft.
1.1 Organisation
Die Organisationspsychologen L
UTZ VON
R
OSENSTIEL
, W
ALTER
M
OLT
und B
RUNO
R
ÜTTINGER
(1995) nutzen das Zweckmodell, um eine Organisation zu beschreiben:
Eine Organisation ist demnach ein offenes System, permanent angelegt, verfolgt spe-
zifische Ziele, ist ein soziales Gebilde und weist Strukturen auf, die im Regelfall
durch Hierarchie und Arbeitsteilung gekennzeichnet sind (vgl. R
OSENSTIEL
et al.
1995, 24f.). Eine andere Sichtweise von Organisation entsteht nach R
OSENSTIEL
et al.
dadurch, Organisation als Kultur zu interpretieren. Dabei wird ,,das Verhalten der
Organisationsmitglieder nicht als Mittel zu dem Zweck gesehen, die Organisations-
ziele in möglichst ökonomischer Weise zu erreichen, ... statt dessen als Ausdruck
gemeinsam geteilter Werthaltungen und Selbstverständlichkeiten, die häufig ... gar
nicht bewußt wahrgenommen und reflektiert werden" (ebd., 26). Eine Organisations-
kultur führt den Autoren zufolge ,,dann zu bereits bewußtseinsfähigen Werten und
Präferenzen ... dann wiederum zu sichtbaren ... Schöpfungen ... wie z.B. zu Produk-
tionsmethoden, Organisationsstrukturen, ..." (ebd., 26).
Nach einem anderen Organisationspsychologen, A
NSFRIED
B. W
EINERT
(1998),
bestehen Organisationen aus sozialen Gruppen, die sowohl den Zielen der Organisa-
tion als auch den individuellen Bedürfnissen der Organisationsmitglieder dienen.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 4
,,Neben der von der Organisation vorgenommenen formalen Einteilung der Mitarbei-
ter in Gruppen, Abteilungen und Bereiche, ... besteht demnach im einzelnen Mitar-
beiter ein Bedürfnis, sozialen `informalen` Gruppen anzugehören" (W
EINERT
1998,
411).
Aus organisationspsychologischer Sicht ist eine Organisation ein offenes System.
Sie ist ein soziales Gebilde, in dem durch Organisationsmitglieder eine Organisa-
tionsstruktur entsteht (oftmals in Form von hierarchischen Strukturen, Abteilungen,
Arbeitsgruppen, informalen Gruppen), die den Zielen der Organisation und den indi-
viduellen Bedürfnissen dient. Eine Organisation besteht demzufolge aus sozialen
Gruppen, in denen Verhalten als Ausdruck gemeinsam geteilter Werthaltungen und
Selbstverständlichkeiten gilt.
Zu Beginn dieser Arbeit betone ich eine organisationspsychologische Perspektive,
weil ich bisher nur Aussagen über Organisationsgestaltung gemacht habe. Im weite-
ren Verlauf interessiert mich die Arbeitsgestaltung, also eine arbeitspsychologische
Perspektive. Dass eine Trennung von Arbeits- und Organisationspsychologie m.E.
nicht aufrecht zu erhalten ist, weil die Beziehungen zwischen Arbeits- und Organisa-
tionsgestaltung sehr eng sind, möchte ich anhand eines historischen Überblicks über
die Entwicklung arbeits- und organisationspsychologischer Konzepte deutlich ma-
chen.
1.2 Historischer Überblick über die Entwicklung arbeits- und organisations-
psychologischer Konzepte
4
In der Literatur finden sich drei Phasen in der Entwicklung arbeits- und organisa-
tionspsychologischer Konzepte, die überwiegend durch unterschiedliche Menschen-
bilder gekennzeichnet sind. In der ersten Phase findet sich das Bild des `economic
man`
5
, das sich bis Ende der zwanziger Jahre hielt. Es wurde angenommen, der
Mensch sei verantwortungsscheu, hauptsächlich durch monetäre Anreize motivierbar
und strebe nach größtmöglichem Gewinn. Es gab weitgehende Arbeits- und Voll-
machtenteilung und der Betrieb wurde als technisches System verstanden, an den der
Mensch anzupassen war. Durch die Hawthorne-Studien Anfang der dreißiger Jahre
rückten soziale Motivationen in den Vordergrund. Das menschliche Verhalten werde
4
Eine detaillierte Beschreibung historischer Positionen findet sich in U
LICH
(1998).

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 5
von den Normen seiner (Arbeits-)Gruppe bestimmt. Man spricht von `social man`
6
als Menschenbild. Der Betrieb wurde als soziales System verstanden und Informati-
ons- und Kommunikationsprozesse wurden besonders beachtet. W
EINERT
zufolge
zeigen die Hawthorne-Studien,
welchen enormen Einfluß soziale Gruppen auf das Verhalten von Mitarbeitern im Orga-
nisationsgeschehen haben. ... Aus der Erkenntnis, daß die soziale Gruppe und die Grup-
penprozesse offensichtlich sowohl die Arbeitsleistung selbst, als auch die Anpassung des
Mitarbeiters an die Arbeitssituation, beeinflussen, wurde geschlossen, daß Gruppen
`
in-
strumentell` sind, und daß sie eine Vielzahl von Funktionen für den Mitarbeiter und die
Organisation erfüllen. (
W
EINERT
1998, 348)
Weiter beschreibt
W
EINERT
, dass eine ,,Neu- und Umorientierung vom einzelnen
Mitarbeiter zur Gruppe als Grundbaustein der Organisation" stattfindet und das
,,vermittelt der Gruppe im zukünftigen Arbeitsleben einen einzigartigen Stellenwert"
(ebd., 349). Die Erkenntnisse der Hawthorne-Studien wurden zum Ausgangspunkt
der sog. Human-Relations-Bewegung. Deren Ziel war die Verbesserung der zwi-
schenmenschlichen Beziehungen innerhalb von Arbeitsgruppen sowie zwischen Mit-
arbeitern und Vorgesetzten. Gegen Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre
entsteht die dritte Phase. ,,Humanisierung der Arbeit", ,,menschengerechte Gestal-
tung des Arbeitsplatzes", ,,Verbesserung der Qualität der Arbeit" sind Schlagworte
aus dieser Zeit (M
AIER
1977, 1). Im Zuge der Humanisierung und Verbesserung der
Qualität des Arbeitslebens entstanden Konzepte, um den Handlungsspielraum der
Beteiligten zu erweitern, zum Beispiel durch Arbeitsplatzrotation und Aufgabener-
weiterung. Das Menschenbild wird `selfactualizing man`
7
genannt und ist durch das
menschliche Streben nach Selbstverwirklichung, Autonomie und Selbstkontrolle ge-
prägt. Veränderungen von Arbeits- und Organisationsstrukturen rücken in den Mit-
telpunkt. Das soziale System ist nicht vom technischen zu trennen und der Betrieb
wird als sozio-technisches System verstanden (vgl.
U
LICH
1998, 5 ff.). Seit diesem
Verständnis ist ,,die strikte Trennung von Arbeits- und Organisationspsychologie
kaum mehr aufrechtzuerhalten" (ebd., 47).
5
economic = (volks-)wirtschaftlich, marktgerecht
6
social = gesellschaftlich, sozial
7
selfactualizing = Selbstverwirklichung

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 6
Der inzwischen emeritierte Professor für Arbeitspsychologie E
BERHARD
U
LICH
schreibt 1998, dass seit Ende der siebziger Jahre deutlich wird, dass derartige Men-
schenbilder die Realität nur unzureichend abbilden und inter- und intraindividuelle
Differenzen berücksichtigt werden müssen. Es geht um den `complex man`
8
und die
Bedeutung für die Arbeitsgestaltung (vgl. ebd., 6). Menschen und ihre Arbeit sind zu
komplex, als dass sie durch ein Konzept erfasst werden könnten. Deshalb wird das
Menschenbild des `complex man` von drei sich überlappenden und ergänzenden
Konzepten geprägt (vgl. ebd., 58): zum einen vom Konzept der sozio-technischen
Systemgestaltung, das an K
URT
L
EWIN
(1920) anknüpft und eine gemeinsame Opti-
mierung des sozialen und technischen Systems anstrebt, zum anderen vom Konzept
der Aufgabengestaltung nach H
ACKMAN
und O
LDHAM
(1976), das Hinweise auf mo-
tivationsförderliche Gestaltung von Arbeitsaufgaben liefert und vom Konzept der
persönlichkeitsförderlichen Arbeitsgestaltung.
9
Für die Betrachtung von selbstorganisierten Arbeitsgruppen ist interessant zu wis-
sen, dass schon O
TTO
L
IPMANN
(1932) in der ersten Phase
erkannte, dass ,,dem Ar-
beiter die Gestaltung seiner Arbeit, die Wahl der Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden
in möglichst hohem Grade überlassen bleiben soll" (L
IPMANN
1932, 191, zitiert nach
U
LICH
1998, 33 f.). A.H. M
ASLOW
(1976), ein Vertreter des Menschenbilds `self-
actualizing man`, hat ein Modell der Bedürfnishierarchie erstellt. An oberster Stelle
steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Nach U
LICH
ist bedeutsam, ,,dass er
den Aspekt der Selbstverwirklichung des Menschen als Zielvorstellung formuliert
und damit ­ auch in Wirtschaftsunternehmen ­ eine anhaltende Diskussion ausgelöst
hat" (ebd., 42). Auswirkungen dieses Menschenbildes zeigen sich in einem Grund-
satz des Gesamtverbands der metallindustriellen Arbeitgeberverbände.
U
LICH
zitiert
ihn und unterstreicht damit die Relevanz arbeitspsychologischer Beiträge zur Gestal-
tung von Arbeitssystemen: ,,Technik, Organisation, der Einsatz der Mitarbeiter und
deren Qualifikation dürfen nicht isoliert, sondern müssen integriert geplant und ent-
wickelt werden" (G
ESAMTMETALL
1989, 15, zitiert nach
U
LICH
1998, 167).
8
complex = verwickelt, kompliziert
9
Siehe U
LICH
1978

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 7
1.3 Schlussfolgerungen
Das menschliche Streben nach Autonomie, Selbstverwirklichung und Selbstkontrolle
führt zu neuen Formen der Arbeitsgestaltung, auch wenn noch nicht überall die alten
Menschenbilder überwunden sind. Ich betrachte Selbstorganisation in Arbeitsgrup-
pen als eine neue Form der Arbeitsgestaltung.
Veränderungen der Arbeitswelt sind nicht aufzuhalten und ,,in zwei bis drei Jahr-
zehnten werden nur noch wenige Leute in herkömmlichen Arbeitsrollen tätig sein"
(W
EINERT
1998, XIII). Organisationen werden sich von hierarchischen zu team-
orientierten Organisationen wandeln (vgl. ebd., XIV) und in den Arbeitsbeziehungen
und Organisationsstrukturen ist eine Trendwende zu erkennen, schreibt W
EINERT
(vgl. ebd., XVII). Der Wandel des Menschenbilds `selfactualizing man` in `complex
man` ist m.E. ein Anzeichen dafür, so dass mir an dieser Stelle eine Darstellung des
sozio-technischen Systemansatzes sinnvoll erscheint, da er in beiden Menschenbil-
dern eine wesentliche Rolle spielt.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 8
2. Selbstorganisation
Der sozio-technische Systemansatz wurde in den fünfziger Jahren am Londoner ,,Ta-
vistock Institute of Human Relations" entwickelt und gilt als ein Ansatz der Sys-
temtheorie. Systemtheoretische Ansätze beinhalten das grundlegende Konzept der
Selbstorganisation und darauf aufbauend das Konzept der Selbststeuerung (vgl.
W
ILBS
1993, 9). Das Konzept der Selbstorganisation geht von offenen sozialen Sys-
temen aus, die operationell geschlossen sind, und berücksichtigt Aspekte der Auto-
nomie und Hierarchiefreiheit und erhellt daher das Verständnis von selbstorganisier-
ten Arbeitsgruppen, die als formal führerlos gelten.
2.1 Annäherung an das Konzept der Selbstorganisation
Im Umgang mit sozialen Systemen wie Unternehmen, öffentlichen Institutionen usw.
greifen bekannte organisatorische Maßnahmen zu kurz oder führen zu unerwünsch-
ten Resultaten, stellt G
ILBERT
J. B. P
ROBST
(vgl. 1987, 9) fest, der in Verbindung mit
der Hochschule St. Gallen steht. Er weist darauf hin, dass organisatorische Maß-
nahmen der Komplexität nicht mehr genügen oder einem ungenügenden Verständnis
der Ordungsprozesse in einer Organisation unterliegen. Ordnung ist nach P
ROBST
die
von uns wahrgenommene Regelmäßigkeit und Zuschreibbarkeit (vgl. ebd.). Mit ihr
gelingt es, sich zurechtzufinden, Unsicherheiten zu reduzieren, Verhalten zu erleich-
tern. Als Organisation definiert P
ROBST
,,alles, was für eine Ordnung verantwortlich
zeichnet" (ebd.). P
ROBST
zitiert H
ANS
U
LRICH
(1978), um deutlich zu machen, dass
sich Menschengemeinschaften selbst strukturieren, Ordnung also auch ohne Organi-
sationsvorschriften entsteht und zwar nicht nur aus rationaler Einsicht, sondern auch
aufgrund menschlicher Bedürfnisse nach Ordnung und Sicherheit.
K
ARL
S
CHATTENHOFER
(1992) kommt in seiner Studie über Selbstorganisation
und Gruppe zu der Ansicht, dass durch zunehmende Individualisierung die biogra-
phische Orientierung für eigenes Verhalten verloren geht. Nach S
CHATTENHOFER
werden für die Gestaltung sozialer Beziehungen die vorhandenen Modelle immer
weniger tragfähig. Das gilt für Verhaltensmuster in Familien genauso wie am Ar-
beitsplatz. Er verweist auf K
EUPP
(1988), der schon Ende der 80er Jahre feststellte,
dass dem modernen Subjekt aktives Arbeiten an eigenen Beziehungen abverlangt
wird. Traditionelle Beziehungsnetze durch räumliche Nähe und familiäre Herkunft

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 9
können und müssen nach S
CHATTENHOFER
ergänzt oder ersetzt werden (vgl.
S
CHATTENHOFER
1992, 13 f.).
Diese Selbststrukturierung von Beziehungsnetzen, also die Entstehung von Ord-
nung ohne Organisationsvorschriften kann mit Hilfe des Konzepts der Selbstorgani-
sation erfasst werden, das Systemtheorie und Kybernetik als Grundlage hat,
10
weil es
verschiedene Modelle zur Ordnungsbildung in unterschiedlichen Systemen
11
bietet.
2.2 Das Konzept der Selbstorganisation
12
Selbstorganisation produziert ,,Vielfalt, alternative Strukturen, Interaktion, Wandel ­
sie kompliziert das Leben der Macher. ... Selbstorganisierende
[13]
Systeme sind an-
passungs- und entwicklungsfähig, sie müssen jedoch im Rahmen unserer idealisier-
ten Vorstellungen (
>>
Wollen
<<
)
[14]
mitgestaltet und kanalisiert werden"
(P
ROBST
1987, 13).
Entwicklungsfähigkeit und Gestaltungsfreiräume in selbstorganisierten Systemen
sind Hinweise darauf, dass Selbstorganisation als Prozess verstanden wird, bei dem
nach S
CHATTENHOFER
die Bedürfnisse Einzelner irgendwie vereinbar sein müssen,
um den eigenen Spielraum zu erhalten. Die Umwelt muss einen Freiraum für selbst-
organisiertes Verhalten ermöglichen oder dieser Spielraum muss erkämpft werden.
Weiter schreibt der Autor:
Selbstorganisation ist immer an einen bestimmten Kontext gebunden, den aber das Sys-
tem in vieler Hinsicht selbst mitgestalten kann. ... Das jeweils beobachtete System darf
nicht abgegrenzt von seiner Umwelt gesehen werden, sonst ist das, was darin vorgeht,
nicht zu verstehen. Es darf sich selbst nicht als völlig abhängig (von der Leitung) oder
völlig unabhängig sehen, es muß die eigenen Umweltbezüge mitthematisieren. Die
Grenzziehung nach innen und außen wird damit eine Leistung der Gruppe.
(
S
CHATTENHOFER
1992, 22)
10
Vgl. P
ROBS
t 1987, Kap. 3 Das systemische und kybernetische Denken als Basis.
11
Für chemische Systeme sei verwiesen auf P
RIGOGINE
& S
TENGERS
1993, für physikalische Systeme
und Wahrnehmungsvorgänge auf H
AKEN
1995 und S
TADLER
& K
RUSE
1992, für biologische Systeme
auf M
ATURANA
& V
ARELA
1987.
12
Die Entstehungsgeschichte der Systemtheorie und Selbstorganisation ist vielfältig und facettenreich
(vgl. P
ROBST
1987 und W
ILLKE
1989).
13
P
ROBST
verwendet den Begriff `selbstorganisierend`, die anderen von mir verwendeten Autoren
`selbstorganisiert`. Da es keine Trennung zwischen dem organisierenden und organisierten Teil gibt
(siehe 2.2.5, S. 13), verwende auch ich den gebräuchlicheren Begriff `selbstorganisiert`.
14
Klammer und Hervorhebung im Original, gilt ebenso für alle weiteren Klammern und Hervorhe-
bungen in Zitaten dieser Arbeit. Eckige Klammern machen Anmerkungen der Autorin kenntlich.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 10
Hier deuten sich Kriterien für selbstorganisierte Gruppen an. Die Systemumwelt und
die Abgrenzung des Systems von der Umwelt scheinen sehr wichtig zu sein. Die an-
gedeuteten Kriterien finden ihre theoretische Entsprechung in zentralen Aspekten des
Selbstorganisationskonzepts, die der Literatur zufolge für das Verständnis und den
Umgang mit selbstorganisierten Systemen wichtig sind: Autonomie, Komplexität,
Selbstreferenz, operationelle Geschlossenheit, Identität, Reflexion und Redundanz.
2.2.1 Systemverständnis
Für das Verständnis von Selbstorganisation in Gruppen ist entscheidend, von wel-
chem Systemverständnis ich ausgehe. Es gibt `konservative` Selbstorganisation, die
darauf abzielt, den eigenen Erhalt und das eigene Gleichgewicht des Systems zu si-
chern und sich optimal an die Umwelt anzupassen. Dieses Verständnis findet sich in
früheren Systemkonzepten. In dieser Arbeit gehe ich von modernen
15
Konzepten aus,
von sog. `evolvierender` Selbstorganisation: Systeme verändern und entwickeln ihre
Struktur. ,,Diese Sichtweise betont die Autonomie lebender und sozialer Systeme und
ihre Entwicklungs- und Lernfähigkeit im Gegensatz zur Anpassung an die Umwelt"
(S
CHATTENHOFER
1992, 27).
2.2.2 Selbstreferenz
Ein grundlegendes Merkmal der Selbstorganisation ist die Selbstreferenz. Selbstrefe-
renz bedeutet, dass ein System in Beziehung zu sich selbst steht, dass es sich auf sich
selbst bezieht und Vergangenes auf das System zurückwirkt und als Ausgangspunkt
für weiteres Verhalten dient.
Um das Selbstreferenz-Konzept in sozialen Systemen nachvollziehen zu können,
macht der Soziologe H
ELMUT
W
ILLKE
deutlich, dass seiner Auffassung nach ,,soziale
Systeme nicht aus einer Ansammlung von Menschen bestehen, sondern aus dem
Prozessieren von Kommunikation" (W
ILLKE
1989, 44).
Systeme sind operationell geschlossen, d.h. sie sind, werden und entwickeln sich
selbstproduziert, sind ,,jedoch offen gegenüber Energie, Materie oder Information",
schreibt
P
ROBST
(1987, 79). Innere Kohärenzen (=Zusammenhänge) sind für das,
15
Die Systemtheorie mit dem Konzept der Selbstorganisation und dem hier dargestellten Verständnis
von Selbstreferenz ist eine moderne Organisationstheorie im Sinne W
EINERT
s (vgl. 1998, 577).

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 11
was ein System tut, verantwortlich. Eigenschaften, Verhaltensweisen und System-
grenzen sind also selbst konstituiert. P
ROBST
zufolge hat das großen Einfluss auf den
Umgang, da zum Beispiel auch Informationen nicht eingegeben, sondern intern
selbst hergestellt und interpretiert werden, was ganz im Gegensatz zu kontingenzthe-
oretischen oder situativen Ansätzen und fast allen Interventionsmodellen steht (vgl.
ebd., 80). Nach P
ROBST
sind Organisatoren und Führungskräfte nicht vom zu gestal-
tenden und lenkenden System zu trennen, weil sie ein Teil dessen sind (vgl. ebd.).
S
CHATTENHOFER
spricht, wenn es um Selbstreferenz geht, von Rückbezüglichkeit
und sieht sie als Voraussetzung für Autonomie (vgl. S
CHATTENHOFER
1992, 29). Es
,,bilden sich immer präzisere Eigenwerte im Sinne von Normen, Verhaltensmustern
und Kommunikationsgrenzen heraus, die wiederum nachfolgende Geschehen in der
Gruppe beeinflussen" (ebd., 30). Durch Selbstreferenz entsteht nach
S
CHATTENHOFER
Selbstbestimmung, also Autonomie (vgl. ebd., 32).
2.2.3 Autonomie
S
CHATTENHOFER
versteht unter Autonomie eigenständiges Verhalten, das nicht von
der Umwelt kontrolliert wird. P
ROBST
macht deutlich, dass Verhalten nur unvoll-
ständig beschreibbar und uneindeutig vorhersagbar ist. ,,Das Verhalten ... kann weder
aus den Inputs noch aus den internen Zuständen abgeleitet werden. Es ist ein Produkt
der Interaktion von Beiden" (P
ROBST
1987, 78). Demnach kann das Verhalten sozia-
ler Systeme zum Beispiel nicht auf einige Führungseigenschaften oder Struktur-
merkmale reduziert werden, schreibt P
ROBST
(vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang
spricht P
ROBST
von Komplexität als Produkt von Kompliziertheit und Dynamik (vgl.
ebd., 77).
Eigenes Verhalten wird vom inneren Prozess des Systems bestimmt. ,,Verhalten
kann sehr wohl von außen angestoßen werden, aber ob und wie das System darauf
reagiert, hängt nicht von der Art des Anstoßes, sondern vom System selbst ab"
(S
CHATTENHOFER
1992, 23). Nach S
CHATTENHOFER
, der auf V
ILMAR
und R
UNGE
(1986) verweist, geht es um selbstbestimmtes Handeln ohne Veranlassung und Lei-
tung durch eine Organisationszentrale (vgl. ebd., 16). Da Selbstorganisation als Pro-
zess verstanden wird, ist ein System nicht autonom, sondern wird es.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 12
Autonomie wird hier nicht im individualpsychologischen Sinne verstanden, sondern
bezieht sich auf die Organisation, die ,,ohne isolierbaren Gestalter von außen oder
innen" intrapsychisch produziert wird (P
ROBST
1987, 76).
Beziehungen und Interaktionen betreffen nur das eigene System. Dennoch kann
kein System, das Teil eines umfassenderen ist, vollständig autonom sein, nur in Be-
zug auf gewisse Kriterien, P
ROBST
spricht von relativer Autonomie. Das Geschehen
im System wird nach P
ROBST
von der Umwelt beeinflusst, wie das System sich aber
verhält, hängt alleine von ihm selbst, seinen Interaktionsmustern und seiner Ge-
schichte ab (vgl. ebd.).
S
CHATTENHOFER
sieht Autonomie als graduellen
16
Begriff, ,,als etwas, das mit der
Genese des Systems entstand" (1992, 33). Autonomie zeigt sich in Firmen, Verwal-
tungen etc. durch die Entwicklung eines Eigenlebens. Empirischer Forschung zufol-
ge sind sie ,,keine ausschließlich umweltabhängigen und von außen steuer- und kon-
trollierbaren Einheiten ... sie entwickeln ein Eigenleben und sind kein Abbild plane-
rischer, zweckrationaler Intentionen, sondern evolvierende
[17]
Sozialsysteme" (ebd.,
33). Autonomie hat S
CHATTENHOFER
zufolge diese Bedingungen:
* Die Kommunikation, die Handlungen (Interaktionen) müssen aufeinander bezogen und
aneinander anschließbar sein können. Man muß einander verstehen können, die gleiche
`Sprache` sprechen.
* Dazu müssen die Bestandteile (Mitglieder) im gleichen Interaktionsraum `anwesend`
sein. Anwesenheit ist dabei nicht im räumlichen Sinne zu verstehen, sondern als die
Möglichkeit, sich aufeinander beziehen zu können. (S
CHATTENHOFER
1992, 33)
Ein System wird autonom und damit seine Identität nicht von außen festgelegt, son-
dern von innen her bestimmt. Soziale autonome Systeme können nicht als isoliert
und nur für sich existent begriffen werden. Autonomie findet innerhalb bestimmter
Grenzen statt. Das System selbst wird zur Grenze gegenüber der Umwelt. Die Gren-
ze wird intern konstruiert und das System entwickelt damit seine Identität.
16
Im Gegensatz zu Autonomie ,,als Alles-oder-Nichts-Prinzip, so wie die autopoietische Organisation
oft verstanden wird" (S
CHATTENHOFER
1992, 33).
17
Siehe 2.2.1, 10

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 13
2.2.4 Identität
S
CHATTENHOFER
spricht im Zusammenhang mit Identität von inneren und äußeren
Grenzen (vgl. ebd., 23 f.). Äußere Grenzen sind Grenzen gegenüber der Umwelt.
Dabei geht es um die Gestaltung der Grenzen (wie durchlässig ist das System für In-
formationen, wie wird selektiert, zum Beispiel auch was MitarbeiterInnen angeht?).
Durch diese Abgrenzung von der Umwelt entsteht die eigene Identität. Dem Autor
zufolge zeigen innere Grenzen, welche individuellen Bedürfnisse, Verhaltensweisen
und Vorstellungen innerhalb des Systems Platz haben. Dadurch entstehen Rollen,
Normen und Ziele.
Über rückgekoppelte Beziehungen erfährt das System, was es erreicht hat. Sinn-
voll ist daher zu bestimmen, innerhalb welcher Grenzen sich das System entfalten
kann und soll, inwieweit es bereit ist, sich von der Umwelt beeinflussen zu lassen.
Gehen Interventionen über diese Grenzen hinaus, reagiert das System nach W
ILLKE
mit Verweigerung oder gar Auflösung, um seine Autonomie zu erhalten (vgl.
W
ILLKE
1989, 46). Ein autonomes System kann sich nach W
ILLKE
mit den Augen
seiner Umwelt sehen und unterhält Umweltbeziehungen, die durch eigene Selek-
tionskriterien bestimmt werden, er spricht von aufgeklärter Selbstbestimmung (vgl.
ebd., 47 f.).
2.2.5 Reflexion
Selbstorganisation wird ,,als reflektierter Prozess verstanden, über den die Gruppe
selbst verfügen kann. Der ... Bereich wird besser mit dem Wort Selbststeuerung er-
faßt" (S
CHATTENHOFER
1992, 24). Das System, nicht die Umwelt, bestimmt das Ver-
halten. Daraus folgt, dass die Umwelt nicht real, objektiv wahrgenommen, sondern
systemintern konstruiert wird, d.h. das System beobachtet und reflektiert.
In selbstorganisierten Sozialsystemen ist Reflexion eine Form des Rückbezugs.
Dazu gehören rekursive, zirkuläre Interaktions- und Kommunikationsprozesse
18
und
damit ist in einem rekursiven (rückbezüglichen, selbstreferenziellen) System das Or-
ganisierende nicht vom Organisierten zu trennen. Damit gibt es kein ,,es", dafür ein
,,wir". Dadurch entsteht nach P
ROBST
eine Verantwortlichkeit des Einzelnen gegen-
18
Zum Beispiel All-Kanal-System. Vgl. W
EINERT
1998, 362: Die durchschnittliche Zufriedenheit der
Gruppenmitglieder ist sehr hoch. Jeder kann mit jedem interagieren und kommunizieren. Alle haben
den selben Informationsstand.

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 14
über seinen Handlungen (vgl. P
ROBST
1987, 81). Damit ist die Orientierung an einer
Hierarchie hinfällig. Hierarchie wird nach P
ROBST
nicht ausgeschlossen, jedoch eine
flexiblere, prozesshafte und ganzheitliche Sicht gefördert. Es geht nicht nur um for-
male Organisationsstrukturen, sondern um alle Gestaltungs- und Lenkungsmecha-
nismen. Nach P
ROBST
gestalten und lenken jene Elemente des Systems, die Informa-
tionen haben. Redundanz ist gegeben, d.h. dass mehrere Teile (Gruppenmitglieder)
dasselbe tun können und dass dieselbe Funktion in vielen Teilen vorhanden ist, da-
durch entsteht Flexibilität (vgl. ebd.). Dieser Aspekt gibt einen Hinweis, wie Führung
in selbstorganisierten Arbeitsgruppen verstanden werden kann, nämlich als Refle-
xionsprozess und Gestaltung durch Informationsaustausch.
Systeme werden im Sinne evolvierender Selbstorganisation verstanden als offen
für Materie und Energiefluss aus der Umwelt. Systemveränderungen werden durch
interne und externe Störungen angetrieben. Systeme gelten als operational geschlos-
sen, d.h. dass sie sich zum Beispiel nach einer Störung gemäß der eigenen Organisa-
tion und Struktur verhalten.
Zusammenfassend halte ich fest, dass Selbstreferenz ein grundlegendes Merkmal
von Selbstorganisation ist. Aus dieser Art der Rückbezüglichkeit entwickelt sich Au-
tonomie, auch Selbstbestimmung genannt. Autonomie findet innerhalb bestimmter
Grenzen statt und kann verschieden ausgeprägt sein. Die Identität einer Gruppe (ei-
nes Systems) entsteht durch Abgrenzung von der Umwelt. Umweltbeziehungen wer-
den durch eigene Selektionskriterien bestimmt. Das System bestimmt sein Verhalten
selbst und steuert sich mittels Reflexion und Redundanz.
2.3 Der sozio-technische Systemansatz als theoretische Grundlage zur Be-
trachtung von selbstorganisierten Arbeitsgruppen
Sozio-technische Systeme erhalten Inputs aus der Umwelt und geben Outputs an sie
ab, sie sind also offene und dynamische Systeme im Sinne evolvierender Selbstorga-
nisation. In- und Outputs beziehen sich nach U
LICH
auf materielle, energetische, in-
formationelle und normative Aspekte (vgl.
U
LICH
1998, 174).
W
ALTER
B
UNGARD
, C
ONNY
H
ERBERT
A
NTONI
und E
LKE
L
EHNERT
(1993) nennen
zentrale Aussagen des sozio-technischen Systemansatzes:

Selbstorganisation und Führung ­ ein Widerspruch? 15
1. Organisationen müssen als offene soziale und technische Systeme verstanden werden.
2. Eine effiziente Gestaltung von Produktionsprozessen setzt eine gleichzeitige Beeinflus-
sung des technischen und sozialen Systems voraus.
3. Arbeitssysteme sollten so gestaltet werden, daß sie sich möglichst weitgehend selbst
regulieren und sich somit geänderten Bedingungen innerhalb und außerhalb des Sys-
tems selbst anpassen können.
Entsprechend diesem Selbstregulationsprinzip werden den einzelnen Gruppen Freiräume
zugestanden, in denen sie als
`
sozio-technische` Einheit selbständig handeln und ent-
scheiden können. (B
UNGARD
, A
NTONI
& L
EHNERT
1993, 23 f.)
Das Arbeitssystem besteht aus zwei Teilsystemen, beschreibt der Arbeitspsychologe
A
NDREAS ALIOTH
(1980). Das soziale System besteht aus den Organisa-
tionsmitgliedern mit individuellen und gruppenspezifischen Bedürfnissen, besonders
deren Ansprüchen an die Arbeit und ihren Kenntnissen und Fähigkeiten. Das techni-
sche System besteht nach A
LIOTH
aus Arbeitsmitteln, Betriebsanlagen, aus allen
technologischen und räumlichen Arbeitsbedingungen und aus allen Anforderungen,
die daraus an die Organisationsmitglieder gestellt werden (vgl. A
LIOTH
1980, 26).
Die Verknüpfung des sozialen und technischen Systems erfolgt durch die Arbeits-
rollen, die den Funktionszusammenhang der Aufgaben und die Kooperationsbezie-
hungen zwischen den Organisationsmitgliedern ausdrücken, fasst A
LIOTH
zusam-
men. Es werden primäre und sekundäre Aufgaben unterschieden. Die Primäraufgabe
stellt den Systemzweck dar. Sekundäraufgaben sind Aufgaben zur Systemerhaltung,
Systemregulierung und Systemoptimierung (vgl. A
NTONI
1996, 38 f. und A
LIOTH
1980, 27 f.).
Nach A
NTONI
(1996, 39) kann eine Effizienzsteigerung des sozio-technischen
Systems nur durch eine gemeinsame Optimierung des technischen und sozialen Sys-
tems erreicht werden. Die Effizienz der Aufgabenausführung wird durch das Zu-
sammenspiel technischer und sozialer Einflussfaktoren bestimmt, eine einseitige Ori-
entierung vernachlässigt diese Wechselwirkung und führt zu keiner Effizienzsteige-
rung.
In der amerikanischen Literatur wird zwischen Effektivität (Grad der Zielerrei-
chung) und Effizienz (Verhältnis von Input zu Output) unterschieden, in der deut-
schen betriebswirtschaftlichen Literatur nicht. Für meine Arbeit ist die arbeits- und
organisationspsychologische Literatur von Bedeutung, in der die Begriffe Effektivi-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783832458416
ISBN (Paperback)
9783838658414
DOI
10.3239/9783832458416
Dateigröße
875 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen – unbekannt
Erscheinungsdatum
2002 (September)
Note
2,0
Schlagworte
systemtheorie arbeitsgruppen teilautonomie strukturen
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