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Behavioral Finance

Psychologische Einflüsse an Kapitalmärkten

©2000 Diplomarbeit 92 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Aktienanlage ist in den letzten Jahren zu einer etablierten und beliebten Anlageform geworden. Maßgeblich dazu beigetragen hat zweifellos der Börsengang der Deutschen Telekom im November 1996, den viele Privatanleger dazu genutzt haben, sich mit der Anlage in Beteiligungswerten zu beschäftigen. Auch die Einführung des Neuen Marktes, ein Marktsegment der Deutschen Börse AG für junge und wachstumsstarke Unternehmen, führte viele Anleger an die Börse.
Für einen Anleger, der bislang keine Erfahrungen an den Finanzmärkten gesammelt hat, scheint die Börse ein anonymer Markt zu sein, dessen Steigen oder Fallen eher zufällig bedingt ist. Allerdings vergisst man häufig, dass die Börse als institutionalisierte Kapitalumschlagstelle zwar eine anonyme und immer lautloser werdende Einrichtung ist – man denke an den stetig wachsenden Anteil der Aktienumsätze im vollelektronischen Handelssystem XETRA, jedoch die Börse eine aggregierte Form ständiger Entscheidungen zum Kauf bzw. Verkauf von Aktien darstellt. Letztlich sind diese Entscheidungen Ausfluss menschlicher Denkprozesse, die sich dann in den Aktienkursen niederschlagen. Verfolgt man das historische Börsengeschehen, so lassen sich zahlreiche Phasen ausmachen, in denen die Aktienmärkte euphorisch und ohne ein Halten neue Höchststände erreichen, oder aber die Aktienkurse fallen mit immer größer werdender Geschwindigkeit, scheinbar ohne einen Boden zu finden. Die Stimmung der Marktteilnehmer ist typischerweise im ersten Fall geprägt von unerschütterlichem Optimismus, im zweiten Fall scheint es keinen Marktteilnehmer zu geben, der nur eine Spur Optimismus zeigt.
Die Wirtschaftswissenschaft, die allen Marktteilnehmern rationales Verhalten unterstellt, lässt menschlich-psychologische Aspekte unberücksichtigt, erklärt diese Phänomene zu einer Residualgröße, die aber das theoretische Modell in ihrer Aussagekraft nicht entkräftet. Der Berufsspekulant und Buchautor André Kostolany hingegen behauptete, dass die Börse zu 90 Prozent aus Psychologie bestünde – zumindest kurz- bis mittelfristig, wie er einschränkte.
Die Tatsache, dass das Börsengeschehen oftmals von Psychologie und Irrationalität geprägt ist, wurde lange Zeit mit einfachen Merksätzen wie Buy on bad news oder Sell on good news stark vereinfacht. Der Rat, zu handeln, wenn alles dagegen spricht, wenn „die Kanonen donnern“ – also gerade die dominierende Stimmung als Kontraindikator zu nutzen – fand aber irgendwann doch den […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5829
Friedrichs, Thomas: Behavioral Finance - Psychologische Einflüsse an Kapitalmärkten
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Köln, Fachhochschule, Diplomarbeit, 2000
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Thomas Friedrichs
Behavioral Finance
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1.
EINLEITUNG... 3
2.
BEHAVIORAL FINANCE IN ABGRENZUNG ZUR KAPITALMARKTTHEORIE ... 5
2.1.
T
HEORIE EFFIZIENTER
M
ÄRKTE
... 5
2.2.
C
APITAL
A
SSET
P
RICING
M
ODEL
(CAPM) ... 12
2.3.
I
NPUTPARAMETER DES
CAPM ... 15
2.3.1.
Betafaktor ... 15
2.3.2.
Aktienrenditen... 16
3.
ANLEGERVERHALTEN UND PSYCHOLOGIE ... 20
3.1.
I
NFORMATIONSVERARBEITUNG UND
-
WAHRNEHMUNG
... 20
3.1.1.
Komplexitätsreduzierung... 23
3.1.2.
Repräsentativitäts-Heuristik ... 24
3.1.3.
Verankerungsheuristik... 25
3.1.4.
Orientierung an Expertenmeinungen... 26
3.1.5.
Selektive Wahrnehmung ... 31
3.1.6.
Einfluss von Stimmungen... 32
3.2.
E
NTSCHEIDUNGSVERHALTEN
... 34
3.2.1.
Kognitive Dissonanz ... 34
3.2.2.
Dispositionseffekt... 35
3.2.3.
Mental Accounting... 40
3.2.4.
Einfluss von Stimmungen... 41
3.2.5.
Kontrollphänomene ... 43
3.2.6.
Emotionales Handeln ... 45
4.
MARKTVERHALTEN UND PSYCHOLOGIE... 46
4.1.
B
ETRACHTUNG EINES IDEALTYPISCHEN
A
KTIENKURSVERLAUFES
... 48
4.2.
M
ARKTPHASENBETRACHTUNG
... 64
5.
EINBINDUNG IN DIE KLASSISCHE AKTIENANALYSE ... 68
5.1.
F
UNDAMENTALE
A
NALYSE
... 68
5.2.
T
ECHNISCHE
A
NALYSE
... 73
5.2.1.
Sentimentindikatoren ... 74
5.2.2.
Bedeutung der Sentimentindikatoren... 81
6.
ABSCHLIEßENDE BEWERTUNG ... 82
7.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ... 84
8.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... 85
9.
TABELLENVERZEICHNIS... 86
10.
ANHANG... 86
11.
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS... 87

Thomas Friedrichs
Behavioral Finance
April 2000
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1. Einleitung
Die Aktienanlage ist in den letzten Jahren zu einer etablierten und beliebten Anlageform ge-
worden. Maßgeblich dazu beigetragen hat zweifellos der Börsengang der Deutschen Telekom
im November 1996, den viele Privatanleger dazu genutzt haben, sich mit der Anlage in Betei-
ligungswerten zu beschäftigen. Auch die Einführung des Neuen Marktes, ein Marktsegment
der Deutschen Börse AG für junge und wachstumsstarke Unternehmen, führte viele Anleger
an die Börse.
Für einen Anleger, der bislang keine Erfahrungen an den Finanzmärkten gesammelt hat,
scheint die Börse ein anonymer Markt zu sein, dessen Steigen oder Fallen eher zufällig be-
dingt ist. Allerdings vergisst man häufig, dass die Börse als institutionalisierte Kapitalum-
schlagstelle zwar eine anonyme und immer lautloser werdende Einrichtung ist ­ man denke
an den stetig wachsenden Anteil der Aktienumsätze im vollelektronischen Handelssystem
XETRA, jedoch die Börse eine aggregierte Form ständiger Entscheidungen zum Kauf bzw.
Verkauf von Aktien darstellt. Letztlich sind diese Entscheidungen Ausfluss menschlicher
Denkprozesse, die sich dann in den Aktienkursen niederschlagen. Verfolgt man das histori-
sche Börsengeschehen, so lassen sich zahlreiche Phasen ausmachen, in denen die Aktien-
märkte euphorisch und ohne ein Halten neue Höchststände erreichen, oder aber die Aktien-
kurse fallen mit immer größer werdender Geschwindigkeit, scheinbar ohne einen Boden zu
finden. Die Stimmung der Marktteilnehmer ist typischerweise im ersten Fall geprägt von un-
erschütterlichem Optimismus, im zweiten Fall scheint es keinen Marktteilnehmer zu geben,
der nur eine Spur Optimismus zeigt.
Die Wirtschaftswissenschaft, die allen Marktteilnehmern rationales Verhalten unterstellt, lässt
menschlich-psychologische Aspekte unberücksichtigt, erklärt diese Phänomene zu einer Re-
sidualgröße, die aber das theoretische Modell in ihrer Aussagekraft nicht entkräftet. Der Be-
rufsspekulant und Buchautor André Kostolany hingegen behauptete, dass die Börse zu 90
Prozent aus Psychologie bestünde ­ zumindest kurz- bis mittelfristig, wie er einschränkte.
1
1
Vgl. Kostolany: Börsenpsychologie, 1998, S. 19-26

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Die Tatsache, dass das Börsengeschehen oftmals von Psychologie und Irrationalität geprägt
ist, wurde lange Zeit mit einfachen Merksätzen wie Buy on bad news oder Sell on good news
stark vereinfacht. Der Rat, zu handeln, wenn alles dagegen spricht, wenn ,,die Kanonen don-
nern" ­ also gerade die dominierende Stimmung als Kontraindikator zu nutzen ­ fand aber ir-
gendwann doch den Weg in die Aktienanalyse. Die Grundlagen für die Übernahme psycholo-
gischen Wissens in die technische Analyse schaffte im Jahre 1954 Humphrey B. Neill, der die
Geschehnisse während des Crashs der amerikanischen Börse im Jahre 1946 beobachtete. Mit
seinem Buch The Art of Contrary Thinking prägte er den Begriff der gegensätzlichen Mei-
nung und stellte diese Theorie als Anlagephilosophie vor.
2
Diese Theorie brachte den Durchbruch der technischen Analyse in Amerika. Bislang hatte
man sich hauptsächlich auf fundamentale Marktdaten gestützt und einen langfristigen Trend
betrachtet, doch nun kamen bereits die ersten Ansätze, die Verhaltensweisen von Marktteil-
nehmern zu beobachten und diese mit Regelmäßigkeiten in Kursverläufen zu verknüpfen.
Wurden somit erste Grundlagen für eine weitergehende Betrachtung der Finanzmärkte ge-
schaffen, gelang es jedoch bisher nicht, das Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und
Psychologie schlüssig zu verarbeiten. Erst in jüngster Vergangenheit entstand mit der Behavi-
oral Finance ein Wissenschaftsgebiet der Kapitalmarktforschung, das dieses Spannungsver-
hältnis systematisch aufarbeitet und Ansätze darstellt, die weit über die technische und fun-
damentale Aktienanalyse hinausgehen, gerade die technische Analyse aber in einer neuen
Weise erklärt und unterstützt.
Diese Arbeit versucht, das Arbeitsfeld der Behavioral Finance zu vertiefen und Grenzbereiche
aufzuzeigen, da auch die Investmentpsychologie nicht ein alleserklärendes Anlagekonzept
sein kann.
2
Vgl. Tvede: Psychologie, 1991, S. 103-105

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2. Behavioral Finance in Abgrenzung zur Kapitalmarkttheorie
2.1. Theorie effizienter Märkte
Die Kapitalmärkte werden von Wirtschaftswissenschaftlern oftmals als annähernd perfekte
Märkte definiert. Die Theorie des effizienten Marktes wurde insbesondere durch den Chica-
goer Professor Eugene F. Fama geprägt. Grundlegend besagt die Markteffizienzhypothese,
dass Kapitalmärkte einem effizienten Markt sehr nahe kommen, da aufgrund der hohen An-
zahl von Marktteilnehmern und der schnellen Informationsverbreitung eine vollkommene
Konkurrenz besteht. Die Preise auf diesem Markt, also die Wertpapierkurse, spiegeln dem-
nach zu jeder Zeit alle verfügbaren Informationen wider.
3
Fraglich ist die Annahme, dass alle Marktteilnehmer jederzeit und uneingeschränkt rational
handeln. Dies möchte man als nüchterner Betrachter einer Aktienbörse vielleicht vermuten,
jedoch zeigen historische Beispiele, dass Informationen oft überbewertet oder unterbewertet
werden. Extreme Übertreibungsphasen, die sich in Haussemärkten zu einer Spekulationsblase
und in Baissemärkten zu einer extremen Unterbewertung von Aktien ausbilden, sind augen-
scheinlich nicht mit Rationalität vereinbar, da es andere Phänomene sein müssen, die in die-
sen Phasen vorherrschen. Nun mag die Kapitalmarkttheorie diese Phasen als Noise,
4
also als
Störungen betrachten, die Effizienz zwar verhindern, die Theorie jedoch nicht gefährden.
Es bleibt die unbefriedigende Tatsache, dass die Kapitalmarktmodelle das tägliche Marktge-
schehen nicht erklären. Tägliche Schwankungen der Kurse und eine hohe Volatilität können
nicht mit einer entsprechend hohen Anzahl neuer Informationen begründet werden. Neben In-
formationen fließen demnach auch andere Einflussgrößen in die tägliche Kursbildung ein,
selbst innerhalb der Handelszeit eines Tages können sich Kurstrends umkehren. Außerdem
konfrontieren uns die Modelle mit dem Paradoxon, dass aufgrund der Markteffizienz keine
Überrenditen durch Informationsbeschaffung und ­verarbeitung erzielt werden können. Doch
welche Institution bzw. welcher Marktteilnehmer betreibt kostenträchtiges Research, um den
Markt mit Informationen zu versorgen, wenn sich keine Überrenditen erzielen lassen.
5
In der
heutigen Finanzwelt unterhält beinahe jedes größere Finanzinstitut einen Researchbereich, gu-
te Aktienanalysten zählen zu den hochdotiertesten Angestellten in der Finanzbranche.
3
Vgl. Fama: Efficient, 1970, S. 383
4
Vgl. Gerke, Wolfgang: Herrschaft der Androiden, in: Jünemann / Schellenberger: Psychologie, 1997, S. 25f.
5
Vgl. Bienert: Marktprozess, 1996, S. 26f.

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Zudem lässt sich beweisen, dass durchaus nicht alle verfügbaren Informationen sofort in die
Aktienkurse einfließen. Dies soll an einem Beispiel illustriert werden.
Am Dienstag, den 21. Dezember 1999 wurde von der deutschen Bundesregierung die neue
Steuerreform 2000 vorgestellt. In den Einzelmaßnahmen der Unternehmenssteuerreform heißt
es in Abschnitt A, Ziffer V:
6
,,V. Veräußerungsgewinne
Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen, die eine Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapi-
talgesellschaft hält, sind nicht steuerpflichtig. [...]"
In den Pressekonferenzen der Bundesregierung, die über die hiesigen Nachrichtensender ver-
breitet wurden, ist auf diese Neuerung nicht explizit aufmerksam gemacht worden, obwohl sie
für den Kapitalmarkt und die Unternehmen in Deutschland eine bahnbrechende Reform be-
deutet. Gleichwohl ist die Steuerreform ungekürzt über andere Medien verbreitet worden. So
ist auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen der vollständige Text der Re-
form zeitgleich zur Verfügung gestellt worden. Die Marktteilnehmer zeigten bis einschließ-
lich 22. Dezember 1999 keine Reaktion auf die Steuerreform, sie blieb auf das aktuelle
Marktgeschehen ohne Einfluss.
Am Donnerstag, den 23. Dezember 1999, an dem wegen der bevorstehenden Weihnachtsfei-
ertage keine große Marktbewegung erwartet wurde, eröffnete der deutsche Aktienmarkt be-
reits sehr fest, obwohl die Weltleitbörsen New York und Tokio weder besonders positive
noch negative Vorgaben lieferten.
Auffällig war, dass ausnahmslos alle Bank- und Versicherungstitel des Deutschen Aktienin-
dex DAX den Handelstag mit hohen Kursanstiegen eröffneten. In den ersten Börsenberichter-
stattungen des Nachrichtensenders n-tv wurde zwar auf die feste Kursentwicklung der Fi-
nanzwerte hingewiesen, jedoch waren die Gründe für diesen Kurssprung noch unbekannt. In
der ,,n-tv Telebörse" um 11.30 Uhr berichtete der Moderator Friedhelm Busch von Gerüchten,
dass eben in der Steuerreform 2000 eine gravierende Änderung der steuerlichen Behandlung
von Beteiligungsverkäufen enthalten war, dies wollte man sich jedoch bis zur nächsten Schal-
tung vom Bundesfinanzministerium bestätigen lassen. Die Bestätigung der Vermutungen er-
folgte umgehend, womit auch erst im Laufe des Tages die Tragweite dieser Gesetzesnovelle
6
Bundesministerium der Finanzen: Steuerreform 2000, 21.12.1999, S. 12

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deutlich wurde, als die Kurse der Finanzwerte weiter stiegen. Exemplarisch ist in Abbildung 1
der Kurschart der Deutschen Bank-Aktie zu sehen.
Abbildung 1: Chart Deutsche Bank 13.12.1999 - 30.12.1999
7
Der Aktienchart der Deutschen Bank-Aktie zeigt, dass am Tag der Veröffentlichung der Steu-
erreform 2000, also am 21. Dezember 1999, die Deutsche Bank-Aktie unverändert zum Vor-
tag bei 69 Euro schloss, im Tagesverlauf auch deutlich schwächer notierte. Am 22. Dezember
zeigte sie bereits eine festere Kursentwicklung, die jedoch mit einer positiven Markttendenz
des Gesamtmarktes einherging. Erst zwei Tage später, am 23. Dezember, wurde man auf die
gravierende Änderung im Steuerrecht aufmerksam, die mit kräftigen Kursaufschlägen hono-
riert wurde. Am folgenden Handelstag setzte sich die Kursbewegung weiter fort, die Deutsche
Bank-Aktie stieg im Tagesverlauf des 27. Dezember bis auf 90,30 Euro.
Es lässt sich konstatieren, dass die Finanzmärkte nicht jederzeit effizient sind, da für eine der-
artige Annahme der Kurssprung der Finanzwerte bereits im Moment der Veröffentlichung der
Steuerreform hätte erfolgen müssen. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass der deutsche Akti-
enmarkt zu diesem Zeitpunkt nicht effizient war, die öffentlich zugänglichen Informationen
waren noch nicht in die Aktienkurse eingeflossen.
Dieses empirische Beispiel zeigt außerdem, dass Informationen heutzutage in einer derart
großen Masse zur Verfügung stehen, was die Marktteilnehmer dazu veranlasst, Informationen
nur selektiv wahrzunehmen. Es ist ,,niemand in der Lage [...], die über ihn hereinbrechende
7
Eigene Abbildung

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Nachrichtenflut in angemessener Zeit zu verarbeiten".
8
Bei einer Interpretation des oben be-
schriebenen Ereignisses kann man eine gewisse Erwartungshaltung des Börsenpublikums er-
kennen, die sich hier in einer passiven Haltung gegenüber der Steuerreform 2000 zeigte. Man
hatte der sozialdemokratischen Regierung in Deutschland einen derart bedeutenden Schritt
wohl nicht zugetraut und die Veröffentlichung der Reform nicht mit großer Aufmerksamkeit
verfolgt.
Es zeigt sich ein weiteres Phänomen, welches die strenge Rationalität der Marktteilnehmer
widerlegt. Obwohl im Tagesverlauf des 23. Dezember 1999 die Tragweite der Steuerreform
offensichtlich wurde, verharrte der Kurs der Deutschen Bank-Aktie
9
in einer Kursspanne von
77 bis 79 Euro, die der Aktienkurs schon vormittags erreicht hatte. Dies bedeutete gegenüber
dem Vortag einen Kursanstieg von neun bis zwölf Prozent, der für einen Standardwert wie die
Deutsche Bank sehr außergewöhnlich ist. Darin ist wahrscheinlich die Ursache zu sehen, dass
der Aktienkurs nicht sofort weiter stieg, obwohl die Marktteilnehmer schon glaubten, dass
diese Meldung ,,der Hammer"
10
war und zu deutlich höheren Kursen der Finanzwerte führen
sollte. Ein weiterer Kursanstieg erfolgte dann auch am späten Nachmittag des 23. Dezember
und am nächsten Handelstag.
Auf die Ursache dieser Verhaltensweise, die in der Verankerungsheuristik begründet liegt,
wird in Kapitel 3.1.3. noch näher eingegangen. Es sei kurz gesagt, dass ein Neubewertungs-
prozess, der in diesem Fall bei den Finanzwerten hätte erfolgen müssen, meist zu knapp er-
folgt, da ein Ursprungswert, hier der bisherige faire Kurs der Deutschen Bank, ein zu großes
Gewicht erhält.
11
Der Kursanstieg hätte demnach ohne Verzögerung in einem weitaus größe-
ren Maße erfolgen können.
Weiterhin gibt es empirische Beispiele, die darauf hindeuten, dass bereits vor Bekanntwerden
einer kursrelevanten Information mitunter auffällige Kursbewegungen zu verzeichnen sind.
So gab es Ende Oktober 1999 starke Kursbewegungen der Praktiker-Aktie, die auf Gerüchte
im Börsenpublikum zurückzuführen waren.
8
Goldberg / von Nitsch: Behavioral Finance, 1999, S. 21
9
Hier wieder beispielhaft für die Finanzwerte des deutschen Aktienmarktes
10
Äußerung des n-tv-Moderators Friedhelm Busch in der ,,n-tv Telebörse" (23.12.1999, 11.30 Uhr)
11
Vgl. Goldberg / von Nitsch: Behavioral Finance, 1999, S. 66-71

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Abbildung 2: vwd-Meldung Praktiker, 25.10.1999 (1)
12
Abbildung 3: vwd-Meldung Praktiker, 25.10.1999 (2)
13
Tatsächlich stand die Praktiker AG kurz vor der Übernahme durch die Metro AG, die am 26.
Oktober 1999 bekanntgegeben wurde.
12
Eigene Abbildung
13
Eigene Abbildung

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Abbildung 4: vwd-Meldung Praktiker, 26.10.1999
14
Damit wurden die Gerüchte bestätigt, die wenige Tage zuvor bereits zu starken Kursanstiegen
der Praktiker-Aktie geführt hatten. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel wurde
ebenfalls auf diesen Tatbestand aufmerksam, da man Insidergeschäfte vermutete. Die Kurs-
entwicklung war insofern auffällig, als dass in den letzten zwei Monaten vor Bekanntgabe der
Übernahme der Aktienkurs sich mehr als verdoppelte, obwohl die Kursentwicklung bis dahin
stets abwärts gerichtet war.
Abbildung 5: vwd-Meldung Praktiker, 27.10.1999
15
14
Eigene Abbildung
15
Eigene Abbildung

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Abbildung 6: Chart Praktiker 21.11.1995 - 10.03.2000
16
Der oben gezeigte Sachverhalt zeigt, dass durch die Verbreitung von Gerüchten, eventuell zu-
sammen mit Insidergeschäften, die Kursentwicklung eine kursrelevante Nachricht teilweise
vorwegnehmen kann. Unterstellt man den Kapitalmärkten eine mittelstrenge Informationsef-
fizienz, so dürften Insiderinformationen vor deren Veröffentlichung nicht in den Aktienkurs
einfließen. Tatsächlich ist es jedoch möglich, dass auffällige Kursbewegungen Gerüchte ver-
ursachen, die sich später bestätigen, oder jedoch gezielt Gerüchte verbreitet werden, die zu
kurzfristig starken Kursbewegungen führen. Diese Einflüsse können somit eine mittelstrenge
Informationseffizienz verhindern. Dies kann sogar soweit gehen, dass Insider vor Bekanntga-
be einer Nachricht Gerüchte im Börsenpublikum verbreiten, um die eigenen Geschäfte zu ver-
tuschen und um von den dadurch verursachten Kurssteigerungen zu profitieren. Es wäre ver-
messen, diese Handlungen den betreffenden Personen zu unterstellen, jedoch fällt die Tatsa-
che auf, dass der Markt oftmals eine bedeutende Nachricht ,,ahnt" und die Kurse vor ihrer
Veröffentlichung steigen.
16
Eigene Abbildung

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2.2. Capital Asset Pricing Model (CAPM)
Das Kapitalmarktmodell des Capital Asset Pricing Model (CAPM) stellt eine wissenschaftli-
che Weiterentwicklung der Portfoliotheorie nach Markowitz
17
und des Konzeptes vollkom-
mener Kapitalmärkte dar. In ihren Kernaussagen unterstellen die Kapitalmarktmodelle unter
anderem, dass alle Marktteilnehmer homogene Erwartungen bezüglich der Rendite und des
Risikos aller Wertpapiere haben.
Die Anleger unterscheiden sich nach der Theorie des CAPM nur noch dadurch, dass sie un-
terschiedliche Risikoprofile besitzen und darauf aufbauend eine Kombination von risikoloser
Anlage und risikobehafteter Anlage wählen. Die Risikoanlage wird durch das sog. Marktport-
folio repräsentiert, welches für alle Anleger gleich ist.
In der weiteren Anwendung können mithilfe der Wertpapierlinie des CAPM unterbewertete
Aktien herausgefiltert werden. Im Wesentlichen geschieht dies durch Vergleich der erwarte-
ten Rendite des entsprechenden Wertpapiers mit der erwarteten Rendite des Gesamtmarktes
unter Berücksichtigung der Risikokomponente. Die Zusammenhänge sind in Abbildung 7
grafisch dargestellt.
Abbildung 7: Die Wertpapierlinie des CAPM
18
17
Einen Überblick geben: Steiner / Bruns: Wertpapiermanagement, 1998, S. 1-6
18
Eigene Abbildung

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Im Diagramm wird auf der senkrechten Achse die erwartete Aktienrendite und auf der waage-
rechten Achse die Höhe des systematischen Risikos, welches nicht durch Diversifikation zu
eliminieren ist, der Betafaktor, abgebildet. Der Betafaktor des Marktportfolios hat definiti-
onsgemäß den Wert eins.
Nun wird die erwartete Rendite des Marktportfolios eingetragen, die in obiger Abbildung als
Beispiel 5,0% beträgt. Die Gerade, die vom risikolosen Zinssatz beginnend (hier: R
f
= 3%) die
erwartete Rendite des Marktportfolios bei einem Betafaktor von eins schneidet, wird Wertpa-
pierlinie bezeichnet.
Zeichnet man im nächsten Schritt die erwarteten Renditen der einzelnen Aktien mit den dazu-
gehörigen Betafaktoren in das Diagramm ein, erkennt man, ob eine Aktie über- oder unterbe-
wertet ist. Befindet sich der ermittelte Punkt oberhalb der Wertpapierlinie, ist die Aktie unter-
bewertet, da zum entsprechenden Betafaktor der Aktie eine niedrigere Aktienrendite ange-
messen wäre. In diesem frei gewählten Beispiel beträgt der Betafaktor der BASF-Aktie 0,82
und die geschätzte Aktienrendite 6,2%. Da die faire Aktienrendite für einen Betafaktor von
0,82 bei 4,7% liegt, zeigt dies, dass die BASF-Aktie unterbewertet wäre.
Es offenbart sich jedoch ein gewisser Widerspruch ­ unterstellt man, dass alle Marktteilneh-
mer streng rational und nach den Erkenntnissen des CAPM handeln, so käme kein Handel zu-
stande. Konsequenz des hier gewählten Beispiels wäre, dass alle Anleger nun die BASF-Aktie
kaufen wollen und keine Verkäufer im Markt sind, da jeder weiß, dass die Aktie unterbewer-
tet ist. Versteht man das CAPM-Modell in seiner letzten Konsequenz, so wären Umsätze an
den Börsen grundsätzlich ausgeschlossen. Es gäbe keinen Anleger, der Aufträge an die Börse
bringt, die von den fairen Marktpreisen, die sich aus dem CAPM-Modell ergeben, abweichen.
Die Kapitalmarkttheorie versucht diesen Widerspruch zu lösen, indem sie die Marktteilneh-
mer, die unter dem fairen Marktpreis verkaufen bzw. über dem fairen Marktpreis kaufen, als
Noise-Trader bezeichnet.
19
Diese Sichtweise ist jedoch unbefriedigend, da sie die hohen Um-
sätze, die täglich an den weltweiten Aktienmärkten abgewickelt werden, nicht erklärt, sondern
lediglich als Störung ­ als Noise ­ betrachtet. Es müssen augenscheinlich andere Phänomene
sein, die derartige Börsenumsätze verursachen. Gerade in hochvolatilen Börsenphasen, bei-
spielsweise in der Schlussphase einer Hausse oder in der Schlussphase einer Baisse, steigen
die Umsätze überproportional an. In diesen Phasen ist die Emotionalität an den Märkten sehr
19
Vgl. Gerke, Wolfgang: Herrschaft der Androiden, in: Jünemann / Schellenberger: Psychologie, 1997, S. 25f.

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hoch, sie ist geprägt von maßloser Gier bzw. überstürzter Panik. Ein rationaler, nach den Er-
kenntnissen des CAPM handelnder Anleger scheint dann nicht vorzufinden zu sein.
Darüber hinaus mag die grafische Darstellung des CAPM-Modells mit der Wertpapierlinie
einerseits aussagekräftig und logisch sein, andererseits ist der analytische Wert der Aussagen
strikt abhängig von der Qualität der Eingabedaten Betafaktor und erwartete Aktienrendite.
Aus diesem Grunde werden nachfolgend die Inputparameter des CAPM eingehender analy-
siert.

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2.3. Inputparameter des CAPM
2.3.1. Betafaktor
Der Betafaktor gibt die Höhe des systematischen Risikos wider, d.h. inwieweit die Änderung
der Rendite einer einzelnen Aktie von der Renditeänderung des Gesamtmarktes abhängt. Er
wird auf der Grundlage historischer Börsentage ermittelt, was die Frage aufwirft, ob dieser
zur Einbindung in das CAPM uneingeschränkt in die Zukunft projiziert werden kann. Das
CAPM umgeht dieses Problem, indem es zulässt, den Betafaktor als Schätzwert anpassen zu
können ­ jedoch bleibt die Frage, ob eine zukünftige Änderung des Betafaktors zuverlässig
vorausgesagt werden kann.
Aktie
Beta 250 Tage
12.01.2000
Beta 250 Tage
14.02.2000
Beta 250 Tage
13.03.2000
Adidas
0,36
0,33
0,37
Allianz
1,16
1,12
0,95
BASF
0,78
0,73
0,70
Bayer
0,75
0,80
0,76
BMW
0,81
0,85
0,85
Commerzbank
0,76
0,71
0,76
DaimlerChrysler
0,92
0,85
0,69
Degussa-Hüls
0,59
0,54
0,55
Deutsche Bank
1,01
0,95
0,97
Dresdner Bank
1,26
1,11
1,07
Deutsche Telekom
1,25
1,29
1,43
Fresenius Medical Care
0,49
0,47
0,61
Henkel Vz.
0,48
0,46
0,41
Hypo-Vereinsbank
0,82
0,86
0,87
Karstadt-Quelle
0,96
0,81
0,74
Linde
0,60
0,65
0,50
Lufthansa
0,54
0,40
0,40
Metro
0,83
0,75
0,71
MAN
0,83
0,79
0,74
Münchner Rück
1,26
1,24
1,07
Preussag
0,97
0,87
0,84
RW E
0,75
0,64
0,37
SAP Vz.
1,21
1,25
1,32
Schering
0,62
0,55
0,53
Siemens
1,03
1,03
1,17
Thyssen Krupp
0,67
0,71
0,68
Veba
0,65
0,59
0,46
Viag
0,72
0,70
0,63
Volkswagen
0,86
0,73
0,63
Anmerkung: Mannesmann wurde durch Epcos ersetzt, daher hier keine Aufführung beider Titel
Tabelle 1: Betafaktoren DAX-Werte
20
Um diese Fragestellung zu untermauern, sind in der untenstehenden Tabelle die Betafaktoren
deutscher DAX-Titel vom 12.01.2000, 14.02.2000 und 13.03.2000 gegenübergestellt.
In der Tabelle erkennt man, dass sich die Betafaktoren einiger DAX-Werte bedeutend und
auch sprunghaft geändert haben. Der Betafaktor der RWE-Aktie beispielsweise ist von einem
20
Quelle: Handelsblatt Nr. 9/2000 vom 13.01.2000, S. 45, Nr. 32/2000 vom 15.02.2000, S. 43, Nr. 52/2000 vom
14.03.2000, S. 43

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Niveau von rund 0,7 auf 0,37 gefallen. Auch der Betafaktor der Allianz-Aktie änderte sich
deutlich, hier sogar von einem Wert größer als eins auf einen Wert kleiner als eins.
Fraglich bleibt also, ob historische Betafaktoren uneingeschränkt in die Zukunft fortgeschrie-
ben werden können. Eine zuverlässige Schätzung ist mit vielen Unwägbarkeiten verbunden,
sie wird bei der Vielzahl der Marktteilnehmer unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen.
21
Kritisch ist dies, da die Höhe des Betafaktors dahingehend entscheidend ist, ob eine Aktie ü-
ber- oder unterbewertet ist.
2.3.2. Aktienrenditen
Die zweite Bestimmungsgröße des CAPM-Modells, die erwartete Aktienrendite, erfolgt aus
einem fundamentalen Analyseansatz. Ausschlaggebend für Renditeprognosen, die zumindest
mittelfristig orientiert sind, ist in den Augen der Fundamentalanalysten die Ertragsstärke, also
die Gewinnentwicklung eines Unternehmens.
Hieraus erwächst eine Problematik des Bewertungsmodells. Denn eine Schätzung des Unter-
nehmensgewinnes kann niemals genau sein, da auch bei sorgfältigster Researcharbeit Un-
wägbarkeiten auftreten können und somit eine fundamentale Prognose mit Unsicherheit be-
haftet ist. Eine exakte Gewinnentwicklung wird wohl nicht einmal ein Insider des betreffen-
den Unternehmens voraussagen können.
22
Maßgeblich für die Kursentwicklung eines Unternehmens ist weiterhin, inwieweit die tatsäch-
lich erzielten Gewinne innerhalb der Markterwartungen liegen. Weicht der Gewinn eines Un-
ternehmens stark vom prognostizierten Ergebnis ab, wird der Aktienkurs entsprechend reagie-
ren. Anhand des Chartbildes der SAP-Aktie in Abbildung 8 kann man dieses Marktverhalten
deutlich erkennen.
21
Vgl. Bruns / Meyer-Bullerdiek: Portfoliomanagement, 2000, S. 72
22
Vgl. Jünemann, Bernhard: Versuch und Irrtum, in: Jünemann / Schellenberger: Psychologie, 1997, S. 12

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Abbildung 8: Chart SAP Vz. 27.12.1999 - 14.01.2000
23
Bis 3. Januar 2000 zeigte der Kursverlauf eine stabile Aufwärtsbewegung, die an den zwei
folgenden Börsentagen in eine scharfe Korrektur mündete. Die Aktie fiel vom Tageshoch am
3. Januar innerhalb von nur zwei Börsentagen um 20 Prozent. Die Ursache dieses starken
Einbruchs waren neben der schwachen Tendenz des Gesamtmarktes Befürchtungen von Ana-
lysten hinsichtlich der Quartalszahlen, deren Veröffentlichung für den 7. Januar 2000 ange-
kündigt waren. Die Börsianer hielten es für möglich, dass die Ergebniszahlen unterhalb der
Prognosen liegen könnten. Im Zeitraum vom 4. bis 6. Januar veröffentlichten daher vier Ana-
lystenhäuser aktuelle Einschätzungen zur SAP-Aktie, die in Tabelle 2 aufgeführt werden.
Datum
Institut
Einschätzung
04.01.2000
Bankhaus Lampe
Verkaufen
05.01.2000
M.M. Warburg
Weiter reduzieren
05.01.2000
Commerzbank
Haltenswert
06.01.2000
Goldman Sachs
Downgrade von Outperformer
auf Marketperformer
06.01.2000
Conrad Hinrich Donner Bank
Kurspotential
Tabelle 2: Analystenschätzungen zur SAP AG 04.01.2000 - 06.01.2000
24
Die von der SAP AG am 7. Januar veröffentlichten Quartalszahlen des vierten Quartals 1999
waren jedoch entgegen den Analystenerwartungen äußerst gut. Das Ergebnis pro Aktie wurde
23
Eigene Abbildung
24
Quelle: AC Research, e-Mails vom 04.01.2000, 05.01.2000, 06.01.2000

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Seite 18 von 88
nach dem Vorliegen der vorläufigen Zahlen auf annähernd 5,60 Euro korrigiert.
25
Noch in der
zweiten Januarausgabe des Börsenmagazins ,,Börse Online" wurde ein Gewinn pro Aktie von
4,40 Euro
26
veröffentlicht. Dementsprechend positiv war die Reaktion der Börsenteilnehmer
am 7. Januar 2000 ­ die Aktie stieg im Tagesverlauf um annähernd 18 Prozent. An den nun
folgenden Börsentagen wurden von Analystenhäusern weitere neue Einschätzungen veröf-
fentlicht, die in
Tabelle 3 aufgelistet werden.
Datum
Institut
Einschätzung
10.01.2000
AC Research
Kurzfristiger Underperformer
10.01.2000
Merrill Lynch
Aussichtsreich
10.01.2000
Mees Person
Kurspotential
10.01.2000
WestLB Panmure
Outperformer
10.01.2000
Sal. Oppenheim
Mit positiver Tendenz
10.01.2000
Morgan Stanley
Kursziel 800 Euro
10.01.2000
Merck Finck & Co.
Outperformer
11.01.2000
Sal. Oppenheim
Halten
11.01.2000
ING Baring Furman Selz
Haltenswert
11.01.2000
Deutsche Bank
Kursziel 900 Euro
11.01.2000
HypoVereinsbank
Upgrade
12.01.2000
Goldman Sachs
Kursziel 900 Euro
14.01.2000
Das Wertpapier
Kaufen
17.01.2000
Bankhaus Reuschel
In Schwächephasen aufstocken
17.01.2000
M.M. Warburg
Kursziel 790 Euro
17.01.2000
WestLB Panmure
Outperformer
17.01.2000
Helaba Trust
Upgrade
17.01.2000
WGZ-Bank
Marketperformer
Tabelle 3: Analystenschätzungen zur SAP AG 10.01.2000 - 17.01.2000
27
Auffällig ist, dass die Tendenz der Einschätzungen von einer eher negativen zu einer über-
wiegend positiven Bewertung übergegangen ist, die Analystenmeinungen sind zudem weitge-
hend homogen. Während vor dem 7. Januar die Analysten eher zum Verkauf der SAP-Aktie
rieten, waren die Analystenmeinungen nach der Veröffentlichung der Quartalszahlen weitaus
optimistischer.
25
Vgl. AC Research, e-Mail vom 10.01.2000, S. 2
26
Vgl. Börse Online Nr. 2/2000, S. 115
27
Quelle: AC Research, e-Mails vom 10.01.2000, 11.01.2000, 12.01.2000, 14.01.2000, 17.01.2000

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Der Grund für die Homogenität der Analystenschätzungen liegt maßgeblich darin, dass die
Analysten größtenteils auf gleiches Datenmaterial zurückgreifen und über ähnliche Informati-
onen verfügen, daher zu Einschätzungen innerhalb einer relativ engen Bandbreite gelangen.
28
Festzuhalten bleibt, dass Analystenschätzungen oftmals deutlich von tatsächlich erzielten Er-
gebnissen abweichen. Zudem ist die Erwartung der Börsenakteure von entscheidender Bedeu-
tung. Die Kursentwicklung nach Veröffentlichung von Unternehmenszahlen ist nicht alleine
dadurch bestimmt, wie erfolgreich die Zahlen für das Unternehmen selbst einzuschätzen sind,
sondern in welchem Maße die Erwartungen der Anleger übertroffen oder nicht erfüllt wurden.
Die Problematik der Kapitalmarktmodelle macht, wie am Beispiel des CAPM gezeigt, deut-
lich, dass sich die Bewertung von Aktien nicht ohne Vorbehalt rechnerisch ermitteln lässt. Da
die Marktteilnehmer keine emotionslosen Maschinen sind, die rein rational Kauf- oder Ver-
kaufsentscheidungen treffen, ist hierin ein Gebiet zu erkennen, das eine weitergehende Be-
trachtung lohnenswert macht.
Um zu untersuchen, inwieweit jeder einzelne Marktteilnehmer zur Vorbereitung von Investi-
tionsentscheidungen Informationen verarbeitet und bei diesem Prozess natürlichen, also
menschlichen, Anomalien unterworfen ist, wird dies im nachfolgenden Kapitel näher betrach-
tet.
28
Vgl. Goldberg / von Nitsch: Behavioral Finance, 1999, S. 218

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783832458294
ISBN (Paperback)
9783838658292
DOI
10.3239/9783832458294
Dateigröße
4.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln – Wirtschaft, Kreditwirtschaft
Erscheinungsdatum
2002 (September)
Note
1,0
Schlagworte
verhaltensorientierte kapitalmarktforschung technische analyse fundamentalanalyse sentimentindikatoren dispositionseffekt
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