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Alkoholismus und Psychose

©2002 Diplomarbeit 107 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Doppeldiagnose-Patienten erhöht, was diverse Prävalenzstudien belegen.
Nach der definitorischer Klärung der Begriffe Alkoholismus, Schizophrenie und affektive Störung, die die Grundlage für nachfolgenden Betrachtungen bilden, werden verschiedene Prävalenzstudien zur Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens von Alkoholismus und Psychose dargestellt. Anschließend werden unterschiedliche Entstehungskonzepte dieses Zusammenhanges zwischen den beiden Störungsbildern erläutert. Hierzu gehören Problembereiche der Diagnostik und Behandlung von Doppeldiagnosen, die den dringenden Handlungsbedarf verdeutlichen. Schwerpunkt der Arbeit bildet die Darstellung spezialisierter Behandlungsmodelle für Doppeldiagnose-Patienten, Charakteristika dieser Ansätze und Einrichtungen im Raum Franken. Wenngleich hier nur im geringen Umfang Daten vorliegen, sprechen die Ergebnisse dafür, dass spezialisierte Behandlungseinrichtungen sinnvoll und notwendig sind.
In vielen Einrichtungen für psychisch Kranke gilt eine zusätzliche Suchtmittelproblematik als Ausschlusskriterium, eine Aufnahme des Patienten wird abgelehnt. Dennoch sind immer wieder Patienten mit der Zusatzdiagnose Suchtmittelabhängigkeit in Einrichtungen für psychisch kranke Menschen zu finden, da vor der Aufnahme die Suchtstörung nicht bekannt ist oder verharmlost wird. Auch umgekehrt haben suchtspezifische Einrichtungen mit Patienten zu tun, die zusätzlich an einer psychischen Störung leiden. Beim gleichzeitigen Vorhandensein einer psychischen Störung und einer Suchtmittelerkrankung spricht man von Doppeldiagnose oder Komorbidität.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem speziellen Ausschnitt der Komorbidität von Sucht und psychischer Erkrankung, nämlich mit Alkoholismus und Psychose.
Während meines Jahrespraktikums 1999/2000 in einer Therapeutischen Wohngemeinschaft für psychisch kranke Menschen sah ich mich erstmals mit dem Begriff der Komorbidität konfrontiert. Im Verlauf meines Praktikums stieß ich immer wieder auf diagnostische Unklarheiten, welche die Arbeit mit Komorbiditätspatienten erschwerte, da die Zielgerichtetheit der Behandlung nicht eindeutig festlegbar erschien. Die Verschwommenheit des Begriffes stellte den Anreiz für diese Untersuchung dar.
Da die therapeutische Grundhaltung bei der Behandlung einer psychischen Erkrankung anders ist als die einer Suchtstörung wurde in den letzten Jahren mehrfach versucht Behandlungsprogramme […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6012
Boes, Franziska: Alkoholismus und Psychose
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Würzburg, Fachhochschule, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis I
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
1
2
Begriffliche Überlegungen
3
2.1
Alkoholismus
3
2.2
Psychose
6
2.2.1
Schizophrenie
6
2.2.2
Affektive Störungen
8
2.2.2.1
Depression
8
2.2.2.2
Manie
10
2.3
Komorbidität
12
3
Prävalenz
14
3.1
Prävalenz
15
3.2
Prävalenz der Psychosen
16
3.2.1
Prävalenz der Schizophrenie
16
3.2.2
Prävalenz der affektiven Störungen
16
3.3
Prävalenz von Alkoholismus und Psychose
17
3.3.1
Alkoholismus und Schizophrenie
17
3.3.2
Alkoholismus und affektive Störungen
19
4
Entstehungsmodelle
23
4.1
Zufallsmodell
23
4.2
Interaktionsmodell
23
4.2.1
Substanzmittelmissbrauch erhöht das Risiko
psychiatrischer Erkrankungen
24
4.2.2
Psychiatrische Erkrankungen erhöhen das Risiko für
Abhängigkeitserkrankungen
25
4.2.2.1
Stigmatisierungsmodell
25
4.2.2.2
Sozialwissenschaftliche Faktoren
25
4.2.2.3
Kommunikativer Faktor
26
4.2.2.4
Selbstmedikationshypothese
26
4.2.2.5
Existenz eines gemeinsamen Faktors
28
4.3
Doppeldiagnosen als eigenständiges Krankheitsbild 30
5
Problematik
31
5.1
Problematik der Feststellung
31
5.2
Problematik der Behandlung
36

Inhaltsverzeichnis II
6
Notwendigkeit spezialisierter Behandlungsmodelle
41
6.1
Versorgung psychisch Kranker und Alkoholkranker 41
6.1.1
Versorgung psychisch Kranker
41
6.1.1.1
Ambulante Versorgung
41
6.1.1.2
Stationäre Versorgung
43
6.1.1.3
Komplementäre Versorgung
44
6.1.2
Versorgung Alkoholkranker
45
6.1.2.1
Ambulante Versorgung
45
6.1.2.2
Stationäre Versorgung
46
6.1.2.3
Komplementäre Versorgung
47
6.2
Versorgung von Doppeldiagnose-Patienten
47
6.2.1
Versorgung im internationalen Raum
48
6.2.1.1
Ambulante Versorgung
48
6.2.1.2
Stationäre Versorgung
49
6.2.1.3
Komplementäre Versorgung
52
6.2.2
Versorgung in der BRD
56
6.2.2.1
Ambulante Versorgung
56
6.2.2.2
Stationäre Versorgung
56
6.2.2.3
Komplementäre Versorgung
59
6.2.3
Versorgung in Franken
60
6.2.3.1
Ambulante Versorgung
61
6.2.3.2
Stationäre Versorgung
61
6.2.3.3
Komplementäre Versorgung
63
6.3
Charakteristika der Behandlungsprogramme
69
6.4
Koordination der Behandlung
71
7
Kritische Wertung der Ergebnisse
74
8
Konsequenzen für die Soziale Arbeit
79
9
Zusammenfassung
82
10
Literaturverzeichnis
83
Erklärung zur Diplomarbeit
103
Danksagung
104

1 Einleitung 1
1 Einleitung
In vielen Einrichtungen für psychisch Kranke gilt eine zusätzliche Suchtmittel-
problematik als Ausschlusskriterium, eine Aufnahme des Patienten wird abge-
lehnt. Dennoch sind immer wieder Patienten mit der Zusatzdiagnose Suchtmit-
telabhängigkeit in Einrichtungen für psychisch kranke Menschen zu finden, da
vor der Aufnahme die Suchtstörung nicht bekannt ist oder verharmlost wird.
Auch umgekehrt haben suchtspezifische Einrichtungen mit Patienten zu tun, die
zusätzlich an einer psychischen Störung leiden. Beim gleichzeitigen Vorhan-
densein einer psychischen Störung und einer Suchtmittelerkrankung spricht
man von Doppeldiagnose oder Komorbidität.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem speziellen Ausschnitt der Komorbidität
von Sucht und psychischer Erkrankung, nämlich mit Alkoholismus und Psycho-
se.
Während meines Jahrespraktikums 1999/2000 in einer Therapeutischen Wohn-
gemeinschaft für psychisch kranke Menschen sah ich mich erstmals mit dem
Begriff der Komorbidität konfrontiert. Im Verlauf meines Praktikums stieß ich
immer wieder auf diagnostische Unklarheiten, welche die Arbeit mit Komorbidi-
tätspatienten erschwerte, da die Zielgerichtetheit der Behandlung nicht eindeu-
tig festlegbar erschien. Die Verschwommenheit des Begriffes stellte den Anreiz
für diese Untersuchung dar.
Da die therapeutische Grundhaltung bei der Behandlung einer psychischen Er-
krankung anders ist als die einer Suchtstörung (Schneider und Pichelt-Welle,
1994) wurde in den letzten Jahren mehrfach versucht Behandlungsprogramme
zu entwickeln, die ermöglichen sollen beiden Störungen gerecht zu werden.
Ziel dieser Arbeit ist, neben einer inhaltlichen Präzision des Begriffes Komorbi-
dität, Erklärungsansätze zur Entstehung von Doppeldiagnosen darzustellen, die
Problematik der Diagnostik und der Behandlung von Doppeldiagnosen zu ver-
anschaulichen und die sich daraus entwickelten konzeptionellen therapeuti-
schen Überlegungen zu erörtern. Dabei geht es in dieser Arbeit nicht um alko-

1 Einleitung 2
holinduzierte Psychosen, wie beispielsweise die Alkoholhalluzinose, sondern
nur um Alkoholismus und Psychosen als zwei eigenständige Krankheitsbilder.
Da in der deutschen Sprache noch immer hauptsächlich die rein männliche
Form in der Schreibweise gebraucht wird wurde auf eine ständige Berücksichti-
gung beider Geschlechter zugunsten der Lesbarkeit verzichtet.

2 Begriffliche Überlegungen 3
2 Begriffliche
Überlegungen
Da die Diagnosen von psychischen Erkrankungen anhand der beiden Klassifi-
kationssysteme ICD-10 oder des DSM-IV gestellt werden richtet sich vorliegen-
de Arbeit nach den Bestimmungen der ICD-10, welche in Deutschland verbind-
lich ist.
2.1 Alkoholismus
Der Begriff ,,Alkoholismus" wurde erstmalig 1849 von Magnus Huss verwandt.
In der Folgezeit gab es eine Reihe weiterer Definitionsversuche, die Alkoholis-
mus als Laster, Willens- und Charakterschwäche, erlerntes Fehlverhalten und
Symptom einer zugrunde liegenden psychischen Störung (Schmidt, 1999) be-
zeichneten.
1960 definierte Keller Alkoholismus als ,,eine psychogene Abhängigkeit von
oder eine physiologische Süchtigkeit nach Ethanol, die sich äußert in der dau-
erhaften Unfähigkeit des Alkoholikers entweder den Anfang des Trinkens oder
seine Beendigung, wenn er einmal angefangen hat, zu kontrollieren (...)" (Kel-
ler,1960, S. 127; aus dem Englischen übersetzt von der Verfasserin dieser Ar-
beit) und kommt dem heutigen Verständnis von Alkoholismus recht nah.
Jellinek beschrieb den Alkoholismus 1946 erstmals als Krankheit und versteht
unter Alkoholismus jeglichen Gebrauch von alkoholischen Getränken, der dem
Individuum oder der Gesellschaft oder beiden einen Schaden zufügt. Bis zur
Anerkennung des Alkoholismus als Krankheit in der BRD dauerte es allerdings
bis 1968. Trotzdem gilt Alkoholismus oftmals noch immer als Charakterschwä-
che.
Nach Feuerlein (1989) gibt es unter klinischen Gesichtspunkten fünf Definitions-
kriterien für Alkoholismus:
· abnormes Trinkverhalten (nach Menge und Modalität des Alkoholkon-
sums)
· somatische (körperliche) alkoholbezogene Schäden
· psychosoziale alkoholbezogene Schäden

2 Begriffliche Überlegungen 4
· Entwicklung von Toleranz und körperlichem Entzugssyndrom
· Entwicklung von ,,Entzugssyndromen auf der subjektiven Ebene" (Kon-
trollverlust, gesteigertes Verlangen nach Alkohol, Zentrierung des Den-
kens und Strebens auf Alkohol; ,,psychische Abhängigkeit").
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fällt unter den Begriff des Alkoho-
lismus einerseits der ,,schädliche Gebrauch" (früher als Missbrauch bezeichnet)
als auch das ,,Abhängigkeitssyndrom", was in den folgenden Rahmen erläutert
und voneinander abgegrenzt wird.
Rahmen 1
ICD-10-Kriterien schädlicher Gebrauch F10.1
Ein Konsummuster psychotroper Substanzen, das zu einer Gesundheitsschädi-
gung führt. Diese kann eine körperliche Störung, etwa eine Hepatitis durch
Selbstinjektion von Substanzen sein oder eine psychische Störung, z. B. eine
depressive Episode nach massivem Alkoholkonsum.
Diagnostische Leitlinien
Die Diagnose erfordert eine tatsächliche Schädigung der psychischen oder
physischen Gesundheit des Konsumenten.
Schädliches Konsumverhalten wird häufig von anderen kritisiert und hat auch
häufig unterschiedliche negative soziale Folgen. Die Ablehnung des Konsum-
verhaltens oder einer bestimmten Substanz von anderen Personen oder einer
ganzen Gesellschaft, ist kein Beweis für den schädlichen Gebrauch, ebenso
wenig wie etwaige negative soziale Folgen z.B. Inhaftierung oder Eheprobleme.
Dilling, 1999, S. 91-92

2 Begriffliche Überlegungen 5
Rahmen 2
ICD-10-Kriterien Abhängigkeitssyndrom F10.2
Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phä-
nomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für
die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die
von ihr früher höher bewertet wurden. Ein entscheidendes Charakteristikum der
Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope
Substanzen (Alkohol) zu konsumieren.
Es gibt Hinweise darauf, dass die weiteren Merkmale des Abhängigkeitssyn-
droms bei einem Rückfall nach einer Abstinenzphase schneller auftreten als bei
Nichtabhängigen.
Diagnostische Leitlinien
Die sichere Diagnose "Abhängigkeit" sollte nur gestellt werden, wenn irgend-
wann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien
gleichzeitig vorhanden waren:
1.
Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu
konsumieren.
2.
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung
und der Menge des Konsums.
3.
Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des
Konsums...
4.
Nachweis einer Toleranz...
5. Fortschreitende
Vernachlässigung
anderer Vergnügen oder Interessen
zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Sub-
stanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erho-
len.
6.
Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher
Folgen...
Dilling, 1999, S. 92-93

2 Begriffliche Überlegungen 6
2.2 Psychose
In der traditionellen psychiatrischen Klassifikation wird zwischen exogenen und
endogenen Psychosen unterschieden. Im Folgenden sollen jedoch nur die en-
dogenen Psychosen beschrieben werden, also nicht diejenigen, deren Ursache
erkennbarer Organ- bzw. Hirnveränderungen sind, sondern die, die ,,ohne er-
kennbare organische Grundlagen" (Fröhlich, 1997) auftreten. Die endogenen
Psychosen wiederum wurden in affektive und schizophrene Psychosen unter-
gliedert. Diese Aufteilung geht auf Kraepelin zurück, der die Psychosen in die
,,Dementia praecox" und das ,,manisch-depressive Irresein" unterteilte. Der Beg-
riff der ,,Schizophrenien" löste später den der ,,Dementia praecox" ab und fasste
psychotische Störungen mit einer ungünstigen Prognose zusammen. Bei der
zweiten Erkrankungsgruppe, dem ,,manisch-depressiven Irresein", später als
affektive Psychosen bezeichnet, ging Kraepelin von einem günstigen Verlauf
aus (Krabbe, 1997).
Moderne Klassifikationsschemata wie die ICD-10 nehmen heute allerdings Ein-
teilungen nach phänomenologischen Kriterien wie Symptomatik, Verlauf oder
Schweregrad vor. Außerdem wurde der Ausdruck Krankheit durch Störung er-
setzt.
2.2.1 Schizophrenie
Kraepelin prägte 1898 die Bezeichnung ,,Dementia praecox" in einer Arbeit über
,,Die Diagnose und Prognose der Dementia praecox". In dieser Arbeit beschrieb
er Schizophrenie als eine Krankheit, ,,die sich durch Auftreten bei meist jugend-
lichen, bis dahin gesunden Personen, Fehlen einer äußeren Ursache und vor
allem durch späteren Verfall und Defekt auszeichnete" (Peters, 1997, S. 463).
Symptome für dieses Krankheitsbild sind nach Kraepelin ,,Wahn, Halluzinatio-
nen, Affektstörungen und Stereotypien" (Peters, 1997, S. 463), jedoch charakte-
risierte er die Dementia praecox hauptsächlich durch Verlauf und Ausgang
(Olbrich, 1999).
Bleuler führte 1911 den Begriff Schizophrenie ein, der den der Dementia prae-
cox aufhob, da ,,weder eine Demenz im üblichen Sinne eintritt noch stets von
praecox (frühzeitig) gesprochen werden kann" (Peters, 1997).

2 Begriffliche Überlegungen 7
Nach Bleuler umfasst Schizophrenie ,,eine Gruppe endogener Psychosen, de-
ren Grundsymptome auf ein Nichtzusammenpassen, auf eine Spaltung des
Denkens und Handelns hindeuten. Störungen aus dem Formenkreis der Schi-
zophrenie äußern sich nach Bleuler u.a. in schwerwiegenden Beeinträchtigun-
gen des Denkens einschließlich der Sprache, z.B. übertriebenes Symbolden-
ken, Begriffskontaminationen, Zerfahrenheit, Konzentrationsstörungen, in Be-
ziehungs- und Verfolgungsideen, vorwiegend akustischen Halluzinationen,
zeitweilige Verstimmungen, Ängsten oder inadäquaten Affekten, bei akuten
Formen meist ohne nachfolgende intellektuelle Beeinträchtigungen, bei chroni-
schen gelegentlich mit Anzeichen herabgesetzter intellektueller Leistungsfähig-
keit in umschriebenen Bereichen und affektiven Veränderungen" (Fröhlich,
1997, S. 359).
In Rahmen 3 sind die Kriterien einer Schizophrenie gemäß ICD-10 Bestimmun-
gen aufgelistet.
Rahmen 3
ICD-10-Kriterien Schizophrenie F20
1. Gedankenlautwerden,
Gedankeneingebung oder Gedankenentzug,
Gedankenausbreitung.
2. Kontrollwahn,
Beeinflussungswahn,
Gefühl des Gemachten, deutlich be-
zogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken,
Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmungen.
3.
Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und
sein Verhalten sprechen, oder andere Stimmen, die aus einem Teil des
Körpers kommen.
4.
Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer bizar-
rer Wahn, wie der, eine religiöse oder politische Persönlichkeit zu sein,
übermenschliche Kräfte und Fähigkeiten zu besitzen (z.B. das Wetter
kontrollieren zu können oder im Kontakt mit Außerirdischen zu sein).
5.
Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder
von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deut-
liche affektive Beteiligung, oder begleitet von anhaltenden überwertigen
Ideen, täglich über Wochen oder Monate auftretend.

2 Begriffliche Überlegungen 8
6.
Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu
Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt.
Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächser-
ne Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor.
7.
,,Negative" Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflach-
te oder inadäquate Affekte, zumeist mit sozialem Rückzug und vermin-
derter sozialer Leistungsfähigkeit. Diese Symptome dürfen nicht durch
eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht sein.
8.
Eine eindeutige und durchgängige Veränderung bestimmter umfassen-
der Aspekte des Verhaltens der betreffenden Person, die sich in Ziello-
sigkeit, Trägheit, einer in sich selbst verlorenen Haltung und sozialem
Rückzug manifestiert
.
Dilling, 1999, S. 104-105
2.2.2 Affektive Störungen
Bereits in der Antike gab es Beschreibungen affektiver Erkrankungen.
Hippokrates benannte diese im 4. Jahrhundert v. Chr. Melancholie und Manie
(Berger, 2000).
Jules Falret bezeichnete die Tatsache, dass Patienten zwischen depressiven
und gehobenen Stimmungslagen zyklieren können als folie circulaire. 1880 kam
es zu der Einführung des Begriffes Zyklothymie durch Kahlbaum ,,um zu ver-
deutlichen, dass Manien und Melancholien unterschiedliche Zustände nur eines
Krankheitsbildes darstellen" (Berger, 2000, S. 484).
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts benannte Kraepelin dieses Krankheitsbild
,,manisch-depressives Irresein" und schloss auch die unipolaren Depressionen
mit ein. Später wurde hierfür der Ausdruck ,,affektive Psychose" verwandt.
2.2.2.1 Depression
Das Wörterbuch Psychologie definiert Depression folgendermaßen:
,,Depression oder depressive Störungen im klinischen Sinne äußern sich
in länger anhaltenden, wiederholte Episoden depressiver Verstimmung,
die mit oder ohne direkten Bezug zu tatsächlichen oder vorgestellten

2 Begriffliche Überlegungen 9
Problemen bzw. momentanen Hilflosigkeitserfahrungen auftreten und mit
Beeinträchtigungen der Denk- und Handlungsfähigkeit und einer Vielzahl
psychischer und somatischer Symptome einhergehen können" (Fröhlich,
1997, S. 117).
Nach Davison und Neale (1998) ist Depression gekennzeichnet durch ,,starke
Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, Gefühle der Wertlosigkeit und Schuld,
sozialen Rückzug, Schlafstörungen, Verlust von Appetit und sexuellem Verlan-
gen oder Verlust von Interessen und Freude an alltäglichen Handlungen" (Davi-
son und Neale, 1998, S. 252).
Im folgenden werden die diagnostischen Kriterien der Depression nach der
ICD-10 beschrieben. Je nach Art und Schwere der vorliegenden Symptome
erfolgt eine Einteilung in eine leichte (F32.0), mittelgradige (F32.1) und schwere
depressive (F32.2) Episode. Zwischen den in der ICD-10 genannten Sympto-
men einer depressiven Episode, dargestellt in Rahmen 4, und der im DSM-IV
bezeichneten Major Depression besteht zwar keine identische, jedoch eine all-
gemeine Übereinstimmung, weshalb auf eine Darstellung der DSM-IV-Kriterien
verzichtet wird.
Rahmen 4
ICD-10-Kriterien zur depressiven Episode F32
1. gedrückte
Stimmung
2.
Interessenverlust oder Freudlosigkeit
3.
Verminderung des Antriebs
4.
Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit.
5. Vermindertes
Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.
6.
Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depres-
siven Episoden)
7.
Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
8.
Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen
9. Schlafstörungen
10. Verminderter
Appetit
Dilling, 1999, S. 139

2 Begriffliche Überlegungen 10
Die ICD-10 verweist in diesem Zusammenhang auf das somatische Syndrom,
welches ebenfalls anhand des folgenden Rahmens kurz dargestellt wird. Zur
Diagnose des somatische Syndroms müssen wenigstens vier der folgenden
Symptome feststellbar sein (Dilling, 1999).
Rahmen 5
ICD-10-Kriterien zum somatischen Syndrom
1. Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angeneh-
men Aktivitäten.
2. Mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder freudige Er-
eignisse emotional zu reagieren.
3.
Frühmorgendliches Erwachen; zwei oder mehr Stunden vor der gewohn-
ten Zeit.
4. Morgentief.
5. Der objektive Befund einer psychomotorischen Hemmung oder Agitiert-
heit.
6. Deutlicher Appetitverlust.
7. Gewichtsverlust, häufig mehr als 5 % des Körpergewichts im vergange-
nen Monat.
8. Deutlicher Libidoverlust
.
Dilling,1999,S.140
Die ICD-10 weist darauf hin, dass die beschriebenen Kategorien nur für eine
einzelne depressive Episode verwendet werden sollen. Treten weitere depres-
sive Episoden auf sind diese den rezidivierenden depressiven Störungen (F33)
zuzuordnen (Dilling, 1999).
2.2.2.2 Manie
Manie ist in der klassischen Beschreibung und Klassifikation von Psychosen die
Bezeichnung für ein Zustandsbild, welches durch das Vorherrschen einer un-
begründet heiteren, optimistischen Stimmungslage gekennzeichnet ist. Diese
geht einher mit Gefühlen des uneingeschränkten körperlichen Wohlbefindens,
der Selbstüberschätzung sowie mit einem allgemein gesteigerten Aktivitäts-

2 Begriffliche Überlegungen 11
drang, was nicht selten in unkontrollierten, enthemmten Verhaltensweisen und
erhöhter Irritierbarkeit, Reizbarkeit und gelegentlicher Agitiertheit mündet (Fröh-
lich, 1997).
ICD-10 als auch DSM-IV verlangen eine mindestens eine Wochen andauernde
Episode zur Diagnose der Manie. Für die Diagnosestellung der Manie müssen
mindestens drei der folgenden Merkmale vorhanden sein und ,,eine schwere
Störung der persönlichen Lebensführung verursachen" (Dilling, 1999, S. 134-
135).
Rahmen 6
ICD-10-Kriterien der Manie
1.
gesteigerte Aktivität oder motorische Ruhelosigkeit
2.
gesteigerte Gesprächigkeit (Rededrang)
3.
Ideenflucht oder subjektives Gefühl von Gedankenrasen
4.
Verlust normaler sozialer Hemmungen, was zu einem den Umständen
unangemessenen Verhalten führt
5. Vermindertes
Schlafbedürfnis
6. Überhöhte
Selbsteinschätzung oder Größenwahn
7.
Ablenkbarkeit oder andauernder Wechsel von Aktivitäten oder Plänen
8.
Tollkühnes oder leichtsinniges Verhalten, dessen Risiken die Betroffenen
nicht erkennen (...)
9.
Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit
Dilling, 1999, S. 132-133
In der ICD-10 sind drei Haupttypen der Manie zu finden, welche die Schwere-
grade zum Ausdruck bringen:
· Hypomanie (F30.0)
· Manie ohne psychotische Symptome (F30.1)
· Manie mit psychotischen Symptomen (F30.2)

2 Begriffliche Überlegungen 12
2.3 Komorbidität
Teils durch die Einführung von Klassifikationssystemen, teils durch die Öffnung
der Langzeitkrankenhäuser aufgrund der Psychiatrie-Enquête stieg in den letz-
ten Jahren die Zahl der Psychose-Sucht-Fälle drastisch an (Drake et al., 1994).
Die Psychiatrie-Enquête von 1975 war eine Veröffentlichung des Deutschen
Bundestages zur Lage der Psychiatrien in Deutschland. Es wurden Ideen ent-
wickelt, die zur Verkleinerung der großen Anstalten hin zu gemeindenahen und
überschaubaren Institutionen führten. Patienten, welche zuvor langfristig hospi-
talisiert wurden, werden heute vermehrt ambulant oder in gemeindenahen Ein-
richtungen behandelt und haben dadurch leichteren Zugang zu Alkohol und
Drogen als früher; zusätzlich stieg in den letzten Jahren die soziale Akzeptanz
und Einnahme von Drogen massiv an (Maß und Krausz, 1993).
Psychose-Sucht-Erkrankungen werden allgemein mit dem Begriff Komorbidität
bezeichnet, der erstmals von Feinstein in den 70er Jahren eingeführt wurde um
die klinische Bedeutung zusätzlicher Diagnosen bei chronisch verlaufenden
Erkrankungen zu untersuchen (Feinstein, 1970). In der Psychiatrie taucht ne-
ben dem Begriff ,,Komorbidität" oftmals auch die Bezeichnung ,,Doppeldiagnose"
auf.
Bachmann und Moggi (1993) grenzen die beiden Begriffe, die in der psychiatri-
schen Literatur häufig synonym verwendet werden, folgendermaßen voneinan-
der ab: Eine Doppeldiagnose liegt dann vor, wenn Patienten gleichzeitig an ei-
ner schweren psychiatrischen Erkrankung als auch an einer Suchtkrankheit
leiden (Bachmann und Moggi, 1993), während Komorbidität das Auftreten meh-
rerer psychischer Störungen wie z.B. Depression, Anorexie oder Panikattacken
ohne Suchtmittelproblematik bezeichnet (Penick et al., 1990). Hierbei stellt sich
allerdings die Frage, worunter Bachmann und Moggi Suchterkrankungen ein-
ordnen, da in der ICD-10 beispielsweise das Abhängigkeitssyndrom im Kapitel
der psychischen Störungen erscheint.
Maier, Linz und Freyberger (1997, S. 75) beschreiben Komorbidität als ,,die Ko-
existenz von zwei oder mehr Störungen mit unterschiedlichen, krankheitsspezi-
fischen Ätiologien und Pathophysiologien (...)". Sie merken jedoch an, dass der

2 Begriffliche Überlegungen 13
Ausdruck ,,im Kontext psychiatrischer Störungen nicht ganz zutreffend" sei, da
Ätiologie und Pathophysiologie bei den meisten psychiatrischen Störungen un-
bekannt seien. Sie weisen darauf hin, dass der Begriff ,,duale Diagnose" adä-
quater sei, sie aber in ihrer Arbeit beide Begrifflichkeiten, duale Diagnose und
Komorbidität, synonym verwenden.
Wittchen und Vossen (1995) definieren Komorbidität als das Auftreten von mehr
als einer spezifisch diagnostizierbaren psychischen Störung bei einer Person in
einem definierten Zeitintervall .
Des weiteren lässt sich Komorbidität in interne und externe Komorbidität auftei-
len. Interne Komorbidität liegt vor, wenn ,,das Auftreten von Diagnosen aus der-
selben diagnostischen Klasse (z.B. soziale Phobie und Agoraphobie)" gemeint
ist, während externe Komorbidität ,,das Auftreten von Störungen aus verschie-
denen diagnostischen Klassen (z.B. Alkoholabhängigkeit und Angststörung)"
(Driessen, 1999, S. 2) bezeichnet.
Driessen, Dierse und Dilling (1994, S. 35) definieren den Begriff Komorbidität
wie folgt: ,,Es handelt sich um psychiatrisch relevante Störungen, die zu unter-
schiedlichen Zeitpunkten vor Beginn oder während des Verlaufs der Abhängig-
keit auftreten können."
Die Definition von Gold und Slaby vereinigt beide Begriffe: ,,Die Begriffe Komor-
bidität oder Doppeldiagnose meinen das Vorhandensein von zwei (oder mehre-
ren) separaten diagnostischen Entitäten in einer Person. Im Bereich der Dro-
genmedizin spricht man von Komorbidität beim Vorliegen einer Störung durch
psychotrope Substanzen und einer weiteren psychiatrischen Störung, z.B. einer
depressiven Episode" (Gold und Slaby, 1991).

3 Prävalenz 14
3 Prävalenz
Der Begriff Prävalenz bezeichnet die Anzahl der Krankheitsfälle in einem definier-
ten Zeitraum (Peters, 1997). In den folgend dargestellten Untersuchungen werden
häufig die Begriffe Punktprävalenz, Lebenszeitprävalenz, 3-oder 6-Monatspräva-
lenz oder Jahresprävalenz verwandt. Unter Punktprävalenz ist der Anteil Erkrank-
ter zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verstehen, meist ist damit der Zeitpunkt der
Untersuchung gemeint. Oft wird auch die Zahl der Erkrankungen in einem be-
stimmten Zeitraum genannt, wie die Jahresprävalenz und die 3- oder 6-Mo-
natsprävalenz. Hierbei handelt es sich um die letzten 3, 6 oder 12 Monate vor dem
Untersuchungszeitpunkt. Lebenszeitprävalenz bezeichnet die Anzahl der Fälle
derer, die einmal im Leben erkrankten.
Bezüglich psychischer Erkrankungen existieren zahlreiche Prävalenzstudien. Die
Prävalenzraten verschiedener Erhebungen weisen teilweise gravierende Unter-
schiede auf, beispielsweise wurde bei Alkoholabhängigen eine Lebenszeitpräva-
lenz für Depression von 3-98% berichtet. Nach Weiss et al. (1992) liegen die Feh-
lerquellen für unterschiedliche Prävalenzen beim Zeitpunkt des Interviews, bei den
Interviewtechniken und diagnostische Kriterien und den Abstinenzkriterien. Miss-
verständliche oder unzulängliche Interpretationen sorgen zusätzlich für Verwir-
rung. So vergleicht beispielsweise Uchtenhagen (1995) die von der US-
amerikanischen Epidemiologic Catchment Area-Studie (Regier et al., 1990) ermit-
telten Prävalenzraten für Alkoholismus in der Allgemeinbevölkerung mit verschie-
denen Erhebungen zur Prävalenz für Alkoholismus bei Schizophrenen. Er folgert
daraus, dass keine gravierenden Unterschiede bezüglich der Prävalenz vorliegen.
Allerdings umfassen die Zahlen der ECA-Studie Abhängigkeit und Missbrauch,
während die übrigen von Uchtenhagen angeführten Studien meist nur den Miss-
brauch von Alkohol bei Schizophrenen angeben.
Nachfolgend werden verschiedene Prävalenzstudien zur Thematik der Komorbidi-
tät dargestellt.

3 Prävalenz 15
3.1
Prävalenz des Alkoholismus
Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren liegt der Alkoholmissbrauch in
der BRD bei 5%, die Abhängigkeit bei 3% der Bevölkerung (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Alkoholkonsum in Deutschland
Konsumenten, Missbraucher, Abhängige
Altersgruppen
18-59 J.
18-69 J. (Hochrechnung)
Riskanter Konsum, insgesamt 7,8 Mio. (16%)
9,3 Mio.
davon missbräuchlicher Kon-
sum
2,4 Mio. (5%)
2,7 Mio.
davon abhängiger Konsum
1,5 Mio. (3%)
1,6 Mio
BMG, 2000
Die Münchner Follow-up-Studie (MFS) von Bronisch und Wittchen (1992) ermittel-
te eine Lebenszeitprävalenz für Alkoholismus in der Allgemeinbevölkerung von
13%. Männer wiesen eine deutlich höhere Rate auf (21%) als Frauen (5,1%). Die
Studie basiert auf den Kriterien des DSM-III (American Psychiatric Association,
1980), Untersuchungsinstrumente waren eine deutsche Version des ,,Diagnostic-
Interview-Schedule" (DIS) nach Robins et al. (1989) und der Münchner Alkoholis-
mus Test (MALT) von Feuerlein et al. (1979).
Vergleichbar mit den Ergebnissen der MFS sind die der US-amerikanische Epi-
demiologic Catchment Area (ECA)-Studie von Regier et al. (1990). In dieser Stu-
die wurden über 20 000 Menschen der US-amerikanischen Bevölkerung in Haus-
halten und Institutionen befragt. Die ermittelte Lebenszeitprävalenz für Alkoholis-
mus liegt bei 13,5% (Alkoholmissbrauch 5,6%, Alkoholabhängigkeit 7,9%). Auch
hier basieren die Diagnosekriterien auf dem DSM-III, Untersuchungsinstrument
war ebenfalls der DIS.
Die Nachfolgestudie National Comorbidity Survey (NCS) von Kessler et al. (1994),
basierend auf DSM-III-R-Kriterien (American Psychiatric Association, 1987), un-
tersuchte 8098 nicht-hospitalisierte Personen der US-amerikanischen Bevölkerung
und fand eine Lebenszeitprävalenz für Alkoholmissbrauch von 9,4% (12,5% Män-
ner und 6,4% Frauen) und für Alkoholabhängigkeit von 14,1% (20,1% Männer und
8,2% Frauen). Als Untersuchungsinstrument wurde eine modifizierte Form des
,,Composite International Diagnostic Interview" (UM-CIDI) der World Health Orga-
nisation (1990) verwandt.

3 Prävalenz 16
3.2
Prävalenz der Psychosen
3.2.1 Prävalenz der Schizophrenie
Die World Health Organisation (WHO) berichtet von einer Lebenszeitprävalenz für
Schizophrenie von 1,1% (WHO, 2001). Signifikante Geschlechterunterschiede
wurden keine gefunden, allerdings beginnt die Krankheit bei Frauen später und
hat eine günstigere Prognose.
Regier et al. (1990) berichten aufgrund der ECA-Studie von einer 6-Monatspräva-
lenz von 0,8% und einer Lebenszeitprävalenz von 1,4%. Die 6-Monatsprävalenz
als auch die Lebenszeitprävalenz für schizophreniforme Störungen liegt bei 0,1%.
Ermittelt wurden die Prävalenzraten durch Interviews mit dem DIS, basierend auf
den DSM-III-Kriterien.
In der National-Comorbidity-Survey-Studie (Kessler et al., 1994) werden Schizo-
phrenien nicht explizit aufgeführt. Sie erscheinen unter nicht-affektive Psychosen
gemeinsam mit schizophreniformen Störungen, schizo-affektiven Störungen,
Wahnstörungen und a-typischen Psychosen. Die Jahresprävalenz liegt bei 0,5%,
die Lebenszeitprävalenz bei 0,7%. Als Diagnoseinstrument wurde eine modifizier-
te Form des CIDI, basierend auf DSM-III-R-Diagnosen eingesetzt.
3.2.2 Prävalenz der affektiven Störungen
Der Zusatzsurvey ,,Psychische Störungen" des bundesweiten Gesundheitssurveys
(Wittchen et al., 1999) untersuchte die Prävalenz von affektiven, somatoformen
und Angststörungen in Deutschland, basierend auf DSM-IV-Kriterien und unter
Verwendung des CIDI. Die ermittelte Monatsprävalenz für affektive Erkrankungen
liegt bei Männern bei 4,75% und bei Frauen bei 7,82%. Die Untersuchung wies
einen signifikanten Prävalenzunterschied zwischen den alten und den neuen Bun-
desländern nach. Demnach liegt die Monatsprävalenz affektiver Störungen in den
neuen Bundesländern bei 4,82%, in den alten Bundesländern bei 6,65%.
Im World Health Report der WHO (2001) wird eine Punktprävalenz der unipolaren
depressiven Episode von 1,9% bei Männern und 3,2% bei Frauen angegeben. Die
Jahresprävalenz liegt bei 5,8% bei Männern und 9,5% bei Frauen. Die Punktprä-

3 Prävalenz 17
valenz für bipolare Störungen ist mit 0,4% beziffert. In einem internationalen Ver-
gleich (Goldberg und Lecrubier, 1995) liegt die Prävalenz für Depression bei
10,4%, variiert aber zwischen 2,6% (Nagasaki, Japan) und 29,5% (Santiago, Chi-
le). Diagnoseinstrument waren der CIDI, Diagnosekriterien die der ICD-10.
Die ECA-Studie (Regier et al., 1990) berichtet von einer Lebenszeitprävalenz für
affektive Störungen von 8,3%, die 6-Monatsprävalenz liegt bei 5,8%. Ermittelt
wurden diese Raten mit dem DIS, diagnostische Kriterien waren die des DSM-III.
Die NCS-Studie (Kessler et al., 1994) gibt eine Lebenszeitprävalenz für eine ,,ma-
jor depressive episode" von 17,1% (21,3% Frauen und 12,7% Männer) an, die
Jahresprävalenz liegt bei 10,3% (12,9% Frauen und 7,7% Männer). Die Präva-
lenzraten für manische Episoden liegen bei 1,6% und weisen keine geschlechts-
spezifische Unterschiede auf. Untersuchungsinstrument war eine modifizierte
Form des DIS, der auf Diagnosekriterien des DSM-III-R basiert.
3.3
Prävalenz von Alkoholismus und Psychose
3.3.1 Alkoholismus und Schizophrenie
Wagner, Schwoon, Krausz und Hilge (1992) legen Daten aus einer Erhebung in
der Psychiatrischen Klinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf vor. Die Ge-
samtstichprobe setze sich zusammen aus 372 Patienten mit einer schizophrenen
Erkrankung, einer Alkohol- oder Drogenpsychose oder einer Abhängigkeitsprob-
lematik. Die Diagnosen basieren auf Kriterien der ICD-9 (Degkwitz et al., 1980),
Untersuchungsinstrument war ein Testpaket bestehend aus einem halbstandardi-
sierten Interview, der ,,Paranoid Depressivitäts-Skala" (PD-S) nach von Zerssen
(1976), dem ,,Frankfurter Beschwerde-Fragebogen" (FBF) nach Süllwold (1977),
dem MALT und einem daran angelehnten Rating. Von 108 (29%) Alkoholabhän-
gigen fanden sich bei 25% Symptome einer Schizophrenie.
Die amerikanische Studie ECA (Regier et al., 1990) belegt, dass bei einer Le-
benszeitprävalenz für Schizophrenie oder eine schizophreniforme Störung zu
33,7% auch Alkoholismus vorhanden ist. Die Lebenszeitprävalenz für Schizophre-

3 Prävalenz 18
nie bei Alkoholikern liegt bei 3,8%, welche unter Verwendung des DIS und anhand
von DSM-III-Kriterien ermittelt wurde.
Soyka, Albus und Kathmann (1992) untersuchten 447 schizophrene Patienten und
52 Patienten mit einer affektiven Psychose im Bezirkskrankenhaus Haar. Im fol-
genden wird jedoch nur auf die Ergebnisse der Gruppe der schizophrenen Patien-
ten eingegangen. Die Diagnosekriterien wurden nach der ICD-9 gestellt, als Un-
tersuchungsinstrumente dienten der MALT und das in der Klinik verwandte Doku-
mentationssystem, welches sich nach ,,Standards für die Katamnesen von Abhän-
gigen" der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie richtet.
Von den 447 Patienten hatten 192 (42,9%) eine Lebenszeitprävalenz für Suchter-
krankungen, davon 34,6% eine Lebenszeitprävalenz für Alkoholmissbrauch (ein-
schließlich Abhängigkeit) und davon 13,4% eine Alkoholabhängigkeit. Auffällig ist,
dass bei 46,0% der Männer ein Alkoholmissbrauch vorliegt, während bei den
Frauen die Prävalenzrate mit 21,9% signifikant niedriger ist. Die 3-Mo-
natsprävalenz für Alkoholmissbrauch liegt bei 71,5%.
Geiselhart und Maul (1993) veröffentlichten eine Studie des Psychiatrischen Lan-
deskrankenhauses Weinsberg, die den Alkoholmissbrauch bei Patienten mit en-
dogener Psychose untersucht. Sie verwandten dabei die Daten des Fallregisters
von Erstaufnahme-Patienten mit ICD-9-Diagnosen. Sie ermittelten einen Alkohol-
missbrauch bei Schizophrenen von 4,6%. Dass diese Zahl im Vergleich zu ande-
ren Arbeiten relativ niedrig ist, begründen sie mit unterschiedlichen Untersu-
chungsansätzen. In ihrer Studie wurde nur eine klinisch relevante Alkoholproble-
matik berücksichtigt. Die im Vergleich dazu ermittelte Zahl von Patienten mit affek-
tiven Störungen und Alkoholmissbrauch lag bei 1,3%.
Mueser et al. (1990) sichteten verschiedene Prävalenzstudien zum Substanz-
missbrauch bei Schizophrenen. In Tabelle 2 werden die Studien dargestellt, die
alkoholspezifische Untersuchungen vorlegten oder solche, die eine klare Abgren-
zung zwischen Alkohol und den übrigen Drogengruppen vornahmen. Obwohl die
Studien z.T. nicht nur Schizophrenie, sondern auch andere psychische Erkran-
kungen und Alkoholmissbrauch untersuchten sind in der folgenden Übersicht nur
die Schizophreniefälle angeführt.

3 Prävalenz 19
Tabelle 2: Schizophrenie bei Alkoholismus
Studie
Diagnostische
Kriterien
N
Anzahl der
Personen
Behandlungs-
Setting
Definition
Mißbrauchs
Dauer des
Mißbrauchs
Prävalenz
in %
Parker et al.
(1960)
Lewis & Piot-
rowski (1954)
S : 150 (m)
Akutkranken-
haus
A Leben S:
22
Pokorny (1965)
?
S : 89 (m)
Akutkranken-
haus /
Veteranenheim
A Leben S:
15,7
Alterman et al.
(1981)
DSM-II
S: 578 (m)
Chronische
Station/
Veteranenheim
A Leben S:
12,3
O´Farell et al.
(1983)
?
S: 207
Chronische
Station/
Veteranenheim
A Leben S:
23,0
Bernadt & Murray
(1986)
RDC
S: 57
SA: 16
Akutkranken-
haus
A/
MHDS
Letztes Jahr
S: 8,8
SA: 6,3
McLellan &
Druley (1977)
?
S : 141 (m)
stationär/
Veteranenheim
A Leben S:
14,2
Barbee et al.
(1989)
DSM-II/
DIS
S : 35(m)
S : 18 (w)
Notaufnahme
A,D/
DIS
Leben
S : 31,4 (m)
Abuse
S: 27,8 (w)
Abuse
S: 42,8 (m)
Dependence
S: 27,8 (w)
Dependence
Drake et al.
(1989)
DSM-II
S: 68 (m)
S: 47 (w)
ambulant
U,A,D/
CPS
Letzten 6
Monate
S: 7,0 Abuse
S: 14,8 Depend.
Diagnostische Kriterien: DSM-II = Diagnostic Manual of Mental Disorders, 2nd ed. (American
Psychiatry Association, 1986); DIS = Diagnostic Interview Schedule (Robins et al., 1981); RDC =
Research Diagnostic Criteria (Spitzer et al., 1978)
N: S = Schizophrenie; SA = Schizoaffektive Störung; m = männlich; w = weiblich
Definition Missbrauch: A = Abuse/Missbrauch; D = Dependence/Abhängigkeit; MHDS =
Manitoba Health and Drinking Survey (Murray, 1978); U = Use/Gebrauch CPS = NIMH
Community Support Program Evaluation (McCarrick et al., 1985)
3.3.2 Alkoholismus und affektive Störungen
Schneider et al. (2001) untersuchten in ihrer Studie (Multicentre Study of Psychi-
atric Comorbidity in Alcoholics, MUPCA) 556 Patienten aus 25 Behandlungszent-
ren Deutschlands bezüglich der 6-Monatsprävalenz von Komorbidität bei Alkoholi-
kern. Diese Zentren versorgen eine Einwohnerzahl, die etwa 10% aller Einwohner
Deutschlands entspricht, und behandeln jährlich über 15 000 Patienten mit alko-
holbedingten Störungen. Von diesen wurden nur Patienten mit Diagnosen nach
ICD-10- oder DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) ausgewählt und

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832460129
ISBN (Paperback)
9783838660127
DOI
10.3239/9783832460129
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt; Würzburg – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2002 (November)
Note
1,0
Schlagworte
doppeldiagnose komorbidität kranke suchtkranke
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Titel: Alkoholismus und Psychose
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