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Der Einfluß individueller und struktureller Merkmale auf die "Stabilität" von Beschäftigung

Eine Untersuchung von Übergängen im Beschäftigungssystem in Ost- und Westdeutschland

©2000 Diplomarbeit 110 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In der vorliegenden Arbeit werden Tendenzen und Entwicklungen der Stabilität von Beschäftigung und Beruflichkeit und ihre individuellen, strukturellen und betrieblichen Einflussfaktoren empirisch untersucht.
Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob nach Abschluss eines Beschäftigungsverhältnisses ein berufs- oder lohnadäquater Anschluss in einer weiteren Beschäftigung gefunden werden kann oder ob in eine nicht adäquate Beschäftigung oder in Arbeitslosigkeit gewechselt werden muss. In einer Längsschnittperspektive werden Übergänge im Beschäftigungssystem betrachtet. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Übergänge das Ergebnis eines Zusammenwirkens von individuellen Eigenschaften und Intentionen der Beschäftigten, einer an betrieblichen Erfordernissen ausgerichteten Personalpolitik von Unternehmen sowie strukturellen Rahmenbedingungen sind. Datengrundlage der Untersuchung ist die IAB-Beschäftigtenstichprobe.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung1
2.Zur Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland4
3.Theoretische Grundlagen19
3.1Neoklassik19
3.2Humankapitaltheorie20
3.3Transaktionskostenansätze und Insider-Outsider-Theorien21
3.4Entscheidungsprozesse im Lebenslauf23
3.5Die Bedeutung von Effizienz- und Senioritätslöhnen25
3.6Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen: Die Exit-Voice-Hypothese27
3.7Segmentationsansätze27
3.7.1Der duale Arbeitsmarkt28
3.7.2Der dreigeteilte Arbeitsmarkt29
3.8Geschlechtsspezifische Ungleichheiten31
3.8.1Geschlechtsspezifische Ungleichheiten als Effekt unterschiedlicher Humankapitalinvestitionen32
3.8.2Die Verortung von Frauen auf dem unstrukturierten Teilsegment32
3.8.3Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation34
3.8.4Das weibliche Arbeitsvermögen35
3.8.5Konstruktion von Geschlechterdifferenz37
4.Hypothesen39
4.1Die Bedeutung individueller Merkmale39
4.1.1Qualifikation39
4.1.2Alter42
4.1.3Lohnhöhe43
4.1.4Geschlechtsspezifische Einflüsse45
4.2Der Einfluss des Betriebs47
4.3Strukturelle Einflüsse48
4.3.1Wirtschaftliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland48
4.3.2Struktureller Wandel einzelner Wirtschaftszweige49
5.Anlage der empirischen Untersuchung51
5.1Untersuchungsdesigns in der quantitativen Sozialforschung51
5.2Die IAB-Beschäftigtenstichprobe54
5.3Empirische Umsetzung anhand der Ereignisanalyse58
6.Ergebnisse66
6.1Individuelle Einflüsse69
6.2Betriebsspezifischer Einfluss79
6.3Strukturelle […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 6007
Simson, Julia: Der Einfluß individueller und struktureller Merkmale auf die "Stabilität" von
Beschäftigung - Eine Untersuchung von Übergängen im Beschäftigungssystem in Ost- und
Westdeutschland
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Bremen, Universität, Diplomarbeit, 2000
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

I
Inhalt
1. Einleitung
1
2. Zur Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung in Ost-
und Westdeutschland
4
3. Theoretische Grundlagen
19
3.1. Neoklassik
19
3.2. Humankapitaltheorie
20
3.3. Transaktionskostenansätze und Insider-Outsider-Theorien
21
3.4. Entscheidungsprozesse im Lebenslauf
23
3.5. Die Bedeutung von Effizienz- und Senioritätslöhnen
25
3.6. Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen:
Die Exit-Voice-Hypothese
27
3.7. Segmentationsansätze
27
3.7.1. Der duale Arbeitsmarkt
28
3.7.2. Der dreigeteilte Arbeitsmarkt
29
3.8. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten
31
3.8.1. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten als Effekt
unterschiedlicher Humankapitalinvestitionen
32
3.8.2. Die Verortung von Frauen auf dem unstrukturierten Teilsegment
32
3.8.3. Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation
34
3.8.4. Das weibliche Arbeitsvermögen
35
3.8.5. Konstruktion von Geschlechterdifferenz
37
4. Hypothesen
39
4.1. Die Bedeutung individueller Merkmale
39
4.1.1. Qualifikation
39
4.1.2. Alter
42
4.1.3. Lohnhöhe
43
4.1.4. Geschlechtsspezifische Einflüsse
45
4.2. Der Einfluss des Betriebs
47
4.3. Strukturelle Einflüsse
48
4.3.1. Wirtschaftliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland
48
4.3.2. Struktureller Wandel einzelner Wirtschaftszweige
49

II
5. Anlage der empirischen Untersuchung
51
5.1. Untersuchungsdesigns in der quantitativen Sozialforschung
51
5.2. Die IAB-Beschäftigtenstichprobe
54
5.3. Empirische Umsetzung anhand der Ereignisanalyse
58
6. Ergebnisse
66
6.1. Individuelle Einflüsse
69
6.2. Betriebsspezifischer Einfluss
79
6.3. Strukturelle Einflüsse
81
6.3.1. Ost/West-Unterschiede und deren zeitliche Dynamik
81
6.3.2. Die Bedeutung des Wirtschaftszweigs
83
7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
91
8. Literatur
97
9. Anhang
105

1
1. Einleitung
Der Arbeitsmarkt stellt einen zentralen Mechanismus zur Strukturierung von Lebensläu-
fen und Lebenschancen dar. Nicht nur die soziale Lage der selbst aktiv im Erwerbsleben
stehenden Personen, sondern auch die der nicht bzw. nicht mehr oder noch nicht er-
werbstätigen Bevölkerungsteile wird ­ vermittelt über die Abhängigkeit von erwerbstä-
tigen Familienmitgliedern sowie über die überwiegend an Erwerbsarbeit gebundenen
wohlfahrtsstaatlichen Transferleistungen
­ durch Erwerbstätigkeit mitbestimmt. Ein
Merkmal des deutschen Arbeitsmarktes ist das im internationalen Vergleich hohe Aus-
maß betrieblicher und beruflicher Beschäftigungssicherheit. Stellenwechsel und insbe-
sondere zwischenbetriebliche Arbeitsplatzwechsel sind ­ verglichen mit anderen Län-
dern ­ eher selten (Soskice 1994). Strukturwandel und Arbeitskräfteaustausch werden in
Deutschland primär über den intergenerationalen Austausch vollzogen, während in vie-
len anderen Ländern der intragenerationale Austausch im Vordergrund steht. Allerdings
unterliegt das deutsche Arbeitsmarktmodell schon seit längerer Zeit einem Wandlungs-
prozess. Die Bedeutung des einen lebenslangen Beschäftigungsverhältnisses in einem
bestimmten Beruf nimmt ab zugunsten mehrerer aufeinanderfolgender oder durch Ar-
beitslosigkeit unterbrochene Beschäftigungssequenzen, die nun zunehmend die Berufs-
biographie prägen. Hinzu kommt ein Anwachsen vom Vollzeit-Normal-Arbeits-
verhältnis abweichender, atypischer und zum Teil prekärer Beschäftigungsverhältnisse.
Einige Autoren sprechen aufgrund dieser Tendenzen vielfach von einer Erosion des
Normalarbeitsverhältnisses. Dabei bleibt es empirisch eine weitgehend offene Frage,
inwieweit diese Auflösungs- und Destabilisierungstendenzen in unterschiedlichen Bran-
chen und Berufen tatsächlich fortgeschritten sind. Unklar bleibt auch, welche Bedeutung
der ­ in Deutschland bisher stark ausgeprägten ­ Berufsfachlichkeit noch zukommt. Ziel
der Arbeit ist es, diesen Fragen empirisch nachzugehen. Vor dem Hintergrund der oben
skizzierten Diskussionen um die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses einerseits und
der aus anderer Richtung kommenden Debatte um zu inflexible Strukturen auf dem
deutschen Arbeitsmarkt andererseits sollen hier die gegenwärtigen Tendenzen und Ent-
wicklungen der Stabilität von Beschäftigung (und Beruflichkeit) und ihre individuellen,
strukturellen und betrieblichen Einflussfaktoren empirisch untersucht werden.
Während vorhandene Untersuchungen zum Thema (vgl. z. B. Dietrich 1996; Hoff-
mann/Walwei 1998a, 1998b; Kohler/Rudolph/Spitznagel 1996; Linne/Voswinkel 1991;
Matthies u. a. 1994) stabile und instabile Beschäftigungen meist juristisch in Hinblick
auf ihre Vertragsform (normal vs. atypisch) unterscheiden, wird in der vorliegenden Ar-
beit ein anderer Zugangsweg gewählt. Nicht die Vertragsform eines Beschäftigungsver-
hältnisses steht im Mittelpunkt, sondern die Frage, ob nach Abschluss eines Beschäfti-
gungsverhältnisses ein berufs- oder lohnadäquater Anschluss in einer weiteren Beschäf-

2
tigung gefunden werden kann oder ob in eine nicht adäquate Beschäftigung oder in Ar-
beitslosigkeit gewechselt werden muss. In einer Längsschnittperspektive werden Über-
gänge im Beschäftigungssystem betrachtet. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese
Übergänge das Ergebnis eines Zusammenwirkens von individuellen Eigenschaften und
Intentionen der Beschäftigten, einer an betrieblichen Erfordernissen ausgerichteten Per-
sonalpolitik von Unternehmen sowie strukturellen Rahmenbedingungen sind. Übergänge
auf dem Arbeitsmarkt können einerseits von den Beschäftigten selbst initiiert werden,
andererseits aber auch von Unternehmen gesteuert werden. Im ersten Fall entscheiden
sich Beschäftigte als eingeschränkt rational handelnde Akteure unter Rückgriff auf indi-
viduelle Ressourcen und unter Einbezug ihrer individuellen Präferenzen für oder gegen
mögliche Arbeitsplatzwechsel. Dabei fällen sie ihre Entscheidungen in einer durch Ge-
legenheitsstrukturen gekennzeichneten Umwelt. Gelegenheitsstrukturen können sich z.
B. durch die jeweilige Arbeitsmarktlage, die Zugehörigkeit zu einer begünstigten oder
benachteiligten Kohorte sowie die Übergangspolitik von betrieblichen Entscheidungs-
trägern ergeben. Im zweiten Fall erfolgen Übergänge unfreiwillig durch Entlassung sei-
tens des Arbeitgebers, der seine Entscheidung wiederum unter Einbezug der jeweiligen
strukturellen Rahmenbedingungen fällt.
Bei der Untersuchung der Übergänge im Beschäftigungssystem wird zwischen fünf ver-
schiedenen Zielzuständen unterschieden. Als stabile Übergänge gelten Betriebswechsel,
bei denen eine Stabilität oder ein Anstieg des Einkommens gewährleistet ist: Dies sind
1.) Betriebswechsel ohne Einkommensabstieg und ohne Berufswechsel und 2.) Be-
triebswechsel ohne Einkommensabstieg mit Berufswechsel. Als instabile Übergänge
gelten 1.) Betriebswechsel mit Einkommensabstieg ohne Berufswechsel, 2.) Betriebs-
wechsel mit Einkommensabstieg mit Berufswechsel sowie 3.) Übergänge in Arbeitslo-
sigkeit. Datengrundlage der Untersuchung ist die IAB-Beschäftigtenstichprobe. Mit die-
ser liegt der Untersuchung ein längsschnittorientierter Datensatz mit tagesgenauen In-
formationen zu Grunde (Bender/Haas/Klose 1999). Bisher enthält die IAB-Beschäftig-
tenstichprobe nur für einen Zeitraum von vier Jahren (1. Januar 1992 bis 31. Dezember
1995) neben den Meldungen aus Westdeutschland auch Meldungen aus Ostdeutschland.
Um für West- und Ostdeutschland vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, wurde das Beo-
bachtungsfenster auf diesen Zeitraum beschränkt. Für die Auswertung der Daten bietet
sich die Methode der Ereignisanalyse an, da diese eine dynamische Modellierung kausa-
ler Prozesse ermöglicht (Blossfeld/Rohwer 1995).
Im folgenden ersten Teil der Arbeit werden empirische und theoretische Grundlagen
aufgearbeitet. Betrachtet werden zunächst die unterschiedlichen Verlaufsformen der
Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland sowie theoreti-
sche Ansätze, die auf ihren Gehalt an erklärenden Aussagen zum Untersuchungsgegens-

3
tand überprüft werden. Daran anknüpfend werden Hypothesen entwickelt, die im empi-
rischen Teil der Arbeit überprüft werden. Vor der Darstellung und Diskussion der Er-
gebnisse erfolgt eine Darstellung und Erläuterung der verwendeten Methode, des Daten-
satzes und der Modellbildung.

4
2. Zur Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung in Ost- und Westdeutschland
Immer wieder ist die Erwerbsarbeit und die Frage ihrer zukünftigen Gestaltung Gegens-
tand öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussionen. Seit einiger Zeit lässt sich auch
eine verstärkte Auseinandersetzung um das deutsche Arbeitsmarktmodell und seine
Entwicklung feststellen. Der deutsche Arbeitsmarkt zeichnet sich im internationalen
Vergleich durch eine hohe Beschäftigungsstabilität und hohe Betriebsbindungen aus.
Eng damit verbunden ist die spezifische Art der beruflichen Organisation, die Verbe-
ruflichung der Arbeitsmärkte (Sackmann/Rasztar 1998), die von vielen Beobachtern
lange Zeit als ,,zentraler Vorteil des Standorts Deutschland" (Heidenreich 1998: 321)
gesehen wurde.
Wie auch die Arbeitsmärkte anderer Industrieländer unterliegt der deutsche Arbeits-
markt derzeit einem Wandlungsprozess. Auffälligstes Merkmal dieses Prozesses ist die
anhaltende und hohe Arbeitslosigkeit, die aufgrund der im Vergleich zu anderen Län-
dern wie den USA oder Schweden längeren Verweildauern für die Betroffen häufig mit
Langzeitarbeitslosigkeit verbunden ist (vgl. Sackmann/Rasztar 1998). Neben den gestie-
genen Arbeitslosigkeitsraten ist eine Heterogenisierung der Beschäftigungsformen fest-
stellbar. Stabile und dauerhafte Vollzeitarbeitsplätze haben an Bedeutung und Normali-
tät verloren; gleichzeitig stieg der Anteil atypischer, zeitlich befristeter und geringfügi-
ger Beschäftigungsverhältnisse (vgl. zu dieser Entwicklung z. B. Deml/Struck-Möbbeck
1998; Kress 1998; Dombois 1999; Hoffmann/Walwei 1998). Konstatiert wird darüber
hinaus ein Ende beruflicher Kontinuitäten (Beck 1986) und das Schwinden der Beruf-
lichkeit als ökonomisches und soziales Ordnungsprinzip (Baethge/Baethge-Kinsky
1998). Seit Anfang der 80er Jahren wird die ,,Auflösung von Normalitätsmustern der
abhängigen Arbeit" (Dombois 1999: 13) vor allem unter dem Stichwort der Erosion des
Normalarbeitsverhältnisses diskutiert (vgl. Bosch 1986; Hoffmann/Walwei 1998; Kress
1998).
Als Normalarbeitsverhältnis wird ein Sicherheit schaffendes Beschäftigungsverhältnis
bezeichnet, das sich vor allem durch folgende Merkmale auszeichnet: Die abhängige
Erwerbsarbeit stellt die einzige Einkommensquelle dar; sie wird als unbefristete Voll-
zeitbeschäftigung ausgeführt und reicht zur Bereitstellung eines existenzsichernden Ein-
kommens aus. Das Arbeitsverhältnis ist durch einen Arbeitsvertrag geregelt und an ar-
beits- und sozialrechtliche sowie tarifliche Normen gekoppelt, die Vertragsbedingungen
wie Vergütung, Arbeitszeit und soziale Sicherung regeln (Dombois 1999: 13f.; vgl. auch
Deml/Struck-Möbbeck 1998; Engelen-Kefer u.a. 1995; Mückenberger 1985). Das so
ausgeformte Beschäftigungsverhältnis stellt einen relativ langen Abschnitt einer kontinu-
ierlichen Erwerbsbiographie dar. Mit zunehmendem Alter sowie zunehmender Beschäf-
tigungs- und Betriebszugehörigkeitsdauer ist - vermittelt über Alters- bzw. Senioritätsre-

5
gelungen - auch eine Zunahme an Statusrechten und -sicherungen verbunden. Das Nor-
malarbeitsverhältnis ist Teil einer ,,Normalbiographie", die durch karriereförmige Auf-
stiegs- und Stabilisierungsmuster charakterisiert ist (Dombois 1999: 14).
Die Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis ist verknüpft mit einer Entstandardisierung
und Destabilisierung von Erwerbsverläufen (Dombois 1999: 13). Arbeits- und sozial-
rechtliche Regelungen sind bisher allerdings nach wie vor auf den Typus des herkömm-
lichen Normalarbeitsverhältnisses ausgerichtet. Ansprüche an die soziale Sicherung wie
Rentenleistungen und Arbeitslosenunterstützung setzen eine kontinuierliche und auf
Vollzeit angelegte Beschäftigung zur maximalen sozialen Absicherung voraus. Die tat-
sächliche Entwicklung des Erwerbssystems und die schützende Wirkung rechtlicher
Normen fallen somit immer weiter auseinander, was neue Formen der sozialen Un-
gleichheit zur Folge hat.
Allerdings waren in der normativen Konstruktion des Normalarbeitsverhältnisses immer
schon Ungleichheiten impliziert, da eine Normalität von Lebensverhältnissen unterstellt
wurde, die nur auf einen Teil der Bevölkerung zutraf. Empirisch war das Normalarbeits-
verhältnis immer nur eine von mehreren möglichen Formen der Arbeit, von der es Ab-
weichungen gab und an der vor allem Frauen größtenteils nicht teilhaben konnten, da sie
im Rahmen des herkömmlichen Arrangements einer ,Hausfrauenehe`, in der die mate-
rielle Absicherung der Familie durch kontinuierliche und vollzeitliche Erwerbsarbeit die
Aufgabe des Mannes war, entweder gar nicht oder zumindest nicht voll und kontinuier-
lich erwerbstätig sein konnten oder wollten. Die Orientierung der sozialen Sicherung am
Normalarbeitsverhältnis entstammt somit einem Familienmodell der ,Hausfrauen`- und
männlichen ,Versorgerehe` mit der Vorstellung stabiler Ehen und einer Arbeitsteilung
zwischen den Ehepartnern, die den weitgehenden Verzicht der Frauen auf eigenständige
existenzsichernde Erwerbsarbeit und ihre Abhängigkeit vom Ehepartner voraussetzt
(Dombois 1999).
Während im Mittelpunkt der Diskussion um das Normalarbeitsverhältnis eine weitge-
hend kritische Bewertung der Flexibilisierungstendenzen und der Abnahme langfristiger
und sicherer Beschäftigungsverhältnisse und den in Verbindung mit der fortgeführten
Orientierung der staatlichen Sicherungssysteme am Normalarbeitsverhältnis entstehen-
den Auswirkungen auf die soziale Sicherung der Betroffenen steht, sehen andere Auto-
ren gerade in den aus ihrer Sicht zu inflexiblen und starren Strukturen eine Ursache für
die Krisensituation des Arbeitsmarktes und plädieren in neoklassischer Sichtweise für
eine verstärkte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, um auf diese Weise die Schaffung
neuer Arbeitsplätze und eine Verringerung der Arbeitslosenzahlen zu erreichen (so z. B.
Soltwedel 1997).

6
In der Diskussion um die Flexibilisierung der Arbeit wird vor allem auf die starke Ver-
beruflichung als Ursache der Inflexibilität des Arbeitsmarktes verwiesen (vgl. Beck u. a.
1977; Bolte u. a. 1988; Kern/Sabel 1994). Charakteristikum dieser Verberuflichung ist
neben einer auch in anderen Ländern vorhandenen Schließung von Professionsarbeits-
märkten durch Hochschulzertifikate die Schließung von Arbeitsmärkten durch die nahe-
zu ausschließliche Einstellung von Personen, die das System der dualen Ausbildung
durchlaufen haben. Gerade dieses duale Berufsausbildungssystem wird von einigen Kri-
tikern als eine wichtige Ursache für die Krise des deutschen Arbeitsmarktmodells ange-
sehen. Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus, dass im Zuge sich wandelnder Arbeits-
bedingungen und Arbeitsformen, die sich beispielsweise in der wachsenden Verbreitung
von Gruppenarbeit, Qualitätszirkeln und anderen teamartigen Kooperationsformen äu-
ßern, prozessbezogene und fachübergreifende Kompetenzen an Bedeutung gewinnen
(vgl. Heidenreich 1998). Die etablierten berufsfachlichen Ausbildungs- und Arbeitsfor-
men können diesen neuen Anforderungen jedoch nicht mehr gerecht werden, da sie ein
Denken in Kategorien fachspezifischer Zuständigkeiten verfestigen und fachübergrei-
fendes Denken blockieren (Kern/Sabel 1994: 613).
Darüber hinaus wird von einigen Autoren (Beck/Bolte/Brater 1978, Geißler 1991) dar-
auf verwiesen, dass der beschleunigte Strukturwandel des Beschäftigungssystems ein
immer schnelleres Veralten von beruflichen Wissensinhalten und Fähigkeiten verur-
sacht. Unter den Bedingungen der sich immer wieder aufs neue wandelnden Anforde-
rungen an die Beschäftigten behindert die starre Berufsstruktur des deutschen Arbeits-
marktes den zur Anpassung an die sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen notwendigen Wandel des Arbeitsmarktes.
Grundlage der genannten Diskussionen sind die gewandelten Strukturen des Arbeits-
marktes, die eingebettet sind in einen umfassenderen wirtschaftsstrukturellen Wandel
mit vielfältigen Bestimmungsgründen, auf welche im Folgenden kurz eingegangen wer-
den soll.
Als erstes ist der sektorale Wandel der Wirtschaft zu nennen. Wirtschaftsbereiche und
Erwerbstätige werden üblicherweise in einer auf Clark (1940) zurückgehenden Untertei-
lung drei Sektoren zugeordnet: einem primären Sektor der Produktgewinnung (Land-
wirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei), einem sekundären Sektor der Produktverarbei-
tung (Industrie und Handwerk, Bergbau und Baugewerbe) und einem tertiären Sektor
der Dienstleistungen (Handel, Verkehr, Kommunikation, Verwaltung, Bildung, Wissen-
schaft, Sozial- u. Gesundheitswesen etc.).
Auf diese Unterteilung stützt sich auch die Drei-Sektoren-These von Fourastié (1954),
die ­ vereinfacht formuliert ­ davon ausgeht, dass sich die Schwerpunkte der Produkti-
ons- und Beschäftigtenstrukturen einer Volkswirtschaft im Laufe ihrer Entwicklung zu-

7
nächst vom primären Sektor zum sekundären Sektor und dann zum tertiären Sektor hin
verschieben.
1
In den beiden deutschen Staaten verlief die Entwicklung der Sektoren höchst unter-
schiedlich. In den 50er und 60er Jahren bildeten sich durch das Ausdehnen des sekundä-
ren und tertiären Sektors sowohl in der BRD als auch in der DDR zunächst typische in-
dustriegesellschaftliche Strukturen heraus. In den folgenden Jahrzehnten gingen die
Entwicklungen dann zunehmend auseinander (vgl. Abbildung 1).
In der BRD wuchs vor allem der tertiäre Sektor weiter an, primärer und sekundärer Sek-
tor nahmen dagegen anteilsmäßig ab. Die Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik wan-
delte sich somit von einer sekundären zu einer tertiären Wirtschaft und folgte damit der
von Fourastié aufgestellten Drei-Sektoren-These.
Abbildung 1: Erwerbstätige nach Sektoren
27
34
36
38
40
33
39
43
49
55
42
49
51
52
50
43
48
48
45
41
31
17
13
11
11
25
13
9
5
3,7
0
10
20
30
40
50
60
1950
1960
1970
1980
1989
Erwerbstätige in %
Tertiärer Sektor Ost
Tertiärer Sektor West
Sekundärer Sektor Ost
Sekundärer Sektor West
Primärer Sektor Ost
Primärer Sektor West
Quelle: StatJb BRD 1960; 1990; 1995; StatJb DDR 1990; Geißler 1996: 137
1
Fourastié nimmt dabei auf der Grundlage des jeweiligen technischen Fortschritts der Wirtschaftsbe-
reiche dieselbe Sektorenunterteilung vor wie Clark. Nach Fourastié ist die Unterteilung jedoch nicht
statisch, sondern kann sich im Zeitverlauf mit einer Verschiebung des technischen Fortschritts zwi-
schen den einzelnen Wirtschaftszweigen ändern (vgl. Mattheus 1995).

8
In der DDR veränderten sich die Anteile der Sektoren noch sehr viel länger zugunsten
des sekundären Sektors. Die Beschäftigtenzahlen des Dienstleistungssektors stiegen im
Vergleich zu Westdeutschland eher langsam an. Die DDR war damit zum Zeitpunkt
ihrer Auflösung immer noch eher eine Industriegesellschaft als eine Dienstleistungsge-
sellschaft und in ihrem Tertiarisierungsniveau vergleichbar mit der BRD der 60er Jahre.
Die Hinwendung zum Dienstleistungssektor in Westdeutschland war verbunden mit ei-
ner Ausweitung flexibler und atypischer Beschäftigungsformen. Neue Arbeitsplätze ent-
standen in Westdeutschland in den letzten Jahrzehnten vor allem im Dienstleistungssek-
tor.
Dienstleistungsarbeiten sind oft stärker als Tätigkeiten im primären und sekundären Sek-
tor in flexible Organisations- und Zeitstrukturen eingebettet; häufig beinhalten sie Tätig-
keiten, die ein hohes Maß an Autonomie der Arbeitsgestaltung, der Zeitverwendung und
der räumlichen Mobilität verlangen, sowie Arbeiten, deren Zeitstruktur - wie im Bereich
persönlicher und sozialer Dienstleistungen - vom Bedarf der Klienten oder Patienten
bestimmt wird (Dombois 1999). Angesichts dieser Erfordernisse erscheint die Nutzung
möglichst flexibler Beschäftigungsformen in Dienstleistungsbereichen besonders attrak-
tiv.
2
Auch die fortschreitende Globalisierung beeinflusst die Prozesse auf den Arbeitsmärk-
ten. Auch wenn Ausmaß und Einfluss der Globalisierung in der öffentlichen Diskussion
häufig überschätzt werden, bleiben die Arbeitsmärkte nicht unbetroffen (vgl. Welzmül-
ler 1997). Durch die Globalisierung der Wirtschaft haben Unternehmen verstärkt die
Möglichkeit, Dienstleistungs- und Produktionssegmente auszulagern. Zunehmend wird
es möglich, unterschiedliche Produktivitäts-, Qualifikations- und Lohnkostenressourcen
in den unterschiedlichen Ländern zu mobilisieren. Aus Sicht der Arbeitnehmer und der
Gewerkschaften wird diese Entwicklung häufig kritisch gesehen, da eine mögliche Folge
darin besteht, dass nationale Regulierungsmöglichkeiten und gewerkschaftliche Forde-
rungen an Einfluss verlieren, indem sie von Seiten der Unternehmen unterlaufen werden
können (Hoffmann/Hoffmann 1997).
Die Internationalisierung des Geld- und Finanzkapitals hat ebenfalls Auswirkungen auf
die Entwicklung der Arbeitsmärkte. Immer mehr Unternehmen sehen sich unter Druck
2
Allerdings finden sich Flexibilisierungstendenzen nicht nur in Dienstleistungsarbeitsfeldern, son-
dern auch in Bereichen der Produktion. Rationalisierungsstrategien zielen auch hier auf eine effi-
ziente und flexible Verknüpfung und Ausschöpfung von Technik, Organisation und Arbeit (Struck
1998). Auch die in West- und Ostdeutschland feststellbare Verschiebung der Beschäftigung von
Großbetrieben zu kleineren und mittleren Betrieben hat Auswirkungen auf die Bedeutung bestimm-
ter Beschäftigungsformen. Der aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen er-
höhte Anpassungsbedarf im Personalbereich, macht auch hier den Einsatz flexibler Beschäftigungs-
formen für Unternehmen interessant (Hoffmann/Walwei 1998: 419).

9
gesetzt, ihre Politik nach den Erfordernissen der Aktienmärkte auszurichten. Die haupt-
sächliche Orientierung von Unternehmern am ,Shareholder Value` bleibt jedoch für die
Arbeitnehmer nicht folgenlos, da sie zu einer Abkehr von der Orientierung an langfristi-
gen Planungen und der Ausrichtung auf stabile Beschäftigungsverhältnisse führen kann.
In den Vordergrund rückt statt dessen eine Unternehmenspolitik, die sich an kurzfristiger
Kapitalrendite orientiert. Investitionen in Humankapital sind jedoch langfristige Investi-
tionen, die sich erst auf lange Sicht rechnen.
Darüber hinaus kam es auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt innerhalb der letzten
Jahrzehnte zu einer grundlegenden Veränderung von Angebot und Nachfrage. Auch
diese Entwicklung trug zu der Verbreitung flexibler Beschäftigungsformen bei. Einem
Rückgang des Arbeitsvolumens steht eine - durch höhere Erwerbsbeteiligung von Frau-
en, geburtenstarke Jahrgänge und Zuwanderung bedingte - erhöhte Anzahl von Er-
werbspersonen gegenüber. Ein geringeres Arbeitsvolumen verteilt sich somit auf eine
größere Zahl von Erwerbstätigen. Diese Ungleichheit von Angebot und Nachfrage
schlägt sich in einer hohen Arbeitslosigkeit nieder und eröffnet Spielräume für die
Schaffung neuer Beschäftigungsformen, die zuvor als kaum akzeptabel galten. Während
z.B. befristete Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer gegenüber unbefristeten
Arbeitsverhältnissen bei der Wahl eines Arbeitsplatzes deutlich von Nachteil sind, än-
dert sich die Situation, wenn nicht die unbefristete Vollzeiterwerbstätigkeit, sondern die
Arbeitslosigkeit die Referenzsituation bildet (Hoffmann/Walwei 1998: 424). Im Gegen-
satz zur Arbeitslosigkeit kann eine befristete Beschäftigung neue Kontakte innerhalb des
Erwerbssystems ermöglichen, die eine spätere unbefristete Beschäftigung in Aussicht
stellen. Der oder die befristet Beschäftigte kann neue Berufserfahrungen erwerben und
die Entwertung seines Humankapitals verhindern. Eine befristete Beschäftigung kann
somit auch als Einstiegshilfe aus der Arbeitslosigkeit in das Erwerbsleben dienen. Ähn-
liches gilt auch für andere atypische Beschäftigungsformen (Hoffmann/Walwei 1998:
424).
Ein weiteres Moment, das die Struktur des Arbeitsmarktes nachhaltig verändert hat,
stellt die gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen dar. Aufgrund der geschlechtsspezi-
fischen Arbeitsteilung und der dadurch bedingten stärkeren familiären Einbindung sind
Frauen dazu gezwungen, andere Anforderungen an Erwerbsarbeit zu stellen als Männer.
Je nach individueller Lebenslage soll und muss die Erwerbsarbeit mit anderen Aktivitä-
ten, wie Haushaltsführung und Kinderbetreuung vereinbar sein. Verstärkt wird daher auf
Teilzeitarbeit und andere flexible Formen der Beschäftigung zurückgegriffen. Abbildung
2 zeigt die unterschiedliche Verteilung der Erwerbsformen bei Männern und Frauen.
Deutlich wird ein bei Frauen sehr viel geringerer Anteil an unbefristeten Vollzeitbe-

10
schäftigungen. Während im Jahr 1995 65% der erwerbstätigen Männer in dieser Be-
schäftigungsform arbeiteten, betrug der Anteil bei den Frauen nur 44%.
Abbildung 2: Erwerbsformen von Männern und Frauen 1995
(Anteile an allen Erwerbstätigen in Prozent)
37
13
65
44
2
2
7
11
5
7
3
4
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Männer
Frauen
unbefristete Vollzeitbeschäftigte
(Angestellte u. Arbeiter, ohne Leiharbeit)
temporär Vollzeiteschäftigte (befristete
Besch., Leiharbeit)
sonstige abhängig Vollzeitbeschäftigte
(Beamte, Soldaten, Auszubild.)
abhängig Teilzeitbeschäftigte
Selbständige u. Mihelfende außerhalb der
Landwirtschaft
Selbständige u. Mithelfende in der
Landwirtschaft
Quelle: Mikrozensus, Arbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit,
Hoffmann/Walwei 1998: 421.
Darüber hinaus ist bei Frauen ein deutlich höherer Teilzeitanteil festzustellen. So waren
im Jahr 1995 37% der erwerbstätigen Frauen in Westdeutschland teilzeitbeschäftigt, bei
den Männern betrug der Teilzeitanteil im selben Jahr dagegen nur 5%. Bemerkenswert
ist, dass die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung damit vor allem auf dem Anstieg der
Frauenerwerbstätigkeit beruht. Dieser wiederum besteht nahezu ausschließlich auf Teil-
zeitbeschäftigung: Während die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen im Zeitraum von
1960- 1994 nur um rund 0,7 Mio. anstieg, nahm die Zahl der Frauen in Teilzeitbeschäf-
tigungen um etwa 3,6 Mio. zu (Deml/Struck-Möbbeck 1998).
Maßnahmen des Gesetzgebers waren in den 80er und 90er Jahren eher auf eine Deregu-
lierung der Arbeitsmärkte als auf eine Regulierung derselben ausgerichtet. Damit wurde
die Flexibilisierungsentwicklung noch verstärkt. So wurden beispielsweise die Regelun-
gen zu befristeten Arbeitsverträgen sowie zur Leiharbeit stückweise gelockert.
3
Aller-
3
Befristete Arbeitsverträge waren bis zur Verabschiedung des Beschäftigungsförderungsgesetzes
1985 nur dann zulässig, wenn für die Befristung sachliche Gründe, wie z. B. Saisonarbeit, Vertre-
tung von ausfallenden Arbeitnehmern oder kurzzeitig hoher Arbeitsanfall, vorlagen. Diese Begrün-

11
dings fielen die Deregulierungsmaßnahmen im Vergleich zu anderen Ländern noch recht
moderat aus (Dombois 1999). Darüber hinaus blieben sowohl die erwünschten als auch
die befürchteten Effekte der Initiativen häufig hinter den Erwartungen zurück (Hoff-
mann/Walwei 1998: 423).
Auch die Arbeitsmärkte der neuen Bundesländer sind von den genannten Entwicklungs-
tendenzen betroffen, befinden sich jedoch aufgrund ihrer spezifischen Geschichte und
der Langzeitfolgen der Transformation in einer besonderen Situation. Die ehemalige
DDR kann als Extremtyp eines auf hohe Betriebsbindungen angelegten Beschäftigungs-
systems mit internen Arbeitsmärkten verstanden werden. Da alle Bürger der DDR ein
Recht auf Arbeit hatten, war ein einmal eingegangenes Beschäftigungsverhältnis von
Seiten des Betriebes unter normalen Umständen unkündbar (Grünert/Lutz 1994: 15).
Aufgrund der Tatsache, dass Betriebswechsel weder offiziell eingeplant noch erwünscht
waren, und aufgrund der nur geringen Lohnunterschiede gab es für Arbeitnehmer wenig
Anreize den Betrieb zu wechseln.
4
Durch die dauerhafte Knappheit an Arbeitskräften
waren Betriebe, um die staatlich gesetzten Planvorgaben erfüllen zu können, auf den
Erhalt ihrer Arbeitskräfte angewiesen. Da die Einhaltung der Planvorgaben hinsichtlich
des betrieblichen Outputs relativ gut überprüfbar war, exakte Gewinn- und Verlustrech-
nungen jedoch nicht vorhanden waren und zudem das Sanktionsmittel des Konkurses
fehlte, war es für Betriebe unter Umständen sogar vorteilhaft möglichst viele Arbeits-
kräfte zu beschäftigen. Resultat war eine weit von Marktstrukturen entfernte, ,,subopti-
male Allokationsstruktur von Arbeitskräften und Arbeitsplätzen" (Sackmann 2000: 47).
Im Prozess der staatlichen Vereinigung der beiden deutscher Staaten wurde das Instituti-
onengefüge der DDR durch die Institutionen und gesellschaftlichen Regelungen der
BRD ersetzt. Die Veränderung der Marktordnung von einer sozialistischen Planwirt-
schaft zu einer sozialen Marktwirtschaft hatte einschneidende Auswirkungen auf die
Situation der Beschäftigten. Unter dem Druck ihrer eigenen Existenzfähigkeit hatten
Betriebe nun dem Kriterium der Rentabilität zu folgen (Windzio/Rasztar 2000), was
einen mehr oder weniger massiver Personalabbau in zahlreichen Betrieben nach sich
zog.
dungspflicht entfiel 1985 für befristete Arbeitsverträge bis zu 18 Monaten. 1996 wurde die Höchst-
grenze für befristete Beschäftigungen auf 24 Monate erhöht; gleichzeitig wurden ,,Kettenarbeitsver-
träge" (aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge bei dem selben Arbeitgeber) innerhalb dieser
Frist von 24 Monaten erlaubt (vgl. Deml/Struck-Möbbeck 1998: 10f.; Hoffmann/Walwei 1998:
422f.). Ebenfalls schrittweise erhöht wurde die Überlassungshöchstdauer bei der Leiharbeit von 3
auf 12 Monate (Hoffmann/Walwei 1998: 422f.).
4
Dennoch kam es auch in der DDR zu Betriebswechseln, die dann aber häufig außerökonomisch
motiviert waren (vgl. Sackmann/Wingens 1994 sowie Andretta/Baethge 1995).

12
Die Betriebe der DDR waren größtenteils in Kombinaten organisiert gewesen. Die
Kombinatsbildung sollte eine größere Spezialisierung und Konzentration der Produktion
ermöglichen. Allerdings wurden im Zuge der Kombinatsbildung auch gut funktionieren-
de und gewachsene Branchenverbünde zerschlagen und ,,unter umstrittenen technokrati-
schen Gesichtspunkten und unter Außerachtlassung von Effektivitätsaspekten neu ge-
gliedert" (Bochum 1996: 46). Die Kombinate agierten lange Zeit weitgehend abgekop-
pelt von den in den westlichen Industriestaaten voranschreitenden Rationalisierungs-
und Modernisierungsbewegungen. Infrastruktur und Technik waren stark veraltetet.
Mit der Eingliederung der DDR-Wirtschaft in die BRD war das Kombinatsmodell obso-
let geworden und musste in marktwirtschaftlich strukturierte Unternehmensformen über-
führt werden. Dieser Prozess war eingebettet in eine durch die Treuhandanstalt mitbe-
stimmte Phase der Umstellung, in der sich die Unternehmen auf das Operieren unter
marktwirtschaftlichen Bedingungen vorbereiten mussten. In der bis Ende 1994 durchge-
führten Phase der Sanierung und Privatisierung der Betriebe durch die Treuhandanstalt
wurde zum Teil massiv Personal abgebaut. Durch die Entflechtung der Kombinatsbe-
triebe kam es zu einer Verschiebung von großbetrieblichen Strukturen zu kleinen und
mittleren Betrieben (Grünert/Lutz 1994: 21).
Durch die veralteten Anlagen und Strukturen in den Betrieben und verstärkt durch den
Zusammenbruch der osteuropäischen Absatzmärkte kam es vor allem in Landwirtschaft
und Industrie zu einem erheblichen Beschäftigungsabbau. Verhältnismäßig schnell kam
es zu einer Abnahme der Erwerbstätigenzahlen und zu einem Anstieg der Arbeitslosen-
zahlen.
Ende 1991 erreichte die Entlassungswelle einen vorläufigen Höhepunkt. Das daraus re-
sultierende hohe Niveau der Arbeitslosigkeit konnte im weiteren Verlauf der Transfor-
mation nicht abgebaut werden. Bis 1995 gab es lediglich einen leichten Rückgang der
Arbeitslosenquoten. Danach kam es zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenquoten,
die seit 1997 wieder leicht rückläufig sind (vgl. Abbildung 3). Wie in Westdeutschland
folgt damit auch in Ostdeutschland die Entwicklung der Arbeitslosigkeit dem Phänomen
der Hysterese.

13
Abbildung 3: Entwicklung der Arbeitslosenquoten in Ost- und Westdeutschland
0
5
1 0
1 5
2 0
2 5
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Arbeitslosenquote in %
Westdeutschland
Ostdeutschland
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft 1998, Statis tisches Bundesamt
Aufgrund des erheblichen Tertiarisierungsrückstands der ostdeutschen Bundesländer
war mit der Eingliederung der DDR-Wirtschaft in das Wirtschaftssystem der BRD auch
ein überaus schneller und tiefgreifender Strukturwandel mit einer Verlagerung der Be-
schäftigungsschwerpunkte von der Landwirtschaft und Industrie zu Dienstleistungen
verbunden (vgl. Abbildung 4). Zumindest in der Anfangsphase der Transformation wur-
de dieser Strukturwandel neben dem starken Personalabbau in schrumpfenden Wirt-
schaftszweigen auch durch eine erhebliche zwischenbetriebliche Mobilität der Arbeit-
nehmer realisiert. Für die Jahre 1990-1992 wird daher auch von einem Fenster der Ge-
legenheit gesprochen (Diewald/Solga 1997; Rasztar 1999). Nach dieser Phase ist es laut
Diewald und Solga zu einer weitgehenden Schließung der Arbeitsmärkte und einer Pola-
risierung zwischen Beschäftigten und Nichtbeschäftigten gekommen (Diewald/Solga
1997). Tatsächlich folgte in den meisten Wirtschaftszweigen nach einer anfänglichen
turbulenten Umbruchphase eine ruhigere Konsolidierungsphase. Dieser Prozess stellte
sich allerdings je nach Wirtschaftszweig unterschiedlich dar.
Deutlich wird die Bedeutung des strukturellen Umbruchs bei der Betrachtung der Ent-
wicklung der Erwerbstätigenzahlen. Während in Westdeutschland in den 90er Jahren auf
der Ebene der Erwerbstätigenzahlen eine relativ konstante Weiterentwicklung der seit
den 60er Jahren festzustellenden Tertiarisierung zu beobachten ist (Abbildung 5), ist in
den neuen Bundesländern aufgrund des radikalen Umbruchs eine verhältnismäßig
schnelle Verschiebung zum tertiären Sektor und eine rasche Abnahme der Erwerbstäti-
genzahlen in den meisten Wirtschaftsbereichen festzustellen (Abbildung 4).

14
Abbildung 4: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (Ostdeutschland)
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
Erwerbstätige in Tausend
Land- und Forstwirtschaft
Energie, Bergbau
Verarbeitendes Gewerbe
Baugewerbe
Handel und Verkehr
Dienstleistungsunternehmen
Staat
Quelle: Scheremet 1998; Sachverständigenrat 1997: 320
Abbildung 5: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (Westdeutschland)
0
1000
2000
3000
4000
5000
6000
7000
8000
9000
10000
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
Erwerbstätige in Tausend
Land- und Forstwirtschaft
Energie, Bergbau
Verarbeitendes Gewerbe
Baugewerbe
Handel und Verkehr
Dienstleistungsunternehmen
Staat
Quelle: Sachverständigenrat 1997: 320

15
In Westdeutschland hat vor allem das verarbeitende Gewerbe an Erwerbstätigen verlo-
ren. Ein Anstieg ist dagegen im Bereich der Dienstleistungen festzustellen. Auch in den
Bereichen Handel und Verkehr stiegen bis 1992 die Erwerbstätigenzahlen, seitdem ist
allerdings ein leichter Rückgang zu konstatieren. In den übrigen Wirtschaftsbereichen ist
die Zahl der Erwerbstätigen weitgehend konstant geblieben.
In Ostdeutschland fiel die Zahl der Erwerbstätigen vor allem zwischen den Jahren 1989
und 1992 rapide ab. Dabei waren die Erwerbstätigen in Abhängigkeit von der sektoralen
Entwicklung in sehr unterschiedlichem Maße vom Entlassungen betroffen. Bis 1996
sank die Zahl der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft um nahezu 80%, in
den Bereichen Energie und Bergbau um ca. 73%, im verarbeitenden Gewerbe um ca.
70% und im Staatssektor und in den Bereichen Handel und Verkehr um etwa 27% (vgl.
Abbildung 4). Zuwächse zeigen sich dagegen im Baugewerbe mit 68% und im Dienst-
leistungsbereich mit 120% (Sachverständigenrat 1997).
Nach 1992 hat sich der Rückgang der Erwerbstätigen in den schrumpfenden Wirt-
schaftsbereichen gemäß der These vom Gelegenheitsfenster stark verlangsamt. Der An-
stieg im Baugewerbe und im Dienstleistungsbereich hielt dagegen noch länger an.
Aufgrund der nur gering ausgeprägten Tertiarisierung der DDR wurde dem Dienstleis-
tungssektor beim Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen in Ostdeutschland zunächst eine
,,Schlüsselrolle" zugewiesen (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 1998). Diese
Erwartung wurde jedoch nur teilweise erfüllt.
In der DDR wurden Dienstleistungen überwiegend von staatlichen Stellen, von staatsei-
genen Kombinaten, sowie von den Parteien oder parteinahen Organisationen erbracht.
Private Anbieter wurden lediglich geduldet und traten nur vereinzelt auf. Produktionsna-
he Dienstleistungen wurden zum größten Teil von den Kombinaten und Betrieben des
produzierenden Gewerbes selbst erbracht. ,,Statt auf Dezentralisierung und Zukauf von
produktionsnahen Diensten wurde auf Konzentration und Eigenproduktion gesetzt"
(Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 1998: 5).
5
Mit der Vereinigung beider deut-
scher Staaten erfolgte eine Auflösung der Dienstleistungsproduktion, wie sie in der DDR
bestanden hatte. Diese Umstrukturierung vollzog sich in einigen Bereichen sehr rasch, in
anderen dagegen eher schleppend. Relativ schnell entwickelte sich z. B. der Aufbau des
Kredit- und Versicherungswesens, da westdeutsche Unternehmen bemüht waren, sich
ihre Marktanteile zu sichern.
5
Aufgrund dieser Verflechtungen von Produktions- und Dienstleistungsbereichen ist auch die genaue
Quantifizierung der in der DDR erbrachten Dienstleistungen und der Vergleich mit westdeutschen
Zahlen schwierig (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 1998: 6).

16
Insgesamt kam die Privatisierung und Umstrukturierung im Dienstleistungssektor
schneller voran als in der Industrie. Die in den Dienstleistungssektor gesetzten Hoffnun-
gen haben sich allerdings nur zum Teil erfüllt, da Beschäftigung und Wertschöpfung
hinter den Erwartungen zurückblieben. Auch 1997 wurden im ostdeutschen Dienstleis-
tungssektor bei der Produktivität pro Erwerbstätigen erst 55% des Niveaus des Dienst-
leistungssektors in Westdeutschland erreicht (Deutsches Institut für Wirtschaftsfor-
schung 1998). Einfache Dienstleistungstätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforde-
rungen und geringem Einkommen sind im ostdeutschen Dienstleistungssektor ver-
gleichsweise stark vertreten.
Von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstrukturierung Ostdeutschlands wa-
ren Frauen in besonderem Maße betroffen. Im Gegensatz zur alten Bundesrepublik wur-
de in der ehemaligen DDR die Berufstätigkeit von Frauen und Müttern ­ nicht zuletzt
aufgrund des ständigen Arbeitskräftemangels ­ von Anfang an angestrebt. Da die Fami-
lienpolitik der DDR gleichzeitig auf einen Erhalt der Bevölkerungsgröße ausgerichtet
war, gab es eine Reihe von Maßnahmen, die eine Vereinbarung von Erwerbsarbeit und
Mutterschaft ermöglichen sollten (vgl. Sessar-Karpp/Harder 1994). Ein Ergebnis dieser
Politik waren wesentlich höhere Frauenerwerbsquoten als in Westdeutschland. Während
1989 in der alten Bundesrepublik knapp 60% der Frauen im erwerbsfähigen Alter er-
werbstätig waren oder sich in einer Ausbildung befanden, betrug dieser Anteil in der
DDR über 90%. Besonders groß war der Unterschied bei Frauen mit Kindern. In der
DDR waren im Jahr 1989 94% der verheirateten Frauen mit einem minderjährigen Kind
erwerbstätig, in der Bundesrepublik betrug der Anteil dagegen nur 47% (Badur 1999:
28). Die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen in der DDR war jedoch nicht nur der
Ausdruck eines Zwangs zur Erwerbsarbeit, sondern auch einer im Vergleich zu west-
deutschen Frauen hohen Erwerbsorientierung, die auch nach der Wende noch andauert.
Die fast vollständige Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt wurde von der Führung
der DDR als Zeichen verwirklichter Gleichberechtigung ausgelegt und präsentiert (Ba-
dur 1999: 28f.); sie führte allerdings nicht zu einer wesentlichen Abschwächung oder
Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation (Nickel/Schenk 1994:
261f.). Auch in der DDR gab es eine Aufspaltung der Arbeit in männlich und weiblich
stereotypisierte Bereiche und auch hier war Frauenerwerbsarbeit durch niedrigere Ein-
kommen und geringere Aufstiegschancen gekennzeichnet.
Im Zuge der Vereinigung fielen zahlreiche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Kindern
und Berufstätigkeit, die in der DDR bestanden hatten, weg. Die schwierige Arbeits-
marktlage und die antizipierten Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Berufstätigkeit
unter den gewandelten Bedingungen führte zu einer Aufschiebung des Kinderwunsches
bei zahlreichen Frauen. Auf makrosozialer Ebene war hiermit ein Rückgang der Gebur-

17
tenziffern verbunden (vgl. Sackmann u.a. 1996). Andererseits mussten viele Frauen die
Erfahrung der Benachteiligung gegenüber Männern auf dem Transformationsarbeits-
markt machen. Diese Benachteiligung äußert sich z. B. in einer erhöhten Arbeitslosigkeit
für Frauen. Diese ist allerdings weniger das Ergebnis eines erhöhten Entlassungsrisikos,
als das Resultat schlechterer Wiederbeschäftigungschancen (Falk 2000).
Die heutige Situation auf den ostdeutschen Arbeitsmärkten wird vor allem von Kleinbe-
trieben dominiert, die durch regionale Märkte und relativ niedrige Produktivitätsniveaus
gekennzeichnet sind. Aufgrund dieser Dominanz kleinbetrieblicher Strukturen sowie
dem durch die hohen Arbeitslosenzahlen bedingten lange Zeit hohen und qualifizierten
Arbeitskräfteangebot auf den externen Arbeitsmärkten ist tendenziell eine Abkehr vom
Modell sicherer Beschäftigung und die Entwicklung zu einer Personalpolitik des ,,Hire
and Fire" zu erwarten (vgl. Köhler/Struck 2000). In empirischen Fallstudien (Struck
1999; Struck/Simonson 2000) deutet sich jedoch an, dass es zumindest in Teilen der
ostdeutschen Wirtschaft nach einer Phase der Restrukturierung und des Personalabbaus
zu einer Neubelebung des Modells hoher Betriebsbindung und Beruflichkeit gekommen
ist (vgl. hierzu und im Folgenden Köhler/Struck 2000). Sowohl aus der DDR verbliebe-
ne als auch neue Betriebe hatten die Möglichkeit ­ aufgrund umfangreicher Frühverren-
tungsaktionen und eines großen Arbeitskräftepotentials auf den externen Märkten ­ leis-
tungskräftige und junge Belegschaften aufzubauen. Der Anreiz für schnelle Personalaus-
tausche war somit nach einer ersten Phase umfangreicher Entlassungen gering. Daneben
wurde durch die unsichere Arbeitsmarktlage und die hohe Arbeitslosigkeit ein hohes
Maß an Unsicherheit auf Seiten der Beschäftigten erzeugt, das ein großes Interesse an
betrieblicher Beschäftigungssicherheit und eine hohe Identifikation mit dem jeweiligen
Unternehmen zur Folge hatte. Geringere Löhne wurden daher von den Beschäftigten
eher in Kauf genommen als in Westdeutschland. Darüber hinaus bestanden und bestehen
Verpflichtungen von Seiten der wirtschafts- und beschäftigungspolitisch aktiven Institu-
tionen der Treuhand, der Länder und Kommunen. Eine Politik des schnellen Personal-
austauschs hätte bei vielen Betrieben direkte oder indirekte Sanktionen oder den Ver-
zicht auf Förderungsmöglichkeiten zur Folge gehabt. Schließlich muss auf die auch un-
ter gewandelten Bedingungen fortbestehende normative Geltung von Beschäftigungssi-
cherheit und Beruflichkeit hingewiesen werden, welche die Handlungen und Erwartun-
gen der Akteure beeinflusst. Es bleibt zu untersuchen, ob sich der in einzelnen Fallstu-
dien identifizierte Befund eines betrieblichen Rückgreifens auf ein Modell hoher Be-
triebsbindungen in quantitativer Hinsicht verallgemeinern lässt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in Westdeutschland seit den 80er Jah-
ren eine Entwicklungstendenz zu einer größeren Flexibilisierung und Differenzierung
von Beschäftigungsformen abzeichnet. Aufgrund der Transformation kam es in den neu-

18
en Bundesländern zunächst zu einem tiefgreifenden Strukturwandel, der für die Beschäf-
tigten mit hohen Risiken und zahlreichen Mobilitätsprozessen verknüpft war. Einzelne
Anzeichen sprechen allerdings dafür, dass es zumindest in Teilen der neuen Bundeslän-
der nach einer außerordentlich unsicheren Umbruchphase mit hohen Mobilitätsraten zu
einer Wiederbelebung des auf Beschäftigungssicherheit und Beruflichkeit basierenden
Arbeitsmarktmodells gekommen ist.

19
3. Theoretische Grundlagen
Im vorangegangenen Kapitel wurden ökonomische und institutionelle Rahmenbedin-
gungen betrachtet, von denen angenommen wird, dass sie bei der Entwicklung von mehr
oder weniger stabilen Beschäftigungen eine Rolle spielen. Stellt man sich die Frage,
welche Merkmale und Mechanismen der Generierung stabiler Beschäftigung im einzel-
nen zugrunde liegen, müssen weitergehende Annahmen, die den Zusammenhang zwi-
schen den einzelnen Faktoren spezifizieren, formuliert werden. Dies soll im nächsten
Kapitel geschehen. Zunächst sollen jedoch vorhandene ökonomische und soziologische
Theorien auf ihren Gehalt an erklärenden Aussagen zum Untersuchungsgegenstand ü-
berprüft werden. Unterschieden werden können dabei vor allem zwei Sichtweisen: Eine
individualistische Betrachtungsweise, nach der vor allem die Beschäftigten mit ihren
individuellen Merkmalen einen Einfluss auf die Stabilität ihrer Beschäftigung haben
sowie eher strukturalistisch argumentierende Ansätze, die stärker die Bedeutung der
Nachfrageseite für Mobilitätsprozesse auf dem Arbeitsmarkt und für die Generierung
stabiler Beschäftigungen hervorheben.
3.1 Neoklassik
Die neoklassische Theorie stellt einen Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Theorien
des Arbeitsmarktes dar. Obwohl das neoklassische Arbeitsmarktmodell im Laufe der
Zeit häufig kritisiert wurde und zumindest in unveränderter Form kaum Eingang in die
Soziologie gefunden hat (vgl. Sackmann 1998: 108), soll es an dieser Stelle betrachtet
werden, da es immer noch das gängige Arbeitsmarktmodell der Ökonomie ist und sich
zahlreiche weiterführende Ansätze und Theorien auf dieses Modell beziehen (vgl.
Schmid/von Dosky/Braumann 1996).
In neoklassischer Sichtweise besteht das Wirtschaftssystem aus Märkten, die nach einem
einheitlichen Prinzip funktionieren. Auch der Arbeitsmarkt stellt hier keine Ausnahme
dar, sondern wird als normaler Gütermarkt betrachtet. Die Neoklassik "konstruiert keine
eigenständige sozioökonomische Beschäftigungstheorie, sondern wendet das Instrumen-
tarium und die Theoreme der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie unverändert auf das
spezielle Gut Arbeit an" (Sesselmeier/Blauermel 1997: 47). Das Arbeitsverhältnis zwi-
schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stellt ein Tauschverhältnis wie jedes andere auch
dar. Ausgegangen wird dabei von einem vollkommenen Arbeitsmarkt, dem eine Reihe
restriktiver Annahmen zu Grunde liegen.
6
6
Vorausgesetzt werden u. a. folgende Bedingungen: Die auf dem Markt in Erscheinung tretenden
Individuen handeln nutzenmaximierend und können frei über ihre Ressourcen verfügen; zwischen

20
Das Marktgleichgewicht zwischen den Nachfragern und Anbietern von Arbeit wird
durch die Lohnhöhe, die den Preis für den Produktionsfaktor Arbeit darstellt, bestimmt.
Die Löhne sind flexibel und passen sich den Relationen von Angebot und Nachfrage an,
womit eine optimale Allokation der Ressourcen gewährleistet wird. Der Markt selbst
tendiert zum Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit
von Arbeitnehmern dürfte dabei nur kurzfristig als Sucharbeitslosigkeit auftreten; län-
gerfristige Arbeitslosigkeit kann nur durch zu hohe Löhne erklärt werden. Aufgrund der
Gleichgewichtsannahme können diese nur durch exogene Ursachen wie staatliche oder
gewerkschaftliche Regulierungen hervorgerufen werden. Beschäftigungsbewegungen
werden ebenfalls primär in Abhängigkeit von der Lohnhöhe betrachtet. Arbeitnehmer
wechseln dorthin, wo sie einen höheren Lohn erwarten und Arbeitgeber tauschen Be-
schäftigte gegen billigere Arbeitskräfte vom Markt aus.
Trotz der Bedeutsamkeit des Faktors Lohn bietet das neoklassische Modell aufgrund
seiner restriktiven Vorannahmen und des mangelnden Einbezugs der realen Gegebenhei-
ten des Arbeitsmarktes eine nur eingeschränkte Erklärungskraft für die tatsächlichen
Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt.
7
3.2 Humankapitaltheorie
Die Humankapitaltheorie stellt eine Weiterentwicklung der neoklassischen Theorie dar
und bezieht zumindest eine Unvollkommenheit des Marktes in ihre Überlegungen mit
ein: Sie berücksichtigt die Auswirkungen von Qualifikationen auf die Vorgänge am Ar-
beitsmarkt (vgl. Becker 1993a; Mincer 1974). Die Arbeitskraft wird nicht mehr als ho-
mogen und austauschbar betrachtet, sondern als ­ sowohl zwischen Individuen als auch
im Zeitverlauf ­ variierender Faktor angesehen.
Der Humankapitalbestand einer Person stellt die von ihr unter nutzenmaximierenden
Gesichtspunkten geleisteten Investitionen in den Produktionsfaktor Arbeit dar und um-
fasst alle Handlungen, die die Produktivität und damit verbunden auch das Einkommen
in der Zukunft positiv beeinflussen können (Sesselmeier/Blauermel 1997: 65). Obwohl
der Begriff der Humankapitalinvestition weit gefasst ist und mehr enthält als Ausbil-
den Marktteilnehmern herrscht vollkommene Konkurrenz, es gibt weder Wettbewerbsbeschränkun-
gen noch Zutrittsbarrieren; die Arbeitsanbieter unterscheiden sich nicht in ihrer Produktivität und
sind daher gegeneinander austauschbar, eine Diskriminierung von bestimmten Arbeitsanbietern
wird ausgeschlossen; die Anbieter von Arbeit sind vollkommen mobil und wechseln unter nutzen-
maximierenden Gesichtspunkten dorthin, wo sie ein höheres Einkommen erwarten; bei Anbietern
und Nachfragern von Arbeit existieren vollkommene Informationen (vgl. z.B. Pfriem 1978;
Schmid/von Dosky/Braumann 1996: 4; Sesselmeier/Blauermel 1997: 45ff.).
7
Die Kritik an der neoklassischen Erklärung der Arbeitsmarktvorgänge ist vielschichtig und soll hier
nicht ausgeführt werden. Einen Überblick bieten Sesselmeier/Blauermel 1997: 53-59.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783832460075
ISBN (Paperback)
9783838660073
Dateigröße
883 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen – unbekannt
Note
1,0
Schlagworte
arbeitsmarkt arbeit beruf betrieb sozialforschung
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Titel: Der Einfluß individueller und struktureller Merkmale auf die "Stabilität" von Beschäftigung
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