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"Benes-Dekrete" in tschechischen Printmedien

Eine qualitative Inhaltsanalyse und kritische Betrachtung der Berichterstattung in den tschechischen Qualitätswochenprintmedien zum Thema der Dekrete des tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes mit ausführlichem historischen Teil

©2002 Diplomarbeit 314 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ein Ziel der vorliegenden Diplomarbeit ist, die Problematik der s. g. „Beneš-Dekrete“ in ihren historischen und neuen Zusammenhängen zu erklären und eine Übersicht darüber zu verschaffen. Damit soll gleichzeitig die Kenntnisgrundlage für die empirische Untersuchung gebildet werden.
Die Problematik der umstrittenen Präsidentendekrete stellt ein symbolisch bekanntes Thema dar, das jedoch im Detail kaum behandelt wird. Die Präsidentendekrete sind ein aktuelles, aber kein neues Problem, das nicht nur Tschechien und das Gewissen der Tschechen, sondern auch die zwischenstaatlichen Beziehungen belastet. Und die Präsidentendekrete sind ein Problem, das nicht nur von den Politikern und Historikern diskutiert werden sollte, sondern auch und vor allem von der Gesellschaft, die es betrifft, und von den Massenmedien, welche ein integrierter und wichtiger Bestandteil dieser Gesellschaft sind.
Das zweite, nicht weniger wichtige Ziel dieser Diplomarbeit ist zu erforschen, wie tief und breit die Massenmedien über die Problematik der diskutierten Präsidentendekrete berichten.
Die Präsidentendekrete stellen Gesetze dar, wobei die Beziehung zwischen den Massenmedien und dem Recht (den Gesetzen) besonders interessant ist. Einerseits müssen die Massenmedien die Gesetze einhalten, wie alle anderen Institutionen und Individuen auch, andererseits sollten sie die Gesetze inhaltlich analysieren, thematisieren und zur öffentlichen Diskussion bereitstellen. Ferner sollten sie die Gesetze einer Kritik unterziehen, die Tätigkeit der Gesetzgeber kontrollieren und somit die Rezipienten in das politische (Sub)System, auf dessen Boden die Gesetze diskutiert, verabschiedet bzw. aufgehoben werden, zu integrieren. Diese politischen Funktionen der Massenmedien resultieren, laut Publizistikwissenschaft, aus ihrer besonderen Position in den demokratischen Gesellschaften, welche unter anderem im Mediengesetz verankert ist. Inwieweit die Massenmedien jene politischen Aufgaben erfüllen, soll untersucht werden.
Die drei tschechischen Qualitätswochenprintmedien Respekt, Reflex und Týden wurden für die Untersuchung auf Grund der Annahme gewählt, dass sie über die Problematik der Präsidentendekrete dank deren Bedeutsamkeit für Tschechien (kultureller Nähe, Betroffenheit, Relevanz) umfangreicher und detailierter berichten werden als andere europäische Qualitätswochenprintmedien. Nicht zuletzt war die Tatsache, dass jene Printmedien den Bestandteil einer Gesellschaft […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5710
Belouskova, Gabriela: "Benes-Dekrete" in tschechischen Printmedien: Eine qualitative
Inhaltsanalyse und kritische Betrachtung der Berichterstattung in den tschechischen
Qualitätswochenprintmedien zum Thema der Dekrete des tschecholowakischen Präsidenten
Edvard Benes mit ausführlichem historischen Teil -
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Wien, Universität, Diplomarbeit, 2002
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http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

iii
Vorwort
,,Siehe dich jetzt um dich herum ­ alles,
was du siehst, was du berührst,
war nur eine unsichtbare Idee gewesen,
bis sich jemand entschied, sie zu realisieren."
Richard Bach
Die Idee, eine klare, wenn auch umfangreiche, Übersicht über die
innerhalb und au
erhalb Tschechiens so oft diskutierte Problematik der
Dekrete des Präsidenten Edvard Benes im Rahmen einer
wissenschaftlichen Arbeit zu bieten, entstand sukzessive und entwickelte
sich aus dem persönlichen Interesse für die tschechische Geschichte,
Kultur und Mentalität. Die Idee, jene Problematik in Bezug auf die
Berichterstattung in den tschechischen Qualitätswochenprintmedien zu
untersuchen, resultierte aus der Frage, wie sich die tschechische
Gesellschaft mit der umfangreichen und komplizierten Problematik der
s. g. ,,Benes-Dekrete" auseinandersetze. Es gab zwei Wege: Eine rein
soziologische oder eine publizistikwissenschaftliche Untersuchung
durchzuführen. Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit, denn die
Massenmedien stellen einen bedeutenden Bestandteil jeder modernen
Gesellschaft dar, und als solche sollten sie nicht unterschätzt werden.
Tschechische Massenmedien sind noch dazu ein Bestandteil einer
Gesellschaft, die seit der Wende im Jahre 1989 durch eine politische,
ökonomische, aber auch soziale und kulturelle Transformationsphase
geht, was in den tschechischen Massenmedien reflektiert wird.
Ich danke meinem Betreuer Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Duchkowitsch für
seine Geduld und Hilfsbereitschaft sowie sein unendliches Verständnis für
meine Fragen.

iv
Ein besonderer Dank gehört Mag. Manfred Martin, der die ganze
Diplomarbeit korrigierte, mit mir diskutierte und mir viele sprachliche sowie
inhaltliche Tips gab.
Zu Dank verpflichtet bin ich auch Michal Deus, der mit mir einzelne
Kapitel stundenlang diskutierte, der mir bei der Suche und Auswahl des
Untersuchungsmaterials half und mich die ganze Zeit aufmunterte.
Ferner bedanke ich mich bei allen Freunden und Bekannten, die mir
geduldig zuhörten und/oder bei der Lösung vieler partieller Probleme
bezüglich der Diplomarbeit halfen: Mag. Andrea Hauser, Mag. Sandra
Dudek, Mag. Markéta Györi und Lenka Benesová.
Nicht zuletzt danke ich allen, die mir den Aufenthalt und das Studium
in Wien angenehm gemacht haben: Edith Nedoma, Mag. Ulrike Nedoma,
Jana Kocábková, Familie Gruber und Herbert Peyer.
Und ein gro
er Dank gehört meiner Mutter, der diese Diplomarbeit
gewidmet ist, für ihre Liebe, Geduld und ihren Mut.

I
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis VII
Einleitung 1
1
Präsidentendekrete ­ historiografische Aspekte und
die Analyse 4
1.1
Einführende Worte in die Problematik der Präsidentendekrete 5
1.2
Biografie und politische Bedeutung von Edvard Benes 8
1.3
Analyse der Dekrete und ihre Bedeutung 15
1.3.1
1945, 19. Mai, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 5/1945 Slg., über die Ungültigkeit einiger
eigentumsrechtlicher Verhandlungen aus der Zeit
der Unfreiheit und über die nationale Verwaltung
der Vermögenswerte der Deutschen, Magyaren,
Verräter und Kollaboranten und einiger Organisationen
und Anstalten 16
1.3.2
1945, 21. Juni, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 12/1945 Slg., über die Konfiskation und
beschleunigte Aufteilung des landwirtschaftlichen
Vermögens der Deutschen, Magyaren sowie der Verräter
und Feinde des tschechischen und slowakischen Volkes 22
1.3.3
1945, 17. Juli, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 27/1945 Slg., über die einheitliche Regelung der
inneren Besiedlung 29

II
1.3.4
1945, 20. Juli, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 28/1945 Slg., über die Besiedlung des landwirtschaftlichen
Bodens der Deutschen, Magyaren und anderer
Staatsfeinde durch tschechische, slowakische und
andere slawische Landwirte 33
1.3.5
1945, 25. Oktober, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 108/1945 Slg., über die Konfiskation
des feindlichen Vermögens und die Fonds
der nationalen Erneuerung 37
1.3.6
1945, am 19. Juni, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 16/1945 Slg., über die
Bestrafung nationalsozialistischer Verbrecher, Verräter
und ihrer Helfer und über die au
erordentlichen
Volksgerichte 48
1.3.7
1945, 27. Oktober, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 126/1945 Slg., über Sonderabteilungen
für Zwangsarbeit 54
1.3.8
1945, 27. Oktober, Prag. ­ Verfassungsdekret
des Präsidenten der Republik Nr. 137/1945 Slg.,
über die Sicherstellung der als staatlich
unzuverlässig angesehenen Personen
während der Revolutionszeit 57
1.3.9
1945, 27. Oktober, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 138/1945 Slg., über die Bestrafung
einiger Vergehen gegen die nationale Ehre 60
1.3.10 1945, 2. August, Prag. ­ Verfassungsdekret des Präsidenten
der Republik Nr. 33/1945 Slg., über die Regelung
der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft
von Personen deutscher und magyarischer Nationalität 63

III
1.3.11 1945, 19. September, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 71/1945 Slg., über die Arbeitspflicht
von Personen, welche die tschechoslowakische
Staatsbürgerschaft verloren hatten 72
1.3.12 1945, 18. Oktober, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 122/1945 Slg., über die Auflösung
der deutschen Universität in Prag 77
1.3.13 1945, 18. Oktober, Prag. ­ Dekret des Präsidenten
der Republik Nr. 123/1945 Slg., über die Auflösung
deutscher technischer Hochschulen in Prag und in Brünn 79
1.3.14 Zusammenfassung 80
1.4
Entstehung der dekretalen Kompetenz 83
1.4.1
Innenpolitische Ordnung in der
CSR 1918-1938 84
1.4.1.1 Erste Verfassung der
CSR aus dem Jahre 1920 84
1.4.1.2 Politische Parteien in der
CSR in den Jahren 1918-1938 89
1.4.2
Münchener Abkommen 91
1.4.2.1 Entstehung und Inhalt des Abkommens 91
1.4.2.2 Folgen des Abkommens für die
CSR 97
1.4.3
Protektorat Böhmen und Mähren 101
1.4.4
Entstehung der Exilregierung und ihre Tätigkeit 107
1.4.5
Zusammenfassung 112
1.5
Nachkriegspolitik in der
CSR 115
1.5.1
Innenpolitische Ordnung bis zum Jahre 1948 116
1.5.2
Kaschauer Regierungsprogramm 123
1.5.3
Exkurs: Abschub der Sudetendeutschen aus der
CSR 126
1.5.4
Einige rechtliche, die Präsidentendekrete und
den Abschub ergänzende oder regelnde Vorschriften 134

IV
1.6
Internationale Rechtsdokumente 137
1.6.1
Potsdamer Abkommen 137
1.6.2
Andere Verträge und Abkommen 141
1.7
Zusammenfassung 151
2
Entwicklung der tschechischen Printmedien 157
2.1
Printmedien als Mittel kommunistischer Propaganda
in den Jahren 1948-1989 159
2.2
Printmedien nach der Wende 1989 165
3
Theoretische Grundlage für die empirische Analyse 170
3.1
Massenkommunikation und Massenmedien 171
3.2
Politische Funktionen der Massenmedien in den
demokratischen Gesellschaften 178
3.3 Qualitätsprintmedien ­ insbesondere
Qualitätswochenzeitschriften und ­zeitungen 187
3.3.1
Allgemeines 187
3.3.2
Berichterstattung 190
3.3.2.1 Nachrichten- und Themenauswahl 190
3.3.2.2 Grundformen journalistischer Darstellungsweisen 193
3.3.2.2.1 Nachricht 194
3.3.2.2.2 Bericht 195
3.3.2.2.3 Reportage 196
3.3.2.2.4 Interview 198
3.3.2.2.5 Magazingeschichte 199
3.3.2.2.6 Infografiken 200

V
3.3.2.2.7 Kommentar 201
3.3.2.3 Informations- und Argumentationsstrategien 202
3.3.2.4 Sprache und Textaufbau 203
4
Empirische Untersuchung 205
4.1
Forschungsleitende Fragestellung 205
4.2
Festlegung der Analyserichtung und des
Untersuchungszieles 215
4.3
Eigene Ausgangspositionen 217
4.4
Bestimmung des Ausgangsmaterials 220
4.4.1
Allgemeines 220
4.4.2
Respekt 222
4.4.2.1 Allgemeine Charakteristik 222
4.4.2.2 Layout und Strukturmerkmale 222
4.4.3
Reflex 223
4.4.3.1 Allgemeine Charakteristik 223
4.4.3.2 Layout und Strukturmerkmale 223
4.4.4
Týden 224
4.4.4.1 Allgemeine Charakteristik 224
4.4.4.2 Layout und Strukturmerkmale 224
4.5
Bestimmung des Analysematerials und ­zeitraums 225
4.5.1
Charakteristik 225
4.5.2
Auswahlmethode 227
4.6
Methodisches Vorgehen 228
4.6.1 Qualitative
Inhaltsanalyse nach S. Lamnek und
P. Mayring 228

VI
4.6.2
Angewandte Methode 234
4.6.2.1 Festlegung von Analyseeinheiten 235
4.6.2.2 Bestimmung einzelner Analyseschritte 237
4.7
Ergebnisse und ihre Interpretation 239
4.7.1
Analyseergebnisse: Respekt 240
4.7.2
Analyseergebnisse: Reflex 255
4.7.3
Analyseergebnisse: Týden 265
4.8
Resümee: Untersuchungsergebnisse und ­erkenntnisse 274
5 Abschlie
ende Bemerkungen 280
Literaturverzeichnis 282
1
Verwendete Literatur und Internetadressen 282
2
Empfohlene Literatur und Internetadressen 288
Anhang 290
1
Abkürzungenverzeichnis 290
2
Verzeichnis der in der qualitativen Inhaltsanalyse
analysierten Zeitschriftenartikel 293
2.1
Respekt 293
2.2
Reflex 298
2.3
Týden 300
3
Adressen und Telefonnummern von Respekt,
Reflex und Týden 302

VII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Übersichtliche Zusammenfassung der
analysierten Dekrete 82

1
Einleitung
Ein Ziel der vorliegenden Diplomarbeit ist, die Problematik der s. g.
,,Benes-Dekrete" in ihren historischen und neuen Zusammenhängen zu
erklären und eine Übersicht darüber zu verschaffen. Damit soll gleichzeitig
die Kenntnisgrundlage für die empirische Untersuchung gebildet werden.
Die Problematik der umstrittenen Präsidentendekrete stellt ein
symbolisch bekanntes Thema dar, das jedoch im Detail kaum behandelt
wird. Die Präsidentendekrete sind ein aktuelles, aber kein neues Problem,
das nicht nur Tschechien und das Gewissen der Tschechen, sondern
auch die zwischenstaatlichen Beziehungen belastet. Die
Präsidentendekrete sind ein Problem, das nicht nur von den Politikern und
Historikern diskutiert werden sollte, sondern auch und vor allem von der
Gesellschaft, die es betrifft, und von den Massenmedien, welche ein
integrierter und wichtiger Bestandteil dieser Gesellschaft sind.
Das zweite, nicht weniger wichtige Ziel dieser Diplomarbeit ist zu
erforschen, wie tief und breit die Massenmedien über die Problematik der
diskutierten Präsidentendekrete berichten.
Die Präsidentendekrete stellen Gesetze dar, wobei die Beziehung
zwischen den Massenmedien und dem Recht (den Gesetzen) besonders
interessant ist. Einerseits müssen die Massenmedien die Gesetze
einhalten, wie alle anderen Institutionen und Individuen auch, andererseits
sollten sie die Gesetze inhaltlich analysieren, thematisieren und
zur öffentlichen Diskussion bereitstellen. Ferner sollten sie die Gesetze
einer Kritik unterziehen, die Tätigkeit der Gesetzgeber kontrollieren und
somit die Rezipienten in das politische (Sub)System, auf dessen Boden
die Gesetze diskutiert, verabschiedet bzw. aufgehoben werden, zu
integrieren. Diese politischen Funktionen der Massenmedien resultieren,
laut Publizistikwissenschaft, aus ihrer besonderen Position in den
demokratischen Gesellschaften, welche unter anderem im Mediengesetz
verankert ist. Inwieweit die Massenmedien jene politischen Aufgaben
erfüllen, soll untersucht werden.

2
Die drei tschechischen Qualitätswochenprintmedien Respekt, Reflex
und Týden wurden für die Untersuchung auf Grund der Annahme gewählt,
dass sie über die Problematik der Präsidentendekrete dank deren
Bedeutsamkeit für Tschechien (kultureller Nähe, Betroffenheit, Relevanz)
umfangreicher und detailierter berichten werden als andere europäische
Qualitätswochenprintmedien. Nicht zuletzt war die Tatsache, dass jene
Printmedien den Bestandteil einer Gesellschaft bilden, die sich seit
dreizehn Jahren in einer politischen, ökonomischen und sozialen
Transformationsphase vom totalitären Regime zum demokratischen Staat
befindet, nicht uninteressant.
Die forschungsleitende Fragestellung lautet: Wie tief und breit berichten
die tschechischen Qualitätswochenprintmedien Respekt, Reflex und
Týden über die Problematik der s. g. ,,Benes-Dekrete"?
Die theoriebezogenen Fragestellungen lauten: Inwieweit erfüllen die
tschechischen Qualitätswochenprintmedien Respekt, Reflex und Týden
bezüglich der Problematik der umstrittenen Präsidentendekrete die
politischen Funktionen der Massenmedien, welche die
Publizistikwissenschaft definiert? Weisen die tschechischen
Qualitätswochenprintmedien Respekt, Reflex und Týden bezüglich der
Problematik der umstrittenen Präsidentendekrete noch andere, von der
Publizistikwissenschaft nicht erkannte, politische Funktionen auf?
Als Methode wurde die qualitative Inhaltsanalyse gewählt, wobei die
aus der Analyse resultierenden Ergebnisse in die Richtung der
forschungsleitenden und theoriebezogenen Fragestellungen interpretiert
wurden.
Die vorliegende Arbeit ist für alle gemeint, die sich für die Problematik
der s. g. ,,Benes-Dekrete" sowie für die tschechischen Printmedien,
insbesondere für die Diskussion über die politischen Funktionen der
Massenmedien und deren Berichterstattung interessieren.
Diese Diplomarbeit basiert auf folgenden Annahmen:
Es ist nicht möglich, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen und
die Zukunft zu planen, ohne die Vergangenheit zu kennen. Das bedeutet,

3
dass keine gegenwärtigen und zukünftigen Probleme effektiv gelöst
werden können, wenn die Ursachen dieser Probleme, welche in der
Vergangenheit liegen, nicht bekannt sind und analysiert werden.
Menschen erfassen die Wirklichkeit und somit die Wahrheit nicht in ihrer
Ganzheit. Ein Mensch nimmt nur das wahr, was ihm seine Perspektive
offenbart. Der Wille, auch andere Perspektiven zu entdecken, kann jedoch
Hand in Hand mit der Intuition, auf welche die Wissenschaft leider
verzichtet, zur Erkenntnis jener Wirklichkeit und somit zur Wahrheit führen.
Alles, was der Mensch schafft und erkennt, ist ein Steinchen eines
Wirklichkeitsmosaiks.
Das Literaturverzeichnis beinhaltet verwendete und empfohlene
Literatur. Diese umfassen die Verzeichnisse wissenschaftlicher sowie
populärwissenschaftlicher Literatur, der Zeitungs- und Zeitschriftenartikel
und der Internetadressen.
Zur verwendeten Literatur gehört die Literatur, aus welcher in der
Diplomarbeit zitiert oder paraphrasiert wurde. Zur empfohlenen Literatur
gehört die Literatur, die mit dem jeweiligen Thema zusammenhängt und
erwähnt werden sollte.
Im Abkürzungenverzeichnis werden die Abkürzungen erklärt, manche
werden ins Tschechische oder Deutsche übersetzt. Die Übersetzungen
stehen immer in den Klammern nach dem Gleichheitszeichen.
Das Abkürzungenverzeichnis, das Verzeichnis der analysierten
Zeitschriftenartikel, die Adressen und Telefonnummern der untersuchten
Zeitschriften sowie ihre Titelseiten und der Lebenslauf der Autorin sind
im Anhang zu finden.
Alle tschechischen Zitate wurden von der Autorin der Diplomarbeit
ins Deutsche übersetzt und von Mag. Manfred Martin kontrolliert.
Auch die Präsidentendekrete, bei denen immer die Internetadressen
deutscher Fassungen angegeben werden, wurden aus dem
Tschechischen ins Deutsche übersetzt.

4
1 Präsidentendekrete ­ historiografische Aspekte
und die Analyse
Ohne die Kenntniss der Geschichte können wir weder die Gegenwart
verstehen noch die Zukunft planen. Zu jener Kenntnis gehört das
Grundwissen über die Zusammenhänge, die sich aus anderen
Zusammenhängen entwickelten und zu anderen Zusammenhängen
führen. Und jenes Grundwissen ist eine der Voraussetzungen jedes
wissenschaftlichen Arbeitens. Deshalb werden wir uns mit den
historiografischen Aspekten bezüglich der Problematik der
Präsidentendekrete beschäftigen und mit dem Inhalt der am meisten
umstrittenen Dekrete kritisch auseinandersetzen müssen, um die
Kenntnisgrundlage für die empirische Untersuchung zu bilden.
Die folgenden Subkapitel sind so konzipiert, dass sie die gesamte
Problematik der Präsidentendekrete umfassen: Die Entstehung der
dekretalen Kompetenz, die Inhalte und Konsequenzen der diskutierten
Präsidentendekrete, die Nachkriegspolitik in der
CSR und die rechtliche
und politische Bestätigung der Präsidentendekrete, der Abschub der
Sudetendeutschen aus der
CSR in den Jahren 1945/46 und die
internationalen Rechtsdokumente, welche die Problematik betreffen.
Es wird nicht beabsichtigt, endgültige Lösungen und eindeutige
Kommentare zur behandelten Thematik vorzulegen. Die folgende
Auseinandersetzung mit der Problematik bietet eine der Perspektiven, aus
der die Thematik offenbart werden kann.

5
1.1 Einführende Worte in die Problematik der
Präsidentendekrete
Die Präsidentendekrete
1
(= dekrety prezidenta republiky), oft ungenau
als ,,Benes-Dekrete" bezeichnet, sind rechtliche Dokumente, welche seit
ihrer Entstehung in den Jahren 1940 bis 1945
2
ein gültiger Bestandteil der
tschechischen bzw. der tschechoslowakischen Rechtsordnung sind.
Einige wurden in den ersten Nachkriegsjahren durch die damalige
Gesetzgebung jedoch au
er Kraft gesetzt.
Insgesamt gibt es 142
3
Präsidentendekrete. 44 davon wurden
im Tschechoslowakischen Verordnungsblatt (= Ú ední v
stník
ceskoslovenský) im Exil
4
verkündet, 98 Dekrete wurden in der
Tschechoslowakei erlassen und im Gesetz- und Verordnungsblatt der
Tschechoslowakischen Republik (= Sbírka zákon
a na ízení republiky
Ceskoslovenské) verkündet.
5
8 Dekrete
6
von 142 betreffen direkt die s. g.
sudetendeutsche Frage, andere 5 Dekrete
7
hängen mit der
sudetendeutschen Problematik eng zusammen.
Alle Präsidentendekrete waren zuerst von der Regierung entworfen,
diskutiert und verabschiedet worden, bevor der Präsident über sie
verhandeln konnte. Und jedes Dekret musste vom tschechoslowakischen
Präsidenten, in diesem Fall von Edvard Benes
8
, und dem Vorsitzenden
bzw. einem Mitglied der Regierung signiert werden, bevor es verkündet
und erlassen wurde.
9
1
Aus dem Tschechischen wörtlich übersetzt, hie
e es: Dekrete des Präsidenten der
Republik.
2
Offiziell wurden die Präsidentendekrete erst durch das Verfassungsgesetz Nr. 57/1946
Slg. vom 28.3. 1946 zu gültigen Gesetzen genehmigt und verkündet.
3
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 50 ff.
4
Vom 21.7. 1940 bis zum 4.4. 1945 wirkte das provisorische Staatswesen der
Tschechoslowakischen Republik im Exil (London).
5
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 50 ff.
6
Siehe dazu Kap. 1.3.
7
Siehe dazu ebd.
8
Siehe dazu Kap. 1.2.
9
Siehe dazu Kap. 1.4.4.

6
Mit der Existenz der 13 umstrittenen Präsidentendekrete hängen nicht
nur eigentumsrechtliche Streitverfahren zwischen Tschechien und den
hauptsächlich in Deutschland lebenden Sudetendeutschen zusammen,
sondern auch die Leiden dieser Menschen während des Abschubs
10
aus der Tschechoslowakei in den Jahren 1945/46.
Es ist nicht möglich, in der Debatte über die Präsidentendekrete nur
über den Abschub zu sprechen, ohne politisch-historische
Zusammenhänge, die zu dieser Katastrophe führten, zu berücksichtigen.
Genauso ist es aber auch nicht möglich, über die Präsidentendekrete zu
diskutieren, ohne den Abschub zu erwähnen. Aus diesem Grund
entschied ich mich, das Kapitel über den Abschub nicht auszulassen,
obwohl sich der erste Teil der Arbeit hauptsächlich auf den Inhalt, die
Entstehung und die Entwicklung der Präsidentendekrete konzentriert. Der
Abschub der Sudetendeutschen wird genauer, jedoch verkürzt im Exkurs
11
behandelt.
Die Präsidentendekrete bedeuten kein neues, um so mehr aber ein
aktuelles Thema.
Aus der Sicht ihrer Erhaltung bzw. Aufhebung in der tschechischen
Rechtsordnung stellen sie vor allem ein politisches, zwischen- und
innerstaatliches Problemthema dar, denn sie wurden am politisch-
rechtlichen Boden verankert und realisiert.
12
Nach mehr als 50 Jahren ihrer Existenz dürften die Präsidentendekrete
wieder
nur
durch
neue
Gesetze
aufgehoben
werden,
die
im Abgeordnetenhaus und Senat verabschiedet und vom Präsidenten
signiert werden müssten.
10
In der deutschsprachigen Literatur werden hauptsächlich die Termini Vertreibung
(= vyhnání) oder, wie im Potsdamer Abkommen erwähnt wurde, Ausweisung
(= vyhost
) und Überführung (= peprava) verwendet. In der tschechischsprachigen
Literatur werden dagegen die Termini odsun (= Abschub), p
esídlení (= Übersiedlung),
transfer (= Transfer) und seltener vyhnání (= Vertreibung) verwendet. Da der Terminus
Abschub, denke ich, ein für alle Betroffenen akzeptabler Ausdruck ist, entschied ich
mich für diesen.
11
Siehe dazu Kap. 1.5.3.
12
Siehe dazu Kap. 1.4.4.

7
In der letzten Zeit bemühen sich einige deutsche und österreichische
Politiker
13
, den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen
Union mit der Aufhebung einiger Präsidentendekrete zu junktimieren. Dies
führt zu heftigen Diskussionen, an denen sich vor allem Politiker und
Experten beteiligen.
Im Falle der Aufhebung jener Präsidentendekrete, auf deren Grundlage
das Vermögen der Sudetendeutschen
14
konfisziert wurde, würde es sich
für Tschechien um ein wirtschaftliches und soziales Problem handeln. Es
entsteht unter anderem die Frage, wo genau der Schlussstrich bezüglich
der Restitutionen gezogen werden sollte: vor dem Jahr 1945, vor dem
Beginn des Zweiten Weltkrieges oder vor dem Münchener Abkommen?
Für
die
tschechische
Gesellschaft sind die umstrittenen
Präsidentendekrete und der Abschub der Sudetendeutschen primär ein
(historisch) moralisches Problem.
Andererseits bezeichneten 52% der Befragten in einer Untersuchung
im Jahre 1995 den Abschub der Sudetendeutschen als ,,gerecht".
Signifikant wuchs die Zustimmung zum Abschub mit zunehmendem Alter
der Befragten. Diejenigen (24%), welche den Abschub als ,,unrecht"
bezeichneten, wollten mehrheitlich einen ,,dicken Schlussstrich" unter der
Vergangenheit ziehen. Nur 4% wollten sich entschuldigen. In den
ehemaligen Sudetengebieten Nord- und Westböhmens hie
en 59% den
Abschub gut, in Südböhmen 40%.
15
13
In Deutschland ist es vor allem die bayerische CDU/CSU, und in Österreich ist es die
neue Regierungspartei FPÖ.
14
Es betrifft nicht nur das Vermögen der Sudetendeutschen. Stark betroffen waren auch
Ungarn, und bis heute wurde die Frage des jüdischen Besitzes nicht vollständig
behandelt, obwohl daran gearbeitet wird.
15
Vgl. dazu Vodi
cka, 1996, S. 238 f.

8
1.2 Biografie und politische Bedeutung von Edvard
Benes
16
Edvard Benes wurde am 28. Mai 1884 in Kozlany in Böhmen geboren.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in der vor allem durch die
nationalen Interessen geprägten Zeit, in der unter anderem auch
Tschechen nach einer neuen Identität suchten und heftig nach Autonomie
in Österreich-Ungarn strebten.
Seit 1909 arbeitete er als Dozent für die Nationalökonomie an der
Prager Karlsuniversität und ab 1915 als der enge Mitarbeiter von T. G.
Masaryk.
Im Jahre 1916 gründete der zukünftige erste Präsident der Ersten
Republik, T. G. Masaryk, in Paris den Tschechoslowakischen Nationalrat
(= Národní rada
ceskoslovenská), der sich hauptsächlich um die
Gründung eines unabhängigen tschechoslowakischen Staates bemühte,
und dessen Generalsekretär ab 1917 Benes war. 1918 wurde der Rat
von den Ententemächten als vorläufige tschechoslowakische Regierung
anerkannt.
Am 28. Oktober 1918 wurde die Erste Tschechoslowakische Republik
(=
Ceskoslovenská republika (CSR)) ausgerufen.
17
Da Benes auf Grund
seiner Erfahrungen im Ausland in der Au
enpolitik gut bewandert und ein
enger Vertrauter von Masaryk war, wirkte er von 1918 bis 1935 als
Au
enminister der Tschechoslowakei. Daneben wurde er in den Jahren
1921/22 zum Ministerpräsidenten und ab 1923 zum Mitglied der
Tschechoslowakischen Nationalsozialistischen Partei (=
Ceskoslovenská
strana národn
socialistická). Als Auenminister führte er die
tschechoslowakische Delegation bei den Pariser Friedensverhandlungen
1919/20 und vertrat die
CSR beim Völkerbund.
16
Folgende Daten wurden aus Brockhaus Enzyklopädie, 3. Band, 1996, S. 91 und
Encyklopedický slovník, 1993, S. 108 entnommen.
17
Mit der unmittelbaren Vorgeschichte und dem Verlauf der Entstehung der Ersten
Republik sowie dem Wesen des Tschecho-Slowakismus setzt sich Kalvoda, 1986,
672 S. auseinander.

9
Am 18. Dezember 1935 wurde er zum zweiten Staatspräsidenten
gewählt. Damals musste Masaryk
18
aus gesundheitlichen Gründen
abtreten, und er schlug Benes als seinen Nachfolger vor.
Nach
dem
Münchener
Abkommen
19
abdizierte
Benes,
und
am 22. Oktober 1938 verlie
er die Republik. Im Exil blieb er
bis zum Kriegsende.
20
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Benes nach Prag zurück und wurde
zum Präsidenten der neu errichteten Republik gewählt, die erst im Jahre
1946 bestätigt wurde.
21
Am 7. Juni 1948 trat er jedoch unter Druck der im Februar die Macht
ergreifenden Kommunisten zurück.
Drei Monate später starb er am 3. September 1948 in Sezimovo Ústí
in Südböhmen ohne direkte Nachkommen.
Meinungen über die Persönlichkeit von Edvard Benes als Menschen und
Politiker sind bis heute genauso unterschiedlich und disparat wie jene
über die ganze sudetendeutsche Frage. Aus der Literatur, Dokumenten
und Briefen bekommen wir von Benes ein Mosaik, in dem jedoch einige
wichtige Steine fehlen.
Grundsätzlich war Benes einerseits ein prinzipientreuer Mensch, der
sein Leben der Politik widmete und an den unabhängigen Staat der
Tschechen und Slowaken fest glaubte und diesen Gedanken seine ganze
politische Karriere unermüdet und treu verfolgte. Andererseits verlie
er
18
Tomás Garrigue Masaryk (1850-1937) war am 14.11. 1918 zum ersten
Staatspräsidenten gewählt worden. In den Jahren 1920, 1927, 1934 wurde er
wiedergewählt.
19
Das Münchener Abkommen wurde am 29.9. 1938 in München von Sir Arthur Neville
Chamberlain (Gro
britannien), Édouard Daladier (Frankreich), Adolf Hitler
(Deutschland) und Benito Mussolini (Italien) unterzeichnet. Von der
tschechoslowakischen Regierung wurde es am 30.9. 1938 angenommen. Auf Grund
des Abkommens musste die Tschechoslowakei zwischen dem 1. und dem 10. Oktober
1938 umfassende Gebiete an Deutschland abtreten. Siehe dazu Kap. 1.4.2.
20
Mehr dazu Kap. 1.4.2 und 1.4.4.
21
Siehe dazu Kap. 1.5.1.

10
nach dem Münchener Abkommen ,,seine Nation"
22
und führte sie einige
Jahre später in die Krallen von Stalin.
Einerseits betonte er immer wieder, er sei gegen die Gewalt und für den
Frieden und demokratische Prinzipien, andererseits plante er den
zum grö
ten Teil gewalttätigen Abschub der Sudetendeutschen mit,
welche Bürger des tschechoslowakischen Staates waren, und lie
ihn
schlie
lich zu.
Einerseits vertrat er die Politik des Verstandes, der Vernunft, der Treue
und die Voraussicht in der Politik, andererseits fehlte gerade ihm die
Loyalität gegenüber seinen engsten und treusten Kollegen und der
Weitblick hinsichtlich der Stalin´schen Politik.
23
Pavel Tigrid, ein tschechischer Journalist und politischer Publizist,
beschreibt Benes als einen Menschen, dem ,,
die Herzlichkeit, Spontaneität,
Innigkeit, das wirkliche Interesse am Leben und am Schicksal des anderen, die
Fröhlichkeit, von der Zügellosigkeit keine Rede
"
24
fehlten. ,,
Er war ein kalter,
wenig zugänglicher und wahrscheinlich schüchterner Herr.
"
25
Tigrid urteilt so nach den Aussagen und Kommentaren von Beness engen
Mitarbeitern und nach seinen öffentlichen Reden und Briefen.
Er sieht Benes als einen Menschen, der sich zu rächen wusste, und der
an Narzismus litt. Er verweist auf öffentliche Reden und Briefe, in denen
die Sätze oft mit ,,
wie ich sagte, wie ich richtig abschätzte, ich wusste es
von Anfang an, meine Gespräche, meine Reise, ich berufe alle, ich ersuche sie,
ich erkläre feierlich, ich wurde vom richtigen Gedanken geführt (...)
"
26
beginnen.
Laut Tigrid war Benes ein Politiker von Kopf bis Fu
, jedoch ein
schwacher Redner ohne Stil, der aber gerne und oft lange Monologe
in Debatten mit politischen Partnern führte.
27
22
So bezeichnete Benes in seinen öffentlichen Reden die Tschechen und Slowaken.
23
Beness Leben und seine Art der Politik werden genauer und umfangreicher im Werk
von Klimek/Zeman, 1997, 293 S. analysiert.
24
Tigrid, 2000, S. 133.
25
Ebd.
26
Ebd., S. 136.
27
Vgl. dazu ebd., S. 133.

11
,,Besser: die Politik war sein Leben, seine Leidenschaft, seine Unterhaltung,
sein Sport, auch wenn er lange Spaziergänge mit dem Hund und
in Begleitung von politischen Freunden mochte, mit denen er beim Gehen ­
über die Politik ­ sprach."
28
,,Und wie schon gesagt wurde, Herr Präsident sprach viel und lange. Es
waren fast immer Monologe, auch dann, wenn mit ihm Persönlichkeiten wie
Churchill, Eden, Roosevelt oder Ressortminister sprachen, welche doch
über die verhandelnde Frage möglicherweise mehr wissen mussten als ihr
tschechischer Partner. Benes mochte es leidenschaftlich zu belehren, und
noch mehr mochte er zu prophezeien, und er erregte einen nicht unbedingt
günstigen Eindruck, dass er alles besser wisse."
29
Tigrid hebt auch Beness positive Seiten hervor. Er war ein gebildeter,
flei
iger, aufgeweckter und geduldiger Mensch, der an der Masaryks Seite
die Idee des unabhängigen tschechoslowakischen Staates international
durchsetzte. Dafür und auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit in der
Au
enpolitik und im Völkerbund gewann er bei anderen Politikern
zumindest am Ansehen.
30
Tigrid beschlie
t seine Überlegungen über Benes mit diesen Worten:
,,Alles wog und bewertete er aus der Sicht der politischen Zweckmä
igkeit;
und der opferte er wahrscheinlich alles."
31
Karel
Capek, ein bedeutender tschechischer Schriftsteller und
Journalist, der Benes jahrelang persönlich kannte, bewundert und verehrt
Benes in seinen Briefen und Artikeln. Er sieht ihn als einen geistig starken,
intelligenten und prinzipientreuen Mann und Politiker, welcher einen
ausgeprägten Sinn für das logische und analytische Denken hatte.
28
Tigrid, 2000, S. 133.
29
Ebd., S. 135.
30
Vgl. dazu ebd., S. 136.
31
Ebd., S. 137.

12
,,Herr Benes ist noch dazu ein Mensch beschert mit analytischem und
logischem Geist. Egal, was er sagen oder erklären mag, jedesmal teilt er
das behandelte Thema mit einer mathematischen Sicherheit in Grundteile,
und er wirft alle Aspekte auf, die aus dem Thema logisch resultieren; (...).
In seiner Weltauffassung haben vereinfachte und bequeme Lösungen
sowie der Glaube, der Berge versetzt, keinen Platz."
32
Capek geht in seinen Überlegungen über Benes noch weiter:
,,Edvard Benes wird oft von seinen Mitbürgern für sein ausschlie
liches und
einseitiges Durchsetzen des Rationalismus beschuldigt. Ich frage mich, ob
in ihm nicht mehr Einigkeit ist als in vielen von uns, weil er der politischen
weltlichen und einheimischen Szene die Früchte der eigensten Qualitäten
des tschechischen Volkes aufblühen lassen hat: den Sinn für die Realität,
Ausdauer und den Sinn für die Standhaftigkeit. Sei dieser Weltbürger und
gleichzeitig Europäer für die Verkörperung der wichtigsten Tugenden
seines Volkes gehalten. Es hat für uns eine tiefe Bedeutung, denn es ist
unsere Visitenkarte."
33
Jakub
Cermín beschreibt Benes als einen überzeugten Demokraten und
vergleicht seine politische Bedeutung für die Tschechoslowakei
zum beliebten böhmischen König Ji í z Pod
brad
34
.
,,Edvard Benes war ein überzeugter Demokrat, er glaubte an die
Verwirklichung des Sozialismus, jedoch unter der Bedingung, dass die
persönliche Freiheit des Menschen beachtet wird. Das war die Bedingung
sine qua non. Er war ein unermüdlicher Kämpfer für die Ideale, welche eine
32
Capek, 2000, S. 91 f.
33
Ebd., S. 93.
34
Ji í z Pod
brad (1400-1471) legte einen groen Wert darauf, ein gerechter
Herrscher sowohl für Kalixtiner (Hussiten) als auch für Katholiken zu sein, und er
versuchte im Jahre 1464, die international-politische Isolation mit der Ausarbeitung des
Antrages der Friedensunion der europäischen christlichen Herrscher durchzubrechen.
Er stammte aus einem Adelsgeschlecht. Zum böhmischen König wurde er im Jahre
1458 als erster Herrscher ohne dynastische Abstammung gewählt.

13
bessere Zukunft nicht nur für sein Volk, sondern für die ganze Menschheit
aufbauen sollten."
35
Alle Vorwürfe an Benes, dass er 1938 kämpfen und später Stalin nicht
vertrauen sollte, und dass er zu radikal bei der Lösung des
sudetendeutschen Problems war, räumt
Cermín mit folgenden Sätzen
vom Tisch:
,,Aber eines kann man Edvard Benes niemals vorwerfen. Er liebte sein Volk
aus dem ganzen Herzen, und er trug mit seiner Tätigkeit zu seinem
Aufblühen bei."
36
So könnten wir über Benes als Mensch und Politiker seitenlange
Kommentare und Meinungen bringen, die trotzdem kein genaues und
klares Bild von ihm entstehen lassen. Im Grunde ist es auch nicht wichtig,
wie Edvard Benes tatsächlich war, obwohl uns sein Charakter einiges
über sein politisches Handeln erklären kann. Für die Gegenwart und
vor allem die Zukunft sind jedoch nicht seine Gefühle, Einstellungen oder
Begabungen das Entscheidende, sondern ausschlie
lich seine politischen
Taten und deren Folgen.
Beness politische Bedeutung besteht unter anderem sicher darin, dass
er an der Seite von Masaryk und einiger treuer Kollegen die Gründung der
Ersten Tschechoslowakischen Republik international anstrebte und
durchsetzte. Als Au
enminister und in den ersten Jahren seiner
Präsidentschaft bemühte er sich, die neue Republik als einen
demokratischen Staat im Ausland zu vertreten und zu präsentieren.
Inwieweit die Tschechoslowakei tatsächlich demokratisch war, inwieweit
zum Beispiel die international übliche Minderheitengesetzgebung, die
auch ein Bestandteil der tschechoslowakischen Rechtsordnung war, in der
Praxis realisiert wurde, ist ein anderes Thema.
35
Cermín, 1995, S. 7.
36
Ebd.

14
Benes glaubte fest an die Demokratie, den Sozialismus und einen
starken, unabhängigen tschechoslowakischen Staat. Er wusste, dass es
Jahrzehnte dauern würde, bis die Tschechoslowakei ihre wahre Identität
und ihren Platz in Europa findet. Er wusste aber auch, und immer wieder
betonte er, dass gerade deswegen die Staatskontinuität keinesfalls
abgebrochen werden dürfe. Das Leben in der Republik musste rechtlich,
politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial ungebrochen fortgesetzt
werden. Seine politischen Prinzipien sollten dazu verhelfen: 1) Treue
zur tschechoslowakischen Verfassung aus dem Jahre 1920 und Loyalität
gegenüber der tschechoslowakischen Bevölkerung
37
, 2) Erhaltung
demokratischer Prinzipien und 3) politische und kulturelle Orientierung
auf den Westen, vor allem Frankreich und Gro
britannien.
Es war aber gerade Benes, der mit seinem politischen Handeln
zur Unterbrechung der Staatskontinuität stark beitrug, auch wenn wir
bedenken, dass jede seiner Entscheidungen von anderen Politikern
zumindest akzeptiert werden musste, um sie zu verwirklichen. Spätestens
seit dem Münchener Abkommen brach Benes sukzessive alle seinen
Grundprinzipien. Damit verriet er sich selbst, seine treusten Freunde und
vor allem ,,sein Volk". Das war sein grö
ter politischer Fehler. Und es ist
meiner Meinung nach der einzige Fehler, den wir Benes tatsächlich
vorwerfen können. Die Folgen daraus waren politische Entscheidungen
und Taten, die schlie
lich für die Tschechoslowakei ein fatales Ende
bedeuteten ­ vierzig Jahre des kommunistischen Diktates und Terrors.
Benes hätte vieles nicht verhindern können, er hätte jedoch zumindest
brutalen Vorfällen nach dem Krieg und Stalin´scher Politik seinen Namen
als Demokrat und politische Autorität nicht verleihen sollen.
38
37
Hier sind alle BürgerInnen mit der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft, egal
welcher Nationalität, gemeint.
38
Vgl. dazu Peroutka, 1999, S. 14 ff.

15
1.3 Analyse der Dekrete und ihre Bedeutung
Im Rahmen dieses Kapitels werden 13 Präsidentendekrete, welche die
sudetendeutsche Problematik betreffen, inhaltlich analysiert. Andere
Dokumente, die mit den diskutierten Präsidentendekreten bzw. der
sudetendeutschen Problematik eng verbunden sind, werden in darauf
folgenden Kapiteln
39
behandelt.
Einzelne Vorschläge der Dekrete entstanden während des Zweiten
Weltkrieges im Exil, als sich die provisorische Exilregierung der
CSR
auf die Nachkriegszeit vorbereitete. Sie wurden jedoch sukzessive der
aktuellen international-politischen Situation in Europa und in der
CSR
angepasst.
Der Inhalt jedes einzelnen Dekretes wird kurz zusammengefasst, wobei
wichtige Paragraphen zitiert und erörtert werden. Da ich jedoch weder
juristische noch politologische Ausbildung habe, werden die
Präsidentendekrete nicht tiefer kommentiert. Das Anliegen ist es nicht, die
Position eines Historikers anzustreben, sondern die Dekrete dem Leser
durch die Dokumentenanalyse anzunähern, das für das Thema
Wesentliche hervorzuheben und die Dekrete um Hintergrundinformationen
und Hinweise auf andere, damit zusammenhängende, rechtliche
Dokumente zu erörtern.
Die Präsidentendekrete sowie die meisten Kommentare dazu stammen
aus dem Buch von Karel Jech. Die im Kapitel zitierten Gesetzestexte
wurden von der Autorin der Diplomarbeit übersetzt und von Mag. Manfred
Martin kontrolliert.
Bei jedem angeführten Dekret steht auch der Quellenhinweis auf die
Internetadresse, unter welcher die deutsche Fassung des ganzen
Dekretes zu finden ist.
Im Kapitel 1.3.14 werden die wichtigsten Erkenntnisse über die
Präsidentendekrete noch einmal zusammengefasst und kurz ergänzt.
39
Siehe dazu Kap. 1.5.2, 1.5.4 und 1.6.

16
1.3.1 1945, 19. Mai, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 5/1945 Slg., über die Ungültigkeit einiger
eigentumsrechtlicher Verhandlungen aus der Zeit der
Unfreiheit und über die nationale Verwaltung der
Vermögenswerte der Deutschen, Magyaren, Verräter und
Kollaboranten und einiger Organisationen und Anstalten.
40
Schon aus der Benennung des Dekretes geht hervor, welchen Gruppen
von tschechoslowakischen Staatsbürgern Deutsche und Ungarn
eingeordnet wurden: nämlich zu Verrätern und Kollaboranten. Als solche
stellten sie ein ungewolltes Element in der Republik dar. Dies war mehr
ein psychologisches Signal an alle Bürger als ein nötiger politischer
Schritt, um klarzustellen, wer im Staat nichts mehr zu sagen hatte.
Dieses Dekret steht auf zwei wesentlichen Pfeilern: Erstens erklärt es
alle Vermögensübertragungen und eigentumsrechtliche Verhandlungen,
die nach dem 29. September 1938 aus politischen, nationalen oder
rassischen Gründen abgeschlossen wurden, für ungültig (§ 1). Zweitens
stellt es das Vermögen staatlich unzuverlässiger Personen unter die
nationale Verwaltung (§ 2).
,,
§ 1
(1)
Alle
Vermögensübertragungen
und
alle
eigentumsrechtliche
Verhandlungen, sei es bewegliches oder unbewegliches, öffentliches oder
privates Vermögen, sind ungültig, sofern sie nach dem 29. September 1938 unter
dem Druck der Okkupation oder der nationalen, rassischen oder politischen
Persekution abgeschlossen worden sind.
40
Vgl. dazu deutsche Fassung:
URL: http://www.iolaos.com/scriptorium/deutsch/archiv/weissbuch/dasd86.html
[4.3. 2002].

17
§ 2
(1) Das Vermögen staatlich unzuverlässiger Personen auf dem Gebiet der
Tschechoslowakischen Republik wird gemä
weiterer Bestimmungen dieses
Dekretes unter die nationale Verwaltung gestellt.
(2) Als Vermögen staatlich unzuverlässiger Personen wird auch das durch
diese Personen nach dem 29. September 1938 übertragene Vermögen
angesehen, es sei denn, dass der Erwerber keine Kenntnis von dem Umstand
gehabt hat, dass es sich um solches Vermögen handelt.
"
41
Laut § 3 musste die nationale Verwaltung in allen Betrieben und
Vermögenssubstanzen eingeführt werden, ,,
wo es der laufende Gang der
Herstellung
und
des
wirtschaftlichen
Lebens
erfordert,
insbesondere
in verlassenen Betrieben, Unternehmungen und Vermögenssubstanzen oder
in solchen, welche sich in Besitz, in Verwaltung, in Miete oder Pacht staatlich
unzuverlässiger Personen befinden
"
42
.
Für die sudetendeutsche Problematik ist die Definition der ,,staatlich
unzuverlässiger Personen" in § 4 von gro
er Bedeutung. Neben den
Personen, die eine Tätigkeit ,,
gerichtet gegen die staatliche Souverenität,
Selbständigkeit, Integrität, demokratisch-republikanische Staatsform, Sicherheit
und Wehrkraft der Tschechoslowakischen Republik"
43
entwickelt haben,
oder
den Personen,
,,
die zu solcher Tätigkeit angeregt oder andere Personen dazu
verführt und absichtlich, in welcher Art auch immer, deutsche und magyarische
Okkupanten
"
44
unterstützt haben, werden nämlich ,,
Personen deutscher oder
magyarischer Nationalität
"
45
genannt.
,,
§ 6
Als Personen deutscher oder magyarischer Nationalität sind jene anzusehen,
welche sich bei irgendeiner Volkszählung seit dem Jahre 1929 zur deutschen
41
Jech, 1995, S. 216.
42
Ebd.
43
Ebd.
44
Ebd.
45
Ebd.

18
oder magyarischen Nationalität bekannt haben, oder Mitglieder nationaler
Gruppen oder Formationen oder politischer Parteien geworden sind, in denen
Personen deutscher oder magyarischer Nationalität vereinigt gewesen sind.
"
46
In weiteren 22 Paragraphen werden die Bedingungen für die Einführung
der nationalen Verwaltung und die Regeln, Kompetenzen und Aufgaben
der nationalen Verwaltung konkreter bestimmt.
47
§ 24 ist für unser Thema wichtig:
,,
§ 24
(1) Das unter die nationale Verwaltung gestellte Vermögen, das Arbeitern,
Landwirten, Gewerbetreibenden, kleinen und mittleren Unternehmern, Beamten,
Angehörigen freier Berufe und Personen in ähnlicher sozialer Stellung gehört
hatte, und das sie infolge nationaler, politischer oder rassischer Verfolgung
eingebü
t haben, ist, sofern es sich nicht um die in § 4 genannten Personen
handelt, aus der nationalen Verwaltung auszunehmen und sofort den früheren
Besitzern bzw. deren Erben zurückzustellen.
(2) Auch die in § 4, Abs a) angeführten Personen, sofern es sich um Arbeiter,
Landwirte, Gewerbetreibende, kleine und mittlere Unternehmer, Beamte,
Angehörige freier Berufe und Personen in ähnlicher sozialer Stellung bzw. deren
Erben handelt, können um die Ausscheidung ihres Vermögens aus der
nationalen Verwaltung und um die Rückstellung desselben ansuchen, wenn sie
glaubwürdig nachweisen können, dass sie ein Opfer der politischen oder
rassischen Verfolgung gewesen sind, und dass sie der demokratisch-
republikanischen Staatsidee der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben
sind.
(3) Über das bezügliche Ansuchen entscheidet laut § 7 die zuständige Stelle.
(4) Das übrige beschlagnahmte Vermögen verbleibt bis zu einer neuen
legislativen Regelung unter der nationalen Verwaltung.
"
48
46
Jech, 1995, S. 217.
47
Vgl. dazu ebd., S. 217 ff.
48
Ebd., S. 221.

19
Mit anderen Worten: Das Vermögen aller Personen deutscher und
ungarischer Nationalität, egal ob sie das Vermögen nach oder vor dem
29. September 1938 erworben hatten, wurde unter die nationale
Verwaltung gestellt. Nur Deutsche und Ungarn, welche nach dem Krieg
kein Vermögen hatten, da es ihnen aus rassischen oder politischen
Gründen nach dem Münchener Abkommen konfisziert worden war, und
welche als Arbeiter, Landwirte, Gewerbetreibende, kleine und mittlere
Unternehmer, Beamte, Angehörige freier Berufe und Personen
in ähnlicher sozialer Stellung nachweisen konnten, dass sie aus oben
genannten Gründen während der nationalsozialistischen Zeit verfolgt
worden waren, (z. B. deutsche und ungarische Juden), hatten ein Recht
auf die Ausnahme und Rückgabe ihres (ehemaligen) Vermögens aus der
nationalen Verwaltung. Es wird jedoch nicht näher bestimmt, wie solch ein
Nachweis, dessen Beurteilung in vielen Fällen schwierig ist, ausschauen
sollte.
Au
erdem ist hier das Phänomen der kollektiven Schuld erkennbar,
denn es wird allgemein über Deutsche und Ungarn gesprochen.
Ausgenommen sind nur diejenigen, die ihre Ausnahme glaubwürdig
nachweisen konnten. Was war aber mit all jenen, die weder gegen die
Tschechoslowakei noch für sie gekämpft hatten, (wie auch viele
Tschechen und Slowaken), und mit gemischten Familien?
Das Dekret wurde von Dr. E. Benes (Präsident), Z. Fierlinger
(Regierungsvorsitzender; SD), Stellvertretern des Regierungsvorsitzenden
J. David (NS), K. Gottwald (KS
C), V. Siroký (KSS), Dr. J. Srámek (L) und
J. Ursíny (DS), V. Nosek (Innenminister; KS
C), Dr. V. Srobár
(Finanzminister; DS), Dr. I. Pietor (Minister für Innenhandel; DS),
Dr. H. Ripka (Minister für Au
enhandel; NS), J. uris
(Landwirtschaftsminister; KSS), Dr. J. Soltész (Minister für Arbeitsschutz
und soziale Fürsorge; KSS), Dr. A. Procházka (Minister für
Gesundheitswesen; L), Gen. L. Svoboda (Minister für
Nationalverteidigung), Dr. Z. Nejedlý (Minister für Schulwesen und

20
Volkskultur; KS
C), V. Kopecký (Minister für Informationen; KSC),
Gen. A. Hasal (Verkehrsminister), F.
Hála
(Postminister;
L),
Dr. J. Stránský (Justizminister; NS), V. Majer (Minister für Ernährung; SD),
B. Lausman (Minister für Industrie; SD), Dr. V. Clementis (Staatssekretär
des Au
enministeriums; KSS) für J. Masaryk (Auenminister),
Gen. Dr. M. Ferjen
cík (Staatssekretär des Ministeriums für
Nationalverteidigung) und J. Lichner (Staatssekretär des Ministeriums für
Au
enhandel; DS) unterzeichnet.
49
Anmerkungen:
Über einige Schwerpunkte dieses Dekretes verhandelte Edvard Benes
mit der Exilführung der KS
C in Moskau schon im Dezember 1943.
Ursprünglich wurde das Dekret als gesamtstaatlicher legislativer Akt
konzipiert. Da jedoch der Slowakische Nationalrat (= Slovenská národní
rada (SNR)) damit nicht einverstanden war, wurden aus dem
Einführungssatz die Worte ,,
und in Vereinbarung mit dem Slowakischen
Nationalrat
" ausgelassen.
50
Mit dem Dekret Nr. 5 sind auch andere legislative Vorkehrungen
verbunden:
Die Anordnung des SNR vom 5. Juni 1945, Nr. 50/1945 Slg. SNR, über
die nationale Verwaltung;
allgemeine Richtlinien für nationale Verwalter vom 18. Juni 1945;
die Verlautbarung des Finanzministeriums vom 25. Juni 1945,
Nr. 82 Aa d.
CSR I, über die Sicherstellung des Vermögens der Verräter
und Kollaboranten;
die Verlautbarung des Finanzministeriums vom 25. Juni 1945,
Nr. 83 Aa d.
CSR I, über die Sicherstellung des deutschen Vermögens;
49
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 222.
50
Vgl. dazu ebd.

21
die Verlautbarung des Finanzministeriums vom 28. Juli 1945,
Nr. 124 Aa d.
CSR I, über die Sicherstellung des Vermögens staatlich
unzuverlässiger Personen;
Richtlinien vom 19. März 1946 zur Durchführung des § 24 des Dekretes
des Präsidenten der Republik vom 19. Mai 1945, Nr. 5/1945 Slg., über die
Ungültigkeit einiger eigentumsrechtlicher Verhandlungen aus der Zeit der
Unfreiheit und über die nationale Verwaltung der Vermögenswerte der
Deutschen, Magyaren, Verräter und Kollaboranten und einiger
Organisationen und Anstalten, und
das Gesetz vom 16. Mai 1946, Nr. 128/1946 Slg., über die Ungültigkeit
einiger eigentumsrechtlicher Verhandlungen aus der Zeit der Unfreiheit
und über die aus dieser Ungültigkeit und aus anderen Eingriffen in das
Vermögen resultierenden Ansprüche.
51
51
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 223.

22
1.3.2 1945, 21. Juni, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 12/1945 Slg., über die Konfiskation und beschleunigte
Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der
Deutschen, Magyaren sowie der Verräter und Feinde des
tschechischen und slowakischen Volkes.
52
Das Dekret, das allgemein Deutsche und Ungarn in die Klasse der
Verräter und Feinde der
CSR einstuft, beginnt mit diesen Worten:
,,
Um dem Ruf der tschechischen und slowakischen Landwirte und Landlosen
nach einer konsequenten Verwirklichung der neuen Bodenreform entgegen zu
kommen, und geleitet von der Bestrebung vor allem ein für allemal den
tschechischen und slowakischen Boden aus den Händen der fremden deutschen
und magyarischen Grundbesitzer sowie aus den Händen der Verräter der
Republik zu nehmen und ihn in die Hände der tschechischen und slowakischen
Landwirte und Landlosen zu geben, bestimme ich auf Vorschlag der Regierung:
§ 1
(1) Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die
Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen konfisziert, das
im Eigentum ist:
a) aller Personen deutscher und magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht
auf die Staatsangehörigkeit,
b) der Verräter und Feinde der Republik beliebiger Nationalität und
Staatsangehörigkeit, welche diese Feindschaft vor allem in der Krise und
im Krieg in den Jahren 1938 bis 1945 zum Ausdruck gebracht haben,
c) von den Aktiengesellschaften und anderen Gesellschaften und
Korporationen, deren Verwaltung absichtlich und zielgerichtet der deutschen
Kriegsführung oder faschistischen und nationalistischen Zwecken gedient hat.
(2) Personen deutscher und magyarischer Nationalität, welche sich aktiv
am Kampf für die Wahrung der Integrität und für die Befreiung der
52
Vgl. dazu deutsche Fassung:
URL: http://www.iolaos.com/scriptorium/deutsch/archiv/weissbuch/dasd87.html
[4.3. 2002].

23
Tschechoslowakischen Republik beteiligt haben, wird das landwirtschaftliche
Vermögen nach Absatz 1 nicht konfisziert.
(3) Darüber, ob eine Ausnahme nach Absatz 2 zulässig ist, entscheidet
auf Antrag der zuständigen Bauernkommission der zuständige
Bezirksnationalausschuss. Zweifelhafte Fälle legt der Bezirksnationalausschuss
dem Landesnationalausschuss vor, der sie mit seinem Gutachten zur endgültigen
Entscheidung
an
das
Landwirtschaftsministerium
weiterleitet,
das
im Einvernehmen mit dem Innenministerium entscheidet.
"
53
Der einleitende Absatz formuliert eindeutig, obwohl zu allgemein, das
Ziel und die Absicht des Dekretes.
Allen Deutschen und Ungarn wurde laut dieses Dekretes das
landwirtschaftliche Vermögen ohne das Recht auf die Rückgabe und
Entschädigung konfisziert. Die einzige Ausnahme stellten Deutsche und
Ungarn dar, welche sich aktiv am Kampf für die Befreiung der
CSR
beteiligt hatten. Diese Menschen besa
en jedoch mit gröter
Wahrscheinlichkeit nach dem Krieg kein landwirtschaftliches Vermögen
mehr, da sie auf Grund ihrer politischen Aktivitäten gegen das
nationalsozialistische Regime oder ihrer Rasse (deutsche und ungarische
Juden) ihr Vermögen schon längst verloren hatten. Deshalb konnte ihnen
nach dem Krieg auch kein Vermögen konfisziert werden. Die Rückgabe
eines solchen Vermögens den in der NS-Zeit gegen das Regime
kämpfenden oder aus politischen oder rassischen Gründen verfolgten
Personen deutscher und ungarischer Nationalität wird im Dekret weder
erwähnt noch geregelt.
§ 2 bestimmt, wer als Person deutscher oder ungarischer Nationalität
galt:
,,
§ 2
(1) Als Personen deutscher oder magyarischer Nationalität gelten Personen,
welche sich bei irgendeiner Volkszählung seit 1929 zur deutschen oder
53
Jech, 1995, S. 276.

24
magyarischen Nationalität bekannt haben oder Mitglieder nationaler Gruppen
oder Formationen oder politischer Parteien gewesen sind, die sich aus Personen
deutscher oder magyarischer Nationalität zusammengesetzt haben.
(2) Ausnahmen von der Bestimmung des Absatzes 1 werden durch ein
besonderes Dekret festgesetzt.
"
54
In § 4 wird das landwirtschaftliche Vermögen näher bestimmt:
,,
§ 4
Unter dem landwirtschaftlichen Vermögen (§ 1, Abs 1) ist der
landwirtschaftliche Boden und der Forstboden, die zu ihm gehörenden Gebäude
und Einrichtungen, Betriebe der landwirtschaftlichen Industrie, die eigener
landwirtschaftlichen Wirtschaft und Forstwirtschaft dienen, sowie auch das
bewegliche Zubehör (lebendes und totes Inventar) und alle Rechte, die mit dem
Besitz des konfiszierten Vermögens oder seiner Teile verbunden sind, zu
verstehen.
"
55
Wenn die Konfiskation physische oder juristische Personen betraf, die
in § 3 nicht genannt sind, gewährte der Nationale Bodenfonds (= Národní
pozemkový fond) auf Antrag des örtlichen Nationalausschusses ihnen
Ersatz für die laufenden Auslagen und Investitionen (§ 5, Abs 1).
56
Die s. g. ,,Braven" (= ,,hodní"), welche aus § 1 ausgenommen sind, deren
Vermögen jedoch trotzdem konfisziert wurde, hatten laut § 5, Abs 2 das
Recht
auf
die
Entschädigung,
die
der
Nationale Bodenfonds
zur Verfügung stellte.
57
In § 6 wird der Nationale Bondenfonds bestimmt.
,,
§ 6
(1) Das landwirtschaftliche Vermögen, das laut § 1 konfisziert wurde, wird
bis zur Übergabe an die Zuteilsempfänger vom Nationalen Bodenfonds
54
Jech, 1995, S. 276.
55
Ebd., S. 277.
56
Vgl. dazu ebd.
57
Vgl. dazu ebd.

25
beim Landwirtschaftsministerium, der hiermit errichtet wird, verwaltet. Die
Regierung wird ermächtigt, das Statut dieses Fonds zu erlassen.
"
58
Das landwirtschaftliche konfiszierte Vermögen wurde laut § 7
ausschlie
lich an Personen slawischer Nationalität zugeteilt. Die Gröe
des zugeteilten Bodens wurde nach dem Zuteilsempfänger
(Deputatenempfänger und landwirtschaftlicher Arbeiter; Kleinlandwirt;
vielköpfige Landwirtsfamilie; Gemeinde und Bezirke; Bau-,
Landwirtschaftsgenossenschaften
und andere Genossenschaften;
Arbeiter, öffentliche und private Angestellte und Kleingewerbetreibende)
59
abgestuft.
§ 7 war für die deutsche Bevölkerung entscheidend. Sie hatten kein
Recht auf Zuteilung des Bodens.
,,
§ 7
(1) Vom landwirtschaftlichen Vermögen, das vom Nationalen Bodenfonds
verwaltet wird, ist der Boden Personen slawischer Nationalität als Eigentum
zuzuteilen:
(...).
(2) In Bezirken mit überwiegender Bevölkerungsmehrheit deutscher
Nationalität, falls es keine Bewerber tschechischer oder anderer slawischer
Nationalität, die laut Absatz 1, Lit a) bis f) qualifiziert sind, gibt, bleibt der Boden
in der Verwaltung des Nationalen Bodenfonds für den Gebrauch der inneren
Besiedlung.
(...).
(6) Das Vorzugsrecht auf Zuteilung haben Personen, welche sich im nationalen
Befreiungskampf ausgezeichnet und verdient gemacht haben, insbesondere
Soldaten und Partisanen, ehemalige politische Häftlinge und Deportierte und ihre
Familienangehörigen und gesetzliche Erben sowie durch den Krieg geschädigte
Bauern. Das Vorzugsrecht ist entsprechend nachzuweisen.
"
60
58
Jech, 1995, S. 277.
59
Vgl. dazu ebd., S. 278.
60
Ebd.

26
§§ 8 bis 14 regeln einzelne Schritte und Ma
nahmen in der Verwaltung
des konfiszierten Vermögens.
61
Das Dekret Nr. 12 wurde von Dr. E. Benes (Präsident), Z. Fierlinger
(Regierungsvorsitzender; SD), V. Nosek (Innenminister; KS
C),
Dr. J. Stránský (Justizminister; NS), Dr. V. Srobár (Finanzminister; DS),
J.
uris (Landwirtschaftsminister; KSS) und V. Majer (Minister für
Ernährung; SD) unterzeichnet.
62
Anmerkungen:
Schon im Exil in London und in Moskau entstanden einige Projekte der
Bodenreform, die mehr oder weniger an die unvollendete Bodenreform
aus der Zwischenkriegszeit anknüpfen sollten.
63
,,(...), die antifaschistischen, antideutschen und antimagyarischen
Sichten, die auf die Zerstörung der
CSR, auf erzwungene Eingriffe in den
Bodenbesitz in den abgetrennten Gebieten oder auch im Inneren des
Landes, auf die Beschlagnahme des jüdischen landwirtschaftlichen
Vermögens usw. reagiert haben, sind jedoch schrittweise in den
Vordergrund vorgerückt."
64
Das Dekret galt nicht gesamtstaatlich. Die Slowakei hatte ihre eigenen
Normen, die sich in vielen Punkten von dem oben erwähnten Dekret
unterschieden. Die Konfiskation des landwirtschaftlichen Vermögens hatte
deshalb in beiden Teilen der Republik einen unterschiedlichen Verlauf.
Während in den tschechischen Ländern über die landwirtschaftlichen
Konfiskate das Verwaltungsamt im Doppelinstanzverfahren entschied,
hatten in der Slowakei die revolutionär konstituierten
61
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 279 ff.
62
Vgl. dazu ebd., S. 281.
63
Vgl. dazu ebd.
64
Ebd.

27
Konfiskationskommissionen, die an keine Verwaltungsvorschriften
gebunden waren und gegen deren Entscheidungen es keinen wirksamen
Rechtsschutz gab, das entscheidende Wort.
Nach der slowakischen Norm wurde die deutsche oder ungarische
Nationalitätenangehörigkeit nach der Sprache, die in der Familie
gesprochen wurde, von der Konfiskationskommission bestimmt. Dadurch
wurden hauptsächlich slowakische Juden, die gewöhnlich in der Familie
deutsch oder ungarisch sprachen, benachteiligt. So wurde ihr
landwirtschaftliches Vermögen, das sie im faschistischen Regime verloren
hatten, nach dem Krieg, ohne Restitution, als das Vermögen der
Deutschen, Ungarn, Verräter und Feinde konfisziert.
65
Mit dem Dekret hängen weitere Vorschriften zusammen:
Das Dekret des Präsidenten der Republik vom 20. Juli 1945,
Nr. 28/1945 Slg., über die Besiedlung des landwirtschaftlichen Bodens der
Deutschen, Magyaren und anderer Feinde des tschechischen Staates;
die Anordnung der Regierung vom 3. September 1945, Nr. 70/1945 Slg.,
womit
das
Statut
des
Nationalen
Bodenfonds
beim Landwirtschaftsministerium festgelegt wurde;
das Dekret des Präsidenten der Republik vom 25. Oktober 1945,
Nr. 108/1945 Slg., das die nicht landwirtschaftliche
Konfiskationsproblematik regelte;
Richtlinien für den Nationalausschuss über die nötigsten Ma
nahmen
in der Landwirtschaft vom 10. Mai 1945;
Richtlinien für die Bestimmung der Entschädigung für das lebende und
tote Inventar und andere Einrichtungen von dem konfiszierten
landwirtschaftlichen Vermögen der Deutschen, Magyaren und Verräter
laut Dekret des Präsidenten der Republik vom 21. Juni 1945,
Nr. 12/1945 Slg., und vom 20. Juli 1945, Nr. 28/1945 Slg.;
der Erlass des Landwirtschaftsministeriums vom 5. November 1945,
Nr. 50133/45-IX/S, über die Konfiskation des landwirtschaftlichen
65
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 281 f.

28
Vermögens der Deutschen, vor allem der Deutschen österreichischer
Staatsangehörigkeit und s. g. Antifaschisten, laut Dekret Nr. 12/1945 Slg.;
Richtlinien des Landwirtschaftsministeriums vom 7. Dezember 1945,
Nr. 56.279/45-IX/S, über die Konfiskation des landwirtschaftlichen
Vermögens laut Dekret Nr. 12/1945 Slg., damit wurden
Miteigentumsanteile geregelt;
Richtlinien für die Bestimmung der Entschädigung laut § 10 des Dekretes
des Präsidenten der Republik Nr. 12/1945 Slg. und laut § 7 des Dekretes
des Präsidenten der Republik Nr. 28/1945 Slg.;
Richtlinien für die Bestimmung der Entschädigung für Wälder laut § 10 des
Dekretes des Präsidenten der Republik Nr. 12/1945 Slg. und laut § 7 des
Dekretes Nr. 28/1945 Slg.;
der
Erlass
des
Landwirtschaftsministeriums
Nr.
25377/45-IX/D
vom 30. Juli 1945, über die Sicherstellung der kulturell wertvollen Objekte
auf dem Boden, der im Zuteils- und Besiedlungsverfahren konfisziert
wurde;
das Gesetz vom 8. Mai 1947, Nr. 90/1947 Slg., über die Durchführung der
Buchordnung des konfiszierten feindlichen Vermögens und über die
Regulierung einiger Rechtsverhältnisse, die sich auf das zugeteilte
Vermögen beziehen;
das Gesetz vom 12. Juli 1950, Nr. 98/1950 Slg., über die Auflösung des
Nationalen Bodenfonds beim Landwirtschaftsministerium und der Fonds
der Bodenreformen und über die Vereinigung ihres Vermögens.
66
66
Vgl. dazu Jech, 1995, S. 282 f.

29
1.3.3 1945, 17. Juli, Prag. ­ Dekret des Präsidenten der Republik
Nr. 27/1945 Slg., über die einheitliche Regelung der inneren
Besiedlung.
67
Mit diesem Dekret wurden die s. g. Besiedlungsämter zur Regelung der
inneren Besiedlung errichtet und ihre Aufgaben und Organisation definiert.
Die innere Besiedlung bedeutete die Rückgabe aller
tschechoslowakischen Gebiete der slawischen Bevölkerung (§ 1).
Mit Personen deutscher und ungarischer Nationalität wurde in der
Regelung der inneren Besiedlung eindeutig nicht gerechnet. Klare Signale
sendeten Formulationen wie ,,
die Rückgabe (...) dem ursprünglichen
slawischen Element
" (§ 1) und ,,
wenn der Vorsitzende ein Tscheche ist, wird
sein Stellvertreter ein Slowake sein und umgekehrt
" (§ 4).
,,
Auf Regierungsvorschlag und im Einvernehmen mit dem Slowakischen
Nationalrat bestimme ich:
§ 1
Unter der inneren Besiedlung wird der Komplex aller Ma
nahmen verstanden,
durch welche nach besonderen darüber erlassenen Vorschriften die Rückgabe
aller Gebiete der Tschechoslowakischen Republik dem ursprünglichen
slawischen Element erreicht werden soll.
§ 2
(1) Zur einheitlichen Regelung und Gleichschaltung der inneren Besiedlung
werden das Besiedlungsamt mit dem Sitz in Prag für die Gebiete der Länder
Böhmen, Mähren und Mährisch-Schlesien und das Besiedlungsamt mit dem Sitz
in Pre
burg für die Slowakei errichtet. Diese Ämter verrichten ihre Wirksamkeit
in der Zentralleitung der Zentralkommission für die innere Besiedlung (weiterhin
nur Zentralkommission).
(2) Die sachliche Wirksamkeit der einzelnen Ministerien und der anderen
Zentralämter im Bereich der inneren Besiedlung, welche durch besondere
67
Da zu diesem Dekret keine deutsche Fassung greifbar war, wird hier das ganze Dekret
übersetzt.

30
Vorschriften bestimmt wird, bleibt unbetroffen; sie wird jedoch in der
Übereinstimmung mit den Richtlinien der Zentralkommission und der
Besiedlungsämter verrichtet.
"
68
Weitere Paragraphen bestimmten die Organisation, Struktur und den
Aufgabenbereich der Besiedlungsämter (§§ 3-5).
,,
§ 3
(1) An der Spitze jedes Besiedlungsamtes ist der Vorsitzende, den der
Präsident der Republik auf Regierungsvorschlag ernennt. Die Vorsitzenden der
Besiedlungsämter nehmen an den Sitzungen der Zentralkommission mit der
beratenden Stimme teil.
(2) Die Zusammensetzung, Organisation und Tätigkeit der Besiedlungsämter
regelt das Statut ausführlicher, welches die Regierung auf Vorschlag der
Zentralkommission erlässt; der Innenminister verkündet es im Gesetz- und
Verordnungsblatt.
§ 4
(1) Die Zentralkommission wird beim Innenministerium errichtet. Ihr
Vorsitzender ist der Innenminister, der sich durch einen Beamten seines
Ressorts vertreten lassen kann. Ihre Mitglieder sind die Vertreter des
Präsidiumsamtes der Regierung und der Ministerien für Nationalverteidigung,
Industrie, Landwirtschaft, Innenhandel, Arbeitsschutz und soziale Fürsorge,
Finanzen und Justiz und zwei Vertreter des Slowakischen Nationalrates. Die
Zentralkommission wählt aus ihrem Kreis den Vizepräsidenten der Kommission;
wenn der Vorsitzende ein Tscheche ist, wird sein Stellvertreter ein Slowake sein
und umgekehrt. Der Generalsekretär der Zentralkommission ist der Vertreter des
Präsidiumsamtes der Regierung; seine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die
Zentralkommission auch auf die Interessen jener Bestandteile der Regierung und
Ressorts achtet, welche keine direkte Vertretung in der Zentralkommission
haben.
68
Jech, 1995, S. 318.

31
(2) Die Zentralkommission arbeitet ihre Geschäftsordnung aus, welche die
Regierung genehmigt; für die Zeit, bis es so passiert, erlässt der Innenminister
eine provisorische Geschäftsordnung.
(3) Der Vorsitzende kann zur Verhandlung der Zentralkommission dem
Bedürfnis nach den Vertreter anderer Ministerien oder andere Personen wie
fachliche Berater berufen, vor allem wenn es der Generalsekretär vorschlägt.
§ 5
(1) Auf Vorschlag der Zentralkommission kann die Regierung die Durchführung
einiger Aufgaben der Besiedlungsämter anderen öffentlichen Ämtern oder
Organen überlassen oder zu diesem Zweck ihre besonderen Kanzleien oder
Organe errichten.
(2) Alle öffentlichen Ämter und Organe sind verpflichtet, mit der
Zentralkommission und den Besiedlungsämtern auf Ersuchen mitzuwirken, und
diese bei der Verrichtung ihrer Aufgaben wirkungsvoll zu unterstützen.
§ 6
Dieses Dekret tritt am Tag des Erlasses in Kraft und gilt für das Gebiet des
gesamten Staates; es wird von allen Mitgliedern der Regierung durchgeführt.
"
69
Das Dekret unterzeichneten: Dr. E. Benes (Präsident), Z. Fierlinger
(Regierungsvorsitzender; SD), Stellvertreter des Regierungsvorsitzenden
J. David (NS), K. Gottwald (KS
C), V. Siroký (KSS), Dr. J. Srámek (L) und
J. Ursíny (DS), Gen. L. Svoboda (Minister für Nationalverteidigung),
Dr. H. Ripka (Minister für Au
enhandel; NS), V. Nosek (Innenminister;
KS
C), Dr. V. Srobár (Finanzminister; DS), Dr. Z. Nejedlý (Minister für
Schulwesen und Volkskultur; KS
C), Dr. J. Stránský (Justizminister; NS),
V. Kopecký (Minister für Informationen; KS
C), B. Lausman (Minister für
Industrie; SD), J. uris (Landwirtschaftsminister; KSS), Dr. I. Pietor
(Minister für Innenhandel; DS), Gen. A. Hasal (Verkehrsminister), F. Hála
(Postminister; L), Dr. J. Soltész (Minister für Arbeitsschutz und soziale
Fürsorge; KSS), Dr. A. Procházka (Minister für Gesundheitswesen; L),
69
Jech, 1995, S. 318 f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832457105
ISBN (Paperback)
9783838657103
Dateigröße
1.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Wien – Human- und Sozialwissenschaften, Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Note
1,0
Schlagworte
tschechische printmedien qualitative inhaltsanalyse massenmedien tschechoslowakische geschichte sudetendeutsche
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