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Das Pferd - die Brücke zur Außenwelt

Eine Möglichkeit der Einflussnahme auf Kommunikation und soziale Interaktion autistischer Kinder

©2002 Diplomarbeit 110 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Zu Beginn der Arbeit erhält der Leser einen Einblick in den aktuellen Stand des Wissens auf den Gebieten Autismus und Therapeutisches Reiten.
In Kapitel 2 wird zunächst das Krankheitsbild des Autismus definiert und sein klinisches Bild sowie die soziale Interaktion und Kommunikation autistischer Kinder beschrieben. Weiterhin steht die Frage im Mittelpunkt, warum das Pferd sich zum therapeutisch/pädagogischen Medium eignet und wie die eigentliche heilpädagogische Arbeit mit dem Pferd aussieht. Wie autistische Kinder von einer archaischen Botschaft zu einer ersten Kommunikation in der Therapie mit dem Pferd gelangen, wird am Ende des Kapitels erläutert.
Kapitel 3 präsentiert die methodischen Grundlagen der Arbeit. Nach entwickelten Hypothesen werden die Methoden Fallstudie und teilnehmende Beobachtung im qualitativen Paradigma vorgestellt.
Kapitel 4 stellt die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Analyse dar.
Kapitel 5 stellt die Methoden und Ergebnisse der Arbeit in einen umfassenderen Kontext.

Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.EINLEITUNG5
1.1INTENTION UND ZIELFORMULIERUNG5
1.2AUFBAU UND VORGEHENSWEISE6
2.STAND DES WISSENS7
2.1AUTISMUS7
2.1.1Definition "Autismus"7
2.1.2Klinisches Bild8
2.1.3Störung der sozialen Interaktion und Kommunikation autistischer Kinder9
2.2THERAPEUTISCHES REITEN UND REITTHERAPIE MIT AUTISTISCHEN KINDERN15
2.2.1Warum eignet sich das Pferd zum heilpädagogisch/therapeutischen Medium?15
2.2.2Heilpädagogisches Arbeiten mit Pferden21
2.2.3Von der archaischen Botschaft zu einer ersten Kommunikation in der Therapie mit dem Pferd33
3.METHODEN41
3.1HYPOTHESENBILDUNG42
3.2EINZELFALLSTUDIE44
3.2.1Merkmale der Einzelfallstudie im qualitativen Paradigma45
3.2.2Die Datenerhebung46
3.2.3Die Auswertung47
3.3TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG48
3.3.1Theoriebezug des angewandten Verfahrens48
3.3.2Feldzugang55
3.3.3Beobachterrolle55
3.3.4Datenerfassung und Reflexion56
3.3.5Zeitraum und Umfang des Methodeneinsatzes59
3.3.6Datenanalyse und Darstellung der Ergebnisse59
4.ERGEBNISSE60
4.1REITTHERAPIE AM BEISPIEL "LES VINOTS"60
4.2ERGEBNISDARSTELLUNG DER QUALITATIVEN ANALYSE61
4.3ERGEBNISDARSTELLUNG DER QUANTITATIVEN ANALYSE70
4.3.1Kommunikation und soziale Interaktion in den drei Teilgruppen71
4.3.2Kommunikation und soziale Interaktion in den Gruppen "K4" und "GG minus K4"76
5.DISKUSSION UND AUSBLICK81
5.1METHODENDISKUSSION81
5.2ERGEBNISDISKUSSION: QUALITATIVE […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5704
Vonderstraß, Natascha: Das Pferd - die Brücke zur Außenwelt: Eine Möglichkeit der
Einflussnahme auf Kommunikation und soziale Interaktion autistischer Kinder / Natascha
Vonderstraß - Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Freiburg, Fachhochschule, Diplomarbeit, 2002
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http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

,,Worte sind Gefäße, die wir mit Erlebnissen füllen,
doch diese quellen über das Gefäß hinaus. Worte weisen
auf Erleben hin, sie sind nicht mit diesem identisch. In dem
Augenblick, in dem ich ein Erleben vollständig in Gedanken und
Worte umsetze, verflüchtigt es sich; es verdorrt, ist tot, wird zum
bloßen Gedanken. Daher ist Sein nicht mit Worten beschreibbar
und nur durch gemeinsames Erleben kommunikabel."
Erich Fromm, Haben und Sein

3
Laurent Bailly,
für den seine Arbeit mehr ist als nur ein Beruf.

4
INHALTSVERZEICHNIS
1
EINLEITUNG 5
1.1
I
NTENTION UND
Z
IELFORMULIERUNG
5
1.2
A
UFBAU UND
V
ORGEHENSWEISE
6
2
STAND DES WISSENS 7
2.1
A
UTISMUS
7
2.1.1
Definition ,Autismus` 7
2.1.2
Klinisches Bild 8
2.1.3
Störung der sozialen Interaktion und Kommunikation autistischer Kinder 9
2.2
T
HERAPEUTISCHES
R
EITEN UND
R
EITTHERAPIE MIT AUTISTISCHEN
K
INDERN
15
2.2.1
Warum eignet sich das Pferd zum heilpädagogisch /therapeutischen Medium? 15
2.2.2
Heilpädagogisches Arbeiten mit Pferden 21
2.2.3
Von der archaischen Botschaft zu einer ersten Kommunikation in der
Therapie mit dem Pferd 33
3
METHODEN 41
3.1
H
YPOTHESENBILDUNG
42
3.2
E
INZELFALLSTUDIE
44
3.2.1
Merkmale der Einzelfallstudie im qualitativen Paradigma 45
3.2.2
Die Datenerhebung 46
3.2.3
Die Auswertung 47
3.3
T
EILNEHMENDE
B
EOBACHTUNG
48
3.3.1
Theoriebezug des angewandten Verfahrens 48
3.3.2
Feldzugang 55
3.3.3
Beobachterrolle 55
3.3.4
Datenerfassung und Reflexion 56
3.3.5
Zeitraum und Umfang des Methodeneinsatzes 59
3.3.6
Datenanalyse und Darstellung der Ergebnisse 59
4
ERGEBNISSE 60
4.1
R
EITTHERAPIE AM
B
EISPIEL
,L
ES
V
INOTS
` 60
4.2
E
RGEBNISDARSTELLUNG DER QUALITATIVEN
A
NALYSE
61
4.3
E
RGEBNISDARSTELLUNG DER QUANTITATIVEN
A
NALYSE
70
4.3.1
Kommunikation und soziale Interaktion in den drei Teilgruppen 71
4.3.2
Kommunikation und soziale Interaktion in den Gruppen ,K4` und ,GG minus K4` 76
5
DISKUSSION UND AUSBLICK 81
5.1
M
ETHODENDISKUSSION
81
5.2
E
RGEBNISDISKUSSION
:
QUALITATIVE
A
NALYSE
83
5.3
E
RGEBNISDISKUSSION
:
QUANTITATIVE
A
NALYSE
87
5.4
A
USBLICK
88
6
LITERATURVERZEICHNIS 90
7
ANHANG 94
8
ERKLÄRUNG 109

5
1 E
INLEITUNG
1.1 Intention und Zielformulierung
Autismus ist eine Kontaktstörung, die dazu führt, dass sich der Betroffene in die
eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt zurückzieht und somit von seiner Umwelt
isoliert. Der Begriff ist erst seit Kurzem ­ genauer seit 1911 ­ in der Psychiatrie
bekannt und beschäftigt seither eine Vielzahl von Medizinern und Psychologen.
Das wichtigste Ziel der therapeutisch pädagogischen Arbeit mit Autisten ist es,
eine Beziehung zu dem Kranken aufzubauen (B
UNDESVERBAND
,,H
ILFE
F
ÜR
D
AS
A
UTISTISCHE
K
IND
", 1994). Eine Beziehung kann jedoch nur dann aufgebaut
werden, wenn es gelingt, mit dem Autisten in Kontakt zu treten ­ mit ihm zu
kommunizieren und zu interagieren.
Um eine Verbindung zu Autisten herstellen zu können, wird unter anderem das
Medium Pferd eingesetzt, da es mit seinem umfassenden
Kommunikationsrepertoire und seinen beziehungsfördernden Verhaltensweisen
für eine Kontaktanbahnung besonders geeignet erscheint.
Nun ist der reittherapeutische Ansatz bei Autisten eine vergleichsweise neue
Methode und Literatur demzufolge rar. Hier neue Erkenntnisse zu erlangen, ist
das Ziel vorliegender Arbeit. Untersucht wird, ob das Medium Pferd einen Einfluss
auf Kommunikation und soziale Interaktion autistischer Kinder hat und somit ein
Beziehungsaufbau möglich wird.
Die Zusammenarbeit mit einem auf diesem Gebiet spezialisierten Reitpädagogen
in Frankreich ermöglichte es, die Fragestellung mittels teilnehmender
Beobachtung zu untersuchen. Die Zielgruppe bestand aus autistischen Kindern
und jungen Erwachsenen im Alter von 10 bis 20 Jahren.

6
1.2 Aufbau und Vorgehensweise
Zu Beginn der Arbeit erhält der Leser einen Einblick in den aktuellen Stand des
Wissens auf den Gebieten Autismus und Therapeutisches Reiten.
In Kapitel 2 wird zunächst das Krankheitsbild des Autismus definiert und sein
klinisches Bild sowie die soziale Interaktion und Kommunikation autistischer
Kinder beschrieben. Weiterhin steht die Frage im Mittelpunkt, warum das Pferd
sich zum therapeutisch/pädagogischen Medium eignet und wie die eigentliche
heilpädagogische Arbeit mit dem Pferd aussieht. Wie autistische Kinder von einer
archaischen Botschaft zu einer ersten Kommunikation in der Therapie mit dem
Pferd gelangen, wird am Ende des Kapitels erläutert.
Kapitel 3 präsentiert die methodischen Grundlagen der Arbeit. Nach entwickelten
Hypothesen werden die Methoden ,Einzelfallstudie` und ,Teilnehmende
Beobachtung` im qualitativen Paradigma vorgestellt.
Kapitel 4 stellt die Ergebnisse der qualitativen und quantitativen Analyse dar.
Kapitel 5 stellt die Methoden und Ergebnisse der Arbeit in einen umfassenderen
Kontext.

7
2 S
TAND DES
W
ISSENS
2.1 Autismus
Im Folgenden wird der Begriff der , autistischen Störung` definiert und das klinische
Bild beschrieben. Weitere Ausführungen konzentrieren sich auf die soziale
Interaktion und Kommunikation autistischer Kinder.
2.1.1 Definition , Autismus`
Etymologisch leitet sich der Begriff Autismus aus dem Griechischen ab und
bedeutet ,,für sich". In dem im deutschen Sprachraum bedeutendsten klinischen
Wörterbuch Pschyrembel heißt es kurz: ,,Kontaktstörung mit Rückzug auf die
eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt und Isolation von der Umwelt". Die
Definitionen des Autismus sind so zahlreich und unterschiedlich wie seine
klinischen Erscheinungsformen und die damit assoziierten Erkrankungen, wie z.B.
,,Schizophrenie, Neurose oder Psychopathie" (P
SCHYREMBEL
- K
LINISCHES
W
ÖRTERBUCH
, 1994).
Emil Bleuler führte den Begriff Autismus 1911 in die Psychiatrie ein. Weitere frühe
Publikationen zu dieser Störung stammen von dem amerikanischen
Kinderpsychiater Leo Kanner (1943) und dem Wiener Kinderarzt Hans Asperger
(1944). Kanner bezeichnet die von ihm beobachtete Störung als early infantile
autism, Asperger nannte das Erscheinungsbild autistische Psychopathie
(D
ZIKOWSKI
, 1993). Die I
CD
- 10 spricht unter F84.0 von Autistischen
Entwicklungsstörungen, grenzt jedoch auch weiter das Asperger Syndrom ab (T
HE
I
CD
- 10, 1992).

8
,,Nach dem DSM IV (Diagnostic And Statistical Manual Of Mental Disorders) kann
von Autismus im engeren Sinne gesprochen werden, wenn die folgenden Kriterien
erfüllt sind:
-
Manifestation der Symptome vor dem 3. Lebensjahr,
-
Messbare Beeinträchtigung im Bereich der sozialen Interaktion,
-
Messbare Beeinträchtigung im Bereich der Kommunikation,
-
Restriktive, repetitive und stereotype Verhaltensweisen.
Das Fehlen einer international anerkannten Definition geht einher mit den
Schwierigkeiten bei der Diagnosenstellung. Bei vielen Kindern wird daher die
Diagnose erst nach Jahren gestellt" (W
EBER
, 1997).
Im weiteren Verlauf wird von der , autistischen Entwicklungsstörung` , bzw. von
, Autismus` gesprochen.
2.1.2 Klinisches Bild
Die autistischen Entwicklungsstörungen sind gekennzeichnet durch das Auftreten
von Verhaltensweisen, die auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung der
Verknüpfung von Wahrnehmungen schließen lassen. Die
Wahrnehmungsdisjunktion macht sich bereits in den frühen Entwicklungsschritten
des Säuglings bemerkbar. Die bekannten autistischen Verhaltensweisen reichen
von einer mangelhaften Beziehung zum Ich und Nicht - Ich bis hin zu völliger
Beziehungslosigkeit zu anderen Personen. Dies äußert sich in einem fehlenden
Blickkontakt, Rückzug bei Kontaktangeboten und scheinbarer Missachtung von
Rückmeldungen auf das eigene Verhalten. Autistische Kinder bevorzugen die
Nahsinne (Riechen, Tasten, Schmecken und Mundkontakt) und Sinnesreize im
akustischen und visuellen Bereich werden zumeist nicht beachtet. Die
mangelhafte Beziehung zum eigenen Körper führt häufig zu ausgeprägtem
autoaggressiven Verhalten. Eine Fixierung auf gewohnte Umgebungsbedingungen
führt zum Teil zu heftigen Panikreaktionen bei kleinen Änderungen. Weitere
kennzeichnende autistische Verhaltensweisen zeigen sich in verschiedenen
Handlungsmustern bzw. Handlungsabläufen, die sich situationsunabhängig in

9
Form von Zeremonien oder Ritualen wiederholen. Stereotype, wirklichkeitsfremde
Bewegungsmuster sind fast pathogmonisch für autistische
Entwicklungsstörungen. Daneben treten aber auch immer wieder bizarre
motorische Betätigungen und unkontrollierte Impulshandlungen auf. Bei einigen
Kindern kommt es zur Entwicklung von zum Teil perfekt anmutenden Fertigkeiten,
die sich jedoch völlig isoliert und beziehungslos, vor allem auch ohne Relevanz für
die Bewältigung des alltäglichen Lebens, entwickeln. Die Sprachentwicklung bei
autistischen Kindern verläuft stark verzögert. Bei einigen Kindern bleibt eine echte
Sprachentwicklung völlig aus. Die sozial - kognitiven und kognitiv - linguistischen
Störungen autistischer Kinder führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung des
Sprachverständnisses. Sowohl auf nonverbaler als auch auf verbaler Ebene ist die
Fähigkeit zur Integration von Selbst - Fremd - Objekt bzw. Sender - Empfänger
Nachrichteninhalt bestenfalls gering ausgeprägt. Somit können linguistische
Kenntnisse nicht mit der Realität in Verbindung gebracht werden (W
EBER
, 1997).
2.1.3 Störung der sozialen Interaktion und Kommunikation
autistischer Kinder
, Soziale Interaktion` bezieht sich in vorliegender Arbeit auf Verhaltensweisen, mit
denen die Aufmerksamkeit, die Nähe und der Kontakt zu einem Gegenüber
erreicht und aufrechterhalten werden kann, bzw. auf welche das Kind reagiert,
sowohl nonverbal als auch verbal (über Hören, Riechen, Schmecken, Tasten,
Greifen, Schauen, Sprechen) (K
OCH
- K
NEIDL
et al., 2000; K
USCH
et al., 1991).
Hingegen wird unter , Kommunikation` jegliche Form der nonverbalen und verbalen
Äußerung des Kindes verstanden (Schreien, Vokalisieren, Körpersprache,
Blickverhalten, Ausdruck von Emotionen, Sprechen), die nicht zwangsläufig
absichtsvoll an ein Gegenüber gerichtet wird (S
PITZ
, 1970).
2.1.3.1 Soziale Interaktion autistischer Kinder
Nach K
USCH
et al. (1991) liegt die Grundlage der sozialen Defizite autistischer
Kinder in der mangelnden Fähigkeit, soziale Beziehungen zu bilden und aufrecht
zu erhalten. Bislang liegen nur wenige Untersuchungen zur frühen sozialen

10
Interaktion autistischer Kinder vor. Jedoch stellt C
ORDES
fest, dass in der
Interaktion autistischer Kinder mit ihren Eltern ein eindeutiges soziales Rückzugs-
und Abwehrverhalten zu verzeichnen ist, einhergehend mit einem
eingeschränkten Repertoire kommunikativer Fähigkeiten und fehlenden
Initiationen sozialer Interaktionen. ,,Der Einsatz und das Verständnis von Gefühlen,
das Teilen von Erfahrungen, der Blickkontakt und die Fähigkeit, andere
nachzuahmen, sind besonders beeinträchtigt und qualitativ verändert" (C
ORDES
,
1995).
F
ORGAS
(1994) stellt fest, dass erfolgreiche soziale Interaktion ohne die Fähigkeit,
nonverbale Botschaften zu senden und zu empfangen, nicht möglich ist.
2.1.3.2 Kommunikation autistischer Kinder
Nonverbale Kommunikation
Im Folgenden wird näher auf die nonverbale Kommunikationsfähigkeit autistischer
Kinder eingegangen. Das Augenmerk liegt hierbei auf den Bereichen:
Sinneswahrnehmung, Körperkontakt, Emotionen und Imitationsfähigkeit.
a) Probleme bei der visuellen Wahrnehmung
,,Während Forscher früher fehlenden Blickkontakt und aktives Vermeiden des
Blickkontaktes vermuteten, ist neueren Untersuchungen zufolge vor allem die
Qualität des Blickkontaktes bei autistischen Kindern anders als bei normal
entwickelten Kindern, da Blickkontakt in anderen situativen Kontexten auftritt,
zeitlich nicht auf den Partner abgestimmt ist und oft nicht mit anderen
kommunikativen Signalen verbunden wird" (C
ORDES
, 1995).
Laut W
ING
(1973) ,,...besteht eine charakteristische Schwierigkeit, gesehene Dinge
wirklich zu erfassen. Die Fähigkeit zur Figur ­ Grund - Differenzierung entwickelt
sich meist nur langsam". Manche Kinder erkennen bewegte Gegenstände leichter
als Ruhende. Aus diesem Grund untersuchen sie einen Gegenstand, indem sie
ihn vor ihren Augen auf und ab bewegen, oder sie bewegen ihren Kopf hin und
her. Aufgrund der Schwierigkeiten, visuelle Reize sinnvoll zu verarbeiten,
vermeiden autistische Kinder komplexe visuelle Strukturen teilweise ganz. Auf der
anderen Seite stellen bestimmte visuelle Reize eine besondere Anziehung für die

11
Kinder dar. So können z.B. Farben und Lichtreflexe die Kinder in eine
offensichtliche Begeisterung versetzen.
Bedeutsame Defizite liegen in hinweisenden Verhaltensweisen vor. Während
normale Kinder bei der Exploration von Gegenständen ihre Eltern mit einbeziehen,
indem sie ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Objekt und den Eltern hin und her
wechseln lassen, lenken autistische Kinder ihre Aufmerksamkeit eher auf den
Gegenstand. Auch fällt es ihnen schwerer als normalen Kindern, auf die Objekte
zu schauen, auf welche der Interaktionspartner zeigt (K
USCH
et al., 1991).
Man schließt daraus, dass Blickkontakt zwar nicht aktiv vermieden, ihm aber
weniger kommunikative Bedeutung beigemessen wird. ,,Autistische Kinder nutzen
demnach das Blickverhalten des Sozialpartners nicht als Information über
Wünsche, Pläne und Gedanken dieser" (C
ORDES
, 1995).
b) Andere Sinnesbereiche
Häufig wird eine Unempfindlichkeit gegenüber Schmerz oder Kälte beschrieben.
Dies ist um so erstaunlicher, als autistische Kinder ihrer Außenwelt kaum
Aufmerksamkeit schenken, sondern ihr ganzes Augenmerk auf sich selbst
gerichtet zu sein scheint. Es wäre deshalb logisch, wenn sie auf alles, was von
innen kommt, also auch auf ihren Schmerz, empfindlicher reagieren würden als
andere Menschen. Doch das Gegenteil trifft zu. B
ETTELHEIM
(1983) geht in seinen
Untersuchungen davon aus, dass sich bei autistischen Kindern alles auf das
Abwehrsystem konzentriert, folglich alle Reize, gleich ob sie von innen oder von
außen kommen, ausgeschaltet werden. Ein weiteres Paradoxon besteht nach
B
ETTELHEIM
darin, dass die Kinder zwar keinen Schmerz zu fühlen scheinen, ihre
Angst vor dem Schmerz jedoch teilweise übermenschliche Kräfte in ihnen
freisetzt.
Des Weiteren können autistische Kinder teilweise Berührungsreize nicht
lokalisieren, zeigen ungewöhnliche Geschmacksvorlieben oder haben an
bestimmten Gerüchen ein starkes Interesse. Wasser und Sand üben häufig eine
große Anziehungskraft auf die Kinder aus. Ebenso mögen sie Aktivitäten, bei
denen sie gekitzelt oder geschaukelt werden (W
ING
, 1973).

12
c) Distanzverhalten und veränderte Reaktion auf Körperkontakt
Unter Distanzverhalten versteht B
ORMANN
- K
ISCHKEL
(1990) das
Rückzugsverhalten autistischer Kinder gemessen an der physischen Distanz zum
Erwachsenen. Er kommt zu dem Schluss, ,,...daß autistische Kinder keineswegs
eine größere Distanz zu Erwachsenen einhalten als andere Kinder". Ihre positive
Reaktion auf die Anwesenheit der Erwachsenen nimmt in dem Maße zu, wie der
Erwachsene Zuwendung und Kontaktbereitschaft vermittelt.
,,Daß autistische Kinder schon von früh an Körperkontakt ablehnen, läßt sich durch
empirische Befunde nicht belegen" (Howlin, 1986 In: C
ORDES
, 1995).
d) Andersartiger Ausdruck von Emotionen
Wesentlicher Ausdrucksträger nonverbaler Botschaften sind neben der Stimme,
die Mimik, die Körperhaltung und die Gestik eines Menschen. Unabhängig von
ihrer Intelligenz zeigen autistische Kinder ihre Gefühle anders als normal
entwickelte oder geistig behinderte Kinder. Zwar bedienen sie sich in der
Interaktion instrumenteller Gesten (z.B. jemanden herwinken), doch können sie
ihren Gefühlen nicht durch expressive Gesten (wie Umarmen, Küssen) Ausdruck
verleihen (B
ORMANN
- K
ISCHKEL
, 1990). ,,Während emotionale Lautäußerung
normaler und geistiger behinderter Kinder auch für Fremde erkennbar und für die
jeweilige Emotion spezifisch sind, sind die Vokalisationen autistischer Kinder
idiosynkratisch, d.h. die Kinder haben keine konventionalisierte Form der
emotionalen Lautäußerung gelernt" (C
ORDES
, 1995). Obwohl autistische Kinder
Affekte zeigen, ist ihren mimischen, lautlichen und gestischen Affektäußerungen
häufig keine eindeutige kommunikative Information zu entnehmen. Weder aus der
Situation noch aus den relativ undeutlichen oder idiosynkratischen Signalen an
sich, kann entnommen werden, wie sich das Kind fühlt und was es möchte.
Lediglich Personen, welche die Kinder gut kennen, ist dies möglich. Zudem wird
der Ausdruck eines Gefühls nur selten oder nie in kommunikativer Absicht
eingesetzt. Hieraus nun den Schluss zu ziehen, autistische Kinder besäßen keine
emotionalen Empfindungen, wäre falsch.

13
e) Schwierigkeiten im Erkennen von Emotionen
Emotionen anderer wahrzunehmen und ihnen eine Bedeutung beizumessen, kann
als eine der ersten Formen interpersonaler Wahrnehmung des Neugeborenen
betrachtet werden. Schon Babys können verschiedene emotionale
Gesichtsausdrücke bei ihren Betreuern differenzieren.
Autistische Kinder sind zwar in der Lage, expressive Gesten und emotionale
Lautäußerungen zu erkennen, jedoch fällt es ihnen schwer, diese den
spezifischen Situationen zuzuordnen. Den emotionalen Gesichtsausdruck anderer
nutzen sie nur eingeschränkt. ,,Auffällig sind die Schwierigkeiten autistischer
Kinder, die verschiedenen Modalitäten emotionaler Äußerungen zu
integrieren und aus ihnen auf Emotionen zu schließen!" (C
ORDES
, 1995). Auch
erkennen sie zumeist nicht die Auslöser eines Gefühlszustandes anderer
Personen, verstehen also den Grund für deren Gefühle nicht.
f) Mangelnde Imitationsfähigkeit
Normal entwickelte Kinder können bereits im Alter von acht Monaten einfache
Gesten, mit zehn Monaten komplexe, aber vertraute Gesten und mit 18 Monaten
sogar unbekannte und nicht an sich beobachtbare Gesten imitieren. Die
Lautimitation beginnt mit vier Monaten, neue Worte sprechen sie mit 15 Monaten
nach. Autistische Kinder entwickeln diese Fähigkeiten später oder gar nicht.
Verbale Kommunikation
In der Regel lernt das Kind in den ersten beiden Lebensjahren schrittweise
kommunikative Signale absichtsvoll einzusetzen. Hierbei durchläuft es mehrere
Entwicklungsstufen der ,,.. präverbalen Kommunikation. In der gelungenen, nicht
von sprachlichen Inhalten abhängigen face ­ to - face Interaktion lernt das Kind
zunehmend verbal (durch Sprache) und nonverbal (durch Gestik und Mimik)
intentional zu kommunizieren" (C
ORDES
, 1995). Sozial zu interagieren, also
Kontakt aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, erfordert vom Kind den
zunehmenden intentionalen Einsatz zunächst nonverbaler Verhaltensweisen. Die
Kombination von Blickkontakt mit Lächeln, Lautäußerungen oder auch der Einsatz
von interaktiven Gesten (z.B. die Arme nach der Mutter ausstrecken) dienen dabei
der Aufrechterhaltung und Steuerung der Interaktion.

14
Sprachentwicklung ist ein Prozess, der bereits kurz nach der Geburt beginnt, in
der vorsprachlichen Kommunikation angebahnt wird und ausschließlich im
sozialen Kontext erworben werden kann. Wenn man nun davon absieht, dass 40%
der autistischen Kinder mutistisch sind, so zeigt auch ein Großteil der restlichen
60% Sprachabnormalitäten. Autistische Kinder scheinen die Sprache nicht für
Zwecke des zwischenmenschlichen Informationsaustausches zu nutzen. Diese
Unfähigkeit zeigt sich entsprechend an den Mängeln in den sozial - emotionalen
Beziehungen und im mangelnden Einsatz des vorhandenen Wortschatzes für die
zwischenmenschliche Kommunikation. Auf Äußerungen anderer wird kaum Bezug
genommen, d.h. autistischen Kindern fällt es schwer, zwischen der Hörer- und
Sprecherrolle hin und her zu wechseln. Der sprachliche Ausdruck ist hierdurch
unflexibel und zeigt sich in einem relativen Mangel an Kreativität und Phantasie im
Denken. Hinzu kommen Störungen in der Intonation, in der sprachlichen
Modulation und anderen Lautaspekten wie Stimmlage und Tonhöhe. Diesen
Problembereich kann man am ehesten als ,,mangelnde soziale Kommunikation"
bezeichnen (K
USCH
et al., 1991).

15
2.2 Therapeutisches Reiten und Reittherapie
mit autistischen Kindern
Bereits im Jahre 1969 wurden in Deutschland erste Arbeiten über den
persönlichkeitsbeeinflussenden Wert der Einbeziehung des Pferdes in die
Erziehung von lern- und verhaltensauffälligen Kindern veröffentlicht (K
RÖGER
,
1997).
Warum gerade das Pferd als therapeutisches Medium geeignet erscheint, wie eine
heilpädagogische Arbeit mit Pferden aussehen kann und welche besonderen
Erwartungen an die Reittherapie im Hinblick auf das Krankheitsbild des Autismus
gestellt werden, wird im Folgenden erörtert.
2.2.1 Warum eignet sich das Pferd zum heilpädagogisch
/therapeutischen Medium?
Das Pferd übt auf den Menschen seit jeher eine starke Anziehungskraft aus, da
wir es mit Eigenschaften in Verbindung bringen, die uns faszinieren: Kraft,
Schnelligkeit, Stolz und Ausdauer. Es verkörpert Freiheit und Abenteuer und stellt
ein Bindeglied zur Natur dar. Eine der wichtigsten Voraussetzungen, warum das
Pferd gerade bei autistischen Kindern ein ideales Medium darstellt, ist die
Tatsache, dass das Pferd seine Welt, soziale wie auch äußere, in verschiedenen
Räumen organisiert. Der für die Reittherapie am wichtigsten ist der sog. ,,éspace
dynamic virtuel" (B
ARREY
, 2000). Dieser , virtuelle Schutzraum des Pferdes`
(Übersetzung der Verf.) entspricht dem Bereich, in dem das Pferd sich mit seinen
Möglichkeiten (Schlagen, Beißen) gegen Eindringlinge verteidigen kann. Dieser
Raum, der sich je nach äußeren und inneren Umständen (z.B. unbekanntes
Terrain, Rosse bei Stuten) ausdehnen, verringern oder verschieben kann, wird
von allen Herdenmitgliedern sehr sensibel wahrgenommen und akzeptiert.
Bewegen sich Pferde im Herdenverband, so gehen sie entlang der Grenzen
dieses , éspace dynamic virtuel` . Ein Betreten ist nur durch ein Ritual möglich.
Mittels naso - nasalem Kontakt begegnen sich zwei Pferde, nehmen ihren

16
gegenseitigen Geruch auf und entscheiden dann, ob der Kontakt friedlich
fortgesetzt wird, es zu einer Auseinandersetzung kommt oder ob sich einer der
Partner zurückzieht.
Abb. 1: Naso - nasale - Kontaktaufnahme bei Pferden
Autistische Kinder haben kein Gefühl ihrer eigenen Grenzen. Sie können sich
gegenüber ihrer Umwelt nicht abgrenzen und reagieren daher sehr empfindsam
auf alles, was auf sie einströmt. Erhebt z.B. ein Erzieher die Stimme gegen ein
Kind, das sich in einer Gruppe anderer autistischer Kinder befindet, so fühlen sich
alle Kinder angesprochen und reagieren darauf. Das Pferd mit seinem eigenen
Schutzraum respektiert auch die Räume des anderen, auch die des Menschen,
und dringt deshalb nicht unvermittelt in den persönlichen Raum des autistischen
Kindes ein. Dies lässt das Pferd als Medium in der Therapie mit autistischen
Kindern geeigneter erscheinen als andere Tiere. Ein Hund z.B. springt spontan auf
den Menschen zu. Auch der Mensch hat nicht dieses feine Gespür für die
Grenzen seines Gegenübers. Die Ausbildung des Pferdes zum Therapiepferd
macht es gleichzeitig möglich, dass Kinder ohne Ritual in den Raum des Pferdes
eindringen können, ohne eine Abwehrreaktion beim Pferd hervorzurufen.
Warum das Pferd sich außerdem zum heilpädagogisch/therapeutischen Medium
eignet, zeigen die folgenden Kapitel. Es soll deutlich werden, dass das Pferd
neben seinen physischen Voraussetzungen vor allem aufgrund seines Wesens als
sozial lebendes Tier, seines umfassenden Kommunikationsrepertoires und seiner

17
beziehungsfördernden Verhaltensweisen eine Bereicherung im Therapeut ­ Kind
­ Gefüge darstellt. Sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen, die aus der
Eignung des Pferdes erwachsen, werden im weiteren Verlauf aufgezeigt.
2.2.1.1 Das Wesen des Pferdes in Bezug auf seine Eigenschaft als
heilpädagogisch/therapeutisches Medium
Die Tatsache, dass Pferde von ihrem innersten Wesen her seinen Gefährten - und
dies schließt den Menschen ein ­ freundlich und kooperativ gesonnen sind, bildet
die Grundlage für den Einsatz des Mediums Pferd in der Therapie.
Pferde verfügen über Gebaren, die denen des sozial lebenden Menschen sehr
nahe kommen und vertraut sind. Als Herdentier ist sein Verhalten geprägt vom
Bedürfnis nach sozialen Kontakten und der Bereitschaft anderen nachzufolgen.
Das Pferd ist auf eine klare Rangordnung angewiesen, welche den einzelnen
Herdenmitgliedern Sicherheit vermittelt. Soziale Kontakte innerhalb der Herde sind
geprägt durch Sympathien und Antipathien, Familienbande, Freundschaften und
Partnerschaften. Sie spielen im Sozialverhalten der Tiere untereinander eine
wesentliche Rolle. Dieses sehr differenzierte Sozialverhalten ermöglicht es dem
Pferd, Kontakte aufzunehmen und Beziehungen einzugehen, Zuneigung und
Ablehnung anderen Herdenmitgliedern gegenüber zu äußern, sowie eine
Individualinstanz aufzubauen und gegenüber anderen einzuhalten.
Als Herdentier ordnet es sich dem Menschen bereitwillig unter, ohne sich jedoch,
bedingungslos wie z.B. ein Hund, zu unterwerfen. Das Pferd behält immer einen
Großteil seiner Eigenständigkeit und seine ,U nterordnung' ist eher freiwilliger Art.
Pferde sind dem Menschen gegenüber eher zurückhaltend. Um eine Beziehung
zu ihm aufzubauen, ist es daher für den Menschen unumgänglich, sich aktiv in das
Wesen des Pferdes einzufühlen, zu beobachten und auf das Pferd einzugehen.
Da sie in ihrem Verhalten weitgehend konstant und eindeutig sind, sie unmittelbar
und ohne sich zu verstellen reagieren und ihr Verhalten folgerichtig ist, können
Pferde im therapeutischen Kontext als Korrektiv eingesetzt werden. Sie kennen
keine menschlichen Züge wie Beleidigtsein, Nachtragen und Rache und fordern
so vom Menschen eine sachbezogene Selbstkontrolle (V
OSSBERG
, 1998).

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Einen weiteren großen Vorteil bieten die zahlreichen Charaktere und
Temperamente der Pferde. Bei der Auswahl des im Einzelfall geeigneten Tieres
kann somit im Idealfall ein dem Kind entsprechendes ausgewählt werden, bzw.
das Kind selbst kann sich seinen Partner aussuchen, wodurch der Therapeut
wiederum Rückschlüsse auf die Verfassung/den Stand des Kindes ziehen kann.
2.2.1.2 Beziehungsfördernde Aspekte und Verhaltensweisen des Pferdes
Anmerkung: Die folgenden Ausführungen beziehen sich weitestgehend auf die von
V
OSSBERG
(1998) getroffenen Aussagen zur Anbahnung und Gestaltung positiver
Beziehungen mit Kleinpferden sowie auf M
ORRIS
(1989).
Allein durch sein Aussehen, seine Größe, sein Wesen und seine ästhetische
Schönheit besitzt das Pferd einen hohen Aufforderungscharakter, der es für viele
Menschen interessant macht, eine Beziehung mit dem Pferd anzustreben und aus
dieser Beziehung heraus Befriedigung, Wohlgefühl, ein , Sich-angenommen-fühlen`
mit all den eigenen Unzulänglichkeiten, Stärken und Schwächen ableiten zu
können. Die für den Menschen sehr wichtigen und elementaren Beziehungsinhalte
wie das Bedürfnis nach Wärme, Haut- und Körperkontakt können vom Pferd zum
einen durch seine äußere Erscheinung, sprich durch sein Fell und seine
Körperwärme und zum anderen durch seine sozialen Verhaltensweisen in
hervorragender Weise befriedigt werden. Dem Menschen ist es möglich, eine sehr
enge, körpernahe und emotionale Beziehung mit dem Pferd einzugehen.
Da menschliche Verhaltensweisen wie Wut, Aggression und Rache dem Pferd von
seinem Wesen her fremd sind, kann sich der Mensch in seiner Beziehung zum
Pferd auf eine offene, wert- und vorurteilsfreie, , echte` Beziehung verlassen. Im
Gegensatz zum Menschen kann das Pferd seine Gefühle nicht durch
selbständiges Denken hinterfragen und gegebenenfalls verfälschen. Dadurch tritt
das Pferd dem Menschen auf der Beziehungsebene eindeutig und ehrlich
gegenüber.
Das Pferd ist ein eigenständiges Wesen. Es kann dem mit ihm in Beziehung
tretenden Menschen offen und zugewandt begegnen, schnuppern und ihn
beknabbern, es kann jedoch auch mit Scheu und Abwehr reagieren, je nach
vorherrschender Sympathie oder Antipathie. Durch seine ausgeprägte

19
Individualität stellt das Pferd für den Menschen einen ernst zu nehmenden Partner
dar. Diese wertfreie Beziehungsfähigkeit des Pferdes bildet eine wichtige
Grundvoraussetzung für seinen Einsatz als pädagogisch/therapeutisches Medium.
Das Pferd wird als neutraler Partner erlebt, bei dem es keine Ungerechtigkeiten
gibt. Diese Klarheit und Echtheit wird zumeist als angenehm erlebt. Die aus einer
gelungenen Beziehung zum Pferd gewonnen positiven Erfahrungen können später
auf den zwischenmenschlichen Bereich übertragen werden.
Sein momentanes emotionales Befinden drückt das Pferd durch seine Mimik,
Körperhaltung und Körpersprache aus. Sie kann mit etwas Übung klar vom
Beobachter abgelesen werden. Wie bereits beschrieben besitzt das Pferd einen
persönlichen Raum dicht um seinen Körper. Unerlaubtes oder zu schnelles
Eindringen in diesen, quittiert das Pferd mit Abwehr und Rückzug. Gute Freunde
hingegen werden mit einer zugewandten Verhaltensweise empfangen.
Bezogen auf das heilpädagogische Reiten können Kinder, die ein mangelndes
Selbstwertgefühl haben und ängstlich sind, eine Steigerung ihres Selbstvertrauens
allein schon dadurch erfahren, dass ein so großes Tier sich ihnen zuwendet und
sie es mit einiger Übung auch selbständig leiten können. Im Gegensatz dazu
werden Kinder mit einem übersteigerten Selbstwertgefühl durch das Reiten in
einer höheren Gangart schnell und direkt an ihre Grenzen geführt.
Im Umgang mit dem Pferd und bei dessen Versorgung zeigt das Tier, was ihm
angenehm ist und was nicht. Um einen befriedigenden Umgang mit dem Pferd zu
erfahren, muss sich das Kind in die Bedürfnisse und die Verfassung des Tieres
einfühlen und denken. Direktive Verhaltenskorrekturen für den Umgang mit ihm
sind nur in geringem Maße notwendig, da die Korrektur vom Pferd selbst kommt
und so auch leichter angenommen wird. Der Therapeut/Pädagoge hilft dem Kind
lediglich bei der Übersetzung und Interpretation der gezeigten Verhaltensweisen,
er fungiert quasi als Vermittler zwischen Kind und Pferd. Durch diesen
Selbsterfahrungsprozess werden Korrekturen dem Kind einsichtiger und es fällt
ihm leichter, diese anzunehmen und in Verhaltensänderungen umzusetzen.

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2.2.1.3 Die Kommunikation des Pferdes in Bezug auf seine Eigenschaft als
heilpädagogisch/therapeutisches Medium
Pferde besitzen im Gegensatz zum Menschen ein Kommunikationssystem,
welches in erster Linie auf die optische Wahrnehmung (z.B. Maulbewegungen,
Ohrenspiel, Halshaltung, Schweif- und Beinbewegung), auf den Gehör- und
Geruchssinn, sowie auf den Tast- und Berührungssinn (gegenseitiges Beknabbern
und Fellpflege, etc.) ausgerichtet ist. Die wichtigste und am besten ausgebildete
Kommunikationsform des Menschen ist dagegen die verbale Kommunikation.
Demnach verfügen Pferde über ein umfassenderes und komplizierteres
Kommunikationsrepertoire, in dem die eigentliche Sprache des Menschen eine
untergeordnete Rolle spielt. Einzig die Art wie, d.h. in welcher Tonlage der Mensch
kommuniziert, ist für das Pferd von Bedeutung. Ebenso nimmt das Tier in erster
Linie die Körperhaltung und Körpersprache, so wie den Geruch des Menschen
wahr und reagiert entsprechend. Das Wissen um diese nicht vornehmlich auf die
Sprache beschränkte Kommunikationsform des Pferdes, stellt eine wichtige
Voraussetzung dar, um die Beziehung zwischen Mensch und Pferd verstehen zu
können.
Im heilpädagogisch/therapeutischen Reiten hat man es oft mit Kindern zu tun, die
in ihrer Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren und interagieren,
eingeschränkt sind, so auch autistische Kinder. Die Kontaktaufnahme zwischen
Therapeut und Kind, wie auch der Beziehungsaufbau generell, wird hierdurch
erschwert. In dieser Situation, in der sich der andere in seine Welt zurückzieht und
einen Austausch mit seiner Umwelt verweigert, muss der Therapeut zunächst eine
Möglichkeit finden, mit dem autistischen Kind eine gemeinsame Erfahrung zu
machen. Das Pferd mit seinem Naturell, seinem Verhalten und seiner Art zu
kommunizieren kann hierbei dem Therapeuten helfen. Einen wesentlichen Beitrag
dazu leistet das unterschiedliche Blickverhalten von Pferd und Mensch. Während
der Mensch seinen Blick zielgerichtet auf ein Objekt lenkt und dieses anvisiert,
gleich einem Raubtier, ist der Blick des Pferdes weich und nicht direkt anblickend.
Das autistische Kind spürt diesen Unterschied schnell und muss sich nicht aus
einem Schutzbedürfnis heraus dem Blick des Pferdes entziehen. So wird
zwischen Kind und Pferd ein inter - individueller Austausch möglich.

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2.2.2 Heilpädagogisches Arbeiten mit Pferden
2.2.2.1 Definition: Heilpädagogisches Arbeiten mit dem Pferd
/Heilpädagogisches Reiten (HPA/HPR)
Dieser Abschnitt gibt eine kurze Beschreibung dessen, was im Rahmen einer
Definition des HPA/HPR wichtig erscheint. Hierbei wird vor allem auf G
ÄNG
(1994)
Bezug genommen.
Danach heißt es: ,,Heute werden unter dem Begriff Heilpädagogisches Arbeiten
mit dem Pferd/Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren pädagogische,
psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und soziointegrative
Angebote mit Hilfe des Pferdes bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit
verschiedenen Behinderungen und Störungen zusammengefaßt. Dabei steht nicht
die reitsportliche Ausbildung sondern die individuelle Förderung über das Medium
Pferd im Vordergrund, d.h. vor allem eine günstige Beeinflussung der Entwicklung,
des Befindens und des Verhaltens."
Mit individueller Förderung ist hierbei Folgendes gemeint:
Über eine Diagnose soll zunächst der momentane Zustand des Menschen
erkennbar werden, um dann im weiteren Verlauf gemeinsame Ziele entwickeln zu
können. Dies erfordert vom Therapeuten, dass er verschiedene
Behinderungsarten, Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten,
Wahrnehmungsstörungen, etc. kennt. Die Wahl des Pferdes soll sich nach der
jeweiligen Situation des Einzelnen richten. Eine durchdachte
Gruppenzusammenstellung eröffnet dem Teilnehmer Räume, in denen er sich und
seine Grenzen kennenlernen kann.
,,Im Umgang mit dem Pferd wird der Mensch ganzheitlich angesprochen:
körperlich, geistig, emotional und sozial."
Dass der dreidimensionale Bewegungsablauf des schreitenden Pferdes
hinsichtlich Rhythmus, Art und Ausmaß der Schwingung, dem des Menschen
entspricht, ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen (K
LÜWER
, 1985). Durch
die Bewegung des Pferdes können beim Menschen blockierte, verschüttete und

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gehemmte Bewegungsmuster aufgeschlossen und mobilisiert werden und damit
neue oder verlorengegangene Körpererfahrungen erlebbar gemacht werden.
Neben diesem bewegungsphysiologischen Nutzen des körperlichen Kontaktes
zwischen Mensch und Pferd beim HPA/HPR, wird der geistige Bereich
angesprochen und gefördert. Mit einem Pferd aktiv in Kontakt zu treten, es zu
leiten und sich ihm verständlich zu machen, bedarf hoher Konzentration und
Eigeninitiative. Insbesondere verlangt es Durchsetzungsvermögen und
Selbstbehauptung, sowie Sensibilität (für die Sprache des Pferdes), ebenso wie
Flexibilität (im Umgang mit unerwarteten Situationen) und eine koordinierte
Motorik. Im Umgang mit dem Pferd werden fast alle Sinne angesprochen und
geschult (Sehen, Hören, Riechen, Tasten).
Des Weiteren wird beim HPA/HPR die emotionale Seite des Menschen
angesprochen. Hierbei wird in erster Linie das Bedürfnis nach positiver
Zuwendung auf der Beziehungsebene befriedigt. ,,Pferde lassen fast eine ,,intime"
Nähe zu. Über Körperkontakt signalisieren sie Zuwendung durch Berühren und
Berührtwerden. Bedürfnisse nach Vitalität, Sehnsucht nach Liebe, Hautkontakt,
Emotionalität und Wärme können durch das Pferd befriedigt werden. Es entsteht
eine emotionale Bindung zum Pferd. Diese Bindung intensiviert sich durch das
Erfolgserlebnis, vom Pferd bereitwillig herumgetragen zu werden und Einfluss
hinsichtlich Tempo und Richtung auf das Pferd auszuüben" (K
UPPER
- H
EILMANN
,
1999).
Die gewonnenen positiven Erfahrungen im Beziehungsaufbau mit dem Pferd
können dann zukünftig auf zwischenmenschliche Beziehungen übertragen
werden. In gleicher Weise lässt sich das Sozialverhalten des Pferdes durch die
pädagogisch - therapeutische Arbeit mit dem sozialen Lebewesen Pferd auf das
des Menschen transferieren. Für die HPA mit Kindern und Jugendlichen mit
Verhaltensauffälligkeiten bedeutet dies z.B., dass das Pferd vorübergehend die
Rolle des Sozialpartners bei der Anbahnung neuer, positiver Verhaltensmuster
übernehmen kann. Das Pferd fordert vom Menschen bestimmte soziale
Anpassungsleistungen. Es zieht sich zurück, wenn man seine Bedürfnisse nicht
erkennt, es fordert Verantwortung, da es vom Menschen in seiner Versorgung
abhängt. Und nicht zuletzt sind für den Umgang mit dem Pferd und in einer

23
Gruppe gewisse Regeln notwendig, die, will man einen reibungslosen Ablauf
gewährleisten, beachtet werden müssen. Man lernt so eigene Interessen
durchzusetzen, aber auch, sie zurückzustellen.
2.2.2.2 Rahmenbedingungen zur Durchführung
Um Reittherapie in angemessener Art und Weise durchführen zu können bedarf
es einiger Voraussetzungen, auf die in den folgenden Kapiteln eingegangen wird.
Die Schaffung eines ,,therapeutischen Milieus" wird hierbei ebenso thematisiert,
wie die Rolle des Reitpädagogen/-therapeuten und die des Therapiepferdes.
a) Das therapeutische Milieu
Erziehung findet immer im Kontext eines sozialen Systems, einer sozialen Gruppe
statt. Dabei stellt dieses System mit seiner Struktur und Dynamik, sowie den darin
ablaufenden Kommunikationsprozessen ein grundlegendes, umfassendes
pädagogisches Aktions- und Erlebnisfeld dar, das sämtliche Interaktionen der
Mitglieder untereinander einschließt.
Für die Durchführung der heilpädagogischen Arbeit mit Pferden muss laut W
EDI
(1989) ein ,,therapeutisches Milieu" geschaffen werden, welches folgende
Gesichtspunkte berücksichtigt:
1 Akzeptanz und Geborgenheit
Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten sind zumeist stark verunsichert und haben ein
erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit. Um diesem gerecht werden zu können und
eine Bereitschaft zur Kontaktanbahnung zu erwecken, bedarf es einer konstanten
Verlässlichkeit.
Für das HPA/HPR bedeutet dies, dass insbesondere in der Konsolidierungsphase
darauf geachtet werden sollte, dass die unmittelbaren Bezugspersonen
(Reitpädagoge, Gruppenmitglieder und Pferd) konstant bleiben. In der Therapie
autistischer Kinder kommen diesbezüglich weitere Aspekte hinzu. Zum einen
differenzieren die Kinder nicht zwangsläufig zwischen verschiedenen Personen.
Zum anderen besteht die latente Gefahr, dass die Beziehung zwischen ihnen und
ihrem Begleiter symbiotisch wird. Es ist deshalb wichtig individuell abzuwägen, ob
ein Wechsel der Bezugsperson sinnvoll bzw. notwendig ist.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2002
ISBN (eBook)
9783832457044
ISBN (Paperback)
9783838657042
DOI
10.3239/9783832457044
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau – unbekannt
Erscheinungsdatum
2002 (August)
Note
1,3
Schlagworte
autismus interaktion qualitative sozialforschung therapeutrisches reiten kommunikation
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Titel: Das Pferd - die Brücke zur Außenwelt
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