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Unternehmenskulturen junger Internet-Unternehmen

Eine empirische Erfassung und Analyse ihres Selbstverständnisses

©2001 Diplomarbeit 283 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Wissenschaftliche Veröffentlichungen zu der Frage, ob durch das Internet auch Unternehmenskultur-Veränderungen hervorgerufen werden und wie sich diese äußern, sind in der deutschen Literatur gar nicht und in der englischsprachigen Literatur außerordentlich rar gesät. An populären Veröffentlichungen mangelt es dagegen kaum. Diese beschränken sich jedoch zumeist auf die Beschreibung von Visionen und der lapidaren Reduktion des Themas auf fünf bis zehn Schlagworte. Natürlich wird dabei auch nicht mit Empfehlungen zur Veränderung von bereits bestehenden Kulturen in Richtung des „Neuen“, wie auch immer gearteten, gegeizt. Dabei scheint sich niemand die Mühe machen zu wollen, zunächst einmal detailliert zu untersuchen, worin denn dieses „Neue“ überhaupt bestehen mag, obwohl dieses vor dem Hintergrund vielfältiger Ratschläge zur Veränderung sicherlich angeraten wäre.
Für einen fundierten Zugang zum Themenfeld ist es nach Einschätzung des Autors besonders sinnvoll, mit den Untersuchungen an dem Ort zu beginnen, an dem auch die Internet-Ökonomie ihren Anfang nahm, nämlich in den jungen Internet-Unternehmen. Dabei wird die Hypothese zugrunde gelegt, dass wenn es etwas „Neues“ gibt, sich dieses am wahrscheinlichsten in diesen Unternehmen nachweisen lassen müsste. Insbesondere interessiert uns dabei, was für ein Selbstverständnis die dort arbeitenden Menschen bzgl. ihrer Unternehmenskultur entwickelt haben. Um hierfür ein tiefgreifendes Verständnis zu entwickeln, ist es notwendig, drei voneinander weitgehend unabhängige, sehr komplexe Themenfelder, nämlich die Unternehmenskultur-Forschung, die empirische Sozialforschung und die Internet-Ökonomie-Forschung sinnvoll miteinander zu kombinieren.
Gang der Untersuchung:
Vor dem Hintergrund dieser besonderen Fragestellung wurde daher zunächst eine spezielle Kombination aus Theorie, Erhebungs- und Analysemethoden entwickelt und somit wissenschaftliches Neuland betreten. Diese neue Kombination bewährte sich in den zwei darauf folgenden empirischen Untersuchungen, indem es mit ihrer Hilfe gelang, ein außerordentlich komplexes und vollständiges Bild der Unternehmenskulturen zu zeichnen. Insbesondere konnte hierdurch eine abstrahierte Darstellung in Form eines „Photomotivs“, welches die Unternehmenskulturen mittels elf Kategorien und deren Verbindungen beschreibt, generiert werden, wodurch eine sichere Navigation durch dieses detaillierte und dadurch unübersichtliche Themenfeld ermöglicht […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5565
Lazenby, Robert: Unternehmenskulturen junger Internet-Unternehmen: Eine empirische
Erfassung und Analyse ihres Selbstverständnisses / Robert Lazenby - Hamburg: Diplomica
GmbH, 2002
Zugl.: Paderborn, Universität - Gesamthochschule, Diplomarbeit, 2001
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
: Band I
1. Einleitung ________________________________________________________ 1
1.1 Problemstellung__________________________________________________ 1
1.2 Definitionen des Unternehmenskulturbegriffs_________________________ 3
1.3 Vorgehensweise __________________________________________________ 5
2. Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur ___________________________ 7
2.1
Postmoderne Sichtweise ________________________________________ 8
2.1.1
Ökonomie der Aufmerksamkeit _______________________________ 8
2.1.2 Neue
Institutionenökonomie _________________________________ 11
2.1.3 Zusammenfassung_________________________________________ 12
2.2
Corporate Culture Sichtweise __________________________________ 13
2.2.1 Geschäftsmodelle
junger
Internet-Unternehmen _________________ 14
2.2.2 Branchenklima ___________________________________________ 15
2.2.3
Typische Produkteigenschaften und deren Folgen ________________ 17
2.2.4 Zusammenfassung_________________________________________ 20
3. Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen_________________________ 21
3.1
Begriffsfindung: Unternehmenskultur und Sozialordnung __________ 22
3.2
Theorie der Phänomenologie ___________________________________ 26
3.3
Erhebungsmethode ___________________________________________ 29
3.4
Analysemethoden und deren Ergebnisse _________________________ 32
3.4.1
Ergebnisse qualitativer Inhaltsanalyse _________________________ 33
3.4.2
Gestaltungsfelder, Kategorien und deren Verbindungen ___________ 37
3.4.3 Beschreibungen,
Generalisierungen und Interpretationen __________ 42
3.4.3.1 Dispositive
Arbeitsgestaltung ______________________________ 43
3.4.3.1.1 Selbstorganisation ____________________________________ 43
3.4.3.1.2 Kommunikation _____________________________________ 45

Inhaltsverzeichnis
II
3.4.3.1.3 Entscheidung________________________________________ 47
3.4.3.1.4 Hierarchie __________________________________________ 49
3.4.3.1.5 Freizeitaktivität ______________________________________ 50
3.4.3.1.6 Mitarbeiterstruktur ___________________________________ 51
3.4.3.2 Materiell-inhaltliche Arbeitsgestaltung_______________________ 54
3.4.3.2.1 Arbeitsteilung und Spezialisierung _______________________ 54
3.4.3.2.2 Selbstverantwortung __________________________________ 55
3.4.3.2.3 Persönliche
Beziehung ________________________________ 57
3.4.3.3 Vergütung _____________________________________________ 58
3.4.3.4 Eigentumsverhältnisse____________________________________ 60
3.4.4 Ergänzende
Interpretation: Ein Gedankenexperiment _____________ 61
3.4.5
Empirische Hinweise auf andere Unternehmenskultur-Ansätze______ 67
3.4.6 Zusammenfassung
und
Bewertung ____________________________ 70
3.5
Zusammenfassung____________________________________________ 71
4. Schluss _________________________________________________________ 73
4.1
Zusammenfassung____________________________________________ 73
4.2
Ausblick ____________________________________________________ 76
Literaturverzeichnis ___________________________________________________ 78
Anhang
siehe Band II

Abbildungsverzeichnis
III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Geschäftsfelder junger Internet-Unternehmen
15
Abbildung 2
Ebenen der Unternehmenskultur
22
Abbildung 3
Schematische Abgrenzung des Unternehmens-
kulturbegriffs
24
Abbildung 4
Angewandte Phänomenologie
28
Abbildung 5
Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung
34
Abbildung 6
Darstellung der gewonnenen Kategorien
36
Abbildung 7
Abstrahierte Darstellung der Sozialordnung
junger
Internet-Unternehmen
40

Einleitung
1
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Beschäftigt man sich im Moment mit dem Themenfeld der Unternehmenskultur,
so stellt man unweigerlich fest, dass dieses in den aktuellen Veröffentlichungen
nicht mehr jenen Stellenwert hat, den es noch vor fünf Jahren einnahm. Nimmt
man z.B. die Anzahl an Veröffentlichungen, welche nach Eingabe des Titelbeg-
riffs ,,Unternehmenskultur" in das Suchfeld der Zentraldatenbank der Deutschen
Bibliothek ausgeben werden, als Indikator für die Aktualität dieses Themas, so
zeigt sich, dass das Interesse seit 1997 rapide nachgelassen zu haben scheint.
Gemessen an diesem Indikator begann die Unternehmenskultur-Debatte im
Jahre 1985 mit neun Veröffentlichungen. Dabei nahmen diese in den darauffol-
genden Jahren bis 1988 kontinuierlich bis auf den jährlichen Höchststand von
24 Veröffentlichungen zu. Von 1988 bis 1997 erreichte die Veröffentlichungsan-
zahl stetig Werte zwischen 21 und 24, 1998 jedoch nur noch 18, 1999-13,
2000-16 und 2001-13. Dieses ist jedoch nicht besonders erstaunlich, wenn man
sich die aktuellen Diskussionen im Bereich der Organisationswissenschaften
anschaut. Bereits Glasl u.a. (1990) machten in ihren Überlegungen zum System
der Organisation darauf aufmerksam, dass die Geschichte der Führungs- und
Organisationslehre zeigt, dass man sich zumeist nur auf eines der drei Subsys-
teme konzentriert, nämlich auf das kulturelle, auf das soziale oder auf das tech-
nisch-instrumentelle. Bei den rapiden technischen Veränderungen, die das In-
ternet in den letzten Jahren verursachte, verwundert es daher kaum, dass mo-
mentan eher das technisch-instrumentelle Subsystem mit Fragestellungen zu
Prozessen, Abläufen oder physischen Mitteln, in den Blickpunkt des Interesses
gerückt ist. Wissenschaftliche Veröffentlichungen zu der Frage, ob durch das
Internet auch Unternehmenskultur-Veränderungen hervorgerufen werden und
wie sich diese äußern, sind in der deutschen Literatur gar nicht und in der eng-
lischsprachigen Literatur außerordentlich rar gesät (z.B. Kanter, 2001; Neuhau-
ser, Ray, Stromberg, 2000). An populären Veröffentlichungen mangelt es dage-

Einleitung
2
gen kaum. Diese beschränken sich jedoch zumeist auf die Beschreibung von
Visionen und der lapidaren Reduktion des Themas auf fünf bis zehn Schlagwor-
te. Natürlich wird dabei auch nicht mit Empfehlungen zur Veränderung von be-
reits bestehenden Kulturen in Richtung des ,,Neuen", wie auch immer gearteten,
gegeizt. Dabei scheint sich niemand die Mühe machen zu wollen, zunächst
einmal detailliert zu untersuchen, worin denn dieses ,,Neue" überhaupt beste-
hen mag, obwohl dieses vor dem Hintergrund vielfältiger Ratschläge zur Verän-
derung sicherlich angeraten wäre. Insgesamt besteht offensichtlich ein gewalti-
ger wissenschaftlicher Nachholbedarf bzgl. der Erforschung dieses neuen
Themenfeldes der Unternehmenskultur vor dem Hintergrund der Internet-
Ökonomie. Hierzu soll im Rahmen dieser Diplomarbeit ein bescheidener Beitrag
geleistet werden.
Für einen fundierten Zugang zum Themenfeld ist es nach Einschätzung des
Autors besonders sinnvoll, mit den Untersuchungen an dem Ort zu beginnen,
an dem auch die Internet-Ökonomie ihren Anfang nahm, nämlich in den jungen
Internet-Unternehmen. Dabei wird die Hypothese zugrunde gelegt, dass wenn
es etwas ,,Neues" gibt, sich dieses am wahrscheinlichsten in diesen Unterneh-
men nachweisen lassen müsste. Insbesondere interessiert uns dabei, was für
ein Selbstverständnis die dort arbeitenden Menschen bzgl. ihrer Unterneh-
menskultur entwickelt haben. Um hierfür ein tiefgreifendes Verständnis zu ent-
wickeln, ist es notwendig, drei voneinander weitgehend unabhängige, sehr
komplexe Themenfelder, nämlich die Unternehmenskultur-Forschung, die empi-
rische Sozialforschung und die Internet-Ökonomie-Forschung sinnvoll mitein-
ander zu kombinieren. Dabei soll das Verständnis so weit vertieft werden, dass
voreilige und evtl. zu eindimensionale Zusammenhänge durchschaut und kri-
tisch hinterfragt werden können. Daher wird im Folgenden zunächst der Begriff
der Unternehmenskultur definiert bzw. kategorisiert, um hierdurch die notwen-
digen Untersuchungsfelder zu erarbeiten.

Einleitung
3
1.2 Definitionen des Unternehmenskulturbegriffs
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass es keine genaue Begriffs-
konvention dafür gibt, was Unternehmenskultur eigentlich ist, so dass die Ge-
fahr einer Übersimplifizierung dieses Begriffs besteht. Gedanken, wie ,,Das ist
die Art, wie wir die Dinge hier machen" oder ,,Das ist das Betriebsklima", sind
grundsätzlich nicht falsch, bilden jedoch nicht die Komplexität dieses Phäno-
mens ab.
Eine sehr frühe Beschreibung von Unternehmenskultur findet sich bei Jaques
(1951) in seinem Werk ,,The Changing Culture of a Factory". Er beschreibt Un-
ternehmenskultur hier wie folgt:
,,Es sei die gewohnte und tradierte Weise des Denkens und Handelns im
Unternehmen, wie sie in mehr oder minder starkem Maße von allen Mit-
gliedern geteilt werde. Kultur decke in diesem Sinne eine weite Spanne
des Verhaltens ab, so etwa die Methoden der Produktion, die beruflichen
Fertigkeiten, das technische Wissen, die Einstellungen der Disziplin und
den betrieblichen Sanktionen gegenüber, den Stil der Führung oder die
Unternehmensziele, die Geschäftspraktiken, die Entlohungsmethoden, die
Bewertung verschiedener Typen von Arbeit, den Glauben an ein demokra-
tisches Zusammenleben sowie die kaum bewussten Konventionen und
Tabus." (von Rosenstiel, 2000, 346).
In der Literatur wurden in den darauf folgenden Jahren eine unüberschaubare
Anzahl unterschiedlicher Sichtweisen bzgl. Unternehmenskultur entwickelt. Da-
her wurde der Unternehmenskultur-Begriff vielfach systematisiert (vgl. z.B. Sza-
bo, 1997; May, 1997). So unterteile Szabo Unternehmenskultur in die vier Strö-
mungen Corporate Culture Ansatz, kognitiver Ansatz, symbolischer Ansatz und
postmoderner Ansatz.
Nach dem Corporate Culture Ansatz wird Kultur als gestaltbarer Faktor ver-
standen, der im Sinne der Unternehmensstrategie vom Management eingesetzt
wird. Nach dieser primär amerikanisch geprägten Sichtweise werden geteilte
Werte als zentrales Element der Unternehmenskultur verstanden. Dabei wer-
den Symbole genutzt, um diese Werte zu kommunizieren. Rituale und Mythen
dienen der Sozialisierung der Organisationsmitglieder (vgl. Szabo, 1997, 10-
11).

Einleitung
4
Beim kognitiven Ansatz bilden gemeinsames kulturelles Wissen (z.B. lexikali-
sches Wissen, kausal-analytisches Wissen, kausal-normatives Wissen, axioma-
tisches Wissen), Erkenntnis und Informationsverarbeitung die zentralen Ele-
mente. Somit werden Organisationen als Netzwerke subjektiver Bedeutungen
verstanden. Hierdurch wird z.B. bestimmt, was in Organisationen von Wichtig-
keit ist, wie die Zusammenarbeit erfolgen soll oder welche Verbesserungen in
welcher Situation Sinn machen. Dieser Ansatz stellt mittlerweile den am weites-
ten verbreiteten Ansatz in der Organisationskultur-Forschung dar (vgl. Szabo,
1997, 12-15).
Im Gegensatz zum kognitiven Ansatz, der sich mit den internen Phänomenen
beschäftigt, setzt der symbolische Ansatz bei der Bedeutung an, die den orga-
nisationalen Symbolen zugeschrieben wird. Diese sollen eine tiefere, breitere
und expressivere Bedeutung haben, als dass, was sichtbar, funktional und of-
fensichtlich ist. Sprachliche Äußerungen, Handlungen und Artefakte sind Bei-
spiele für derartige Symbole. Die Unternehmenskultur stellt dann die gemein-
same und übereinstimmende Interpretation dar (vgl. Szabo, 1997, 15-19). Der
kognitive Ansatz und der symbolische Ansatz werden oftmals auch als interpre-
tativer Ansatz zusammengefasst.
Die Postmoderne diagnostiziert den Zerfall der Einheit und will die Vielheit för-
dern, das Prinzip der Allgemeingültigkeit wird verneint (vgl. Raeder, 2001, 24).
Kultur als identitätsstiftender Faktor und die verhaltensbeeinflussende Kraft von
Kultur wird dabei abgelehnt. Organisationskultur im postmodernen Verständnis
ist komplexer und die Beziehungen zwischen den Mitgliedern nicht eindeutig
.
Der postmoderne Ansatz fordert zudem, dass jede Unternehmenskultur im öko-
nomischen und historischen Kontext interpretiert werden muss. Diese Aspekte
werden von den drei anderen Richtungen vernachlässigt (vgl. Linstead, Graf-
ton-Small, 1992, 349). Darüber hinaus wird in der postmodernen Philosophie
jegliche quantitative oder qualitative Erhebungsmethode zu Messung von Un-
ternehmenskultur abgelehnt (vgl. Raeder, 2001).

Einleitung
5
1.3 Vorgehensweise
Diese vier Definitionsrichtungen machen klar, dass, wenn man die Organisati-
onskultur von jungen Internet-Unternehmen begreifen will, diese streng ge-
nommen aus allen vier Richtungen untersucht werden muss. Jede Vernachläs-
sigung eines Aspektes wäre fahrlässig und schwer zu begründen. Da jedoch
dem Untersuchungsumfang dieser Arbeit Grenzen gesetzt sind, muss versucht
werden, ein Gleichgewicht zwischen einer dem wissenschaftlichen Anspruch
genügenden Untersuchungstiefe und einer dem Thema angemessenen Vielfäl-
tigkeit der Betrachtungsweisen zu finden. Um dieses Gleichgewicht zu finden,
wird wie folgt vorgegangen:
Zunächst soll dem Anspruch des postmodernen Ansatzes, auch organisations-
externe Einflüsse zu berücksichtigen, entsprochen werden, indem zumindest
ein Ausschnitt möglicherweise neuer ökonomischer Gegebenheiten der Inter-
net-Ökonomie in die Untersuchung miteinbezogen werden. Dies erfolgt, indem
die ökonomischen Besonderheiten und deren möglicher Einfluss auf die Unter-
nehmenskultur im Kapitel 2.1 untersucht werden. Da sich die Postmoderne ei-
nem empirischen Zugang verschließt, erfolgt dieser kurze Einblick auf Basis
allgemeiner theoretischer Überlegungen.
Anschließend wird in Kapitel 2.2 diese allgemeine Ebene verlassen und die
Branche der jungen Internet-Unternehmen vorgestellt. Zunächst wird aufge-
zeigt,
was deren typische Geschäftsfelder sind, um einen ersten Eindruck von
diesen Unternehmen zu gewinnen. Daran anschließend sollen Überlegungen
zum Handlungsspielraum und zu strategischen Fragestellungen angestellt wer-
den. Dieses geschieht durch eine kurze Analyse der aktuellen wirtschaftlichen
Situation der Branche und durch eine Untersuchung von typischen Produkten,
deren Eigenschaften und deren mögliche Folgen für die Unternehmen. Hier-
durch soll den Überlegungen des Corporate Culture Ansatzes Rechnung getra-
gen werden, denen zu folge die Organisationskultur der Unternehmensstrategie
entsprechend gestaltet werden kann. Sollte dieses tatsächlich der Fall sein,
müssten die im Kapitel 2.2 beschriebenen Zusammenhänge die Unterneh-

Einleitung
6
mensstrategie und somit auch die Organisationskultur entscheidend beeinflus-
sen.
Nachdem diesen beiden Unternehmenskultur-Sichtweisen zumindest im Ansatz
genügt wurde, erfolgen im Kapitel 3 die Untersuchungen zum interpretativen
Ansatz. Dieses soll auf empirische Art und Weise geschehen und bildet den
Schwerpunkt dieser Arbeit. Zu diesem Zweck kommt es zunächst im Kapitel 3.1
zu einer Vertiefung des Verständnisses bzgl. des Unternehmenskulturbegriffs
unter Berücksichtigung des Begriffs der Sozialordnung. In den darauf folgenden
Kapiteln werden anschließend die notwendigen Theorien, Erhebungs- und Ana-
lysemethoden erarbeitet und angewendet, um den Unternehmenskultur-
Selbstverständnis junger Internet-Unternehmen auf die Spur zu kommen zu
können.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
7
2.
Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
Unternehmen befinden sich nicht in einem geschlossenen System, sondern
interagieren auf vielfältige Art und Weise mit ihrer Außenwelt. Sie sind eingebet-
tet in die gesamte Gesellschaft, ihrer Kultur und ihrer Wirtschaftsordnung und
mit dieser vielfältig verflochten. Daher ist es nötig, einige Aspekte dieser Ver-
flechtung zu durchleuchten, wenn man das Phänomen der Unternehmenskultur
von bestimmten Unternehmen aus postmoderner Sicht verstehen möchte. Im
Falle der hier in dieser Arbeit zu prüfenden, jungen Internet-Unternehmen
kommt erschwerend hinzu, dass viele Autoren und Wissenschaftler davon aus-
gehen, dass noch nicht einmal die Wirtschaftsordnung, in der diese Unterneh-
men operieren, althergebracht funktioniert. Man spricht in diesem Zusammen-
hang auch von einer neuen Form der Ökonomie. Für die Fragestellung dieser
Arbeit ist es daher wichtig zu verstehen, ob Unternehmenskulturen in diesem
System überhaupt noch bedeutsam sind und auf welche Art und Weise diese
,,Neue Ökonomie" die Unternehmenskulturen beeinflussen könnte. Zwei Denk-
ansätze werden hierzu in Kaptitel 2.1 vorgestellt.
Anschließend sollen im Kapitel 2.2 einige typische Eigenschaften dieses neuen
Wirtschaftszweiges aufgezeigt werden, um ein tieferes Verständnis für mögliche
Fragestellungen aus Sicht des Corporate Culture Ansatzes zu gewinnen. Hierzu
werden zunächst die typischen Geschäftsmodelle der jungen Internet-
Unternehmen erläutert. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wird an-
schließend das allgemeine Branchenklima beschrieben. Eine Analyse typischer
Produkteigenschaften und deren mögliche Folgen für die Unternehmenskultur
schließt dieses Kapitel ab.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
8
2.1 Postmoderne
Sichtweise
Naturgemäß soll im Folgenden eine ökonomische Perspektive gewählt werden,
um die Bedeutung der Unternehmenskultur in der Internet-Ökonomie zu unter-
suchen. Beispielhaft werden hierzu zwei Theorien, nämlich die Ökonomie der
Aufmerksamkeit und die neue Institutionenökonomie herangezogen, um einige
mögliche Auswirkungen der Internet-Ökonomie auf die Unternehmenskultur
junger Internet-Unternehmen zu untersuchen. Hierdurch soll dem Anspruch des
postmodernen Ansatzes genügt werden, auch organisationsexterne Einflüsse
mit bei der Betrachtung organisationsinterner Geschehnisse zu berücksichtigen,
und so einen betrieblichen ,,Tunnelblick" zu vermeiden. Eine darüber hinausge-
hende Betrachtung postmoderner Sichtweisen erfolgt nicht, da eine zu ausführ-
liche Erläuterung theoretischer Zusammenhänge der Forderung dieser Arbeit,
insbesondere das Unternehmenskultur-Selbstverständnis zu erheben, wieder-
sprechen würde.
2.1.1 Ökonomie der Aufmerksamkeit
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit stellt ein ungewöhnliches Konzept dar, in
welchem Lanham (1994) tatsächlich einen Paradigmenwechsel in der Art der
ökonomischen Sichtweise einläutet. In GABLER (1997) wird wirtschaften als
,,... rationale[r] Umgang mit knappen Gütern verstanden. Güter sind sowohl
reale Güter als auch Dienstleistungen, die zur Befriedigung menschlichen
Bedarfs dienen."
Da Wirtschaften als rationaler Umgang mit knappen Ressourcen verstanden
wird, müsste das Gut ,,Information eigentlich knapp sein. Diese Aussage er-
scheint jedoch in der Wirklichkeit eher fragwürdig. So wurde in einer Studie von
Varian/Layman (2001) festgestellt, dass pro Jahr die unglaubliche Menge von
1,5 Millionen Gigabyte an Informationen produziert wird. Das entspricht einer
Menge von 250 Megabyte, pro Mensch, pro Jahr.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
9
Es liegt heute also eher ein Überangebot an Informationen vor, besonders ver-
ursacht durch das Fernsehen und das Internet. Dadurch kann es dem einzelnen
Individuum immer schwerer fallen,
sich zu orientieren. Aus diesem Grund defi-
niert Lanham nicht die Information als knappes Gut in der Internet-Ökonomie,
sondern die menschliche Eigenschaft der Aufmerksamkeit.
,,Das deutsche Wort Aufmerksamkeit zieht zusammen, was im Englischen
als awareness und attention auseinander gehalten ist. Awareness ist der
Zustand der wachen Achtsamkeit, attention das gezielte Achtgeben."
(Frank, 1998, 28).
Man geht hierbei davon aus, dass Informationen die Aufmerksamkeit des Emp-
fängers verbrauchen. Aufmerksamkeit ist dabei, ähnlich wie die Zeit, nicht ver-
mehrbar. Bei steigender Informationsflut steigt demgemäss der Wert der Res-
source Aufmerksamkeit. Hierdurch bedingt, entsteht eine alternative Wirtschaft
neben der Geldwirtschaft, in der sich individuelle Rationalität nicht nur durch
einen ökonomischen Umgang mit Geld auszeichnet, sondern darüber hinaus
auch der rationale Umgang mit der Ressource der Aufmerksamkeit zunehmend
an Bedeutung gewinnt. Die Wichtigkeit dieser alternativen Wirtschaft nimmt
graduell in dem Umfang zu, in dem das Ausmaß an Informationen zunimmt.
Die jüngsten Entwicklungen in der Medienwirtschaft und die Verbreitung des
Internets stellen hierbei den vorläufigen Höhepunkt dar. Am Beispiel des Inter-
nets lassen sich dabei einige interessante Zusammenhänge aufzeigen:
Bei dessen Nutzung entstehen Gebühren überwiegend für die technische Infra-
struktur. Das Wahrnehmen von Informationen hingegen ist zum Großteil frei.
Nach Ansicht der klassischen Ökonomie entstünde folglich kein richtiger Markt.
Jedoch zeichnet das rasante Wachstum der Internet-Branche in den letzten
Jahren ein anderes Bild, was zu der Annahme führen kann, dass die Aufmerk-
samkeitswirtschaft bereits neben die Geldwirtschaft getreten ist (vgl. Rötzer,
1999).
Die Konsequenzen, die sich aus der Globalisierung des Informationsangebotes
und der begrenzten Aufmerksamkeit ergeben, sind vielfältig (vgl. Franck, 1998,
67). Zunächst verwandeln sich örtliche Märkte in weltweite Märkte. Hieraus fol-

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
10
gend steigt auch der Kampf um zeitliche Vorsprünge. Noch nie war die Halb-
wertzeit von Wissen so kurz wie heute. Zudem ist der Wert einer Information für
den Empfänger von deren Neuigkeitswert relativ zu bereits vorhandenem Wis-
sen abhängig. Die Aufmerksamkeit wird daher von zwei Seiten in die Zange
genommen:
,,Zum einen soll der Neuigkeitswert durch präsumptives Beiseitelassen des
Allermeisten mit gleichwohl zielsicherer Findigkeit für das unerwartet Trifti-
ge herausgezogen werden. Zum anderen soll der Kenntnis- und Wissens-
stand für Veränderungen grundsätzlich offengehalten, alle Veränderungen
jedoch, die sich irgendwann nachteilig auswirken könnten, gemieden wer-
den." (Franck, 1998, 68).
Bei stetig steigendem Informationsangebot wird es daher immer schwerer,
durch Fleiß das Informationsangebot zu bewältigen.
Hierdurch bedingt, könnte dann eine neue bedeutsame Rolle für Unterneh-
menskulturen entstehen, denn Kulturarbeit ist Arbeit an der Aufmerksamkeit an
sich. Die Verfeinerung des Umgangs mit anderen Menschen gilt dem Erlernen
des Aussendens von Reizen im Rahmen der Unternehmenskommunikation.
Auch geistiges Kapital, welches sich in Unternehmen ansammelt, besteht aus
erarbeitetem Wissen, bewährten Methoden, beispielhaften Problemlösungen,
Vorbildern für Findigkeit und Kreativität, welche bei der Bewältigung der Infor-
mationsflut nützlich sein können (vgl. Franck, 1998, 56). Dieses Kapital stellt in
der immateriellen Welt das dar, was Maschinen, Verfahrenstechniken und tech-
nische Standards für die materielle sind. Daher werden in Zukunft wahrschein-
lich diejenigen Unternehmenskulturen besonders erfolgreich sein, die der knap-
pen Ressource Aufmerksamkeit in besonderer Weise gerecht werden können.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
11
2.1.2 Neue Institutionenökonomie
Die Neue Institutionenökonomie
1
nimmt für sich in Anspruch, besonders gut für
eine Analyse der ökonomischen Auswirkungen des Internets geeignet zu sein,
da das Internet insbesondes zu einer Veränderung der Höhe der Transaktions-
kosten führen soll
2
. So argumentiert z.B. Xie (2000), dass das Internet die
Transaktionskosten senkt, die Markttransparenz erhöht und die Skalenvorteile,
welche aus einer vertikalen Integration resultieren, vermindert. Somit wird die
ökonomisch optimale Größe von Unternehmen verringert. Es kommt also zu
kleineren und höher spezialisierten Unternehmen. Nun stellt sich jedoch die
unmittelbare Frage, wie sich die Veränderung der Struktur der Verfügungsrech-
te und der Transaktionskosten auf die Unternehmenskultur auswirkt und welche
Bedeutung ihr dabei zufällt.
Jones (1983) hat für die Beschreibung einer sogenannte ,,Professionellen-
Kultur" einige Eigenschaften und Auswirkungen beschrieben, die nach Ein-
schätzung des Autors auch auf junge Internet-Unternehmen zutreffen dürften:
Nach Demsetz (1967)
leitet sich Unternehmenskultur aus der rollenprägenden
Verteilung von Verfügungsrechten
3
ab, deren Präzisierung dann die Art der Kul-
tur bestimmen. Zudem ist die Unternehmenskultur stark abhängig von der Auf-
gabenvariabilität des Unternehmens, da bei schlecht definierbaren Transforma-
tionsprozessen, wie z.B. in der Softwareentwicklung, die Produktion stark von
den Fähigkeiten der spezialisierten Mitarbeiter abhängt. Als Resultat steigen die
innerbetrieblichen Transaktionskosten. Es kommt zu hohen Überwachungskos-
ten, weil es schwierig ist, die Inputs und Outputs exakt zu messen. Daher ist
eine starke Zuordnung der Verfügungsrechte, mit dem Ziel der Senkung der
Transaktionskosten, auf den jeweiligen Aufgabenträger zu erwarten. Dieses
könnte z.B. durch Partnerschaften bzw. Mitarbeiterbeteiligungen geschehen,
1
Auf eine allgemeine Beschreibung wird hier verzichtet. Siehe hierzu: Picot, Dietl, Franck,
1997, 53-95.
2
Zu genauen Auswirkungen, warum die Transaktionskosten durch das Internet sinken sollen,
siehe Picot, Reichwald, 1994.
3
Ein Überblick über die Theorie der Verfügungsrechte findet sich bei Tietzel, 1981.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
12
wodurch die Verfügungsrechte eher der Person als der Position zugeordnet
werden würden. Ist dieses nicht möglich, muss ein ,,Transaktionsgitter
4
" aufge-
baut werden, welches auf Werten, Normen und Erwartungen ruht, die von je-
dem Gruppenmitglied akzeptiert werden (vgl. Jones, 1983, 464). Diese könnten
z.B. durch unternehmensspezifische Sozialisierungsprogramme internalisiert
werden. Durch eine allgemeine Akzeptanz kann dann eine gegenseitige Kon-
trolle in kleinen Gruppen durchgeführt werden, die eine mögliche Selbstkontrol-
le oder eine klassische hierarchische Kontrolle ersetzten würde.
Zusammenfassend lässt sich folglich feststellen, dass es durch die Senkung der
allgemeinen Transaktionskosten in der Internet-Ökonomie zu kleineren Unter-
nehmen kommen soll. Dabei kann man innerhalb der jungen Internet-
Unternehmen, aufgrund der speziellen Produktionsfunktion, jedoch eher davon
ausgehen, dass sich die Transaktionskosten erhöhen werden. Hierdurch steigt
die Bedeutung der Unternehmenskultur für junge Internet-Unternehmen, um
dieser Tendenz entgegenwirken zu können.
2.1.3 Zusammenfassung
Von den vielfältigen Möglichkeiten, die Internet-Ökonomie zu untersuchen, wur-
den zwei Theorien vorgestellt, um mögliche Auswirkungen auf die Unterneh-
menskultur zu erkennen und somit dem postmodernen Anspruch nach Berück-
sichtigung von betriebsexternen Verflechtungen gerecht werden zu können.
Sowohl die Ökonomie der Aufmerksamkeit als auch die neue Institutionenöko-
nomie gehen, obwohl sie eine grundsätzlich unterschiedliche Perspektive ha-
ben, von einer wachsenden Bedeutung bestimmter Unternehmenskulturen im
Internet-Zeitalter aus. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit begründet dieses mit
einem besseren, durch Unternehmenskultur ermöglichten Haushalten von Auf-
merksamkeit. Die neue Institutionenökonomie legt eine bessere Kontrolle der
Mitarbeiter durch Unternehmenskultur nahe. Hierdurch kann dem Ansteigen
unternehmensinterner Transaktionskosten, verursacht durch die Internet-
4
Hierunter versteht man die konkrete Verteilung von Verfügungsrechten.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
13
Ökonomie, entgegengewirkt werden. Leider geben jedoch beide Theorien we-
nig Auskunft darüber, wie sich diese neuen Unternehmenskulturen konkret ges-
talten werden, um die erwünschten Effekte zu erreichen. Trotzdem legen beide
Denkrichtungen nahe, dass das Thema der Unternehmenskultur in Zukunft an
Bedeutung gewinnen und für den Erfolg von Unternehmen in der Internet-
Ökonomie mitentscheidend sein wird. Möglicherweise gilt dieses für unsere
jungen Internet-Unternehmen bereits heute.
2.2 Corporate Culture Sichtweise
Schon Kotthoff (1990, 23) hat in seiner Untersuchung zu mittelständischen In-
dustriebetrieben auf die hohe Wichtigkeit der Branchenzugehörigkeit der Fallbe-
triebe hingewiesen, wenn man deren Unternehmenskultur
5
verstehen möchte.
Ohne ein tieferes Verständnis der Branchenbedingungen ist eine realitätsnahe
Interpretation von Unternehmenskultur nur schwer möglich. Die Untersuchung
von Branchen ist dabei im Allgemeinen dem Corporate Culture Ansatz zuzu-
ordnen. Die besonderen Marktbedingungen innerhalb einer Branche sind zent-
rale Parameter, an denen sich auch die jungen Internet-Unternehmen orientie-
ren müssen. Im Besonderen sind hiervon der ökonomische Handlungsspiel-
raum und die marktstrategischen Optionen abhängig, die direkt die Unterneh-
menskultur beeinflussen können. Eine allumfassende Darstellung der Internet-
Branche soll hier nicht geleistet werden, da zu viele Aspekte eher verwirren, als
dass sie hilfreich sind. Daher soll hier, in Anlehnung an Kotthoff, eine Focusie-
rung auf obige Parameter geleistet werden, um ein tieferes Verständnis für die
Situation von jungen Internet-Firmen zu entwickeln.
Zunächst folgt daher eine kurze Systematisierung der Geschäftsbereiche junger
Internet-Unternehmen, um einen Eindruck davon zu bekommen, um welche Art
von Unternehmen es sich dabei handelt. Daran anschließend soll das Bran-
chenklima untersucht werden, da der ökonomische Spielraum der Unternehmen
hiervon stark abhängig ist. Abschließend kommt es zu einer Erläuterung be-
5
Kotthoff benutzt hier den Begriff der Sozialordnung. Zur Unterscheidung siehe Kapitel 3.1.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
14
sonderer Produkteigenschaften, deren Folgen via der Unternehmensstrategie,
auch mögliche Auswirkungen auf die Unternehmenskultur haben können.
2.2.1 Geschäftsmodelle junger Internet-Unternehmen
Ein Großteil der jungen Internet-Unternehmen beschäftigt sich mit dem Handel
von elektronischen Gütern bzw. Dienstleistungen. Darunter versteht man z.B.
Internet Marketing, Home und Electronic Banking, Buchungen, Auktionen, Onli-
ne-Shopping, Software sowie alle Arten von Daten (vgl. Beck, Prinz, 1999). Im
Moment beschäftigen sich etwa 23% der Unternehmen mit Shoppingsystemen,
37% sind Multimedia-Agenturen, 22% betreffen das allgemeine Software-
Projektgeschäft sowie Integratoren und 18% sind Internet-Sevice-Provider (vgl.
Krafft, 2001).
Um zu einer Systematisierung der Einsatzmöglichkeiten zu gelangen, kann man
die Wirtschaftsakteure auf der Nachfrage- und Angebotsseite jeweils in consu-
mer (C), business (B) und administration (A) einteilen. Wie Abbildung 1 zeigt,
ergibt sich dann aus einer Kombination von jeweils zwei Akteuren, ein denkba-
rer Marktbereich. Mit US$ 4,16 Mrd. Umsatz (87%) im ,,Business-to-Business"
(B2B) Bereich und US$ 0,62 Mrd. (8%) Umsatz im ,,Business-to-Consumer"
(B2C) Bereich, sind diese beiden Marktbereiche in Deutschland derzeit mit Ab-
stand am wichtigsten (vgl. Financial Times, 2000). Generell versuchen sich die
jungen Internet-Unternehmen aus den Geschäftsfeldern und Wertschöpfungs-
ketten der etablierten Unternehmen die Schlüsselsegmente und ­elemente für
ihr Online-Geschäft heraus zu picken um diese unter Verzicht auf unproduktive
Bausteine zu neuen und schlankeren Leistungsprozessen zusammenzufassen
(vgl. Seidensticker, 2001, 3). Je länger dabei die Wertschöpfungsketten vorher
waren, desto größer sind die potentiellen Gewinne durch das B2B Geschäft, da
die Unternehmen dann viele der Zwischenebenen wegkürzen können (vgl. Xie,
2000, 5).

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
15
2.2.2 Branchenklima
Kaum ein Bereich sorgte für eine solche Gründungseuphorie wie das Internet.
Nach Schätzungen des Stiftungslehrstuhls für Gründungsmanagement und Un-
ternehmertum an der European Business School in Oestrich-Winkel sind seit
dem zehnjährigen Bestehen dieser Industrie zwischen 15.000 - 20.000 Unter-
nehmen in Deutschland gegründet worden. Hiervon sind inzwischen etwa 100
börsennotiert und ca. 750 weitere durch Venture-Capital-Gesellschaften finan-
ziert worden. In 4000 der gesamten Unternehmen liegt die Mitarbeiteranzahl
zwischen 10 und 50, bei den restlichen 10.000 liegt sie unter 11. Bei einer
durchschnittlichen Mitarbeiterzahl von 8-10 Mitarbeitern dürften heute ca.
150.000 Menschen in solchen Unternehmen beschäftigt sein. Somit arbeitet
N A C H F R A G E R
Consumer
Business
Administration
C
onsumer
Consumer-to-Consumer
z.B. Auktionen, wie E-Bay
Kleinanzeigen, wie AutoScout
24
Consumer-to-Business
z.B. Jobbörsen mit Anzeigen
von Arbeitssuchenden
Consumer-to-
Administration
z.B. Abgaben von Einkom-
mensteuererklärungen,
Wohnsitzanmeldung
Business
Business-to-Consumer
z.B. Kundenbestellungen bei
BOL
Business-to-Business
z.B. E-Procurement
(Bestellung bei Zulieferer)
Business-to-Administration
z.B. Abwicklung von Steuer-
angelegenheiten von Unter-
nehmen
A N B I E T E R
Admi
ni
st
rat
ion
Administration-to-
Consumer
z.B. Abwicklung von Unter-
stützungsleistungen (Arbeits-
losenhilfe etc.)
Administration-to-Business
z.B. Beschaffungen für öffent-
liche Institutionen (Büromate-
rial, Hardware)
Administration-to-
Administration
z.B. Transaktionen zwischen
öffentlichen Institutionen im
In- und Ausland
Abbildung 1 : Geschäftsfelder junger Internet-Unternehmen
Quelle: in Anlehnung an Hermanns, Sauter, 1999, 23

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
16
heute etwa jeder dreihundertste deutsche Arbeitnehmer in einem jungen Inter-
net-Unternehmen (vgl. Krafft, 200). Nach der wilden Expansionsphase der letz-
ten Jahre ist heute zu einer deutliche Abkühlung in der Internet-Branche ge-
kommen. Spektakuläre Pleiten, enttäuschte Umsatzerwartungen und steigende
Verluste haben zu einem deutlichen Rückgang von Neuinvestitionen geführt.
Wagniskapitalgeber, die sich in der Vergangenheit an Werbeausgaben, Um-
satzprognosen oder Mausklicks auf Internet-Seiten orientierten, haben heute
die klassische Gewinnschwelle als Maß der Investitionsentscheidungen wieder-
entdeckt. Derzeit können ca. 98% der B2C/C2C und ca. 95% der B2B Unter-
nehmen keine Gewinne aufweisen und sind daher stark von Liquiditätsengpäs-
sen bedroht (vgl. Schrack, 2001, 15-16). Auch die meisten börsennotierten In-
ternet-Unternehmen, die sich ihre Gelder durch Neuemissionen beschafft ha-
ben, sind von der Gewinnschwelle meilenweit entfernt. So schrieb z.B. im Früh-
jahr 2001 die Firma FortuneCity bei 24,2 Millionen Mark Erlösen einen Verlust
von 87,8 Millionen Mark (vgl. Balzli, Jung, Schäfer, 2001). Daher vermutet die
Investmentbank J. P. Morgan Fleming, dass mittelfristig 80% der börsennotier-
ten Internet-Unternehmen in Konkurs gehen werden. Besonders sei hiervon der
B2C Bereich betroffen, da sich dieser, im Gegensatz zu den anderen Berei-
chen, schon in einer reiferen Marktphase befände und daher bereits heute
Schwächen sichtbarer seien. So sei es ihnen z.B. nicht gelungen, mit Werbe-
bannern auf Webseiten denselben Grad an Aufmerksamkeit zu binden, wie es
durch Druckmedien möglich ist. Die fehlenden Werbeerlöse endeten dann für
viele der Unternehmen in einer Sackgasse (vgl. Seidensticker, 2001, 2). Zudem
haben die B2C Unternehmen die Einkaufsmacht und die daraus resultierenden
besseren Konditionen großer, traditioneller Handelshäuser unterschätzt.
Im Gegensatz dazu hat der B2B Bereich noch bis in den späten Herbst 2000
hinein von dem hohen Wertschöpfungspotentialen elektronischer Marktplätze
profitiert. Zudem kann bei ungefähr der Hälfte der Marktplätze im Augenblick
weder von einer ausgeprägten Anbieter- oder Nachfragermacht ausgegangen
werden, was zu einem relativ hohen Maß an Unabhängigkeit führt (vgl.
Schrack, 2001, 16-17). Ein kühler Wind schlägt dem B2B Bereich aber mittler-
weile aus den Reihen der Alten-Ökonomie entgegen, da man dort begonnen

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
17
hat, eigene Marktplätze aufzubauen, ohne auf die Hilfe der Internet-
Unternehmen zurückgreifen zu müssen. Zudem macht den meisten jungen In-
ternet-Unternehmen eine starke internationale Konkurrenz in ihrem eigenen
Heimatmarkt zu schaffen.
Generell lässt sich also feststellen, dass die momentanen Marktbedingungen in
der Branche schwierig sind, so dass der ökonomische Handlungsspielraum im
Moment eher eng gesetzt sein dürfte.
2.2.3 Typische Produkteigenschaften und deren Folgen
Die technische Entwicklung des Internets beruht auf internationalen Netzwerk-
standards. Auch die durch diese Standards entstehenden Märkte zeichnen sich
insbesondere dadurch aus, dass hier Netzeffekte auftreten. Netzeffekte entste-
hen, wenn der Nutzen eines Gutes für den einzelnen Anwender durch die Zahl
anderer Personen, die das Netzwerk nutzen, beeinflusst wird (vgl. Gabler,
1997). Es wird zwischen direkten und indirekten Netzeffekten unterschieden.
Bei direkten Netzeffekten kommt es zu einer Nutzensteigerung, wenn die An-
zahl der Nutzer des Netzes ansteigt. Der Nutzen durch den Zutritt zu einem
Netz kann dann sogar den direkten Produktnutzen übersteigen. Indirekte Netz-
effekte unterscheiden sich von direkten dadurch, dass hier der Wert eines Pro-
duktes durch den Nutzen von Komplementärleistungen (z.B. Software und
Hardware) determiniert wird (vgl. Zerdick u.a., 2001, 157). Daher versuchen
viele junge Internet-Unternehmen möglichst schnell strategische Partnerschaf-
ten aufzubauen. Denn je informeller die Wirtschaft wird, desto mehr muss man
seinen Lieferanten, Kunden und Mitarbeitern trauen können. Vertrauen wird
daher zum Wettbewerbsfaktor (Mintzberg, H., u.a., 1996, 60-71).
Durch Netzwerkeffekte können klassische ökonomische Gesetzmäßigkeiten auf
den Kopf gestellt werden. So wird z.B. der Wert von Informationsprodukten
nicht durch deren Seltenheit bestimmt, im Gegenteil: Ihr Wert steigt mit zuneh-
mender Häufigkeit (vgl. Klotz, 1999). Zudem können sie vervielfältigt, transfe-
riert, verschenkt, verkauft und getauscht werden, ohne dass sie ihren ursprüng-
lichen Besitzer verlassen (vgl. Shapiro, Varian, 1998). Es gibt nur einen, zu-

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
18
meist sehr hohen, Entwicklungsaufwand, die Grenzkosten der Vervielfältigung
und Verteilung von digitalem Wissen sind hingegen praktisch gleich Null. So
kommt es zu starken Fixkostendegressionseffekten. Der Entwicklungsaufwand
von komplexen Informationsprodukten lässt sich zudem nur schwer in quantita-
tiven sondern eher in qualitativen Standards messen. So versagen quantitative
Größen, wie z.B. Maschinenlaufzeiten, um den Wert eines Softwareproduktes
zu kalkulieren. Es kommt allein auf die Kreativität der einzelnen Mitarbeiter an,
das Humankapital verdrängt die anderen Produktionsfaktoren.
Zusammengenommen gehen junge Technologieunternehmen daher oft zu der
Strategie über, ihre Produkte zu verschenken, um eine große kritische Masse
an Verbreitung zu erreichen. Hierbei können unterschiedliche Ziele verfolgt
werden:
Zum einen sollen dadurch Markteintrittsbarrieren geschaffen werden, aber dar-
über hinaus versucht man auch Marktaustrittsbarrieren in Form von Wechsel-
kosten zu schaffen. Kunden, die bereits das Produkt nutzen, sollen ,,einge-
sperrt" werden, damit mit Hilfe von Komplementärprodukten übernormale Ge-
winne realisiert werden können (vgl. Dietl, Royer, 2001, 110-113). Ein weiteres
Ziel stellt die Bildung von Reputationen durch kostenfreie Produkte dar. Hier-
durch soll unter anderem das sogenannte ,,Informationsparadoxon
6
" umgangen
werden, da durch das kostenfreie Produkt bereits ein Vertrauensverhältnis auf-
gebaut werden kann. Diese Reputation soll Optionen erschließen, die sich spä-
ter finanziell auszahlen.
Diese Zusammenhänge sollen deutlich machen, dass, wenn man Kultur im Sin-
ne des Corporate Culture Ansatzes als von der Strategie abhängige Variable
begreift, von einem starken Einfluss der Produkteigenschaften, via Unterneh-
mensstrategie, auf die Unternehmenskultur ausgegangen werden kann.
6
,,Dies besagt, dass eine angebotene Information, wie eine Beratungsleistung oder For-
schungsergebnisse, erst dann wirtschaftlich bewertet werden kann, wenn sie bekannt ist. Ist sie
jedoch erst bekannt, so besteht kein Anreiz mehr, für ihren Erwerb eine Gegenleistung zu ent-
richten." (Gabler, 1997).

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
19
Insbesondere können, nach Einschätzung des Autors, diese Produkteigen-
schaften, wie oben beschrieben, in strategischen Partnerschaften, in Vertrauen,
in qualitativen Entwicklungsaufwand, in Markteintritts- und Marktaustrittsbarrie-
ren, in Reputationseffekten und in schnellen technischen Innovationszyklen en-
den. Diesen Notwendigkeiten könnte man z.B. mit einer sogenannten ,,starken
Unternehmenskultur" begegnen. Laut Schreyögg (1999) führt diese zu beson-
ders positiven Effekten bzgl. der Handlungsorientierung, der reibungslosen
Kommunikation, der raschen Entscheidungsfindung, der zügigen Implementati-
on, dem geringen formalen Kontrollaufwand, der Motivation, dem Teamgeist
und der Stabilität (vgl. Schreyögg, 1999, 463-464). Wenn also von einer Beein-
flussung der Unternehmenskultur durch strategische Notwendigkeiten ausge-
gangen wird, so macht es nach Einschätzung des Autors aufgrund obiger Über-
legungen besonders viel Sinn, diesen durch eine ,,starke Unternehmenskultur"
zu begegnen. Möglicherweise kann mit Hilfe der folgenden empirischen Unter-
suchung diese Tendenz bestätigt oder wiederlegt werden, auch wenn es nicht
explizites Ziel dieser Untersuchung sein wird, Corporate Culture Zusammen-
hänge zu klären.

Internet-Ökonomie und Unternehmenskultur
20
2.2.4 Zusammenfassung
Zunächst wurden in diesem Kapitel die Geschäftstätigkeiten junger Internet-
Unternehmen charakterisiert und in einer Neun-Felder-Matrix systematisiert. So
konnte ein allgemeines Verständnis für die Geschäfte junger Internet-
Unternehmen entwickelt werden. Diese Systematisierung wurde sodann heran-
gezogen, um das derzeitige Branchenklima in Abhängigkeit vom Geschäftsfeld
aufzuzeigen. Generell konnte dargestellt werden, dass der momentane ökono-
mische Handlungsspielraum der jungen Internet-Unternehmen als kritisch eng
eingeschätzt werden kann. Diesem Umstand sollte bei der Interpretation der
Daten der Folgenden empirischen Untersuchung Rechnung getragen werden.
Anschließend konnten durch eine Analyse typischer Produkteigenschaften eini-
ge strategische Aspekte bzgl. der Unternehmenskultur identifiziert werden und
auf die Problemstellung der Erklärung der Unternehmenskultur übertragen wer-
den. Mit Hilfe des Konzeptes der ,,starken Unternehmenskultur" als mögliche
Folge dieser besonderen Marktumstände konnte der Denkstruktur des Corpora-
te Culture Ansatzes somit zum Teil genügt werden.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
21
3.
Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
Nachdem in Kapitel 2 die wesentlichen Determinanten und Rahmenbedingun-
gen für die Unternehmenskultur junger Internet-Unternehmen der Internet-
Ökonomie aus postmoderner und Corporate Culture Sicht aufgezeigt wurden,
soll im Folgenden ganz konkret gezeigt werden, was für ein Selbstverständnis
diese Unternehmen bzgl. ihrer Unternehmenskultur aus interpretativer Unter-
nehmenskultursicht (d.h. symbolische Sichtweise und kognitive Sichtweise) ha-
ben.
Um dieses Ziel zu erreichen, wird in Kaptitel 3.1 zunächst eine genaue Abgren-
zung und Definition des Unternehmenskulturbegriffs, nebst Einführung in zwei
Modelle, geleistet. Anschließend wird in Kapitel 3.2 eine Theorie vorgestellt, auf
der die folgende empirische Untersuchung aufbauen soll. Unter Berücksichti-
gung dieser Theorie kommt es dann in Kapitel 3.3 zur Darstellung einer geeig-
neten Erhebungsmethode. Darauf folgt die Erarbeitung und Anwendung geeig-
neter Analysemethoden in Kapitel 3.4, woran sich die Darstellung der jeweiligen
Ergebnisse direkt anschließt. Eine Zusammenfassung der gewonnenen Ein-
sichten erfolgt, soweit noch nicht in den Unterkapiteln getätigt, in Kapitel 3.5.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
22
3.1 Begriffsfindung: Unternehmenskultur und Sozialordnung
Eine besonders bedeutende Konkretisierung des Organisationskulturbegriffs
erfolgte durch Schein (1992), der Unternehmenskultur in einem Drei-Ebenen-
Modell darstellt (siehe Abbildung 2). Der Begriff der Ebene bezieht sich dabei
auf den Grad der Sichtbarkeit des kulturellen Phänomens für den Beobachter.
Die Schichten reichen dabei von ohne weiteres sichtbaren, spürbaren und of-
fenkundigen Erscheinungsformen, bis hin zu den tief verwurzelten, unbewuss-
ten Grundprämissen, welche die Essenz der Kultur darstellen (vgl. Schein,
1992, 29). Als Artefakte definiert Schein sichtbare Faktoren, wie Architektur und
Gestaltung der Innenräume, Sprache in ihrer spezifischen Ausprägung, Ge-
schichten im Unternehmen, Technologie und Tradition. Die bekundeten Werte
erklären normative Ziele, wie sie z.B. durch Leitbilder nach außen vermittelt
werden. Die Grundprämissen sind nicht direkt erkenn- oder erfahrbar und bilden
den Ausgangspunkt für Werte und Handlungen (vgl. Schultz, 1995).
Sichtbare Strukturen und Prozesse
im Unternehmen (leicht zu beobach-
ten, aber schwer zu entschlüsseln)
Strategien, Ziele, Philosophien
(bekundete Rechtfertigungen)
Unbewusste, selbstverständliche
Anschauungen, Wahrnehmungen,
Gedanken und Gefühle
(Ausgangspunkt für Werte und
Handlungen)
Artefakte
Bekundete Werte
Grundprämissen
Abbildung 2: Ebenen der Unternehmenskultur
Quelle: Schein, 1995, 30

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
23
Somit ist Scheins Modell grundsätzlich sowohl dem Corporate Culture Ansatz
als auch im Besonderen dem kognitiven Ansatz zuzuordnen. So definiert
Schein Unternehmenskultur im kognitiven Sinne als:
,,The pattern of basic assumptions that a given group has invented, dis-
covered, or developed in learning to cope with its problems of external
adaptation and internal integration, and that have worked well enough to
be considered valid, and, therefore, to be taught to new members as the
correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems."
(Schein, 1984, 3).
Für den Forscher ist es nach Schein von besonderem Interesse, dass man Un-
ternehmenskultur zwar in Form von Artefakten beobachten kann, jedoch hier-
durch leicht durch Fehlinterpretationen zu unzutreffenden Eindrücken kommt.
Möchte man die Artefakte korrekt auslegen, muss man daher zunächst von ,,In-
formanten" eine Entschlüsselungshilfe bekommen. Wenn man z.B. in unter-
schiedliche Unternehmen kommt und erkennt, dass sie einem ähnliche Interpre-
tationshilfen, wie z.B. ,,Wir machen hier Teamarbeit" anbieten, sich jedoch
schon auf den ersten Blick in den Artefakten (z.B. räumliche Verhältnisse) fun-
damental unterscheiden, kann man als Außenstehender ohne Kenntnis der
Grundprämissen keine zutreffenden Interpretationen liefern. Daher ist es unbe-
dingt notwendig, diese zu erkennen, um überhaupt die Kultur einer Unterneh-
mung verstehen zu können. Diese Ebene ist historisch zu interpretieren und ist
zumeist durch die Werte und Grundannahmen der Gründer oder des Gründer-
teams in die Unternehmung eingegangen (vgl. Schein, 1999). Diese Werte
schlagen sich dann oftmals in Form einer Vision, Strategie oder einer Philoso-
phie nieder (vgl. Kotter, 1993, 16).
Diese Erkenntnisse führen uns bezüglich des Themas dieser Arbeit einige wich-
tige Dinge vor Augen. Auch wenn manchmal der Eindruck erweckt wird, dass
es möglich sei, Unternehmenskultur zu simplifizieren, in kurzer Zeit zu erfassen
und zudem noch Handlungsempfehlungen abgeben zu können, so sollte man
sich zum Zwecke eines fundierten Erkenntnisgewinns von solch einfachen Vor-
stellungen eher distanzieren. Von Aussagen wie: ,,Die Internetzeit verläuft sie-
ben mal so schnell, wie die normale Zeit. Bei uns ist Kultur gleich Geschwindig-

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
24
keit" nehmen wir lieber Abstand. Die obigen Ausführungen zeigen, dass Unter-
nehmenskultur viel komplexer und subtiler ist. Zudem sind die erste und die
dritte Ebene der Unternehmenskultur nicht mittels einer standardisierten Befra-
gung erreichbar. Möchte man etwas von der Kultur eines Unternehmens erfah-
ren, so ist man den völlig subjektiven Interpretationsmustern der ,,Informanten"
ausgeliefert. Daher soll im Rahmen dieser Arbeit Unternehmenskultur nicht ab-
schließend und mit dem Anspruch auf Vollständigkeit erklärt, sondern eher be-
schrieben und vorsichtig interpretiert werden. Um eine möglichst präzise und
Unternehmenskultur
Unternehmens-,
Betriebsverfassung
Sozial-
verfassung
Sozial-
ordnung
Unternehmenskultur: Umfasst nicht nur Beziehungsmuster, sondern zusätzlich
auch andere Ausdrucksformen (Artefakte, Symbole), wie z.B. die Architektur, Tech-
nologie, Produkte, Dienstleistungen.
Unternehmens-, Betriebsverfassung: Regelungen und Formen sowohl der Be-
ziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern (Innenverhältnis) als auch zwi-
schen der Unternehmung (rechtliche) oder dem Betrieb (ökonomisch-technische
Einheit) und außenstehenden Institutionen und Personen (Außenverhältnis).
Sozialordnung: Gelebte Beziehungsstruktur in der Organisation.
Sozialverfassung: Dokumentierte Beziehungsstruktur in der Organisation.
Abbildung 3: Schematische Abgrenzung des Unternehmenskulturbegriffs
Quelle: Pullig, 2000, 13

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
25
strukturierte Beschreibung zu erreichen, ist es zudem sinnvoll, den Unterneh-
menskulturbegriff etwas stärker zu differenzieren.
Hierbei erweist sich die schematische Abgrenzung des Unternehmenskultur-
begriffs nach Pullig (2000) als besonders hilfreich. Abbildung 3 zeigt, aus wel-
chen Elementen sich die Unternehmenskultur zusammensetzt. Sie umfasst da-
bei Elemente der Sozialverfassung, der Unternehmensverfassung bzw. Be-
triebsverfassung und der Sozialordnung (zur ausführlichen Begriffsbestimmung
siehe Pullig, 2000, 12-15).
Von besonderem Interesse im Rahmen dieser Untersuchung ist der Begriff der
Sozialordnung. Es soll hierbei die gelebte Beziehungsstruktur einer Unterneh-
mung erfasst werden. Die Sozialordnung kann zum einen die formalen Struktu-
ren abbilden, wie sie in der Sozialverfassung festgeschrieben sind, solange die-
se auch gelebt werden. Sie geht aber über diese enge Sicht hinaus, indem sie
auch nicht formal festgelegte Beziehungsregeln, welche aber gelebt werden,
beschreibt (vgl. Pullig, 2000, 13-14). Es wird dabei z.B. Fragestellungen nach-
gegangen, wie:
,,Was haben die Leute sowohl auf wie zwischen den verschiedenen hie-
rarchischen Ebenen miteinander zu tun? Wie nehmen sie sich wechselsei-
tig war? Was ist ihnen am Betrieb wichtig und welche Art der Teilname am
betrieblichen Geschehen folgt daraus?" (Kotthoff, Reindl, 1991, 116).
Für jedes Unternehmen ergeben sich dabei vier Gestaltungsfelder. Dieses sind
die dispositive Arbeitsgestaltung (Entscheidungs- und Koordinationssystem),
die materiell-inhaltliche Arbeitsgestaltung (auf den Arbeitsplatz bezogene Ent-
scheidungs-, Kontroll- und Interaktionsspielräume), das Vergütungssystem und
die Gestaltung der Eigentumsverhältnisse an der Unternehmung (vgl. Pullig,
2000, 16). Diese Gestaltungsfelder werden dabei durch die jeweilige Weltan-
schauung, Werte und Grundüberzeugungen der beteiligten Menschen determi-
niert und durch Leitbilder und Grundsätze des Unternehmens gelenkt (vgl. Pul-
lig, 2000, 17). Im folgenden werden uns die beiden Gedankenmodelle von
Schein und Pullig bei der Orientierung durch das Problemfeld der Unterneh-
menskultur, je nach spezieller Fragestellung, behilflich sein.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
26
3.2 Theorie der Phänomenologie
Bei der Unternehmenskultur junger Internet-Unternehmen handelt es sich um
einen Bereich der sozialen Wirklichkeit, der bisher noch nicht eingehend unter-
sucht wurde. Zudem gibt es weder ein komplexes Theoriegebilde, anhand des-
sen es möglich wäre, dieses Feld auf allen Ebenen zu untersuchen, noch wäre
diese Vorgehensweise ratsam. Wenn die Beteiligten im Untersuchungsfeld er-
heblich mehr wissen als der Forscher, so erscheint es besser, diese zunächst
einmal zu Wort kommen und die Dinge für sich sprechen zu lassen. Zudem soll
in dieser Arbeit der Aspekt des Selbstverständnisses besonders Berücksichtigt
werden. Würde der Forscher vorab seine persönliche Sichtweise auf das Unter-
suchungsobjekt übertragen, könnte man wohl kaum noch von einer neutralen
Darstellung des Selbstverständnisses der Unternehmenskultur junger Internet-
Unternehmen sprechen, sondern vielmehr von einem spezifischen Verständnis
des Forschers. Darüber hinaus gibt es im Bereich der Organisationsforschung
einige bedeutende Vertreter, die einem deduktiven Vorgehen bei der Unter-
nehmenskulturerfassung prinzipiell kritisch gegenüberstehen. Minzberg z.B.
warnt eindringlich vor einer ,,Zerschnippelung" der Organisation in Einzelvariab-
len, da hierdurch das eigentlich Interessante verloren gehen würde. Daher tritt
er für ein induktives Vorgehen in der Organisationskulturforschung ein (vgl.
Mintzberg, 1983, 110). Diese kritische Einstellung gegenüber dem positivisti-
schen Ansatz hat in Amerika längst Einzug gehalten und zu einer interdis-
ziplinären Herangehensweise an das Thema Unternehmenskultur geführt. So
schreibt Louis z.B.:
,,... there has been a growing dissatisfaction with traditional research ef-
forts, especially those grounded in essentially positivistic views of organi-
sations. Many have become disillusioned with fundamental inadequacies
in traditional methods and the meager grasp and leverage on organiza-
tional phenomena they have provided." (Louis, 1983, 39f.).

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
27
Zusammengenommen wurde hier daher der traditionelle Pfad verlassen und die
Theorie der Phänomenologie gewählt, da hierdurch dem Zweck dieser Untersu-
chung besser entsprochen werden kann, gelebte Beziehungsstrukturen zu zei-
gen. Die Phänomenologie geht zurück auf Edmund Husserl und Alfred Schütz.
Unter Phänomenologie versteht Husserl:
,,Eine Philosophie, die gegenüber dem vorwissenschaftlichen und auch
wissenschaftlichen Objektivismus auf die erkennende Subjektivität als Ur-
stätte aller objektiven Sinnbildungen und Seinsgeltungen zurückgeht und
es unternimmt, die seiende Welt als Sinn- und Geltungsgebilde zu verste-
hen und auf diese Weise eine wesentlich neue Art der Wissenschaftlich-
keit und der Philosophie auf die Bahn zu bringen." (Husserl, 1962, 102).
Zentraler Begriff der Phänomenologie ist der Begriff der ,,Lebenswelt". Zur Defi-
nition greift Schütz auf Max Weber´s Definition der Soziologie zurück (vgl. Trei-
bel, 2000, 122):
,,Die Wissenschaften, die menschliches Handeln und Denken deuten und
erklären wollen, müssen mit einer Beschreibung der Grundstrukturen der
vorwissenschaftlichen, für den ­ in der natürlichen Einstellung verharren-
den ­ Menschen selbstverständlichen Wirklichkeit beginnen. Diese Wirk-
lichkeit ist die alltägliche Lebenswelt." (Schütz, Luckmann, 1979, 25).
Menschen greifen bei der Auslegung der Lebenswelt auf unterschiedliche Wis-
sensvorräte zurück. Diese haben sie sich durch komplexe Sozialisationspro-
zesse angeeignet. Diese Wissensvorräte werden jedoch nicht selbstständig
reflektiert, sondern fließen in Form der alltäglichen Routine in das Handeln ein.
Es entstehen so Lebenswelten, die durch Glaubenssysteme, Ideologien und
wissenschaftliche Disziplinen abgesichert werden und im Alltag helfen, gegen
abweichendes Verhalten vorzugehen (vgl. Treibel, 2000, 128-130).
Wie bereits in Kapitel 1.2 beschrieben wurde, stellt nach dem kognitiven Ansatz
dieses gemeinsame Wissen die Basis für die Unternehmenskultur bzw. Sozial-
ordnung dar. Um Unternehmenskulturen erfassen zu können, braucht man folg-
lich eine Vorgehensweise, die es einem erlaubt, in diese Lebenswelt ein Stück
weit einzutauchen und dennoch ein hohes Maß an Reflexion für den Forscher
zu ermöglichen, um die Wissensvorräte der Menschen interpretieren zu kön-

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
28
nen. Die angewandte Phänomenologie empfiehlt zu diesem Zweck ein dreistu-
figes Vorgehen (siehe Abbildung 4).
Ziel des ersten Schrittes ist es, eine möglichst vorurteilsfreie Einstellung zu
entwickeln, um subjektive Momente und theoretisches Vorwissen auszuklam-
mern. Der Erwerb dieser möglichst vorurteilsfreien Einstellung ist Vorausset-
zung für die Zuwendung zu den Phänomenen in Form einer Beschreibung. Sie
soll dabei möglichst unvoreingenommen, genau und vollständig sein. Nach der
Beschreibung soll zur Wesenserfassung vorgedrungen werden. Hierzu werden
die Bestandteile des Forschungsobjektes daraufhin untersucht, ob sie überflüs-
sig oder veränderlich sind; solche werden ausgeschlossen.
,,Die Wesenserfassung kann dabei mit einer künstlerischen Photographie
verglichen werden. Im Unterschied einer einfachen Abbildung (die der Be-
schreibung entspricht), weist eine photographische Aufnahme ein ,,Motiv"
auf, wobei Wesentliches festgehalten und herausgestellt wird. Die grund-
legende Annahme besteht darin, daß allgemeine, in zahlreichen Variatio-
nen immer wiederkehrende Gegebenheiten existieren." (Lamnek, 1993,
69).
Die verbliebenden, charakteristischen Elemente bilden dann eine Struktur, sie
konstituieren das Typische, das Wesen eines Gegenstandes.
Diese Überlegungen werden uns in den folgenden Kapiteln immer wieder dabei
behilflich sein, unser Untersuchungsziel nicht aus den Augen zu verlieren und
Theoretische
Einstellung
Möglichst vorurteils-
freie Einstellung
Enthaltung
Wesens-
erfassung
Deskription von
(Bewusstseins-) Inhalten
Abbildung 4: Angewandte Phänomenologie
Quelle: vgl. Danner, 1979, 135

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
29
dadurch die Forschungsarbeit im Sinne der Fragestellung immer wieder auf das
gesuchte ,,Wesen" zu focusieren.
3.3 Erhebungsmethode
Es wird nun eine Erhebungsmethode gesucht, die den oben beschriebenen
phänomenologischen Bedürfnissen entspricht. Hierzu wurde die Form des nar-
rativen Interviews gewählt. Beim narrativen Interview handelt es sich um eine
Erzählform, in der weder Fragebögen noch Leitfäden verwendet werden (vgl.
Atteslander, 2000, 155). Es geht darum, den Gesprächspartner nach der For-
mulierung eines allgemeinen, großen Themas zum Erzählen anzuregen. Der
Interviewer verhält sich dabei als intensiver Zuhörer. Das Gespräch wird voll-
ständig auf Tonband aufgenommen. Unterbrechungen des Erzählflusses sind
nicht erwünscht. Hierbei wird die Hypothese zugrunde gelegt, dass sich diese
Erzählungen an den grundlegenden, kognitiven Figuren oder Mustern der Er-
fahrungsrekapitulation ausrichten, die zugleich elementare Orientierungsraster
darstellen (vgl. Osterloh, 2000, 176). Diese Interviewform wurde deshalb aus-
gewählt, weil es das Ziel dieser Studie ist, das Selbstverständnis bzw. die Sinn-
beschreibungen der Organisationsmitglieder bzgl. der Unternehmenskultur zu
verstehen. Hierfür ist es besonders wichtig, dass die Interviewform sehr offen ist
und dem Interviewten ein großer Gestaltungsspielraum einräumt wird. Der In-
terviewer verhält sich lediglich anregend-passiv. Hierdurch sollen dem Forscher
auch bisher noch nicht bekannte Zusammenhänge aufgezeigt werden können.
Zudem ist es durch ein Interview in der natürlichen Umgebung und Sprache der
Befragten möglich, die künstliche Fremde zu deren Lebenswelt zu vermindern.
Bei dieser sehr aufwendigen Methode konnte, begrenzt durch die Ressourcen,
die Fallzahl nicht sehr groß sein. Dieses ist jedoch auch gar nicht notwendig, da
bei der Phänomenologie nicht mit statistischer Repräsentativität argumentiert
wird. Insgesamt wurden zehn einstündige Interviews geführt.
Bei der Auswahl der Unternehmen wurde versucht, einen möglichst großen
Querschnitt durch die in Kapitel 2.2.1 beschriebenen Geschäftsfelder zu ermög-
lichen. Dabei ergab sich, dass alle befragten Unternehmen im A2C, B2A, B2B,

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
30
C2B oder im C2A Bereich arbeiteten. Der Schwerpunkt liegt jedoch im B2B Be-
reich, was aber bei seinem überproportionalen Marktanteil nicht verwunderlich
ist. Rein quantitativ gesehen, waren die auffälligsten Unterschiede vor allen
Dingen in der Mitarbeiteranzahl (zwischen 8 und 100) dem Unternehmensalter
(zwischen 2 und 10 Jahren) und der Rechtsform (GmbH oder AG) zu sehen, so
dass zumindest hierdurch eine gewisse Spreizung erreicht wurde. Aus räumli-
cher Sicht waren, wie gefordert, alle Unternehmen in Paderborn und Umgebung
ansässig.
Die Kontaktaufnahme geschah via E-Mail, in welcher sich der Interviewer kurz
vorstellte und um Interesse bzgl. des Themas warb. Zudem konnten bereits
einige Kontakte und Eindrücke auf der Internet-World Fachmesse 2001 in Berlin
gesammelt werden.
Zu Beginn des Interviews wurden die Befragten über den Verwendungszweck
abermals informiert. Außerdem wurde Anonymität zugesichert und um die Er-
laubnis zur Tonbandaufzeichnung gebeten. Anschließend wurde um eine kurze
Beschreibung der Person des Befragten ersucht. Dieser Abschnitt endete mit
der Bitte, einen typischen Arbeitstag zu beschreiben. Allgemein sollte hierdurch
eine offene Atmosphäre geschaffen werden. Als nächstes erfolgte eine sehr
allgemein gefasste Einführung in das Thema, mit dem Ziel, die Befragten zum
Erzählen anzuregen. Für gewöhnlich begannen daraufhin etwas unstrukturierte
und springende Erzählungen. Dadurch ergab sich für den Interviewer die Chan-
ce, einige möglicherweise besonders interessante Aspekte gezielt anzutippen
und dadurch einen strukturierten Redefluss in Gang zu bringen. Dabei wurde
versucht, durch besonders intensives Zuhören und zustimmende Gestik, diesen
Redefluss in Gang zu halten. Erst wenn es zu einem Abbruch der Erzählungen
seitens des Befragten kam, wurden durch Nachfragen Unklarheiten beseitigt.
Eventuell erfolgte an einer solchen Stelle auch die direkte Nachfrage nach In-
tentionen und Motiven. Je nachdem, wie lange sich dieses Prozedere hinzog,
konnten gezielt weitere Anstöße gegeben werden, um eine erneute Erzählung
anzuregen und das zugesicherte Zeitbudget von ca. einer Stunde auszuschöp-
fen.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
31
Im Allgemeinen war es bei der Befragung von besonderer Wichtigkeit, keinen
zu starken Einfluss auf die freien Assoziationen des Befragten zu nehmen. In
sieben von zehn Interviews ist diese Gradwanderung auch gelungen. Obwohl
natürlich auch in diesen Gesprächen ein gewisser Einfluss des Befragenden auf
die Erzählungen bestanden hat, so war dieser doch nicht dominant und ließ den
Befragten genügend Spielraum. Bei den restlichen drei Interviews hat sich die
gewünschte freie Assoziation der Befragten nicht eingestellt. Die Interviewten
nahmen hier eine sehr passive Rolle ein und erwarteten, dass ihnen konkrete
Fragen gestellt werden. Aber auch wenn ihnen diese dann, entgegen den ur-
sprünglichen Absichten des Interviewers, gestellt wurden, konnten innerhalb
dieses Fragerahmens keine freien Assoziationen geweckt werden, die auf das
Selbstverständnis der eigenen Unternehmenskultur schließen ließen. Die Ant-
worten waren dann zumeist sehr sachlich, kurz und knapp und beschrieben
keine kognitiven lebensweltlichen Inhalte.
Hierdurch bestätigten sich bestimmte Aussagen zur narrativen Interviewmetho-
dik, welche besagen, dass narrative Interviews extrem hohe geistige und
sprachliche Ansprüche an die Befragten stellen und bei mangelnder Eignung
kein Erzählfluss angeregt werden kann. Um die Ergebnisse der Untersuchung
nicht zu verfälschen, wurden die gewonnen Informationen dieser drei Interviews
nicht in die Analyse miteinbezogen.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
32
3.4 Analysemethoden und deren Ergebnisse
Das Ziel der Auswertungsphase ist es, gemäß Abbildung 4, von einer Deskripti-
on der Bewusstseinsinhalte, die uns nun in Form von kognitiven Figuren auf
Tonband vorliegen, zu dem eigentlichen Wesen des Selbstverständnisses jun-
ger Internet-Unternehmen bzgl. ihrer Unternehmenskulturen vorzustoßen. Es
geht dabei folglich um die Klärung der Frage, welche kognitiven Strukturen un-
sere jungen Internet-Unternehmen aus den unendlichen Möglichkeiten an kog-
nitiven Figuren ausgewählt haben, um sie in ihrer Lebenswelt zur Anwendung
zu bringen. Bei der hier anzuwendenden qualitativen Analyse entstehen dabei
einige Probleme:
So tendieren qualitative Daten dazu, den Forscher ständig zu überladen, da die
reine Anzahl an beobachteten Phänomenen, Notizen, Tonbandaufnahmen und
ihre Transkribierung, die benötigte Zeit, um zu kodieren und zu analysieren,
oftmals die Belastungsgrenzen übersteigen. Aber das eigentliche Hauptproblem
ist noch viel schwerwiegender. Im Gegensatz zur quantitativen Analyse, wo kla-
re Richtlinien für die Auswertung jederzeit verfügbar sind, kann der qualitative
Forscher nur auf weniger präzise Richtlinien zurückgreifen, um sich vor einer zu
starken Beeinflussung durch das Untersuchungsfeld zu schützen. Wie kann er
folglich sicherstellen, dass die gefunden Aussagen nicht schlichtweg ,,falsch"
sind? (vgl. Miles, 1983, 118).
Mit absoluter Sicherheit wird sich diese Frage vermutlich nie beantworten las-
sen. Das einzige, was ein Forscher in dieser Situation machen kann, ist es, die
Vorgehensweise seiner Analyse absolut offen zu legen und für jeden Interes-
senten nachvollziehbar und prüfbar zu machen. Dieses Vorgehen gewährt zwar
nicht die absolute Richtigkeit, ermöglicht aber einen etwaigen höheren Wahr-
heitsgehalt dadurch, dass die Untersuchung jederzeit erneut an der Realität
getestet und verfeinert werden kann. Trotzdem muss die inhärente Subjektivität
bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden (vgl. Cassell, 1994, 4).

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
33
3.4.1 Ergebnisse qualitativer Inhaltsanalyse
Um dieses Ziel der intersubjektiven Nachprüfbarkeit zu erfüllen, wird für den
Zweck dieser Untersuchung die qualitative Inhaltsanalyse ausgewählt. Diese
wissenschaftliche Methode erscheint besonders geeignet, da sie unter Zuhilfe-
nahme von vorher festzulegenden Ablaufmodellen die Analyse in einzelne In-
terpretationsschritte zerlegt. Hierdurch wird sie nachvollziehbar, überprüfbar
und auf andere Gegenstände übertragbar (vgl. Mayring, 2000a, 53). Darüber
hinaus sollen mittels der qualitativen Inhaltsanalyse folgende Ziele erreicht wer-
den:
Zum einen soll ein Text generiert werden, der die beschriebenen Phänomene
kurz und knapp wiedergibt. Überflüssiges und Veränderliches soll auf diese
Weise, gemäß den Ansprüchen der Phänomenologie, wegfallen (vgl. Kapitel
3.2). Zum Anderen soll der Text nicht bloß reduziert werden, sondern es soll
sich ein ,,Photomotiv in Form von Wesenselementen zeigen. Diesen beiden
Zielen soll hier mit einer Mischung aus zusammenfassender Inhaltsanalyse und
induktiver Kategoriebildung im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse begeg-
net werden. Abbildung 5
zeigt, wie hierzu vorgegangen werden soll: Zunächst
soll im ersten Schritt die Analyseeinheit bestimmt werden. Aufgrund dessen
wurden die Tonbandaufzeichnungen zur weiteren Analyse vollständig transkri-
biert. Um die intersubjektive Nachprüfbarkeit zu gewährleisten, finden sich die
einzelnen Interviews im Anhang A dieser Arbeit wieder. Da den Interviewten
eine vollständige Anonymität zugesichert wurde, sind bestimmte Textsegmente,
wie z.B. Name der Firma, Name des Interviewten, ausführliche Produktbe-
schreibungen oder bestimmte Elemente der Firmengeschichte, unkenntlich ge-
macht worden. Weiterhin ist die Untersuchungsfrage festzulegen. Da die
zugrundeliegende Fragestellung dieser Arbeit bereits mehrfach diskutiert wur-
de, kann an dieser Stelle auf eine Wiederholung verzichtet werden. Für das
weitere Verständnis soll nur noch einmal daran erinnert werden, dass es darum
geht, das Selbstverständnis junger Internet-Unternehmen phänomenologisch zu
ermitteln. Eine deduktive Wesenserfassung verbietet sich daher von selbst.

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
34
Im nächsten Schritt sollen dann die 140 Seiten des transkribierten Materials auf
inhaltstragende Textstellen, gemäß der Fragestellung, untersucht werden.
Hierdurch soll dann Unwesentliches, Ausschmückendes und vom Thema Ab-
weichendes ausgeschlossen werden. Darüber hinaus muss das Abstraktionsni-
veau festgelegt werden, nach dem die Paraphrasen ermittelt werden sollen, um
zu einer Textreduktion zu gelangen. In dieser Untersuchung wurden beim ers-
ten Durchgang Paraphrasen gebildet, die sich noch sehr nahe am ursprüngli-
chen Text orientierten. Eine weitere Abstraktion wird erst später in Kapitel 3.4.3
erfolgen.
Anschließend wird das Material in einem dritten Schritt Zeile für Zeile durchge-
arbeitet und bei Erfüllung des Selektionskriteriums eine entsprechende Para-
phrase, gemäß des gewählten Abstraktionsniveaus, gebildet und einer ver-
Abbildung 5: Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung
Quelle: vgl. Mayring, 2000b, 472

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
35
meintlichen Kategorie zugeordnet. Dieses geschieht mit Hilfe des sogenannten
,,offenen Kodierens". Dabei werden sogenannte ,,theoriegeneriende" Fragen an
den Text gestellt:
-
,,Was? Worum geht es hier? Welches Phänomen wird angesprochen?
-
Wer? Welche Personen, Akteure sind beteiligt? Welche Rollen spielen
sie dabei? Wie interagieren sie?
-
Wie? Welche Aspekte des Phänomens werden angesprochen (oder
nicht angesprochen)?
-
Wann? Wie lange? Wo? Wie viel? Wie stark?
-
Warum? Welche Begründungen werden gegeben oder lassen sich er-
schließen?
-
Wozu? In welcher Absicht, zu welchem Zweck?
-
Womit? Welche Mittel, Taktiken und Strategien werden zum Erreichen
des Ziels verwendet?" (Böhm, 2000, 477-478).
Hierbei greift der Forscher auch auf sein Hintergrundwissen über den zu unter-
suchenden Bereich zurück (vgl. ebenda, 478). Wenn erneut das Selektionskrite-
rium erfüllt ist, erfolgt eine Subsumtion unter einer bereits gebildeten Kategorie
oder es wird eine Neue gebildet.
Nach einer Durcharbeitung von etwa 10-50% des Materials werden in einem
vierten Schritt die Kategorien überarbeitet und ggf. das gesamte Prozedere er-
neut angestoßen, sofern die Kategorien einer formativen Reliabilitätsprüfung
nicht standhalten. Ist dieses nicht nötig, erfolgt im fünften Schritt der entgültige
Materialdurchgang, nebst summativer Reliabilitätsprüfung, mit anschließender
Interpretation und Analyse im sechsten Schritt.
Als Ergebnis zeigt sich in dieser Untersuchung ein System von 11 Kategorien,
welche sich durch 299
Paraphrasen ausdrücken, die mit konkreten Textpassa-
gen im Originaltranskript verbunden sind. Im Anhang B finden sich daraus ab-
geleitet die einzelnen Interviews, bestehend aus einer Sequenz an Paraphra-
sen, welche jeweils mit einer Kategorie verknüpft sind. Zudem lassen sich dann
die entsprechenden Paraphrasen jeweils nach Kategorien sortieren. Eine ent-
sprechende Aufstellung der Paraphrasen, alphabetisch sortiert nach Katego-
rien, findet sich daher im Anhang C
.
Ordnet man die Kategorien nach der An-

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
36
zahl der in ihr genannten Paraphrasen, so ergibt sich Abbildung 6 als Überblick
der gewonnenen Kategorien.
Name der Kategorie
Anzahl an Paraphrasen
Persönliche Beziehung
43
Selbstverantwortung 43
Kommunikation
37
Entscheidung
35
Mitarbeiterstruktur
31
Hierarchie 26
Vergütung
23
Arbeitsteilung und Spezialisierung
20
Freizeitaktivität
14
Eigentumsverhältnisse 14
Selbstorganisation
13
Summe 299
Somit konnte bereits ein großer Schritt zur Beantwortung der Fragestellung ge-
tan werden. Dem geneigten Leser erschließen sich bereits jetzt drei Möglichkei-
ten, sich dem Selbstverständnis der Unternehmenskultur junger Internet-
Unternehmen zu nähern. Er kann die 140 Seiten Originaltranskript lesen und
sich so einen unmittelbaren und intuitiven Eindruck ermöglichen. Möchte er von
einer einfachen paraphrasierten Beschreibung profitieren, um sich einen origi-
naltextnahen Überblick zu verschaffen, so kann er die Paraphrasensequenz zu
dem jeweiligen Interview lesen und bekommt so einen sehr komprimierten Ü-
berblick über die wichtigsten Aussagen. Als dritte Möglichkeit bietet sich ein
schneller und überblicksartiger Eindruck in Form von Abbildung 6 an.
Hiermit sind die Analysemöglichkeiten jedoch noch nicht ausgeschöpft. So bie-
tet es sich an, mögliche Verbindungen zwischen den einzelnen Kategorien zu
untersuchen. Zudem ist es sinnvoll, das ganze Kategoriensystem im Sinne der
Fragestellung zu interpretiert, um über weitere Generalisierungen, das Wesen
Abbildung 6 : Darstellung der gewonnenen Kategorien
Quelle: eigene Darstellung

Empirische Analyse interpretativer Sichtweisen
37
der Unternehmenskultur junger Internet-Unternehmen klarer heraus zu kristalli-
sieren und so für den Leser besser verständlich zu machen.
3.4.2 Gestaltungsfelder, Kategorien und deren Verbindungen
Der Zweck der Analyse von Verbindungen zwischen den Kategorien liegt darin
begründet, dass man hierdurch versucht, Strukturen offen zu legen, um somit
dem gesuchten ,,Photomotiv" näher zu kommen. Außerdem verbessert eine
derartige Struktur das Verständnis für das Untersuchungsobjekt und bietet so-
mit einen Rahmen für weitere Interpretationen und Generalisierungen. Grund-
sätzlich lassen sich die Verbindungen zwischen den Kategorien und evtl. Grup-
pierungen entweder induktiv oder deduktiv bilden.
Da in dieser Untersuchung die Daten ausschließlich mit Hilfe narrativer Inter-
views erhoben wurden, bietet der so gewonnene, frei assoziierte Text tatsäch-
lich die Möglichkeit einer induktiven Untersuchung. Diese soll auf zweierlei Art
und Weise ermöglicht werden:
Zunächst sollen alle Paraphrasen in den Kategorien darauf untersucht werden,
ob in ihnen gleichzeitig Hinweise auf andere Kategorien gegeben werden. So
deutet z.B. die Paraphrase: ,,In der Tagesarbeit gibt es ein freundschaftliches
Verhältnis und keine Einhaltung einer Hierarchie" sowohl auf die Kategorie ,,Hie-
rarchie", als auch auf die Kategorie ,,Persönliche Beziehung" hin. Somit werden
die ursprünglichen, einfachen und offenen Kodierungen in einen Zusammen-
hang gebracht. Man wählt dabei eine Kategorie als Achsenmittelpunkt und un-
tersucht, ob andere Kategorien hiermit verbunden sind, ähnlich wie auch Spei-
chen mit der Achse eines Rades verbunden sind. Daher nennt man diese Vor-
gehensweise auch axiales Kodieren (vgl. Strauss, 1998, 63).
Zudem bietet sich aufgrund des frei assoziierten Textes eine weitere Untersu-
chung an. Da bei der Befragung kein Leitfaden die Antworten vorstrukturiert hat,
lässt sich untersuchen, ob in den Interviews gewisse typische Kategorie-
Sequenzen vorliegen. Für diese Analyse wurde hier ein einfaches graphisches

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832455651
ISBN (Paperback)
9783838655659
DOI
10.3239/9783832455651
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – Wirtschaftswissenschaften
Erscheinungsdatum
2002 (Juni)
Note
1,0
Schlagworte
start-up unternehmenskultur new-economy personal organisation
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Titel: Unternehmenskulturen junger Internet-Unternehmen
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