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Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der Frühen Neuzeit

Ansatz einer soziologischen Analyse

©2001 Magisterarbeit 117 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Hexenwahn im Deutschland der Frühen Neuzeit ist eine historisch einmalige Erscheinung. Obwohl es auch heute noch weltweit Hexenverfolgungen gibt und immer wieder Menschen als Hexen bezeichnet werden, ist im christlichen Hexenglauben die Verknüpfung von Magie und Ketzerei zu einem crimen exeptum, zu einem Kapitalverbrechen, eine Besonderheit.
Im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit setzten kirchliche, gesetzliche, gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen ein, die zu einer großen Anzahl Gerichtsprozessen während des Hexenwahns führten. Spätere Entwicklungen in diesen Bereichen führten zur Beendigung der Verfolgungen. Nach der Zivilisationstheorie von Norbert Elias handelt es sich im Falle des Hexenwahns um einen gesellschaftlichen Prozeß zur Bewältigung von Ängsten vor dem Übernatürlichen. Im Rahmen seiner Theorie von der Formung der individuellen Affekte durch gesellschaftliche Entwicklungen läßt sich am Beispiel des Umgangs mit der Hexe darstellen, wie gesellschaftliche Institutionalisierung und über sie die wachsende Steuerung der Ängste funktioniert. Der Hexe wurden all die Eigenschaften zugeschrieben, die ein im Eliasschen Sinne zivilisierter Mensch weder an sich selbst wahrnehmen noch in seiner Umgebung haben wollte. Sie, die Auszugrenzende, war somit ein Werkzeug der Gesellschaft, mit dessen Hilfe exemplarisch gelernt wurde, mit Gefühlen wie Schuld, Angst, Aggression umzugehen. Die Metamorphose der Hexe von der Zauberin über verschiedene Zwischenstufen bis hin zur Märchengestalt zeigt die Wandlung auf, die das Böse in den Augen und im Glauben der Menschen bis heute durchgemacht hat. Wie dieser geschichtliche Wandel im gesellschaftlichen Affekthaushalt im Falle der Hexenverfolgungen vonstatten ging, erläutert die vorliegende Arbeit in sechs Kapiteln:
Die Einleitung gibt eine Einführung in das Thema und diskutiert den Wahrheitsgehalt einiger populärer Mythen: z. B. die Theorie, dass Millionen Hexen verbrannt worden seien. Die gegenwärtige Hexenforschung geht für das Gebiet des heutigen Deutschlands von ca. 25.000 Hinrichtungen aus. Eine andere Theorie, die immer wieder vertreten wird, ist die von der zielgerichteten Vernichtung der weisen Frauen. Dem widersprechen die mittlerweile in Mengen vorhandenen Regionalstudien, aus denen ersichtlich ist, dass erstens das Verfolgungsbegehren meist von der Bevölkerung ausging und nicht von Geistlichkeit und Obrigkeit initiiert wurde, dass zweitens […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5556
Albrecht, Heike: Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der Frühen
Neuzeit: Ansatz einer soziologischen Analyse / Heike Albrecht -
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Kassel, Universität - Gesamthochschule, Magisterarbeit, 2001
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http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Die Hexen von Salem erlitten nicht den Feuertod, sondern wurden nach Brauch
des Landes gehängt. Kurze Zeit darauf sprach man in Salem über die Ereignisse
von 1692 wie über ein großes Unglück. Der öffentliche Widerruf des Richters und
die Reue der Geschworenen von Massachusetts sind in der Geschichte der
Hexenprozesse eine einmalige Erscheinung. Die Erklärung lautete in gekürzter
Form:
,,Wir gestehen, daß wir nicht in der Lage waren, die geheimnisvollen
Halluzinationen der Mächte der Finsternis zu verstehen und uns ihnen zu
widersetzen ... Nach tieferer Einsicht und Erkenntnis befürchten wir, die
Missetat unschuldig vergossenen Blutes auf uns und dieses Volk Gottes
geladen zu haben. Es geschah aus Unwissenheit und ohne jegliche
Absicht ... Wir bekunden hiermit allen (besonders den Überlebenden)
unser tiefstes Bedauern und unsere Betrübnis über dieses Vergehen ...
das uns mit Bedrücktheit und Schrecken erfüllt. Wir bitten alle, die wir
ungerechterweise gekränkt haben, aus tiefsten Herzen um Vergebung
und erklären vor unserem Gewissen, daß keiner von uns, um nichts in
der Welt, je wieder so verfahren werde. Wir bitten Euch, hierin die
Genugtuung für die Euch zugefügte Beleidigung zu sehen; möget ihr das
Erbe unseres Herrn segnen, das wir für unser Land als Gnade erbitten.
Thomas Fisk Thomas Pearly, Senator
William Fisk John Peabody
John Bachelor Thomas Perkins
Thomas Fisk, jun. Samuel Sayer
John Dane Andrew Eliot
Joseph Evelith H. Herrick, Senator"
1
1
Seligmann 1979, S. 95

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
... 4
Geschichtlicher Hintergrund
... 9
Allgemeine Entwicklungen ... 9
Frauen in der frühen Neuzeit ... 14
Alter und Armut ... 16
Mentalität der frühneuzeitlichen Menschen ... 18
Die Gelehrten, die Kirche und die Hexerei
... 20
Die Kirchen... 20
Das gelehrte Hexenbild... 25
Ausgewählte Vertreter des gelehrten Hexenbildes... 26
Teufel und Teufelsbuhlschaft... 28
Hexenflug, Hexentanz und Hexensabbat ... 30
Ausgewählte Gegner der Hexenverfolgungen... 34
Magische Welt
... 38
Magisches Weltbild und magischer Alltag ... 38
Zauberei im Alltag und magische Berufe ... 40
Volkstümliches Bild von der Hexe... 43
Magie und Hexerei ... 45
Beispiel Milchzauber ... 46
Beispiel Sexualität und Fruchtbarkeit... 47
Beispiel Krankheit ... 48
Beispiel Wetterzauber... 51
Hexen, Hebammen und Heilige
... 51
Wie die Frau zur Hexe wurde... 51
Hebammen, weise Frauen und Ärzte ... 55
Die Heilige, das kirchliche Pendant zur Hexe ... 58
Der Prozeß
... 62
Das Delikt und die Strafe ... 62
Verdächtigungen innerhalb der Gemeinde ... 64
Die Obrigkeit und die Hexen ... 68
Die kirchliche Inquisition ... 70
Die weltliche Obrigkeit... 71
Indizien, Folter und Besagung ... 75
Opfer der Hexenverfolgungen... 77
Verlauf und Verbreitung der Hexenverfolgungen
... 79
Regionale und zeitliche Ausbreitung der Verfolgungen... 80
Klimatische Bedingungen und die Auswirkungen... 83
Verbreitung des Hexenbildes... 87
Ende der Hexenverfolgungen ... 90
Zusammenfassung und Ansatz einer soziologischen Analyse
... 94
Literaturverzeichnis
... 106
Anhang:
Zeittafel
Karte von der Verbreitung des Hexenwahns in Deutschland
Karte von der Verbreitung des Hexenwahns in Europa

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
4
Einleitung
Nachbarschaftsstreitigkeiten bis aufs Messer, Familienkrach wegen Erbangelegenheiten, Haß und
Neid zwischen Arm und Reich, Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und
Institutionen, das kennt die heutige Gesellschaft noch ebenso, wie es die Menschen in der frühen
Neuzeit erlebten. Mit dem Weltbild, den Lebensbedingungen und der Mentalität der Menschen
verändern sich allerdings die Mittel, mit denen solche Streitigkeiten ausgetragen werden.
Wie es auf der Grundlage volkstümlicher Magievorstellungen und christlicher Definition von
Hexerei und Ketzerei zum Hexenwahn in der frühen Neuzeit kam, wurde in der Vergangenheit
unter verschiedensten Prämissen untersucht, interpretiert und benutzt.
2
In der vorliegenden Arbeit wird die Entstehung und Vereinheitlichung des Hexenmusters
dargestellt. Die einzelnen Elemente werden nach ihrer Herkunft aus der Tradition der offiziellen
Kultur (der christlichen Dogmatik), der Subkultur (der stark mit heidnischen Überbleibseln
durchsetzten und von Magie geprägten Alltagsreligiösität der Landbevölkerung) und unter
Einbeziehung anderer Einflußfaktoren untersucht und daraus Ansatzpunkte zu einer
soziologischen Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Hexenstereotyp entwickelt.
Bisher kann man folgende Deutungsansätze unterscheiden :
3
· ,,Soziale Konflikttheorien", die Hexenverfolgungen als Resultat gestörter sozialer
Harmonien, sozialer Unterdrückungsversuche und als Antwort von Gemeinschaften
auf den Zerfall ihrer traditionellen und kulturellen Werte interpretieren.
4
· ,,Ausrottungstheorien", die in der Bekämpfung der Hexerei ein Mittel zur
Ausschaltung politischer, religiöser und individueller Gegner sehen.
5
· ,,Sozialdisziplinierungs- und Krisentheorien", die versuchen, die Kriminalisierung und
Ausmerzung der Hexerei, aber auch der gesamten Volkskultur, in Zusammenhang
mit der politischen und religiösen Krisensituation und dem erstarkten
Krisenbewußtsein des ausgehenden 16. und besonders des 17. Jahrhunderts zu
bringen.
6
· ,,Angsttheorien", die vor allem obrigkeitliche Hexenbekämpfung als ein Ergebnis
gesteigerter Kollektiv- und Individualängste in einer Periode sozialen, kulturellen und
ökonomischen Wandels werten.
7
· Andere Versuche einer Erklärung greifen erstaunlicherweise aber auch die alte,
unhaltbare These einer beabsichtigten, bevölkerungspolitisch wirksamen Ausrottung
heilkundiger Frauen und Hebammen durch die Kirchen und ebenso die überholte
,Sündenbocktheorie` wieder auf, die bereits als Erklärungsmuster für Ketzer-,
Zauberei-, Juden- und andere Prozesse herhalten mußte,.
8
· Schließlich C. Ginzburg mit seiner weniger auf Erklärung des
Verfolgungsgeschehens denn auf eine immanente Herleitung und mythisch-kultische
Interpretation von Einzelelementen der Hexerei abzielende Analyse des
Hexensabbats.
9
2
Das Regime der Nationalsozialisten versuchte 1935-1944 eine sogenannte Hexenkartothek anzulegen.
Dieses Unternehmen hatte ein doppeltes Ziel: es sollte nach Resten germanischen Volksglaubens gesucht
werden, und die gewonnenen Daten sollten dann zur anti-christlichen Propaganda herhalten. Vgl.
Schormann 1981, S. 8ff
Die Frauenbewegung der 1970er Jahre nahm sich der ,,Hexe" an und machte sie zur Symbolfigur im Kampf
für die Emanzipation.
3
vgl. Labouvie 1991, S. 10f
4
vgl. ebd., S. 10f, m. w. n. Macfarlane 1970, Midelfort
5
vgl. ebd. S. 10f, m. w. n. Muchembled 1982, bes. S. 63-84 u. 232-277
6
vgl. Schormann 1981, Behringer 1995
7
vgl. Delumeau 1985, S. 456-563 Bd. 2, Heinemann 1989
8
vgl. Heinsohn, Steiger 1985
9
vgl. Ginzburg 1990

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
5
Der traditionelle Hexenglaube der spätmittelalterlichen Gesellschaft führte zwar zu
Hexereiverdächtigungen und Anklagen, und manchmal kam es zur Lynchjustiz; er bot aber auch
Möglichkeiten, sich gegen Magie und Hexerei zur Wehr zu setzen und mit Verdächtigungen
umzugehen. Die ländliche Bevölkerung kannte sehr wohl die Unterscheidung zwischen akzeptabler
und abzulehnender Magie. Dies entsprach aber keineswegs dem von der Kirche gesetzten
Maßstab.
Der eigentlich dämonologische Hexenglaube geht auf die Bestrebungen der katholischen Kirche
zurück, deren Dämonologen die passende Theorie zur Untermauerung der Hexendoktrin
ausarbeiteten. Später widmeten sich auch Mediziner, Juristen und andere Gelehrte der Theorie
über die Hexen und ihre Werke. Nicht mehr der Schadenzauber, wie im traditionellen
Hexenglauben, stand jetzt im Vordergrund der Anklage, sondern der Pakt mit dem Teufel und die
Beleidigung Gottes.
Das Instrument zur Verfolgung der Hexen, die Inquisition, war von der Ketzerverfolgung her schon
vorhanden. Durch die Legitimierung der Folter und die Praxis, die Angeklagten zu Besagungen
10
aufzufordern, konnten Verfolgungswellen zustande kommen, denen Hunderte von Menschen zum
Opfer fielen. Die weltliche Obrigkeit übernahm das Verfahren, änderte die Gesetzgebung
entsprechend und führte die Verfolgungen im gleichen Sinne fort. Weitere Grundlagen des
Hexenwahns kann man in der herrschenden Frauenfeindlichkeit, der Teufels- und Hexenangst von
Männern und Frauen und in der wirtschaftlichen Not, in Hunger, Kriegen und sozialen Unruhen,
sehen.
Das theoretische System der Hexendoktrin erzeugte bestimmte Einstellungen, Denk- und
Verhaltensweisen, die im Hexenwahn gipfelten. Aus soziologischer Sicht kann dieser Prozeß als
ein kulturelles Deutungsmuster mit ,,generativem Status" gelten.
11
Alle gesellschaftlichen Kräfte
arbeiteten zusammen, um den Hexen den Garaus zu machen. Die Kirchen hatten das Hexenbild
geliefert, die Obrigkeiten ihre Justizapparate zur Verfügung gestellt und die Gemeinden halfen
durch Denunziation erheblich bei der Vernichtung unschuldiger Menschen mit.
12
Die Gesellschaft
verbrannte die ganze Zeit Frauen, die auch ihre Schwestern, Großmütter oder Nachbarinnen
hätten sein können als angebliche Hexen. Zwar waren es oft wirklich ältere, arme, manchmal
angeblich zänkische und seltsame Frauen, aber trotzdem in der Regel normale Frauen. Die Hexen
existierten nur in den Köpfen der Menschen. Die Angst vor ihnen manifestierte sich allerdings im
gesellschaftlichen Geschehen. Im ,,Hexenkessel" des Wahns befanden sich wirklich giftige Zutaten.
Während Hexenglaube und Hexenverfolgungen auf traditionellem Hintergrund
13
auch heute noch
auf der ganzen Welt zu finden sind, ist der Hexenwahn im Europa der frühen Neuzeit eine
10
Nach Schormann empfiehlt es sich, den zeitgenössischen Ausdruck des ,,Besagens" beizubehalten ,,und
nicht von ,denunzieren` zu sprechen, weil ,denunzieren` im heutigen Sprachgebrauch mehr eine freiwillige
Aussage bezeichnet." Schormann 1981, S. 18
11
vgl. Honegger 1978, S. 21
12
vgl. van Dülmen 1994, S. 94
13
vgl. Behringer 1998, S. 10, s. a. Zeittafel in Anhang

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
6
einmalige Erscheinung. Die Besonderheit im christlichen Hexenglauben ist die Verknüpfung von
Magie und Ketzerei zu einem wahrhaft beispiellosen Verbrechen. Die dämonologische
Hexendoktrin und die damit verbundenen wahnhaften Verfolgungen der angeblichen Hexen sind
eine Eigenart im Herrschaftsbereich der römisch-katholischen Kirche und des späteren
Protestantismus. Für die Gebiete der seit Mitte des 11. Jahrhunderts selbständigen orthodoxen
Kirchen sind Hexenverfolgungen dieser Ausprägung und mit diesem Hintergrund nicht bekannt -
ebensowenig wie für andere Weltreligionen.
14
Die ungefähre Dauer der Verfolgungen betrug 300 Jahre, gefolgt von ca. 100 Jahren, in denen
Verfolgungen nur noch sporadisch vorkamen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich größtenteils
auf die Hexenverfolgungen im deutschsprachigen Raum
15
, da hier die meisten und auch die
zahlenmäßig größten Verfolgungen stattfanden.
16
Ich werde den Zeitrahmen vom 15. bis zum 18.
Jahrhundert untersuchen und dementsprechend eine grobe Zeiteinteilung der
Verfolgungsgeschichte vornehmen:
· bis Beginn 16. Jahrhundert: Ketzerverfolgung, Gründung der hl. Inquisition,
Entdeckung der Hexensekte, Entwicklung der
Hexendoktrin, Hexenverfolgungen
· Beginn bis Mitte 16. Jahrhundert: Rückgang der Verfolgungen, Reformation
· Mitte 16. Jahrhundert bis
Ende 17. Jahrhundert:
Hauptzeit der Hexenverfolgungen in
Deutschland, der eigentliche Wahn
· seit Anfang 18. Jahrhundert: die Hexenverfolgungen kommen langsam zum
Erliegen
Der Begriff Hexerey wurde das erste Mal Anfang des 13. Jahrhunderts
17
benutzt. Von da an hatte
die Gefahr einen Namen und wurde erbarmungslos bekämpft. Im europäischen Durchschnitt waren
ca. 75-80% der Verfolgten weiblich, was der vorherrschenden Misogynie entsprach. Auf dem
Gebiet des heutigen Deutschlands kam es bei einer ungefähren Einwohnerzahl von 16 Millionen
Menschen zu ca. 25.000 Hinrichtungen. Doppelt bis dreimal so groß könnte die Zahl derer
gewesen sein, deren Prozesse mit anderen Urteilen oder Freispruch endeten.
18
Die auch heute
noch oft genannte Zahl von ,,neun Millionen Hexen", die immer wieder in feministischer und
esoterischer Literatur auftaucht, sollte nicht mehr verwendet werden. Sie basiert auf einer
methodologisch fehlerhaften Hochrechnung des Quendlinburger Stadtsyndikus G. C. Voigt (1740-
1791). 1869 wurde diese Angabe von einem Wiener Professor unbesehen übernommen und
später durch das Nazi-Regime propagiert.
19
14
vgl. ders. 1987a, S. 20f
15
Mir ist bewußt, daß Deutschland historisch eine bewegte Entwicklung hinter sich hat, und nicht immer in
den heutigen politischen Grenzen existierte, aber der Einfachheit halber und weil die politisch-historische
Entwicklung in der einschlägigen Literatur nachgelesen werden kann, werde ich im Verlauf dieser Arbeit den
Begriff Deutschland für den im Schwerpunkt behandelten geographischen Raum benutzen, der im
wesentlichen dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation entspricht. Vgl. ders. 1998, S.
66, s. a. Karte im Anhang
16
vgl. Karten im Anhang
17
vgl. Behringer 1998, S. 40 u. 108, s. a. Zeittafel im Anhang
18
Zum Vergleich: Italien bei einer Einwohnerzahl (EW) von ca. 13 Millionen 1000 Hinrichtungen (HR);
Schweiz: 1 Million EW/ 4000 HR, Frankreich: 20 Millionen EW/ 4000 HR, Spanien: 8 Millionen/ 300 HR,
Schweden: 800.000 EW/ 300 HR, Irland: 1 Million EW/ 2 HR, Rußland: 15 Millionen EW/ 99 HR,
Niederlande: 1,5 Millionen EW/ 200 HR. Vgl. Behringer 1998, S. 65ff
19
vgl. Behringer 1998, S. 65ff

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
7
Ein Irrtum
20
ist auch darin zu sehen, wenn die Entstehung des Hexenwahns in den ländlichen
Gebirgsraum
21
und die Wurzeln des Hexenglaubens in alten Fruchtbarkeitskulten angesiedelt
werden. Der Glaube und die Theorie, daß die Hexen die Agenten Satans auf Erden seien, um den
Menschen zu schaden, ist an die städtische Lebensweise geknüpft. Ähnlich, wie erst die
Reformation an die Stadt gebunden war; ähnlich, wie sich auch die Ketzerbewegungen in den
Städten entwickelten, so entstand dort auch das Hexenstereotyp des Hexenwahns. In die Alpen
und in die ländlichen Gebiete gelangte der Hexenwahn erst, als sich Ketzergruppierungen dorthin
zurückzogen und die Inquisitoren ihnen folgten. Die dämonologischen Hexenvorstellungen und die
Hexenverfolgungen begannen in den Städten und in den fortschrittlichsten Gebieten Europas.
Traditionelle Vorstellungen von Feen, Zauberinnen und andere magisch-heidnische Deutungen
flossen mit in das dämonologische kirchliche Hexenmuster ein und wurden nach und nach zu
einem ,,durchrationalisierten Interpretationssystem" ausgebaut.
22
Die den Hexenwahn stützende
Theorie fand ihre klassische Ausprägung gegen Ende des 15. Jahrhunderts und wurde in dieser
Form von den weltlichen Obrigkeiten, Gelehrten und den Reformatoren übernommen.
23
In der
Realität aber gab es weder einen Hexenkult, ,,der sich aus einem Fruchtbarkeitskult entwickelt
hätte, noch waren die verurteilten Frauen weise, pflanzenkundige oder rauschgiftverarbeitende
Frauen".
24
Auch die wütende Verfolgung durch die Kirche ist ein Mythos, wie sich herausstellen wird. Sie
schuf zwar die Hexendoktrin und prägte durch die Praktiken der Inquisition entscheidend die
weltliche Gesetzgebung, aber das eigentliche Verfolgungsbegehren, manchmal sogar wütendes
Verfolgungsverlangen, kam in Deutschland, angeheizt durch Prediger, Gerüchte und Berichte, aus
dem Volk.
25
Die Beschuldigungen kamen meist aus dem engeren ,,sozialen Umfeld der Beklagten
und lauteten bezeichnenderweise auf ,Zauberei`, nicht ,Hexerei`."
26
Diese Anklagen lassen sich auf
die Praxis im traditionellen, volkstümlichen Zauberglauben zurück führen.
Zu eher kollektiven Verfolgungen kam es , wenn der Verdacht bestand, daß mehrere Hexen
zusammengearbeitet hatten. Im Falle eines Wetterzaubers ging man fast zwingend davon aus,
denn man ,,wußte", eine Hexe alleine konnte diesen Zauber nicht für ein größeres Gebiet bewirken.
Zu den Massenverfolgungen trug aber hauptsächlich die Vorstellung des Hexensabbats bei, die
über den Einsatz der Folter zu den Besagungen führte, wodurch immer mehr Menschen von einer
Verfolgung betroffen wurden.
Die Verfolgungen endeten in der Regel, wenn äußere Einflüsse wie z.B. Kriege überhand nahmen,
sich die Größe eines Territoriums oder die Obrigkeit änderten, sich die Wirtschaft oder die
allgemeine Wetterlage stabilisierte oder eine betroffene Familie wegzog.
20
... der leider auch vorzugsweise in älterer feministischer Literatur (70er Jahre) und immer noch in
esoterischer Literatur neueren Datums zu finden ist.
21
siehe u. a. bei Lea, Hansen, Trevor-Roper, Murray, Ginzburg.
22
vgl. Heinemann 1998, S. 38ff; s. a. Honegger, S. 1978, S. 32f
23
vgl. Honegger 1978, S. 33
24
ebd. , S. 32f
25
vgl. Behringer 1998, S. 7f
26
vgl. Wunder 1992, S. 198

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
8
Auf jeden Fall sind nicht nur die Aufklärer für das Verfolgungsende verantwortlich zu machen. Sie
griffen in ihren Schriften lediglich das Denken und Handeln ihrer Zeitgenossen auf und faßten in
Worte, was diese nicht bewältigen konnten. ,,Aber sie waren nicht die Urheber des Denktypus, der
in ihrer Gesellschaft vorherrschte. Sie waren nicht der Schöpfer dessen, was wir ,rationales
Denken` nennen."
27
An der Beendigung der Hexenverfolgungen ist paradoxerweise wiederum die
ganze Gesellschaft beteiligt.
Ich habe in dieser Arbeit versucht herauszufinden, welche gesellschaftlichen Kräfte an den
Hexenverfolgungen beteiligt waren und wie sie zusammenwirkten. Den Ausgangspunkt hierfür
bildet eine Bemerkung von Norbert Elias, der in seinem Buch ,,Über den Prozeß der Zivilisation"
schreibt:
Eine ganz analoge Struktur [der Trieb- und Affektentwicklung
28
] zeigt zum Beispiel der
Übergang von der mittelalterlich-katholischen zur protestantischen Über-Ich-Bildung. Auch
er zeigt einen entscheidenden Schub in der Richtung einer Verinnerlichung der Ängste.
Und nur eines darf man bei alledem nicht übersehen: Daß heute, wie ehemals alle Formen
der inneren Ängste eines Erwachsenen mit Ängsten des Kindes in Beziehung zu Anderen,
mit Ängsten vor äußeren Mächten zusammenhängen.
29
Im Falle des Hexenwahns dreht es sich nach Elias um einen gesellschaftlichen Prozeß zur
Bewältigung von Ängsten vor dem Übernatürlichen: die Angst vor dem Bösen, dem Teufel und
seiner Helferin auf Erden, der Hexe.
Bei dem Gefühl der Angst, das die Menschen dieser Gesellschaft teilten, handelt es sich um eine
,,Triebfunktion im Ganzen eines Organismus"
30
. Am Beispiel des Umgangs mit der Hexe läßt sich
darstellen, wie gesellschaftliche Institutionalisierung
31
und über sie die wachsende Steuerung der
Ängste funktionierte; wie die Gesellschaft lernte, mit ihrer Angst umzugehen, das wirklich ,,Böse" zu
erkennen, es zu akzeptieren und es unter Kontrolle zu halten. Mittels des dämonologischen
Hexenstereotyps verständigte sich die frühneuzeitliche Gesellschaft über Regeln und Normen
einer christlichen Lebensführung und Gesellschaft.
32
Der Hexe wurden all die Eigenschaften
zugeschrieben, die ein im Eliasschen Sinne zivilisierter Mensch weder an sich selbst wahrnehmen,
noch in seiner Umgebung haben wollte. Sie, die Auszugrenzende, war ein Werkzeug der
Gesellschaft, mit dessen Hilfe exemplarisch gelernt wurde, mit Gefühlen wie Schuld, Angst,
Aggression umzugehen. Ihre Metamorphose von der Zauberin über verschiedene Zwischenstufen
bis hin zur Märchengestalt zeigt die Wandlung auf, die das Böse in den Augen und im Glauben der
Menschen durchgemacht hat. Die Vorstellungen von Hexe, Teufel und übernatürlichen Mächten
sank sozusagen in das kollektive Unterbewußtsein der Gesellschaft ab. Wie dieser geschichtliche
Wandel im gesellschaftlichen Affekthaushalt im Falle der Hexenverfolgungen vonstatten ging,
werde ich auf den folgenden Seiten erläutern.
27
Elias 1997, S. 406f, Bd. 2
28
Anmerkungen in [ECKIGEN KLAMMERN] sind immer von der Autorin
29
Elias 1997 Bd. 2, S. 420
30
ebd. Bd. 1, S. 357
31
,,Im Sinne von bewußt gestalteten oder ungeplant entstandener Muster, die in einer Gesellschaft
erzwungen oder durch die allseits als legitim geltenden Ordnungsvorstellungen getragen und tatsächlich
gelebt werden (...)". Hillmann 1994, S. 275
32
vgl. Behringer 1998, S. 9f

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
9
Geschichtlicher Hintergrund
Allgemeine Entwicklungen
Zu Beginn der frühen Neuzeit fanden gravierende gesellschaftliche Umwälzungen statt. Pest und
Hunger bestimmten das Leben vieler. Viele Menschen lebten in Armut, während andere im Luxus
schwelgten. Die ländliche Bevölkerung wurde von wirtschaftlichen Schicksalsschlägen besonders
getroffen. Die Bauern besaßen das Land, das sie bestellten, nicht. Es gehörte Feudalherren, die
die Kontrolle über ihr agrarisches Eigentum ausübten und das Surplus der Bauern mit Hilfe
politisch, rechtlich zwangsmäßiger Beziehungen abschöpften.
33
Ökonomische und politische Macht
waren in einer Hand, auch die Rechtsprechung war den Feudalherren überlassen. Innerhalb der
Klasse der Feudalherren gab es eine verzweigte und z.T. unübersichtliche Hierarchie. Die Rechte
des Herrn an seinem Land waren bedingt. Das Land war ihm von höhergestellten Adeligen als
Lehen
34
übergeben worden, der es wiederum selbst als Lehen erhalten hatte. An der Spitze dieser
Pyramide stand der jeweilige Monarch.
35
Dieses System hatte zur Folge, daß sich die politische
Macht niemals in einem Punkt konzentrierte. ,,Die Parzellierung der Souveränität war konstitutiv für
die gesamte feudale Produktionsweise."
36
Eine Trennung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive im Sinne der Gewaltenteilung des
modernen Staates gab es nicht. Politische Erneuerung durch das Schaffen neuer Gesetze war
unbekannt, traditionelle Gesetze galt es zu bewahren. Die richterliche Funktion bestand darin,
bestehende Gesetze zu interpretieren und anzuwenden. Ein permanenter bürokratisierter
Staatsapparat war dem Mittelalter fremd. Der adeligen Herrschaft flossen deshalb ,,örtliche
Zwangsgewalt und Administration - Polizei-, Straf-, Zollhoheit und die Macht ihrer Durchsetzung -
unausweichlich zu"
37
Die mittelalterliche `Justiz' umfaßte einen sehr viel größeren Wirkungsbereich
als die moderne. Sie nahm innerhalb des gesamten politischen Systems eine sehr viel höhere
Stellung ein. ,,Sie war der gewöhnliche Name für Macht."
38
Die feudale Gesellschaft geriet im Spätmittelalter in eine Krise. Die Bevölkerung war von der
Jahrtausendwende bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts fast um das 2,5 fache gestiegen.
39
Dies war
möglich durch die Einführung agrarischer Neuerungen, durch den Übergang von der Vieh- zur
Ackerwirtschaft und durch eine ausgedehnte Innen- und Außenkolonisierung. Hungersnöte im 14.
Jahrhundert ließen die Bevölkerungsentwicklung stagnieren. Die Pest um 1350 führte dann eine
,,demographische Katastrophe"
40
herbei. Die Bevölkerung wurde durch mehrere Seuchenzüge
33
vgl. Anderson 1978, S. 175
34
Nutzungsrecht an einer fremden Sache, gegründet auf eine Verleihung durch den Eigentümer
35
vgl. Anderson 1978, S. 176
36
ebd., S. 176
37
ebd., S. 172
38
ebd., S. 182
39
vgl. Grupe 1986, S. 24-34
40
ebd., S. 29

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
10
durchschnittlich um 40 Prozent, lokal sogar um bis zu 70 Prozent reduziert.. Bis Mitte des 15.
Jahrhunderts blieben die Bevölkerungszahlen niedrig.
41
Die Nachfrage nach Getreide ging zurück,
diese bleibt ,,im 15. Jh. so niedrig, daß eine starke Verschuldung der Bauern zu beobachten ist, die
Landflucht und die Verödung ausgedehnter Gebiete auslöste."
42
Während der Zeit des Hexenwahns, also im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit,
lebten mehr als 90% der Menschen auf dem Land.
43
In den ackerbürgerlichen Gemeinden
vollzogen sich seit dem 16. Jahrhundert gravierende Veränderungen im gesellschaftlichen Aufbau.
Es bildete sich langsam eine unterbäuerliche Schicht, der Grundbesitz und Vermögen fehlte und
die auch keine der üblichen Nutzungsrechte am Gemeindeeigentum besaß wie die Voll- und
Kleinbauern. Allerdings wurde immer wieder versucht, sie zu den gleichen Pflichten
heranzuziehen, wie sie auch von den anderen Dorfbewohnern erfüllt wurden, und dies sorgte für
Unruhe innerhalb der Gemeinden. Die Bauern der unteren Schicht mußten sich, um zu überleben,
als Tagelöhner, Wanderarbeiter oder Landhandwerker verdingen.
44
Dieser Prozeß lief in den
einzelnen Regionen unterschiedlich ab ,,doch wuchs überall diese unterbäuerliche Schicht in der
Frühneuzeit stark an. In Ravensburg hatten sich ihre Mitglieder zwischen 1550 und 1672 von 500
auf 5000 verzehnfacht."
45
Das starke Anwachsen dieser Unterschicht ist auf das starke
Bevölkerungswachstum zurückzuführen, das nach den großen Verlusten im Spätmittelalter Anfang
des 16. Jahrhunderts einsetzte.
46
Der Anteil der Kleinstädte an der Stadtlandschaft wird auf 90 bis 95% geschätzt.
47
In der frühen
Neuzeit kam es zwar zu Veränderungen, aber auch jetzt war die Kleinstadt noch immer die
typische Stadt schlechthin.
48
Seit dem Beginn der Neuzeit erlebten die Städte einen
wirtschaftlichen Aufschwung. Preiswerk siegte über Lohnwerk, d.h. es wurden nicht nur Waren
nach Auftrag, sondern auch Waren für den Markt hergestellt. Durch Spezialisierung steigerte sich
das Volumen und die Qualität der Waren. Der Handel wurde zum Welthandel. Einzelkaufmänner
(Fugger) sowie Kaufmannsgesellschaften (vorwiegend in Süddeutschland) spezialisierten sich auf
bestimmte Warengattungen. Es entstanden Frühformen des Kapitalismus: die Kapitalgesellschaft
erwuchs aus Personengesellschaften von Kaufleuten, die sich für bestimmte Unternehmungen
zusammenschlossen. Im Bergbau wichen die ,,Gewerkschaften" den Kapitalgesellschaften. Das
Geld- und Kapitalwesen entwickelte sich gegen das kirchliche ,,Zinsverbot".
49
41
vgl. ebd., S. 29
42
Bosl 1970, S. 190
43
vgl. Becker/Bovenschen/Brackert 1977, S. 53
44
vgl. Schormann 1981, S. 74-76
45
ebd., S. 76
46
vgl. ebd., S. 75
47
vgl. Ennen 1975, S. 202
,,Für die Zeit des Mittelalters wird eine Stadt mit mehr als 10000 Einwohnern allgemein als Großstadt
eingestuft, mit zwischen 2000 und 10000 Einwohnern als Mittelstadt und mit 500 bis 2000 als Kleinstadt,
(...)". Schormann 1981, S. 72
48
vgl. Schormann 1981, S. 72
49
vgl. Bosl 1970, S. 214; ,,Das Geldgeschäft wurde von großen Familien-Gesellschaften wie den Fuggern
monopolistisch organisiert und ermöglichte die Zusammenballung großer Vermögen, die wieder zum Erwerb
genutzt wurden. Kapital und Firma wurden selbständig. Der `Frühkapitalismus' war das Ergebnis der
bürgerlichen-städtischen Wirtschaft des Spätmittelalters." Ebd., S. 214

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
11
Da Naturalzahlungen in fixierte Geldzahlungen umgewandelt waren und außerdem die Knappheit
an Metallen zu wiederholten Geldverschlechterungen und damit zu Inflationen führte, kam es zum
"Niedergang des Bauerntums".
50
Die Adligen, die ebenfalls von den Kornpreisen abhängig waren,
wurden hart getroffen. Ihre ,,Lebensform war von den Luxusgütern, die in den Städten hergestellt
wurden, immer abhängiger geworden, (das 14. Jahrhundert sollte den Höhepunkt feudaler
Zurschaustellung erleben, mit burgundischen Hofmoden, die sich in ganz Europa verbreiteten),
während die Bewirtschaftung des Sallandes und die Fronabgaben von ihren Gütern immer
geringere Einkommen erbrachten."
51
Seit dem 12. und 13. Jahrhundert setzte die Landflucht ein. Blieb ein Leibeigener ein Jahr und
einen Tag in einer Stadt, war er frei. ,,Stadtluft macht frei" war ein bekannter Ausspruch aus dieser
Zeit, denn mit der Ansiedlung in einer Stadt konnte man sich den immer maßloser werdenden
Ansprüchen der Grundherren entziehen. Durch die sog. ,,Bauernknappheit" mußten die
Grundherren häufig ihre Ansprüche gegenüber den Bauern reduzieren. Teilweise wurde aber auch
eine Steigerung der Abgaben erreicht und so die Auswirkungen der Krise auf die Bauern
abgewälzt
52
().
53
Zwischen 1550 und 1650 kam es zu einer großen Anzahl von Aufständen und
Revolten, um das Joch der Leibeigenschaft abzuschütteln oder zu mildern.
54
Auch die Kirche, die der größte Grundbesitzer des Mittelalters war, wurde durch die Landflucht der
Bauern und den Machtzuwachs der Städte bedroht; ihre wirtschaftliche Position war gefährdet.
Ebenso wurde auch ihre Vormachtstellung ,,als kulturverwaltende und heilsvermittelnde Institution"
durch die allmähliche Rationalisierung der Gesellschaft und durch das alltägliche Handeln der
Bürger in Frage gestellt.
55
Seit dem 14. Jahrhundert ­ Seuchen, Hungersnöte, Aufstände, der türkische Vormarsch,
das große Schisma hatten sich damals in ihrer traumatischen Wirkung ergänzt ­ fühlt sich
eine Kultur, die sich ,Christenheit` nennt, bedroht. Diese Angst erreicht ihren Höhepunkt in
dem Moment, als die Reformation einen anscheinend nicht wiedergutzumachenden Bruch
in der Kirche hervorruft. Die Machthaber in Kirche und Staat sehen sich mehr als je zuvor
der dringenden Notwendigkeit gegenüber, den Feind beim Namen zu nennen. Es ist
natürlich Satan, der wütend seine letzte große Schlacht vor dem Ende der Welt führt.
56
Satan machte angeblich von allen verfügbaren Mitteln Gebrauch und stiftete unter anderem mit
Hilfe der ,,Hexen" Unordnung im täglichen Leben der Menschen. Die ,,Hexen" kamen aus den
eigenen Reihen, ,,deshalb muß[te] man drinnen noch wachsamer sein als außen".
57
Es existierte im Feudalismus stets ein Widerspruch zwischen der Notwendigkeit eines zentralen
Machtzentrums und der tendenziellen Ablehnung dieser Zentralmacht durch die einzelnen
Feudalherren. Der Widerstand der Bauern gegenüber stärkerer Belastung, die zunehmende Stärke
der Städte, die Streitereien des Adels untereinander trieben das System auseinander.
50
vgl. ebd., S. 214
51
Anderson 1978, S. 243
52
Gilt historisch als ,,jüngere Leibeigenschaft in Regionen Süd- und Westdeutschlands". Vgl.
Becker/Bovenschen/Brackert 1977, S. 61
53
vgl. ebd., S. 60f
54
vgl. Heinemann 1998, S. 92
55
vgl. Honegger 1978, S. 34f
56
Delumeau 1985, S. 572
57
ebd., S. 572

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
12
,,Die Konsequenz dieser Situation war eine Verlagerung der politisch-legalen Zwangsherrschaft in
Richtung auf eine zentralisierte, militarisierte, alle Autorität okkupierende Organisationseinheit -
den absolutistischen Staat.(...)
58
Dieser neue Staatsapparat war mächtig genug, um Individuen
oder Gruppen innerhalb des Adels zu vernichten oder zu disziplinieren."
59
Für den Westen Deutschlands galt dies nach Anderson nicht: Dort waren die sozialen
Gegebenheiten für die Einrichtung eines größeren Fürstenstaates denkbar ungünstig. In der
ganzen Region entstand ,,niemals eine Territorialmonarchie von irgendwie erwähnenswerter
Bedeutung."
60
Und weiter: ,,Das historische Terrain Westdeutschland war für das Entstehen eines
starken Absolutismus ungeeignet."
61
In Bayern, Sachsen und Preußen sieht Anderson die
Territorialstaaten, ,,welche die reale Möglichkeit für die Gründung einer endgültig dominierenden
Hegemonialmacht innerhalb des Reiches aufzeigten."
62
Kam es im Westen Deutschlands also
noch nicht zur Entstehung eines absolutistischen Staates wie in Frankreich oder Spanien, so war
aber die Tendenz zur Zentralisierung und Territorialisierung auch in Westdeutschland bestimmend
für die politische Geschichte der frühen Neuzeit.
Die für das 16. Jahrhundert typische Tendenz zur Intensivierung wie zur Ausweitung der
öffentlichen Gewalt trat in der territorialen Verfassungsgeschichte besonders deutlich
zutage. Träger und Nutznießer dieser Entwicklung waren durchweg die fürstlichen
Landesherren, und zwar zumeist in offenem oder latentem Konflikt mit den Ständen ihres
Landes, die das Anwachsen staatlicher Macht in den Händen des Fürsten im Interesse
ihrer herkömmlichen eigenen und eigenständigen Rechtsgewalt im Lande zu retardieren
suchten.
63
Die ökonomische und politische Macht der Städte hatte einen Höhepunkt erreicht. Aber auch sie
mußten sich in Zukunft der zunehmenden Einflußnahme der Landeshoheiten beugen. An der
Schwelle zur Neuzeit stellte die Territorialisierung und Staatenbildung eine wesentliche
Erscheinungsform der politischen Entwicklung dar. Dies alles geschah auf dem Boden einer
feudalistisch geprägten Ökonomie, in der sich nun zunehmend frühkapitalistische
Wirtschaftsformen entwickelten.
64
Waren die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen am
Übergang zur Neuzeit schon enorm und für die Gesellschaft belastend, so sprengten die
wissenschaftlichen Entwicklungen und Errungenschaften dieser Zeit alles bisher Dagewesene. Das
Wissensmonopol des Klerus löste sich langsam auf, die Bildungsexpansion führte zur Gründung
eines Schulsystems außerhalb der Klöster. Immer mehr Menschen lernten Lesen und Schreiben.
65
Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Erfindung des Buchdrucks im Jahre 1455
66
, wodurch
Wissen nicht mehr nur einer Elite zugänglich war, sondern allen (auch wenn ein Buch immer noch
eine wahre Kostbarkeit darstellte).
Ihren expliziten Ausdruck fand die Bildungsrevolution in der Begründung der modernen
Wissenschaften. Das alte kosmologisch-religiöse Weltbild, beruhend auf Astrologie, Magie,
58
(...) sind Auslassungen von der Autorin
59
Anderson 1978, S. 22, vgl. auch Elias 1997
60
ebd., S. 311
61
ebd., S. 314
62
ebd., S. 314
63
Rabe 1989, S. 18
64
vgl. Ennen 1979, S. 255f
65
vgl. Heinemann 1998, S. 92
66
Zeittafel der Weltgeschichte (keine Seitenangabe möglich)

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
13
Alchemie und den Geheimwissenschaften, wurde revolutioniert durch die objektiven, expe
rimentellen, auf Erfahrung beruhenden Wissenschaften. Die wichtigsten Vertreter der
neuen Wissenschaften waren Galileo Galilei, Kopernikus, Johannes Kepler, William
Gilbert, der Entdecker des Magnetismus, William Harvey, der Entdecker des
Blutkreislaufes, Giordano Bruno, Francis Bacon und René Descartes.
67
Wie die Expansion des gesellschaftlichen Wissens war auch die Reformation ein einschneidendes
Ereignis. Seit dem Schisma
68
der katholischen Kirche im 14. Jahrhundert mehrte sich die Kritik am
Papsttum, auch die Streitigkeiten um die kirchlichen Güter trugen nicht dazu bei, das Vertrauen der
Gläubigen in die Kirche zu stärken. Die Einnahmen beider Päpste sanken, und jeder versuchte,
durch den Verkauf von Ablaßurkunden und Steuererhöhungen die Verluste auszugleichen. Auch
,,die fortschreitende Auflösung der Ständegesellschaft, die den Menschen bislang einen
geordneten, final ausgerichteten Lebenszusammenhang garantiert hatte, in der sich die
Gesellschaft aus dem Naturgesetz und das Naturgesetz aus der politischen Ordnung hergeleitet
hatte, führte zur Freisetzung des Individuums in eine Welt, die zunehmend sinnlos und verderbt
erscheinen mußte."
69
Aus der Kritik an der bestehenden Praxis heraus entstanden laienreligiöse Bewegungen und
Sekten. Viele Gläubige begannen sich von der Kirche zu emanzipieren, und als Reaktion darauf
entwickelte die Kirche die Institution der Inquisition. Anfang des 16. Jahrhunderts kam es dann zur
Reformation, und die Kirche spaltete sich in verschiedene Konfessionen. Die katholische Kirche
gewann erst mit der Gegenreformation wieder an Einfluß. Mitte des 17. Jahrhunderts lagen die
neuen europäischen Konfessionsgrenzen schließlich fest.
70
Viele Menschen setzten sich unter
dem Einfluß der konfessionellen Auseinandersetzungen mit kirchlicher Lehre auseinander. Bei
beiden Kirchen rückte das soziale Leben der Kirchenmitglieder in den Mittelpunkt der
Aufmerksamkeit. Jede Konfession war um ihre Anhänger bemüht. Das alltägliche Leben folgte
zunehmend christlichen Normen und Regeln. Es wurde zur Pflicht regelmäßig den Gottesdienst zu
besuchen und die Kirche fing an sich der Problematik der Kinderaufzucht zuzuwenden. Die
kirchliche Trauung, die Registrierung von Geburt, Hochzeit und Tod wurde für alle verpflichtend.
Die neue Moral vollzog eine rigide Trennung zwischen Erlaubten und Unerlaubten. Sexualität
wurde streng reglementiert. die Folge des starken Interesses der Kirche an ihren Mitgliedern war
eine Individualisierung der Religion.
71
,,Die protestantische Bewegung suchte das Heil durch
moralisches Handeln zu erlangen. Sie führten häusliche Gebete ein, und die Lektüre
protestantischer Schriften wurde angeregt. Die katholische Kirche versprach das Heil nach wie vor
durch die kirchlichen Heilswerke."
72
In dieser Zeit gab es keinen religionsfreien Raum, religiöses Denken und Handeln war eine
öffentliche Angelegenheit. Kaum ein Mensch konnte über seine Konfessionszugehörigkeit frei
entscheiden. Es herrschte ,,ein Konfessionalismus mit strengen Normen und strenger
67
van Dülmen 1982, S. 293ff
68
Spaltung der kirchlichen Einheit, d. h. der Gemeinschaft in der Leitung der Kirche. Während des Schismas
im 14. Jahrhundert gab es einen Papst in Avignon und einen in Rom.
69
Honegger 1978, S. 89f
70
vgl. Heinemann 1998, S. 94f, s. a. Zeittafel im Anhang
71
vgl. van Dülmen 1982, S. 256ff

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
14
Unterordnung"
73
, in dem sich alle gegenseitig in ihren Glaubensäußerungen kontrollierten. Die
Kirche stellte neben der religiösen auch eine bedeutende sozialpolitische Macht dar, vor allem ,,mit
der Etablierung der beiden Großkirchen wurde die Verbindung von Staat und Kirche eher noch
verstärkt".
74
Das mittelalterliche Bewußtsein war in erster Linie ein religiöses Bewußtsein. Soziale
Widersprüche wurden in der Regel über religiöse Inhalte ausgetragen und es existierte die
Tendenz anzunehmen, daß die Angehörigen der unteren Bevölkerungsschichten zur Ketzerei
neigten: Die Volksreligiösität brachte man schnell mit Ketzerei in Verbindung.
75
Frauen in der frühen Neuzeit
Alleinstehende Frauen wurden als eines der größten Sozialprobleme des ausgehenden Mittelalters
und der frühen Neuzeit angesehen.
76
Etwa 40% aller Frauen waren in der frühen Neuzeit
unverheiratet.
77
Im Mittelalter herrschte Männermangel. Eine Volkszählung ergab in Frankfurt im 14.
Jahrhundert ein Verhältnis von 1000 männlichen Bürgern zu 1100 weiblichen; in
Nürnberg (im 15.Jahrhundert ) wurden Knechte und Mägde mitgezählt, was das
Mißverhältnis erhöhte: auf 1000 Männer kamen 1207 Frauen. Die Zahl der Männer
dezimierte sich im Gefolge der Kreuzzüge, durch die langen und beschwerlichen
Handelsreisen, die blutigen Bürgerzwiste und Fehden. Hinzu kam eine offensichtlich
größere Resistenz der Frauen gegen Krankheiten und eine, wie Bücher schreibt, hohe
Männersterblichkeit,durch die Unmäßigkeit der Männer in jeder Art von Genuß.
78
Zölibat und das Verbot der Gesellenheirat trugen ein übriges dazu bei, daß viele Frauen allein
blieben.
79
Im 12. Jahrhundert wurden Frauen innerhalb der höfischen Kultur durch die aufblühende
Tradition des Minnesangs verehrt und bewundert. Innerhalb der zünftischen Gesellschaft waren sie
in ihrem beruflichen Werdegang durch Gesetze und Vorschriften oft gleichberechtigt. Man schätzte
die Frauen jedoch gleichzeitig als Gefahrenherd ein. Das Frauen gegen den Willen der
Ordensbrüder eigene Nonnenklöster gründeten, das sie sich vermehrt den Wanderprediger- und
Sektenbewegungen der Waldenser, Humiliaten, Katharer oder den ,,katholischen Armen"
anschlossen, und das sie spezielle Zünfte in den Städten beherrschten
80
, galt als Beweis für die
Rechtmäßigkeit dieses Argwohns.
Den adeligen Frauen und den Bürgerinnen bot das Klosterleben eine Alternative zur
Eheschließung. Die Anzahl der Frauenklöster stieg dementsprechend seit dem 11. Jahrhundert
stetig an.
81
Auch laienreligiöse Bewegungen wie die der Beginen boten scheinbar eine Alternative.
1216 genoß ihre Glaubensgemeinschaft noch die Anerkennung des Papstes,
72
ebd., S. 256ff
73
Ders. 1994, S. 7
74
ebd., S. 7
75
vgl. Gurjewitsch, S. 355
76
vgl. Honegger 1978, S. 50; Heinemann 1998, S. 65ff
77
vgl. Heinemann 1998, S. 66; m. w. N. Ozment, S. 159ff
78
Bücher 1910, S. 8, z. n. Becker/Bovenschen/Brackert 1977, S. 63
79
vgl. Becker/Bovenschen/Brackert 1977, S. 63; m. w. N. Bücher 1910 o. o. A., S. 6, 8
80
vgl. Labouvie 1991, S. 18f
81
vgl. Becker/Bovenschen/ Brackert 1977, S. 67

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
15
aber im Rahmen der Ketzerinquisition verfolgte man auch sie . 1311 wurden die Beginen durch
den Papst offiziell der Ketzerei beschuldigt.
82
Im Rahmen der Reformation wurden in protestantischen Gebieten die vorhandenen Klöster
aufgelöst. Frauen verloren in diesen Gebieten eine wichtige Möglichkeit, ihr Leben weitestgehend
unabhängig zu gestalten. 1348 kam es in Europa zu großen Pestepidemien und viele Menschen
zogen heimatlos durch die Lande. Auch entlaufene leibeigene Bauern und viele Frauen trugen zur
Vergrößerung dieser Bettlerheere bei. Sie hatten durch Naturkatastrophen ihre Existenzgrundlage
verloren, oder sie flüchteten vor den unmäßigen Forderungen ihrer Landesherren bzw. vor den
blutrünstigen Kämpfen der Herren untereinander, die ohne Rücksichten auf ihre Untertanen die
Felder verwüsteten und das Vieh abschlachteten. Die Städte, die von diesen Bettlerheeren
heimgesucht wurden, konnten dieses Problem nicht bewältigen.
83
Horden von armen Frauen
,,trieben sich auf den Landstraßen als Gauklerinnen, Sängerinnen, Spielerinnen, in Gesellschaft
von fahrenden Schülern und Klerikern umher und überschwemmten die Messen und Märkte".
84
In der Regel hatten Frauen aller Schichten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert relativ gute soziale
Bedingungen. Die handwerkliche Produktion dehnte sich aus. Frauen hatten zwar keine politischen
Rechte, aber sie konnten selbständig Geschäfte führen und Bürgerrechte erwerben. Im 16.
Jahrhundert kam es zu gravierenden Veränderungen ihrer Situation als Folge einer schweren
Wirtschaftskrise. Die politische Unmündigkeit der Frauen führte dazu, daß sie nach und nach aus
den Zünften ausgeschlossen wurden.
85
Männer verdrängten die Frauen nun auf Hilfsposten und
übernahmen auch bisher typisch weibliche Arbeitsgebiete. Frauen wurden von Männern verstärkt
als Konkurrenz empfunden.
86
Das Verlagssystem entwickelte sich und kleine Meisterbetriebe wurden zunehmend abhängig vom
Verleger. Ähnlich erging es den Frauen auf dem Land, die durch Heimarbeit ihren Lebensunterhalt
verdienten oder aufbesserten. Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden Manufakturbetriebe, die
zwar Arbeitsmöglichkeiten für Frauen boten, aber eine sehr hohe körperliche Belastung darstellten,
so daß nur junge Frauen diese Arbeitsbedingungen aushalten konnten. Ältere Frauen waren nun in
einem hohen Maß auf ein Einkommen durch Betteln oder durch andere Unterstützung angewiesen.
Gleichzeitig kam es zu einer Verelendung großer Teile der Bevölkerung, ausgelöst durch die
wirtschaftliche Krise.
87
,,Von der ökonomischen, sozialen und demographischen Krise des 16.
Jahrhunderts und von der Stagnation der Landwirtschaft wurden die Frauen am stärksten
getroffen. Abermals zogen sie in Scharen über die Straßen und durch die Wälder, füllten
Gefängnisse, Armen- und Irrenhäuser."
88
Das alte System der Nachbarschaftshilfe brach
zusammen.
89
82
vgl. Heinemann 1998, S. 66
83
vgl. Becker/Bovenschen/1977, S. 60
84
Bebel 1911, S. 72; z. n. Honegger 1978, S. 50
85
vgl. Heinemann 1998, S. 65ff
86
vgl. Honegger 1978, S. 117; m. w. N. Albistur/ Armogathe 1977, S. 137
87
vgl. Heinemann 1998, S. 65ff
88
Honegger 1978, S. 117
89
vgl. Heinemann 1998, S. 65ff

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
16
Ab Mitte des 16. Jahrhunderts versuchte man, das Räubertum und die Bettelei einzuschränken. Es
kam zu gezielten Verfolgungen mit harten Strafen. Im 17. Jahrhundert dann wurden die Armen
schließlich in Armenhäuser gebracht, um dort Arbeitsdienste zu verrichten. Diese Veränderung
betraf eine große Anzahl von Frauen und Kindern.
90
Mit der Entstehung großer Manufakturen mußten Trödlerinnen und Soldatenweiber,
Zuchthäuslerinnen, Irre und ,Hexen` für die Unternehmer spinnen und Seide haspeln. Der
Anteil der Frauen und Kinder in den Manufakturen, mehr oder weniger reine
Zwangsanstalten, wuchs beständig. So erlebte die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts die
Geburt eines weiblichen Subproletariats, das rigide der männlichen Vorherrschaft
unterworfen wurde."
91
,,1620 werden in Hamburg, 1667 in Basel, 1668 in Breslau, 1684 in Frankfurt und Spandau und
1691 in Königsberg Zuchthäuser für Arbeitslose eröffnet."
92
Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieg
ihre Zahl in Nordeuropa stark an.
Die bürgerliche Frau verschwand parallel dazu im ehelichen Heim. Sie mußte jetzt dem Ideal der
beschützenden, ordnenden und nährenden Mutter entsprechen. Mutterschaft wurde zu ihrem Beruf
und zu ihrer einzigen Bestimmung. Ihr Gegenbild war nicht das der Hexe, sondern das der Mägde,
Huren und Arbeiterinnen, also Frauen, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen mußten.
93
Die
tradierten Geschlechtsrollen erfuhren in diesem Prozeß eine juristische Neudefinition: Nun galt
endgültig ,,die Dominanz des allein vernunftbegabten Mannes über die Frau als vorgebliches
Naturwesen als die Grundlage jeder Staatsordnung."
94
Alter und Armut
In der frühen Neuzeit lag zwar die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen bei ca.
dreißig Jahren, aber man darf deshalb nicht dem Irrtum erliegen, es hätte keine oder nur sehr
wenige alte Menschen gegeben. Das niedrige Durchschnittsalter ergab sich durch die hohe
Säuglings- und Kindersterblichkeit und aus dem hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen in der
Gesamtbevölkerung.
95
Wenn auch beide Geschlechter in dieser Zeit ein hohes Alter erreichen konnten, so wurden doch
Frauen in dieser Gesellschaft mit dem Beginn der Wechseljahre, spätestens im Alter von 50
Jahren, als alt angesehen.
96
Männer hingegen standen aus gesellschaftlicher Sicht in diesem Alter
in der Blüte ihres Lebens und konnten erst jetzt ihren vollen sozialen Status erreichen. Die Ehefrau
nahm zwar an diesem Statusgewinn teil und konnte diesen auch durch Verwitwung und
Wiederheirat an einen sozial weniger privilegierten Mann weiter vermitteln, aber aus eigener Kraft
war eine höhere gesellschaftliche Position normalerweise für sie nicht zu erreichen. Der Status,
90
vgl. ebd., S. 68; m. w. N. Wolf-Graaf 1983, S. 105
91
Honegger 1978, S. 117
92
Foucault 1969, S. 73f, 79f; z. n. Delumeau 1985, S. 602
93
vgl. Honegger 1978, S. 123
94
ebd., S. 91
95
vgl. Wunder 1992, S. 43f
96
Nach Schormann (1981, S. 31) ist der Beginn des Alters bei Frauen im Europa der frühen Neuzeit schon
bei 40 Jahren anzusetzen.

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
17
den sie von Geburt an besaß, prägte ihr ganzes Leben und war nur durch Heirat zu ändern.
97
Für
ledige und arme Frauen bestand die beste Altersversorgung darin, möglichst lange arbeiten zu
können, um nicht auf Almosen von fremden Personen angewiesen zu sein.
98
Der Anteil der verwitweten Frauen war Anfang 1600 relativ hoch. Für das Saarland nennt Labouvie
folgende Zahlen: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lag der Anteil der Witwen in der weiblichen
Gesamtbevölkerung von 32 untersuchten saarländischen Dörfern des Herzogtums Zweibrücken
bei 3,5-7,5% und stieg in den Kriegsjahren ab 1628 auf 10-20%.
99
Auch Kinderreichtum stellte keine Altersversicherung dar. Aus Leichenpredigten und
Kirchenbüchern läßt sich ersehen, daß nicht selten Eltern ihre eigenen Kinder überlebten und
somit im Alter allein standen. Nur etwa die Hälfte der lebend geborenen Kinder erreichte das 15.
Lebensjahr.
100
Waren erwachsene Kinder vorhanden, zogen die Eltern in der Regel erst nach dem
Tod des Ehepartners zu ihnen, ,,denn sie rechneten nicht unbedingt mit einem harmonischen
Zusammenleben".
101
Der größte Teil der alten Menschen wurde durch ihre jeweilige Gemeinde versorgt. In den
ländlichen Gebieten erhielten die Armen der Reihe nach bei den Gemeindemitgliedern ihre
Mahlzeiten. Sofern ein öffentliches Armenhaus existierte, wies man sie auch in ein solches ein,
oder sie wurden aus der städtischen Armenkasse versorgt. In den katholischen Gebieten
beteiligten sich auch die Klöster an der Armenspeisung.
102
Teilweise wurden in den
protestantischen Pfarrgemeinden auch Almosenstöcke und Armenfonds eingerichtet, die aus
kirchlichen Bußgeldern und Spenden unterhalten wurden.
103
,,Sie gestalteten die vormals
persönliche Armen- und Bedürftigenunterstützung des einzelnen Dorfmitgliedes zur anonymen,
institutionalisierten Zuteilung von Hilfsgeldern um."
104
Diese Praxis nahm in der frühen Neuzeit
immer mehr zu und löste die alte Form der Nachbarschaftshilfe ab. Die Gemeinden achteten auch
darauf, daß ihre Armenunterstützung nicht unrechtmäßig in Anspruch genommen wurde.
Einheimische Bettler wurden unterstützt, fremde wurden ausgewiesen. Verließen sie nicht
innerhalb einer bestimmten Frist die Gemeinde, konnten sie eingekerkert werden.
105
Teilweise kam
es auch zu härteren Strafen. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich gerade in protestantischen
Gemeinden eine Institutionalisierung der Armen- und Bettlerversorgung durch und ,,brachte damit
den Ortschaften selbst eine bedeutende ökonomische und emotionale Erleichterung auf diesem
Gebiet".
106
97
vgl. Wunder 1992, S. 51
98
vgl. ebd., S. 53
99
vgl. Labouvie 1991, S. 175. Die Einwohnerliste aus dem Jahr 1609 ergibt einen Anteil von 48,1% Frauen
und entsprechend einen Einwohneranteil von 51,9% Männer in den 32 Dörfern des Herzogtums
Zweibrücken.
100
vgl. Wunder 1992, S. 34
101
ebd., S. 54
102
vgl. ebd., S. 54
103
vgl. Labouvie 1995, S. 74
,,In der Herrschaft Nassau-Saarbrücken ging man sogar so weit, das durch obrigkeitliche Einrichtungen
überflüssig gewordene Almosengeben an Bettler mit einer Strafe von drei Gulden zu belegen." Archiv der
ev. Kirchengemeinde Ottweiler, Nr. 2/24-5, Fol. 12ff, z. n. ebd., S. 74
105
So geschehen im Erzstift Trier, vgl. ebd., S. 75
106
ebd., S. 75

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18
Mentalität der frühneuzeitlichen Menschen
,,Im 16. Jahrhundert war das gesellschaftliche Klima allgemein durch einen direkten und derben
Grobianismus gekennzeichnet."
107
Diese Eigenschaft galt als spezifisch ,,teutsch" und bezog sich
nicht nur auf Eß- und Trinksitten ,,sondern allgemein auf eine ungenierte Einstellung zum
menschlichen Körper, auf männliches Potenzgehabe wie auf ungezügelte weibliche Sexualgier.
Den Deutschen attestierte man nicht bloß unverhüllte Freude an Verdauungs- und
Ausscheidungsvorgängen, eine verdächtige Vorliebe für skatologische Scherze und anale
Anspielungen, sondern stets auch besonders grobe und ungeschliffene Umgangsformen, die jede
Feinheit vermissen ließen."
108
Die Menschen dieser Zeit hatten ein ,,Doppelgesicht"
109
. Spaß und
Ernst lagen eng beieinander. Auch gehörten Rauben, Plündern und Morden zur Lebensumwelt und
zum Verhaltensstandard der Menschen. Grausamkeiten gegen andere Menschen wurden als
verhältnismäßig normal empfunden. Solche Verhaltensweisen waren nicht verfemt, und
gewalttätige und rohe Personen wurden nicht vom gesellschaftlichen Umgang ausgeschlossen.
Der Aufbau der Gesellschaft ließ es oft sogar als zweckmäßig erscheinen, sich auf diese Art
anderen gegenüber zu verhalten.
110
In allen Bevölkerungsschichten in der Stadt und auf dem Land
gab es Blutrache und Privatfehden. Es kam zu regelrechten Kriegen zwischen einzelnen Familien
oder Gruppen. Das Messer war immer schnell zur Hand.
111
Vieles von dem, was uns als Gegensatz erscheint, die Intensität ihrer Frömmigkeit, die
Gewalt ihrer Höllenangst, ihrer Schuldgefühle, ihrer Buße, die immensen Ausbrüche von
Freude und Lustigkeit, das plötzliche Aufflackern und die unbezähmbare Kraft ihres
Hasses und ihrer Angriffslust, alles das, ebenso wie der relativ rasche Umschlag von einer
Stimmung zur anderen, sind in Wahrheit Symptome ein und derselben Gestaltung des
emotionalen Lebens. Die Triebe, die Emotionen spielen ungebundener, unvermittelter,
unverhüllter als später.
112
Deutschland war im Übergang zur frühen Neuzeit in Provinzen zerfallen und jede bildete
gewissermaßen eine kleine Nation für sich, deren Einwohner alle anderen verabscheuten. Es gab
eine gleichbleibende Rivalität zwischen Stadt und Stadt, zwischen Dorf und Dorf, zwischen Tal und
Tal und beständige Kriege zwischen den Nachbarn, die aus der Vielfältigkeit dieser territorialen
Einheiten selbst hervorzuwachsen schienen. Deutschland blieb, länger als seine Nachbarn, ein
relativ armes Land mit einem niedrigen Lebensstandard und durchlebte eine auffallend lange
Phase des Absolutismus. Die unterschiedlichen Regeln und Normen von Bürger- und Adelskreisen
bestanden lange Zeit ohne Berührungspunkte nebeneinander. Der Adel hatte das Steuermonopol
und Schlüsselstellungen in der Polizei- und Heeresverwaltung inne. Dem Bürgertum prägte sich
die Gewöhnung an eine starke, äußere Staatsautorität dadurch tief ein.
113
Der
Aufbau des Gewaltmonopols aber nötigte die einzelnen Menschen nicht in der gleichen
Art zu einer Kontrolle durch sich selbst, wie etwa der englische; er zwang die
107
Münch, S. 284
108
ebd., S. 292
109
Elias 1997 Bd.1, S. 199
110
vgl. ebd., S. 361
111
vgl. ebd, S. 369
112
ebd., S. 369f
113
vgl. ebd., S. 371; Bd. 2, S. 441ff

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
19
Individuen nicht zur selbständigen und halb automatischen Eingliederung in ein
lebenslängliches ,team-work`, sondern er gewöhnte die Einzelnen von klein auf in
höherem Maße an eine Unterordnung unter andere, an den Befehl von außen. (...) So
blieb die Triebregulierung des Einzelnen hier in besonders hohem Maße auf das
Vorhandensein einer starken, äußeren Staatsgewalt abgestimmt. Das
Affektgleichgewicht, die Selbstbeherrschung des Individuums kam in Gefahr, wenn diese
fehlte; es bildete sich von Generation zu Generation immer von neuem in den
bürgerlichen Massen ein Über-Ich heraus, das darauf abgestellt war, die spezifische
Langsicht, die die Herrschaft und Organisation der ganzen Gesellschaft erforderte, einem
abgesonderten und sozial höher rangierenden Kreise zu überlassen.
114
Es gab keine Zentralgewalt, die mächtig genug war, um die Menschen zur Zurückhaltung zu
zwingen. Wenn in einem Gebiet die Macht einer Zentralgewalt entstand, wenn über ein gewisses
Gebiet hin die Menschen gezwungen wurden, friedlich miteinander zu leben, dann änderte sich
auch nach und nach die Affektmodellierung und der Standard des gesellschaftlichen Umgangs
miteinander.
115
Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit setzte ein ,,Prozeß der Zivilisierung"
116
ein.
Zunehmend wurden Anstands- und Umgangsschriften veröffentlicht, die verdeutlichen sollten wie
sich ein zivilisierter Mensch idealerweise zu verhalten hatte. Elias hat im Spiegel einiger dieser
Schriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert das Vorrücken der Scham- und Peinlichkeitsschwelle
beim Essen, Trinken, Schneuzen, Spucken und im Umgang mit Nacktheit und Sexualität
aufgezeigt. Seine Analyse, die auf die allmähliche Zurücknahme spontaner, unkontrollierter
Gefühle und Aktionen zugunsten einer wachsenden Selbstkontrolle hinweist, beschreibt in den
Grundzügen wesentliche Momente dieser Wandlung. Es kam zu einer Differenzierung und
Internalisierung der Affektkontrolle, Verhöflichung der Umgangsformen, zu einem rigoroser
Selbstzwang, Rationalisierung und Pazifierung des gesellschaftlichen Umgangs.
117
In diesen
Rahmen läßt sich auch der geschichtliche Ablauf der Hexenverfolgungen und die Zeit des
Hexenwahns einfügen.
Behringer führt das rigide Vorgehen gegen die ,,Hexen" auf einen ,,konfessionsübergreifenden
dramatischen Mentalitätswandel"
118
zurück, der, ausgelöst durch die Verschärfung der
Lebensbedingungen, seit Mitte des 16.Jahrhundert stattfand. Die Menschen, vor allem die
Oberschichten, waren nicht mehr sinnenfroh und lebenslustig wie in der Zeit der Renaissance. Die
pessimistische Grundeinstellung und die Verhärtung der gesellschaftlichen Strukturen wurden noch
verfestigt durch konfessionelle Prediger, die gerade den Oberschichten ein gesteigertes
Sündenbewußtsein einredeten und außergewöhnliche Geschehnisse als Zeichen von Gottes Zorn
auslegten.
119
Dies war der Nährboden für die umfassenden Programme der Sozialdisziplinierung, aber
auch für mystische und apokalyptische Visionen einer Oberschicht, die frei von
unmittelbaren Alltags- und Überlebenssorgen in den Sog des Mentalitätswandels geriet.
114
ebd. Bd. 2, S. 441ff
115
vgl. ebd. Bd. 1, S. 371
116
vgl. ebd.
117
vgl. ebd.
118
Behringer 1991/92, S. 41
119
vgl. ebd., S. 41f

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
20
Gerade der gesellschaftlichen Elite wurde der Schraubstock äußerster Selbstdisziplin und
asketische Sittenstrenge, permanente religiöse Übungen zur Versöhnung der Gottheit,
höfische Selbstdiszliplin und harte Arbeit. Der düstere, blutige Ernst, mit dem dieser
Umbau aller Gewohnheiten (...) betrieben wurde, setzte sich bis in die privatesten Bereiche
fort.
120
Der Zwang zur Selbstkontrolle wuchs, und unter dem Einfluß dieser individuellen Umformung des
Verhaltens der Menschen wandelte sich der Standard des gesellschaftlichen Umgangs.
Die Gelehrten, die Kirche und die Hexerei
Die Kirchen
Die Kirche breitete sich während der Spätantike und dem frühen Mittelalter in Europa aus und
wurde überall mit anderen Religionen und Kulten konfrontiert. Im Zuge ihrer Missionierungstätigkeit
mußte sie sich mit ihnen auseinandersetzen und sich abgrenzen, sollte der eigene Glaube sich
nicht vermischen mit den ,,Glaubensvorstellungen der keltischen, germanischen und slawischen
Völker, welche neben einigen Hauptgottheiten eine Vielzahl von Neben- und Lokalgöttern
kannten."
121
Es gab Kulte um Quellen, Bäume und Steine. Deren Bedeutung ging aber, ebenso wie
das Wissen um jahreszeitlich bedingte Feste und Rituale, im Laufe der Christianisierung verloren.
Die fremden Götter wurden seitens der Kirche den Dämonen des Christentums gleichgestellt und
ihre Kulte wurden als Teufelsanbetung gewertet. Die spezielle Sichtweise der christlichen
Missionare vereinheitlichte diese vorchristlichen Glaubensvorstellungen, um sie auf diesem Wege
effektiver bekämpfen zu können. ,,Auf die alten Götter und Kulte wurde nur soweit eingegangen,
daß den Missionierten eine Identifikation noch möglich war."
122
,,Heidnische Götter wie Wotan
spielten zwar direkt spätestens seit dem hohen Mittelalter keine Rolle mehr, doch Vorstellungen
wie die von den nächtlichen Fahrten des ,Wuotens Heer` oder ,Wütis Heer`, der ,Wilden Jagd`, der
,Gerechten Schar` und der ,Nachtfahrt` der ,Unholden`, der Frau ,Huldie` oder ,Berchte`, der nachts
Schüsseln mit Mahlzeiten auf den Tisch gestellt wurden, um sie günstig zu stimmen, blieben in der
Bevölkerung lebendig."
123
Genauso wurden weiter magische Handlungen durchgeführt, um das
Schicksal im eigenen Sinne zu beeinflussen und um die in den Dörfern oft seit Generationen
bekannten zauberkundigen Menschen durch Abwehrmagie und Gegenzauber in Schach zu
halten.
124
Die Kirche verurteilte diese Praktiken der Zauberei als ,,Aberglaube" oder als
,,Gegenglaube" und setzte sich auf ihre eigene Art zur Wehr. Um ihre Abwehrkraft gegen böse
Mächte unter Beweis zu stellen, entwickelte die Geistlichkeit ein eigenes magisches
Instrumentarium, z. B. Wetterglocken zum Schutz vor Hagel oder die Vergabe von geweihten
120
ebd., S. 42
121
van Dülmen 1987, S. 15f
122
ebd., S. 15f
123
Staber, Beichtspiegel, S. 13, 18; z. n. van Dülmen 1987, S. 17f
124
vgl. Behringer 1998, S. 27

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
21
Gegenständen als Amulette gegen das Böse.
125
Die magische Aneignung christlicher
Heilsangebote tolerierte man in der religiösen Praxis als notwendigen Kompromiß. In zentralen
Bereichen des Glaubens kam es sogar, wie in der mystischen Eigenwirkung der Sakramente, zu
einer regelrechten Symbiose magischen und christlichen Denkens. Man kann von einer kirchlichen
Magie sprechen, die allein Gott bzw. dem geweihten Priester magische Macht zuwies. Im
Unterschied zur populären, die übersinnliche Kräfte einzelnen Personen zuschrieb.
126
In der seelsorgerischen Praxis wurden Zauberei oder Zaubergläubigkeit, ebenso wie Ketzerei, bis
zum 11. Jahrhundert durch Kirchenbußen bekämpft. Mittelalterliche Bußbücher geben Aufschluß
über die Klassifizierung der einzelnen Sünden und damit auch über die verschiedenen magischen
Praktiken und den ihnen zugeordneten Kirchenbußen.
127
Nachdem sich die Kirche vermeintlich vom Heidentum
128
befreit hatte, wendeten sich die
Diskussionen anderen Themen zu. Dazu gehörten der Teufel und sein Gefolge und die kirchliche
Ablehnung der Frauen. Auch kam es zu Gegenbewegungen innerhalb der Kirche wie durch die
Waldenser, Katharer und Albigenser. Sie knüpften an die Traditionen des Urchristentums und der
Gnosis an. Die meisten dieser Sekten blieben jedoch außerhalb der kirchlichen Organisation, wenn
auch einige laienreligiöse Gruppierungen als Reformorden von der offiziellen Kirche integriert
werden konnten.
129
Im 12. und 13. Jahrhundert konnten diese Bewegungen eine große
Anhängerschaft vorweisen. Sie wirkten sehr anziehend auf die Mittel- und Unterschicht
130
und
boten ein anscheinend ,,durchaus befreiendes, emanzipatorisches, ja in religiöser Hinsicht
geradezu revolutionäres Gedankengut auf, das den zeitgenössischen Menschen als echte
Alternative zu bisherigen Lebens- und Religionsformen erscheinen mußte".
131
Besonders Frauen
schlossen sich den Ketzerbewegungen an. Im Gegensatz zur etablierten Kirche hatten sie hier
anfänglich sehr viel mehr Rechte, beispielsweise das Recht zu predigen. Später machten sich
auch hier orthodoxe Auffassungen breit, die die Frauen aus den gerade eroberten Positionen
wieder vertrieben. Für die Inquisition waren und blieben ketzerische Frauen,,Hexen".
132
Der Kampf der Kirche gegen die Zauberei läßt sich bis in die römische Antike zurückverfolgen. Hier
wurde an die Möglichkeit der Zauberei geglaubt und ihr Mißbrauch unter Strafe gestellt, wohltätige
Zauberei blieb ungestraft. Christen dagegen betrachteten jede Zauberei als teuflisch. Seit
Constantinus II. (reg. 337-361 n.Chr.) galt die Todesstrafe für jede Magie und alle Magier wurden
als Feinde des Menschengeschlechts angesehen. Diese für das christliche Europa grundlegende
Magietheorie begründete der Kirchenvater Augustinus (354-430 n.Chr.) in De Doktrina Christiana
folgendermaßen: ,,Wer magische Operationen anstellt, erwartet eine physikalisch unmögliche
125
vgl. ebd., S. 27
126
vgl. van Dülmen 1994, S. 80
127
vgl. ders. 1987, S. 16, s. a. Gurjewitsch, S. 373
128
Spezifisch christlicher Begriff, bezeichnet alle Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften.
129
vgl. Honegger 1978, S. 35
130
vgl. Labouvie 1991, S. 19
131
ebd., S. 19
132
vgl. Honegger 1978, S. 53f

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
22
Wirkung, die nur durch den Teufel erlangt werden kann."
133
Magie im weitesten Sinne bekam
damit den Status eines Zeichens, welches das Erscheinen des Teufels hervorrief.
Seit dem 13. Jahrhundert wurde die Inquisition zur eigentlichen Waffe der Kirche gegen die
Zauberei.
134
Die kirchliche Inquisition entstand im Rahmen der Bekämpfung der im 12. Jahrhundert
immer mehr zunehmenden Gefahren durch die verschiedenen Ketzerbewegungen. 1227 kam es
zur ,,Einführung von Ketzergerichten aus unmittelbarer päpstlicher Vollmacht, der päpstlichen
Inquisition."
135
Nach und nach wurde eine einheitliche Definition von Ketzerei hergestellt. Jede
Form von organisierter Laienreligiösität, jede Kritik an der Kirche galt als Ketzerei und Abfall von
Gott. Da sich aber, trotz aller Verfolgung, immer neue Sekten bildeten, ,,kam schließlich ein Prozeß
in Gang, in dessen Verlauf die Ketzer einerseits immer stärker ,kriminalisiert` wurden und ihnen
andererseits eine die Kirche entlastende Feindbildfunktion zugeschrieben werden konnte. Mit dem
Verweis auf die Feinde Gottes und das Wirken Satans in der Welt vermochte sie eigene Fehler und
Schwierigkeiten zu begründen und zu rechtfertigen."
136
Teufelsanbetung und Hexenflug, Johannes Tinktoris, Contra sectam
Vaudensium, ca. 1460
137
Von nun an und auch in den folgenden Jahrhunderten waren der Teufel mit seinem dämonischen
Heer, die Ketzer, die Frauen und immer mal wieder Juden und Moslems die Hauptfeinde der
Kirche.
138
Bei Ketzerprozessen untersuchte man magische Delikte zwar von Anfang an mit, sie
133
Behringer 1998, S. 23f
134
vgl. van Dülmen 1987, S. 21
135
vgl. ebd., S. 21
136
Honegger 1978, S. 36
137
Bild, aus: Behringer 1998, S. 11
138
vgl. Labouvie 1991, S. 19

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
23
bildeten aber keinen Schwerpunkt. Der Zusammenhang zwischen Zauberei und Ketzerei
verfestigte sich im 13. Jahrhundert nach und nach und es kam zu einer schrittweisen Verflechtung.
In Handbüchern der Inquisition von 1270, 1320 und 1376 wird Zauberei als eine Form der Ketzerei
dargestellt. Diese Entwicklung trat jedoch erst seit den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts in ein
neues Stadium, während des Pontifikats des greisen Papstes Johannes XXII. (1316-1334). Der
extrem zaubergläubige Papst erließ 1326 die Konstitution ,Super illius specula`. Mit ihr wurde die
Bestrafung der Zauberer nach dem Recht für Häretiker für den gesamten Bereich der Kirche
bestimmt.
139
Spätestens von diesem Zeitpunkt an galt aus theologischer Sicht jeder als Ketzer, ,,der Kritik übte
und unerlaubte Korrekturen am christlichen Dogma vornahm, der zudem aber auch den Abfall von
Gott vollzogen hatte, um sich entweder durch einen Pakt Satan selbst oder einer Sekte satanischer
Weltverschwörer zu verpflichten, die auf ihren Zusammenkünften Teufelsverehrung, Unzucht und
antichristliche Propaganda betrieben."
140
Durch die Hexenverfolgungen wurde in der Gestalt des
Teufels ein Gegenbild zu Gott geschaffen und internalisiert. Dinzelbacher schreibt: ,,Gerade die
Hexenverfolgungen bestärkten das dualistische Bild, das das ältere Christentum bietet: ,Sicherlich
sind die Inquisitoren selbst meilenweit von jeder Idolatrie entfernt. Aber zweifellos haben sie ihr
doch ­ ohne es zu wollen ­ unter ihren Zeitgenossen Vorschub geleistet, indem sie Satan als
einen regelrechten Gegengott solche Macht zuerkannten`."
141
Während der Ketzerverfolgungen begann die päpstliche Inquisition reine Zaubereiprozesse
durchzuführen. Es entstand die Vorstellung eines ,,Kumulativdeliktes, welches zwar ebenfalls eine
Ketzerei darstellte, aber an Abscheulichkeit alle bisherigen Ketzersekten noch soweit übertraf, daß
es immer mehr als eigenes Delikt begriffen, beschrieben und schließlich systematisch verfolgt
wurde."
142
Die Ketzer waren bisher noch verhältnismäßig leicht zu identifizieren - die Katharer
waren z. B. an Verhalten und Kleidung zu erkennen, Waldenser verweigerten Eidesleistung und
Kriegsdienst ­ anders war das bei der neu entdeckten Hexensekte, sie waren die verborgenste
und damit auch gefährlichste aller Ketzersekten.
143
Daher richtete sich auch eine besondere Wut
gegen sie, wenn man meinte, sie einmal aufgespürt zu haben.
Hatte die Kirche vorher Vorstellungen des Fliegenkönnens bekämpft und als heidnischen
Aberglauben verdammt, so mußte sie jetzt auf diese Vorstellung zurückgreifen, um die neu
entdeckte Sekte zu erklären. Denn im Gegensatz zu den bekannten Ketzersekten waren die
Angehörigen der Hexensekte im ganzen Land verteilt. Sie mußten irgendeinen Weg gefunden
haben, um zu ihren Treffen zu gelangen. Dämonologen knüpften die Verbindung zwischen Hexerei
und Flug, der nur mit Hilfe des Teufels möglich sein konnte. Ohne diese Verbindung und den
Glauben daran wäre die ganze Konstruktion des Hexenbildes zusammengebrochen.
139
vgl. Hansen 1964, S. 254f; aus: van Dülmen 1987,S. 21f
140
Labouvie 1991, S. 20
141
Gerest 1975, S.179f; z. n. Dinzelbacher 1997, S. 288
142
van Dülmen 1987, S. 22
143
vgl. Behringer 1987a, S. 24

Magisterarbeit/ Hexenwahn/ H. Albrecht
24
Die Möglichkeit einer kollektiven Verschwörung gegen die christliche Religion, die Planung und
schnelle Ausführung von Unheil wurde allein durch die Vorstrellung vom ,,Hexenflug" möglich.
144
Die Beziehung zwischen Hexe und Teufel ging auf Vorstellungen über Ketzersekten zurück, die
ihre Gottesdienste als Verkehrung christlicher Rituale zelebriert haben sollten. Für die Anhänger
der Hexensekte nahm der Teufel die Stelle Gottes ein. Diese Vorstellungen waren eingebettet in
eine angstvolle Endzeiterwartung, die sich in Europa ab dem 14. Jahrhundert verbreitete. Die
Angst vor dem Weltuntergang und dem kommenden Jüngsten Gericht war allgegenwärtig.
145
Theologen und Juristen lehrten, Gott bediene sich zur Vollstreckung seiner Gerechtigkeit der
Teufel und Hexen.
146
Sie könnten die Menschen nur mit der Erlaubnis Gottes versuchen und
quälen.
147
Dieses gelehrte Hexenbild wurde im Laufe der Zeit immer genauer ausgestaltet, und
Dämonologen, darunter Theologen, Juristen und Bischöfe verfestigten es nach und nach durch
ihre Ausführungen.
148
Das monotheistische Christentum hatte bisher den Glauben an das
Einwirken böser Dämonen nicht vollständig unterdrücken können, jetzt erlaubte ,,das von den
,vermenschlichten` Hexen mit Hilfe des Teufels verübte Maleficium einerseits die Personalisierung
der Schuld an Impotenz, Krankheiten, Seuchen oder Unwetter, andererseits eine fortschreitende
Entzauberung der Welt."
149
Reformation und Protestantismus leiteten im Umgang mit Magie und Aberglauben einen
grundlegenden Wandel ein.
Im Kampf um die Reinerhaltung der evangelischen Lehre und Kirche ging es nicht nur
darum, die Frömmigkeitsformen wie Heiligenverehrung und Wallfahrten einzustellen,
sondern auch die Messe und die Sakramente von jedem magischen Beiwerk zu befreien.
Zwar lehnte die Reformation nicht jedes Zeremoniell und Ritual ab,
Beschwörungscharakter und sakramentale Aneignung sollten jedoch vollständig
verschwinden. Besonders deutlich wird dies bei der Umwandlung der Messe in einen
Wortgottesdienst.
150
In der katholischen Kirche wurden Meinungen über die Hexensekte dogmatisch behandelt.
Abweichende Gedanken wurden nicht zugelassen. Der Hexenglaube war hier abgedeckt durch
päpstliche Erlasse und theologische Lehrmeinungen.
151
Kritiker dieses Dogmas wurden als Ketzer
verfolgt und dazu gezwungen, von ihrer Meinung abzuschwören und sie zu widerrufen. Da auf
protestantischer Seite keine verbindliche Autorität existierte, gab es hier eine große Bandbreite in
den Ansichten. Das Kontinuum reichte hier von der absoluten Verfolgungsgegnerschaft bis zu
Forderungen nach bedingungsloser Ausrottung der Hexen.
152
Luther war allerdings davon
überzeugt, daß es die Möglichkeit von Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft und Schadenzauber gebe.
153
Er bezeichnete den Teufel als ,,Fürsten dieser Welt".
154
144
vgl. van Dülmen 1987, S. 112
145
vgl. Delumeau 1985, S. 313f
146
vgl. ebd., S. 341
147
vgl. ebd., S. 373
148
vgl. Honegger 1978, S. 72f
149
ebd., S. 72f
150
van Dülmen 1994, S. 81f
151
vgl. Behringer 1987a, S. 31
152
vgl. ebd., S. 33
153
vgl. ebd., S. 32
154
ebd., S. 33

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832455569
ISBN (Paperback)
9783838655567
DOI
10.3239/9783832455569
Dateigröße
2.5 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel – Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften, Soziologie
Erscheinungsdatum
2002 (Juni)
Note
2,0
Schlagworte
aufklärung folter magie inquisition teufel
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Titel: Hexenglauben, Hexenverfolgung, Hexenwahn im Deutschland der Frühen Neuzeit
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