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Soziodemographische Strukturen in der Greifswalder Großwohnsiedlung Schönwalde II

©2001 Diplomarbeit 216 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die „Plattenbausiedlungen“ der DDR sind seit 1990 neben einem Imageverfall dieser ehemals bevorzugten Wohnquartiere einem gravierenden sozialen Strukturwandel unterworfen, der zu ersten sozialen Segregationsprozessen und der Zunahme sozialer Konflikte führte. Am Beispiel der Greifswalder Großwohnsiedlung Schönwalde II mit knapp 10.000 Einwohnern werden diese Prozesse, deren Hauptursachen in den selektiv verlaufenden Wanderungsbewegungen begründet sind, und ihre Auswirkungen auf die Stadtteilentwicklung eingehend untersucht.
Die Datenbasis der Arbeit bildet eine umfangreiche, quantitative Haushaltsbefragung, die in ca. 8% der Haushalte durchgeführt wurde. Um die soziodemographischen Strukturen und die aktuelle Situation im Stadtteil genau analysieren zu können, wurden deren Ergebnisse durch qualitative Interviews mit kommunalen Entscheidungsträgern und Gebietsexperten, durch eine weitestmögliche Auswertung vorliegender, statistischer Daten sowie durch eine Kartierung des Wohngebietes ergänzt.
Schönwalde II ist von außen betrachtet eine typische DDR-Großwohnsiedlung mit relativ homogenen Bebauungs- und Wohnungsstrukturen. Dem Wohnraumangebot folgend dominieren Single- und Paarhaushalte, während der Anteil an Familienhaushalten weit unter dem in den meisten Plattenbaugebieten der Neuen Bundesländer liegt.
Bisher überwiegen im Wohnquartier noch die mittleren Einkommensgruppen und auch die zuziehende Bevölkerung weist heterogene soziostrukturelle Merkmale auf, es sind aber inzwischen Tendenzen einer sozialen Entmischung nach unten festzustellen, die sich in prägnanten, sozialen Differenzen zu den Altbauquartieren und Randgebieten Greifswalds, problematischen Merkmalen der sozialen und demographischen Entwicklung und zunehmenden sozialen Konflikten manifestieren.
Gegenüber den Vorjahren schwächen sich die gravierenden Wanderungsverluste allmählich ab, aber auch künftig ist von einer negativen Bevölkerungsentwicklung auszugehen, da die Migrationsbereitschaft unter den Bewohnern nach wie vor als hoch einzustufen ist. Die räumlichen Bevölkerungsbewegungen verursachen neben dem drastischen soziodemographischen Wandel einen sich kontinuierlich erhöhenden Leerstand und eine unvermindert hohe Fluktuation. Die Stadt-Umland-Wanderung ist nicht mehr vorrangig für die Einwohnerverluste verantwortlich; innerstädtische und überrregionale Zielgebiete haben nach den Arbeitsergebnissen eine ebenso hohe Bedeutung.
Für Haushalte in der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


ID 5436
Schützler, Christoph: Soziodemographische Strukturen in der Greifswalder Großwohnsiedlung
Schönwalde II / Christoph Schützler -
Hamburg: Diplomica GmbH, 2002
Zugl.: Greifswald, Universität, Diplomarbeit, 2001
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2002
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Zielstellung der Arbeit ...1
2 Allgemeiner Teil ...4
2.1
Die Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus und die Wohnungspolitik in
der DDR... 4
2.1.1 Wohnungsvergabepolitik ...7
2.1.2 Bevölkerungsstrukturen
in den Plattenbausiedlungen...8
2.2
Großsiedlungen und sozialer Wohnungsbau in der Bundesrepublik ... 9
2.3
Sozialgeographische Entwicklungsprozesse in den Stadtquartieren der Neuen
Bundesländer nach 1989... 12
2.3.1
Die städtischen Strukturen im Umbruch ...12
2.3.1.1
Gründerzeitliche Viertel - Der Prozeß der Aufwertung...14
2.3.2 Suburbanisierungsprozesse ...16
2.3.3
Der Wertewandel im Zuge des Transformationsprozesses ...18
2.3.4
Kennzeichen der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsbewegung in den
Städten
Ostdeutschlands...19
2.3.5
Die Großwohnsiedlungen im Wandel ...21
2.3.5.1
Förderprogramme zur Weiterentwicklung der Großwohnsiedlungen ...24
3 Städtische
Strukturen Greifswalds...26
3.1 Demographische
Charakteristika ... 26
3.2
Gliederung Greifswalds nach Stadtteilen ... 30
3.2.1
Die Greifswalder Großwohnsiedlungen ...33
3.3
Einordnung der Großwohnsiedlung Schönwalde II ... 35
3.3.1
Bau und Planung von Schönwalde II ...35
3.3.2
Eingrenzung des Untersuchungsraumes und Beschreibung der
Ausgangssituation in Schönwalde II ...36
3.3.2.1 Der
Sanierungsstand ...38
3.3.2.2 Die
infrastrukturelle
Ausstattung des Wohngebietes...40
4 Methodik und Datenerhebung...42
4.1 Hypothesenbildung... 42
4.2
Die Haushaltsbefragung in Schönwalde II ... 43
4.2.1
Erstellung und Konstruktion des Fragebogens...43
4.2.2
Die Auswahl der Stichprobe...45
4.2.3
Pre-Test und Interviewerschulung...47
4.2.4
Der Ablauf der Befragung ...48
4.2.5
Überprüfung der Repräsentativität und Validität der Untersuchung...49
4.3 Qualitative
Interviews ... 55
5 Analytischer Teil ...56
5.1
Wohnungs- und Quartiersstrukturen ... 57
5.1.1 Leerstehender
Wohnraum ...59
5.1.2 Das
Mietpreisniveau...61
5.1.3 Quartiersbildung...62
5.2
Demographische Merkmale und Strukturen... 66
5.2.1
Die Bevölkerungsentwicklung im städtischen Vergleich...66

5.2.2
Gesamtstädtische Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung ...70
5.2.3
Kennzeichen der Altersstrukturentwicklung ...71
5.2.3.1 Räumliche
Merkmale ...76
5.2.4 Die
räumliche
Bevölkerungsbewegung...78
5.2.5
Die ausländische Wohnbevölkerung in Schönwalde II...82
5.3
Die Haushalte und ihre soziostrukturellen Merkmale ... 84
5.3.1 Haushaltsgrößen ...84
5.3.2 Haushaltsformen...87
5.3.3
Die Haushalte nach ihren sozioökonomischen Merkmalen ...92
5.3.3.1
Merkmale der beruflichen Qualifikation...95
5.3.3.2 Erwerbstätigkeit ...97
5.3.3.3 Einkommenssituation...100
5.3.3.4 Mietbelastung...105
5.3.3.5
Bewertung der Einkommenssituation durch die Befragten...107
5.4
Die soziale Situation in Schönwalde II ... 108
5.4.1
Merkmale der Wohnsituation ...108
5.4.2
Wohndauer und Herkunft...111
5.4.3
Die Umzugsbereitschaft und ihre Folgen ...115
5.4.4
Indikatoren des soziostrukturellen Wandels...120
5.4.4.1
Arbeitslosigkeit und Transfereinkommen...120
5.4.4.2
Tendenzen der sozialen Entmischung - eine zusammenfassende
Problembetrachtung ...125
5.4.5
Aspekte des sozialen Klimas in der Großwohnsiedlung ...129
5.4.5.1 Soziale
Beziehungen im Viertel...130
5.4.5.2 Die
Freizeitgestaltung der Bewohner...132
5.4.5.3
Die Beurteilung der Situation im Wohngebiet durch die Bewohner ...134
5.4.5.4 Kriminalität
und
Rechtsextremismus ...138
5.4.6 Das
Außenimage ...142
6 Risiken und Chancen der Stadtteilentwicklung ...145
6.1
Defizite und vorhandene Entwicklungspotentiale... 145
6.2
Zukunftsszenarien und Handlungsempfehlungen ... 147
6.2.1
Szenario 1: Anhaltende Abwertung ...148
6.2.2
Szenario 2: Der Prozeß der sozialen Aufwertung - Empfehlungen zur
Weiterentwicklung des Wohngebietes ...149
6.2.2.1 Bauliche
Maßnahmen ...150
6.2.2.2
Die soziale Verantwortung von Wohnungsversorgung und -politik ...154
6.2.2.3
Ausbau der sozialen und kulturellen Infrastruktur...155
6.2.2.4
Handlungsfelder in sozialen und pädagogischen Bereichen...158
6.2.2.5
Maßnahmen mit Außenwirkung ...160
7 Schlußbetrachtung...162
8 Literatur- und Quellenverzeichnis ...165
Anhang I : Textdokumente
Anhang II : Abbildungen und Tabellen
Anhang III: Übersichtskarte des Untersuchungsgebiets

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen und Diagramme:
Abbildung 3-1: Bevölkerungspyramide Stadtkreis Greifswald (Stand 30.06.1990)...26
Abbildung 3-2: Migrationssalden der kreisfreien Städte Mecklenburg-Vorpommerns. ...28
Abbildung 3-3: Gliederung der Hansestadt Greifswald in Stadtteile und Sozialräume. ...30
Abbildung 3-4: Beispielhafte Grundrisse einer 4- und 3-Zimmer-Wohnung ...38
Abbildung 3-5: Komplex modernisierter Wohnblock im Ernst-Thälmann-Ring...39
Abbildung 4-1: Vergleich der Wohnungstypen zwischen dem Gesamtbestand
in Schönwalde II und dem der Haushaltsbefragung ...52
Abbildung 4-2: Vergleich der Altersstruktur zwischen den Einwohnern in Schönwalde II
und den in der Befragung erfaßten Personen...52
Abbildung 5-1 Die Wohnungstypen in Schönwalde II nach Wohnungsunternehmen ...59
Abbildung 5-2: Schematische Übersichtskarte des Untersuchungsraumes...63
Abbildung 5-3: Die Wohnungsgrößen in Schönwalde II nach Quartieren ...65
Abbildung 5-4: Vergleich der Einwohnerentwicklung ausgewählter Stadtteile. ...67
Abbildung 5-5: Entwicklung der Altersstruktur in Schönwalde II 1992-2000. ...73
Abbildung 5-6: Änderungen der Altersklassenanteile 1992-2000 - Ein Vergleich zwischen
Schönwalde II und Greifswald. ...73
Abbildung 5-7: Vergleich der prozentualen Altersklassenanteile nach Quartieren. ...77
Abbildung 5-8: Altersstruktureller Vergleich der erfaßten Personen nach den
Wohnungsunternehmen WVG und WGG ...78
Abbildung 5-9: Kündigungsraten 2000 im ,,Schönwalde-Karree" nach Wohnblöcken...81
Abbildung 5-10: Vergleich der Haushaltsgrößen in Schönwalde II gegenüber dem
Landesdurchschnitt und Großwohnsiedlungen Mecklenburg-Vorpommerns.86
Abbildung 5-11: Haushaltsformen in Schönwalde II nach Quartieren. ...92
Abbildung 5-12: Ökonomische Haushaltstypen nach Vermieter. ...94
Abbildung 5-13: Qualifikationsniveau der erwachsenen Bevölkerung nach ökonomischen
Haushaltsformen. ...96
Abbildung 5-14: Berufsstruktur (generalisiert) der Erwerbspersonen. ...100
Abbildung 5-15: Einkommensformen der erwachsenen Bevölkerung...101
Abbildung 5-16: Kategorien des monatlichen Pro-Kopf-Einkommens nach Haushaltsformen.
104
Abbildung 5-17: Die subjektive Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Situation nach
Haushaltsformen ...108
Abbildung 5-18: Die Wohndauer in Schönwalde II nach Haushaltsformen. ...112
Abbildung 5-19: Anteil der Wohngeldempfängerhaushalte an den Haushalten in den
Sozialräumen Greifswalds im Januar 2000...123
Abbildung 5-20: Anteil der Sozialhifeempfänger an der Wohnbevölkerung mit
Hauptwohnsitz nach Sozialräumen Greifswalds 1999 und 2000...124
Abbildung 5-21: Die Zufriedenheit der befragten Personen mit der Situation in
Schönwalde II nach Straßenzügen ...135
Abbildung 6-1: Fehlende Einrichtungen in Schönwalde II aus der Bewohnersicht...145

Tabellen:
Tabelle 2-1: Die Eigentumsstruktur des Wohnraums in Deutschland ...13
Tabelle 2-2: Großwohnsiedlungen mit mehr als 2.500 WE in Berlin und den Neuen
Bundesländern. ...21
Tabelle 3-1: Migrationssalden Greifswalds gegenüber den Umlandgemeinden...29
Tabelle 3-2: Grunddaten der Stadtteile Greifswalds. ...31
Tabelle 4-1: Anteil der befragten Haushalte an der Gesamtzahl der bewohnten Wohnungen . 51
Tabelle 4-2: Befragte Haushalte und Gesamtzahl der Wohneinheiten nach Straßen...53
Tabelle 5-1: Durchschnittliche Mieten nach Eigentümer und Wohnungsgröße. ...62
Tabelle 5-2: Vergleich der jährlichen Bevölkerungsentwicklung...66
Tabelle 5-3: Bevölkerungsentwicklung der Plattenbausiedlungen Greifswalds. ...68
Tabelle 5-4: Vergleich der Altersgruppen der Großwohnsiedlungen Greifswalds. ...75
Tabelle 5-5: Innerstädtische und überregionale Wanderungsbewegungen...79
Tabelle 5-6: Wanderungsgewinne bzw. -verluste Greifswalds nach Sozialräumen und
Altersgruppen . ...80
Tabelle 5-7: Anteil ausländischer Bevölkerung nach Sozialräumen 1995 und 2000 ...82
Tabelle 5-8: Entwicklung der Haushaltsgrößen zwischen 1997 und 2000 . ...84
Tabelle 5-9: Haushaltsgrößen nach Wohnungsunternehmen...86
Tabelle 5-10: Haushaltsformen nach Personenanzahl, Alter und Geschlecht...89
Tabelle 5-11: Haushaltsformen nach Familienstand . ...89
Tabelle 5-12: Vergleich der ökonomischen Haushaltstypen in Schönwalde II mit denen in 6
Großwohnsiedlungen Mecklenburg-Vorpommerns...93
Tabelle 5-13: Höchste Abschlüsse der erfaßten Personen nach Altersgruppen . ...95
Tabelle 5-14: Berufssituation nach Haushaltsformen. ...98
Tabelle 5-15: Monatliches Haushaltsnettoeinkommen nach Haushaltsgröße ...102
Tabelle 5-16: Pro-Kopf-Einkommen der erfaßten Personen in Haushalten mit Kindern ...105
Tabelle 5-17: Die durchschnittliche Mietbelastungsquote nach Haushaltsformen
und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen (bedarfsgewichtet). ...106
Tabelle 5-18: Die Raumzahl der Wohnungen und die durchschnittliche Wohnfläche nach
Haushaltsformen. ...109
Tabelle 5-19: Sozioökonomische Indikatoren nach der Wohndauer der Haushalte. ...114
Tabelle 5-20: Sozioökonomische Indikatoren der Haushalte nach deren Umzugswunsch...118
Tabelle 5-21: Anteil der Arbeitslosen an der Bevölkerung zwischen 16 und 65...120
Tabelle 5-22: Orientierung der Bewohner in ihrer Freizeit...133

1 Einleitung und Zielstellung der Arbeit
1
1 Einleitung und Zielstellung der Arbeit
Die in industrieller Montagebauweise errichteten Großwohnsiedlungen der ehemaligen
DDR sind seit der Wende einem grundlegenden Wandel
unterworfen. Während vor
1989 die dortigen Wohnungen eine im Vergleich zur verfallenden Altbausubstanz der
Innenstädte und gründerzeitlichen Viertel hohe Wohnqualität boten und von allen Be-
völkerungsschichten gleichermaßen stark nachgefragt wurden, veränderte sich diese
Situation in den letzen 10 Jahren drastisch. Mit der zunehmenden Sanierungstätigkeit
und damit einhergehenden Aufwertung der Altbauquartiere sowie einer vermehrten
Ausweisung von Eigenheimsiedlungen im suburbanen Raum waren die Großwohnsied-
lungen einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Gleichzeitig konnten diese oftmals
uniformen Wohngebiete den gestiegenen Ansprüchen an Wohnstandard und -umfeld
v.a. sozioökonomisch besser gestellten Bevölkerungsschichten nicht mehr gerecht wer-
den. Durch Medien und Politik wurden sie zudem unmittelbar nach der Vereinigung
häufig undifferenziert als problematische DDR-Hinterlassenschaft dargestellt, so daß
diese stigmatisiert und in ihrem Außenbild nachhaltig beschädigt wurden.
Ein Großteil dieser Wohngebiete sind seit 1990 von einem überproportionalen Bevölke-
rungsrückgang, daraus folgenden Leerständen, sozialen Entmischungsprozessen und
entstehenden Konfliktpotentialen betroffen, was die zuständigen Landes- und Bundes-
behörden veranlaßte, umfassende Förderprogramme für die Wohnumfeldgestaltung und
Modernisierung der DDR-Neubausiedlungen zu initiieren. Andererseits konnten die
bisherigen Maßnahmen den Abwärtstrend vielfach nicht stoppen, so daß ein umfassen-
der Rückbau von Wohnraum bereits offen diskutiert wird und in mehreren Fällen schon
realisiert wurde. Die Weiterentwicklung der Großwohnsiedlungen zu integrierten und
urbanen Stadtteilen kann perspektivisch aber nur über eine Bündelung geeigneter sozi-
alpolitischer und stadtplanerischer Maßnahmen in Form eines sozialen Managements
unter einer verstärkten Bürgerpartizipation gelingen.
Auf die Situation in den Großwohnsiedlungen der ehemaligen DDR sowie auf die Ver-
änderungsprozesse in den Stadtquartieren seit der Wende wird in den folgenden Kapi-
teln näher eingegangen.
Am Beispiel der Großwohnsiedlung Schönwalde II der Hansestadt Greifswald, die von
einem überdurchschnittlich hohem Bevölkerungsverlust betroffen ist, werden innerhalb
dieser Arbeit die demographischen und soziostrukturellen Indikatoren sowie Entwick-
lungsprozesse analysiert, beschrieben und bewertet, um daraus Handlungsmöglichkei-
ten für die künftige Stadtteilentwicklung abzuleiten. Inwieweit die derzeitigen sozi-

1 Einleitung und Zielstellung der Arbeit
2
ostrukturellen Entwicklungstrends zu den oben beschriebenen Prozessen und damit zu
einer beginnenden Entwertung und Stigmatisierung des Wohngebietes führen oder füh-
ren können, wird als ein Schwerpunkt der Arbeit gesehen, da eine Planungs- und Woh-
nungspolitik des sozialen Ausgleichs nur dann erfolgreich möglich ist, wenn die Ursa-
chen für sozialräumliche Polarisierungen erkannt sind. Um die derzeitige Situation in
Schönwalde II besser zu verdeutlichen, sollen ferner soziostrukturelle Unterschiede
innerhalb des Wohngebietes, im Vergleich zur Gesamtstadt sowie zu weiteren Groß-
wohnsiedlungen in den neuen Bundesländern herausgearbeitet werden.
Der Stadtteil Schönwalde II war bisher noch kein Gegenstand intensiver wissenschaftli-
cher Untersuchungen, auch verfügte die amtliche Statistik nur über wenige stadtteilbe-
zogene Daten, die in aufbereiteter und kleinräumiger Form vorlagen.
Demzufolge wurde eine quantitative Haushaltsbefragung in der Großwohnsiedlung
durchgeführt, mit dem Ziel, die soziodemographischen Strukturen und die aktuelle Situ-
ation im Stadtteil analysieren zu können, die durch qualitative Interviews mit kommu-
nalen Entscheidungsträgern und Gebietsexperten sowie durch eine Kartierung und Be-
wertung des Wohngebietes ergänzt wurde. Diese Arbeitsschritte wurden im Vorfeld der
Diplomarbeit in Form des von der Hansestadt unterstützten Projektes ,,Sozialstudie
Schönwalde II" in Zusammenarbeit mit Hauke Gollin durchgeführt, dessen parallel lau-
fendes Diplomthema ,,Wohnsituation im Greifswalder Stadtteil Schönwalde II - eine
Großwohnsiedlung im Strukturwandel" einen weiteren Schwerpunkt der Stadtteilent-
wicklung untersucht.
Parallel wurde von Seiten der Greifswalder Stadtverwaltung eine Arbeitsgruppe ,,Zu-
kunftswerkstatt Neubauviertel" initiiert, in der Zwischenergebnisse der Haushaltsbefra-
gung vorgestellt wurden.
Da bei empirischen Erhebungen in der Regel Fehlerquellen nicht gänzlich ausgeschlos-
sen werden können, sind gesicherte Aussagen nur unter Einbeziehung weiterer Untersu-
chungsinstrumente zu treffen. Demzufolge werden neben der Analyse der Befragungs-
ergebnisse die verfügbaren Daten der kommunalen Statistik, der Wohnungsunterneh-
men und der sich im Aufbau befindlichen Sozialstrukturdatenbank der Hansestadt
Greifswald ebenfalls ausgewertet.

1 Einleitung und Zielstellung der Arbeit
3
Grobschematischer Aufbau der Arbeit
Großwohnsiedlungen und
Stadtentwicklung in Ostdeutschland
Städtische Strukturen der
Hansestadt Greifswald
Quartiers- und
Wohnungstrukturen
Entwicklungsperspektiven
der Großwohnsiedlung
Maßnahmenvorschläge
zur Stabilisierung
Beschreibung der sozialen
Situation im Wohngebiet
Problemindikatoren des
sozialen Wandels
Bevölkerungsentwicklung und
Demographische Strukturen
Soziostrukturelle
Analyse
Datenerhebung und
methodische Vorgehensweise
Einleitung und Zielstellung

2 Allgemeiner
Teil
4
2 Allgemeiner
Teil
2.1 Die Entwicklung des industriellen Wohnungsbaus und die
Wohnungspolitik in der DDR
Basierend auf den Beschlüssen der ersten Baukonferenz der DDR am 6. April 1955 und
unter dem Einfluß der sowjetischen Baupolitik vollzog sich ab Mitte der 50er Jahre eine
Zäsur in der Wohnungsbaupolitik, die eine Abkehr von der stalinistischen Bauweise im
neoklassizistischen Stil und dem traditionellem Wohnungsbau bedeutete. Um die drän-
gende Wohnungsfrage schneller und v.a. unter den schwierigen ökonomischen Bedin-
gungen möglichst kostengünstig lösen zu können, wurde die Industrialisierung des ge-
samten Bausektors mit dem Schwerpunkt der Montagebauweise vorangetrieben. Aber
auch die ideologischen Zielstellungen der Vereinheitlichung der Lebens- und
Wohnbedingungen sowie für alle Bevölkerungsschichten Wohnungen mit einer
angemessenen und den damaligen Standards entsprechenden Wohnqualität zu schaffen,
begünstigten diese Entwicklung und führten zu einer einseitigen Orientierung auf den
industriellen Wohnungsbau in der DDR. Demgegenüber kam es, bedingt durch
ökonomische Sachzwänge, zu einer Vernachlässigung der Altbauquartiere in den
Städten, die zudem als Erbe kapitalistischer Wohnverhältnisse galten.
Unter diesen politischen Rahmenbedingungen begann die Kopplung der Großtafelbau-
weise mit dem Bau von Großsiedlungen, die die moderne sozialistische Stadt verkör-
pern sollten und deren Architektur sich am Funktionalismus der Moderne orientierte.
Das grundlegende städtebauliche Planungselement in der DDR wurde seit 1959 mit dem
Begriff ,,Sozialistischer Wohnkomplex" beschrieben, der nach der Definition den Ein-
zugsbereich einer 8-Klassen-Schule mit ca. 4.000-5.000 Einwohnern erfaßte
1
. Die An-
ordnung der mehrgeschossigen Wohngebäude erfolgte hauptsächlich in zeilenförmiger
Bebauung, die über Wohnstichstraßen erschlossen wurden. Kennzeichnend für diese
Wohnkomplexe waren ferner der völlige Verzicht auf private Freiflächen. Die Freiräu-
me wurden im wesentlichen als undifferenzierte Grünflächen mit Spiel- und Wäsche-
platz geplant. Das Fehlen von Rückzugsräumen führte insbesondere unter den Bewoh-
nern dieser Siedlungen zu einer Verstärkung der ohnehin ausgeprägten und heute noch
vorhandenen Kleingartenkultur außerhalb der Wohngebiete. Erwerbsstätten waren in
diesen Wohnquartieren nur in Form von ,,Wohnfolgeeinrichtungen" (wie Kindergärten
u.ä.) vorgesehen. Diese Form des Wohnungsbaus war trotz zunehmender Ablehnung in

2 Allgemeiner
Teil
5
der Fachwelt bis zu Beginn der 70er Jahre Grundlage für die Planung und Errichtung
großer Neubaugebiete, der eine starke Entdifferenzierung der Wohnstrukturen nach sich
zog.
2
Die zweite Phase des industriellen Massenwohnungsbaus unter dem Leitbild des
"Komplexen Wohnungsbaus" setzte sich ab 1965 durch und war durch eine
Verdichtung der Wohnbebauung in geschlossenen Strukturen sowie einer Vergrößerung
der Wohngebiete gekennzeichnet. Gesellschaftliche und infrastrukturelle Einrichtungen
wurden in Kompaktbauten konzentriert, den sogenannten "Dienstleistungswürfeln".
Der ab 1972 zum Einsatz gekommene, in diesen Großwohnsiedlungen dominierende
Bautypus war die Wohnungsbauserie 70, ein auf Großplattenbauweise basierendes
Bausystem für den Bau von vier- bis elfgeschossigen Wohnhäusern und Gemeinschafts-
einrichtungen nach einem vereinheitlichten Grundsortiment an Bauelementen, repräsen-
tiert insgesamt 42 Prozent aller mit industriellen Baumethoden errichteten Wohnungen
und stellte die einheitliche Grundlage für den beschleunigten Wohnungsneubau bis
1989 dar. Die Einführung der WBS 70 hatte eine weitere Reduzierung und
Standardisierung der baulich-räumlichen Wohnstrukturen zur Folge, die sich in einer
Stapelung gleicher Wohnungsgrundrisse in den mehrgeschossigen Plattenbauten
ausdrückten
3
. Die auf dem Konzept der Kleinfamilie basierenden Grundrißtypen der
Neubauwohnungen umfassen im Normalfall 1 bis 4 Räume, denen festgelegte
Wohnfunktionen zugeordnet sind: das Wohn-, das Schlaf-, die sehr eng bemessenen
Kinderzimmer, Küche, ein oft fensterloses Bad sowie häufig eine Loggia.
Da diese Wohngebietskomplexe erst ab einer bestimmten Größenordnung zu realisieren
waren, konzentrierte sich der Wohnungsneubau auf relativ wenige, meist randstädtische
Standorte. Die Vereinigung von Wohnkomplexen zu strukturell zusammenhängenden
Wohngebieten hatte eine Vergrößerung auf 10.000 und mehr Einwohner zur Folge.
Dieser Sachverhalt ist in Zusammenhang mit der dezentralen Industrialisierungspolitik
der DDR zu sehen, die neben administrativen Zentren, Groß- und Bezirksstädten auch
kleinere Mittelstädte in peripheren Regionen als Standorte des Großwohnsiedlungsbaus
nach sich zog, um vorrangig die Arbeitskräfte an den jeweiligen Industriestandorten mit
Wohnraum zu versorgen. Im Rahmen der Industrialisierung wurden auch vollkommen
neue Städte, die sogenannten sozialistischen Städte, wie Schwedt/Oder, Hoyerswerda,
1
Ch. Hannemann 1997 In: www2.rz.hu-berlin.de/stadtsoz/Veroeffentlichungen/workingpaper3.html
2
vgl. Ch. Hannemann In: Häußermann/Neef 1996, S. 94 ff.
3
vgl. Ch. Hannemann 1996, S.96

2 Allgemeiner
Teil
6
Halle-Neustadt und Eisenhüttenstadt errichtet. Zu den industriellen
Schwerpunktstädten, in denen weit über 50 Prozent der Wohnbevölkerung in den neuen
Plattenbausiedlungen lebten, gehörte neben anderen auch Greifswald.
4
Aus diesem
Grund sind die Großwohnsiedlungen der DDR sehr breit gestreut und konzentrieren
sich nicht, wie in den alten Bundesländern, in den Agglomerationsräumen.
Der Wohnungsmangel konnte trotz der enormen Neubautätigkeit, über das Wohnungs-
bauprogramm der DDR sollten von 1972-1990 2,8 Millionen Wohnungen gebaut wer-
den, bis zur Wende nicht beseitigt werden. Da immer mehr Altbauwohnungen unbe-
wohnbar wurden, bedeutete in den 70er und 80er Jahren nur etwa jede zweite Neubau-
wohnung einen realen Bestandszuwachs an Wohnraum
5
. Durch die ausbleibenden In-
standsetzungsmaßnahmen, einzelne Sanierungen blieben quantitativ unbedeutend, kam
es in den innerstädtischen Altbauquartieren zu großflächigen Verfallserscheinungen und
einzelnen "Flächensanierungen", was den Abriß ganzer Wohnquartiere bedeutete und
die, wie bspw. auch in Greifswald, mit etwas "angepaßten" Plattenbauten wieder bebaut
wurden. Um das Wohnungsproblem quantitaiv zu lösen, konzentrierte sich besonders in
den 80er Jahren die Bautätigkeit fast ausschließlich auf die Schaffung von Wohnraum
durch Neubau, so daß städtebauliche und gestalterische Gesichtspunkte nur noch
ungenügend berücksichtigt sowie vorgesehene und (heute noch) notwendige
Infrastruktureinrichtungen in den neuen Wohngebieten aus ökonomischen Gründen
oftmals nicht mehr realisiert werden konnten.
Kritischer wurde die Wohnungsbaupolitik der DDR und ihre Folgen in der Fachliteratur
erst ab Mitte der 80er Jahre betrachtet. So bspw. in einer 1988 veröffentlichten Arbeit
von T. T
OPFSTEDT
zur Entwicklung des Städtebaus in der DDR: "Die außerordentliche
Mannigfaltigkeit (des traditionellen Hausstein- und Ziegelbaus, C.S.) baukünstlerischer
Ausdrucksmöglichkeiten mußte mit der Einführung industrieller Baumethoden
aufgegeben werden. Sie wurde durch eine bislang unbekannte, geradezu erdrückende
Uniformität des Häuserbaus abgelöst."
6
Derselbe Autor bemängelte auch, daß die
Wohngebiete nicht den jeweiligen städtebaulichen Charakteristika angepaßt werden
konnten, sondern daß das Wohnhaus, die Kaufhalle, gewerbliche und öffentliche
Gebäude nach standardisierten "Typen" errichtet wurden und somit im gesamten Land
anzutreffen waren.
4
Ch. Hannemann 1996, S. 23
5
vgl. H. Häußermann 1996, S. 16
6
zitiert nach Th. Topfstedt 1988, S. 16

2 Allgemeiner
Teil
7
2.1.1 Wohnungsvergabepolitik
In der DDR-Verfassung war das Grundrecht auf Wohnraum für jeden Staatsbürger
verankert, das aber einer staatlichen Reglementierung unterlag, die sich, bis auf die
relativ geringe Anzahl der Ein- und Zweifamilienhäuser, auf alle Wohneigentumsfor-
men erstreckte, und somit eine freie Wohnungswahl kaum möglich war. Die
Wohnungsversorgung wurde vorrangig als Massenunterbringungsproblem thematisiert,
so daß die individuelle Funktion des Wohnraums als sozialräumlicher Ort, an dem die
unterschiedlichsten Bedürfnisse befriedigt werden können, ins Hintertreffen geriet. Bei
der Wohnungszuweisung galt zwar der Grundsatz: ,,eine Person - ein Raum", es wurden
im Normalfall aber auch an Familien mit zwei Kindern Drei-Raum-Wohnungen verge-
ben, was in den ohnehin stark verdichteten Neubausiedlungen zu Überbelegungen führ-
te. (siehe Kap. 3.3.1.) Die staatlichen Verteilungskriterien für die Zuordnung von
Wohnraum umfassten die der Arbeitskräftesicherung, die zur Förderung von kinderrei-
chen Familien und jungen Ehen sowie Kriterien, die systemkonforme und -stützende
Bevölkerungsschichten bevorzugten.
Da die Wohnungen in den Neubaugebieten der 70er und 80er Jahre entweder staatliches
Wohneigentum oder im Besitz von Genossenschaften waren, erfolgte die Zuweisung
von Wohnraum nach einer mehrjährigen Wartezeit, in den meisten Fällen über eine
kommunale bzw. betriebliche Entscheidung oder über eine Arbeiterwohnungsbaugenos-
senschaft (AWG).
Aufgrund dieser Situation bestanden auf dem Gebiet der Wohnungsversorgung der
DDR durchaus soziale Differenzierungen und Disparitäten, die sich v.a. darin
ausdrückten, daß in den vor 1948 gebauten und meist maroden Mietwohnungen
überdurchschnittlich viele Rentner, einfache Arbeiter, Geschiedene und berufliche
Randgruppen, aber auch unangepaßte Menschen (Künstler, Freiberufler, Aussteiger),
die in einem kritischen Verhältnis zum DDR-System standen, lebten. So ergaben sich
zwar Unterschiede in der Sozial- und Bevölkerungsstruktur der Wohngebiete, doch
aufgrund der auf niedrigem Niveau nivellierten Gesellschaft, der durch die überaus
hohen staatlichen Subventionen geringen Mietpreise und der geringen sozialen Distanz
zwischen den Schichten, nahmen diese nicht das Ausmaß sozialräumlicher Segregation
wie in den marktwirtschaftlich regulierten Gesellschaften ein
7
.
7
vgl. U. Herlyn und A. Harth In: W. Strubelt 1996, S. 264

2 Allgemeiner
Teil
8
2.1.2 Bevölkerungsstrukturen in den Plattenbausiedlungen
Die Wohnungen in den Plattenbausiedlungen verfügten über einen für DDR-
Verhältnisse hohen Wohnstandard (Bad, Innen-WC, Warmwasser, Fernheizung, Bal-
kon), während in den Altbauquartieren der Städte durch die meist unterlassenen
Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen ein Ausstattungsniveau vorherrsch-
te, was dem der Jahrhundertwende bzw. der 30er Jahre entsprach und Verfall an der
Tagesordnung war. Außerdem waren die Neubaugebiete mit den notwendigsten
Infrastruktureinrichtungen wie Kindergarten, Jugendclubs, Schule und Kaufhalle
ausgestattet und über den ÖPNV meist gut in das Verkehrsnetz der Städte eingebunden.
Dieser Fakt und die ständige Wohnungsunterversorgung führte dazu, daß der Umzug in
eine Neubauwohnung als das Privileg der "kleinen Leute" galt. Vorrangig in den
größeren Städten trugen die innerstädtischen Umzüge aus den vernachlässigten
Altbauquartieren zu einer sozialen Vielfalt in den Neubaugebieten bei, in denen höhere
Bevölkerungsanteile aus staatlicher Verwaltung, Wissenschaft und sonstiger Intelligenz
neben einfachen Arbeitern lebten. Charakteristisch war aber auch, daß Angestellte
überdurchschnittlich häufig mit Wohnraum in den Neubaugebieten ausgestattet
wurden
8
.
Festzuhalten bleibt aber, daß durch die bevorzugte Wohnungszuweisung an junge
Ehepaare und Familien mit Kindern sowie an die Belegschaften der in der Region
dominierenden Betriebe, die Bewohner der Großwohnsiedlungen in Abhängigkeit vom
Zeitpunkt der Fertigstellung hinsichtlich der Altersstruktur und Werteinstellungen
Tendenzen zu einer gewissen Homogenität aufwiesen. So ergaben sich in den einzelnen
Wohnkomplexen deutliche Spitzen in bestimmten Altersgruppen, die aus dem
jeweiligen Bezugszeitraum resultierten. Noch deutlicher ist dieser Fakt in kleineren,
monostrukturell industrialisierten Städten zu erkennen, in denen zugezogene
Arbeiterfamilien der regionalen Schwerpunktbetriebe überwogen und die sozialen
Milieus prägten
9
. Auf der einen Seite hatten die Bewohner der jüngeren Wohngebiete
ein deutlich geringeres Durchschnittsalter, welches bei dem Erstbezug meist bei 25 Jah-
ren oder etwas darüber lag, und waren durch ein vglw. hohes Qualifikationsniveau
gekennzeichnet
10
.
8
W. Hinrichs In: W. Zapf/ R. Habich 1996, S. 263
9
vgl. Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Umwelt: Plattenbausiedlungen in M/V 1998, S. 4
10
W. Rietdorf 1997, S. 33 / Überdurchschnittlich waren insbesondere Bewohner mit den DDR-
spezifischen Fachschulabschlüssen, weniger mit Hochschulabschlüssen, in den Neubausiedlungen vertre-
ten.

2 Allgemeiner
Teil
9
Andererseits ließen die demographischen Wellen (parallele Entwicklung der Alters-
struktur) für die Zukunft eine Überalterung der Wohngebiete befürchten, da bei der da-
mals langzeitlichen Wohnungsbindung und relativen Immobilität auf dem staatlich kon-
trollierten Wohnungssektor die Bewohner mit dem Quartier altern würden. Sehr homo-
gene Bewohnerstrukturen bildeten sich kleinräumig in Gebäuden mit sogenannten Kon-
tingentwohnungen heraus, in denen Betriebe, gesellschaftliche Einrichtungen und
Zweige der öffentlichen Verwaltung eigene Vergabekontingente hatten.
2.2 Großsiedlungen und sozialer Wohnungsbau in der
Bundesrepublik
Die Begrifflichkeiten Großsiedlung bzw. Großwohnsiedlung werden in der wissen-
schaftlichen Literatur mehrheitlich als Synonyme gebraucht. Häufiger werden die
industriell errichteten Wohngebiete in Frankreich (grand ensembles), Großbritannien
und in der früheren BRD als Großsiedlungen bezeichnet
11
.
Großsiedlungen im Westen Deutschlands sind eigenständige und überdurchschnittlich
große Siedlungseinheiten mit einer Mindestgröße von 500 Wohnungen, die in den 50er
bis 70er Jahren auf der Grundlage städtebaulicher Gesamtkonzepte geplant und reali-
siert wurden und vorrangig aus Geschoßbauten mit mindestens vier, häufig aber auch
mehr Etagen bestehen. Durch die einheitliche Bebauung und ihre relative Homogenität
lassen sich diese Wohngebiete eindeutig räumlich abgrenzen. Die genaue Abgrenzung
bezüglich der Anzahl der Wohneinheiten einer Großsiedlung blieb bisher unbestimmt,
da in Großstädten wie Hamburg oder Berlin von einer Mindestgröße mit 1.000 bzw.
2.000 Wohneinheiten ausgegangen wurde
12
. Im zweiten, 1994 erschienenen Großsied-
lungsbericht wurde inzwischen, wie auch bei den ostdeutschen Großwohnsiedlungen,
eine Größe von mindestens 2.500 Wohnungen festgelegt, wobei in einer weiteren Kate-
gorie auch kleinere Großwohnsiedlungen mit 500 bis 2.500 Wohnungen einbezogen
wurden
13
.
11
so bspw. In: M. Alisch/J.Dangschat 1993; Ch. Lelevrier In: IRS: Perspektiven der großen Neubauge-
biete in den neuen Bundesländern 1998, S. 43ff.; D. Stollberg In E. Mueller 1997, S. 77 ff. , O. Gibbins
1998;
12
vgl. O. Gibbins 1988, S. 9 u. 12
13
vgl. W. Rietdorf 1997, S. 13

2 Allgemeiner
Teil
10
In den 50er und 60er Jahren wurden im Westen Deutschlands die ersten Großsiedlungen
vorwiegend als öffentlich geförderter Mietwohnungsbau zumeist von gemeinnützigen
Wohnungsunternehmen an der Peripherie der Städte errichtet. Wie auch in der DDR
basierte der Großsiedlungsbau auf den sozialstaatlichen Ideen der 20er Jahre, die unter
günstigen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und steigendem Druck auf dem
Wohnungsmarkt verwirklicht werden konnten. Nach C
H
. H
ANNEMANN
wurde somit
,,nicht nur im Ostblock die industrialisierte Bautechnik zum zentralen Bestandteil staat-
licher Wohnungspolitik, sondern auch in Westeuropa, so in Großbritannien und insbe-
sondere in Frankreich"
14
.
Ende der 60er und in den 70er Jahren entstanden solche Siedlungen meist in den indus-
triellen Agglomerationsräumen in Form von neuen Stadtteilen oder Trabantenstädten
vorwiegend zur Wohnraumversorgung für relativ einkommensstarke Angehörige der
wachsenden Mittelschicht, aber auch für die aus den innerstädtischen Sanierungsgebie-
ten verdrängten sozial schwächeren Bevölkerungsschichten. Dazu zählten vorrangig
Arbeiter, Rentner und kinderreiche Familien.
Da mit der zunehmenden Wohlstandsentwicklung verstärkt Ein- und Zweifamilienhäu-
ser und komfortable mehrgeschossige Stadthäuser erbaut wurden und gleichzeitig eine
erhaltende und behutsame Stadterneuerung der gründerzeitlichen Viertel stattfand, ent-
spannte sich der Wohnungsmarkt zusehends, so daß ab Mitte der 70er Jahre der Groß-
siedlungsbau nur noch in Einzelfällen fortgeführt wurde
15
, wozu aber auch die wach-
sende Kritik an derartigen, hochverdichteten Siedlungsformen beitrug. In den 80ern
kam es in den Großsiedlungen durch den verstärkten Wegzug einkommensstärkerer
Haushalte zu vermehrten Leerständen, 1984 waren es durchschnittlich 3,2 Prozent. Die
Großsiedlung ,,Neue Stadt Wulffen" in Dorsten wies bspw. damals einen Leerstand von
16,4 Prozent auf, so daß dort 1986 der bisher einzige Teilabriß einer Großsiedlung in
den alten Bundesländern durchgeführt wurde.
16
In den Großsiedlungen mit insgesamt 500.000 bis 600.000 Wohnungen (davon 89 Pro-
zent Mietwohnungen) ist derzeit ein nicht unerheblicher Teil der Sozialwohnungen der
BRD konzentriert. Da zunehmend Wohnungen in den anderen städtischen Quartieren
aus der Mietpreis- und Belegungsbindung herausfallen, hat sich der Sozialwohnungsbe-
stand von ursprünglich 3,9 Mio. im Jahr 1987 auf inzwischen 1,8 Mio. (1999)
17
bei
14
zitiert nach Ch. Hannemann 1997 In: www2.rz.hu-berlin.de/stadtsoz/Veroeffentlichungen
/workingpaper3.html
15
W. Rietdorf 1997, S. 18
16
nach W. Rietdorf In: IRS: Perspektiven der großen Neubaugebiete 1998, S. 25
17
Deutsches Institut für Urbanistik: www.difu.de/publikationen/difu-berichte (difu-Berichte 4/1999)

2 Allgemeiner
Teil
11
gleichzeitig ansteigender Armut, sozialer Ungleichheit und Arbeitslosigkeit mehr als
halbiert, so daß die Wohnungsversorgung von besonderen Bedarfsgruppen mit preis-
wertem und angemessenem Wohnraum unverändert kritisch bleibt.
Der dadurch angewachsene Anteil von Sozialwohnungen in den Großsiedlungen führt
zu verstärkten sozialen Polarisierungs- und räumlichen Segregationsprozessen, die der
eigentlichen Integrationsfunktion der Wohnungspolitik grundsätzlich zuwider laufen.
Besonders in unattraktiven Bereichen der Großsiedlungen konzentrieren sich heute so-
zial und ökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen, aber auch Problemmieter,
die überproportional auf das Wohnquartier und die dortige, oft unzureichende, soziale
Infrastruktur (Hilfs- und Beratungsangebote) angewiesen sind. Hierzu zählen Sozialhil-
feempfänger, Dauerarbeitslose, einkommensschwache Haushalte, Spätaussiedler und
Bürger ausländischer Herkunft, kinderreiche Haushalte sowie solche mit gestörten Fa-
milienverhältnissen
18
und insbesondere Personen für die mehrere dieser sozialen Be-
nachteiligungen zutreffen. Verstärkt sind in diesen Wohngebieten zunehmender Vanda-
lismus, ansteigende Kleinkriminalität, Spannungen zwischen den verschiedenen sozia-
len Gruppen und auch höhere Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien zu
verzeichnen
19
.
Mit dieser Entwicklung ist unter Herausbildung eines negativen Images eine oft undif-
ferenzierte Stigmatisierung der Großsiedlungen als ,,soziale Brennpunkte" verbunden,
so daß ökonomisch stabilere Bewohner verstärkt aus diesen Quartieren abwandern bzw.
sie diese als Wohnstandort gar nicht in Betracht ziehen.
Der Erneuerungsdruck auf diese Siedlungen ließ mit der ansteigenden
Wohnraumnachfrage in den letzten Jahren wieder nach, teilweise wurden sogar
Nachverdichtungen geplant, obwohl die bestehenden sozialen und baulichen Probleme
in diesen Gebieten keineswegs gelöst sind.
18
vgl. O. Gibbins 1988, S. 106
19
nach M. Neuhöfer 1998, S. 35

2 Allgemeiner
Teil
12
2.3 Sozialgeographische Entwicklungsprozesse in den
Stadtquartieren der Neuen Bundesländer nach 1989
Im folgenden Kapitel werden die spezifischen, durch den Systemwechsel bedingten
Transformationsprozesse beschrieben, die für den Strukturwandel in den ostdeutschen
Stadtquartieren und insbesondere in den Großwohnsiedlungen verantwortlich sind, da
ohne ein Verständnis dieser gesamtgesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge die
aktuelle Situation und die Entwicklungen in Schönwalde II in demographischer wie
auch sozialer Hinsicht nicht nachvollzogen werden können.
2.3.1 Die städtischen Strukturen im Umbruch
Als strukturprägend für die Mehrzahl der Städte der ehemaligen DDR sind folgende
Typen von Wohnvierteln zu nennen: die mittelalterlich geprägten Altstadtkerne, die
zwischen 1870-1918 errichteten Gründerzeitgebiete, die Wohnsiedlungen, die zwischen
den beiden Weltkriegen entstanden, sowie die nach 1965 errichteten, meist randstädti-
schen Neubaugebiete.
Der Wohnungsbestand umfaßte ca. 6,35 Millionen Wohnungen (ohne Berlin), von de-
nen über 2,1 Millionen seit 1958 nach industriellen Fertigteilbauweisen (Block-, Strei-
fen- und Plattenbau) errichtet wurden. Der überwiegend schlechte bauliche Zustand der
Wohngebäude, insbesondere der Altbausubstanz, und das graue, oft trostlose Bild der
Städte ließen einen enormen Stadterneuerungsbedarf erkennen. Allein in den Altbau-
quartieren standen 1989 trotz des angespannten Wohnungsmarktes mehr als 200.000
Wohnungen leer, da diese inzwischen unbewohnbar und vom Verfall betroffen waren
20
.
Deutliche Unterschiede in der Wohnungsversorgung bestanden zu diesem Zeitpunkt
zwischen den neuen und den alten Bundesländern hinsichtlich der durchschnittlichen
Wohnfläche je Einwohner (Ost: 27,2 m²/Person West: 35,5 m²/ Person)
21
, den Woh-
nungsgrößen und dem Ausstattungsniveau.
Die in der DDR hoch subventionierten und damit sehr geringen Mieten wurden mit der
Vereinigung schrittweise dem westdeutschen Niveau angepaßt und orientieren sich
nunmehr am Gebäudezustand und dem Ausstattungsgrad der Wohnungen. Die Kaltmie-
te für einen Quadratmeter Wohnfläche lag 1990 noch durchschnittlich bei 0,88 Mark,
20
vgl. H. Häußermann In: Häußermann/Neef 1996, S. 16
21
vgl. H. Sahner In: Bundeszentrale für politische Bildung B 5/1999, S. 28

2 Allgemeiner
Teil
13
während 1994 dieser Mietpreis auf 6,90 DM gestiegen war.
22
Die sich daraus ergebende
höhere Mietbelastung ist aber in Zusammenhang mit den gleichzeitig gestiegenen Ein-
kommen zu sehen, so daß diese im gleichen Zeitraum real nur um das Vierfache an-
stieg. Sie liegt derzeit bei knapp 20% des Haushaltsnettoeinkommens und damit unter
dem westdeutschen Niveau von 25%
23
.
Ebenso bestanden und bestehen noch heute erhebliche Differenzen in den Eigentums-
formen, die vorrangig auf die Wohnungsbaupolitik in der DDR zurückzuführen sind.
Wie der Tabelle zu entnehmen ist, sind die Wohneigentumsstrukturen seit 1990 starken
Änderungen unterworfen, die durch den Übergang von der staatlichen, zentral gelenkten
Wohnungswirtschaft in einen deregulierten Wohnungsmarkt und einem dynamischen
Anstieg des Anteils selbstgenutzten und vermieteten Privateigentums gekennzeichnet
sind.
Tabelle 2-1: Die Eigentumsstruktur des Wohnraums in Deutschland nach der Wieder-
vereinigung (Anteil Haushalte in %).
Eigentumsform
Neue Bundes-
länder 1990
Neue Bundes-
länder 1995
Alte Bundes-
länder 1992
Mietwohnungen, davon:
72 66
61
- kommunale Wohnungsunternehmen
43
35
3
- genossenschaftliche Wohnungen
17
15
4
- private Vermieter
10
14
52
- sonstige Eigentümer
2
2
2
Selbstgenutztes Wohneigentum,
davon:
- Eigenheime
- Eigentumswohnungen
28
28
0
34
32
2
39
---
---
Quelle: U. Herlyn und A. Harth in Strubelt 1996, S. 267 und J. Becker 1998, S. 42
Verstärkt wird dieser Prozeß durch die z.T. einseitige Förderung von Wohnungseigen-
tum. In Mecklenburg/Vorpommern liegt der Anteil der Eigentümerhaushalte inzwi-
schen bei 32,2 % und damit etwas über dem ostdeutschen Durchschnitt, im früheren
Bundesgebiet dagegen bei 43,1%
24
.
Mit der Vereinigung beider deutscher Staaten wurde der volkseigene Wohnungsbestand
aufgelöst und die kommunalen Wohnungsverwaltungen sowie Arbeiterwohnungsbau-
genossenschaften in ca. 400 kommunale Wohnungsunternehmen und 800 Wohnungs-
genossenschaften überführt. Die sog. Altschulden der Vorgänger, die zur Finanzierung
des Wohnungsbaus in der DDR in Form von Krediten aufgenommen wurden, aber eher
22
nach J. Frick/ H. Lahmann In: Häußermann/Neef 1996, S. 254
23
BMVBW: Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel 2000, S. 32

2 Allgemeiner
Teil
14
den Charakter von Subventionen trugen
25
, mußten die neugegründeten Wohnungsunter-
nehmen als verzinste Bankschulden übernehmen. Zusätzlich wurden sie vom Gesetzge-
ber über das Altschuldenhilfegesetz verpflichtet, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt
15% ihres Wohnungsbestandes, auch in den Großwohnsiedlungen, zu privatisieren.
Nach Schätzungen werden die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunter-
nehmen bis 2003 durch Restitution und Privatisierung zusätzlich ca. eine Million
Wohneinheiten ihres Bestandes verlieren.
26
Im Zuge der umfangreichen Erneuerung und Modernisierung der Altbausubstanz und
dem Neubau v.a. von Ein- und Zweifamilienhäusern war in den letzten 10 Jahren ein
Bestandszuwachs an fast 800.000 Wohnungen
27
zu verzeichnen, so daß trotz steigender
Haushaltszahlen inzwischen ein Überangebot an Wohnraum besteht. Die sich daraus
ergebenden Leerstände umfassen nach einer Erhebung derzeit etwa eine Million Woh-
nungen bzw. 13% des Wohnungsbestandes in Ostdeutschland, die zur Hälfte am Markt
angeboten werden und mit Ausnahme neuer Ein- und Zweifamilienhäuser fast alle
Wohnungsmarktsegmente umfassen
28
. Als notwendige Mobilitätsreserve ist dagegen
ein Anteil von 2% leerstehender Wohnungen ausreichend. Der entspannte Wohnungs-
markt führt durch die höheren Wahlmöglichkeiten zwischen den einzelnen Wohnungs-
segmenten seit 1995/96 zu einem starken Anstieg des innerstädtischen Umzugsgesche-
hens, womit die Wohnungen in den Plattenbauquartieren einem erhöhten Konkurrenz-
druck ausgesetzt sind. Die Wohnungsleerstände sind zwar weiterhin vorrangig in den
Altbauquartieren konzentriert, nehmen aber in den Bereichen der DDR-Wohnungen,
vorwiegend den Plattenbauten, drastisch zu.
2.3.1.1 Gründerzeitliche
Viertel
- Der Prozeß der Aufwertung
Da auch diese Wohngebiete, die ca. 25% der Wohnungen in den ostdeutschen Städten
stellen, verstärkt von den städtischen Migrationsprozessen betroffen sind und mit den
Großwohnsiedlungen in dieser Hinsicht in Wechselbeziehung stehen, werden in diesem
Kapitel kurz die Prozesse, die dazu führten, erläutert.
24
Stand April 1998; Statistisches Bundesamt 2000 S. 232. Die Gesamtzahl der Haushalte in M/V beträgt
713.000, davon 232.500 Eigentümerhaushalte. Aus: Statistisches Landesamt M/V 2000, S. 244
25
siehe R. Borst In: Häußermann/Neef 1996, S. 108 f.
26
J. Becker 1998, S. 42
27
vgl. BMVBW: Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel 2000, S. 10
28
ebenda, S. 2 und 7

2 Allgemeiner
Teil
15
Unmittelbar nach der Wende waren die Altbauquartiere der Städte aufgrund der maro-
den Bausubstanz und des niedrigen Wohnstandards von hohen Leerstandsquoten, fort-
gesetztem Verfall und einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang betroffen. Zusätzlich
war eine Vielzahl von Grundstücken und Gebäuden mit Restitutionsansprüchen der
Alteigentümer bzw. ,,ungeklärten Eigentumsverhältnissen" belegt, was in diesen innen-
stadtnahen Quartieren als auch in den Innenstädten selbst zum Absinken der Wohnsi-
cherheit führte und eine durchgängige Sanierung sowie Stadtteilentwicklung vorerst
verhinderte.
Die schon zu DDR-Zeiten zu beobachtende Festigung alternativer und studentischer
Wohnmilieus fand nach 1990 mit dem Zuzug jüngerer Bevölkerungsschichten, die diese
Quartiere vorrangig als Übergangswohngebiet nutzten, ihre Fortsetzung, so daß diese
Viertel mit dem hohen Anteil an älteren Personen, aber auch von Familienhaushalten
eine sehr heterogene und charakteristische Bevölkerungsstruktur, mit überdurchschnitt-
lichen Anteilen benachteiligter Bevölkerungsgruppen (siehe S. 7), aufwiesen. Durch
o.g. Milieus wurden infolge der Dereglementierung nach 1989 die vorhandenen Frei-
räume genutzt, was insbesondere in größeren Städten eine kulturelle Aufwertung und
Attraktivitätssteigerung dieser Viertel zu ,,Szenebezirken" hervorrief. Mit der Rück-
übertragung von Gebäuden an die privaten Eigentümer und der Privatisierung vormali-
ger Mietwohnungen, begann ab Mitte der 90er Jahre verstärkt die Erneuerung und Sa-
nierung dieser Wohngebiete, die nun beschleunigt und durch politische Rahmenbedin-
gungen und Förderrichtlinien begünstigt mit einer unwahrscheinlichen Dynamik ablief,
in deren Folge die Viertel weiter aufgewertet wurden und der Bevölkerungsrückgang
sich abschwächte. Die damit rapide ansteigenden Mieten setzten den Prozess der
Gentrification in Gang, der mit Hilfe der Marktmechanismen eine Verdrängung der auf
preiswerten Wohnraum angewiesenen, sozialschwächeren, Schichten in andere Stadttei-
le bzw. in die immer kleiner werdenden unsanierten Bereiche nach sich zog. Dies be-
trifft v.a. die in der heutigen Gesellschaft von Verarmungsprozessen betroffenen Men-
schen: Alleinerziehende, Arbeitslose, Unterqualifizierte, psychisch Überforderte
29
, aber
auch jüngere Bevölkerungsschichten wie Heranwachsende, Auszubildende und Studen-
ten. Auf der anderen Seite zogen Bevölkerungsgruppen mit höherem Einkommen, dar-
unter auch Alteingesessene, in die oftmals sehr aufwendig sanierten Wohnungen. Diese
sog. ,,Gentrifier" setzen sich überwiegend aus kinderlosen, berufstätigen Paaren
29
vgl. Ch. Weiske In: Häussermann/Neef 1996, S. 179 und J. Gerdes In: Rostocks Kröpeliner-Tor-
Vorstadt 1998, S. 58

2 Allgemeiner
Teil
16
(,,Double Income No Kids") und Singles zusammen
30
. So ist heute in diesen innenstadt-
nahen und attraktiven Altbauquartieren eine starke sozialräumliche Polarisierung ent-
lang des Sanierungsstandes der Gebäude zu verzeichnen. Eine umfassende Einfach- und
Erhaltungssanierung der Viertel hätte gegenüber der Luxusmodernisierung attraktiver
Wohngebäude und Straßenzüge eine weniger ausgeprägte sozialräumliche Segregation
zur Folge gehabt
31
, unter einer gleichzeitigen, flexibleren Handhabe der Eigentumsver-
hältnisse hätte zudem der bis heute anhaltende Verfall restitutionsbehafteter Gebäude
wirkungsvoller verhindert werden können. Durch den hohen Anteil privaten Eigentums
und dem dadurch fast alleinigen Wirken von Marktprinzipien konnte auf diesen in Ost-
deutschland vlgw. schnell ablaufenden Prozeß über sozialpolitische Maßnahmen aber
kaum regulierend eingewirkt werden.
Diese Entwicklungsprozesse sind verstärkt in den Städten Ostdeutschlands zu beobach-
ten, die über ein größeres Entwicklungspotential an Humankapital und Wirtschaftskraft
verfügen. Beispiele, in denen sich diese Entwicklung musterhaft vollzieht, wären u.a.
die Stadtteile Berlin-Prenzlauer Berg, die Kröpeliner-Tor-Vorstadt in Rostock, Leipzig-
Connewitz oder Halle-Paulusviertel.
Inzwischen führte das Wohnraumüberangebot zu wieder sinkenden bzw. stagnierenden
Mieten, so daß innenstadtnahe Altbauviertel nicht mehr nur von einkommensstarken
Bevölkerungsschichten nachgefragt werden und sich die Verdrängungseffekte vorüber-
gehend etwas abschwächen.
2.3.1.2 Suburbanisierungsprozesse
Die Innenstädte, in denen kleinteilige Handelseinrichtungen dominierten und die vglw.
geringe Verkaufsflächen aufwiesen, konnten nach dem gesellschaftlichen Umbruch der
sprunghaft gestiegenen Kaufkraft und den gewandelten Ansprüchen nicht mehr gerecht
werden. Zudem wurden sie durch ungeklärte Eigentumsverhältnisse in ihrer Entwick-
lung behindert. So erfolgte ab 1990 eine erste Suburbanisierungswelle mit der Errich-
tung großflächiger Einzelhandelseinrichtungen und nachfolgend von Gewerbegebieten
im Umland der Städte, die durch die Verwaltungsautonomie der Gemeinden und vorerst
fehlende Zwischeninstanzen, die die Planungsvorgaben kontrollierten, in ihrem überdi-
mensionierten Ausmaß begünstigt wurde. Neben dem drastischem Anstieg der Ver-
kehrsströme war der Abfluß der Kaufkraft eine der folgenreichsten Konsequenzen für
30
vgl. J. Gerdes In: Rostocks Kröpeliner-Tor-Vorstadt 1998, S. 58
31
nach A. Harth und U. Herlyn In: Häußermann/Neef 1996, S. 158

2 Allgemeiner
Teil
17
die Städte. Der Flächenanteil des innerstädtischen Einzelhandels sank bspw. in Meck-
lenburg-Vorpommern innerhalb weniger Jahre von ehemals 68 auf 30 Prozent.
Ab 1994/95 begann in Ostdeutschland die Wohnsuburbanisierung im Umland der Städ-
te, für die es bezüglich der Dynamik und Geschwindigkeit dieses Prozesses kaum Ver-
gleiche gibt. Da die städtischen Bauflächen gegenüber denen in den Umlandgemeinden
hinsichtlich der Baulandpreise und verfügbaren Flächen nicht konkurrenzfähig waren,
konzentriert sich der Bau von Eigenheim- und Reihenhaussiedlungen seitdem im
,,Speckgürtel" der Städte, so daß in den jeweiligen Gemeinden hohe Einwohnerzuwäch-
se zu verzeichnen sind. Der dörfliche Charakter dieser Siedlungen wird durch die kaum
angepaßte Architektur und Dimension dieser Neubaugebiete häufig vollständig über-
prägt. Da die Wohngebiete nur unzureichend mit Infrastruktur und Arbeitsplätzen aus-
gestattet sind, nutzen deren Einwohner weiterhin die Einrichtungen und Arbeitsstätten
in den Städten, so daß ein weiterer Anstieg des Verkehrsaufkommens in Form des indi-
viduellen Pendelverkehrs die Folge war.
Diese Form der Abwanderung umfaßt deutlich mehr Personen als üblicherweise zum
Migrationspotential gehören, und führt in fast allen, insbesondere den kreisfreien, Städ-
ten neben dem Rückgang der steuerlichen Einnahmen, der die prekäre finanzielle Situa-
tion der Kommunen weiter verschärft, zu immensen Bevölkerungsverlusten und Verän-
derungen in der Alters- und Sozialstruktur, da vorwiegend einkommensstärkere Famili-
en mit ein bis zwei Kindern an der Suburbaniserung teilnehmen, wobei die Eltern meist
zwischen 30 und 40 Jahren alt sind. Insbesondere in den Großwohnsiedlungen, wo auf-
grund der ,,demographischen Wellen" gerade diese Haushaltstypen eine dominierende
Bevölkerungsgruppe bilden, führt dieser Prozeß zu einer sozialen Entmischung nach
unten. Die Gründe für diese Entwicklung liegen primär in den Wohnpräferenzen (,,deut-
sche Einfamilienhausorientierung"
32
), in der Politik der steuerlichen Subventionierung
und Eigentumsförderung begründet, sind andererseits auch auf den stark unterdurch-
schnittlichen Eigenheimbau in der DDR und daraus resultierenden Nachholbedarf zu-
rückzuführen. Die durch den Eigenheimbau im städtischen Umland hervorgerufenen
Zersiedlungserscheinungen widersprechen den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der
lokalen Agenda 21, nach der gerade die hohe Wohndichte in den Städten erhalten wer-
den soll
33
.
32
nach Ch. Hannemann In: U. Schaefers 1997, S. 245
33
nach H. Sahner 2000, S. 13

2 Allgemeiner
Teil
18
2.3.2 Der Wertewandel im Zuge des Transformationsprozesses
Mit dem gesamtgesellschaftlichen Umbruch in der DDR 1989/90 und dem darauffol-
genden, bis heute anhaltenden, Transformationsprozeß war ein grundlegender Wandel
in allen sozialen Bereichen und Lebensdimensionen verbunden, der neben dem Bruch
mit überkommenen Werten, Verhaltensweisen und Strukturen auch tiefgreifende Ver-
änderungen in den einzelnen Wohnquartieren bewirkte. Die rigorose Einführung
marktwirtschaftlicher Prinzipien mit der daraus resultierenden Deindustrialisierung
Ostdeutschlands, dem dramatischen Rückgang der Erwerbstätigkeit und der wachsen-
den sozialen Ungleichheit, war verbunden mit einem mentalen Transformationsprozeß,
der mitverantwortlich für die aktuellen Trends in der Stadtentwicklung ist, aber bisher
im fachlichen Diskurs ungenügend berücksichtigt wurde.
Es wandeln sich in Ostdeutschland im Zuge der umfangreichen Stadterneuerung und
Modernisierungsmaßnahmen nicht nur die Wohnviertel im äußeren Erscheinungsbild,
auch die städtischen Wohnmilieus sind erheblichen Umwälzungen in der Sozialstruktur
und Veränderungen in der Lebensweise der Bewohner unterworfen. Das Wohnmilieu ist
in diesem Zusammenhang als eine intermediäre Ebene zwischen strukturellen Aus-
gangsbedingungen, Veränderungsprozessen und der individuellen Betroffenheit
34
zu
definieren. Kennzeichnend für den Transformationsprozeß ist das Ineinandergreifen
folgender Teilprozesse, die auch für die Entwicklungen in den Großwohnsiedlungen
verantwortlich sind.
Der Schub der sozioökonomischen Differenzierung bewirkte eine vertikale und horizon-
tale Differenzierung von Lebenschancen und Lebensstilen, der als Folge zu räumlichen
Entmischungen sozialer Gruppen, häufig auch zu Entsolidarisierungstendenzen führt
und somit zur Lockerung nachbarschaftlicher Beziehungen beiträgt.
Mit dem Mobilitätssprung eröffneten sich für den Einzelnen Chancen hinsichtlich der
freien Arbeits- und Wohnstandortwahl, der das Angewiesensein auf die zugewiesenene
Wohnung nahezu aufhob und den starken Anstieg des Migrationsgeschehens mit verur-
sachte.
Der Prozeß der Monetarisierung war von einer Konsumexplosion unter gleichzeitiger
Ausdünnung des sozialen Netzes gekennzeichnet, der mit der Währungsunion im Juli
1990 einsetzte, und auch das Verhältnis zur Wohnung änderte
35
. Aufgrund der prinzi-
piellen Unkündbarkeit entwickelten die Mieter in der DDR teilweise Eigentümermenta-
34
nach A. Harth und U. Herlyn In: Häußermann/Neef 1996, S. 140

2 Allgemeiner
Teil
19
litäten, in deren Folge die Wohnungen häufig in Eigeninitiative aufgewertet wurden und
somit von einer hohen Wohnungsbindung auszugehen war. Mit den einsetzenden
Mieterhöhungen bekamen die Wohnungen einen Warencharakter, deren Preise sich
nach der Qualität, Nachfrage und dem Standort richten, aber auch verstärkt einem
Vergleich unterlagen. So kamen Plattenbauwohnungen, in denen sich der Wohnstan-
dard vorerst nur geringfügig verbesserte, fast automatisch in einen Wettbewerbsnach-
teil.
Die verschiedenen Formen der sozialen Distanzierung beeinflußten das Leben in den
Großwohnsiedlungen nachhaltig. Die als DDR-Hinterlassenschaft empfundenen Ge-
meinschaftsformen und -aktivitäten lösten sich weitgehend auf und waren mit einer Dis-
tanzierung von Umfeld und Hausgemeinschaft unter einem gleichzeitigen "Rückzug ins
Private" sowie sinkendem Verantwortungsgefühl verbunden. Die sich entwickelnden
Wohnungsalternativen, das inzwischen negative Außenimage der Plattenbausiedlungen
und der westliche Wohnstandard als Vergleichsbasis führten darüber hinaus zu einer
Distanzierung von der ehemals als modern empfundenen Wohnung und dem Wohnge-
biet als Ganzem.
Neben diesen Prozessen ist von einem Entpolitisierungsschub nach der Vereinigung
auszugehen, da ein Rückgang im gesellschaftspolitischen Engagement in der ostdeut-
schen Bevölkerung zu beobachten war.
36
2.3.3 Kennzeichen der natürlichen und räumlichen
Bevölkerungsbewegung in den Städten Ostdeutschlands
Das bis 1988 ungebremste Bevölkerungswachstum in den größeren Städten, zurückzu-
führen auf die von der DDR-Politik forcierte Urbanisierung bei gleichzeitiger Entlee-
rung ländlicher Räume, wurde mit der Wende jäh unterbrochen. Der Bevölkerungsver-
lust der letzten Jahre betrug in vielen Städten Ostdeutschlands, auch in Greifswald, über
10 Prozent. Dafür waren Faktoren der natürlichen Bevölkerungsentwicklung und die
Entwicklung des Wanderungsgeschehens gleichermaßen verantwortlich.
Die ab dem Herbst 1989 einsetzende überregionale Abwanderung in die westlichen
Bundesländern hielt bis 1991 fast unvermindert an und stellte in dieser Zeit die Haupt-
ursache für den Bevölkerungsrückgang dar. Bis Mitte 1994 verloren allein durch diese
Wanderungswelle die neuen Bundesländer fast 1 ½ Millionen Menschen, in den Folge-
jahren konnte vorrangig durch Migrationen aus dem Ausland eine leicht positive Wan-
35
vgl. A. und U. Hohn In: E. Mueller 1997, S. 51
36
nach A. Harth und U. Herlyn In: Häußermann/Neef 1996, S. 140 f.

2 Allgemeiner
Teil
20
derungsbilanz verzeichnet werden, während der Saldo zu den alten Bundesländern ü-
berwiegend negativ
blieb
37
. Seit 1998 ist insgesamt wieder ein (geringer) Wanderungs-
verlust festzustellen. Die Migrationsprozesse verliefen in hohem Maß selektiv und ver-
ursachten in stärker betroffenen Regionen einen Abfluß des Humankapitals ("brain
drain"), da überproportional jüngere und beruflich chancenreiche Bevölkerungsgruppen
zu den Migranten zählten
38
. In städtischen Regionen ist das Durchschnittsalter niedri-
ger, die berufliche Qualifikation besser, die regionale Identität geringer ausgeprägt, wo-
durch diese ein höheres Migrationspotential besitzen und von der Abwanderung weitaus
stärker betroffen sind als die ländlichen Räume.
Ab 1992 war die negative Bevölkerungsentwicklung zunehmend auf den rapiden Ge-
burtenrückgang zurückzuführen, aus dem ein anhaltend hoher Sterbefallüberschuß re-
sultierte. Die Geburtenzahlen erreichten Mitte der 90er Jahre nur noch ca. 40% des
Vorwendeniveaus. Sie sind in den letzten Jahren zwar wieder leicht im Ansteigen beg-
riffen, werden aber auch in naher Zukunft das Defizit nicht ausgleichen können. Die
Ursachen für die Geburtenausfälle liegen vorrangig in den durch den Systemwechsel
hervorgerufenen sozialen und persönlichen Unsicherheiten und in dem veränderten ge-
nerativen Verhalten der Frauen begründet, das sich in der Erhöhung des Alters der ers-
ten Geburt und in einer deutlich verringerten Kinderzahl je Frau ausdrückt. Aber auch
die Geburtenrezession von 1973-76 ("Pillenknick") ist vorübergehend als demographi-
sches Echo
39
für das Ausmaß des Geburtendefizits mitverantwortlich. Die natürliche
Bevölkerungsentwicklung hat überaus starke Deformierungen in der Altersstruktur zur
Folge, charakterisiert durch eine Zunahme der Altersgruppen ab 60 Jahren (Überalte-
rung) und dem Einbruch bei den Geburtsjahrgängen ab 1990, der ausgeprägter als in-
folge des Zweiten Weltkrieges ist.
Von dieser Entwicklung sind alle Lebensbereiche, wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Bil-
dungs- und Gesundheitswesen, soziale Sicherheit etc. betroffen, bspw. ist die Tragfä-
higkeit und Weiterexistenz vieler Vorschul- und Bildungseinrichtungen schon jetzt in
Frage gestellt.
Dazu entwickelten sich verstärkt ab Mitte der 90er Jahre nahräumliche Wanderungsbe-
wegungen innerhalb von Städten und Stadtregionen, die kaum weniger folgenreich für
die Städte sind. Die Wohnsuburbanisierung (siehe Abschnitt 2.3.1.2), meist verbunden
37
BMVBW: Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel 2000, S. 13 /
Für Greifswald siehe Anhang Abb. II - 2
38
vgl. U. Herlyn und A. Harth In: W. Strubelt 1996 , S. 257
39
W. Weiß 1996, S. 96

2 Allgemeiner
Teil
21
mit dem Erwerb oder Bau von Einfamilienhäusern im Umland, trägt seitdem ungefähr
zur Hälfte zum Bevölkerungsrückgang der Städte bei.
Parallel zu der stark negativen Bevölkerungsentwicklung ist seit 1991 durch die konti-
nuierlich sinkenden Haushaltsgrößen eine deutliche Zunahme der Haushalte und somit
der Wohnungsnachfrage zu verzeichnen, was in erster Linie auf die Singularisierungs-
tendenzen der erwachsenen Bevölkerung zurückzuführen ist. Im einzelnen wären das
die sinkenden Heiratsquoten, das zunehmende Heiratsalter (1988: 22,9 Jahre/ 1994: 26
Jahre), häufigere Scheidungen und die weiterhin höhere und ansteigende Lebenserwar-
tung der Frauen, die zu einer Zunahme der Witwenhaushalte führt. Der Zuwachs an
älteren Bevölkerungsgruppen trägt ebenso durch deren kleinere Haushalte (ein bis zwei
Personen) zu dieser Entwicklung bei. Nach Prognosen wird die Zahl der Haushalte bis
2015 in Abhängigkeit von künftigen Migrationsgewinnen aus dem Ausland weiter an-
steigen und erst dann aufgrund der negativen Bevölkerungsentwicklung dauerhaft sin-
ken
40
.
2.3.4 Die Großwohnsiedlungen im Wandel
In den ungefähr 125 Großwohnsiedlungen mit mehr als 2.500 Wohneinheiten
41
, die
entweder ab Mitte der 50er nach dem Konzept des ,,Sozialistischen Wohnkomplexes"
oder ab den 70er Jahren im Rahmen des ,,Komplexen Wohnungsbaus" errichtet wurden,
leben derzeit immer noch ca. 23% der gesamten Bevölkerung Ostdeutschlands, während
es in den alten Bundesländern gerade 1,7 Prozent bzw. nach anderen Angaben ca. 2
Millionen Menschen sind, die in den dortigen Großsiedlungen leben
42
.
Noch prägnanter
sind die Unterschiede hinsichtlich der Größenordnung der Wohngebiete. Die 10 größten
befinden sich sämtlich in Ostdeutschland, darunter Berlin-Marzahn und Hellersdorf
sowie Halle-Neustadt, die mit jeweils mehr als 40.000 Wohneinheiten die Ausmaße
größerer Mittelstädte besitzen. Schon allein diese quantitativen Aspekte machen die
herausragende Bedeutung der Großwohnsiedlungen in den östlichen Bundesländern als
Lebens- und Wohnort für breite Bevölkerungsschichten deutlich.
Tabelle 2-2: Großwohnsiedlungen mit mehr als 2.500 WE in Berlin und den Neuen
Bundesländern.
40
vgl. : BMVBW: Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel 2000, S. 39
41
In der Literatur variieren die Angaben.
42
vgl. Ch. Hannemann In: Häußermann/Neef, 1996 S. 89 und W. Rietdorf In: E. Mueller, 1997 S. 12f.

2 Allgemeiner
Teil
22
Bundesland
Anzahl Großwohn-
siedlungen
Anzahl
Wohnungen
Durchschnittliche Sied-
lungsgröße (in WE)
Berlin (gesamt)
32
332.500
10.390
Brandenburg 27
156.700
5.804
Mecklenburg-Vorpommern 19
166.700
8.774
Sachsen-Anhalt 14
162.900
11.636
Sachsen 33
250.000
7.576
Thüringen 26
138.000
5.308
Gesamt 151
1.206.800
7.983
Quelle: Fuhrich/Mannert 1994, S. 572 und BMVBW: Eine Zukunft für die Plattenbausiedlungen 1999 S.
XI / eigene Berechnungen
Nach der Wende traten die Mängel in den durch baulich-räumliche Monostrukturen
gekennzeichneten Großwohnsiedlungen deutlich zutage. Die Ausgangssituation in städ-
te-baulicher und infrastruktureller Hinsicht läßt sich generalisiert wie folgt darstellen
43
:
-
bautechnische Schäden an den Häusern in den Bereichen Flachdach, Montagefassa-
de,
-
vorrangig fünf- und sechsgeschossige Wohnhäuser ohne Aufzug,
-
funktionelle Mängel in den typisierten Wohnungen hinsichtlich der Grundrisse, Nut-
zungsmöglichkeiten, Bauqualität, Ausstattung sowie geringen Durchschnittsgröße
der Wohnungen und Räume,
-
hohe Bebauungs- und Wohndichte und dadurch verursachte Störfaktoren,
-
Mangel an Versorgungs-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen in den Wohngebieten,
-
geringe Aufenthalts- und Erlebnisqualität durch die fehlende bzw. mangelhafte Ges-
taltung und Gliederung der Grünbereiche und des Wohnumfeldes,
-
enorme Parkplatzprobleme durch die gestiegene PKW-Dichte, Defizite in der
Verkehrserschließung,
-
unzureichende städtebauliche Einbindung der Wohngebiete.
Letztendlich gibt es kaum Möglichkeiten zur wohnungsnahen Erwerbstätigkeit, da die
Großwohnsiedlungen als reine Wohngebiete errichtet wurden, in denen so gut wie keine
Arbeitsstätten vorhanden waren, so daß ,,die gesamte erwerbstätige Bevölkerung (90%
der Männer und Frauen) das Gebiet tagsüber verlassen mußte"
44
.
Diese Situation hat sich mit der dauerhaft hohen Arbeitslosigkeit und dem Hineinwach-
sen größerer Bevölkerungsteile in das Rentenalter grundlegend gewandelt, wodurch das
Wohngebiet und die Wohnung als Aufenthaltsort an Bedeutung gewonnen hat.
Nachfolgend sind problematische Entwicklungstrends der Sozial- und Bevölkerungs-
struktur aufgeführt, die sich in vielen Großwohnsiedlungen und auch in Schönwalde II
43
modifiziert nach Ch. Hannemann 1996 S. 132 f.

2 Allgemeiner
Teil
23
abzeichnen. Sie sind zwar nicht nur wohngebietsspezifisch einzuordnen, da sie Resulta-
te des Transformationsprozesses und gesellschaftlichen Wandels in Ostdeutschland
sind; in Abhängigkeit von der jeweiligen Stadt- und Wirtschaftsentwicklung treten die-
se Wandlungsprozesse aber in hochverdichteten und peripheren Plattenbaugebieten in
verschärfter Form auf.
Zum einen ist die gestiegene Fluktuation, gemessen an den Umzügen je 100 Wohnein-
heiten in einem Jahr, als ein Faktor zu bewerten, der zu Auflösungserscheinungen sozia-
ler Netze und Hausgemeinschaften und damit steigender Anonymität führen kann.
Ein weiterer Indikator ist die Migrationsbereitschaft, die bei Familienhaushalten mit
überdurchschnittlichem Einkommen, höherqualifizierten Bewohnern und jüngeren Al-
tersgruppen am stärksten ausgeprägt ist. Die Wohngebiete sind in dieser Hinsicht in
Abhängigkeit von ihrem Baualter und der Einbindung in die Stadt unterschiedlich stark
betroffen. So äußern die Bewohner in den jüngeren, verdichteten und meist peripheren
Neubaugebieten am häufigsten konkrete Umzugsabsichten. Als zusätzlicher Push-
Faktor können neben o.g. Defiziten die kleiner gewordenen Mietpreisunterschiede zwi-
schen komplexsanierten Plattenbau und Wohnungsneubau wirken, ebenso wie eine zu
geringe Differenz zwischen den Preisen von Eigentumswohnungen im Platten- und Alt-
bau sowie Eigenheimen im Umland.
45
Am nachhaltigsten wandeln sich die Wohngebiete im Zuge des städtischen Struktur-
wandels und der demographischen Entwicklung in ihrer soziostrukturellen Zusammen-
setzung. Wie mehrere Studien nachweisen, befinden sich unter den Wegziehenden ü-
berdurchschnittlich Haushalte höherer Einkommensklassen während gleichzeitig ein
Zuzug sozialschwächerer Personengruppen aus Sanierungsgebieten der Altbauviertel
stattfindet, so daß sich soziale Entmischungstendenzen in den Großwohnsiedlungen
abzeichnen, die besonders stark von Migrationsprozessen betroffenen sind.
46
Die negative Bevölkerungsentwicklung ist in den DDR-Neubaugebieten regionenspezi-
fisch unterschiedlich ausgeprägt. Oftmals besaß der relative Einwohnerverlust bis Mitte
der 90er ähnliche Ausmaße wie der in der Gesamtstadt
47
. Da in den Plattenbaugebieten
den Einwohnern im Vergleich nur geringe Wohnflächen zur Verfügung stehen, ist der
Rückgang für sich genommen noch keine besorgniserregende Erscheinung. Die in den
letzten Jahren dramatisch zunehmenden Leerstände in vielen Großwohnsiedlungen ge-
44
zitiert nach H. Häußermann In: Häußermann/Neef 1996, S. 15
45
nach W. Rietdorf 1998, S. 21
46
BMVBW: Eine Zukunft für die Plattenbausiedlungen 1999, S. 110 ff. und Ministerium für Bau,
Landesentwicklung und Umwelt: Plattenbausiedlungen in M/V 1998, S. 100 ff.
47
bspw. in Rostocker Großwohnsiedlungen vgl.: A. und U. Hohn In: E. Mueller 1997, S. 49

2 Allgemeiner
Teil
24
fährden dagegen den Fortbestand dieser Wohngebiete als funktionsfähige Stadtteile. So
sind insbesondere in von der Deindustrialisierung betroffenen Städten, wie Hoyerswer-
da, Guben, Schwedt, Weißwasser etc. und ehemaligen NVA-Militärstandorten, wie
Dranske und Eggesin, erste Rückbau- und Abrißmaßnahmen durchgeführt wurden.
Aufgrund der in Abschnitt 2.1. beschriebenen Situation und des hohen Wohnungsanteils
in den Städten dominieren trotz der teilweise besorgniserregenden Bevölkerungsent-
wicklung bisher in den meisten dieser Wohnviertel in demographischer wie auch sozio-
ökonomischer Hinsicht noch die Mittellagen, wobei aber kleinräumige Segregations-
muster in bestimmten Wohnblocks und -lagen schon vorhanden sind, in denen sich be-
nachteiligte Bevölkerungsgruppen oft auch infolge einer unausgeglichenen Belegungs-
politik konzentrieren. Durch die genannten Änderungen des sozialen Umfelds unter
gleichzeitiger Herausbildung eines negativen Außenimages der ,,Platte" kann sich auch
die Migrationsbereitschaft bisher nicht umzugswilliger Mieter erhöhen, so daß ein Pro-
zeß des ,,filtering down"
48
als Kettenreaktion in Gang kommen würde, der ohne gezielte
Gegenmaßnahmen kaum mehr aufzuhalten wäre.
2.3.4.1
Förderprogramme zur Weiterentwicklung der Großwohnsiedlungen
Die Studie des Eduard-Pestel-Institutes für Systemforschung, in der von einem notwen-
digen Rückbau von fast 1 Million Plattenbauwohnungen ausgegangen wurde, löste Mit-
te 1996 erneut eine Debatte über die Zukunft der Großwohnsiedlungen der früheren
DDR aus. Trotz der teilweise methodischen Fragwürdigkeit und unseriösen Schlußfol-
gerungen gab sie einen wichtigen Impuls für die Entwicklung perspektivischer Konzep-
te und Strategien zur Konsolidierung der ostdeutschen Großwohnsiedlungen.
Das EXWOST - Forschungsfeld ("Experimenteller Wohnungs- und Städtebau") mit
dem Schwerpunkt der städtebaulichen Weiterentwicklung der Neubaugebiete wurde
von 1992 bis 1995 vom ehemaligen Bundesministerium für Landesplanung und Raum-
ordnung (BfLR) in Zusammenarbeit mit dem StadtBüro Hunger durchgeführt und um-
faßte insgesamt 11 Modellvorhaben
49
, darunter in Mecklenburg/Vorpommern die
Großwohnsiedlung in dem ehemaligen Militärstandort Dranske (Rügen) und die Rosto-
cker Südstadt, als innenstadtnahe Plattenbausiedlung. Aus dem Projekt sollten geeignete
Maßnahmen für die Entwicklung weiterer Neubaugebiete abgeleitet werden.
48
ebenda, S. 26
49
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung In: www.bbr.bund.de/exwost/abgeschl/k-neubau.htm

2 Allgemeiner
Teil
25
Neben weiteren Projekten stellt der Bund seit 1995 über das Förderprogramm "Städte-
bauliche Weiterentwicklung großer Neubaugebiete" den östlichen Bundesländern Fi-
nanzhilfen im Rahmen der Städtebauförderung mit einer 40%-igen Beteiligung zur Ver-
fügung. Außerdem wurden durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau mehr als 10 Milli-
arden DM für die Sanierung der Plattenbauten aufgewendet. Durch das Bund-Länder-
Programm, dessen finanzielles Gesamtvolumen sich bis 1997 auf ca. eine Milliarde DM
belief, wurden rund 150 (60%) der ostdeutschen Großwohnsiedlungen über Entwick-
lungsmaßnahmen, die sich aber bisher zu 80-90% auf die Wohnumfeldverbesserung,
Erschließungsmaßnahmen und den planerischen Vorlauf konzentrieren, gefördert. Auf
den dringend notwendigen Ausbau der defizitären sozialen und kulturellen Infrastruktur
sowie Maßnahmen zu einer verstärkten Bürgerbeteiligung entfielen dagegen nur 5 Pro-
zent.
50
In dieses Förderprogramm waren auch die Greifswalder Plattenbaugebiete
Schönwalde I und Ostseeviertel/Parkseite einbezogen. Durch die umfangreichen Maß-
nahmen konnten viele Wohngebiete, wie Berlin-Marzahn u.a., nachhaltig aufgewertet
und teils städtebaulich integriert werden.
Da die sozialen Probleme und drastischen Umstrukturierungen in den Stadtquartieren
nicht mehr allein durch die klassische Städtebauförderung zu lösen sind, wurde 1999
das von Bund, Ländern und Gemeinden getragene Programm ,,Stadtteile mit besonde-
rem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt" für eine sozial ausgeglichene Entwicklung
in Problemgebieten der Innenstädte, gründerzeitlichen Altbauviertel und Großwohnge-
biete mit städtebaulichen, sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Hand-
lungsfeldern initiiert. Das auf Ergebnissen der Weltkonferenz zur Zukunft der Städte
aufbauende Programm ,,Urban 21" beinhaltet eine Neuorientierung in der Stadtentwick-
lungspolitik, die über eine Fördermittelbündelung integrierte Planungs- und Handlungs-
konzepte anstrebt und die, durch zunehmende soziale und räumliche Disparitäten und
Segregationsprozesse, drohende Spaltung der Städte verhindern helfen soll
51
.
50
vgl. U. & A. Hohn In: E. Müller 1997, S. 46
51
nach Deutsches Institut für Urbanistik, Heft 3/2000 In: www.difu.de/publikationen/difu-berichte

3
Städtische Strukturen Greifswalds
26
3 Städtische Strukturen Greifswalds
3.1 Demographische Charakteristika
In Greifswald war bis kurz vor dem Umbruch ein starkes Bevölkerungswachstum zu
verzeichnen, allein von 1970 bis 1980 umfaßte der Zuwachs mehr als 14.000 Menschen.
Der positive Trend resultierte v.a. aus der wirtschaftlichen Entwicklung und Industriali-
sierung der Region und damit einhergehenden, hohen Wanderungsgewinnen, die sich
Anfang der 80er Jahre aber wieder abschwächten. Diese Entwicklung führte zu einem
überaus hohen Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung (> ) und geringem Durch-
schnittsalter von ca. 34 Jahren, das wiederum bei den damaligen Geburtenziffern eine
positive natürliche Bevölkerungsentwicklung bedingte.
Abbildung 3-1: Bevölkerungspyramide Stadtkreis Greifswald (Stand 30.06.1990).
b is 3 0 .0 6 .1 9 9 0
1 9 8 7
1 9 8 4
1 9 8 1
1 9 7 8
1 9 7 5
1 9 7 2
1 9 6 9
1 9 6 6
1 9 6 3
1 9 6 0
1 9 5 7
1 9 5 4
1 9 5 1
1 9 4 8
1 9 4 5
1 9 4 2
1 9 3 9
1 9 3 6
1 9 3 3
1 9 3 0
1 9 2 7
1 9 2 4
1 9 2 1
1 9 1 8
1 9 1 5
1 9 1 2
1 9 0 9
1 9 0 6
1 9 0 3
1 9 0 0 u n d d a vo r
Geburtsjah
r
m än n lic h
w eib lic h :
Ü b ers c h u ß
8 0 0 6 0 0 4 0 0 2 0 0 0 2 0 0 4 0 0 6 0 0 8 0 0
Quelle: Der Landkreis Greifswald - die Hansestadt Greifswald in Ergebnissen des Jahres 1990, eigene
Berechnungen und Darstellung

3
Städtische Strukturen Greifswalds
27
Im Jahr 1988 lebten in Greifswald ca. 68.600 Menschen, darunter 4.700 Ausländer.
Ausserdem waren zu diesem Zeitpunkt etwa 14.000 Nebenbewohner in der Stadt ge-
meldet.
52
Trotz weitaus höherer Wachstumsprognosen in den 70er Jahren, die für 1985
von 72.000 bis 80.000 Einwohnern ausgingen
53
, bestand in Greifswald Ende der 80er
ein akutes Wohnungsproblem, was durch die Vielzahl verfallbedingter Wohnungsab-
gänge in den Altbauquartieren Altstadt, Fleischer- und Fettenvorstadt verursacht wurde
und sich in 4.500 Wohnungsanträgen
54
ausdrückte.
Ebenso wie die meisten Städte Ostdeutschlands ist auch die Hanse- und Universitäts-
stadt Greifswald seit 1989 von einem kontinuierlichen Rückgang der Einwohner betrof-
fen, der sich im Zeitraum 1989-2000 auf ca. 21% belief, und sowohl auf die hohen
Migrationsverluste als auch auf die natürliche Bevölkerungsentwicklung zurückzufüh-
ren ist. Mit noch 53.960 Einwohnern mit Hauptwohnsitz (31.12.2000) hat die Hanse-
stadt wieder den Stand von 1974 erreicht. Die Anzahl der Nebenbewohner stieg dage-
gen in den letzten Jahren leicht, von 6.302 Personen 1997 auf 6.477 Ende 2000, an.
Die natürliche Bevölkerungsentwicklung in Greifswald war schon nach 1977 von einem
leichten Absinken der Geburtenzahlen bei einem gleichzeitig relativ stabilen Niveau der
Sterbefälle gekennzeichnet. Nach 1990 brachen die Geburtenzahlen wie in der gesam-
ten ehemaligen DDR dramatisch ein, was 1991 erstmalig einen Sterbefallüberschuß
hervorrief. In den Jahren 1993-95 lagen die allgemeinen Geburtenziffern bei nur 5,8
Geburten je 1.000 Einwohnern, und damit 56% unter dem Niveau von 1989 (13,3 Ge-
burten/1.000 Einwohner)
55
. Seit 1995 steigen die Geburtenzahlen bei leicht fallenden
Sterbeziffern wieder an, so daß bereits 1998 die natürliche Bevölkerungsentwicklung
mit einem Saldo von -19 (absolut) nur noch geringfügig negativ war
56
. Im Vergleich zu
den anderen kreisfreien Städten und Landkreisen Mecklenburg-Vorpommerns wies
Greifswald 1999 mit 8,2 Geburten je 1.000 Einwohner die höchste Geburtenziffer aller
Land- und Stadtkreise auf (Mecklenburg-Vorpommern gesamt 7,0)
57
. Somit sind seit
1998 fast ausschließlich die Wanderungdefizite für den Bevölkerungsrückgang verant-
wortlich.
52
Daten aus: Hansestadt Greifswald - Flächennutzungsplan Vorentwurf S. 16, 1994
53
vgl. Konzeptionen zur Stadtentwicklung bis 1990, 1972
54
B. Lichtnau In: Greifswald - Geschichte der Stadt 2000, S. 505
55
Daten aus: Hansestadt Greifswald - Jahreszahlen 1998, S. 48. eigene Berechnungen
56
siehe Anhang Abb. II - 1, 1999 stieg die allgemeine Sterbeziffer wieder auf 9,3; dem höchsten Wert
seit 1985.
57
vgl. Statistisches Landesamt M/V 2000, S. 368

3
Städtische Strukturen Greifswalds
28
Abbildung 3-2: Migrationssalden der kreisfreien Städte Mecklenburg-Vorpommerns.
Quelle: Statistisches Jahrbuch für Mecklenburg-Vorpommern 1999 und 2000 S. 369
Abkürzungen: HGW : Greifswald / HWI : Wismar / HST : Stralsund / SN : Schwerin / HRO : Rostock /
NB : Neubrandenburg
Auffallend ist insbesondere, daß, im Gegensatz zu den anderen kreisfreien Städten,
Greifswald erst seit 1994 Wanderungsverluste über 15 Promille (je 1.000 Einwohner)
aufweist, dafür 1997 nach Rostock die zweithöchsten und 1998 sogar die höchsten De-
fizite. Dagegen sanken 1999 die Migrationsverluste in allen kreisfreien Städten, in
Greifswald aufgrund höherer Zuzugszahlen als in den Vorjahren sogar auf 15 Promille.
Allerdings befinden sich die negativen Migrationssalden mit Ausnahme von Stralsund
(2 ppm) und Wismar (8 ppm) noch auf einem hohen Niveau, so daß sich das Wande-
rungsgeschehen noch keineswegs stabilisiert hat.
Die überregionalen Wanderungen sind überwiegend durch die Arbeitssituation bzw. das
Studium induziert. Diese Form der Abwanderung hat sich in den letzten Jahren stabili-
siert, ist gegenüber dem übrigen Bundesgebiet aber weiterhin negativ
58
. Die Hansestadt
konnte ab 1998 erstmals seit dem Umbruch Wanderungsgewinne in der Altersgruppe
der 18- bis 25-jährigen verzeichnen, die auf die gestiegenen Studierendenzahlen an der
Universität, inzwischen ca. 7.000, zurückzuführen sind.
58
siehe Anhang Abb. II - 2: Entwicklung der Wanderungsströme Greifswalds 1990 -1999
-40
-35
-30
-25
-20
-15
-10
-5
0
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Wanderungssaldo je 1.000 EW
NB
HRO
SN
HST
HWI
HGW

3
Städtische Strukturen Greifswalds
29
Infolge der Suburbanisierungsprozesse (siehe S. 16 f.) verliert Greifswald seit Mitte der
90er kontinuierlich eine hohe Zahl an Einwohnern an die Umlandgemeinden der Ämter
Landhagen und Lubmin (Landkreis Ostvorpommern). Der jährliche Wanderungssaldo
mit dem Umland wies bis 1998 kontinuierlich Verluste von über 1.000 Personen auf.
Wie der Tabelle 3-1 zu entnehmen ist, wurde 1997 der negative Höhepunkt dieser
nahräumlichen Bevölkerungsbewegungen überschritten. Die ,,Trendumkehr" ist sowohl
auf die steigenden Zuzugszahlen aus dem Umland als auch auf die sinkenden Fortzüge,
deren Ausmaß mit 1.424 Personen (1999) immer noch als überaus hoch einzustufen ist,
zurückzuführen.
Über raumordnerisch festgelegte Siedlungsschwerpunkte (in der Tabelle mit * gekenn-
zeichnet) sollte eine ringförmige Ausdehnung von Siedlungsflächen um das partielle
Oberzentrum Greifswald verhindert und die Ausweisung der Eigenheim- und Reihen-
haussiedlungen auf wenige Standorte konzentriert werden, was aber nur ansatzweise
gelang.
Tabelle 3-1: Migrationssalden Greifswalds gegenüber den Umlandgemeinden
( Umkreis von 15 km / in absoluten Zahlen).
Gemeinden 1996
1997
1998
1999
Saldo
1996-99
Griebenow -40
-63
-39
(unter Sonstige)
(-142)
Groß Kiesow
5
-32
-44
-49
-120
Hanshagen -30
-41
-23
-30
-124
Hinrichshagen* -87
-95
-107
-83
-372
Kemnitz* -52
-50
-67
-60
-229
Loissin -41
-79
-52
-42
-214
Lubmin -94
-100
-42
-35
-271
Mesekenhagen* -27
-78
-78
-40
-223
Neuenkirchen* -148
-132
-160
-80
-520
Wackerow* -209
-171
-128
-84
-592
Weitenhagen* -192
-139
-92
-61
-484
Sonstige -199
-334
-263
-278
-1.074
Gesamtes Umland
-1.114
-1.314
-1.095
-842
-4.365
Quelle: Hansestadt Greifswald Jahreszahlen 1998 und 1999 S. 52 / 50 , eigene Zusammenfassung

3
Städtische Strukturen Greifswalds
30
3.2 Gliederung Greifswalds nach Stadtteilen
Die amtliche Statistik gliedert Greifswald in 16, teilweise sehr kleine, Stadtteile. In der
Sozialstrukturdatenbank der Hansestadt werden diese in Sozialräumen zusammenge-
faßt, wobei die Innenstadt und die angrenzenden Stadtteile (1-6) mit überwiegender
Altbausubstanz den Sozialraum 1 mit 18.725 Einwohnern bilden. Die Großwohnsied-
lungen Greifswalds (Stadtteile 7-9) in der südöstlichen Stadterweiterung werden als
eigenständige Sozialräume eingeordnet
59
. Der mit 5.400 Einwohnern kleinste Sozial-
raum 5 umfaßt die randstädtischen Gebiete, von denen das Industriegebiet, Ladebow
und die Insel Riems als gewerblich, Eldena, Wieck, Friedrichshagen sowie Groß
Schönwalde mit einem hohen Anteil an Ein- und Zwei-Familien-Häusern dagegen als
dörflich geprägt zu charakterisieren sind. Letztere verzeichnen über die Wohnsuburba-
nisierung als einzige Stadtteile neben der Fettenvorstadt/Stadtrandsiedlung höhere Be-
völkerungsgewinne. In Groß Schönwalde hat sich bspw. die Bevölkerung mit nunmehr
900 Einwohnern in den letzten 9 Jahren verdreifacht. Eine nähere Betrachtung der sehr
differenzierten Einwohnerentwicklung in den Stadtteilen erfolgt unter besonderer Be-
rücksichtigung der Großwohnsiedlungen in Kapitel 5.2.
Abbildung 3-3: Gliederung der Hansestadt Greifswald in Stadtteile und Sozialräume.
Quelle: nach Karte des Umweltamtes der Hansestadt Greifswald, neu erstellt
59
Zusammenfassung der Stadtteile aus ISOP: Sozialplanung für die Hansestadt Greifswald 1999, S. 3
6
1
3
5
Stadtteile
01 Innenstadt
02 Steinbeckervorstadt
03 Fleischervorstadt
04 Nördliche Mühlenvorstadt
05 Südliche Mühlenvorstadt
06 Fettenvorstadt/Stadtrands.
07 Ostseeviertel
08 Schönwalde I/Südstadt
09 Schönwalde II
10 Industriegebiet
11 Ladebow
12 Wieck
13 Eldena
14 Groß Schönwalde
15 Friedrichshagen
2
11
4
9
8
7
12
13
14
15
10
0
500
1000
1500
2000m
Legende
Grenzen der Stadtviertel
(Ohne Insel Riems und Koos)
1
Sozialraum 1
Sozialraum 5
Südöstliche Stadterwei-
terung/Sozialraum 2 - 4)
N

3
Städtische Strukturen Greifswalds
31
Tabelle 3-2:Grunddaten der Stadtteile Greifswalds.
Stadtteile
Einwohner
(Hauptwohnsitz)
Einwohner-
Fläche Einwohnerdichte
31.12.1992 31.12.2000 entw. (in %) in km² in EW / km² 2000
1. Innenstadt
4.786
3.906
-18,39
0,87 4.490
2. Steinbeckervorstadt
185
188
1,62
3,496 54
3. Fleischervorstadt
3.565
2.960
-16,97
0,527 5.617
4. Nördliche Mühlenvorstadt
4.400
4.145
-5,80
1,738 2.385
5. Südl. Mühlenvorst./ Obstbau-
siedlg.
5.449
4.622
-15,18
1,081 4.276
6. Fettenvorstadt/ Stadtrandsiedlung
2.265
2.904
28,21
6,573 442
Altstadt und Vorstädte
20.650
18.725
-9,32 14,285 1.311
7. Ostseeviertel
10.657
8.158
-23,45
2,197 3.713
8. Schönwalde I/Südstadt
15.236
12.071
-20,77
1,321 9.138
9. Schönwalde II
13.525
9.599
-29,03
0,88 10.908
Großwohnsiedlungen
39.418
29.828
-24,33
4,398 6.782
10. Industriegebiet
785
604
-23,06
6,347 95
11. Ladebow
578
448
-22,49
5,444 82
16. Riems/Insel Koos
1.020
731
-28,33
2,336 313
gewerblich geprägte Randgebiete
2.383
1.783
-25,18 14,127 126
12. Wieck
378
430
13,76
0,442 973
13. Eldena
1.319
2.058
56,03
6,755 305
14. Groß Schönwalde
310
934
201,29
5,808 161
15. Friedrichshagen
142
202
42,25
4,365 46
dörflich geprägte Randgebiete
2.149
3.624
68,64
17,37 209
Insgesamt 64.600
53.960
-16,47
50,18
1.075,33
Quelle: statistische Datenblätter der Hansestadt Greifswald, Hauptamt - SG Statistik, eigene Berechnun-
gen und Zusammenfassungen
Die während des 2. Weltkrieges unzerstört gebliebene Innenstadt mit ihren charakteris-
tischen mittelalterlichen Strukturen und Altbauquartieren jüngeren Datums war beson-
ders in den 70er und 80er Jahren von umfangreichem Verfall, nachfolgendem Abriß
ganzer Straßenzüge (bspw. zwischen Loefflerstraße und Hansering in der nördlichen
Altstadt) und daraus folgenden Einwohnerverlusten betroffen. Ab 1978 wurden auf die-
sen Flächen, wie auch in der nördlichen Altstadt Rostocks, etwas abgewandelte, stadt-
bild-angepaßte Plattenbauten (,,REKO") errichtet, die die vormals kleinräumigen, histo-
rischen Bau- und Hinterhofstrukturen in den jeweiligen Bereichen überprägten. Durch
den hohen Anteil dieser Wohngebäude, deren Mietpreisniveau im Vergleich als mode-
rat einzuschätzen ist, wird die Innenstadt trotz der partiellen Umwidmung sanierter Alt-
bauwohnungen in gewerblich genutzte Flächen ein wichtiger Wohnstandort bleiben.
In den letzen Jahren fand durch zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen und -projekte,
wie der Neugestaltung des Marktplatzes, dem Neubau des Einkaufszentrums ,,Dompas-
sagen", der Errichtung des Pommerschen Landesmuseums, der Rekonstruktion der his-
torischen Stadtmauer und Wallanlagen etc., eine Aufwertung und Revitalisierung der
Altstadt zu einem repräsentativem Zentrum statt.

3
Städtische Strukturen Greifswalds
32
Als typisches innenstadtnahes Viertel mit überwiegend gründerzeitlicher Bausubstanz
ist die Fleischervorstadt einzuordnen, die, ebenso wie die Innenstadt, Fetten- und
Mühlenvorstadt, durch die umfangreichen Stadterneuerungs- und
Sanierungsmaßnahmen einem Umstrukturierungsprozeß unterliegt. Bisher bietet der
Stadtteil ein noch sehr differenziertes Bild von unsanierten, teilweise leerstehenden und
verfallenden Gebäuden sowie hochwertig modernisierten Häusern und einzelnen
Straßenzügen, in denen die Kaltmieten inzwischen über 13,00 DM/m² liegen
60
.
Das Wohngebiet liegt wie auch die Innenstadt im Sanierungsgebiet der Hansestadt und
wurde mit einem Finanzvolumen von 2,22 Mio. DM im Zeitraum 1999-2000 in das
Programm ,,Soziale Stadt" aufgenommen und darüber hinaus über weitere städtebauli-
che Programme mit 82,54 Mio. DM in der Stadtentwicklung gefördert.
61
Ob damit auf
durch die Sanierungen und damit einhergehenden Mietpreiserhöhungen verursachten
Verdrängungsprozesse sozial schwächerer Haushalte Einfluß genommen werden kann,
ist bislang nicht einzuschätzen. Vor dem Hintergrund der gegenüber den Großwohn-
siedlungen geringen Einwohnerzahl erscheint diese Schwerpunktsetzung der Stadtent-
wicklung in Teilen fragwürdig.
Zwischen der Altstadt und der südöstlichen Peripherie befinden sich die Viertel Nördli-
che und Südliche Mühlenvorstadt, für die eine heterogene Bebauungstruktur von attrak-
tiven Stadtvillen, Bürgerhäusern und Mietskasernen charakteristisch ist, die zum Groß-
teil zwischen den beiden Weltkriegen und in den 50er Jahren errichtet wurden.
60
Siehe Anhang I - 1 Mietspiegel 2000
61
Ministerium für Arbeit und Bau M/V: Stadtteile mit besonderen Enwicklungsbedarf - die soziale
Stadt", 2000

3
Städtische Strukturen Greifswalds
33
3.2.1 Die Greifswalder Großwohnsiedlungen
In Greifswald gibt es neben Schönwalde II noch zwei weitere, vorrangig in
Plattenbauweise errichtete, Großwohnsiedlungen. In den drei Stadtvierteln, die sämtlich
zu der südöstlichen Stadterweiterung zählen, konzentrieren sich mit über 15.000 Wohn-
einheiten 58,7%
62
des gesamten Wohnungsbestandes und diesem Anteil entsprechend
55,3% der Einwohner Greifswalds, was die herausragende Bedeutung dieser Quartiere
als Wohnstandorte unterstreicht. Die Hansestadt gehört zu den Städten mit einem über-
durchschnittlichen Bestand an Wohnungen in Montagebauweise und wird demzufolge
in einer wohnungswirtschaftlichen Studie zu den insgesamt 14 ,,DDR-Entwicklungs-
städten" gerechnet
63
.
Der Stadtteil Schönwalde I/ Südstadt ist die größte Großwohnsiedlung Greifswalds,
wobei die Südstadt, als das erste industriell erbaute Wohngebiet, ab Ende der 50er in
Blockbauweise errichtet wurden ist und sich direkt an die Südliche Mühlenvorstadt an-
schließt. Das ab 1969 in Großplattenbauweise errichtete Wohngebiet Schönwalde I
zeichnet sich im Vergleich zu den jüngeren Neubaugebieten durch die Anwendung dif-
ferenzierterer Bebauungsmuster sowie einer großzügigeren Freiflächengestaltung aus
und umfaßt ca. 5.300 Wohneinheiten. In den 80er Jahren entstanden in diesem Wohn-
gebiet mit dem Bau von jeweils zwei 9- und 11-geschossigen Gebäuden die einzigen
Hochhäuser der Stadt. Zu den infrastrukturellen Einrichtungen zählen neben der Grund-
ausstattung auch städtische Behörden, ein Ärztehaus, eine Ladenzeile in der Lomonos-
sowallee, zwei neu errichtete Einkaufszentren, eine Bank, die in einem neugestalteten,
verglasten Eckgebäude untergebracht ist, sowie weitere diverse Dienstleistungsangebo-
te.
Der Stadtteil Ostseeviertel umfaßt drei unterschiedliche Wohnquartiere und kann dem-
nach nicht als eine einheitliche Siedlung betrachtet werden. Das Alte Ostseeviertel mit
Mehrfamilienhäusern aus der Nachkriegszeit, einzelnen Plattenbauten und einer klein-
teiligeren, durchgrünten Freiraumstruktur weist eine vglw. heterogene Bebauung auf.
Östlich daran anschließend befindet sich die ab 1981 errichtete und am dichtesten be-
baute Plattenbausiedlung Ostseeviertel/Parkseite mit ca. 2.200 Wohneinheiten. In die-
sem Stadtteil sollte vorrangig Wohnraum für Greifswalder Einwohner aus den verfal-
lenden Altstadtquartieren geschaffen werden. Das Mitte der 90er erbaute ,,Ostseeein-
62
errechnet aus: Hansestadt Greifswald: Daten der Gebäude- und Wohnungszählung 1995
63
wie Bergen (Rügen), Rostock Schwedt, Neubrandenburg, Eisenhüttenstadt, Hoyerswerda, Wolfen,
u.a., aus: BMVBW: Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel 2000, S. 22 und 44

3
Städtische Strukturen Greifswalds
34
kaufszentrum" (OEZ) enthält als Nahversorgungszentrum diverse Einkaufs- und Dienst-
leistungseinrichtungen, eine Gaststätte, ein Parkdeck und ein Callcenter. Ende 2000
wurde ein moderner, viergeschossiger Neubau als ein Senioren- und Pflegeheim fertig-
gestellt, der bestehende Gebäude in den Gesamtkomplex integriert.
Der 1987 begonnene Bau des Quartiers Ostseeviertels/ Ryckseite wurde mit der Auflö-
sung des Greifswalder Wohnungsbaukombinates 1990 eingestellt und blieb daher un-
vollendet. In dieser Siedlung dominieren ebenfalls 5 bis 6-geschossige Wohngebäude,
die lediglich zwei Wohnhöfe und einzeln stehende Bauten umfaßt. An deren Rand
schließt sich eine nach der Wende errichtete Wohnsiedlung mit komfortablen Reihen-
häusern an. Eine Gestaltung und Begrünung der Freiflächen im Umfeld der Plattenbau-
ten ist bisher weitestgehend unterblieben, so daß dieser Bereich als relativ trist und ein-
tönig erscheint. Ein Wohnblock in Montagebauweise wurde nach der Wende aufwendig
saniert, aufgestockt und mit einem Satteldach versehen. Ebenso wurde das Wohngebiet
mit einer Ladenzeile und einem Einkaufszentrum ausgestattet.
Mit Hilfe von Mitteln des Bundes aus dem Förderprogramm ,,Städtebauliche Weiter-
entwicklung großer Neubaugebiete" konnten die Großwohnsiedlungen Schönwalde I
(Programmvolumen 1993-99 22,86 Mio. DM) und Ostseeviertel/Parkseite (9,93 Mio.
DM)
64
hinsichtlich der Infrastrukturausstattung, Wohnumfeld- und Grünflächengestal-
tung aufgewertet werden. Die Neugestaltung des Ostseeviertels soll bis 2002 abge-
schlossen werden. Für beide Wohngebiete wurden städtebauliche Rahmenpläne erarbei-
tet, während für Schönwalde II bisher keine vergleichbaren Planungen oder Vorhaben
existieren.
Gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen WGG und WVG wurde durch das Institut
für soziale Arbeit und Organisationsplanung Neubrandenburg (ISOP) 1999 eine Be-
wohnerbefragung zu ihrer Wohnsituation und Wünschen zu Sanierungsmaßnahmen im
Ostseeviertel/Parkseite durchgeführt, an der sich 619 der 2.100 angeschriebenen Miet-
parteien beteiligten
65
.
64
aus: Ministerium für Arbeit und Bau M/V: Werkstattbericht 1999, S. 62
65
ISOP: Wohnen im Ostseeviertel / Parkseite - Bedarfsanalyse 1999/2000, S. 2

3
Städtische Strukturen Greifswalds
35
3.3 Einordnung der Großwohnsiedlung Schönwalde II
3.3.1 Bau und Planung von Schönwalde II
Nach der Fertigstellung der Wohnsiedlungen Schönwalde I und Südstadt wurde ab 1972
die Erweiterung Greifswalds nordöstlich der Anklamer Straße mit dem Bau von
Schönwalde II fortgeführt, in dessen Folge 1974 die eigenständige Kommune Schön-
walde in die Stadt eingemeindet wurde. In der Anfangsphase wurde für den Bau der
Großwohnsiedlungen Schönwalde I und II über das ,,Forschungsprojekt Greifswald"
unter der Regie der Bauakademie der DDR ein vglw. hoher Planungsaufwand betrieben,
aus dem Empfehlungen und Methodik für die Bebauung anderer Mittelstädte abgeleitet
werden sollten. Auf dem Gelände des heutigen ,,Schönwaldecenters" war bspw. ein
multifunktionales Stadtteilzentrum geplant, das neben verschiedenen Verkaufseinrich-
tungen eine Bibliothek, einen Mehrzwecksaal mit 470 Plätzen, eine Gaststätte, Cafés
u.ä. beinhalten sollte
66
, welches aber aus finanziellen Gründen bis zur Wende nicht rea-
lisiert wurde. Lediglich die geplante ,,Kaufhalle Nord" wurde in diesem Bereich ge-
schaffen. Auch wurden Vorschläge und Planungen zur Gestaltung des Wohnumfeldes
vielfach nicht umgesetzt. Die eigentliche Bauphase dauerte bis 1978 an, einzelne Ge-
bäude wurden in den 80er Jahren noch nachträglich errichtet, bspw. ein sechsgeschossi-
ges Wohngebäude im Ernst-Thälmann-Ring. Daneben wurden vier als Studentenwohn-
heime konzipierte Gebäude, ein Schulkomplex sowie mehrere Flachbauten, die fast
ausschließlich Kindereinrichtungen vorbehalten blieben, im Wohngebiet errichtet.
In diesem Stadtteil sollte, wie auch in Schönwalde I, in erster Linie Wohnraum für Be-
schäftigte des 1973 in Betrieb genommenen Kernkraftwerks Lubmin, in dem ca. 10.000
Personen arbeiteten, und des ab 1967 errichteten Großbetriebes Nachrichtenelektronik
Greifswald (NEG, heute Siemens AG), sowie deren Familien geschaffen werden. Auf-
grund dieser Aspekte und der in Kapitel 2.1. beschriebenen Wohnungsvergabepolitik
setzte sich die Wohnbevölkerung zu mehr als 50%
67
aus o.g. Gruppen mit einem hohen
Anteil an Zugezogenen aus der gesamten DDR zusammen. Dadurch waren relativ ho-
mogene Bevölkerungsstrukturen und nur geringe soziale Unterschiede im Wohngebiet
festzustellen. Schönwalde II sollte nach der Fertigstellung Wohnort für 1.500 Studen-
66
vgl. Bauakademie der DDR: Gesellschaftliches Zentrum Greifswald-Schönwalde 2 1973
67
aus einem Interview mit Vertretern eines Wohnungsunternehmens

3
Städtische Strukturen Greifswalds
36
ten und 16.000 Einwohner sein, auf die bei der damaligen Planung gerade einmal 5.308
Wohneinheiten gekommen wären
68
.
Das KKW Lubmin wurde Ende 1990 vom Netz genommen und die dortige Belegschaft
auf 1.000 Personen reduziert, die mit dem Rückbau der Atomanlagen eine zeitlich be-
grenzte Tätigkeit ausüben. Mit dem zwischenzeitlich dort errichteten, atomaren Zwi-
schenlager für nukleare Brennstäbe sind dagegen auch wieder einige längerfristige Ar-
beitsplätze vorhanden.
3.3.2 Eingrenzung des Untersuchungsraumes und Beschreibung der
Ausgangssituation in Schönwalde II
Der Stadtteil liegt umgeben von den anderen beiden Plattenbaugebieten Schönwalde I
und Ostseeviertel/Parkseite in südöstlicher Randlage der Hansestadt Greifswald und ist
ca. 2,5 - 3,5 Kilometer von der Stadtmitte entfernt. Die fußläufige Erreichbarkeit der
Innenstadt ist damit nicht mehr gegeben.
Eingegrenzt wird Schönwalde II im Südwesten von der Bundesstraße 109 (Anklamer
Straße), die das Wohngebiet von der älteren Plattenbausiedlung Schönwalde I trennt, im
Nordwesten von der Verkehrsachse Karl-Liebknecht-Ring mit dem Übergang zu den
weitläufigen Bereichen des Universitätsklinikums und den im Bau befindlichen Univer-
sitätsgebäuden. Nördlich sind die größtenteils naturbelassenen Grünflächen des ,,Stadt-
parks" und die von Schönwalde räumlich getrennten Bereiche des Komplexes ,,me-
digreif" älteren Baudatums mit einem Ärztehaus, diversen Dienstleistungseinrichtun-
gen, zwei Hotels sowie neuerrichteten Gebäuden einer Seniorenwohnanlage und eines
Berufsbildungswerks gelegen. Östlich schließen sich großflächige Kleingartenanlagen,
im Südosten mit der Gemarkung Koitenhagen eine neu errichtete Reihenhaussiedlung
und das Gewerbe- und Einzelhandelsgebiet ,,Elisenpark" an. Die wichtigsten Ver-
kehrsachsen innerhalb von Schönwalde II sind die Makarenkostraße und der nördliche
Teil des Ernst-Thälmann-Rings bis zur Koitenhäger Landstraße
69
.
Die Großwohnsiedlung ist fast durchgängig durch fünfgeschossige Wohngebäude des
Bautyps WBS 70 geprägt und stellt sich dadurch als ein sehr typisches und homogenes
Neubaugebiet dar. Die Blöcke sind als langgestreckte Baukörper angeordnet, wobei die
einzelnen Gebäude Höfe bilden. Durch einzelne Nachverdichtungen in den Hofflächen
ist besonders im Bereich Ostrowskistraße/ Koitenhäger Landstraße eine sehr enge Be-
68
aus Bauakademie der DDR: Gesellschaftliches Zentrum Greifswald-Schönwalde 2 1973, S. 25

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2001
ISBN (eBook)
9783832454364
ISBN (Paperback)
9783838654362
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald – unbekannt, Geographie und Geologie
Note
1,6
Schlagworte
sozialstruktur großwohnsiedlung stadtentwicklung segregation
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Titel: Soziodemographische Strukturen in der Greifswalder Großwohnsiedlung Schönwalde II
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